Den Patienten und Patientinnen, die mich gelehrt haben,
was menschliche Willenskraft vermag.

Meiner Familie: Richard, Laura, Paul und Lynn; Bret,
Jena, Elena, Marin, Sabine, Declan und Tim

Geleitwort

Von meiner langjährigen Kollegin Dr. Margaret Caudill habe gelernt, wie man mit Schmerzen umgeht. Ich bin stolz auf die Zusammenarbeit mit ihr und zutiefst dankbar dafür.

Als Schmerzexpertin ist sie überaus erfahren in der Anwendung eines ganzheitlichen Ansatzes, bei dem Körper und Psyche als Einheit betrachtet werden und die medikamentöse Behandlung mit therapeutischen Übungen und einer gesunden Ernährungsweise verbunden wird. Das von ihr entwickelte klinisch getestete und inzwischen weltweit anerkannte Programm reduziert nachweislich sowohl chronische Schmerzen als auch Angst und Depression, Stress, Ärger und Feindseligkeit signifikant, sodass das Leben der Betroffenen weniger stark beeinträchtigt wird, sie weniger Schmerzmedikamente benötigen und noch Jahre später die Anzahl der Arztbesuche im Durchschnitt um 36 % niedriger ausfällt.

Diesen bemerkenswerten Erfolg erzielt Dr. Caudill, indem sie Selbsthilfestrategien und Schulmedizin miteinander verbindet. Durch die Veröffentlichung steht ihre Methode nun allen offen und kann auch als Ergänzung zu einer ärztlich verordneten Schmerztherapie verwendet werden. Mit seinen gut nachvollziehbaren praktischen Ratschlägen ist das Buch ausgesprochen nutzerfreundlich.

Menschen, die nach diesem Ansatz gearbeitet haben, berichten nicht nur, dass sie nun weniger unter Schmerzen leiden, sondern dass sie auch gelernt haben, die Prinzipien auf andere Lebensbereiche zu übertragen. Ihre Kommunikation hat sich verbessert, sie haben eine positivere Einstellung, können häufig auch andere schwierige gesundheitliche Probleme lösen. Im Großen und Ganzen haben sie mehr Kontrolle über ihr Leben.

Selbsthilfe bei chronischen Schmerzen spiegelt die Fürsorge und das Mitgefühl, die Erfahrungen und Erkenntnisse der Autorin wider – alles Voraussetzungen für einen erfolgreichen ganzheitlichen Ansatz. Wenn allerdings nicht nur vom Körper, sondern auch von Seele und Geist die Rede ist, glauben viele Patienten und Patientinnen, man wolle ihnen damit zu verstehen geben, ihr Schmerz finde im Kopf statt, sei also nichts als Einbildung. Doch das ist ganz und gar nicht gemeint. Vielmehr möchte die Autorin die förderlichen Aspekte der Interaktion zwischen Körper, Seele und Geist vermitteln, mithilfe derer sich das ganze Leben zum Positiven wandeln wird.

Ich vertraue darauf, dass Selbsthilfe bei chronischen Schmerzen, ein Programm, von dem schon viele Tausende profitiert haben, auch Ihnen eine Hilfe sein wird.

Herbert Benson, MD

Benson–Henry Institute for Mind Body Medicine,
Massachusetts General Hospital

Dank

Anerkennung haben vor allem die sehr anschaulichen und wichtigen Beiträge meiner Kollegen und Kolleginnen verdient: Richard Schnable, Margaret Ennis, Carol Wells-Federman und Paul Arnstein. Unser Austausch und die Erfahrungen, die wir im Laufe der Jahre sammeln konnten, haben das Programm zur Bewältigung chronischer Schmerzzustände hervorgebracht, auf dem dieses Buch basiert. Es lässt sich ganz schwer sagen, wo ihre Ideen aufhören und meine anfangen.

Hervorheben möchte ich auch die unschätzbare Unterstützung meiner ehemaligen Kollegen und Kolleginnen in der Abteilung für Verhaltensmedizin, am Mind / Body Medical Institute und dem Arnold Pain Center des Beth Israel Deaconess Medical Center in Boston, Massachusetts, sowie an den Dartmouth–Hitchcock Clinics und am Dartmouth–Hitchcock Medical Center in New Hampshire.

Mein besonderer Dank gilt Nancy L. Josephson, die den Anhang C verfasst und dafür gesorgt hat, dass das ursprüngliche Material nun „nutzerfreundlich“ ist, sowie Anna Brackett vom Verlag The Guilford Press, die unser gemeinsames Projekt vor 20 Jahren ins Leben rief. Dank gebührt außerdem Barbara Watkins, der Lektoratsleiterin bei Guilford Press, die dieses Projekt von Anfang an betreut hat und es immer wieder mit sanfter Hand überarbeiten lässt.

Meiner Lektorin Margaret Ryan danke ich für ihre sorgfältige Manuskriptbearbeitung und Kommentare. Würdigen möchte ich außerdem Eileen Stuart-Shor, den verstorbenen Richard Friedman, Sharon McDonnell, Richard Slosberg, Jay Galipeault, Gilbert Fanciullo, Lisa Maheu und Michelle Fellows für ihre Unterstützung und ermutigenden Worte in all diesen Jahren. Ein ganz besonderes Dankeschön haben sich aber Gerry Rainville und all diejenigen verdient, die ihre Erfahrungen mit Hunderten von Patientinnen und Patienten teilen und ihre Ratschläge an sie weitergeben.

Vorwort

„Heilen bedeutet nicht, dass man jemanden vollständig kuriert. Man hilft anderen einfach, ein Leben zu führen, das sich mit ihren individuellen Bestrebungen vereinbaren lässt und ihnen ihre Entscheidungsfreiheit zurückgibt – sogar dann, wenn sie dauerhaft krank sind.“

(René Dubos, Human Nature, 1978)

„Heute wird sicher ein guter Tag, weil ich weiß, wie ich ihn dazu machen kann.“

(Patty, nach ihrer Teilnahme am Schmerzmanagementprogramm)

Mehr als 20 Jahre nach Veröffentlichung der ersten Auflage wissen wir immer noch nicht genau, welche Mechanismen im Zusammenhang mit chronischen Schmerzen stehen, und kennen daher auch keine definitive Behandlung. Ein Grund dafür ist die außerordentliche Komplexität des körperlichen Schmerzsystems, das mit verschiedenen interpretativen, emotionalen und logischen Gehirnarealen zugleich interagiert. „Chronischer Schmerz“ bezeichnet eigentlich nur eine Störung, doch in Wirklichkeit sind es Hunderte, die aber eines gemeinsam haben: eine monate- oder sogar jahrelange kontinuierliche Schmerzbotschaft. Als ich vor 30 Jahren damit begann, Schmerzpatienten zu behandeln, hätte ich mir nicht träumen lassen, dass es im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts immer noch kein Heilmittel gegen chronische Schmerzen geben würde. Schmerz – dieses komplexe System, das uns vor Gefahren und Schäden warnt – ist von so essenzieller und anpassungsfähiger Natur, dass er jeden Aspekt des menschlichen Daseins tangiert. Von daher widersetzt er sich jeglicher Vereinfachung.

Das Zweite, was ich mir zu Beginn meiner Berufslaufbahn im Bereich der Schmerzmedizin nicht vorstellen konnte, war die Möglichkeit, dass ich eines Tages selbst ein Opfer chronischer Schmerzen werden könnte, doch Alter und Veranlagung taten das ihrige. Nach meiner anfänglichen Fassungslosigkeit („Das kann ja wohl nicht wahr sein!“), und der dann einsetzenden Angst („Ist das etwa Krebs?“) und Panik („Ich habe wirklich überhaupt keine Zeit für so etwas!“), konnte ich die Ironie, dass ausgerechnet eine Schmerzspezialistin unter chronischen Schmerzen leidet, mit Humor nehmen. Das Leben ging weiter, aber anders als vorher. So konnte ich die in diesem Buch enthaltenen Lektionen, in die all die Erfahrungen vieler tapferer Menschen eingeflossen sind, auf mich selbst anwenden und von den beschriebenen Fähigkeiten Gebrauch machen. Zum Glück ließ mir meine praktische Einstellung wenig Zeit für Verzweiflung. So kann ich das folgende Programm aus meiner eigenen persönlichen Erfahrung heraus empfehlen, in der Hoffnung, dass auch Sie davon profitieren werden.

Auch wenn es derzeit noch kein Heilmittel gegen die meisten chronischen Schmerzleiden gibt, konnten im Lauf der Jahre seit Erscheinen der ersten Auflage einige Schichten des Rätsels um das Schmerzsystem abgetragen werden. Diese neuen Erkenntnisse geben allen Betroffenen Hoffnung und sind mit eine Erklärung dafür, warum ein vielseitiger Interventionsansatz zum Schmerzmanagement, wie er hier beschrieben wird, effektiv sein kann und es auch künftig sein wird. Denn die Wissenschaft unterstützt die Vorstellung, dass Überzeugungen, Konditionierung und die Art zu denken die Wahrnehmung von Schmerz beeinflussen und Methoden wie Achtsamkeit, kognitive Verhaltenstherapie und imaginative Psychotherapie anormale Nervenbahnen potenziell verändern können (Neuroplastizität).

Diese neuen Beobachtungen sowie das Potenzial wirksamer Behandlungen wurden in die vorliegende Neuauflage aufgenommen und Kapitel 2 und 3 („Was ist Schmerz?“ und „Körper und Psyche“) entsprechend aktualisiert. Ein weiterer, sich rasant weiterentwickelnder wichtiger Forschungsbereich ist die Genetik des Schmerzes. Vielleicht wird die komplexe Genexpression eines Tages erklären, warum jemand veranlagungsbedingt nach einer Verletzung unter chronischen Schmerzen leidet oder warum Menschen unterschiedlich auf Medikamente ansprechen. Für seltene genetische Störungen wie die primäre Erythromelalgie – eine Gefäßerkrankung, gekennzeichnet durch brennenden Schmerz, erhöhte Hauttemperatur und Röte an den Extremitäten – wurden bereits neuartige Therapien entwickelt.

Seit der letzten Auflage dieses Buches sind mehrere Fachartikel erschienen, die die Wirkung diverser Medikamente, darunter auch Opioide und Cannabis, zur Behandlung von chronischen Schmerzen untersuchen. Die Ergebnisse werden in Kapitel 2 vorgestellt, nebst Einzelheiten – soweit vorhanden – zur jeweiligen Evidenzlage. Medikamente wirken zwar sehr unterschiedlich, aber letztlich läuft es immer auf dasselbe hinaus: Kein Mittel eliminiert die Schmerzen vollständig. Diese Tatsache spricht aber für die Anwendung eines Leid mindernden Körper-Geist-und-Seele-Ansatzes im Schmerzmanagement.

In Anbetracht der kontinuierlich starken Evidenz, dass körperliche Bewegung wichtig ist für eine bessere Funktionsfähigkeit und die Gewichtskontrolle, wurde Kapitel 4, „Die Verbindung zwischen Körper, Seele und Geist“ größtenteils unverändert gelassen. Laut Forschung kann eine bestimmte Interpretationsweise der Umwelt den Schmerz, den Grad der Behinderung und die Bewältigung von Problemen negativ beeinflussen, wie Kapitel 5, „Die Macht des Denkens“, und Kapitel 6, „Eine gesunde Einstellung“, zeigen. Einige Studien stützen die Achtsamkeitspraxis (ein mentaler Zustand, in welchem man sich auf den gegenwärtigen Augenblick konzentriert) und die kognitive Verhaltenstherapie zur Behandlung von verschiedenen Erkrankungen und chronischen Schmerzen.

Ergebnisse aus Versuchen über akute Schmerzen deuten auf einen Zusammenhang hin zwischen bestimmten Denkmodi wie dem des „Katastrophisierens“ und der Unfähigkeit zur Unterbindung von Schmerzbotschaften. In diesem Kontext erfahren Sie, wie Sie herausfinden können, ob Sie zum Katastrophendenken tendieren. Sind die chronischen Schmerzen Folge einer Schädigung durch einen anderen Menschen, hilft es, zu vergeben. Auch positive Einstellungen wie Empathie und Mitgefühl für andere wie für sich selbst spielen im Erleben und Miterleben von Schmerz eine Rolle. Erstmals werden hier nun auch die Entstehung der Bewältigungsstile bei chronischen Schmerzen sowie die Vorteile der Anpassung beschrieben.

Kapitel 7, „Schmerz und Ernährung“, handelt davon, wie wichtig es ist, sich ausgewogen zu ernähren, auf das Gewicht zu achten, sich zu mäßigen und besser frisches Obst und Gemüse als industriell verarbeitete Lebensmitteln zu sich zu nehmen. Speziell schmerzbezogene Nahrungsergänzungsmittel oder Sonderdiäten werden allerdings nicht empfohlen, sondern allgemeine Verhaltensweisen nahegelegt, wie etwa sich zurückzuhalten, auf Ausgewogenheit zu achten und sich regelmäßig zu wiegen. Die Gewichtskontrolle kann man mit Formeln zur Errechnung des Body-Mass-Indexes und den richtigen Portionsgrößen besser in den Griff bekommen.

In Kapitel 8, „Effektive Kommunikation“, erfahren Sie, wie Sie die zur Erfüllung Ihrer Bedürfnisse notwendigen Kommunikationsfähigkeiten erlernen können, und in Kapitel 9, „Effektives Problemlösen“, können Sie alles bisher Gelernte noch einmal auffrischen. Kapitel 10, „Das Ende des Anfangs“, versorgt Sie mit einem „Notfallplan“ für unausweichliche Rückfälle und Schmerzschübe.

Damit man dieses Programm noch besser in die Tat umsetzen kann, enthalten die meisten Kapitel dieser Neuauflage sogenannte „Quickskills“: einfache, leicht umsetzbare Übungen mit Instantwirkung.

Anhang A, „Häufige Arten chronischer Schmerzerkrankungen“, wurde aktualisiert und erweitert, besonders aufgrund der revolutionären Erkenntnisse über Fibromyalgie, muskuloskelettalem Schmerz und Neuropathie. Thematisiert werden außerdem Vulvodynie (chronische Entzündung der Vulva) und die neuen Behandlungsformen für das komplexe regionale Schmerzsyndrom (Complex regional pain syndrome, CRPS) Typ I. Anhang B, „Ergänzende alternative Heilmittel“, wurde ebenfalls auf den neusten Stand gebracht. Anhang C bietet Tipps für ein bequemeres Arbeiten am Computer. Anhang D, „Wie Sie Arthroseschmerz mit Arzneimitteln in den Griff bekommen: Was sagt die Forschung?“, enthält Verbraucherinformationen der US-amerikanischen Behörde für Gesundheitsforschung und Qualitätskontrolle und Anhang E, „Elektronische Ressourcen“, Adressen aktueller und zuverlässiger Websites mit Gesundheitsinformationen sowie neue Smartphone-Apps zur Dokumentation von Schmerzzuständen, der allgemeinen Befindlichkeit und der inneren Selbstgespräche. Und schließlich stehen in Anhang F alle in diesem Buch erwähnten Arbeitsblätter, die Sie kopieren oder herunterladen können. Sie stehen auf http://www.junfermann.de in der Mediathek zu diesem Buch bereit und sind an diesem Zeichen maus zu erkennen. Außerdem finden Sie einen Musterbrief an die Mitarbeiter des Gesundheitssystems, der helfen soll, die Zusammenarbeit zwischen Patienten, Ärzten und anderen Zuständigen in der Diagnostik und Therapie chronischer Schmerzen zu verbessern.

Dieses Buch war mit das erste, das Wege aufzeigt, wie Betroffene ihre chronischen Schmerzen in den Griff bekommen können. Es hat sich bewährt und ist deshalb in den USA bereits in der vierten, um die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Thema Schmerzmanagement erweiterten Auflage erschienen. Was das Buch nicht enthält, sind Schnelllösungen und Versprechungen, dass Sie am Ende schmerzfrei sein werden. Wenn Sie jedoch die Empfehlungen berücksichtigen, werden Sie weniger leiden und wieder normal leben können.

In der Überzeugung, dass die Stärkung der engen Verbindungen zwischen Körper, Seele und Geist ein Leben mit Schmerzen zum Besseren wendet, lade ich Sie nun dazu ein, sich dem Griff Ihres Schmerzes zu entziehen und ihn in den Griff zu bekommen!

Bevor Sie beginnen:
Wie dieses Buch Ihnen helfen kann

„Gott sei Dank ist mir endlich klar, dass man um Schmerzen vielleicht nicht herumkommt, dass man sich aber aussuchen kann, ob man darunter leidet …“

(Craig T. Nelson, Schauspieler)

Wir wissen schon eine ganze Menge über chronische Schmerzen und die möglichen Gründe für die Chronizität. Jeden Tag finden wir mehr darüber heraus und trotzdem müssen noch immer viele Menschen damit leben. Wenn Sie chronische Schmerzen haben und Ihnen dämmert, dass sie weder heute noch morgen verschwinden werden, können Sie vielleicht bereits jetzt, während Sie auf die Heilung warten, versuchen, das Beste aus Ihrem Leben zu machen. Wenn Sie die hier vorgestellten Skills anwenden, können sie Ihnen helfen, Ihr Leben zurückzuerlangen.

Dieses Buch basiert auf der jahrelangen Arbeit mit mutigen Schmerzpatienten und wurde sorgsam zusammengestellt. Wenn Sie jetzt mit der Lektüre beginnen, leben Sie wahrscheinlich schon seit einer geraumen Weile mit dem Schmerz. Vielleicht haben Sie eine schmerzhafte unheilbare Krankheit oder kennen die ungeheure Frustration, wenn man den Ärzten zu erklären versucht, dass der Schmerz echt ist und nicht weggeht, auch wenn sich keine Ursache ausmachen lässt. Alle Untersuchungen, so hat man Ihnen vielleicht gesagt, haben nichts erbracht. Es gebe keine medizinische Erklärung für Ihren Dauerschmerz, die Operation sei erfolgreich gewesen, das MRT (Magnetresonanztomographie) sei unverändert oder Ähnliches. Vielleicht hat man Ihnen Gesprächstherapie oder einen Besuch beim Psychiater nahegelegt, damit Sie besser zurechtkommen und Ihre Traurigkeit oder Wut in den Griff bekommen.

Zu Hause warten dann zu allem Überfluss Ihre besorgten Angehörigen auf Sie. Allem besseren Wissen zum Trotz klammern sie sich an die Hoffnung auf eine „Wunderheilung“ und damit ein – wenigstens halbwegs – normales Leben, nur um dann von Ihnen zu hören, dass Ihr Zustand unverändert und alles medizinische Mögliche ausgeschöpft sei. Sind Sie krankgeschrieben und treffen zufällig auf eine Kollegin, müssen Sie ihr erklären, dass Sie nicht im Urlaub sind, und überflüssige Kommentare („Geht es Ihnen denn immer noch nicht besser?“) oder Ratschläge für irgendwelche Hausmittel (Pülverchen, Kupferarmreifen und anderes) höflich tolerieren. Kurz gesagt: Sie fühlen sich von allen verlassen, völlig auf sich allein gestellt und sind beunruhigt.

Dieses Buch ist das Richtige für Sie, wenn Sie sagen: „Ich habe chronische Schmerzen, sie sind wirklich da und ich brauche Hilfe.“ Warten Sie nicht, bis Sie das Ende der Fahnenstange erreicht haben. Wenn Sie schon in ärztlicher Behandlung sind, werden Sie mithilfe der hier beschriebenen Skills mehr davon profitieren. Um den Schmerz mögen Sie nicht herumkommen – Sie haben aber die Wahl, ob sie leiden oder nicht. Und Sie sind definitiv nicht allein.

Dieses Buch passt auch für Sie, wenn Sie mit einem Schmerzpatienten oder einer Schmerzpatientin befreundet, verheiratet oder verwandt sind. Sie können es dieser Person schenken oder deren Erfahrungen durch die Lektüre besser verstehen.

Und schließlich eignet sich dieses Buch für Sie, wenn Sie beruflich mit Schmerz zu tun haben und eine verlässliche Informationsquelle für sich selbst und ihre Patienten brauchen. Der Brief an die Mitarbeiter des Gesundheitssystems (Anhang F) kann für Sie ein Leitfaden dafür sein, wie Sie dieses Buch in Ihrer Arbeit mit Schmerzpatienten einsetzen.

Lesen Sie jetzt die folgende Geschichte. Kommt sie Ihnen bekannt vor?

 Eine ganz alltägliche Geschichte

Lustlos und skeptisch betrat Pat das Sprechzimmer ihrer neuen Fachärztin. Wieder einmal musste sie jemand Fremdem ihre Schmerzen schildern, erzählen, wie es war, morgens damit aufzuwachen und abends damit schlafen zu gehen.

Niemand schien je ihren Erklärungsversuchen zuzuhören. Die Bewältigung des Alltags kostete sie immer mehr Kraft. „Mama, was ist denn bloß los mit dir? Warum kriegen die dich nicht wieder fit?“, fragten ihre Kinder verwundert. Zwei Nächte zuvor hatte ihr Mann sie wütend angefahren: „Kannst du deine Schmerzen nicht einfach ignorieren?“ Sicher fühlte er sich machtlos und war frustriert. Nach dem letzten Arzttermin hatte sie auf dem Heimweg geweint. „Sie haben chronische Schmerzen und müssen lernen, damit zu leben. Ich kann nichts mehr für Sie tun“, hatte ihr Hausarzt gesagt und sie an eine erfolgreiche Fachärztin für chronische Schmerzen verwiesen. Das behagte ihr gar nicht. Schließlich hatte sie bereits sechs verschiedene Ärzte konsultiert, Tausende Dollar ausgegeben, die Nebenwirkungen von Medikamenten ertragen und eine ergebnislose Operation hinter sich gebracht – und die Schmerzen waren immer noch da. Aber welche Alternative hatte sie?

Also saß sie nun hier und wartete darauf, dass ihr wieder einmal jemand schlechte Nachrichten überbrachte. Doch die Schmerztherapeutin stellte vor allem eine Menge Fragen, wie Pat sie noch nie gehört hatte: Wie nahm sie die Schmerzen wahr? Hatte sie jemals festgestellt, dass sie bei bestimmten Aktivitäten schlimmer wurden, besonders aber dann, wenn sie den ersten Anfall ignorierte, der sie davor warnte, weiterzumachen? Kamen die Schmerzschübe, wenn sie Angst hatte oder sich über ihre Familie oder finanzielle Dinge aufregte? Regte sie sich leichter auf als früher? Weinte sie schneller? Litt sie unter Symptomen, die nichts mit dem Schmerz zu tun hatten, wie Atemnot, Herzklopfen, Müdigkeit oder Schlafstörungen? All diese Fragen beantwortete Pat mit Ja.

Diese Ärztin nahm ihre Schmerzen ernst und hielt sie keineswegs für „bloße Einbildung“. Sie erklärte, dass Pat nicht allein sei: Millionen von Menschen quälten sich mit chronischen Schmerzen. Und noch immer kannte die Wissenschaft kein Heilmittel dagegen. Viele der Symptome seien jedoch handhabbar, rührten sie doch daher, dass Pat ihre eigenen Grenzen überschritt. Wenn sie sich anders verhielte und Wege fände, wie sie mit dem Schmerz leben könnte, wäre sie weniger pessimistisch und deprimiert und hätte andererseits wieder mehr Macht über sich selbst. Mithilfe bestimmter Übungen, mehr Rücksicht auf ihre Beschwerden und den entsprechenden Anpassungen im Alltag könnte sie mehr unternehmen und sich sogar produktiver fühlen. Dann schlug die Ärztin ihr ein Programm vor, mit dem es Pat gelingen würde, sich aus der Gefangenschaft der Schmerzen zu befreien und sich besser zu schützen.

Pat blieb zunächst skeptisch. Da sie aber einen Punkt erreicht hatte, an dem sie nichts mehr verlieren, sondern nur gewinnen konnte, wollte sie es wenigstens einmal ausprobieren.

Das Programm hat Pat geholfen. Und es kann auch Ihnen helfen. Wie, das erfahren Sie in diesem Buch.

Wie effektiv ist das Programm?

Sind Sie so skeptisch wie Pat?

In meinem ersten, gemeinsam mit meinen Kolleginnen verfassten Artikel über das Programm, der 1991 in der Fachzeitschrift The Clinical Journal of Pain (7, S. 305–310) erschien, konnte ich nachweisen, dass es die Lebensqualität von Menschen mit chronischen Schmerzen effektiv verbessert. Vor ihrer Teilnahme an dem Schmerzmanagementkurs waren die Patienten und Patientinnen im Durchschnitt zwölfmal im Jahr zum Arzt gegangen. Danach verringerten sich die Arztbesuche (auf maximal sieben jährlich) und blieben noch zwei Jahre nach Ende des Programms auf niedrigem Stand. Außerdem waren die Depressionen und Angstzustände seltener und die Schmerzen schwächer und sie wirkten sich auch weniger störend auf Aktivitäten aus. Gleichzeitig fühlten sich die Probanden selbstbestimmter und konnten generell mehr unternehmen. Inzwischen zeigen weitere Untersuchungen ähnlicher Programme, dass die Konzentration auf Stress, Sport, das Funktionsniveau, die Zielsetzung und den Denkstil sich positiv auf die Alltagsbewältigung, die Stimmung und das Wohlbefinden auswirken.

Wir sind überzeugt davon, dass unser Programm Menschen befähigt, besser mit Schmerzen und mit dem Leben zurechtzukommen. Der Begriff für das Vertrauen in die eigene Fähigkeit heißt „Selbstwirksamkeit“. Laut der Forschungsergebnisse, die wir 1999 in der Zeitschrift Pain (81, S. 483–491) veröffentlichten, hat Selbstwirksamkeit Einfluss auf den durch die Schmerzen verursachten Grad der Depression und Behinderung. Andere Studien haben bestätigt: Wer übt, um sich die im vorliegenden Buch beschriebenen Fähigkeiten anzueignen, gewinnt die Oberhand über die Schmerzen.

Was können Sie erwarten?

Das Programm bewirkt weder eine „Wunderheilung“ noch enthält es „10 leichte Schritte in die Schmerzfreiheit“. Es verspricht auch nicht, dass Ihr Leben exakt wie früher sein wird. Trotzdem brauchen Sie Ihren Schmerz nicht bloß passiv zu ertragen. Wenn Sie die Fertigkeiten erlernen und anwenden, können Sie davon ausgehen, dass Sie wieder aktiver und engagierter leben werden, und zwar so, dass sich dadurch Ihr Schmerz verringert und Sie weniger Stress mit ihm haben. Indem Sie sich an Ihrer Schmerzbehandlung beteiligen, beteiligen Sie sich auch zunehmend an der Lösung des Problems.

Worum geht’s?

Mithilfe dieses Schmerzmanagementprogramms werden Sie besser verstehen, was chronischer Schmerz ist und warum man Ihnen vielleicht früher bestimmte Therapien verschrieben hat. Sie werden dazu aufgefordert, mehr über Ihren Schmerz herauszufinden, indem Sie ihm auf seinem Weg durch den Alltag folgen. Nutzen Sie dazu das Schmerztagebuch (Anhang F) oder eine der in Anhang E empfohlenen Apps und halten Sie fest, wie das, was Sie jeweils tun, Ihren Schmerz beeinflusst. Später können Sie dann notieren, wie Verhaltensänderungen Ihren Schmerz beeinflussen. Auf diese Art und Weise beginnen Sie, das Schmerzknäuel, in das Sie sich verheddert haben, zu entwirren. Wie wollen Sie jeden Tag leben? Darüber werden Sie häufiger nachdenken, denn altbewährte Gewohnheiten werden jetzt, da Sie mit Schmerzen zu kämpfen haben, nicht mehr so gut für Sie funktionieren.

Es werden viele Arten der Stressminderung vorgestellt: Atem- und Körperbewusstseinsschulung, Dehnübungen und Methoden zur Reduzierung der mit Stress einhergehenden physischen und psychischen Erregung, wie zum Beispiel die Achtsamkeitspraxis und Techniken zur Herbeiführung der sogenannten „Entspannungsreaktion“. Außerdem wird Ihnen das Buch zeigen, wie Sie durch weniger Schmerz aktiver werden, weil Sie lernen, Ihren Alltag besser zu strukturieren und zu planen. Sie werden ausprobieren, wie Sie sich trotz Ihrer Schmerzen bewegen und mithilfe der Atmung Verspannungen lösen können. Wie Sie die Ernährung zu Ihrem Vorteil nutzen können, wird ebenfalls erörtert.

Des Weiteren vermittelt dieses Buch Fertigkeiten zur Bewältigung von Traurigkeit, Angst und Wut. Beispielsweise lernen Sie, wie Sie Ihre Bedürfnisse klar und effektiv kommunizieren können, auch gegenüber Ärzten und anderen Vertretern des Gesundheitswesens. Und schließlich können Sie Techniken erlernen, um Probleme zu lösen und trotz des Schmerzes Ihr Leben neu anzugehen. Und wenn Sie die Fäden Ihres alten Schmerzknäuels entwirrt haben, können Sie daraus ein Sicherheitsnetz weben!

Dieses Programm soll Sie dazu ermächtigen, in Ihrem eigenen Interesse zu handeln. Und eigentlich haben Sie ja schon eine bewusste Entscheidung getroffen, nämlich dass Sie bis hierher gelesen haben. Sie könnten dieses Buch natürlich auch jederzeit weglegen und den Prozess unterbrechen, doch wird Ihnen die Entscheidung, weiterzumachen, viele Türen öffnen. Wollen Sie an der Stelle bleiben, wo Sie jetzt sind, und sich gefangen und missverstanden fühlen oder wollen Sie allmählich erkennen und verstehen, wie Sie Ihren Schmerz verändern können? Wollen Sie weiterhin das Gefühl haben, dass Sie Ihrem Schmerz auf Gedeih und Verderb ausgesetzt sind, oder wollen Sie mit Hoffnung leben? Sie haben mehrere Optionen und können selbst entscheiden.

Wie Sie mit diesem Buch arbeiten können

Mit diesem Programm haben schon viele Menschen gearbeitet, denen es genau wie Ihnen erging. Auch sie unternahmen den ersten Schritt in Richtung Schmerzmanagement, indem Sie zu diesem Buch griffen. Egal ob Sie es allein lesen oder in einer Gruppe Gleichgesinnter – seien Sie versichert, dass das, was Sie durchmachen, für viele gilt. Wenn Sie die vielen Geschichten anderer Patienten lesen, werden Sie sich weniger einsam fühlen.

Die meisten Menschen machen die Erfahrung, dass ein Kapitel pro Woche am besten für sie ist. Finden Sie Ihren eigenen Rhythmus. Lassen Sie sich genügend Zeit, um alle Fragen zu beantworten, und machen Sie auch die Selbsterkundungsübungen (siehe unten). Im Laufe der Lektüre erlernen Sie immer mehr Fertigkeiten und Techniken. Oft benötigen Sie für die Aufgaben keine Extratermine. Es reicht, wenn Sie einfach darauf achten, wie Sie tun, was Sie ohnehin schon tun. Manche Skills und Techniken, z. B. in den Kapiteln über Gedanken, Emotionen, Einstellungen und Kommunikation, nehmen eventuell etwas mehr Zeit in Anspruch.

Sie brauchen jedenfalls nicht alle zehn Kapitel innerhalb von zehn Wochen durchzuarbeiten. Studien zu sogenannten „Selbstveränderern“, z. B. Menschen, die sich das Rauchen abgewöhnen, legen nahe, dass es mindestens zehn Wochen dauert, bis sich eine Verhaltensweise ändert. Will man die Veränderungen beibehalten, darf man sechs Monate lang nicht nachlassen. Laut Forschung sind echte Veränderungen – und somit auch echter Nutzen – nur möglich, wenn Geschriebenes in die Tat umgesetzt wird. Sollten Sie daran zweifeln, dass die Arbeit mit diesem Buch Ihnen einen Nutzen bringt, dann lesen Sie es am besten erst einmal. Sind Sie jedoch bereit für eine Veränderung Ihres Befindens und wollen Sie Ihr Leben mit dem Schmerz verbessern, dann kommen Sie nicht umhin, die Übungen wirklich auszuführen.

Das Besondere an diesem Buch

Einige Bestandteile dieses Buches sollen Ihnen die Arbeit erleichtern: Kapitelzusammenfassungen, Selbsterkundungsaufgaben, schnell wirkende Quickskills, Lesetipps, Anhänge, kopierbare Arbeitsblätter und andere Materialien.

Am Ende jedes Kapitels finden Sie eine Zusammenfassung der wichtigsten Punkte. Es empfiehlt sich, sie nach der Lektüre des Kapitels durchzugehen, um noch einmal bestimmte Dinge oder Aspekte herauszugreifen, die Sie vielleicht vergessen oder übersehen haben. Sie können Sie aber durchaus auch zuerst lesen, sozusagen als eine Art Vorschau auf das, was Sie erwartet.

Die meisten Kapitel enthalten Selbsterkundungsaufgaben. Machen Sie mindestens eine davon, bevor Sie zum nächsten Kapitel übergehen. Diese Aufgaben sind zur Verstärkung des Gelernten gedacht und sollen Sie dazu bringen, dass Sie die jeweiligen Fertigkeiten auf Ihre eigene Situation übertragen und sie in die Praxis umsetzen. Und hier beginnt der eigentliche Lernprozess. Wenn Sie pro Woche ein Kapitel durcharbeiten, wird Ihnen bei den Selbsterkundungsaufgaben klar, welche Skills Sie am besten wann einsetzen. In den Kapiteln 1–9 finden Sie außerdem die Quickskills – ganz simple Aufgaben, mit denen Sie ganz schnell etwas bewirken können, besonders wenn Sie überfordert sind, nicht in die Gänge kommen oder zwischenzeitlich eine Durststrecke droht.

Im Anhang finden Sie weitere hilfreiche Ressourcen. Anhang A, „Häufige chronische Schmerzerkrankungen“, enthält eine Übersicht über die verschiedenen chronischen Schmerzsyndrome, etwa für Selbsthilfegruppen oder eventuell auch zur Empfehlung für die Weiterbehandlungen. In Anhang B „Ergänzende alternative Heilmittel“ werden weitere Therapiemöglichkeiten zur Schmerzbehandlung vorgestellt. Anhang C, „Bequemes Arbeiten am Computer“, stammt von einer ehemaligen Patientin, die Menschen, die viel am Computer sitzen, wertvolle Tipps zur Vermeidung von Verletzungen und zur Vorbeugung von Rückfällen geben wollte. Anhang D, „Studien zum medikamentösen Management von Arthroseschmerzen bei Erwachsenen: eine Übersicht“, ist der Verbraucherleitfaden der US-amerikanischen Behörde für Gesundheitsforschung und Qualitätskontrolle. Anhang E enthält eine kommentierte Liste mit Internetseiten zu Gesundheits- und Schmerz-Themen sowie Empfehlungen für Softwareapplikationen zur Dokumentation von Schmerzzuständen, der allgemeinen Befindlichkeit und der inneren Selbstgespräche.

Anhang F besteht aus Arbeitsblättern und anderen Materialien, die Sie kopieren und auf http://www.junfermann.de downloaden können: ein Schmerztagebuch (die Anwendung wird in Kapitel 1 erklärt), eine Medikamentenliste (siehe Kapitel 2), ein Entspannungstagebuch (siehe Kapitel 3), ein Arbeitsblatt zur Steigerung der Aktivität (siehe Kapitel 4), ein Arbeitsblatt zur Protokollierung der inneren Selbstgespräche, Emotionen und anderen Reaktionen auf belastende Erlebnisse (siehe Kapitel 5), ein Ernährungstagebuch (siehe Kapitel 7) sowie ein Blatt für wöchentliches Feedback, mit dem Sie Ihren Behandler oder Ihre Behandlerin über Ihre Schmerzzustände auf dem Laufenden halten können (siehe Kapitel 8).

Des Weiteren finden Sie (1) ein „Bitte-nicht-stören“-Schild, das Sie kopieren und an Ihre Tür hängen können, damit Sie die nötige Ruhe für Ihre Achtsamkeits- und Entspannungsübungen haben, und (2) einen Brief an Mitarbeiter des Gesundheitssystems. Kopieren Sie diesen Brief und nehmen Sie ihn mit zu Ihrem nächsten Termin oder nutzen Sie die dort aufgeführten Punkte als Anregung, sich Hilfe zu holen.

Eine letzte Bemerkung

Die Lösungen und praktischen Methoden in diesem Buch sind für echte Menschen gedacht, die in einer echten Welt leben. So basieren die Empfehlungen auf jahrelanger Arbeit mit Schmerzpatienten, mit denen Sie einiges gemeinsam haben. Lesen Sie bitte auch die Berichte, die Ihnen unangenehm sind oder die Sie aufregen. Da Sie Ihre Schmerzen und die damit einhergehenden Veränderungen ja nicht gewählt haben, ist die Möglichkeit, dass man mit Schmerzen leben oder nach der Lektüre dieses Buches nicht unbedingt schmerzfrei sein wird, wahrscheinlich das Letzte, was Sie hören wollen. Ich gebe keine meiner Empfehlungen für den Umgang mit Schmerz leichtfertig ab. Ich habe gleichwohl gesehen, dass Menschen, wenn sie unterstützt werden, auf ganz bemerkenswerte Weise mit ihrem Schmerz leben und sich über ihn erheben können. Sie können kreativ sein, die Freuden des Lebens genießen und sogar Träume verwirklichen, wenn sie das, was sie in diesem Buch lesen, auf ihre Schmerzprobleme anwenden.

Herzlich willkommen! Möge dieses Programm für Sie ein Neuanfang sein!

1. Wie Sie dem Schmerz das Heft aus der Hand nehmen

Vielleicht zweifeln Sie noch immer, ob Sie mit Ihren chronischen Schmerzen jemals wieder Freude am Leben haben werden. Lassen Sie uns herausfinden, wie Sie Ihre Lebensqualität trotzdem verbessern können. Drei Faktoren sind wichtig:

  1. Verantwortung für den Schmerz übernehmen (was nicht heißt, sich die Schuld dafür zu geben),
  2. die vom Schmerz verursachten Probleme genau benennen und
  3. sich im Lichte dieser Informationen Ziele setzen.

In diesem Kapitel erhalten Sie Ihr erstes Werkzeugset, mit dem Sie Ihrem Schmerz das Heft aus der Hand nehmen und ihn unter Kontrolle bekommen: Tagebuch schreiben und Ziele setzen. Schauen Sie sich zunächst einmal den ersten der drei wichtigen Faktoren an: Verantwortung für den Schmerz übernehmen.

1.1 Akzeptieren Sie, dass die Schmerzen zu Ihnen gehören

Der wichtige erste Schritt besteht darin, das Problem zu definieren. Ihr Problem ist: Sie haben Schmerzen und diese hören nicht auf. Bevor Sie etwas gegen die Schmerzen unternehmen, müssen Sie zunächst einmal anerkennen, dass es sie gibt.

Vielleicht tendieren Sie an diesem Punkt dazu, anderen die Schuld an Ihrem Schmerz zu geben. Vielleicht haben Sie das Gefühl, dass Ihre Ärzte versagt haben, weil sie die Ursache nicht finden und Sie nicht heilen konnten oder weil sie noch nicht einmal etwas dafür tun, damit es Ihnen besser geht. Vielleicht glauben Sie, dass Ihre Angehörigen Sie nicht unterstützen, Sie nicht verstehen oder sich nicht in Ihr Problem einfühlen können. Vielleicht glauben Sie, dass es an der Gesellschaft liegt, und beklagen sich darüber, dass sie es Ihnen nicht leichter macht, Hilfe zu finden.

Es ist ganz normal und nur zu verständlich, dass Sie traurig, wütend oder besorgt sind, weil die Schmerzen Ihr ganzes Leben aus dem Takt bringen. Unter diesen Umständen kommt man leicht in Versuchung, andere nicht nur für die Schmerzen, sondern auch für die Befreiung davon verantwortlich zu machen. So legen viele Betroffene ihr Leben auf Eis und warten darauf, dass andere – Ärzte, Familienangehörige, die Gesellschaft – es in die Hand nehmen. Doch wenn man nicht nur die Schmerzen, sondern auch die Verantwortung für deren Bewältigung loswerden möchte, fühlt man sich weiterhin machtlos und hat dann erst recht ein Problem. Es liegt in der Natur chronischer Schmerzen, dass sie nicht aufhören. Wenn Sie nun die Verantwortung für das Leben damit übernehmen, können Sie selbstbestimmter handeln. Mit dieser Einstellung, dass das Schmerzproblem bei Ihnen selbst liegt, werden Sie langsam, aber sicher die Oberhand gewinnen. Das Gesundheitssystem, Ihre Familie und die Gesellschaft können Ihnen wohl helfen, doch letztlich ist die Befreiung aus dem Schmerzknäuel Ihre eigene Aufgabe.

Womöglich denken Sie jetzt: „Na toll. Ich soll für meinen Schmerz die Verantwortung übernehmen? Bin ich also schuld daran? Alle sagen das – offen oder andeutungsweise. Mir geht es doch schon schlecht genug und nun habe ich auch noch Schuldgefühle.“ Seien Sie versichert: Selbstvorwürfe und Schuldgefühle sind nicht meine Intention. Sie lähmen einen nur. Man fühlt sich damit so schlecht und wertlos, dass alles sinnlos erscheint. Die Verantwortung für den Schmerz anzunehmen bedeutet im Gegenteil, dass man die Wahl hat und ein wertvoller Mensch ist. Dann ist es sinnvoll, etwas zu tun. Das ist etwas ganz anderes, als sich selbst die Schuld zu geben.

Chronische Schmerzen sind komplex, haben viele Ursachen und werden ganz unterschiedlich behandelt. Und oft völlig falsch eingeschätzt.

Mit Einsetzen der Schmerzen hat sich Ihr Leben verändert und an einigen Auswirkungen können Sie etwas ändern. Wie? Sie können lernen, mit den Schmerzfolgen zu arbeiten, sodass sie Sie weniger belasten: eine schwierige, aber nicht unmögliche Aufgabe. Dieses Buch wird Ihnen mit lehrreichen Informationen auf die Sprünge helfen.

1.2 Benennen Sie Ihre Probleme genau

„Ordnung und Sichtung sind der Anfang der Beherrschung, und der eigentlich furchtbare Feind ist der unbekannte.“

(Thomas Mann, Der Zauberberg [1924])

1.2.1 Warum es wichtig ist, den Schweregrad Ihrer Schmerzen zu erfassen

Durch den Erfassungsprozess werden Sie Ihre Schmerzen besser verstehen und wissen, wodurch sie zu- oder abnehmen: durch bestimmte Aktivitäten, das Wetter, Nervosität oder Schlafmangel. Halten Sie den Schweregrad Ihrer Schmerzen dreimal täglich fest, und zwar immer um die dieselbe für Sie jeweils am besten passende Uhrzeit, beispielsweise nach dem Aufwachen, nach dem Mittagessen und dann noch einmal vor dem Schlafengehen. Bleiben Sie konsequent dabei. Denn wenn Sie es nur dann tun, sobald Sie auf den Schmerz aufmerksam werden, merken Sie nicht unbedingt, wann er stärker oder schwächer wird. Doch wenn Sie Ihre Schmerzempfindung regelmäßig festhalten, werden Sie bestimmte Muster erkennen. Und wenn Sie sich diese bewusst machen, wissen Sie, was den Schmerz lindert und was ihn verstärkt, was gut- und was wehtut.

Viele Menschen wehren sich zunächst gegen die Vorstellung, Ihren Schmerz zu erfassen, und vielleicht gehören Sie ja dazu. Reicht es denn nicht, dass Sie sowieso schon Schmerzen haben? Jetzt sollen Sie sich auch noch damit herumquälen und all das aufschreiben – und zwar gleich dreimal am Tag? „Wozu soll ich das denn machen? Das ist doch unfair!“ Falls Sie dies denken, lesen Sie einmal folgende Geschichte.

Paula wurde wütend bei dem Gedanken, ihre Schmerzen zu erfassen. Dass sie Rückenschmerzen hatte, wusste sie ja bereits. Warum sollte sie dann Tag für Tag darüber schreiben und zwar gleich dreimal täglich?

Als sie damit begann, fühlte sie sich gerade sehr elend, was ihr durch das Aufschreiben erst recht bewusst wurde. Allmählich merkte sie, wie sehr sie die Rückenschmerzen leugnete und wie sie das davon abhielt, produktive oder angenehme Dinge zu tun. Sie hatte nicht nur ihre Arbeit aufgegeben, sondern kümmerte sich kaum noch um den Haushalt. Bestimmt war ihre Wohnung nicht mehr so sauber wie früher. Schlimmer – sie war ihrem Mann gegenüber gereizt und schrie ihre Kinder an. Ihre Freudinnen und Freunde sah sie selten, hatte wenig Lust auf irgendwelche Unternehmungen. So hatte sie eigentlich nicht leben wollen.

Langsam wurde ihr bewusst, dass sie sich selbst durch den Tagesablauf zwang und abends wie tot zusammensackte. Schon beim Aufwachen hatte sie Rückenschmerzen, die im Laufe des Tages zunahmen. Woher kam das? Etwa durch den ständigen Kreislauf aus „Zwang, Zusammenbruch und Burnout“? Trug dies mit dazu bei, dass sie sich machtlos fühlte? Würde es helfen, ihre Aktivitäten zu strukturieren und mit ihren Kräften besser hauszuhalten?

Nach und nach fand Paula Antworten auf diese Fragen. Sie verstand, dass sie durch die Schmerzerfassung mehr herausfand über den Zusammenhang zwischen den Schmerzen, den Dingen, die sie tat, und die Art, wie sie sie tat. Sie konnte die Methoden, die sie beim Schmerzmanagement erlernte, in ihren Alltag einbauen, sodass die Schmerzen schließlich weniger wurden und sich besser bewältigen ließen.

Falls Ihnen die Schmerzerfassung nicht lästig erscheint – umso besser! Falls aber doch, überlegen Sie einmal Folgendes: Sie geben immer Ihr Bestes und kriegen Ihre Schmerzen dennoch nicht unter Kontrolle. Vielleicht werden Sie mithilfe der Schmerzerfassung feststellen, wo es hakt und welcher Weg aus der Sackgasse herausführt. Sie können sich nicht darauf verlassen, dass Sie sich über längere Zeit exakt an all die Situationen erinnern, in denen Sie Schmerzen hatten und wie sie sich anfühlen. Also geben Sie sich einen Ruck und probieren Sie die Schmerzerfassung wenigstens einmal aus – vielleicht bringt sie ja doch etwas. Denken Sie daran: Was man kennt, kann man beherrschen.

1.2.2 Ein Schmerztagebuch führen

Mit einem Tagebuch können Sie Ihre Schmerzen optimal überwachen. In Anhang F finden Sie eine Kopiervorlage sowie ein Beispiel für ein ausgefülltes Formular.

Halten Sie in dem Tagebuch die körperlichen Schmerzempfindungen und alle damit verbundenen unangenehmen emotionalen Reaktionen fest. Das körperliche Schmerzgefühl wird mit Begriffen wie reißend, stechend, brennend, klopfend oder ziehend beschrieben, während die gefühlsmäßige Reaktion sich auf das Leid bezieht, also ob man beispielsweise frustriert, wütend, verärgert oder traurig ist. Unangenehme Emotionen wie diese werden häufig von Gedanken begleitet wie „Das [der Schmerz] hört ja nie auf“, „Wie ungerecht!“, „Ich bin zu nichts mehr nutze“, „Mein Leben ist wertlos“. Derartige Gedanken haben zur Folge, dass man sich noch schlechter fühlt und die Schmerzen sich verschlimmern.

Ganz wichtig: Die Frage, wie Sie sich „fühlen“, kann sich sowohl auf körperliche Empfindungen als auch auf emotionale Reaktionen beziehen. Diese Doppelbedeutung ist u. U. verwirrend, wenn Sie die Schmerzerfahrung für sich selbst beschreiben und dies dann nach außen kommunizieren wollen. So hatten die Patienten meiner allerersten Schmerzgruppe in der Abschlusssitzung darüber gesprochen, wie gut sie sich fühlten, obwohl ihr „Schmerzlevel“ nur etwas niedriger war als bei der Messung zehn Wochen zuvor. Ich war erstaunt, verstand es nicht und fragte nach. Sie erklärten es mir: „Wir haben immer noch Schmerzen [die körperliche Empfindung], fühlen uns aber dabei viel besser [die emotionale Reaktion], weniger hilflos. Außerdem wissen wir, was wir tun können, wenn der Schmerz zunimmt. Wir haben die Kontrolle, nicht der Schmerz!“ Seitdem bitte ich meine Patienten, differenzierte Angaben zu machen.

Mediziner, die den Bedeutungsunterschied ignorieren, arbeiten nur mit einer Schmerzskala. Wenn Sie also gefragt werden: „Wie fühlen Sie sich?“, sollten Sie klarstellen, worauf sich Ihre Antwort bezieht, damit Sie die richtige Medizin oder Anwendung verschrieben bekommen, und zwar in der richtigen Dosierung, zur richtigen Zeit und passend auf Ihr jeweiliges Symptom.

Tatsächlich kann man bei chronischen Schmerzen viel mehr gegen die emotionalen Reaktionen tun als gegen die körperlichen Empfindungen. Jedenfalls kamen unsere Patienten und Patientinnen auf diese Weise besser mit ihren Schmerzen zurecht, und wahrscheinlich wird es Ihnen genauso ergehen. Nehmen Sie als Erstes Kontakt zu Ihrer Schmerzempfindung auf, sowohl auf der physischen als auch auf der psychischen Ebene. Sie werden feststellen, dass Sie den Schmerz mal mehr emotional, mal mehr körperlich wahrnehmen. Machen Sie sich den Unterschied zwischen beiden Ebenen bewusst. Dies braucht eine Weile, doch die Mühe lohnt sich! Die folgenden Kapitel enthalten Übungen, die Ihnen bei der Unterscheidung helfen.

Füllen Sie das Formular für das Schmerztagebuch mindestens drei Monate lang aus und hören Sie erst damit auf, wenn die Schmerzen immer auf etwa demselben Level sind, es Ihnen besser geht und Sie mehr Kontrolle über Ihre Reaktionen haben. Sie können jederzeit erneut damit anfangen, wenn sich Ihr Zustand wieder verschlimmert, ein neues Symptom auftaucht oder wenn Sie ein neues Medikament bekommen und beobachten wollen, wie Sie darauf ansprechen. Es folgt eine detaillierte Anleitung für das Tagebuchschreiben.

Anleitung

  1. Tragen Sie den Schweregrad Ihrer Schmerzen dreimal täglich in regelmäßigen Abständen – z. B. morgens, mittags und zur Schlafenszeit – in das Formular in Anhang F ein oder nutzen Sie eine Smartphone-App (siehe Anhang E, „Elektronische Ressourcen“).
  2. Notieren Sie immer als Erstes Datum und Zeit.
  3. Beschreiben Sie unter „Situation“, was Sie in den vier bis sechs Stunden zuvor getan haben. Haben Sie zum Beispiel ferngesehen oder waren Sie einkaufen? Haben Sie am Computer gesessen oder die Wohnung geputzt?
  4. Bewerten Sie anhand von Tabelle 1.1 die Intensität Ihrer Körperempfindung (und deren Wirkung auf Ihre Aktivitäten) und beschreiben Sie sie mit einem Wort (z. B. brennend, scharf, dumpf). Bewerten Sie dann Ihre emotionale Reaktion ebenfalls anhand der Tabelle und beschreiben Sie sie mit einem Wort (z. B. wütend, frustriert, traurig).

    Im Lauf des Lernprozesses werden Sie immer öfter feststellen, dass die beiden Werte nicht unbedingt parallel verlaufen. So kann sich die physische Schmerzempfindung auf hohem Level befinden, ohne dass man emotional darunter leidet. Geben Sie Ihre Bewertung auf einer Skala von 0 bis 10 wie folgt ab:

    Wert

    Körperempfindung

    Emotionale Reaktion / negative Gefühle

    0

    Keine Schmerzempfindung; keine Veränderung der Aktivitäten

    Keine

    1–4

    Niedrige Intensität der Körperempfindung; minimaler Einfluss auf die Aktivitäten

    Minimale / schwache negative Emotionen (frustriert, enttäuscht)

    5–6

    Mittlere Intensität der Körperempfindung, verbunden mit erhöhter körperlicher Anspannung

    Stärkere Einschränkung der Aktivitäten; mittelstarke negative Emotionen (nervös, traurig, gereizt)

    7–8

    Deutliche Schmerzempfindung, verbunden mit Bewegungsschwierigkeiten; weniger Aktivitäten

    Deutliche negative Emotionen, die Aktivitäten erschweren (Angst, Wut, Depression)

    9–10

    Starke Schmerzempfindung, verbunden mit Bewegungsunfähigkeit; nur minimale Aktivitäten möglich; bettlägrig

    Schwere Depression, Angstzustände oder Verzweiflung, verbunden mit deutlichen Denkstörungen

    Tabelle 1.1: Skalierung der Schmerzen

    Manchmal braucht es mehrere Wochen, bis klar wird, was die Werte bedeuten. Das ist ganz normal. Schmerz ist etwas Persönliches, Individuelles, und was Sie bewerten, ist immer nur Ihre eigene Wahrnehmung dieser Erfahrung. (Wenn Sie dabei Schwierigkeiten haben, schauen Sie sich die Übung „Schmerzrating“ an unter „Hören Sie auf Ihren Körper“ in Abschnitt 4.3).

  5. Notieren Sie alles, was Sie zur Linderung Ihrer Schmerzen ein- oder unternehmen. Schreiben Sie zum Beispiel auf, wenn Sie sich in einem heißen Bad entspannen, spazieren gehen, Gymnastik machen oder zwei Ibuprofentabletten schlucken.
  6. Addieren Sie abends die drei Ratings, jeweils für die Körperempfindungen und die emotionalen Reaktionen, und teilen Sie beide Resultate durch drei, um jeweils den Durchschnittswert zu bekommen. Wenn Sie es gern anschaulich haben, können Sie die verschiedenen Tageszeitwerte sowie die Tagesdurchschnittswerte in ein Diagramm übertragen und so die Muster erkennen, die sich im Laufe der Wochen und Monate Ihres Selbstmanagementprogramms bilden.

Das Schmerztagebuch dient der Selbsterkundung und kann bei Bedarf abgewandelt werden. Sie könnten die Schmerzen beispielsweise in zwei verschiedenen Körperregionen erfassen oder die emotionalen Reaktionen auf weitere Ereignisse in Ihrem Leben ausdehnen. Außerdem ist das Schmerztagebuch eine wichtige Informationsquelle für Ihre Ärzte, vor allem im Hinblick darauf, wie Sie auf die Behandlung ansprechen, oder bei wiederkehrenden Symptomen.

1.2.3 Schwankungen in der Schmerzwahrnehmung