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C.P.T. LONDON

Mysteriöse Kriminalfälle

Band 1

 

Mörderisches
Berlin

 

von

EREC VON ASTOLAT

C. P. T. LONDON

Mysteriöse Kriminalfälle

Herausgeber: ROMANTRUHE-Buchversand.

Cover: shutterstock.

Satz und Konvertierung:

ROMANTRUHE-BUCHVERSAND.

© 2018 Romantruhe.

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Die Personen und Begebenheiten der

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Produced in Germany.

Die vier Triebwerke dröhnten auf. Die Boeing erbebte in den Bremsen.

»Delta Echo Charly Uniform Uniform – ready for take off!«

Meine beiden Füße standen fest auf den Bremspedalen. Meine Chefin Sheila Cargador wunderte sich immer wieder, wie ich das mit meinen Stilettos hinbekam. Aber ich liebe eben High Heels und jage damit noch jeden bösen Buben bis zur Aufgabe. Im Gegensatz zu Sheila, die immer überall barfuß auftaucht. Daher nennt man sie auch die Barfüßige Lady.

»Hi Olivia«, kam es aus dem Kopfhörer. Es war John Helms. Er hatte Dienst auf dem Tower des Air-Force-Stützpunktes, auf dem unsere fliegende Einsatzzentrale stationiert war.

Eine Boeing 740/4 – ein Flugzeug, das offiziell nicht existiert – mit mehr Technik bestückt als die »Air Force One« des US-Präsidenten. Unsere Maschine besitzt 3 Decks, Büros, Privaträume, ein Hospital sowie einen Fahrzeug-Hangar.

Mein Name ist Olivia Metaxa – und ich fliege dieses Ding!

»Delta Echo Charly Uniform Uniform – Runway 03. Wind von Südost, mittel.«

Vorsichtig löste ich dabei die Bremsen. Meine Kollegin Patricia McDermont, eine ehemalige NASA-Konstrukteurin, schwang sich in den Copilotensitz.

»Start release!«, kam es aus dem Kopfhörer.

Die vier Turbinen jaulten zur Hochform auf.

»Berlin – wir kommen!«, rief Patricia und drückte mit mir gemeinsam die Gashebel auf Vollschub.

 

*

 

Wir rollten auf den nur für uns reservierten Parkraum.

Sheila hatte wieder mal bei EUROCONTROL Alpha-Order durchgesetzt.

Während ich die Technik abschaltete, dachte ich an den Montag zurück, an dem unsere Lady von einem Treffen mit Sir John – unserem geheimnisvollen Auftraggeber des Foreign Office – zurück ins Büro in die Park Lane 22 gerauscht kam. Wütend feuerte sie ihre Pumps in die Ecke, warf sich in den Schreibtischsessel und knallte ihre nackten Füße auf die gläserne Tischplatte.

»Oh, oh«, vernahm ich nur die Stimme meiner Kollegin Maureen O’Haviland. »Unsere Lady ist hoch explosiv.« Rasch füllte die große Brünette mit dem aufregenden Gang einer Wildkatze, der mich immer neidisch machte, ein Glas mit irischem Whiskey. Sie stürmte Sheilas Büro und hielt ihr mit ausgestreckter Hand das Glas hin. »Trink und beichte Mutter!«

Ihre Mitternachtsstimme ließ Sheila aufschauen. Dann kippte sie den Whisky in einem Zug herunter. Ihre blonde Löwenmähne wehte nur so, als sie anschließend aufsprang und zu der digitalen Landkarte raste.

»Dieser …«

Ich lehnte mich in den Türrahmen. »Dürfen wir an deinem Zorn teilhaben, Verehrteste?«

Unsere Chefin wirbelte herum. »Irgendwann erschieße ich den Burschen!« Ihre Nixenaugen schienen zu glühen.

»Aha!«, sagte Maureen und lächelte mild. »Also wieder ein Himmelfahrtskommando.« Sachlich kam es von dieser Frau, die eiskalt einen Syndikatsboss erschoss, aber ausrastete, wenn ihr Designerkleid einen Fleck bekam.

Endlich beruhigte sich unsere Lady wieder. Sie berührte an einer bestimmten Stelle die Karte, und sogleich materialisierte sich ein Satellitenbild von Berlin. »Ein Mitglied der Britischen Botschaft ist verschwunden. Gestern Morgen.«

Ich kicherte in mich hinein. »Darf ich aus dem Getue von Sir John schließen, dass es dieses Mitglied der Botschaft offiziell nicht gibt?«

Sheila lachte kehlig auf. »Bingo – schnellste Maus von Mexiko! Mal wieder ein geheimer Geheimauftrag im völlig Geheimen …« Sie warf die Arme theatralisch hoch. »Ich hasse dieses Verwirrspiel!«

Maureen setzte sich in den weinroten Sessel am Besprechungstisch. »Wir sollen also Mr. X auftreiben, damit unser guter Sir John von der Queen nicht den Arsch verbläut bekommt. Richtig?«

Die Lady nickte mit verkniffenem Gesicht. Dann »zauberte« sie ein digitales Bild über die Karte. »Zuletzt sah man ihn in Begleitung dieser Dame.«

Ich atmete schwer.

»Das ist doch …«

Maureen sprach es aus. »Mathilda Woranova. Ehemalige KGB-Killerin. Jahrelang abgetaucht.«

»Mindestens zwanzig – wenn nicht mehr – Morde gehen auf ihr Konto«, versetzte Sheila.

Ich schob mich weiter in das Büro. Sheila wippte leicht nervös auf den nackten Zehenspitzen.

»Darling«, erkundigte ich mich leise. »Wer ist nun Mr. X und welche Aufgabe sollte er erfüllen?«

Sheila fuhr sich durch das wilde Haar. »In zwei Tagen sollte laut Gerüchten der südkoreanische Handelsminister ermordet werden. Der Agent sollte das klären und verhindern. Sir John vermutet eine Sonderaktion bestimmter MI-6 Leute.«

Mir blieb die Luft weg. Auch Maureen machte große Augen. »Ist da im Secret Service jemand verrückt?« Sie hauchte es nur.

Unsere Lady setzte sich hinter ihren Schreibtisch. »Offiziell weiß niemand davon. Sir John erfuhr es eher zufällig. Ein Informant, der leider nach dem Kurztelefonat … verstarb.«

Meine Augen zogen sich zusammen. Wieder mal ein Geheimdienstkreis innerhalb des MI-6, der glaubte, sich über alle Regierungsanordnungen hinwegsetzen zu können. »Was wollte der Koreaner in Berlin?«

Sheila fuhr sich über die Augen. »Per Vertrag wieder ein normales Verhältnis zu Europa. Scheinbar passt das jemandem nicht.«

Ich dachte mir mein Teil, aber Sheila sprach es knallhart aus. »Frieden wäre fatal für jede Waffenlobby. Bestimmte Sonderabteilungen in der Navy entwickeln Waffen in getarnten Labors. Der Handel damit bringt Millionen ein.«

Ich schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Wir sind offiziell für den Frieden, verdienen aber inoffiziell in Kriegsgebieten.«

Sheila nickte nur. »Jedenfalls ist Sir John dieser Gruppe wohl auf die Schliche gekommen und setzte Sam McGrew, einen Sonderagenten des Foreign Office, auf die Sache an, um den Attentäter kaltzustellen. Diese Underground-Gruppe bekam Wind davon und hat die Woranova engagiert, die für Geld alles tut.«

Maureen trommelte mit ihren schlanken, wohl manikürten Fingern auf der Tischplatte herum.

»Was ist unser Auftrag?«

Die Lady blickte erst sie, dann mich an. »Den Mord verhindern und McGrew finden.«

 

*

 

Ja – nun waren wir in Berlin. Ich öffnete die Ladeklappe der Boeing und fuhr den Schlitten mit dem nachtblauen Rolls-Royce Ghost heraus. Auf den Wagen wären die Macher von 007 neidisch. Stammte direkt aus der Spezialschmiede der CIA. Mochte der Teufel wissen, wie Sir John das gemanagt hatte.

Zoll war mit unseren Diplomatenpässen kein Problem. Eine Stunde später hatten wir uns im Adlon eingenistet. Ich spürte, wie Maureen leicht erbebte, als Sheila uns in der Suite das große Schlafzimmer zuteilte. Auch bei mir löste das ein paar unkontrollierte Schwingungen aus. Doch nach wenigen Sekunden stellte Maureen wieder den knallharten Profi zur Schau.

Seit der Geschichte in dem Sado-Kloster in Lyon vor einem Jahr liebte sie mich. Im leicht angetrunken Zustand hatte sie mir das gestanden. Danach hatte sie alle Diskussionen über den Punkt abgewiegelt. Sie schämte sich des Geständnisses.

Um einer Aussprache aus dem Weg zu gehen, hatte sie jede Menge Auslandseinsätze angenommen.

Mich hatte das tief berührt. Jedoch wehrte sich alles in mir gegen diese Zuneigung. Trotzdem war sie mir die beste Freundin. Aber wie sollte ich mit diesem Geständnis umgehen, ohne sie tief zu verletzen?

Und nun das! Unwillkürlich schloss ich die Augen.

Sheila verließ die Suite. »Ich muss in die Botschaft. Versucht mal etwas über Madame Woranova herauszufinden. Sie hatte hier Zimmer 408.«

»Toll!«, sagte Maureen nur und warf sich in einen der vornehmen Sessel.

Von dem Panoramafenster aus konnte man einen großen Teil der Stadt überblicken. Da stutzte meine Kollegin. »Moment mal … Olivia – ist das da hinten nicht die Britische Botschaft?«

Ich beugte mich über den Sessel. Dabei roch ich Maureens betörendes Parfüm. Himmel und Hölle, ich musste mich zusammenreißen.

»Du hast recht. Aber was hilft uns das?«

Um Maureens Mundwinkel entstand ein satanisches Lächeln. Dann stand sie auf, ging zu ihrem Rollkoffer, öffnete ihn und wühlte darin herum. Triumphierend hielt sie mir etwas unter die Nase. Es sah aus wie eine Stubenfliege.

»Was ist das?«, fragte ich.

Maureen lachte mit ihrer Mitternachtsstimme, die mir unter die Haut ging. »Die eventuell kleinste Drohne der Welt. Mit der größten Reichweite …«

Mein Gesicht muss wohl ein Fragezeichen gewesen sein. Maureen blickte mich an wie eine Lehrerin ein leicht stupides Schulkind.

»Die Botschaft ist gegen alles abgesichert, aber Fliegengitter haben die nicht.«

Zehn Minuten später sah ich staunend zu, wie meine Kollegin das Miniding über ihren Laptop startete. Durch die Facettenaugen materialisierte sich ein Bild, von dem ein Aufklärungsflieger nur träumen konnte.

»Wie kommste denn an das Ding?«

Meine Kollegin kicherte. »Mutters Geheimnis.«

Ich wusste ja, dass Maureen das absolute Spionage- und Sabotage-Ass in unserem Team war, aber hier blieb mir die Spucke weg.

»Wie lange fliegt das?«

Maureen zuckte leicht die Achseln unter ihrem Escada-Kostüm. »Atombatterie. Unbegrenzter Einsatz. KGB-Technik.«

Dazu fiel mir absolut nichts mehr ein!

Nach genau acht Minuten Flugzeit platzierte sie die Superfliege auf einem Lüftungsgitter des Dachs. »So, dann schauen wir mal über die Wärme- und Sprachtaster, wo was los ist.«

»Du willst mir nicht damit sagen …« Meine Stimme kam mir fremd vor.

Auf dem Laptop zeichneten sich merkwürdige Diagramme ab. In diversen Farben. Dann ertönte ein Peilton.

»Ich habe bestimmte Wortformulierungen eingegeben … Na, sieh mal an.« Maureen murmelte es mehr zu sich selbst.

Etwas verzerrt, aber erkennbar hörten wir eine bekannte Stimme.

»Sheila!«, rief ich unterdrückt.

»McGrew sagt Ihnen nichts, Sir?«

»Absolut nichts!« Das war eine männliche Stimme.

»All right! Ich danke Ihnen.« Das war die Lady. Sie schien den Geräuschen nach das Büro – von wem auch immer – zu verlassen.

Einen Moment lang war es still. Dann griff jemand zum Telefon. »Carter! Wir haben ein Problem. Das Foreign Office hat uns einen Schnüffler geschickt. Kümmern sie sich drum.«

Triumphierend sah Maureen mich an. »Jetzt sehen wir uns Zimmer 408 an.«

 

*

 

Zum Dinner hatten wir uns alle drei im noblen Restaurantbereich des Adlon getroffen.

»Du hast also mit dem Sicherheitschef der Botschaft gesprochen«, kam es sinnierend von Maureen.

Die Lady bestätigte das. Sie legte den Kopf etwas schief.

»Sollte ich etwas wissen, liebste Freundin?«

Maureen sagte es ihr. Unsere Lady riss die Augen auf und betrachtete unsere Südstaatenschönheit wie einen Alien.

»Minidrohne …« Dann lehnte sie sich zurück und lachte auf. »Maureen«, kam es dann, »du bist ein verdammt ausgekochtes Weib.«

»Die Drohne sitzt übrigens immer noch in dem Büro und zeichnet alles auf.«

Dann kamen wir auf Zimmer 408 zu sprechen.

»Alles hat den Anschein, als ob die Woranova noch mal zurückkommen würde«, erklärte ich.

Wir kamen überein, das Zimmer elektronisch zu überwachen. Als ich Maureens Lächeln sah, wusste ich, dass sie noch was in petto hatte. Sheila wedelte mit einer kleinen Visitenkarte eines Nachtklubs. »Die lag auf dem Schreibtisch von Mr. Northon Wamsler, dem Sicherheitschef. Den sollten wir uns ansehen.«

Per Handy instruierte ich meine Kollegin Patricia McDermont, die unsere Boeing bewachte.

»Super! Ihr stürzt euch ins Nachtleben und ich hab nicht mal ’nen Callboy!«

Patricia war sauer.

Wir verließen das Adlon und traten auf den Vorplatz. Unter dem roten Baldachin blieb die Lady stehen. Sanftes Licht aus versteckten Leuchtkörpern bestrahlte den gleichfalls roten Teppich.

Den schwarzen Van sah ich nur aus den Augenwinkeln.

Ich stieß Sheila und Maureen an. Sie stolperten nach vorn und sackten in den Knien ein. Ich warf mich unter den erstaunten Augen des Portiers lang hin. Da ratterten uns auch schon die MP-Salven wie wild gewordene Hornissen um die Ohren. Sheila riss Maureen in die Deckung eines Blumenkübels. Ich versuchte, meinen Kopf zu schützen. Etwas jagte brandheiß über meinen linken Unterarm.

Die 44er aus dem Lederbeutel ziehen, anvisieren und abdrücken ging bei mir in eine tausendfach geübte fließende Bewegung über. Querschläger jaulten, als einzelne MP-Kugeln von den Eisenstützen des Baldachins abgelenkt wurden. Vier Blumentöpfe platzen wie reife Melonen. Irgendjemand schrie hysterisch auf. Ich schoss fünfmal. Von der Karosserie des Van sprühten Funken. Mit aufjammernden Pneus bog der Wagen um eine Ecke.

Sheila kam hustend auf die Knie. Maureen fluchte wie ein Bostoner Bierkutscher.

»Mein Kleid! Scheiße!«

»Du hast Sorgen«, kam es gequält über meine Lippen. Dann sah ich den Portier.

Wie Sirup breitete sich die Blutlache um ihn aus. Von irgendwo heulten Martinshörner auf.

 

*

 

Zwei Stunden später saßen wir in der Lobby, unsere Kleidung und das Make-up restauriert. Der Einsatzleiter der Polizei versuchte, den aufgeregten Hotel-Manager zu beruhigen. Unsere Diplomatenpässe erwiesen sich in diesem Moment als sehr nützlich.

Sheila telefonierte mit unserer Kollegin Sandra in London. Das Fahrzeug hatte keine Kennzeichen getragen, aber die Kameraaufzeichnungen vor dem Hotel hatten ein Merkmal ergeben: einen Äskulapstab als Aufkleber.

Hier war unsere Sandra wieder unbezahlbar. Wie sie das herausgefunden hatte, verriet sie nicht. Aber es gab in Berlin nur eine Zulassung eines solchen Wagens mit einem solchen Emblem.

»Die Privatklinik Dr. Choice. Direkt an der Spree. Nähe Kanzleramt«, vermeldete uns die Lady.

Maureen sprang auf. »Dann kommt mal in die Puschen, Mädels!«

Der Polizei-Einsatzleiter runzelte zwar die Stirn, konnte uns aber nicht aufhalten. Nach zehn Minuten Fahrtzeit standen wir vor einem eisernen Tor. Die Klinik erwies sich als feines Schlösschen, umgeben von einem gepflegten Park.

Doktor M. Choice – Privatklinik für Psychotherapie prangte auf einem weißen Schild.

Wir hatten den Wagen etwas abseits geparkt, konnten aber den Einfahrtsbereich einsehen. Zwei nostalgische Laternen tauchten den Fahrweg in sanftes Licht.

Da näherte sich eine Limousine.

Ein Jaguar.

Ich griff ins Handschuhfach und kramte das Fernglas hervor. Der Wagen hielt kurz am Tor, die Scheinwerfer blendeten auf und das Tor schob sich zur Seite.

Mir blieb die Luft weg, als ich die Fahrerin erkannte.

»Ihr Götter der Azteken!«, entfuhr es mir. »Die Woranova!«

»Elementar, Watson«, hauchte Sheila. Da tauchte erneut der Widerschein von einem Fahrzeug auf. Wir duckten uns etwas.

»Reger Betrieb«, zischelte Maureen. Sie nahm mir das Fernglas aus der Hand und richtete es auf den Wagen, der vor dem Tor anhalten musste.

»Das ist ja eine Überraschung!«, rief sie aus.

Sheila blickte sie an.

»Was denn?«, knurrte ich ungnädig. »Machs nicht so spannend.«

»Der Sicherheitschef der Britischen Botschaft.«

Der Wagen rollte durch das Tor. Kaum wollte es sich schließen, sprang Maureen ins Freie und zwängte sich eben noch durch den freien Spalt der Einfahrt. Dort hockte sie sich hinter einen Ginster.

»Ist sie verrückt?!«, rief Sheila aus und saß kerzengerade im Wagen.

Ich schloss kurz die Augen. Dann öffnete ich die Tür neben mir. »Ich kann sie da nicht allein lassen.«

Die Lady hielt mich fest. »Du bleibst! Du hast kaum eine Chance, an den Überwachungskameras vorbei zu kommen. Maureen ist durch den Wagen des Engländers gedeckt worden. Das Mädel ist ein Profi! Also bring sie nicht in Gefahr!«

Ich sackte in meinem Sitz zusammen. »Wenn man sie nun erwischt?«

Meine Chefin und Freundin warf mir einen durchdringenden Blick zu. Leise kam es dann: »Du bist sehr um sie besorgt.«

Unwillkürlich verkrampfte ich mich.

Da öffnete sich das Tor erneut und der uns bekannte Van fuhr heraus.

»Da sitzt der Sicherheitschef drin!«, rief Sheila, die das Fernglas angesetzt hatte.

Ich schaute die Lady an.

»Ihm nach!«, rief sie.

Ich startete den Motor. Da meldete sich das Spezial-Handy Sheilas.

»Geheime Leitung aus London«, murmelte sie und aktivierte den Anruf. Ich sah, wie sich ihr Gesicht anspannte. Dann konzentrierte ich mich auf den Van.

»Verstanden Sir«, hörte ich die belegte Stimme der Lady.

»Was ist los?«

»Sir John … Aus einem Depot in Frankfurt wurde eine neu entwickelte Neutronenbombe gestohlen.«

Vor Schreck gab ich zu rasch Gas und der Wagen schlingerte.

Da sah ich den Lichtblitz vor mir. Für eine Sekunde schloss ich geblendet die Augen. Dann erst hörte ich die Detonation. Der Van vor uns schien sich aufgebläht zu haben. Ich riss das Steuer nach links. Ein Teil der Windschutzscheibe des Vans streifte krachend und kreischend über das Dach unseres Wagens. Irgendetwas schlug vor die Beifahrertür. Dann hüllte uns dichter Rauch ein.

»Bullshit!«, schrie Sheila auf.

Ich löste mich aus meiner Erstarrung, wendete und gab Gas. Ein Polizeiverhör konnten wir heute nun gar nicht mehr gebrauchen.

»Was nun?«, rief ich aus.

Die Lady ballte die Fäuste. »Zurück zur Klinik.«

Ohne Licht näherten wir uns von einer winzigen Seitenstraße dem Gelände. Geschützt durch wilde Rosen friedete hier ein Maschendrahtzaun mit aufgesetztem Stacheldraht das Gelände ein.

Sheila hatte inzwischen Sandra in London angewiesen, einen Grundriss der Klinik ausfindig zu machen. »Irgendwo muss es so was geben, Schätzchen. Deine Hacker-Natur ist gefragt!« Es kam bestimmend.

In solchen Sachen war die kleine Irin unübertroffen. Sie brauchte auch wirklich nur zwölf Minuten, dann flimmerte der Schirm auf dem Spezial-Laptop der Lady auf.

»Na sieh mal an …«, murmelte diese.

Ich schaute mit auf das Display. »Alles rund um mit Kameras und Sensoren gesichert.«

Sheila grinste beinahe diabolisch, was ich im Widerschein des Laptops sehen konnte.

»Aber hier nicht.«

Mir blieb die Luft weg. »Das … das … ist nicht dein Ernst …?

»Doch! Es stellt die einzige Möglichkeit dar.«

 

*

 

Ich schluckte zweimal. »Ist dir klar, dass wir den Gestank nie wieder aus den Klamotten bekommen?«

Sheila kicherte vergnügt. »Du bist aber wieder pingelig. Los! Wir müssen Maureen helfen!«

Sie klappte den Laptop zu, verstaute ihn unter dem Sitz und glitt aus dem Wagen. Ergeben folgte ich ihr mit einem Blick auf die demolierte Karosse.

Zielsicher ging Sheila – mal wieder barfuß – auf einen kleinen Hügel zu. Im Schein der kleinen Stablampe sah ich die Abdeckung des Kanalschachtes.

»Ich denke nicht«, so Sheila, »das man hier Kameras installiert hat.«

Mit vereinten Kräften öffneten wir den Eisendeckel. Ekelerregender Duft kam uns entgegen. Ich versuchte flach zu atmen.

Sheila deutete nach links. »Dort befindet sich die klinikeigene Kläranlage.«

Kaum hatte sie das letzte Wort ausgesprochen, verschwand sie in dem senkrechten Schacht.

»Mit nackten Füßen in der …«, kam es über meine Lippen.

»Dann muss ich meine Schuhe nicht wegwerfen«, ertönte es hohl von unten. »Komm schon!«

Der fahle Schein der Handlampe drang herauf. Mit zusammengepressten Zähnen stieg ich die Eisenleiter abwärts. Mir würde übel. Unter meinen nagelneuen Stilettos schmatzte es bald.

»Och nee …«, knirschte ich.

Im gefächerten Strahl meiner Lampe sah ich das gemauerte Gewölbe.

Ein schmaler Pfad – glitschig vom Moos und Dingen, über die ich lieber nicht nachdachte – führte an einem Bach vorbei, der sich wie eine Mini-Stromschnelle über gemauerte Stufen ergoss.

Bald erkannten wir eine Verzweigung des Tunnels.

»Nach rechts«, hörte ich die Stimme Sheilas.

Der strenge Geruch ließ nach. Ich wagte, wieder etwas tiefer zu atmen.

Da erhellten Leuchtstoffröhren einen erweiterten Raum. An dessen Kopfende gab es eine graue Stahltür.

»Dahinter befindet sich die Steueranlage der Klärstation«, flüsterte die Lady.

Aufatmend stieg ich auf den trockenen Betonboden. Meine Schuhe hatten diese unterirdische Wanderung einigermaßen überstanden. Sheilas Fußsohlen waren schwarz.

»Na«, zischte ich. »Da hast du was zu schrubben.«

Sheila befand sich bereits an der Tür. Sie erwies sich als unverschlossen.

»Etwas sorglos«, hörte ich die heisere Stimme Sheilas. Millimeterweise öffnete sie die Tür. Es gelang ihr geräuschlos. Wir schauten in einen langen beleuchteten Korridor. Zahlreiche Kabelstränge verliefen an der weißen Decke.

»Der Installationskeller«, kombinierte Sheila. »Dann werden wir sicher bald auf ein Treppenhaus stoßen.«

Unsere Lady behielt recht. Wir sahen auch eine breite Fahrstuhltür. Doch wir hielten es für besser, den Lift nicht zu benutzen. Wir hatten vielleicht eben fünf Treppenstufen genommen, als an der Lifttür ein Klingelsignal ertönte. Zeitgleich sackten wir auf der Treppe in die Hocke. Die Metalltür schob sich auseinander und zwei stabile Männer in der Kombination von Pflegern schoben eine abgedeckte Bahre heraus. Damit verschwanden sie in einem Nebengang seitlich des Aufzuges.

»Tote in einer Psycho-Klinik?«, hauchte ich Sheila überrascht ins Ohr.

Türen klapperten und schepperten in dem Keller. Dann wurde es ruhig. Es dauerte etwas, bis die Männer zurückkehrten und die wartende Fahrstuhlkabine wieder betraten. Auf der Anzeigentafel erkannten wir, dass sie in die erste Etage fuhren. Wir wollten uns eben aufmachen, um nach dem Verbleib der Bahre zu sehen, als das Leuchtsignal über der Lifttür anzeigte, dass sich die Kabine wieder abwärts bewegte.

Wenig später sahen wir einen großen Mann mit grauem Haar und weißem Kittel, gefolgt von … Mathilda Woranova.

»Wie lange hält die Betäubung vor?«, hörten wir den Mann mit recht sonorer Stimme fragen.

»Ich hoffe, Dr. Choice hat richtig dosiert. Dann müssten wir unsere Spionin bald befragen können.«

Meine Kopfhaut zog sich zusammen. Damit konnte nur Maureen gemeint sein.

Die KGB-Killerin und der Arzt verschwanden in dem Seitengang. Wir folgten vorsichtig.

Der Gang erstreckte sich etwa über zwanzig Meter. Wir warteten, bis die beiden nach links abbogen. Dann hörten wir, wie eine Tür erst geöffnet, dann geschlossen wurde.

Vorsichtig schoben wir uns näher. Ich legte mein linkes Ohr an das Türblatt. Gedämpft vernahm ich die Stimme der Woranova.

»Also Herzchen – was suchst du hier?«

Eine Antwort vernahm ich nicht.

Nach ein paar Sekunden erklang wieder die Stimme der Russin. »Doktor – Ihr Part.«

Der Schmerzensschrei drang so durch die geschlossene Tür, dass sich mir die Haare sträubten. Die Magnum lag schon in meiner Hand. Die Tür aufreißen und rufen: »Keiner bewegt sich!«, war eins.

Sheila sicherte mir den Rücken.

Die nackte, mich mit schmerverzerrtem Gesicht ansehende Frau war nicht Maureen. Einen Augenblick stand ich wie erstarrt. Eine Sekunde zu lang. Die Armbewegung der Woranova bekam ich nur aus dem Augenwinkel mit, da umhüllte mich das grünliche Gas. Ich hörte noch Sheila hinter mir husten.

 

*

 

Mir war speiübel! Das Ziehen in den Armen schien fast unerträglich.

Unter aller Kraftanstrengung versuchte ich die Augen zu öffnen, doch das blieb ein vergebliches Unterfangen.

Irgendwann hatte ich das Gefühl, auf einer Wildwasserbahn zu fahren – so schüttelte es mich. Immer wieder versank ich in einem tiefen, unergründlichen Tunnel. Das Zeitgefühl ging mir verloren.

Ich kotzte wie ein Reiher nach zwei Tagen Durchsaufen. Ich spürte die warme, säuerliche Brühe über meine Brüste laufen.

Irgendwann beruhigten sich mein Atem und mein Magen. Vorsichtig versuchte ich erneut die Augen zu öffnen. Das Bild schärfte sich erst nach einer Minute. Das Erste, was ich sah, war Sheila.

Splitternackt hing sie mit den Handgelenken an einer Art Fleischerhaken. Sie stöhnte leise.

Mein Blick wanderte.

Eine einsame, verschmutzte Neonröhre spendete Licht in einem kahlen Raum. Metallschienen verliefen unter der Decke. Von ihnen hingen Haken. Es roch faulig. Nach Verwesung.

Nun stellte ich fest, dass ich gleichfalls völlig nackt war.

Bald gab es keinen Zweifel – dies war ein ehemaliges Schlachthaus.

Wie Anfänger hatten wir uns überrumpeln lassen. Unfassbar!

Nun erst gewahrte ich die Gestalt, die halb in eine Decke gewickelt in einer Ecke lag. Das starre Gesicht mir zugewendet. Ich erinnerte mich. Die Frau auf der Bahre. Jetzt befand sich ein kleines rundes Loch in ihrer Stirn.

Mir wurde erneut übel.

Da regte sich Sheila in ihren Fesseln. Sie brauchte noch zehn Minuten, dann fragte sie mit völlig fremder, krächzender Stimme: »Was ist passiert?«

Ich sog die Luft in die Lungen. Durch die gereckten Arme wurde das zur Qual.

»Die Woranova muss uns erwartet haben. Eine chemische Handbombe. Vermutlich hatte sie auch eine Gasmaske im Kittel.«

Sheila wandte, soweit es die Fesselung zuließ, den Kopf.

»Hast … du … eine Ahnung, wo … wo wir sind?«

Ich musste das verneinen. Doch da öffnete sich in den Angeln kreischend eine Tür. Mit süffisantem Lächeln trat die Russin ein. »Oh – wieder ansprechbar?« Sie lachte gurrend auf. »Denken Sie, Miss Cargador, wir hätten den Abwasserschacht nicht unter Kontrolle? Jemand hatte sich in unseren PC gehackt. Wir waren gewarnt.«

Sie stellte sich genau vor die Lady. »Ich hätte Sie für schlauer gehalten.« Sie kam näher und ihre langen, schlanken Finger strichen über Sheilas nackten Bauch und über die Oberschenkel. »Schade – Sie wären eine wunderbare Sklavin geworden.«

»Sie meinen, Ihre Bettsklavin«, kam es gequält, aber doch sarkastisch von Sheila.

Die Woranova lächelte nun. »Was wäre so schlimm daran?« Sie zuckte die Achseln. »Nun muss ich Sie leider …«

Sie wandte sich um. Der große Grauhaarige tauchte auf. »Wir haben nicht viel Zeit! Zero minus neunundfünfzig.«

Die Russin nickte. »Sie haben recht, Professor.« Sie ging zur Stirnwand des Raumes. Ich musste mir mit Gewalt fast den Kopf verdrehen, um etwas zu sehen. Die Russin stand vor mehreren dicken Rohren. Eines besaß ein Handrad. Die ehemals schwarze Farbe zeigte sich abgeblättert. Mit kräftigen Bewegungen drehte sie das Rad. Weißer Dampf schoss aus einem Ventil. Dann zog sie das Handrad aus dem Stutzen.

Raschen Schrittes entfernte sich die Russin damit. Sie warf uns noch einen kurzen Blick zu.

»Ich wünsche gute Reise ins Jenseits. Leider kann ich mich aus Zeitgründen nicht an Ihrem Ableben ergötzen.«

Sie verließ den Raum. Ein leichtes Zischen kam von der Tür.

»Bullshit!«, rief ich. »Die schließt den Raum luftdicht ab!«

Kein Zweifel – die Tür wirkte wie ein Schott. Mein Blick wanderte zu dem Rohr, aus dem der Dampf trat. Gleichzeitig spürte ich, wie es heißer wurde.

»Mierda! Die wollen uns wie in einer Sauna ersticken!«

Die Lady reckte den Kopf. Dann winkelte sie die Beine an und streckte sie mit dem halben Unterleib hoch. Ihre Zehen erreichten die Schienen.

Wie ein Aal wand sie ihren nackten Körper. Ich sah die Schweißperlen auf ihrem Busen. Es klirrte leicht in den Handschellen. Dann hatte sie diese ausgehakt. Nur mit den Füßen sich festhaltend, den Kopf nach unten, hing Sheila nun an der Schiene. Ihr Oberkörper zog sich im Bauchbereich zusammen.

Dann löste sie die Füße.

Ein dumpfer Knall – ein undamenhafter Fluch … Sie rollte sich auf dem harten Boden über die Schulter ab.

»Oh Lady …«, entfuhr es mir.

Leise stöhnend kam Sheila auf die Beine, stand einen Moment etwas unsicher, dann rannte sie auf mich zu. Sie hob mich an.

»Los!«, rief sie. »Streife die Handschellen über den Haken!«

Nur wenige Sekunden später berührten meine Füße den Boden.

Die Hitze wurde schon unerträglich. Das Atmen wurde immer schwerer.

»Auf den Boden! Die heiße Luft steigt nach oben!«

Sheila stieß es hervor. Ihr Atem rasselte schon.

In der Hocke versuchte ich, meine Blutzirkulation wieder in Gang zu bringen.

»Ich wollte immer schon mal mit dir in die Sauna«, feixte die Lady trotz der Situation.

»Klar!«, kam es von mir. »Leider gefällt mir hier der Aufguss nicht.«

Sheila lief nun zu der Tür. Dann sah sie sich gehetzt um. Die Schwaden wurden dicht wie Londoner Nebel.

»Es gibt nur diesen Ausgang«, kam es etwas erschöpft. Doch ich hatte den rechteckigen Eisendeckel gesehen. Ich kroch dorthin. Panik stieg in mir hoch. Die nun heiße Luft verbrannte mir die Luftröhre. Verzweifelt versuchte ich, den rostigen Deckel zu heben. Dabei brach ich mir zwei Fingernägel ab. Endlich gelang es. Ich starrte in ein finsteres Loch. Ich senkte den Kopf tief hinein und stieß mit der Stirn vor ein Gitter.