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Bettina Szrama

Die Giftmischerin

Historischer Kriminalroman

Zum Buch

DER ENGEL VON BREMEN Die Hansestadt Bremen im frühen 19. Jahrhundert. In ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, intelligent und schön, sehnt sich die junge Gesche Margarethe Timm nach Glanz und Reichtum. Um dieses Ziel zu erreichen, ist ihr jedes Mittel recht. Frühzeitig bestiehlt sie ihre Eltern und beginnt, skrupellos und heimtückisch alle zu töten, die ihrem Erfolg im Weg stehen. Manche ihrer Opfer pflegt sie dabei bis zum Gifttod aufopferungsvoll – als »Engel von Bremen«.

Der erste historische Kriminalroman über Gesche Gottfried, Deutschlands berühmteste Serienmörderin.

Bettina Szrama, geboren 1952 in Meißen, absolvierte ein Literaturstudium in Hamburg. Danach war sie als Journalistin für diverse Regionalzeitungen und Tierzeitschriften tätig, seit 1994 veröffentlicht sie auch im belletristischen Bereich.

Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag:

Die Hure und der Meisterdieb (2011)

Die Konkubine des Mörders (2010)

Die Giftmischerin (2009)

Inhalt

Zum Buch

Impressum

Vorbemerkung

Eine Mörderin wird geboren

Unheilvolle Wurzeln

Die Leiden einer Ehe

Eine verruchte und eine unerfüllte Liebe

Vorbereitungen für einen Mord, Miltenbergs Tod und die seltsame Trauer einer Mörderin

Vergib mir, Gott! Die Kinder, die Mutter und der Vater sind meiner Liebe im Weg

Falsche Tränen um Christoph

Gottfried, im Namen Gottes, ich habe dich geliebt!

Reue, finanzielle Nöte und die seltsame Liebe des David Xaver

Eine tödliche Verlobung

Vergangene Sünden rächen sich

Die Verhaftung

Tod durch das Schwert

Schlusswort der Verfasserin

Zum besseren Verständnis die zeitlichen Abläufe der Vergiftungen

Recherchen zu diesem Buch

Vorbemerkung

Das Bild der altehrwürdigen Hansestadt Bremen prägt seit vielen Jahrhunderten der Dom St. Petri. Ungefähr 20 Meter vor dessen Nordwand, gegenüber dem Brautportal, erinnert ein unscheinbarer Granitstein mit einem Kreuz in der Mitte an das Blutgerüst, welches einst genau an dieser Stelle stand und auf dem die Giftmörderin Gesche Gottfried mit einem Schwertstreich vom Leben zum Tode befördert wurde. Noch heute spucken die Menschen voll Abscheu vor den Gräueltaten Gesches auf diesen Stein, sodass er niemals trocken wird.

Eine Mörderin wird geboren

In einer frostklaren Märznacht des Jahres 1785 brannte hinter einem mit einem leichten Vorhang bedeckten Fenster im kleinen Fachwerkhaus am Jakobi Kirchhof noch helles Licht. Der Grund für die ungewöhnliche Beleuchtung zu so später Stunde war die bevorstehende Geburt des ersten Kindes von Schneidermeister Timm und dessen blutjunger Ehefrau. Das von den Anstrengungen blasse Weib saß breitbeinig auf dem Rand des Ehebetts inmitten des bescheidenen Hausstands ihres unlängst erworbenen Heims und schwitzte heftig. Bei jedem neuerlichen Röcheln aus ihrem leicht geöffneten Mund drückte ihr Gatte Johann beruhigend ihre Hand und tupfte ihr mit einem Tuch liebevoll die Schweißperlen von der Stirn. Unterdessen zeichnete sich auf dem Gesicht des herbeigerufenen Doktors, der vor der Gebärenden auf dem gescheuerten Holzboden kniete, eine steile Sorgenfalte ab. Die wollenen Kleider der Wöchnerin waren nach oben gerafft. Darunter wölbte sich der Leib nach vorn, einem riesigen Kürbis gleich. Die schweißnassen Oberschenkel schimmerten weiß im Dämmerlicht.

Es war ungewöhnlich, dass bei der Geburt der Doktor zugegen war und nicht die Hebamme. Aber die Wollnäherin hatte schon seit Tagen nicht mehr an der Nähmaschine sitzen können. Zu stark war der Leib angeschwollen und trieb das Wasser in die Beine, sodass der altbewährte Doktor Asbrandt, ein guter Freund des Hauses, Komplikationen befürchtete. Deshalb war er auch ohne zu zögern auf den Wagen gestiegen, als der junge Johann barhäuptig und mit wehenden Haaren vor seinem Haus hielt und ängstlich gegen den Sturm anschrie: »Doktor, bitte kommen Sie schnell! Es will nicht mehr warten. Margarethe, mein Eheweib, windet sich in den Wehen!«

Jetzt, hier in der Stube, übertönte die kräftige Stimme des Arztes den Sturm, der mit aller Macht an den dünnen Fensterscheiben rüttelte: »Es ist das Kind, das Eurer Gattin ein so starkes Übel bereitet. Es dreht sich immer wieder weg, so als wolle es nicht auf die Welt.« Die Gebärende ließ bei jedem seiner Worte ein vernehmliches Wimmern hören.

»Ich brauche heißes Wasser und Tücher!«, befahl er der Magd, die gerade zur Tür hereinkam, und krempelte nun hastig die Ärmel des Hemdes bis zur Schulter hoch. »Madame, wir werden es gemeinsam schaffen!«, beruhigte er die Wöchnerin und beobachtete besorgt ihr Gesicht. »Ihr müsst nur kräftig pressen. Den Rest erledige ich.«

Doch das junge Weib schien ihn nicht zu hören und jammerte stattdessen nur noch lauter. Ihrer Jugend zum Trotz war sie nicht sehr kräftig, was die Sache erschwerte. Voller Angst hielt sie die Hand ihres Gatten umklammert.

»Lasst Johanns Hand einen Moment los, damit ich Euch den Puls fühlen kann«, beruhigte er sie und strich ihr sanft über den gewölbten Leib, während er mit ernster Miene die Pulsschläge an ihrem Handgelenk zählte. Sie waren unregelmäßig und schwach. Als der Doktor damit fertig war, ließ er die Magd Wein holen, mit dem er der Wöchnerin Stirn und Schläfen abtupfte. Dann hockte er sich wieder vor die Frau, ließ sich ein frisches, in heißes Wasser getauchtes Tuch reichen und begann, den Bereich um die Schamlippen zu säubern. Plötzlich stöhnte die Schwangere heftig. Eine Wehe durchzuckte ihren Leib. Sie presste. Der Doktor beobachtete, wie sich die Vagina faustgroß öffnete und ein runder Körperteil mit hellem Flaum sichtbar wurde: das Köpfchen des Kindes. Die Wehe ging vorüber, der Spalt wurde wieder schmaler. Da machte er seine Hand so klein wie möglich und rief: »Nicht aufhören, weiter pressen, Madame!« Im gleichen Moment entrang sich der Wöchnerin ein furchtbarer Schrei, der viel Ähnlichkeit mit demjenigen des sterbenden Käuzchens hatte, das vom Sturm gegen das Fensterkreuz geschleudert wurde. Als der Schmerz verebbte und die Frau ermattet die Augen aufschlug, zappelte am Arm des Doktors ein kleines, blutiges Bündel. Der Arzt hielt es mit dem Köpfchen nach unten und schlug ihm mit der flachen Hand auf das Hinterteil, so lange, bis sein dünnes Schreien von den Wänden widerhallte. Es war der Schrei eines kleinen Mädchens. Als er sah, dass sich die Züge der Wöchnerin entspannten, legte er ihr das Neugeborene in den Arm. »Gott will, dass Ihr Euren Gatten mit zweifachem Segen beschenkt«, sagte er eilig und begab sich zurück in die kniende Stellung. Sanft drückte er die weißen Schenkel der Wöchnerin erneut auseinander. »Ihr müsst noch einmal pressen, Madame«, befahl er ihr.

Das Blut, das ihre blassen Wangen beim Anblick des gesunden Kindes in heller Freude gerötet hatte, wich nun von Neuem aus ihrem Gesicht. Verflogen war das kurze Aufflackern von Glück über das Mädchen, das der Mutter im Haushalt zur Hand gehen kann. Stattdessen entrangen sich ihr zwischen zwei langen Seufzern die verzweifelten Worte: »Oh, mein Gott, wie soll ich denn zwei Kinder satt bekommen und erziehen!«

Es verging keine Viertelstunde, da gebar Margarethe Timm einen Sohn. Doch als ob Gott ihr Klagen erhört hatte, versiegte nach dem Anlegen des Knaben die Milch. Als der Doktor ihr nun das Mädchen zum Stillen an die Brust legte, sah er, wie die Wangen der Mutter fleckig wurden und ihr Körper sich heftig, wie im Fieber, aufbäumte. Erschrocken legte er ihr die schwielige Hand auf die heiße Stirn und sagte zu Johann, der mit bangen Blicken an seinem Gesicht hing: »Sie hat es noch nicht überstanden. Es scheint, als bekomme sie das Fieber. In ihrem Zustand kann sie nur ein Kind nähren.« Mit einem langen Blick auf den satten, rosigen Jungen in der Wiege fügte er nachdenklich hinzu: »Gottes Wege sind seltsam. Den Zweitgeborenen nährt er, und die erstgeborene Tochter will er zurück.«

Auch Margarethe hatte diese Worte vernommen und richtete sich daraufhin mühsam auf. Rasch nahm ihr der Gatte das schreiende Bündel aus den Armen, während der Doktor die Kraftlose in seinen Armen auffing. Er drückte sie behutsam zurück auf das frisch bezogene Bett, von wo aus sie ihn mit tonloser Stimme anflehte: »Bitte, Herr Doktor! Ich will es behalten. Um jeden Preis. Es ist ein so schönes Mädchen.« Das Gesicht des Arztes umschattete sich. Ernst ergriff er die kalten Hände der jungen Mutter. Die Entscheidung fiel ihm nicht leicht. »Sie werden viel Freude an dem Jungen haben. Das Mädchen aber sollten wir Gott anvertrauen, so es sein Wille ist«, riet er ihr leise.

»Wir könnten für das Kind eine Amme einstellen, die es nährt«, wandte Johann zaghaft ein. Als er das vor Hunger brüllende Kind in Margarethes Arme zurücklegte, presste die es sogleich ängstlich an die leere Brust.

»Die können wir nicht bezahlen, mein lieber Mann«, hauchte die Gattin mit blutleeren Lippen. »Aber vielleicht kann ja die Zigeunerin helfen?«

Die Zigeunerin war eine zugewanderte Jungfrau aus der Neustadt, bei der sich Margarethe oft heimlich aus der Hand lesen ließ. Johann mochte die liederliche Frau mit den vielen Warzen im Gesicht und dem auffälligen Zeichen auf den Händen nicht besonders, zumal niemand wusste, in welchem Land dieses Weib zu Hause war und woher sie die seltsame Gabe wahrzusagen nahm. Von einem zwanghaften Aberglauben beherrscht, versuchte er, sie von seinem Hause fernzuhalten – ein Vorhaben, das schon einmal deshalb zum Scheitern verurteilt war, weil sein Weib ihre Kleider bei ihr nähen ließ. Man munkelte, sie sei eine abgelegte Mätresse, die sich mit allerlei Budenzauber durchs Leben schlug.

Johann atmete tief durch und küsste seine Frau besorgt auf die Stirn. »Wenn du es wünschst, werde ich sie holen«, beruhigte er sie und hoffte insgeheim, sie werde ihre Absicht noch ändern. Doch Margarethe nickte nur schwach, während das Mädchen sein Zögern mit so kräftiger Stimme beantwortete, dass er Furcht bekam, das Kind würde an seinem eigenen Schrei ersticken.

»Ich wüsste noch jemanden, der Euer Kind nähren könnte. Aber es ist kein gottesfürchtiges Weib«, hielt ihn der Doktor nach kurzem Zögern zurück und kramte im Instrumentenkoffer, bis er gefunden hatte, wonach er suchte. Er holte Papier und Feder hervor und kritzelte eilig einen Namen und eine Adresse darauf. Dann stülpte er sich den Zylinder über das weiße Haar und reichte Johann das Blatt. »Sie ist noch in der Strafanstalt untergebracht.«

»Im Zuchthaus?« Johann, bereits in Mantel und Hut, blickte entsetzt auf das Papier in der Hand des Doktors.

»Ja. Es ist eine Negerin. Ein Weib, von dem man sagt, es habe Unzucht getrieben und gemordet. Sie ist nur knapp dem Todesurteil entronnen. Aber ihre Brüste sind voll mit Milch, denn sie hat im Zuchthaus ein totes Kind geboren. Für eine Unterkunft außerhalb ihrer Gefangenschaft wird sie das Kind sicherlich nähren und Eurem Eheweib so lange im Haus zur Hand gehen, bis Ihr ihrer Hilfe nicht mehr bedürft.«

»Aber ihre Milch …?« Johann öffnete dem Doktor die Tür, nachdem der Arzt noch einmal Margarethes Puls gefühlt hatte und sich nun für diese Nacht empfahl. Heftige Bedenken plagten ihn.

»Ich weiß, welche bange Frage auf Eurer Seele lastet.« Der Arzt lächelte beruhigend. »Aber keine Angst. Morgen werde ich wieder nach Eurer Frau und den Kindern sehen. Ihr müsst nur das schwarze Weib im Auge behalten. In ihrem Zeugnis steht, sie sei von heftiger Gemütsart. Aber Milch ist Milch. Sie wird dem Mädchen guttun.«

Im Türrahmen drehte er sich ein letztes Mal um und drückte Johann die Hand: »Wenn Ihr das Mädchen durchbringen wollt, Johann, so müsst Ihr Euch beeilen und die Amme umgehend in Euer Haus holen. Am besten noch heute in den frühen Morgenstunden.«

Auf dem Treppenabsatz fiel ihm ein, dass er Johann gar nicht nach den Namen der Kinder gefragt hatte. Er wandte sich um und rief von der Diele aus: »Wie sollen die beiden denn heißen?«

»Der Junge Johann Christoph und das Mädchen Gesche Margarethe.«