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Nr. 71

 

Das Erbe der Yulocs

 

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

Das Kosmische Schachspiel zwischen ES und Anti-ES geht weiter. Anti-ES schickt einen Mann in den Kampf, der bisher noch jedes seiner Opfer gefunden und getötet hat: Torytrae, einen der letzten beiden Yulocs. Einst beherrschte sein Volk die Galaxis Naupaum. Heute gibt es nur noch drei verbotene Planeten, auf die sich die Yulocs vor Jahrtausenden zurückgezogen hatten. Auf einem dieser Planeten sucht Perry Rhodan nach Informationen über die ferne Milchstraße, gejagt von einem Unbekannten, der über unendliche Machtmittel zu verfügen scheint. Doch erst als der Fremde gestellt ist, bekommt Perry Rhodan einen Schock. Nun fast ohne jede Hoffnung auf Rückkehr, muss er sich Torytrae erwehren. Der Terraner stellt eine Falle für den Jäger auf ...

Vorwort

 

 

Der abenteuerliche »Gehirnzyklus« geht weiter. Noch immer sucht Perry Rhodans Gehirn nach einer Möglichkeit, in seine Galaxis zurückzukehren und den Kampf gegen den Androiden aufzunehmen, der in seiner Gestalt die Geschichte des Solaren Imperiums bestimmt.

Dies tut er nicht zum besten. Andro-Rhodan plant nämlich nach wie vor, im Auftrag von Anti-ES dem Imperium soviel Schaden wie nur möglich zuzufügen, bis das Ziel erreicht ist: der Untergang der solaren Menschheit.

Perry Rhodan ist verzweifelt. Er geht jeder noch so vagen Spur nach, ohne zunächst zu ahnen, dass sich ein Jäger an seine Fersen gehängt hat: Torytrae, der Letzte der geheimnisvollen Yulocs.

Von der Auseinandersetzung zwischen diesen beiden wird sein Schicksal abhängen. Und bis dahin ist und bleibt Perry Rhodan der vielleicht einsamste Mensch des Universums – auch wenn er überraschenderweise einen Schicksalsgenossen findet.

Die Originalromane des vorliegenden Buches sind: »Der Ceynach-Jäger« (628) von William Volz, »Duell mit dem Ceynach« (629) von H. G. Ewers, »Das Erbe der Yulocs« (630) von Clark Darlton, »Die fliegenden Städte« (631) von Hans Kneifel, »Ruf aus der Unendlichkeit« (632) von H. G. Francis und »Die psionische Jagd« (633) von Kurt Mahr.

 

Mir bleibt noch der Dank an alle, die mitgeholfen haben, dieses Buch zu erstellen, insbesondere an Michael Thiesen mit seinem PERRY RHODAN-Zeitraffer.

 

Horst Hoffmann

Zeittafel

 

 

1971/84 – Perry Rhodan erreicht mit der STARDUST den Mond und trifft auf die Arkoniden Thora und Crest. Mit Hilfe der arkonidischen Technik gelingen die Einigung der Menschheit und der Aufbruch in die Galaxis. Das Geistwesen ES gewährt Rhodan und seinen engsten Wegbegleitern die relative Unsterblichkeit. (HC 1–7)

2040 – Das Solare Imperium entsteht und stellt einen galaktischen Wirtschafts- und Machtfaktor ersten Ranges dar. In den folgenden Jahrhunderten folgen Bedrohungen durch die Posbi-Roboter sowie galaktische Großmächte wie Akonen und Blues. (HC 7–20)

2400/06 – Entdeckung der Transmitterstraße nach Andromeda; Abwehr von Invasionsversuchen von dort und Befreiung der Völker vom Terrorregime der Meister der Insel. (HC 21–32)

2435/37 – Der Riesenroboter OLD MAN und die Zweitkonditionierten bedrohen die Galaxis. Nach Rhodans Odyssee durch M 87 gelingt der Sieg über die Erste Schwingungsmacht. (HC 33–44)

2909 – Während der Second-Genesis-Krise kommen fast alle Mutanten ums Leben. (HC 45)

3430/38 – Das Solare Imperium droht in einem Bruderkrieg vernichtet zu werden. Bei Zeitreisen lernt Perry Rhodan die Cappins kennen. Expedition zur Galaxis Gruelfin, um eine Pedo-Invasion der Milchstraße zu verhindern. (HC 45–54)

3441/43 – Die MARCO POLO kehrt in die Milchstraße zurück und findet die Intelligenzen der Galaxis verdummt vor. Der Schwarm dringt in die Galaxis ein. Gleichzeitig wird das heimliche Imperium der Cynos aktiv, die am Ende den Schwarm wieder übernehmen und mit ihm die Milchstraße verlassen. (HC 55–63)

3444 – Die bei der Second-Genesis-Krise gestorbenen Mutanten kehren als Bewusstseinsinhalte zurück. Im Planetoiden Wabe 1000 finden sie schließlich ein dauerhaftes Asyl. (HC 64–67)

3456 – Perry Rhodan gelangt im Zuge eines gescheiterten Experiments in ein paralleles Universum und muss gegen sein negatives Spiegelbild kämpfen. Nach seiner Rückkehr bricht in der Milchstraße die PAD-Seuche aus. (HC 68–69)

3457 – Perry Rhodans Gehirn wird in die Galaxis Naupaum verschlagen. (HC 70)

Prolog

 

 

Das Kosmische Schachspiel zwischen ES und Anti-ES geht weiter. Kaum hat die Menschheit die ersten beiden Schläge überstanden – Perry Rhodans Versetzung ins Paralleluniversum und die PAD-Seuche –, da tut Anti-ES seinen nächsten Zug.

Perry Rhodans Gehirn wird in die ferne Galaxis Naupaum verschlagen und landet dort auf dem Markt der Gehirne, wo es von Doynschto dem Sanften gekauft wird. Der Paratransplantator erhofft sich viel von dem Ceynach, wie fremde Gehirne auf dem Planeten Yaanzar genannt werden. Doch Rhodan kann fliehen, nachdem sein Gehirn in einen fremden Körper verpflanzt worden ist. Sein ganzes Streben gilt der Suche nach seiner Heimatgalaxis und einer Möglichkeit zur Rückkehr.

Und die Zeit brennt, denn bei einem Experiment schaffte er es, kurzzeitig Kontakt zu seinem eigenen Körper auf Terra herzustellen. Er musste feststellen, dass dieser von einem fremden Androidengehirn beherrscht wird, das alles tut, um der Menschheit zu schaden.

In Naupaum gelingt es ihm nach abermaligem Körperwechsel, die Freundschaft des designierten Nachfolgers des Raytschas zu gewinnen, des Herrschers über das größte Sternenreich. Heltamosch ist bereit, ihm zu helfen, ohne zu ahnen, dass er sich damit selbst in große Gefahr begibt. Denn er weiß nichts vom ERBE DER YULOCS ...

1.

 

September 3457

Naupaum

 

 

Der Tschatro von Yaanzar trat aus der Antigravröhre und schob den Impulsschlüssel in die Öffnung des Tores, das ihm den Eintritt zu der nach ihm benannten Bank verwehrte. Im Vorraum der Tschatro-Bank war es ungewöhnlich kühl. Das Regierungsoberhaupt von Yaanzar empfand diese Temperatur als angenehm, denn den ganzen Tag über hatte eine Dunstglocke über Nopaloor gelegen, unter der die Luft sich allmählich erwärmt hatte.

Das Tor schwang lautlos zur Seite. Der Tschatro drehte sich zu seinem Begleiter um.

Der Mann war Eboyschan, einer von den zweihundertneunzehn Transplan-Regulatoren, die die Regierung dieses Planeten bildeten. Der Tschatro konnte jedem Mitglied seiner Regierung die Erlaubnis erteilen, die Tschatro-Bank zu betreten, aber er bezweifelte, dass einer der Transplan-Regulatoren dies als Vorzug betrachtete.

Niemand kam gern hierher. Der Tschatro hatte dafür Verständnis. In der Tschatro-Bank befanden sich ausschließlich Ceynach-Gehirne. Es waren jene Gehirne, die das GOK hatte befreien können. Alle diese Gehirne waren in gewisser Weise gefährlich.

Den Tschatro beschlich jedes Mal ein eigenartiges Gefühl, wenn er diesen großen Raum betrat. Er glaubte zu spüren, dass ihm von diesen Gehirnen eine Welle abgrundtiefen Hasses entgegenschlug. In seiner Phantasie malte er sich manchmal aus, wie sie einen Weg finden könnten, ihn anzugreifen und zu vernichten. Diese Gedankengänge waren natürlich absurd, aber sie kehrten regelmäßig wieder.

»Ich bin nicht sicher, ob wir Noc oder Torytrae für diese Aufgabe einsetzen«, sagte er zu Eboyschan. »Beide garantieren den Erfolg, aber in der Handhabung ihrer Fähigkeiten unterscheiden sie sich sehr.«

Eboyschan starrte durch die offene Tür in die Tschatro-Bank. Auf Regalen und Sockeln standen die Behälter mit den Ceynach-Gehirnen.

Der Tschatro machte eine einladende Geste. »Sie sind erst zum zweiten Mal hier«, stellte er fest. »Es kostet immer eine gewisse Überwindung, diese Bank zu betreten. Vielleicht wundern Sie sich, dass ich Sie als Begleiter gewählt habe.«

Eboyschan schüttelte den Kopf. Er war ein kleiner Yaanztroner mit einem etwas länglich geformten Schädel. Er machte stets einen angespannten Eindruck.

Eboyschan gehörte zu den jüngeren Regierungsmitgliedern und hatte noch keine Gehirntransplantation hinter sich. Er hatte sich in den letzten Jahren vor allem durch die Bewältigung sozialer Aufgaben hervorgetan. In den vergangenen Monaten jedoch hatte seine geradezu unheimliche Erfolgsserie einen Stillstand erfahren.

Eboyschan beschäftigte sich mit der zunehmenden Kriminalität auf Yaanzar. Er arbeitete an einem Plan, wie man die Tätigkeit der Organdiebe eindämmen konnte, ohne die offiziellen Polizeiorgane häufiger und härter einsetzen zu müssen. Zu diesem Zweck beschäftigte Eboyschan sich in seiner Freizeit mit Massenpsychologie und Gruppenverhalten. Der Transplan-Regulator glaubte, dass zwischen der Bevölkerungsexplosion auf Yaanzar und allen anderen zivilisierten Welten von Naupaum ein unmittelbarer Zusammenhang bestand.

»Sie arbeiten viel«, sagte der Tschatro anerkennend. »Ich habe Sie beobachtet. Sie tun es weder aus Machtbesessenheit noch aus Ehrgeiz. Sie haben wirkliches Interesse an den Problemen, mit denen Sie sich auseinandersetzen.«

»Ich weiß nicht, ob ich dieses Lob verdient habe«, gab Eboyschan bescheiden zurück.

»Ich nehme an, dass Sie sich für jeden Aspekt der Kriminalität interessieren«, fuhr der Regierungschef fort. »Es sieht so aus, als könnten Sie jetzt die Aufklärung eines Ceynach-Verbrechens beobachten.«

Sie standen noch immer im Eingang zur Tschatro-Bank, beide einig in ihrem Zögern, diesen unheimlichen Raum zu betreten.

Der Tschatro war es schließlich, der diesen Bann brach. »Kommen Sie!«, forderte er seinen Begleiter auf. »Wir wollen keine Zeit verlieren.«

Sie bewegten sich zwischen den Regalen und Sockeln bis zum Hintergrund des Raumes, wo sich eine zweite Tür befand.

»Handeln wir nicht nur aufgrund einer Vermutung?«, gab Eboyschan zu bedenken. »Ich bin vielleicht zu konservativ, aber ich meine, dass wir den Jäger nur wecken sollten, wenn ein besonderer Anlass dazu besteht.«

Der Tschatro konnte ein Lächeln kaum unterdrücken. Er hatte gewusst, dass dieser Einwand kommen würde. Manchmal langweilten ihn seine Mitarbeiter, auch wenn sie klug und fleißig waren wie Eboyschan, denn sie waren zu leicht zu durchschauen.

»Ich beziehe meine Informationen direkt vom Geheimen Organkommando«, sagte er. »In diesem besonderen Fall sind die Informationen lückenhaft. Das ist es, was mich stört.«

»Warum lassen Sie Doynschto nicht verhaften und verhören, wenn Sie glauben, dass er in die Sache verwickelt ist?«

Die Naivität des Transplan-Regulators überraschte den Tschatro.

»Ein Skandal würde die Glaubwürdigkeit der Regierung erschüttern – und die Verhaftung eines so prominenten Bürgers wäre zweifellos ein Skandal.«

»Aber es steht doch fest, dass Doynschto Verbindungen zu diesem Hactschyten gepflegt hat.«

Der Tschatro nickte nachdenklich. Im Grunde genommen war die Kritik Eboyschans nicht unberechtigt. Das GOK hatte einen Bericht über die Vorfälle in Doynschtos Klinik geliefert. Aus diesem Bericht ging hervor, dass das rätselhafte Ceynach-Gehirn getötet worden war. Das GOK täuschte sich selten, aber in diesem Fall waren die Polizisten offensichtlich überfordert.

Der Tschatro hatte den Bericht auswerten lassen und war dabei zu dem Schluss gekommen, dass es sich um eine Fehlleistung handelte. Der Hang zur positiven Selbstdarstellung beim GOK war im Laufe der Zeit übermäßig groß geworden.

»Wen soll der Jäger verfolgen?«, drängte Eboyschan. »Doynschto oder Hactschyten? Oder ein anderes Wesen?«

»Den Ceynach!«, stieß der Tschatro impulsiv hervor. Im selben Augenblick ärgerte er sich über seine voreilige Äußerung. Als Regierungschef musste er seine Worte genau abwägen. Er durfte seine misstrauischen Gedanken nicht zu offiziellen Parolen machen, denn daraus würde sich in jedem Fall Vertrauensverlust entwickeln.

»Den fremden Ceynach, der sich Danro nannte?« Eboyschan sah seinen Begleiter ungläubig an. »Aber das GOK sagte doch in seinem Bericht aus, dass dieses Gehirn nicht mehr existiert.«

»Ich bin nicht so sicher«, meinte der Tschatro. »Ich will endlich Gewissheit haben. Dieser Fall beschäftigt mich mehr als alles andere. Er ist mir nicht transparent genug. Es gibt zu viele Widersprüche.«

»Das sagt Ihnen Ihr Gefühl!«

»Ja«, gab der Tschatro zu.

Er ärgerte sich, dass er nicht allein hierhergekommen war. Das hätte ihm diese immer peinlicher werdende Unterhaltung erspart. Aber jetzt konnte er Eboyschan nicht einfach zurückschicken, das wäre einer Beleidigung gleichgekommen.

Er konnte sehen, dass Eboyschan mit sich kämpfte. Schließlich siegte der Respekt vor dem Regierungschef. Eboyschan erhob keine weiteren Einwände.

»Ich öffne jetzt das hintere Tor«, sagte der Tschatro, um die beiderseitige Verlegenheit zu überspielen. »Bei Ihrem ersten Besuch haben Sie Noc und Torytrae nicht gesehen?«

»Nein«, sagte Eboyschan.

Der Tschatro öffnete die Tür. Die beiden Männer blickten in einen quadratischen Raum, der von unsichtbaren Leuchtkörpern erhellt wurde. Inmitten des Raumes befand sich ein Metallpodest, auf dem zwei transparente Behälter standen. In jedem dieser Behälter schwamm ein großes hellgraues Gehirn.

»Diese Behälter sind doppelt so groß wie die normalen«, klang Eboyschans Stimme durch die Stille.

Der Tschatro zog die Tür hinter sich zu. »Das sind sie!«, sagte er beinahe ehrfürchtig. »Noc und Torytrae.«

»Sie schlafen«, stellte Eboyschan fest. Es war ihm anzumerken, dass er über diese Tatsache erleichtert war. »Wann befand sich einer der beiden zum letzten Mal im Einsatz?«

»Vor zweieinhalb Jahren. Damals brauchte Noc genau sieben Tage, um den Spumur-Ceynach zu stellen.«

»Und zu töten!«, fügte Eboyschan bedeutungsvoll hinzu.

»Und zu töten!«, bestätigte der Tschatro.

»Wie alt sind sie?«, fragte Eboyschan unbehaglich.

»Das weiß niemand genau«, gab der Tschatro zurück. »Ihre Gehirne sind die einzigen uns bekannten, die nicht absterben. Ihre Lebenszeit ist offenbar unbegrenzt.«

Er rief sich ins Gedächtnis zurück, was sie überhaupt von Noc und Torytrae wussten. Diese beiden Gehirne waren die letzten Überlebenden des wahrscheinlich ältesten Kulturvolks der Galaxis Naupaum.

Niemand wusste genau, vor wieviel hunderttausend Jahren die Yulocs praktisch ausgestorben waren. Vor langer Zeit hatten die Yulocs die Galaxis Naupaum beherrscht. In zahllosen Kriegen hatten sie alle anderen Völker Naupaums unterworfen. Niemand konnte der überragenden Technik und der Wissenschaft der Yulocs widerstehen.

Der Tschatro nahm an, dass zu irgendeinem Zeitpunkt dann eine Art geistige Überreife eingetreten war. Es gab mehrere Theorien über das Ende der Yulocs, aber die Wahrheit kannte niemand genau. Irgendwann in der Vergangenheit hatten die Yulocs ihr Imperium aufgegeben und sich hochgeistigen Meditationen gewidmet. Sie entwickelten eine eigene Philosophie, die nur von ihnen selbst verstanden werden konnte. In weiteren Eroberungsfeldzügen und in der Ausweitung ihrer Macht sahen sie keinen Sinn mehr. Nahezu schlagartig gaben sie alles auf, was sie geschaffen hatten. Die Yulocs wurden friedfertig und belästigten niemand mehr. Nach einer weiteren glanzvollen Epoche völliger geistiger Entfaltung begannen die Yulocs auf die Zeugung von Nachwuchs zu verzichten und nahmen auch keine Gehirntransplantationen mehr vor. Sie begannen auszusterben.

Noc und Torytrae waren die beiden letzten Yulocs, fremdartige Fossile, zu denen kein Yaanztroner eine Beziehung fand.

Selbst ich nicht!, dachte der Tschatro. Für ihn, der am häufigsten Kontakt zu ihnen hatte, waren sie Fremde geblieben.

»Sie sind sehr nachdenklich!«, stellte Eboyschan fest.

»Ich habe an die Vergangenheit der Yulocs gedacht«, stimmte der alte Mann zu. »Manchmal frage ich mich, warum Noc und Torytrae noch am Leben sind. Was unterscheidet sie von den anderen Angehörigen ihres Volkes?«

»Bei allen Arten gibt es Ausnahmen«, meinte Eboyschan.

»Entscheidend ist, dass diese beiden niemals eine Gehirntransplantation verweigert haben«, sagte der Tschatro. »Deshalb leben sie noch.«

Eboyschan trat vor die beiden Behälter. »Das also ist das berühmte Ceynach-Suchkommando!« Er brachte ein Lächeln zustande. »Bevor Sie mich einweihten, habe ich mir etwas anderes darunter vorgestellt.«

Der Tschatro gab das Lächeln zurück. »Die Tschatro-Bank wurde schon von fast allen Transplan-Regulatoren besucht. Aber das Geheimnis des Ceynach-Suchkommandos kennen außer mir nur sieben Regierungsmitglieder.«

»In Naupaum kursieren die wildesten Gerüchte über dieses Kommando!«

»Das kann ich mir denken. Diese beiden Yuloc-Gehirne haben mit ihren erfolgreichen Einsätzen dafür gesorgt, dass man hinter dem Ceynach-Suchkommando eine galaxisumspannende Geheimorganisation vermutet. Das kann uns nur recht sein, denn es erleichtert die Arbeit der beiden, wenn wir sie einsetzen.«

Eboyschan strich sich über beide Ohren. »Warum haben sie sich uns zur Verfügung gestellt?«

»Ich habe sie nie danach gefragt, und ich werde es auch nicht tun«, antwortete der Ältere. »Solange sie in ihren Behältern liegen, schlafen und meditieren sie. Doch ein bisschen Abwechslung ab und zu scheint ihnen Spaß zu machen. Vielleicht haben sie sich deshalb zur Verfügung gestellt. Es ist möglich, dass die Jagd auf Ceynach-Gehirne ihre letzte Verbindung zur Realität ist.«

»Wen werden Sie wecken?«, fragte Eboyschan.

»Torytrae ist an der Reihe, obwohl er auch erst vor drei Jahren aktiv war. Aber ich frage mich, ob ich für diesen Fall nicht noch einmal Noc einsetzen soll.«

»Sind Sie denn in der Lage, diese beiden Yulocs in ihren Gewohnheiten und Fähigkeiten zu unterscheiden?« Eboyschan konnte den spöttischen Unterton nicht völlig aus seiner Stimme verbannen. »Beide müssen doch so fremdartig für Sie sein, dass das völlig unmöglich ist.«

»Es gibt gewisse Unterschiede, die auch ich erkennen kann«, sagte der Tschatro. »Ich glaube, dass Noc der Impulsivere von beiden ist. Torytrae entspricht in seiner Mentalität am ehesten seinen längst ausgestorbenen Artgenossen. Er denkt über jeden seiner Schritte nach. Er ist deshalb nicht weniger erfolgreich als Noc, aber er braucht manchmal ein bisschen länger, um einen Fall zu lösen.«

Eboyschan ging um die beiden Behälter herum. Er war jetzt völlig der Faszination erlegen, die von den beiden Yuloc-Gehirnen ausging.

»Welche Fähigkeiten besitzen sie eigentlich?«, fragte er den Regierungschef.

»Ich kenne nicht alle«, gestand der Tschatro. »Die Tuuhrts, wie sie offiziell heißen, sind in erster Linie Abstrakt-Rekonstrukteure, Fremdplanungsdeuter und Hyperlogik-Seher. Im einzelnen bedeutet das, dass sie in der Lage sind, kriminalistische, wirtschaftliche und auch strategisch-militärische Vorgänge exakt zu rekonstruieren. Außerdem können sie aus winzigen Spuren und aus für uns unsichtbaren Hinweisen den Planungsvorgang anderer Wesen vorausberechnen. Damit nicht genug, sind die beiden Jäger in der Lage, die Gedankengänge anderer Wesen logisch zu erfassen.«

Der Tschatro näherte sich dem Behälter mit Torytraes Gehirn. »Torytrae zum Beispiel arbeitet jetzt seit neunhundertsiebenunddreißig Jahren für die Regierung. Er hat in allen Einsätzen bestanden. Das gilt auch für Noc. Bisher haben die beiden Yulocs alle Aufgaben gelöst, die man ihnen gestellt hat.«

»Das hört sich geradezu unheimlich an.«

»Sie haben Furcht?«, lächelte der Tschatro.

»Ich vermute, dass wir eines Tages einen hohen Preis dafür bezahlen müssen, dass wir uns die Fähigkeiten dieser Überwesen zunutze gemacht haben.«

Der Tschatro sagte schroff: »Sie täuschen sich.«

Eboyschan erkannte, dass der Ältere die Diskussion als abgeschlossen ansah.

Der Tschatro machte sich an den Kontrollanlagen von Torytraes Behälter zu schaffen.

Schließlich richtete er sich auf. »Er ist jetzt wach. Wir können mit ihm sprechen.«

Der Transplan-Regulator starrte wie gebannt auf den Behälter. Er hatte das unbehagliche Gefühl, dass er diesem Yuloc-Gehirn nichts verheimlichen konnte.

»Tschatro!«, sagte die mechanische Stimme, die zu den Anlagen des Behälters gehörte und mit den gebündelten Nervenenden des Gehirns gekoppelt war. »Sie haben schon wieder Arbeit für mich?«

Eboyschan rief sich gewaltsam ins Gedächtnis zurück, dass er eine fein modulierte Robotstimme hörte. Trotzdem konnte er sich nicht des Eindrucks erwehren, dass diese Stimme suggestiv klang.

»Ja, es gibt Arbeit«, sagte der Tschatro gelassen.

»Berichten Sie!«, forderte ihn der Yuloc auf.

Die Unkompliziertheit dieses Gesprächs ernüchterte Eboyschan. Er wusste nicht genau, was er erwartet hatte, aber seiner Ansicht nach entbehrte dieser Vorgang jeder Würde. Der Tschatro und der Yuloc wirkten wie zwei Geschäftsleute, die einen Handel abschlossen. Eboyschan war enttäuscht.

Der Tschatro berichtete, was sich in der Klinik Doynschtos zugetragen hatte. Danach teilte er dem Tuuhrt mit, was er über dieses Ceynach-Gehirn wusste.

»Im allgemeinen pflegt das GOK sich nicht zu täuschen«, sagte der Yuloc.

»Trotzdem bin ich misstrauisch«, meinte der Tschatro. »Dieses fremde Ceynach-Gehirn hat sich bis zu diesem Augenblick so raffiniert verhalten, dass ich nicht an seinen Tod glauben kann.«

»Aber das GOK berichtete von seinem Tod.«

»Finden Sie heraus, ob das GOK sich getäuscht hat!«

»Bisher haben das GOK und das Ceynach-Suchkommando gut zusammengearbeitet«, erinnerte Torytrae. »Wenn ich jetzt einen Fall übernehme, den das GOK für abgeschlossen hält, könnte das Verhältnis zwischen beiden Organisationen belastet werden.«

»Ich werde als Vermittler auftreten«, bot der Tschatro an und fügte dann mit einem Anflug von Verärgerung hinzu: »Außerdem bin noch immer ich der Chef beider Organisationen!«

Torytrae lachte leise.

»Ich kann Sie natürlich nicht zwingen«, sagte der Tschatro.

»Alles, was Sie mir über dieses Ceynach-Gehirn erzählt haben, interessiert mich«, sagte Torytrae. »Ich bedaure fast, dass es bereits getötet wurde. Ich hätte mich gern mit ihm beschäftigt.«

Der Tschatro atmete schwer. »Vielleicht lebt es noch!«

»Ich vertraue dem GOK«, meinte Torytrae. »Aber ich habe jetzt lange Zeit untätig in meinem Behälter gelegen und nachgedacht.«

Der Tschatro atmete unmerklich auf. »Sie können einen Körper wählen!«

Torytrae zögerte keine Sekunde. »Einen yaanztronischen«, sagte er.

 

Die Verpflanzung wurde in einer Klinik der Regierung vorgenommen.

Die Paratransplantatoren wussten nicht, dass sie ein ungewöhnliches Gehirn verpflanzten, wenn sie sich bestimmt auch ihre Gedanken über die doppelte Größe des Behälters machten. Sie stellten jedoch keine Fragen. Außerdem waren sie an eine Schweigepflicht gebunden, so dass die Gefahr, dass Gerüchte an die Öffentlichkeit dringen konnten, mehr als gering war.

Innerhalb der Tschatro-Bank lag der konservierte Körper eines tödlich verunglückten Yaanztroners. Sein Name war Vrotesch. Vroteschs Gehirn war entfernt worden, die Schädelhülle des konservierten Körpers war leer. Die Transplantation wurde nach dem System der Pararegulären-Gleichheits-Transplantation durchgeführt.

Wenig später empfing der Tschatro in seinem Regierungsbüro einen gebeugt gehenden älteren Yaanztroner namens Vrotesch.

Die Augen des Regierungschefs verengten sich. »Alles in Ordnung, Torytrae?«

»Vrotesch!«, verbesserte der Tuuhrt. »Sie sollten sich daran gewöhnen. Das erspart uns unnötige Komplikationen.«

Der Tschatro deutete auf ein paar Utensilien auf dem Tisch. »Ihre ID-Plakette und alle wichtigen Unterlagen. Vrotesch war ein unbedeutender Organhändler ohne viele Freunde. Es wird Ihnen nicht schwerfallen, diese Rolle zu übernehmen.«

»Hm!«, machte der Jäger. »Das ist nicht meine eigentliche Aufgabe.«

Der Tschatro lehnte sich in seinem Sitz zurück. Die Spuren harter Arbeit waren in seinem Gesicht deutlich erkennbar. Als Tschatro von Yaanzar musste man sich immer wieder neu bewähren.

»Es kann sein, dass mein Misstrauen unbegründet ist«, gab der Tschatro zu. »Jeder kann sich einmal täuschen. Es liegt dann in Ihrem Ermessen, ob Sie die Sache aufgeben oder das GOK informieren.«

»Ich mache mir über Politik keine Gedanken«, sagte Torytrae. »Politiker interessieren mich nur, wenn sie in einen Fall verwickelt sind, den ich bearbeiten muss. Ich werde Ihnen in absehbarer Zeit mitteilen, ob es eine Spur gibt.«

Der Tschatro nickte.

»Sie kennen Ihre Vollmachten, Vrotesch. Es könnte der Fall eintreten, dass ich sie erweitern muss. Vorläufig jedoch haben Sie nur auf Yaanzar zu tun.«

Mit beiden Händen raffte Torytrae die auf dem Tisch liegenden Dinge zusammen und schob sie in die Taschen seines Umhangs. Nur die ID-Marke befestigte er auf der Brust.

»Ich fange jetzt an«, sagte er gleichmütig.

Damit war die Jagd auf ein Gehirn eröffnet, von dem weder der Tschatro noch der Jäger wussten, ob es überhaupt noch am Leben war: auf das Gehirn Perry Rhodans.

 

Die Schnelligkeit, mit der sich die Umwelt auf Yaanzar in der relativ kurzen Zeit zwischen jedem Einsatz veränderte, irritierte Torytrae. Sein eigenes Volk hatte in den letzten Jahren seiner Existenz jede Hektik abgelegt und von Veränderungen abgesehen.

Torytrae landete den Gleiter auf dem freien Platz vor dem Markt der Gehirne. An offenen Tagen wie diesem hatten auch kleinere Händler Zutritt. Wollte Torytrae seiner Maske gerecht werden, musste er seine Suche an einem solchen Tag beginnen.

Der Yuloc überblickte das Gewimmel verschiedenartiger Wesen vor und in den großen Hallen des Marktes. Sogar der Park war überfüllt.

Jedes Mal, wenn er auf solche Ansammlungen intelligenter Wesen stieß, empfand der Yuloc seine Einsamkeit als besonders schmerzlich. Er war nie besonders gesellig gewesen, aber er wusste, dass seine Mentalität und sein Intellekt ihn zum Außenseiter stempelten. Darüber konnte auch sein yaanztronischer Körper nicht hinwegtäuschen.

Er dachte an den Tschatro. Wusste der Regierungschef überhaupt, warum Torytrae yaanztronische Körper bei seinen Einsätzen bevorzugte? Es war eine vom Gefühl der Einsamkeit geprägte Entscheidung, ein Selbstbetrug, der der unterschwelligen Hoffnung entsprang, dass man nur Aussehen und Angewohnheiten der Mehrheit anzunehmen brauchte, um von ihr als Mitglied anerkannt zu werden. Torytrae kannte diese und alle anderen seiner kleinen Schwächen.

Langsam überquerte er den freien Platz vor der Halle. Durch die Säulen konnte er die Regalreihen mit den Gehirnbehältern sehen. Dort war das Ceynach-Gehirn angeblich zuerst aufgetaucht.

Der sichtbare Anfang, überlegte Torytrae, war nicht immer der eigentliche Anfang eines Ereignisses. Es war durchaus möglich, dass er die Spur noch weiter zurückverfolgen musste. Für den Tschatro war der Markt der Gehirne der Beginn dieser Geschichte, für den Tuuhrt war er nur ein Ansatzpunkt.

Ungeduld und Eile waren dem Jäger unbekannt; er plante jeden seiner Schritte sorgfältig und forschte immer erst dann weiter, wenn er sicher sein konnte, dass seine bisherigen Ermittlungen keine Fehler enthielten.

Er befand sich auf der Suche nach einem ungewöhnlichen Gehirn. Der Tschatro hielt es für gefährlich und hatte seine Tötung verlangt – sofern es überhaupt noch am Leben war.

Torytrae kannte keine Skrupel. Er hatte bei den verschiedensten Einsätzen schon viele Ceynach-Gehirne gestellt und getötet.

Torytrae wurde von Passanten angestoßen. Er bemerkte es kaum.

Ein paar Yaanztroner mit Gehirnbehältern kamen vorbei. An offenen Tagen wurden die höchsten Umsätze erzielt. Die großen Händler versuchten über Lautsprecher, das Interesse der Kauflustigen an ihren Angeboten zu wecken.

Torytrae ließ sich von der Menge zwischen zwei Regalreihen schieben. Er nahm die Atmosphäre des Marktes in sich auf, um sich wieder daran zu gewöhnen. Erst wenn er diese Umgebung als normal akzeptierte, konnte er mit der Arbeit beginnen. Bei seinen Ermittlungen durfte er sich durch nichts ablenken lassen.

Torytrae bewegte sich eine Reihe hinauf und auf der anderen Seite wieder zurück; seine Blicke wanderten über Käufer, Händler und Gehirne. Schließlich erreichte er die Stelle, wo nach den Aussagen des Tschatros das Ceynach-Gehirn verkauft worden war.

Irgendwo dort oben auf dem Regal hatte der Behälter gestanden. Es gab keine Lücke in der Behälterreihe, denn für jedes verkaufte Gehirn wurde nach kurzer Zeit ein anderes ausgestellt. Torytrae sah, dass hier fast ausschließlich Bordingehirne angeboten wurden.

Ein yaanztronischer Händler trat auf ihn zu. »Sie haben Interesse an den Bordins?«

»Das kommt darauf an«, wich der Yuloc aus. Er musste sich jetzt wie ein schäbiger Organhändler verhalten, dessen finanzielle Mittel nicht für den Kauf eines überdurchschnittlichen Gehirns ausreichten. Er lächelte dem Händler vertraulich zu. »Vielleicht haben Sie ein gutes Angebot?«

»Ich habe mehrere preiswerte Gehirne zu verkaufen.« Das Interesse des Händlers ließ merklich nach, er sah sich bereits nach anderen Kunden um, mit denen er bessere Geschäfte machen konnte.

Torytrae ließ sich dadurch nicht beeindrucken. »Vielleicht haben Sie ein Gehirn anzubieten, das sich schlecht verkaufen lässt und deshalb schon lange Zeit in Ihrem Angebot vertreten ist?«

»Würden Sie ein solches Gehirn kaufen?«

»Ja«, sagte Torytrae. »Ich glaube, dass ich auch mit einem solchen Gehirn zufrieden sein könnte.«

»In jedem Fall«, versicherte der Händler überlegen. Er behandelte den Kunden mit einer Mischung aus Mitleid und Verachtung. Er schaltete seinen Antigravprojektor ein und schwebte am Regal hinauf. Wenig später kehrte er mit einem Behälter zurück.

»Ein Bordingehirn«, sagte er. »Es heißt Yelloc. Es ist nicht besonders intelligent.«

Torytrae begann mit dem Händler um den Preis zu feilschen, obwohl ihm völlig gleichgültig war, was dieses Gehirn kostete. Es kam ihm nur darauf an, ein Gehirn zu bekommen, das schon im Markt der Gehirne gestanden hatte, als der Ceynach aufgetaucht war.

Torytrae und der Händler schlossen einen Vertrag ab. Danach konnte der Yuloc das Gehirn mitnehmen.

Auch jetzt, da er sein erstes Ziel erreicht hatte, entwickelte Torytrae keine besondere Eile. Er trug den Behälter zu seinem Fluggleiter. Schon jetzt hätte er mit Yelloc sprechen können, doch damit wollte er warten, bis er seine Unterkunft erreicht hatte. Um seine Rolle möglichst echt zu spielen, hatte Torytrae Vroteschs Haus im Stadtzentrum bezogen. Es handelte sich um ein kleines, uraltes Gebäude, dessen Innenräume vor Schmutz starrten. Torytrae war es gleichgültig.

Er brauchte im Augenblick noch keine Geräte zur Bearbeitung dieses Falles. Die Einrichtung, die Vrotesch zusammengetragen hatte, genügte ihm völlig.

Der Jäger parkte den Gleiter auf einem öffentlichen Platz in der Nähe seines Hauses. Dann trug er den Behälter in die Wohnung und stellte ihn auf einen Tisch.

Er zog einen bequemen Sitz zu sich heran und ließ sich darauf nieder. Einige Zeit beschränkte er sich darauf, das Gehirn im Behälter anzusehen. Er wusste, dass die Sehmechanismen des Behälters dem Gehirn gestatteten, ihn ebenfalls zu sehen.

Wie Torytrae erwartet hatte, wurde das Gehirn nach einiger Zeit unsicher. »Ich bin Yelloc«, sagte es scheu und unterwürfig. »Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie mich gekauft haben.«

»Dazu besteht kein Grund«, versetzte der Tuuhrt leidenschaftslos.

»Wollen Sie ... wollen Sie mich in Ihrem Körper aufnehmen?«, fragte das Gehirn zögernd.

Torytrae konnte diese Frage verstehen. Dieses Bordingehirn hatte so lange auf dem Regal im Markt der Gehirne gestanden, dass es bereits völlig verzweifelt war. Wahrscheinlich hatte es schon nicht mehr damit gerechnet, eines Tages einen Käufer zu finden.

»Ich will dir ein paar Fragen stellen«, antwortete Torytrae.

»Ich werde Ihnen alles sagen, was Sie von mir wissen möchten.«

»Es geht nicht um dich«, sagte Torytrae. »Ich möchte nur, dass du dich an ein Gehirn erinnerst, das in deiner Nachbarschaft stand. Es nannte sich Danro und kam angeblich aus einer Galaxis, die es Moolk nannte. Ich nehme an, dass es sich um einen Ceynach handelte.«

»Ja«, sagte Yelloc, »daran erinnere ich mich.«

»Gut«, sagte der Jäger. »Ich möchte, dass du mir alles erzählst, was du von diesem Gehirn weißt. Du musst dich an Gespräche erinnern, die ihr mit diesem Gehirn geführt habt. Das ist wichtig. Auch Dinge, die dir vielleicht unbedeutend sind, können wichtig sein.«

»Ich will es versuchen«, gab Yelloc bereitwillig zurück.

Das Gehirn berichtete. Der Tuuhrt hörte aufmerksam zu. Er unterbrach Yelloc nicht, auch dann nicht, wenn dessen Bericht unlogisch erschien. Torytrae machte sich sein eigenes Bild von den Ereignissen. Die Aussagen genügten.

Während er zuhörte, ging in Torytrae eine Wandlung vor. Wenn Yelloc nicht log, hatte das Ceynach-Gehirn bereits unmittelbar nach seiner Ankunft mit einem raffinierten Spiel begonnen. Es hatte in die Gespräche mit den Bordingehirnen abstrakte Informationen eingestreut, um auf sich aufmerksam zu machen. Das konnte nur bedeuten, dass es sich zum Ziel gesetzt hatte, so schnell wie möglich vom Markt der Gehirne zu verschwinden.

Kein Wunder, dass Doynschto der Sanfte schließlich erschienen war, um dieses ungewöhnliche Gehirn zu erwerben.

Torytrae stand auf. »Das war alles, was ich wissen wollte«, sagte er.

Er trat an den Behälter und brach den gesamten Überlebensmechanismus gewaltsam ab. Das Bordingehirn starb innerhalb weniger Augenblicke.

Der Jäger vergrub den Behälter mit dem Gehirn in den Kellerräumen des Hauses und begab sich dann zu einer öffentlichen Sprechstelle, um Verbindung zu dem Tschatro aufzunehmen. Er berichtete dem Regierungschef, was vorgefallen war.

»Sie brauchen nicht ständig anzurufen«, sagte der Tschatro ärgerlich. »Das kann dazu führen, dass Sie abgehört werden.«

Der falsche Vrotesch lächelte. »Ich bin jetzt sicher, dass es sich bei dem fremden Gehirn um einen Ceynach handelt.«

»So!«, sagte der Tschatro. »Das wusste ich bereits.«

»Ich war nicht sicher«, gab Torytrae ohne jede Gefühlsregung zurück. »Es kam für mich darauf an, mich davon zu überzeugen. Jetzt muss ich mich um diesen Doynschto kümmern.«

Der Tschatro hielt einen Augenblick den Atem an. »Doynschto der Sanfte ist eine wichtige Persönlichkeit. Sie dürfen ihn nicht einfach eliminieren wie dieses Bordingehirn, das Sie gekauft haben.«

»Ich kenne meine Grenzen.« Torytrae brach das Gespräch ab, weil es uninteressant für ihn geworden war.

Die geheimen Ängste des Tschatros amüsierten ihn. Sosehr der Regierungschef die beiden Jäger brauchte, so sehr fürchtete er, dass sie eines Tages selbständige Aktionen ohne Rücksicht auf die Regierung durchführen könnten. Der Tschatro schien sich der Widersprüchlichkeit seiner Überlegungen überhaupt nicht bewusst zu sein; auch darin unterschied er sich nicht von anderen intelligenten Wesen der Galaxis Naupaum.

Torytrae dachte an Noc, den einzigen außer ihm noch lebenden Yuloc. Warum gingen sie eigentlich nie gemeinsam auf Jagd? Der Tschatro hätte bestimmt nichts dagegen einzuwenden gehabt. Die beiden Yulocs vermieden den Kontakt untereinander.

Torytrae unterbrach diese Gedanken und konzentrierte seine Aufmerksamkeit wieder auf seine Aufgabe.

Er hatte es mit einem ungewöhnlichen Ceynach-Gehirn zu tun, und er hoffte, dass es noch am Leben war. Je interessanter und widerstandsfähiger ein Gegner war, desto reizvoller war seine Vernichtung. Der Jäger war weder ein besonders bösartiges noch ein unmoralisches Wesen. Er handelte entsprechend seiner Mentalität, die den anderen Intelligenzen dieser Galaxis unverständlich war.

Torytrae begab sich in ein anderes Gebiet der Stadt, wo er eines der großen Dampfbäder aufsuchte. Er kaufte sich eine Karte und betrat das kuppelförmige Bad. Inmitten der großen Kuppel war eine pyramidenförmige Terrasse angelegt worden. Dort strömte der heiße Dampf aus den Öffnungen im Boden. Yaanztroner und andere Wesen wälzten sich am Boden. Der Yuloc wusste, dass mit dieser Prozedur auch eine symbolische Reinigung verbunden war.

Er schlang ein Handtuch um seinen welken Körper und ging zu einer Trinkstelle.

Während er die trübe Flüssigkeit schlürfte, beobachtete er die Umgebung. Schließlich sah er abseits von der Terrasse einen Dampfwächter stehen. Diese Männer passten auf, dass kein Yaanztroner im Dampfrausch Selbstmord beging.

Torytrae verließ die Trinkstelle und begab sich zu dem Wächter. Er begrüßte ihn unterwürfig. »Ist Spercamon hier?«, fragte er.

Der Wächter musterte ihn misstrauisch und wies schließlich mit einer ausgestreckten Hand in Richtung des Aufenthaltsraums.

Torytrae bedankte sich. Vom Tschatro hatte er eine Liste erhalten, auf der alle wichtigen Mitarbeiter Doynschtos verzeichnet waren. Einer dieser Assistenten erschien dem Jäger besonders interessant. Spercamon war von Doynschto zu einem Strafaufenthalt in die Stadt geschickt worden.

Der Termin des Verbannungsbeginns hing mit dem Zeitpunkt zusammen, zu dem Doynschto mit der Jagd auf den mysteriösen Bordin Tecto begonnen hatte.

Für den Jäger war das ein wertvoller Hinweis. Er glaubte nicht, dass der Zusammenhang zufällig war.

Im Aufenthaltsraum ruhten sich ein paar Dutzend Lebewesen von den Strapazen des Dampfbads aus. Zwei Dampfwächter bewegten sich zwischen den Sitzen. Obwohl Torytrae Spercamon nie gesehen hatte, erkannte er ihn sofort. Der junge Yaanztroner vermittelte ein Bild der Niedergeschlagenheit.

Torytrae ging zu ihm. »Sie sind Spercamon!«, sagte er.

Der junge Mann sah ihn erstaunt an. »Wer sind Sie?«

»Vrotesch«, antwortete Torytrae. »Ich bin ein Organhändler und hätte mich gern mit Ihnen unterhalten.«

»Ich arbeite hier als Dampfwächter«, sagte Spercamon abweisend.

»Es geht um ein Gehirn«, sagte Vrotesch leise. »Um ein Ceynach-Gehirn.«

»Woher wissen Sie, dass ...« Spercamon biss sich auf die Unterlippe und unterbrach sich. Dann schaute er sich um, ob jemand zugehört hatte. Als er sah, dass niemand in der Nähe war, deutete er auf den Ausgang. »Warten Sie draußen, bis mein Dienst vorüber ist.«

Torytrae war zufrieden. Er holte seine Kleider und zog sich an. Die ganze Zeit über fragte er sich, warum Spercamon ausgerechnet hier arbeitete. Als Assistent hätte er doch auch an einer Transplantationsklinik angestellt werden können. Vielleicht schämte sich der junge Mann.

Der Jäger musste fast drei Stunden vor dem Eingang des Dampfbads warten, bis Spercamon endlich erschien.

»Sie sind tatsächlich noch hier!«, rief Spercamon erstaunt. »Die Sache muss ja ungeheuer wichtig sein.«

Sie suchten gemeinsam einen Treffpunkt auf. Es gab Hunderttausende davon in Nopaloor. Es handelte sich dabei um kleine Gebäude, in denen sich die Bürger der Stadt zwanglos treffen und unterhalten konnten. In jedem Treffpunkt gab es auch abschließbare Kabinen, wo man ungestört sprechen konnte. Sie wurden in erster Linie von jungen Paaren benutzt.

Torytrae suchte eine leere Kabine und schloss sie von innen ab, als Spercamon und er Platz genommen hatten. Sie saßen sich an einem kleinen Tisch gegenüber. Im trüben Licht sah Torytrae die Spuren von Unzufriedenheit in Spercamons Gesicht. Die Wand hinter Spercamon war hellgelb; sie bildete einen merkwürdigen Kontrast zum Fell des jungen Mannes.

»Ich habe Sie niemals gesehen und noch nie von Ihnen gehört, Vrotesch«, sagte Spercamon ungeduldig.

Torytrae starrte auf seine Hände, die er auf der Tischplatte ausgebreitet hatte.

Hässliche Hände!, dachte er. Sein gesamter Körper war hässlich. Aber es gab keine yulocschen Körper mehr!

»Ich gehöre einer Organisation an, die sich mit dem Verkauf und Ankauf besonderer Gehirne beschäftigt«, sagte Torytrae.

Spercamon bewegte die Ohren. »Einer illegalen Organisation?«

»Ja«, sagte Torytrae.

Spercamon stand auf. »Damit will ich nichts zu tun haben.« Er öffnete den Verschluss der Tür und wollte die Kabine wieder verlassen.

»Uns ist ein Ceynach-Gehirn abhanden gekommen, das wir jetzt verzweifelt suchen«, sagte Torytrae sanft. »Doynschto und Sie haben es auf dem Markt der Gehirne erworben.«

Spercamons Bewegungen erstarben. Eine Zeitlang stand er wie erstarrt da, dann drehte er sich langsam um und drückte die Tür wieder zu. Er sank auf seinen Sitz zurück.

Torytrae beobachtete ihn mit einem Anflug von Belustigung. Es war unglaublich, wie leicht die Emotionen und Handlungen dieser Wesen manipuliert werden konnten.

»Was wissen Sie davon?«, stieß Doynschtos Assistent hervor.

»Nicht viel.« Torytraes Blicke ließen die Augen des jungen Mannes nicht los. »Unserer Organisation liegt viel daran, dieses Gehirn zurückzubekommen. Wir würden jeden Preis dafür zahlen. Jeden Preis.«

Spercamon stützte seinen Kopf in beide Hände.

»Das ist unmöglich!«

»Unmöglich? Wieso?«

»Weil es tot ist!«, brach es aus Spercamon hervor.

Die Enttäuschung lähmte Torytrae nur sekundenlang, dann besann er sich, dass die Aussage Spercamons genauso subjektiv sein konnte wie die der GOK-Beamten. Schließlich hatte Spercamon sich während der entscheidenden Zwischenfälle nicht mehr in der Transplantationsklinik des Sanften aufgehalten.

»Woher wissen Sie das?«

»Doynschto hat mich davon unterrichtet!«

Merkwürdig!, dachte Torytrae. Warum machte der berühmte Wissenschaftler sich die Mühe, einem verbannten Assistenten eine solche Nachricht zu übermitteln? Hatte Doynschto vorausgeahnt, dass irgend jemand Nachforschungen anstellen würde? Oder hatte es das Ceynach-Gehirn vorausgeahnt?

»Er hat Sie unterrichtet? Ist das nicht seltsam? Er schickt Sie in die Verbannung, dann gibt er Ihnen eine solche Nachricht bekannt.«

»Es ist eine Verbannung auf Zeit«, sagte Spercamon. »Ich werde bald in die Klinik zurückkehren. Seit Beginn meiner Strafe spreche ich regelmäßig mit Doynschto. Wir unterhalten uns über alles, was in der Klinik geschieht.«

»Wer hat diese Verbindung zum ersten Mal hergestellt?«

»Ich. Ich hatte Doynschto darum gebeten.«

Zum ersten Mal hatte Torytrae das Gefühl, ins Leere zu stoßen. Zweifellos sagte Spercamon die Wahrheit, zumindest sagte er aus, was er für die Wahrheit hielt.

»Ich muss alles über dieses Ceynach-Gehirn wissen, auch wenn es tot ist«, sagte der falsche Vrotesch.

Spercamon blickte ihn an, als sehe er ihn zum ersten Mal. »Ich kann nicht darüber sprechen.«

Torytrae schoss unter dem Tisch eine präparierte Nadel in Spercamons Körper. Der junge Mann empfand es nur wie einen kaum spürbaren Stich. Er bewegte nur die Beine, das war seine einzige Reaktion. Torytrae wartete, bis sich die Augen Spercamons vergrößerten, das sicherste Zeichen, dass die mit der Nadel in Spercamons Körper gelangten Stoffe bereits ihre Wirkung taten.

»Natürlich werden Sie mit mir darüber sprechen«, sagte der Jäger.

»Ja«, sagte Spercamon schläfrig.

»Warum hat Doynschto Sie in die Verbannung geschickt?«

»Ich habe es entkommen lassen«, sagte Spercamon. Auch jetzt noch war diese Tat das beherrschende Ereignis in Zusammenhang mit dem Auftauchen des fremden Gehirns.

Torytrae schwieg. Er erhielt einen umfassenden Bericht von Spercamon. Nach der Flucht Danros war der Assistent offensichtlich nicht mehr über alles informiert worden, denn seine Erzählung wies große Lücken auf. Viel hatte er sich offenbar selbst zusammengereimt.

»Vergessen Sie, dass wir über dieses Thema gesprochen haben«, sagte Torytrae. Er ließ den Yaanztroner sitzen und verließ den Treffpunkt. In ein paar Stunden würde Spercamons Wachbewusstsein wieder funktionieren, aber er würde sich nicht mehr an Einzelheiten dieses Gesprächs erinnern können.

Torytrae blieb mitten auf der Straße stehen und dachte nach. Er wusste noch immer nicht mit Sicherheit, ob das Ceynach-Gehirn tatsächlich tot war.

Das Gespräch mit Spercamon hatte nur seine Vermutung bestätigt, dass es sich bei dem Ceynach um ein ungewöhnlich kluges und entschlusskräftiges Gehirn handelte.

Oder gehandelt hatte!, schloss Torytrae die größere Wahrscheinlichkeit in seine Gedanken ein. Wenn er mehr erfahren wollte, musste er mit Doynschto Kontakt aufnehmen.

2.

 

 

Seine eigene Klinik erschien Doynschto dem Sanften von Tag zu Tag mehr wie eine überdimensionale Falle, innerhalb der er sich zwar noch frei bewegen konnte, die aber längst zugeschnappt war. Dieses Gefühl wurde so stark, dass der Wissenschaftler allen Mitarbeitern und Bordindienern voller Misstrauen begegnete. Seine Laune verschlechterte sich spürbar, was schließlich dazu führte, dass sogar seine Vertrauten sich von ihm zurückzogen.

Doynschto verwünschte den Tag, an dem er das Ceynach-Gehirn auf dem Markt gekauft hatte. Es hatte ihm nur Schwierigkeiten und Ärger eingebracht. Sein größter Fehler jedoch war gewesen, sich mit diesem fremden Gehirn zu verbünden und ihm die Flucht von Yaanzar zu ermöglichen.

Doch es war zu spät für Selbstvorwürfe. Jetzt kam es darauf an, dass er jeden Verdacht von sich fernhielt. Das GOK hatte seine Ermittlungen offenbar abgeschlossen. Es war Doynschto gelungen, diese Organisation zu täuschen. Doch auch der Paratransplantator hatte schon von dem legendären Ceynach-Suchkommando gehört. Er wusste nicht, wer ihm angehörte und wann es eingriff, aber er musste in jedem Fall mit weiteren Nachforschungen rechnen.

Doynschto wusste, dass seine Popularität ihn weitgehend vor geheimen Aktionen schützte, aber er war nicht so naiv, das GOK oder andere von der Regierung gestützte Organisationen zu unterschätzen.

Er hatte sich dabei ausschließlich von seinen eigenen Moralvorstellungen leiten lassen. Der Fremde hatte ihn überzeugt.

Das Bewusstsein, eventuell einen schweren Fehler begangen zu haben, war schlimmer als alles andere. Die Furcht vor Nachforschungen des GOK und den Verdacht, mit Organräubern gemeinsame Sache zu machen, hätte er noch auf sich genommen.

Hatte er nicht selbst Spercamon gegenüber angedeutet, dass der Ceynach vielleicht ein gefährlicher Invasor sein konnte?

Im Augenblick der Entscheidung hatte er nicht daran gedacht. Der Fremde hatte mit seinem Auftreten alle Bedenken ausgelöscht.

Nun, Doynschto war bereit, alle Verantwortung zu tragen, wenn es zu Zwischenfällen kommen sollte, die diese Welt oder die gesamte Galaxis bedrohen würden.

An diesem Tag hatte Doynschto nur eine Transplantation vorgenommen und alle anderen Arbeiten seinen Assistenten überlassen. Seine Gedanken beschäftigten ihn so, dass er sich nicht zu konzentrieren vermochte.

Auch jetzt, in der Abgeschiedenheit seines Arbeitszimmers, konnte er keine Ruhe finden.

Drüben in den großen Labors wurden gerade die letzten Transplantationen an diesem Tag durchgeführt. In Doynschtos Klinik wurden durchschnittlich zehn Transplantationen am Tag vorgenommen. Doynschto hätte noch weitaus mehr Patienten aufnehmen können, doch er beschäftigte sich auch mit anderen Dingen.

Doynschto wurde in seinen Gedanken unterbrochen, als sein junger Bordindiener Percto hereinkam. »Ein neuer Patient möchte Sie sprechen, Doynschto.«

Der Wissenschaftler sah den Bordin unwillig an. »Ich habe jetzt weder Zeit noch Lust. Er soll sich anmelden, wie es üblich ist.«

»Das habe ich ihm bereits gesagt, doch er besteht darauf, von Ihnen selbst empfangen zu werden. Er sagt, er hätte besondere Wünsche, über die er nur mit Ihnen sprechen könnte.«

Doynschto war unschlüssig. Er kannte diese aufdringlichen reichen Yaanztroner, die offenbar glaubten, er warte nur darauf, ihnen ein besonderes Gehirn einpflanzen zu dürfen.

»Sage ihm, dass ich sein Geld nicht brauche, Percto.«

»Aber er ist kein reicher Mann, Doynschto. Er sieht eher ärmlich aus. Sein Name ist Vrotesch.«

Doynschto hatte diesen Namen noch nie gehört. Arme Patienten kamen selten in die Privatklinik. Doynschto wurde neugierig. Vielleicht war der Besucher nur ein Spinner, den er wieder nach Nopaloor zurückschicken würde. Es konnte sich aber auch um einen interessanten Fall handeln.

»Ein bisschen Abwechslung kann mir nicht schaden«, sagte er zu dem Bordin. »Ich werde ihn empfangen.«

»Noch heute Abend?«, fragte Percto erstaunt.

»Warum nicht? Führ ihn zu mir!«

Doynschto war froh, dass er sich aufgerafft hatte, irgend etwas zu tun. Ohne den Besucher hätte er den Abend wieder mit Grübeleien beschlossen. Er war gespannt, wer dieser Vrotesch war und was er wollte.

Nach ein paar Minuten kam Percto mit dem Besucher zurück. Doynschto stand einem schäbig gekleideten Yaanztroner gegenüber. Vrotesch war alt und ging gebeugt.

Doynschto war enttäuscht. Wahrscheinlich wollte dieser alte Mann nur eine kostenlose Transplantation erbetteln.

Der Wissenschaftler winkte dem Bordin zu. »Bring ihn wieder hinaus! Ich habe es mir anders überlegt.«

»Kommen Sie!«, sagte der Bordin zu Vrotesch. »Doynschto der Sanfte kann jetzt nicht mit Ihnen sprechen.«

Als Vrotesch sich nicht bewegte, wollte Percto ihn am Arm nehmen und zum Ausgang ziehen. Doch der Besucher schien mit den Füßen im Boden verwurzelt zu sein. Er reagierte auch nicht, als Percto seine Anstrengungen verstärkte. Doynschto wusste, dass sein junger Diener kein Schwächling war.

»Ich werde mit Doynschto sprechen«, sagte Vrotesch.

Seine Stimme klang leise, aber bestimmt. Irgend etwas schwang in ihr mit, was Doynschto irritierte. Diese Stimme passte nicht zu dem äußeren Erscheinungsbild des Yaanztroners. So sprach kein verarmter Bürger von Nopaloor.

»Lass ihn!«, befahl Doynschto dem verwirrten Diener. »Ich werde mit ihm reden. Allein.«

»Er ist aufdringlich«, stellte Percto empört fest.

»Das sehe ich!«, meinte Doynschto gelassen. »Ich werde mit ihm fertig, du brauchst dir keine Sorgen zu machen.«

Der Diener ging zögernd hinaus.

Als er mit dem Besucher allein war, ließ Doynschto sich in einem Sessel nieder und sah Vrotesch aufmerksam an. »Nun?«, fragte er.

»Ihr Diener mag mich nicht!«, stellte Vrotesch fest.

Doynschto schüttelte den Kopf und lachte. »Machen Sie sich seinetwegen Sorgen? Es ist doch bedeutungslos, was dieser Bordin von Ihnen hält!«