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Inhalt

Klaus J. Heyl

CRÜSEMANN

Wenn die Welt ruft ...

Biografischer Roman

Kadera-Verlag

Klaus J. Heyl

CRÜSEMANN

Wenn die Welt ruft …

Biografischer Roman

© 2018

Kadera-Verlag, Norderstedt
www.kadera-verlag.de

Cover-Gestaltung: Günther Döscher unter Verwendung des
Porträts »Eduard Crüsemann« von Wilhelm Amberg (1822–1899)
und Segler-Grafik aus dem iStock

Quellenangaben:
Familienarchive der Familie Heyl, Hamburg & Benissa Spanien;
»Aus meinem Leben«, Hedwig Heyl geb. Crüsemann, Verlag Schwetschke & Sohn;
»Norddeutscher Lloyd« von G. Bessel, Schünemann Verlag Bremen;
Deutsches Geschlechterbuch Band 38, Starke Verlag Limburg;
Die Zeit.de / Zeitgeschichte Hamburg; »Tradition« Firmengeschichte & Unternehmensbiographie, Herausgeber Prof. Dr. phil. W. Treue Göttingen; »Die Entwicklung des norddeutschen Lloyd«, Europäischer Hochschulverlag Bremen; Vormundschaft & Protektion von A. Schulz, Oldenbourg Verlag München und viele andere.
Fotos und Illustrationen im Buch aus Familienbesitz, Privat-Sammlung und Recherche des Autors Klaus J. Heyl, ergänzt durch Staatsarchiv Bremen, Archiv Cunard Line Liverpool, Archiv Norddeutscher Lloyd u.a. (ggf. auf Anfrage an den Autor) – Urheber des Gesamtwerks / Alle Rechte vorbehalten: Klaus J. Heyl –

Detaillierte Daten im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
https://portal.dnb.de

ISBN 978-3-944459-94-3 (Druck)
ISBN 978-3-944459-95-0 (E-Book)

Inhalt

Vorwort

Juni 1848

Bürgertum und neue Zeiten

Selbstständig – jetzt wird es ernst

Auf Freiersfüßen in Berlin

Chaos und Erfolg im Kontor

Hochzeitsplanung

Hochzeit in Berlin

Gefährliche Nachbarschaft

Eine Weihnachtsüberraschung

Nachwuchs im Hause Crüsemann

Neue Ideen zum neuen Schiff

Venezianische Kontakte

Die Reise in die Neue Welt

Bremer Planspiele

Eine folgenschwere Katastrophe

Start ins Ungewisse

Der Durchbruch

Eine schwierige Gründung

Der Norddeutsche Lloyd unter Dampf

Schwere Zeiten

Der Aufstieg

Die goldenen Jahre

Auszeit in mondänen Badeorten

Verbindungen zwischen den Welten

Helle und dunkle Wolken

Hedwig hat eine Überraschung

Eine schreckliche Gewissheit

»Es liegt nicht mehr in unserer Hand«

Der Autor

Vorwort

Über Eduard Crüsemann, und die Gründungsgeschichte des »Norddeutschen Lloyd« ist viel geschrieben und veröffentlicht worden. Die vielen Jahre mit ihren unterschiedlichen Sichtweisen haben die Ereignisse in ihrer Darstellung in manchen Bereichen verzerrt. Einiges wurde vergessen, anderes hinzugefügt. Mal wurde über-, mal untertrieben. Unwahres mischte sich mit Halbwahrheiten. Die Geschichte zwinkert mit den Augen – es ist ja alles schon sooo lange her.

Als Ur-Ur-Enkel fühlte ich mich mit der Materie auf seltsam andere Weise verbunden. Kann es sein, dass mich ein paar unsterbliche Gene in meinem Herzblut in die Vergangenheit leiteten? Jedenfalls gingen diesem Buch leidenschaftliche und umfangreiche und zeitaufwändige Recherchen voraus, um eine möglichst zeitgenössische, reale und authentische Darstellung der handelnden Personen und Abläufe zu erreichen.

Wichtig war mir hierbei, die eigentlichen Ideen und Handlungen, die zur Gründung des »Norddeutschen Lloyd« geführt haben, den richtigen Personen zuzuordnen. Da Eduard Crüsemanns Erfahrungen und Kenntnisse unmittelbar in die Gründungsgeschichte des »Lloyd« eingeflossen sind, schien mir sein »Vorleben« von großer Bedeutung zu sein, denn das ist die Keimzelle der zum Weltunternehmen wachsenden Idee.

Ging ich anfangs davon aus, Eduard Crüsemann als Gründungs- Direktor unter Konsul Hermann Henrich Meier zu verstehen, war mir bald klar, dass er »in seinen zwölf Jahren« eindeutig Macher und Motor des »Lloyd« war.

Durch die vielen Ämter und Ehrenämter von Hermann Henrich Meier wäre es anders gar nicht möglich gewesen. Neben dessen Tätigkeit als Vorsitzender des Verwaltungsrats, war er Schwedischer und Norwegischer Konsul, aktiv in der Bremer Bürgerschaft tätig und später Abgeordneter des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reichstages. Außerdem Mitbegründer und erster Vorsitzender der Deutschen Lebensrettungs-Gesellschaft.

Die Gründung des »Norddeutschen Lloyd« ist allein einer glücklichen Fügung zu verdanken. Zwei Männer, die sich ausgezeichnet ergänzten und vom Wesen und Können her sympathisch waren, lernten sich zum richtigen Zeitpunkt kennen. Diesen Zeitpunkt hat das Schicksal gefunden, als es zwei Lebenswege miteinander verband. Weder Konsul Hermann Henrich Meier noch Eduard Crüsemann hätte allein die Ideen, Träume und Möglichkeiten in die Wirklichkeit umsetzen und eine Gesellschaft dieser Größenordnung aufbauen können.

***

Der in der Hauptsache von Eduard Crüsemann geführte »Norddeutsche Lloyd« wuchs nach seinem Tode – nicht zuletzt durch seine vorausschauende Weichenstellung – in rasantem Tempo weiter, und wurde zeitweise zur größten, schnellsten und modernsten Schifffahrtslinie der Welt.

Erst die beiden Weltkriege bremsten das Wachstum des »Lloyd«. Der unerschütterliche Wille zum Erfolg sorgte jedoch stets für einen schnellen Neubeginn.

Das Gleiche galt für den fast über ein Jahrhundert bestehenden Hauptkonkurrenten des »Lloyd«, die »Hapag« in Hamburg.

1970 schlossen diese beiden großen Reedereien eine »Vernunftehe « und betreiben ihre Geschäfte unter dem Namen »Hapag-Lloyd« seit dieser Zeit gemeinsam. Die Gesellschaft gehört auch heute wieder zu den Reederei- und Logistikkonzernen der Weltspitze.

Klaus-Jürgen Heyl

Ich fühle Mut, mich in die Welt zu wagen, all Erden Weh und all ihr Glück zu tragen. Mit Stürmen mich herumzuschlagen und in des Schiffbruchs Knirschen nicht zu zagen.

Johann Wolfgang von Goethe

Juni 1848

Seit Tagen war es heiß in Bremen – viel zu heiß. Die Stadt schien hinter zugeklappten Fensterläden eingeschlafen zu sein. Kein Windhauch trieb die Mittagshitze aus den Mauern.

In Zukunftsgedanken versunken schleppte sich Eduard Crüsemann gegen drei Uhr nachmittags am Roland-Denkmal vorbei über den staubigen Marktplatz. Er hoffte, am Weserufer mehr Abkühlung für einen klaren Kopf zu bekommen.

Dort flirrte die stickig-heiße Luft über dem Wasser. Im Schatten des Uferschilfs fand er einen großen Stein zum Rasten. Er lockerte die Halsbinde und legte den langen Gehrock und die cremefarbene Weste ab. Dann ließ er seine Gedanken mit den trägen Wellen in Richtung Nordsee treiben – dort, wo die weite Welt beginnt.

Gleich nach seiner Lehrzeit bei Klemme Bankiers in Berlin war er nach Bremen gezogen und hatte dort die Bürgerrechte für sich beantragt. Die alte Hansestadt mit dem Hafen, den Segelschiffen und dem Duft der weiten Welt hatte seine Leidenschaft geweckt.

Fast zwei Jahre arbeitete er als Volontär bei dem Kaufmann und Reeder Heinrich von Fischer. Die Nähe zum Hafen, die Kontakte zu Kaufleuten und Reedern aus den verschiedensten Teilen Europas und Amerikas, sowie der damit verbundene Warenumschlag faszinierten ihn. Kein Zweifel, er hatte viel hinzugelernt und Neues schnell erfasst. Die Banklehre vertrug sich vorteilhaft mit dem Kaufmännischen und dies wiederum mit der Seefahrt.

Eduard Crüsemann fühlte sich mit seinen 22 Jahren gefestigt genug, bald auf eigenen Füßen zu stehen. Es galt, die Fülle der Ideen, die ihm durch den Kopf schwirrten, in eine Ordnung zu bringen und daraus ein tragbares Fundament für sein eigenes Unternehmen entstehen zu lassen. Der vertrauensvollste Berater hierfür war sein Vater in Berlin, mit dem er eine intensive Korrespondenz pflegte.

***

Der Großkaufmann Conrad Crüsemann hatte sich im Laufe seines Lebens in Europa als bedeutendster Importeur für Seidenstoffe etabliert, mit besten Kontakten nach China, Indien und Persien. Wie nahe hätte es gelegen, dass sein Filius in diese Handelsgesellschaft einstieg und als Familienunternehmen fortführte. Doch er spürte mit väterlichem Stolz, dass Sohn Eduard es ihm gleichtun würde und seinen eigenen Erfolgsweg anstrebte. Er lenkte nur behutsam, was ihm wichtig erschien. So kam es nicht von ungefähr, dass er seinem Sohn auf einem prachtvollen Berliner Ball Henriette Böhm als Tochter eines Geschäftsfreundes vorstellte.

Zwischen Eduard und Henriette hatte es sofort geknistert. Sie tanzten die ganze Nacht hindurch und hatten sich unendlich viel zu erzählen. Hinzu kam, dass beide Elternpaare miteinander bekannt waren und sich mehr und mehr in ihre eigene Konversation vertieften. So fiel nicht auf, dass die jungen Leute es mit der Etikette nicht ganz so genau nahmen, wie es sich geschickt hätte.

***

Die Erinnerung zauberte ein Lächeln in Eduards Gesicht. Ja, Henriette war ohne Zweifel sein wichtigster Grund, Zukunftspläne zu entwickeln. Sein Ziel war, sie so schnell wie möglich zu heiraten. Dazu aber gehörte, ihr ein Leben zu bieten, das ihren Kreisen entsprach. Ein eigenes mit der Seefahrt verbundenes Handelsunternehmen – das wäre so ein standesgemäßer Start in die Ehe. Ständig notierte Eduard Ideen für die Zukunft. Und damit sie ihm nicht in der Sommerhitze verdampften, zog er einen Zettel aus der Tasche des Gehrocks und kramte nach einem Bleistift.

Er erschrak, als eine heisere Stimme hinter ihm Unverständliches krächzte. Er drehte sich um und starrte auf ein langes Messer, das ihm eine ausgemergelte, in dreckige Lumpen gehüllte Gestalt entgegenhielt.

»Geld!«, keuchte der Lump. »Geld her!«

Eduard erkannte sofort, dass ihm keine Wahl blieb. Schweigend griff er in seine Geldbörse. Er hatte sonst nie großes Geld bei sich, doch ausgerechnet heute hatte er mehr eingesteckt, um auf dem Rückweg Einkäufe zu erledigen. So kramte er einige Bremer Kupferschwaren und eine Silbergrote 1) hervor, um den Strauchdieb zu befriedigen.

Der aber schien bemerkt zu haben, dass da mehr zu holen war. Mit einem blitzschnellen Fausthieb an die Schläfe schickte er Eduard ins Reich der Träume, griff sich die Geldbörse und verschwand so lautlos, wie er gekommen war.

Die Welt schien sich zu drehen, als Eduard wieder zu sich kam. Er registrierte sofort, dass er seines Wochenverdienstes beraubt war. Laut fluchend und schwindlig vom rasenden Kopfschmerz machte er sich auf den Weg zu seiner Wohnung im Wandrahm 21. Die Beschließerin war nicht in ihrer Loge, sodass er ohne seinen Zustand erklären zu müssen über die Stiege in die erste Etage gelangte.

Er tränkte ein Tuch in der Wasserschüssel und drückte es auf die Schläfe. Das milderte den Schmerz, und langsam kehrten seine Sinne zurück.

Ob es dann der Schlag oder die wohltätige Kühlung war, es schien ihm, dass sich seine Denkfähigkeit erhöht hatte. So griff er zu Feder und Papier und füllte drei Stunden lang etliche Blätter mit Geistesblitzen und durchdachten Details. Auch kaufmännische Risiken und bürokratische Hemmnisse waren einkalkuliert. Eduard war von seinem Konzept überzeugter denn je und strich sich zufrieden über den Backenbart, – sollte er dem Tagedieb für den hinterhältigen Fausthieb etwa dankbar sein?

Spät in der Nacht schrieb er seiner geliebten Henriette einen langen Brief, um ihn am frühen Morgen der Postkutsche nach Berlin mitzugeben. Ausführlich berichtete er von seinen Plänen. Den Überfall verschwieg er – er wollte keine unnötigen Sorgen hervorrufen.

***

Für Eduard Crüsemann war es jetzt an der Zeit, seine Unternehmensplanung in die Tat umzusetzen. Nach dem schmerzvollen Verlust seiner geliebten Großmutter hatte er eine erkleckliche Summe Goldthaler und drei Zinshäuser in Berlin geerbt. Dieses Vermögen kam ihm als Gründungs-Investition durchaus recht – und sicher wäre es im Sinne der Großmutter gewesen, es zukunftsgerecht zu verwenden.

Über zwei Jahre war es her, dass er sich in Berlin von Henriette mit den Worten verabschiedet hatte: »Es macht mein Herz schwer, dich zu verlassen, liebe Henriette. Ich werde dir ein sorgenfreies Leben bieten. Dafür lerne ich. In zwei bis drei Jahren bitte ich dich, meine Frau zu werden – in der innigen Hoffnung, dass du auf mich wartest!«

Und während sich Henriette errötend die Tränen aus den Augen wischte, flüsterte sie: »Ja, ich werde warten, Eduard. Voller Sehnsucht.«

Das war sein wichtigster Antrieb in der vergangenen Zeit. Und mit jedem Brief wuchs ihre Liebe zueinander und drängte auf Erfüllung.

***

Als sich das Volontariat bei Heinrich von Fischer dem Ende näherte, hatte Eduard den Lehrmeister in seine Pläne eingeweiht. Dem bedeutete das keine Überraschung, denn er hatte seit langem bemerkt, dass in Eduard ein kaufmännischer Geist steckte. Er bescheinigte seinem Volontär große Zufriedenheit mit dessen Auffassungsgabe, dem gefälligen Wesen und der Verbindlichkeit, mit der er Mitarbeiter, Kunden und Geschäftspartner für sich gewann. Daher bot er ihm für die Gründungsphase großzügige Hilfe an und lud ihn zu einem Essen in seine Villa am Wall ein, um Details seiner Pläne mit ihm durchzusprechen.

Eduard erkannte daraus, dass es seinem Lehrmeister vor allem darum ging, dass ihm sein gelehriger Volontär nicht als Konkurrent in die Quere kommen sollte. Doch der Umgang mit der Konkurrenz zählte zur Erfahrung der Älteren, von der Eduard profitieren wollte.

Bürgertum und neue Zeiten

Heinrich von Fischer hatte einen Lehrjungen gebeten, zwei Humpen Bremer Bier zu holen. »Das tut gut nach einem langen Arbeitstag«, sagte er und nickte Eduard zu.

»Wir haben in Bremen ein problematisches Großbürgertum«, erklärte er nach dem ersten Schluck. »Dieser Zirkel besteht aus alteingesessenen Kaufleuten, Reedern, Großgrundbesitzern und Senatsmitgliedern mit ihren Familien. Diese elitäre Gruppe der Bremer Gesellschaft ist zusammengeschlossen in der ›Bremischen Commercialen Gesellschaft‹. Zum einen ist sie sehr konservativ und vorsichtig, zum anderen wacht sie eifersüchtig darüber, dass kein außenstehender Emporkömmling ihre Kreise stört. Moderne Ideen wirtschaftlicher oder politischer Natur sind ihr nur mühsam zu vermitteln. Bevorzugt werden Geschäfte untereinander oder mit Geschäftspartnern aus dem Ausland. Wenn die Bankkonten stimmen, sieht niemand einen Grund dafür, etwas zu verbessern!« Von Fischer grinste Eduard freundlich an. »Unterprivilegierte oder Zugereiste wie Sie, lieber Crüsemann, haben bei diesen gottähnlichen Wesen einen schweren Stand!«

»Wie wohl jeder, der sich den Herausforderungen unserer Zeit stellen will«, antwortete Eduard. »Es ist meine Zukunft. Ihr bin ich mehr verpflichtet als denen, die im Gestern leben.«

»Große Worte, lieber Crüsemann. So ist es: Wenn die Welt ruft, muss man handeln!« Heinrich von Fischer sann einen Augenblick in sich hinein. »Aber unsere Gesellschaft sonnt sich im Erreichten, sie will sich nicht in Visionen verrennen.«

Diese Verhaltensweise und Gruppenbildung kannte Eduard aus Berlin nicht. Bei Hofe mochte das anders sein. Im vermögenden Großbürgertum, zu dem seine Familie gehörte, galt eine tolerante Offenheit gegenüber Ansichten und Menschen anderer Herkunft und Stände.

»Diese konservative Grundhaltung ist mir bereits aufgefallen. Wenn Sie mich zu einigen der großen Bremer Handelshäuser schickten, stand ich oft einer reservierten Ablehnung gegenüber«, gestand Eduard seinem Lehrmeister. Obwohl der diesem elitären Bremer Kreis selbst angehörte, war er weltoffen und aufgeschlossen genug, begabte Leute aus anderen Städten oder Ständen zu beschäftigen. Das war es, weshalb Eduard bei ihm in der Lehre war.

In dieser Epoche gewaltiger Veränderungen durch die Industrialisierung mit der Dampfmaschine, der Erfindung der Dampfschiffe und der Eisenbahn, verhielt sich die allgemeine Bremer Kaufmannschaft mit Neuerungen zurückhaltend. Selbst politische oder kriegerische Unruhen, die weite Kreise der Bevölkerung ins Elend stürzten, nahm dieser illustre Zirkel kaum zur Kenntnis. Die dadurch entstehende Welle von Auswanderungswilligen nach Nord- und Südamerika, vor allem aus Süddeutschland, wurde in Bremen bisher kaum wahrgenommen.

Derweil erfreute dies die Engländer, die mit Auswanderer- Schiffspassagen nach Amerika viel Geld verdienten. Dies hatte Eduard Crüsemann seit langem bemerkt und es im Gründungskonzept für seines eigenen Unternehmens deutlich berücksichtigt.

Als die Dame des Hauses beim Verabschieden des Gastes zu fragen wagte, ob es denn eine Auserwählte an seiner Seite gäbe, antwortete Eduard stolz: »Sobald meine Firma gefestigt ist, werde ich meine Henriette heiraten und von Berlin nach Bremen holen. Ich gestehe Ihnen gern, dass dies eine antreibende Kraftquelle für mein Vorhaben ist.«

Selbstständig – jetzt wird es ernst

Am letzten Tag des Volontariats hatte Heinrich von Fischer Eduard Crüsemann in sein Besprechungszimmer gebeten. Er schenkte ihm englischen Brandy ein und hob zu einer feierlichen Rede an: »Mein lieber Crüsemann, wir kennen uns jetzt seit zwei Jahren und ich bin in dieser Zeit mit Ihnen stets zufrieden gewesen. Sie haben bei mir nicht nur selbst Wichtiges über den Handel gelernt, Sie waren auch für mein Haus eine wirkliche Bereicherung. Gern würde ich weiterhin mit Ihnen arbeiten, aber ich verstehe Ihre Pläne und werde Ihnen keine Steine in den Weg legen!« Wohlwollend hob er sein Glas und prostete Eduard zu.

»Ich hätte keinen besseren Lehrmeister finden können!«, antwortete Eduard gerührt.

»Darf ich neugierig sein?«, fuhr von Fischer fort. »Wie steht es jetzt mit Ihrer Unternehmensgründung? Wie gehen Sie es an?«

»Zunächst suche ich Kontorräume, um eine ordentliche Adresse zu haben, dann lasse ich Geschäftspapiere drucken. Und ich werde mich um Kunden bemühen. Akquise in Bremen, dem Königreich Hannover, Berlin und auch in England. Mein Vater versprach mir, einen großen Teil seiner Waren über mein Unternehmen zu transportieren. Das ist mein solider Grundstock.«

Heinrich von Fischer nickte zustimmend. »Mein lieber Crüsemann, auch ich bin Ihnen gern behilflich. Ein geschätzter Geschäftspartner von mir ist vor kurzem verstorben. Der alte Carl Schwerdtfeger, ein Gewürzhändler. Seine Witwe will jetzt die Kontor- und Lagerräume am Weserhafen veräußern. Wäre das etwas für Sie?«

Eduards Augen leuchteten: »Ich kenne die Adresse, sie ist fantastisch!«

»Dann sollten wir nicht lange warten. Ich habe dort Zugang und zeige Ihnen die Räume sofort, bevor ein anderer überhaupt davon erfährt. Kommen Sie!«

Die Lagerräume waren bereits geräumt, doch in den Wänden hing noch der Duft orientalischer Gewürze wie ein Gruß aus fernen Welten. Eduard atmete tief durch. Als sie anschließend im Nachbargebäude die Kontorräume betraten, pochte sein Herz bis zum Hals. Er trat ans Fenster und genoss den Blick auf die Weser mit dem Kai und den Ladekränen. Vor einem Segelschoner, der mit allerlei Säcken beladen wurde, herrschte geschäftiges Treiben.

»Das habe ich mir nicht in meinen kühnsten Träumen vorgestellt! «, gestand Eduard und seufzte dann: »Und bei den Träumen wird es bleiben, Herr von Fischer. Ich denke, dass es meine finanziellen Möglichkeiten übersteigen wird. Mein Beginn wird bescheidener sein!«

Väterlich legte von Fischer seinem eben noch besten Volontär eine Hand auf die Schulter. »Die Witwe Schwerdtfeger hat keine Erben. Sie ist fast siebzig und ihr Wunsch ist es, die ihr verbleibenden Jahre sorglos zu leben. Die Hälfte des Wertes und eine kleine Rente auf Lebenszeit – ich meine ...« Weiter kam er nicht, denn Eduard hatte blitzartig verstanden, dass dies eine Chance war, die es nicht zweimal gab.

»Ich mach’s!«, rief er, ohne den realen Preis zu kennen. »Sofort!« Fast wäre er seinem Lehrmeister um den Hals gefallen, doch beherrscht streckte er ihm nach Kaufmannsart die Hand entgegen. »Sie haben mein Wort. Bitte berichten Sie es der Witwe Schwertfeger. – Am Weserufer 10, ist das nicht ein gutes Omen, Herr von Fischer?«

Der erfahrene Kaufmann und Reeder lächelte: »Das ist eine Adresse, die ein klug handelnder Unternehmer verdient hat. Einer wie Sie, mein lieber Crüsemann!«

***

Acht Tage später saß Eduard zusammen mit der Witwe Schwerdtfeger bei dem ehrwürdigen Notar Holthusen und unterzeichnete den Kaufvertrag. Die Witwe rutsche mit hochrotem Gesicht auf ihrem Stuhl hin und her, als Eduard ihr den Preis in Goldthalern vorzählte.

Mit einem »Herzlichen Glückwunsch« vom Notar war die Kaufzeremonie beendet. Ein Commis 2) des Notariats begleitete die Witwe sicher nach Hause.

Eduard hatte es eilig, um sofort in einem Brief an seinen Vater vom Kauf und der ersten Adresse am Hafen zu berichten. Er schrieb auf dem Geschäftspapier, das er schon vier Tage vor dem Kauf drucken ließ. Nichts ging ihm schnell genug. Jetzt sollte ein Tischler schleunigst die übernommene Kontoreinrichtung ergänzen.

***

Ungeduldig wartete Eduard dann drei Wochen, bis die beiden Schiffe, die er von anderen Reedern wohlfeil erwerben konnte, geliefert wurden und an seinem Kai festmachten. »Henriette« und »Charlottenburg« sollten die Segelschiffe heißen. Das sollte eine Überraschung für seine Herzallerliebste sein. Er war sich sicher: Ihr Name und der ihres Geburtsortes würden dem jungen Unternehmen Glück bringen.

Der Zweimastschoner »Henriette« war bisher für den Holztransport auf der Unterelbe im Dienst. Jetzt plante Eduard, mit ihm Waren die Weser hinauf und hinunter zu transportieren und zwischendurch holländische Häfen anzulaufen.

1

Zweimastschoner »Henriette«

2

Dreimastbark »Charlottenburg«

Die Dreimastbark »Charlottenburg« hatte sich acht Jahre lang zwischen Bremen und verschiedenen holländischen Häfen bewährt und war in erstaunlich gepflegtem Zustand. Eduard hatte keine Bedenken, dieses Schiff für Waren und Passagiere im Liniendienst durch den Kanal zwischen Bremen und London einzusetzen, – so lange, bis die Geschäftserträge es erlaubten, eines der faszinierenden neuen Dampfschiffe bauen zu lassen.

Aufsehen erregte der neue Reeder in der Bremer Gesellschaft durch die Annonce in den »Bremer Nachrichten«, mit der er drei Damen und drei Herren für die Kontorarbeit suchte. Frauen im Kontor? Das gab es bisher nicht unter Bremer Reedern und Kaufleuten. Eduard hatte beobachtet, dass Frauen absolut fleißig waren, Arbeitsabläufe rationeller einschätzten als Männer und in ihrer diplomatischen Art zum Arbeitsfrieden beitrugen. Vorsichtshalber hatte er hierzu Herrn von Fischer befragt, ob er sich mit solchen Ansichten in der kritischen Bremer Gesellschaft unbeliebt machen würde.

Von Fischer machte ihm Mut. »Mein lieber Crüsemann, diese Idee finde ich hervorragend. Das entspricht absolut dem Zeitgeist. Sie haben recht damit, dass Frauen fleißiger sind – und was die alten Pfeffersäcke dazu sagen, das sollte Sie nicht kümmern. Die Zeit wird Ihnen recht geben, in einigen Jahren werden auch in Bremen überall Frauen die Kontore verschönern! «, lachte er verschmitzt.

Das beruhigte Eduard. Er suchte außerdem ja einen Herrn als Kontorvorsteher sowie drei Lagerarbeiter.

Die Schiffsbesatzung beabsichtigte er direkt im Hafen bei den Seeleuten zu rekrutieren. Dort gab es immer Heuermänner. Im Gespräch mit ihnen ließ sich schnell feststellen, welche Erfahrungen sie mit an Bord brächten.

Im Lager stapelten sich bereits Seidenballen, die Conrad Crüsemann zur Verschiffung nach Emden und London angeliefert hatte. Eine Schiffsladung Holz aus Schweden war ange-kommen. Es sollte der erste Auftrag für die »Henriette« werden, die auf Grund ihres geringen Tiefgangs stromauf nach Minden und sogar darüber hinaus nach Karlshafen schippern konnte. Nur das Schiff war noch nicht eingetroffen.

Eduard war in Gedanken vertieft, als ein Pferdefuhrwerk heranrumpelte, um ein großes Firmenschild anzuliefern. Darauf stand auf dunkelgrünem Grund in goldenen Lettern:

EDUARD CRÜSEMANN
Reederei & Handelscompagnie

Mit Stolz schaute er der Montage zu. Was kann einem Unternehmen Besseres passieren, als schon Aufträge zu haben, bevor der Name am Haus steht.

Er hatte in diesen Tagen vom frühen Morgen bis spät in die Nacht gearbeitet, um Geschäftskontakte zu knüpfen oder Personalgespräche mit zahlreichen Bewerbern zu führen. Drei Lagerarbeiter und drei engagierte junge Damen für das Kontor und ihnen zur Seite drei männliche Commis hatte er eingestellt. Er war mit seiner Wahl zufrieden. Nur einen geeigneten Kontorvorsteher, dem er als seine ›rechte Hand‹ umfassende Vollmachten erteilen wollte, fand er bisher nicht. Den Bewerbern fehlte es an Seriosität und Wissen, einem wehte sogar eine Alkoholfahne voraus.

Ganz anders ein junger Mann, der sich kurz darauf als »Jacob Hansemann aus Berlin« vorstellte, was bei Eduard spontane Freude auslöste, denn ein preußischer Landsmann verirrte sich nur selten in die meerverbundene Hansestadt an der Westgrenze des Königreichs Hannover.

»Mein Vater hat in Berlin ein Ladengeschäft für feine Tuche und bezieht von Ihrem Vater regelmäßig Ware. Als ich vor einiger Zeit Stoffe bei Ihrem Vater abholte, kamen wir ins Gespräch. So erfuhr ich, dass Sie in Bremen ein Unternehmen gründen und dafür einen Bürovorsteher suchen. Diesen Posten habe ich seit drei Jahren bei einer Seifensiederei in Tempelhof inne!«, sprudelte es aus ihm hervor und nach kurzem Luftholen fuhr er fort: »Gern würde ich meinen beruflichen Horizont erweitern, zumal ich mich leidenschaftlich für die Seefahrt und Schiffe interessiere. So dachte ich mir: Jacob, reise nach Bremen und sprich bei Herrn Crüsemann vor!« Er strahlte Eduard an, als erwarte er jetzt dessen spontane Zustimmung.

Eduard erwiderte das Lächeln, den positiven Eindruck wollte er trotzdem in einem intensiven Gespräch über Ausbildung, Kontor- und Mitarbeiterführung überprüfen. »Das hört sich passabel an«, schloss er die Unterredung. »Da es sich um einen absoluten Vertrauensposten handelt, bitte ich um Ihr Verständnis, dass ich darüber einige Tage nachdenke. Ich werde mich in etwa einer Woche bei Ihnen melden!«

Es schien Eduard ratsam, durch seinen Vater Erkundigungen über Jacob Hansemann einzuholen. Mit der Abendkutsche schickte er eine Eildepesche nach Berlin. In diesem Moment fragte er sich, warum es keine Eisenbahn von Bremen nach Berlin gab, oder wenigstens von Bremen nach Hamburg. Hing auch das mit der Trägheit der »Bremischen Commercialen Gesellschaft« zusammen? War doch die Stadt an der Elbe schon seit 1846 mit Berlin verbunden!

Inzwischen war die »Henriette« eingetroffen. Zehn Schauerleute schufteten den ganzen Tag, um das Holz sicher auf dem Schoner zu verstauen. Mit innerem Stolz sah Eduard vom Kai aus zu – sein erstes Schiff! Mit Kapitän Kröger hatte er einen erfahrenen Seebär angeheuert, der nach langer Fahrenszeit an den Küsten jetzt mit der Flussschifffahrt nach geruhsamerer Fahrt verlangte. Am Abend meldete er: »Alles klar auf der ›Henriette‹. Früh um sechs schippern wir los. Wenn der Wind stabil bleibt, sind wir in drei Tagen in Minden!«

Die »Charlottenburg« lief zwei Tage später ein. Kapitän Ohlsen, ein schwedischer Fahrensmann, hatte die Bark gründlich überprüft und meinte: »Nix is so gut, dass man’s nich noch besser machen könnt. Die Nordsee is launisch, vor der englischen Küste heult der Wind, da zieh ich besser ein paar zusätzliche Wanten und Stage 3) ein. Außerdem Seile zur Sicherung der Ladung und an der Reling, damit die Passagiere nich außenbords rutschen, wenns auf See mal heftig wird!«

Am 14. September sollte die »Charlottenburg« zur ersten Fahrt nach London ablegen. Es blieben noch zehn Tage. Eduard wollte die erste London-Fahrt nutzen, um seine englischen Geschäftspartner persönlich kennenzulernen. Er nahm auf dieser Tour zwölf Passagiere an Bord, die in der ersten Decksklasse untergebracht wurden. Sie wollten mit der Cunard Line von Southampton aus nach Amerika auswandern. Ab Bremen war das bisher nur eingeschränkt möglich.

Durch die Tuchwaren von Conrad Crüsemann wurden die Ladeluken zum Großteil gefüllt. Die Seidenballen wurden in London und Birmingham erwartet. Kurz vor der Abfahrt packten die Schauerleute noch 100 Säcke Madagaskar-Pfeffer in die Luken. Das Schiff war bestens ausgelastet.

Ebenfalls rechtzeitig traf die Antwortdepesche aus Berlin ein: Vater Crüsemann gab eine zustimmende Bewertung zu Jacob Hansemann. Eduard stellte ihn daraufhin als Kontorvorsteher mit allen notwendigen Vollmachten ein. Jetzt war er sich sicher, während seiner Reisen einen zuverlässigen Vertreter zu haben.

***

Am Kai vor der »Charlottenburg« war lebhaftes Treiben. Die Decksjungen verstauten das Gepäck der Passagiere und Kapitän Ohlsens routinierte Kommandos ordneten das Handeln der Besatzung. Eduard erfüllte das große Gefühl, einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen. Er packte so kräftig mit an, dass Käptn und Mannschaft sich wie im Wettbewerb mühten, schneller als er zu sein.

Die Schiffsglocke schlug vier Glasen, Kapitän Ohlsen gab das Kommando: »Bug- und Achterleinen los!« Zwei Stunde bis zum Wachwechsel, dann war Frühstückszeit.

Die Festmacher am Kai lösten die Tampen und während der Himmel im Osten heller wurde, glitt die »Charlottenburg« langsam in den Sog der Wesermitte. Der Wind stand günstig. Kapitän Ohlsen ließ das Großsegel setzen, um mehr Fahrt im Schiff zu haben, besser manövrieren zu können und Herr über die Strömung zu sein. Zur Mittagszeit wollte er das offene Meer erreichen. Eduard Crüsemann stand versonnen am Heck der voll beladenen Bark und schaute glücklich auf die Masten und Segel. Ein Gefühl des Erfolgs lief durch seinen Körper – es geht voran!

Die Überfahrt war behäbig und dauerte wegen ungünstiger Winde über fünf Tage. Einige Passagiere wurden trotz sanfter Dünung seekrank und opferten für Neptun. Andere verbrachten ihre Zeit tagsüber an Deck und genossen die Reise.

Kapitän Ohlsen hatte aus der angeheuerten Mannschaft schnell eine eingespielte Crew geformt, wie sie für ein Segelschiff unerlässlich war. In London angekommen, wurde der »Charlottenburg« ein Liegeplatz in den East India Docks zugewiesen, wo sie durch Wachposten und von hohen Mauern umgeben vor Überfällen durch Flusspiraten geschützt war.

Eduard hatte sich vorgenommen, die sechs Tage zwischen Löschen der Ladung und Aufnehmen neuer Fracht zu nutzen, um in England Geschäftskontakte zu knüpfen. Beim Besuch englischer Reedereien und Werften studierte er deren Arbeitsweise. Er konnte glücklicherweise Fracht für die Rückfahrt auftreiben: Mehrere Ballen feinsten englischen Tuchs, die für Bremen bestimmt waren.

Zuerst besuchte er die Handelshäuser, zu denen er schon Kontakte angebahnt hatte. Auf Grund seiner freundlichen und bescheidenen Art war er willkommen, wurde zum Lunch oder Dinner eingeladen, fachsimpelte angeregt mit seinen englischen Kollegen und erhielt Tipps zu Verbindungen mit anderen Kaufleuten und Reedern.

Am vierten Tag überraschte ihn eine Einladung in das Londoner Kontor der Cunard Reederei. Ein großer Name, denn diese neun Jahre zuvor gegründete kanadische Schifffahrtslinie hatte von der britischen Admiralität die Post- und Paketrechte für die Verschiffung nach Kanada erhalten und betrieb einen zweiwöchigen Liniendienst zwischen der alten und der neuen Welt. Von ihrem Heimathafen Southampton fuhren die Schiffe Boston, Halifax und Quebec an.

Auch das Passagiergeschäft entwickelte Samuel Cunard aus dem Bedarf heraus: Er transportierte den größten Teil der Auswanderer in drei Decksklassen von Europa nach Kanada. Die glücksuchenden Minderbemittelten waren in spartanisch engen Zwischendecks untergebracht, die Bessergestellten reisten in komfortablen Kabinen auf dem Oberdeck. Unter den Seefahrern sprach man nicht ohne Neid darüber: »Cunard verdient sich damit eine goldene Nase.«

Der vornehme Bürovorsteher vollzog die Vorstellung mit sparsamen Handbewegungen: »Eduard Crüsemann – Samuel Cunard.« Der kanadische Gründer der Gesellschaft, der zur Zeit in London weilte, war offenbar über den jungen Reeder vom Festland bestens unterrichtet worden. Cunard fachsimpelte mit seinem deutschen Kollegen über die zunehmende Industrialisierung, über Handelsströme und eine erweiterte Welt, insbesondere durch die Entwicklung der Schifffahrt. Schnell entwickelte sich Sympathie zueinander.

»Kommen Sie, ich lade Sie in meinen Club ein, da lässt es sich ungestörter reden!«, schlug Samuel Cunard vor. Bei einem edlen kanadischem Whisky erzählte er Eduard von seinem Einstieg in das Passagiergeschäft und hatte keine Bedenken, ihm das lukrative Geschäft im Detail und mit erhabener Selbstachtung zu erläutern. »Wir haben jetzt sogar die ersten Dampfschiffe im Liniendienst eingesetzt, dadurch sind wir deutlich schneller als alle anderen Reedereien und haben mehr Platz für Fracht und Passagiere.«

Eduard hörte aufmerksam zu und berichtete Samuel Cunard von den Anfängen seiner Compagnie. In diesem offenen Gespräch begann trotz des Alstersunterschieds eine von gegenseitiger Sympathie getragene private und geschäftliche Freundschaft.

Am letzten Tag besichtigte Eduard die Londoner Werft Huxley & Sons. Er war zu der Überzeugung gelangt, weitere Schiffe nicht mehr gebraucht zu kaufen, sondern nach seinen Wünschen bauen zu lassen. Zwar war er weit von der Erfüllung dieses Plans entfernt, doch persönliche Kontakte dafür zu haben, schien ihm von Vorteil zu sein. Denn diese Werft hatte bereits Erfahrungen mit Dampfschiffen, während andere noch die Segelflächen ihrer Schiffe vergrößerten.

Zurück in Bremen stellte Eduard zufrieden fest, dass seine Reise erfolgreich war. Er hatte Lieferkontrakte für mehrere Monate abgeschlossen, für Waren von England nach Bremen und umgekehrt. Außerdem hatte er Informationen über Reedereibetriebe und Handel in England gesammelt. Er hatte sich angewöhnt, die letzte Stunde des Tages darüber nachzudenken, was er aus seinen Erkenntnissen zukünftig verwerten und welche neuen Beziehungen und Freundschaften dabei hilfreich sein könnten.

Es war für ihn keine Frage mehr, dass das stetig zunehmende Auswanderungsbegehren nach Nord- und Südamerika ein ertragssicheres Geschäft darstellte. Es durfte nicht länger sein, dass er die Auswanderer nur als Zulieferer nach London und Southampton brachte, damit die Engländer das Hauptgeschäft erledigten!

Genauso lukrativ war das Verschiffen von Briefen und Paketen. Die Auswanderer sorgten auch dabei für beständig wachsenden Bedarf. Sobald er erfahren hatte, dass die Cunard Line allein hierfür jährlich über 80-Tausend englische Pfund kassierte, suchte er nach einer Möglichkeit, sich in diesem Markt zu platzieren.

Auf Freiersfüßen in Berlin

Nachdem die ersten Aufträge erfolgreich abgeschlossen waren und sich in seinem Unternehmen eine Alltagsroutine entwickelt hatte, reiste Eduard Crüsemann für zwei Wochen nach Berlin, um seine Eltern zu besuchen und die Pläne seines privaten Lebens zu gestalten.

Die vielen romantischen Briefe, die trotz aller Geschäftigkeit zwischen Bremen und Berlin hin und her gegangen waren, hatten die Sehnsucht zueinander stetig wachsen lassen, – jetzt lagen sich Eduard und Henriette endlich in den Armen. Und dann richtete sich Eduard vor Henriette in förmlicher Art stocksteif auf und trug seinen sorgsam eingeübten Heiratsantrag vor.

»Jaaa!«, jubelte Henriette in ihrer jugendlich-frischen Art.

Eduard war erleichtert, und jetzt gestand er seine Unsicherheit ein, bei dem Farbenfabrikanten Nicolaus Böhm, vor dem er ehrfürchtigen Respekt hatte, um die Hand seiner Tochter anzuhalten. »Meine liebe Henriette, ich fürchte, dass ich mich dabei nicht standesgemäß anstellen werde.«

Henriette lachte: »Das musst du auch nicht, Papps ist sehr lieb und wohlwollend!«

»Ja, aber bestimmt nicht zu jemandem, der ihm seine Tochter nach der Hochzeit nach Bremen entführen wird!«, befürchtete er mit düsterer Mine.

»Auch das ist keiner Sorge wert«, winkte Henriette ab. »Ich glaube, er erwartet es bereits, weil er weiß, dass es mich glücklich macht. Ich habe ihm ausführlich von dir erzählt. Er schätzt dich für deinen Wagemut, so jung schon ein solches Unternehmen zu gründen.«