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Umsorgen Hospiz- und Palliativarbeit praktisch

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Bd. 1:

Schulung ehrenamtlicher Hospizbegleiter (Gratz, Mayer, Weidemann; ISBN: 978-3-17-029940-5)

Bd. 2:

Auf dem Weg zur Kooperationsvereinbarung (Kittelberger, Gratz, Rösch; ISBN: 978-3-17-029944-3)

Bd. 3:

Trauerbegleitung organisieren (Meyer, Brüning-Wolter, Fischinger, Mallmann, Rudert-Gehrke, Stockstrom; ISBN: 978-3-17-029948-1)

Bd. 4:

Hospiz- und Palliativversorgungsnetzwerke gestalten (Rösch; ISBN: 978-3-17-030770-4)

Bd. 5:

Die Schätze des Alters heben (Bergmann, Kittelberger; ISBN: 978-3-17-031883-0)

Bd. 6:

Hospizkultur und Palliativkompetenz in stationären Einrichtungen entwickeln und nachweisen (Rösch, Kittelberger; ISBN: 978-3-17-031891-5)

Bd. 7:

Führen und Leiten in Hospiz- und Palliativarbeit (Rösch, Schwermann, Büttner, Münch, Schneider, Gratz; ISBN: 978-3-17-032982-9)

Margit Gratz, Meike Schwermann, Traugott Roser

Palliative Fallbesprechung etablieren

Ein Leitfaden für die Praxis

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Pharmakologische Daten verändern sich ständig. Verlag und Autoren tragen dafür Sorge, dass alle gemachten Angaben dem derzeitigen Wissensstand entsprechen. Eine Haftung hierfür kann jedoch nicht übernommen werden. Es empfiehlt sich, die Angaben anhand des Beipackzettels und der entsprechenden Fachinformationen zu überprüfen. Aufgrund der Auswahl häufig angewendeter Arzneimittel besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

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1. Auflage 2018

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-032990-4

E-Book-Formate:

pdf:     ISBN 978-3-17-032991-1

epub:  ISBN 978-3-17-032992-8

mobi:  ISBN 978-3-17-032993-5

 

 

 

Inhaltsverzeichnis

 

  1. Download Zusatzmaterialien
  2. Die Autoren
  3. Geleitwort
  4. Vorwort
  5. 1 Entstehungsgeschichte
  6. 2 Grundlegung
  7. 2.1 Definition Fallbesprechung aus multidisziplinärer Perspektive
  8. 2.2 Modelle ethisch-reflexiver Fallbesprechung
  9. 2.2.1 Nimwegener Modell
  10. 2.2.2 Modell von Rabe
  11. 2.2.3 Multidisziplinäre ethische Fallbesprechungen ethisch schwieriger Entscheidungssituationen (MEFES)
  12. 2.2.4 Schmerzbezogene Fallbesprechung
  13. 2.2.5 Liverpool Care Pathway
  14. 2.2.6 Hermeneutische Fallbesprechung
  15. 2.2.7 Reflexive Fallbesprechung
  16. 2.2.8 Palliative Fallarbeit – Begleitete Intervision – Kollegiale Beratung
  17. 2.2.9 Fallbesprechungen: Gesamtübersicht
  18. Exkurs: Entscheiden und Lernen – Arbeit mit Fallberichten und Verbatims
  19. 3 Hermeneutisches Fallverstehen als Grundlage von Fallbesprechungen
  20. 3.1 Hermeneutisches Fallverstehen – Verschiedene Perspektiven
  21. 3.2 Objektive Hermeneutik
  22. 3.3 Objektive Hermeneutik im Gesundheitswesen
  23. 3.4 Wissenschaftliches und interventionspraktisches Verstehen
  24. 3.5 Protokolle und hermeneutisches Fallverstehen
  25. 3.6 Vor- und Nachteile des Hermeneutischen Fallverstehens
  26. 4 Palliative Fallbesprechung
  27. 4.1 Spezifikum und Novum
  28. 4.1.1 Total-Pain-Konzept als Strukturierungsgrundlage der Faktensammlung
  29. 4.1.2 Umsetzung
  30. 4.2 Anlässe
  31. 4.3 Einberufung und Besetzung
  32. 4.4 Ziele
  33. 4.5 Ablauf und Organisation
  34. 4.6 Durchführung
  35. 4.6.1 Moderationsanleitung
  36. 4.6.2 Beispiel
  37. 4.7 Ergebnissicherung und Evaluierung
  38. 4.7.1 Ergebnissicherung
  39. 4.7.2 Evaluierung bzw. Erfolgsmessung
  40. 4.8 Implementierung
  41. 5 Moderation
  42. 5.1 Grundverständnis, Ziel und Aufgabe
  43. 5.2 Voraussetzungen
  44. 6 Fallbeispiele
  45. 6.1 Beispiel aus der stationären Altenhilfe: Frau M.
  46. 6.2 Beispiel aus dem Betreuten Wohnen: Frau F.
  47. 6.3 Fazit und Ausblick
  48. Literatur
  49. Anhang
  50. Anhang 1: Prinzipienethik nach Beauchamp und Childress
  51. Anhang 2: Gesprächsleitfaden für schmerzbezogene Fallbesprechung im Alten- und Pflegeheim
  52. Anhang 3: Entscheidungsdiagramm zur Willensermittlung
  53. Anhang 4: Juristische Grundlage Palliativer Fallbesprechungen
  54. Anhang 5: Protokollbogen zur Palliativen Fallbesprechung

 

 

 

Download Zusatzmaterialien

 

Folgende Online-Zusatzmaterialien stehen Ihnen kostenfrei zur Verfügung:

•  Kapitel 4.6.1: Durchführung/Moderationsanleitung der Palliativen Fallbesprechung

•  Anhang 2: Gesprächsleitfaden für schmerzbezogene Fallbesprechung im Alten- und Pflegeheim

•  Anhang 5: Protokollbogen zur Palliativen Fallbesprechung

•  Tabelle 1

•  Abbildungen 14-18

Die Zusatzmaterialien1 können Sie unter diesem Link herunterladen: http://downloads.kohlhammer.de/?isbn=978-3-17-032990-4

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1     Wichtiger urheberrechtlicher Hinweis: Alle zusätzlichen Materialien, die im Download-Bereich zur Verfügung gestellt werden, sind urheberrechtlich geschützt. Ihre Verwendung ist nur zum persönlichen und nichtgewerblichen Gebrauch erlaubt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

 

 

Die Autoren

 

Margit Gratz war für die Umsetzung der Implementierung von Hospizkultur und Palliativkompetenz im Augustinum zuständig. Sie moderiert Palliative Fallbesprechungen in verschiedenen Kontexten und ist mit Implementierung in Einrichtungen des Gesundheitswesens befasst. Sie arbeitet als freiberufliche Referentin und leitet das Hospiz St. Martin in Stuttgart-Degerloch.

Meike Schwermann ist Trainerin für Palliative Care und Palliative Geriatrie und arbeitet als Pflegewissenschaftlerin und Pädagogin an der FH Münster im Fachbereich Gesundheit. Sie hat die fachlichen Grundlagen und wissenschaftlichen Anteile initiiert, einschließlich eines Forschungsprojektes zur Handlungskompetenz in der Moderation Palliativer Fallbesprechung und arbeitet als freiberufliche Referentin in der Erwachsenenbildung.

Traugott Roser ist Professor für Praktische Theologie an der WWU Münster und war Projektverantwortlicher für die Implementierung von Hospizkultur und Palliativkompetenz im Augustinum. Er ist Initiator des Konzepts der Palliativen Fallbesprechung und ist mit Moderation und Implementierung befasst.

Alle drei Autoren arbeiten mit der Palliativen Fallbesprechung in ihrem Praxis- bzw. Hochschulalltag und haben das Konzept entwickelt und erprobt.

 

 

 

Geleitwort

 

 

Seit mehr als 60 Jahren hat sich das Augustinum dem Auftrag verschrieben, Menschen in besonderen Lebenssituationen Freiräume zu eröffnen und zu erhalten. Mit seinen 23 Seniorenresidenzen in ganz Deutschland, zwei stationären, vorwiegend auf die Betreuung von Menschen mit Demenz spezialisierten Pflegeeinrichtungen, einer Fachklinik für Innere Medizin, Schulen und Internaten für Kinder und Jugendliche mit besonderem Förderbedarf sowie zahlreichen Einrichtungen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Behinderung ist das Augustinum in der Altenhilfe, im Gesundheitswesen, im Bereich Bildung und Erziehung und in der Behindertenfürsorge tätig und mit mehr als 4 400 Beschäftigten eines der führenden Sozialdienstleistungs-Unternehmen in Deutschland.

Alter ist für das Augustinum Chance und Herausforderung zugleich. Bewohnerinnen und Bewohner leben im Augustinum im Schnitt fast zehn Jahre – sie sind damit eine ganze Lebensphase lang im Augustinum zuhause. Bewohnerinnen und Bewohner leben ihr eigenes Leben, gehen ihren persönlichen Neigungen und Interessen nach, nutzen die Vielfalt von kulturellen Angeboten in den Häusern und solche für eigene Aktivitäten im Haus und außerhalb, pflegen die Gemeinschaft mit Gleichgesinnten ebenso wie die Privatheit der eigenen Wohnung. Sie leben selbstbestimmt und mit der Sicherheit, je nach persönlichem Bedarf gut betreut zu sein.

Diese Orientierung am Einzelnen ist die Kunst der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Augustinum: Menschen in allen Lebenslagen und in allen Veränderungen, die das Leben ganz unterschiedlich mit sich bringt, zu begleiten, individuelle Betreuung und Versorgung zu leisten und mit dem eigenen Fach- und Erfahrungswissen Menschen im zunehmenden Alter, bei Krankheit und Pflegebedarf und auch am Ende des Lebens verlässlich zur Seite zu stehen.

Palliative Care ist daher ein wichtiger Grundpfeiler im Augustinum. Auch hier geht es darum, Fürsorge, Zuwendung, Begleitung und Versorgung abgestimmt auf die Bedürfnisse jedes einzelnen Menschen zu leisten. Professionalität und Qualität gehören dabei zum Selbstverständnis, und das schließt ein, auch neue Wege zu gehen. Im Rahmen eines umfassenden palliativen Gesamtkonzepts wurde das Instrument der Palliativen Fallbesprechung entwickelt. Sie ist die Basis, um multiprofessionell auf Fragen, Veränderungen und Unklarheiten zu reagieren und einen Handlungsansatz zu gewinnen, wenn es gilt, einem Menschen individuell gerecht zu werden, seine Lebenssituation auf Basis seiner persönlichen Werte und Präferenzen zu verbessern und zu begleiten.

Die Palliative Fallbesprechung ist nicht nur ein Auftrag im Kontext der gesundheitlichen Versorgungsplanung. Sie ist im Augustinum ein erprobter Ansatz, mit dem wir die Orientierung an den Wünschen und Bedürfnissen der Menschen und unsere Handlungsmöglichkeiten weiter optimieren. Wir freuen uns, wenn die Palliative Fallbesprechung auch anderen Einrichtungen des Gesundheitswesens gute Dienste erweist, um Hospizarbeit und Palliative Care für die ihnen anvertrauten Menschen erfahrbar zu machen.

Anne Kremer-Hartmann

Geschäftsführerin Augustinum Gruppe, München

 

 

 

Vorwort

 

Fallbesprechungen sind ein bekanntes und bewährtes Instrument, um für kritische oder unklare Patienten- bzw. Bewohnersituationen eine Lösung zu entwickeln bzw. eine Handlungsorientierung zu erarbeiten. Es gibt sie in verschiedenen Varianten, Zielsetzungen und Settings. Dabei gehört die ethische Fallbesprechung wohl zu den bekanntesten Formen. Mit dem Hospiz- und Palliativgesetz (HPG), das 2015 in Kraft getreten ist, wurde auch die Palliative Fallbesprechung im Rahmen des §132g SGB V (Gesundheitliche Versorgungsplanung) etabliert. Was sie genau ist, wie sie abläuft, welchen Rahmenbedingungen sie unterliegt und vor allem: was sie von anderen Formen von Fallbesprechungen unterscheidet, hat der Gesetzgeber (zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Buches noch) nicht final beantwortet.

Eine Fallbesprechung sollte dann stattfinden, wenn in der Versorgung und Begleitung eines Patienten bzw. Bewohners eine Fragestellung vorliegt, die mittels Fallbesprechung geklärt werden kann und nicht nur dann, wenn mittels Gesetzgebung z. B. die Finanzierung dafür gesichert oder die Bedingungen erfüllt sind. Das Instrument muss für vielfältige palliative Situationen nutzbar sein. Wer aus wirtschaftlicher Perspektive auf den Einsatz von Fallbesprechung blickt, muss nicht nur darauf achten, welche Finanzierungsmöglichkeiten es dafür gibt. Es muss auch im Blick sein, welchen praktischen Nutzen und welches Einsparpotenzial damit verbunden ist. Ein Gewinn in jeder Hinsicht ist gegeben, wenn in komplexen, den Mitarbeitern kraft- und zeitraubenden Situationen frühzeitig, regelgeleitet und gemeinsam nach einem Handlungsansatz gesucht wird, der nicht nur Entlastung bietet und Ruhe verschafft, sondern der durch die Entwicklung eines abgestimmten Vorgehens Zeit freisetzt für andere Dinge, Aktionismus oder nicht zielorientierte Handlungen verhindert und damit auch Ressourcen schont. Dabei ist mit Gewinn nicht nur eine finanzielle Art gemeint. Ein Gewinn kann auch sein, wenn Mitarbeiter Klarheit für ihren Arbeitsauftrag haben, weniger Stress im Arbeitsalltag, alle auf einem Kenntnisstand sind und interprofessionelle Zusammenarbeit gefördert wird.

Dieses Buch ist nicht nur praxisorientiert, die dargestellte Palliative Fallbesprechung ist durch die Autoren auch praxiserprobt. An der Durchführung der im Buch genannten Fallbesprechungen wie auch der Erarbeitung von Textteilen waren viele Akteure beteiligt. Deshalb gilt ein besonderer Dank für die Beteiligung an den Entwicklungen und Erprobungen dieses Instrumentes, wie auch an der Entstehung einzelner Textteile:

•  Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus verschiedenen Fachbereichen der Augustinum gGmbH (die maßgeblich die Grundlagen, Abläufe und den Protokollbogen erarbeitet haben)

•  Vanessa Bergmann, Otto Farke, Marlene Frekers, Marc Hachmöller, Nina Henning, Thomas Kranendonk, Jetske Olde Olthof und Sigrid Schabacker (Studentinnen und Studenten am Fachbereich Gesundheit der Fachhochschule Münster, die im Rahmen eines Projektsemesters theoretische Inhalte zu den diversen Fallbesprechungsarten, z. B. Abschnitte wie Grundlegung, hermeneutisches Fallverstehen sowie den Anhang 1 Prinzipienethik, erarbeitet haben)

•  Christiane Hüls (Einrichtungsleitung des Wohnstift St. Marien, eine Einrichtung des Betreuten Wohnens) und Silvia Albat (Einrichtungsleitung des St. Elisabeth-Stift, ein Altenheim) mit ihren Mitarbeitern in Kevelaer (für die Bereitschaft, Fallbesprechungen in ihren Einrichtungen des Deutschen Ordens durchzuführen und ihre Bewohnerbeispiele anonymisiert für diese Publikation nutzbar zu machen)

Basierend auf diesem Fundament kann das Instrument seinen Weg in der Praxis weiter fortsetzen. Möge es all jenen ambulanten und stationären Einrichtungen des Gesundheitswesens eine Hilfe sein, die für ihre Patienten bzw. Bewohner einen Handlungsansatz suchen, der auf dem ganzheitlichen Ansatz von Hospizarbeit und Palliative Care beruht.

Die Autoren

 

 

 

1          Entstehungsgeschichte

 

Das Augustinum ist ein diakonischer Träger von 23 Seniorenresidenzen, in denen etwa 7 500 Bewohner leben. Diese werden von ca. 4 400 Mitarbeitenden begleitet und versorgt. Basis dieser Form des Betreuten Wohnens ist ein ambulantes Versorgungskonzept, das dieses mit Pflegedienst, Seelsorge, Einzugsbegleitung und Bewohnerservice, Reinigungsservice, Restaurant und Appartementservice, um nur Beispiele zu nennen, umsetzt (www.augustinum.de).

Im Rahmen der Implementierung von Hospizkultur und Palliativkompetenz in die Wohnstifte des Augustinum wurden ganztägige Auftaktveranstaltungen mit überwiegend Mitarbeitenden in Leitungsfunktionen als Entscheidungsträger und Multiplikatoren durchgeführt. Es sollten nicht nur Projektdaten in Form einer Informationsveranstaltung vermittelt werden, sondern auch in die Grundlagen von Hospizarbeit und Palliative Care in Seminarform eingeführt werden. Dazu wurden wesentliche Themen unterrichtet, Selbstreflexionsanteile integriert und Bewohnerbeispiele aus dem Erfahrungsumfeld der Teilnehmenden herangezogen. Ziel dabei war es, die theoretischen Grundlagen unmittelbar entlang hauseigener Versorgungssituationen darzustellen, um einen bestmöglichen Transfer in die Praxis zu gewährleisten und die Rolle jeder Berufsgruppe in der Hospiz- und Palliativarbeit des Hauses erfahrbar zu machen. Dabei wurde deutlich, dass es Bewohnersituationen gibt, die zwar keine medizinisch-pflegerische Entscheidung oder Therapiezieländerung bzw. eine Ethik-Beratung erfordern, wohl aber z. B. aufgrund ihrer Komplexität oder fehlender Informationen keinen eindeutigen Versorgungs- bzw. Begleitungsansatz erkennen lassen. In diese Situation hinein wurde das Instrument der palliativen Fallbesprechung – in den Jahren 2014 und 2015, also vor Inkrafttreten des HPG – erprobt und konzeptionell weiterentwickelt. Dieses Konzept kam bei allen Auftaktveranstaltungen zur Anwendung. Bei allen Fallbeispielen führte die Systematik der Palliativen Fallbesprechung zu einer Klarheit bezüglich des weiteren Vorgehens. Es wurde nicht nur deutlich, wie mit einer Situation weiter umzugehen ist. Die Fallbesprechung bzw. der erarbeitete Handlungsansatz führte i. d. R. auch zu einer Entlastung im Team, weil Klarheit hergestellt wurde und konkrete Handlungsaufträge an einzelne Beteiligte erarbeitet werden konnten. Das Instrument ist inzwischen in der Etablierung begriffen in allen 23 Wohnstiften des Augustinum in Deutschland, weil die Aufwand-Nutzen-Einschätzung eindeutig zugunsten des Nutzens (für Bewohner und Mitarbeiter gleichermaßen) ausgefallen ist.

Im weiteren Verlauf wurde die Palliative Fallbesprechung in einem Altenheim sowie einer Einrichtung des Betreuten Wohnens, beides Einrichtungen des Deutschen Ordens, durchgeführt und für diese Publikation ausgewertet und weiterentwickelt.

Trotz unternehmenseigener und spezifischer Entwicklungen stellt das Augustinum die wesentlichen Meilensteine der Implementierung von Hospizkultur und Palliativkompetenz, wie z. B. die Geriatrische Verlaufskurve (Gratz et al. 2017), Grundlagen zum Hospiz- und Palliativbeauftragten einer Einrichtung (Rösch et al. 2016), aber eben auch die Palliative Fallbesprechung, der Fachöffentlichkeit zur Verfügung.

 

 

 

2          Grundlegung

2.1       Definition Fallbesprechung aus multidisziplinärer Perspektive

Während der Begriff »Fallbesprechung« selbst bislang keinen Einzug in die Wörterbücher des deutschsprachigen Raumes (vgl. Duden Online) gefunden hat, ist sein Sprachgebrauch vor allem im Gesundheitswesen weit verbreitet. Auch die medizinische Definition von »Fall« (vgl. Duden Online) als »das Auftreten, Vorhandensein einer Krankheit bei jemandem« wird dem tatsächlichen Gebrauch im Gesundheitswesen nur annähernd gerecht, da eine Fallbesprechung deutlich über diesen Rahmen der »Krankheit« hinausgeht. Eine Definition von »Fallbesprechung« aus multidisziplinärer Perspektive erweist sich als schwierig, da die Literatur in erster Linie Bezug zum Gesundheitssektor und dort insbesondere im Bereich der Ethik nimmt, ohne dabei eine konkrete Definition aufzuzeigen, sodass im Folgenden auf das Verständnis von ethischen Fallbesprechungen verschiedener Autoren Bezug genommen wird.

Ethische Fallbesprechungen haben in den letzten Jahrzehnten einen klaren Bedeutungszuwachs erfahren, was durch eine Vielzahl unterschiedlicher Modelle, die in diesem Bereich entwickelt wurden, deutlich wird. Charakteristisch an allen Modellen der Fallbesprechung ist, dass alle Mitarbeiter im Aktionsradius der betroffenen Person in den ethischen Entscheidungsprozess involviert werden (Kostrzewa und Gerhard 2010, S. 207). Gerade für Wohnbereiche und stationäre Bereiche empfehlen Kostrzewa und Gerhard (2010, S. 208) sog. »basisnahe Modelle der ethischen Fallbesprechung«, da diese den Personenkreis, welcher die betroffene Person am besten kennt und folglich die getroffenen Entscheidungen umsetzen muss, ausreichend an diesem Entscheidungsprozess beteiligt (Kostrzewa und Gerhard 2010, S. 207). In Wohnbereichen zählen zu diesem Personenkreis bspw. die Bereichsleitung, das Pflegepersonal, der Hausarzt und in individueller Ausrichtung an die betroffene Person weitere Berufsgruppen wie z. B. Sozialarbeiter oder Hospizkräfte. »Bei aktuellen ethischen Konflikten« (Kostrzewa und Gerhard 2010, S. 208) ist die Beteiligung aller mit dem Betroffenen agierenden Personen besonders wichtig. Im Rahmen der ethischen Fallbesprechung hat jede Person die Chance, seine Sichtweise hinsichtlich der ethischen Fragestellung mitzuteilen und in den Diskurs mit anderen am Entscheidungsprozess beteiligten Personen zu treten. Kostrzewa und Gerhard (2010, S. 208) machen zudem auf die Notwendigkeit eines Moderators im Prozess der ethischen Fallbesprechung und Entscheidungsfindung aufmerksam. Dieser trägt Sorge dafür, dass der Verlauf der Entscheidungsfindung geordnet verläuft und auch »ethisch nicht Ausgebildete[n] eine konstruktive Beteiligung« (Kostrzewa und Gerhard 2010, S. 208) am Prozess ermöglicht wird. Der Moderator soll dabei eine klare Linie verfolgen und die gewählte Moderationsmethode kontinuierlich einhalten. Größte Aufgabe des Moderators ist es, eine neutrale Haltung einzunehmen, um keine Beeinflussung der Teilnehmer durch die Art und Weise seiner Moderation vorzunehmen. Einige Modelle involvieren zusätzlich die Angehörigen oder den Betroffenen selbst, da sie ebenso »Experten« für die Situation des Betroffenen sind. Kritisch ist dabei, dass eine offene Kommunikation möglicherweise untergraben wird und mögliche »ethische Konflikte im Team verdeckt bleiben« (Kostrzewa und Gerhard 2010, S. 208). Davon unabhängig ist eine kontinuierliche Begleitung und Gesprächsführung mit dem Betroffenen selbst und seinen Angehörigen im Vorfeld und nach ethischen Fallbesprechungen unerlässlich, um diese »bestmöglich in den Prozess der Fallberatung einzubeziehen« (Kostrzewa und Gerhard 2010, S. 208).

Gehäuft wird inzwischen auch der Begriff » Ethikberatung« (Bockenheimer-Lucius 2015, S. 19; Riedel und Lehmeyer 2016, S. 67 f) verwendet. Bockenheimer-Lucius (2015, S. 19) zufolge erfordert die Arbeit in einem Beratungskomitee u. a. eine »multiprofessionelle und interdisziplinäre Zusammensetzung« sowie eine »strukturierte Analyse ethisch und/oder rechtlich schwieriger, manchmal konfliktbeladener Situationen«, um überhaupt »durch eine systematische Analyse einen Beitrag zu ethisch besser begründeten Entscheidungen in der Medizin und im Gesundheitswesen […] leisten« zu können (Marckmann 2013, zitiert nach Bockenheimer-Lucius 2015, S. 19). Folglich wird der Begriff der Ethikberatung von Bockenheimer-Lucius ähnlich verstanden wie der Begriff der ethischen Fallbesprechung von Kostrzewa und Gerhard. Die Begründungsgrundlage für eine Ethikberatung bzw. eine ethische Fallbesprechung liegt häufig in einer ähnlichen Grundsituation: »Das pflegerische, ärztliche oder ›betreuende‹ Handeln« (Bockenheimer-Lucius 2015, S. 19) gegenüber der betroffenen Person führt durch die spezifischen situativen Gegebenheiten dazu, dass Widersprüche zwischen Moral und Handeln einer Person selbst (intrapersonal), aber auch Widersprüche im Selbstverständnis der Berufsgruppen untereinander (interpersonal) resultieren. Diesen moralischen Herausforderungen soll mittels Ethikberatung begegnet werden, um eine Entscheidung bezüglich der Handlungsweise zu treffen, welche vom gesamten betreuenden Personenkreis getragen wird (Bockenheimer-Lucius 2015, S. 19 f).