Die Finanzkrise hat das Vertrauen der Menschen in die Wirtschaft und Politik erschüttert. Nichts scheint mehr sicher zu sein: Der Arbeitsplatz ist gefährdet, die Firma, die jahrelang mit Erfolg geglänzt hat, kämpft nun um das Überleben. Viele Unternehmen haben Kurzarbeit angemeldet. So fehlt vielen Familien am Ende des Monats ein erheblicher Betrag, der benötigt wird, um beispielsweise die Rate für das Haus abzubezahlen. Vieles kann man sich nicht mehr leisten. Viele Familien spüren die Krise hautnah: Jahrelang hat man gut gewirtschaftet, hatte einen sicheren Arbeitsplatz. Doch nun droht alles ins Wanken zu geraten. Immer mehr höre ich in Begleitungsgesprächen die Menschen von ihren Sorgen um die Finanzen reden. Sie haben Angst und fragen sich, ob sie ihre Zukunft finanziell meistern können.

Die Reaktionen und Prognosen für die weitere Zukunft sind unterschiedlich. Die einen reagieren mit Untergangsszenarien: Es werde noch schlimmer werden. Die Weltwirtschaft werde zusammenbrechen. Die anderen reagieren mit Zweckoptimismus: Es könne schon bald wieder aufwärts gehen.

Viele verzagen angesichts der Krise. Sie verlieren den Mut. Sie haben Angst vor der Zukunft. Mir geht es nicht darum, die Ursachen der Finanzkrise zu erforschen. Darüber ist schon genug geschrieben worden. Gier und Maßlosigkeit und Vertrauensverlust sind wohl die wichtigsten Gründe, warum das Finanzsystem kollabiert ist. Meistens schimpft man dann auf die Gier der Banker und Spekulanten und benennt sie als Schuldige. Doch Gier und Maßlosigkeit und Misstrauen bestimmen uns alle. Wir alle wollten immer mehr und wir alle haben irgendwie das rechte Maß verloren. Wir haben uns vorgaukeln lassen, dass wir immer mehr Renditen erwirtschaften könnten und dass es immer weiter aufwärtsgehe. Ein anderer Grund war die Blindheit: Man ahnte, dass das System ungebremster und unregulierter Spekulation auf Dauer nicht gut gehen könne. Aber man verschloss die Augen vor dieser Ahnung, weil man ja gerade gut damit verdiente.

In diesem Buch möchte ich jedoch nicht nach rückwärts schauen. Ich will vielmehr den Menschen, die jetzt mit dieser oder einer anderen Krise konfrontiert sind, helfen, nicht den Mut zu verlieren, sondern sich unverzagt den Herausforderungen zu stellen.

Es geht mir dabei nicht nur um die Finanzkrise, sondern um all jene Krisen, die uns immer wieder in unserem Leben treffen. Krisen gehören zum Leben. Es gibt kein Wachstum ohne Krisen. Dies gilt für das persönliche Wachstum, aber offensichtlich auch für die Entwicklung einer Gesellschaft. Viele verlieren in der Krise den Mut und ihr Vertrauen ins Leben. So möchte ich in diesem Buch allen Menschen, die von Krisen geschüttelt werden, Mut machen, der eigenen Kraft zu trauen.

Das deutsche Wort »Kraft« bedeutet ursprünglich: Geschicklichkeit, Fertigkeit, Kunst, Handwerk. Es stammt aus einer Wurzel, die »drehen, winden, sich zusammenziehen« bedeutet. Für den Begriff der Kraft war demnach ursprünglich die Vorstellung vom Anspannen der Muskeln bestimmend. Wenn wir über Kraft sprechen, geht es aber nicht nur um Muskelkraft, sondern auch um die seelische Kraft, die im Menschen ist. Sie ist in jedem Menschen angelegt, aber er muss seine Muskeln und seine seelischen Stärken auch anspannen, um seine Kraft zu spüren.

Viele Menschen meinen, dass ihre Kraft nicht genüge, um die Krise zu meistern. In der christlichen Tradition hat man in Krisensituationen und vor wichtigen Entscheidungen immer den Geist Gottes angerufen und den Heilig-Geist-Hymnus gebetet. Man vertraute darauf, dass der Heilige Geist der Gemeinschaft und dem Einzelnen Wege zeigt und Kraft schenkt, um die Krise gut zu bestehen.

»Trau deiner Kraft« heißt für uns Christen daher, dass wir Vertrauen haben dürfen. Wir dürfen darauf vertrauen, dass die Kraft des Heiligen Geistes unsere körperliche und seelische Kraft stärkt. Die Bibel bezeichnet den Heiligen Geist als »dynamis«, als Kraft, die eine innere Dynamik entwickelt und die sich voller Spannkraft den Herausforderungen des Lebens stellt. Sie hilft uns, mit Phantasie die Aufgaben zu lösen, die uns das Leben zumutet. Und die Bibel spricht vom Heiligen Geist als »energeia«, als Energie. Das griechische »Energeia« setzt sich aus den Worten »en« – auf Deutsch »in« – und »ergon« – »das Werk« – zusammen. Es meint die wirkende Kraft, die ins Werk hineinströmt und die in alles hineinwirkt, was wir tun. Energie ist gleichsam die Kraft, die wir brauchen, um unsere Arbeit zu verrichten.

Wir hoffen, dass uns die Energie nicht ausgeht. Sie ist wie eine Quelle, aus der wir schöpfen. Der eigenen Kraft zu trauen heißt, darauf zu bauen, dass der Heilige Geist uns mit seiner »dynamis« zu Hilfe kommt und unsere Kraft stärkt. Wir dürfen hoffen, dass die Energie des Heiligen Geistes in unsere Kraft hineinströmt und sie befähigt, die Kraft in das Werk, in die Bewältigung der Krise hineinfließen zu lassen.

So möchte ich in diesem Buch die Bewältigung der Krisen, die uns in unserem Leben treffen, mit dem Nachdenken über den Heiligen Geist verbinden. Denn ich bin überzeugt, dass gerade die Besinnung auf den Heiligen Geist uns helfen kann, phantasievoller, kraftvoller und mutiger durch die Krisen zu gehen. Jesus hat uns den Heiligen Geist gesandt, damit wir an seiner Kraft teilhaben und genauso wie er durch das Leben und seine Krisen gehen können. Krisen haben ja auch im Leben Jesu nicht gefehlt, sie gipfelten vielmehr in der Krise des Kreuzes. Der Heilige Geist stärkt unsere Kraft und unseren Mut und er verleiht unserem Geist Phantasie und Kreativität, um Wege aus der Krise zu finden.

Der Umgang mit der Krise

1. Das Wesen der Krise

Das griechische Wort »Krisis« bedeutet ursprünglich: Scheidung, Sonderung, Sichtung, Auswahl. Aber es kann auch Entscheidung und Beurteilung sowie den Ausgang und die Lösung eines Konflikts meinen. Für den griechischen Arzt Hippokrates bedeutet Krise »die ausschlaggebende Phase einer Krankheit« (Cottier 13). Man spricht deshalb auch von der kritischen Phase. Sie ist »die entscheidende Phase einer Krankheit, in der sich die Wende zum Besseren oder Schlechteren, zu Leben oder Tod, vollzieht. In der also die Entscheidung über den Verlauf fällt, aber noch nicht gefallen ist« (Schnurr 61). Lange Zeit wurde Krise nur im medizinischen und militärischen Bereich (als die kritische Phase in einer Schlacht) verwendet. Doch dann haben sich die Historiker und die Soziologen dieses Begriffes angenommen. »Für die Historiker bedeutet Krise eine Erschütterung, ein Infragestellen auf verschiedenen Ebenen, sie bedroht einen bisher feststehenden und unwandelbar scheinenden Zustand; sie bedroht Einrichtungen und Bräuche, das politische Gleichgewicht oder die Unerschütterlichkeit der Glaubensüberzeugungen und der Werte, von denen die Zivilisation lebt« (Cottier 13). Die Krise kann demnach eine ganze Gesellschaft erschüttern und in Frage stellen. Sie stellt aber vor allem auch den einzelnen in Frage und bedroht sein inneres Gleichgewicht.

In der Geschichte hat man verschiedene Zeiten als größte Krise der Menschheitsgeschichte bezeichnet. So sagte Henri de Saint-Simon im Jahre 1813: »Die menschliche Gattung befindet sich verwickelt in eine der größten Krisen, die sie seit dem Ursprung ihrer Existenz eingesteckt hat.« Oder 1931 schrieb Karl Jaspers in seinem Buch »Die geistige Situation der Zeit«, dass »jetzt in jeder Zeitung von Krise die Rede« sei. Damals sprach man über die Kulturkrise, die Wertekrise, die Vertrauenskrise und die Sinnkrise. Und schon damals drückte man die Hoffnung aus, dass aus der Krise Neues entstehen werde. Teilhard de Chardin, der französische Naturforscher und Jesuit, sprach von der »Kraft der Verzweiflung«, die aus der Krise entspringt. Für Friedrich Nietzsche kann die Krise zum »Stimulans des Lebens«, zum »Mehrleben« werden. Doch Nietzsche fügt hinzu: »Nur muss man gesund genug für dieses Stimulans sein.«

Die Frage ist, ob wir persönlich und ob unsere Gesellschaft gesund genug ist, um in der Krise unserer Zeit den Stimulans zu erfahren und zum Mehrleben zu finden.

Die Psychologie hat das menschliche Leben als eine ständige Folge von Reifungs- und Werdenskrisen beschrieben. Da gibt es die Krise der Geburt, die Krise der Pubertät, der Lebensmitte, der Pensionierung, des Alterns und des Lebensendes. Diese Krisen gehören zum Wachstumsprozess des Lebens. Man spricht hier von normativen Krisen. Daneben gibt es Einbruchskrisen, die von außen auf uns zukommen: Naturkatastrophen, Unfälle, Krieg, Arbeitslosigkeit, Verbrechen, Tod eines lieben Menschen. Die Philosophen sprechen zudem von einer Krise der Vernunft, in die unsere Zeit geraten sei (vgl. Cottier 38). Und es gibt die sogenannten kathartischen Krisen: die sittlichen Krisen der Läuterung, Erneuerung und Wandlung.

In der Krise geraten wir unter zunehmenden seelischen Druck und suchen nach Auswegen aus der unangenehmen Lage. Wenn wir die Krise bewältigen, haben wir einen echten Reifungsschritt vollzogen. Aber es besteht auch die Gefahr, die Krise unangemessen zu kompensieren..

H. Häfner hat das sogenannte Störungsmodell für die Krise entworfen. »Eine Krise tritt ein, wenn das seelische Gleichgewicht gestört wird, d.h., wenn die stabilisierenden Mechanismen versagen« (Schwermer 459). Wer einem anderen Menschen in der Krise beistehen möchte, sollte sich fragen, wie die die Krise auslösenden Belastungen reduziert werden können, was dem Betroffenen an Anstrengungen zugemutet werden kann und welche Strategien der Krisenbewältigung zur Verfügung stehen. Der eine kennt spirituelle Wege, um seine Krise zu bearbeiten, der andere sucht Hilfe bei einem Arzt oder Therapeuten. Wieder ein anderer greift auf die eigenen Ressourcen zurück, die in ihm liegen. Die Krise ist auf jeden Fall eine Herausforderung an den Einzelnen, der er sich stellen muss.

Der deutsche Mystiker Johannes Tauler hat beschrieben, wie manch einer vor der Krise Angst hat und daher vor ihr davonläuft. Er stellt sich der inneren Unruhe nicht, die die Krise auslöst, sondern verlagert sie nach außen – beispielsweise indem er entweder die anderen ständig verändern will oder indem er alle drei Jahre einem anderen Guru nachläuft. Damit aber verweigert er den Schritt, den die Krise verlangt. Er versteift sich auf seine Prinzipien, wird hart und unflexibel. Er verweigert die Reifung und Verwandlung, zu der ihn die Krise herausfordern will.

Die Psychologie sagt uns, dass jede Krise – seien es die persönlichen Krisen, seien es die wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Krisen oder die Krisen der Vernunft – letztlich eine Identitätskrise ist. Es geht letztlich immer darum, eine neue Identität zu finden: Wer bin ich angesichts der Krise, in die ich geraten bin? Jede Krise macht etwas mit mir und stellt mich in Frage. Ich kann nicht einfach so wie bisher weiterleben.

Viele Menschen stellen sich dieser Frage nach ihrer Identität nicht. Sie verdrängen die Frage oder betäuben sie. In jeder Krise – so sagen die Philosophen – rücke man von bisher Gültigem ab und wende sich Neuem zu. Aber zugleich greift man auch auf frühere Einsichten und Vorstellungen zurück, die man als Ideal ansieht (vgl. Cottier 56).

Schon in früheren Zeiten hat man Modelle entworfen, wie wir auf die Krise reagieren sollen, ohne sie zu verdrängen oder aus lauter Angst vor ihr zu flüchten. Die Lateiner sprechen von: »per aspera ad astra« – »durch das Harte und Beschwerliche hin zu den Sternen«. Die Griechen sprachen davon, dass Lernen immer auch Leiden ist. Der Hebräerbrief hat dieses griechische Wortspiel (»mathein«/»pathein«) auf Jesus angewandt: »Obwohl er der Sohn war, hat er durch das Leiden den Gehorsam gelernt« (5,8). Friedrich Hölderlin hat seine Reaktion auf die Krise in das geflügelte Wort gekleidet: »Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.« All diese Worte wollen den Menschen Mut machen, vor der Krise nicht davonzulaufen, sondern sich ihr zu stellen.

2. Die Krise als Chance

Die Psychologie spricht davon, dass jede Krise – sowohl die normalen Krisen als auch die Einbruchskrisen – zu einer Werde- und Reifungskrise werden kann. Der Psychologe Josef Schwermer meint: In der Krise kommt der Mensch »unter zunehmenden seelischen Druck und sucht nach Auswegen aus der unangenehmen Lage, ohne zu einer Lösung zu kommen. Am Ende steht im glücklichen Falle eine Erweiterung des Repertoires der Bewältigungsstrategien (der Lebens- und Überlebenstechniken), also ein echter Reifungsschritt. Im unglücklichen Falle rettet sich die Person mit unangemessenen Kompensierungen über die Runden, wenn nicht gar das ganze seelische System zusammenbricht« (ebd. 458). Es ist nicht selbstverständlich, dass die Krise zu einer Reifungskrise wird. Es kann auch sein, dass der Mensch in der Krise zusammenbricht. Dies geschieht vor allem dann, wenn er die Krise als etwas bewertet, was gar nicht sein darf, wenn er sie als persönliche Schuld ansieht oder aber wenn er sie verdrängt und kompensiert. Kompensation löst die Krise nicht, sondern verschärft sie nur. Formen der Kompensation können der Ausweg in eine Spiritualität sein, die die Augen vor den Realitäten der Welt verschließt, oder ein leerer Aktivismus oder aber die Flucht in das Vergnügen. Die Süßwarenindustrie stellt beispielsweise fest, dass die Menschen in Zeiten der Krise mehr Schokolade oder andere süße Sachen essen.

Die Krise ist immer dadurch gekennzeichnet, dass das bisherige seelische Gleichgewicht gestört wird. So muss der Mensch versuchen, ein neues Gleichgewicht herzustellen. Die Krise ist daher eine Chance, sich gleichsam neu auszubalancieren. Das Fremdwort »Chance« kommt ursprünglich aus dem Lateinischen und dann aus dem Französischen und meint ursprünglich den glücklichen Fall der Würfel beim Würfelspiel. Die Krise als Chance meint, dass die Herausforderung glücklich ausgeht, dass die Würfel unseres Lebens gut fallen und wir einen Zugewinn an Kraft und Erfahrung bekommen.

Aber die Krise geht nicht automatisch gut aus. Sie verlangt von uns eine Antwort und einen Schritt hin zu mehr Reifung. Es liegt in unserer Verantwortung, wie wir auf die Krise reagieren. Wir können resignieren oder einfach so weitermachen, als ob es keine Krise gäbe. Oder aber wir können die Herausforderung als Chance sehen, unser Leben auf eine neue Basis zu stellen, und in uns neue Möglichkeiten entdecken.

Das menschliche Leben vollzieht sich in ständigen Krisen. Die Krisen werden gut bewältigt, wenn wir in ihr neue Möglichkeiten entdecken, eine neue Sichtweise unseres Lebens finden und neue Verhaltensweisen einüben, mit denen wir auf die aktuellen Herausforderungen reagieren. Wenn diese Reifungsschritte nicht getan werden, dann führt die Krise in die Krankheit, dann macht sie uns körperlich oder seelisch krank.

Wenn wir die Krise als Chance entdecken, dann werden wir in uns neue Möglichkeiten des Lebens entwickeln. Wir werden neue Erkenntnisse haben. Unsere Maßstäbe werden sich ändern. Wir werden durch die Krise klüger. Für den Mystiker Johannes Tauler ist die Krise eine Chance, dass Gott uns in den Seelengrund führt. Tauler spricht von der Krise der Lebensmitte, in der sich viele Menschen eingerichtet haben: Sie kennen sich im Beruf aus. Sie haben eine Familie gegründet, ein Haus gebaut. Aber sie gehen im Äußeren auf. In dieser Situation aber bringt Gott die Menschen selbst in ein »Gedränge«. Gott macht es wie die Frau im Gleichnis (vgl. Lk 15,8–10). Sie stellt die Stühle auf den Tisch, verrückt die Schränke, um die verlorene Drachme – gemeint ist: das Bild des wahren Selbst – zu finden. Damit der Mensch sich selbst findet, führt ihn Gott in die Krise. Tauler sieht die Krise demnach als Chance, Gott an sich handeln zu lassen und sich von Gott in den Grund seiner Seele führen zu lassen.

Bekannt ist, dass die Chinesen ein Zeichen haben, das zugleich Krise wie Chance bedeutet. Damit die Krise aber zur Chance wird, braucht es unsere Mitarbeit.

Wichtig ist zunächst die richtige Reaktion. Wer die Krise verdrängt oder betäubt, den wird sie innerlich zerbrechen. Nur wer die Krise an sich heranlässt und sich fragt, was sie ihm zu sagen hat, kann daraus lernen.

Der entscheidende Lernschritt ist dann die Frage nach der eigenen Identität. Die Finanzkrise beispielsweise zeigt mir, dass ich mich nicht vom Geld oder vom Wohlstand oder von einem sicheren Arbeitsplatz her definieren kann. Ich brauche ein anderes Selbstbild. Letztlich werde ich die Krise nur bewältigen, wenn ich den haltenden Grund meines Lebens in meiner Seele oder in Gott finde. Jesus spricht vom Haus auf dem Felsen (vgl. Lk 6,48). Wir sollen unser Lebenshaus auf Gott bauen. Er ist ein Fels, der unserem Haus Bestand verleiht. Dann können die Stürme der Krise heranbrausen oder die Wasser und Wogen der Katastrophe über uns hereinbrechen. Sie werden das Haus nicht zum Einsturz bringen. Wer aber sein Haus auf dem Sand von Illusionen aufbaut, wird es zusammenbrechen sehen, sobald eine Krise die Grundfesten des Hauses erschüttert. Solche Illusionen zeigen sich etwa in folgenden Formulierungen: »Ich kann mein Leben absichern.« »Ich kann mir das Glück durch äußeren Wohlstand garantieren.« »Ich habe immer Erfolg.« »Mein Leben liegt in meiner Hand.«

Viele Menschen haben mir erzählt, dass sie durch eine Krise auf einen neuen Weg gebracht wurden und einen großen Reifungsschritt gemacht haben. Ein krebskranker Mann etwa ist inzwischen dankbar, dass der Krebs ihn heimgesucht hat. Denn die Krankheit hat ihm die Augen geöffnet für das, was wirklich im Leben zählt. Er hat seine Lebensweise umgestellt. Er ernährt sich bewusst und achtet auf seinen Lebensstil. Und er hat sich auf einen neuen spirituellen Weg eingelassen. Eine Frau kam durch eine Angsterkrankung in eine Krise. Auch sie ist im Nachhinein froh, weil sie so die Angst machende Frömmigkeit ihrer Kindheit hinter sich lassen und sich zu einer neuen spirituellen Weite öffnen konnte.

3. Arten der Krise

Die Psychologie hat verschiedene Krisen im Laufe des menschlichen Lebens ausgemacht und beschrieben. Ich möchte einige dieser Krisen anhand biblischer Bilder und Texte beschreiben. Die Bibel weiß um die Krisen des Menschen. Sie beschreibt sie nicht wissenschaftlich, sondern in Bildern. Bilder lassen uns etwas vom Wesen der Krise aufleuchten und weisen zugleich einen Weg aus der Krise.

Negative Selbstbilder können die Ursache mancher Krise sein. Daher bedarf es angemessener Bilder, um die Krise zu überwinden. In der Bibel finden wir beides: die Bilder für die Krise und heilende Bilder, die aus der Krise herausführen.

Die Krise der Pubertät

Da die Leser und Leserinnen meiner Bücher zum größten Teil erwachsene Menschen sind, möchte ich die Pubertätskrise nur kurz beschreiben. Pubertierende werden meine Texte kaum lesen. Aber auch die Eltern pubertierender Söhne und Töchter sind von dieser Krise betroffen.

In der Pubertät geht es darum, die Kindheit hinter sich zu lassen und eine neue Identität als Jugendlicher zu finden. Diese Phase ist mehr als eine Rebellion gegen die Eltern. Die Jugendlichen sind verunsichert. Sie möchten sich von den Eltern lösen, brauchen aber auf der anderen Seite die Eltern als Stütze. So ist ihr Verhalten oft genug ambivalent. Sie wechseln zwischen Anlehnungsbedürfnis und schroffer Abweisung, zwischen Isolierung und Abschottung auf der einen und dem Bedürfnis, über ihre Probleme zu sprechen, auf der anderen Seite.

Der Evangelist Lukas schildert uns diese Pubertätskrise in der Szene vom zwölfjährigen Jesus im Tempel (vgl. Lk 2,41–52). Jesus hatte sich mit zwölf Jahren von den Eltern abgesetzt. Er war nicht mehr der folgsame Junge, der alles tat, was die Eltern sagten. Er blieb einfach im Tempel zurück und diskutierte mit den Schriftgelehrten. Er hörte nicht nur zu, er stellte den Lehrern vielmehr Fragen. Er ließ nicht mehr alles gelten, was ihm verkündet wurde. Er stellte es in Frage. Aber er ließ sich auch selbst fragen und gab Antworten, über die die Lehrer staunten. Seinen Eltern mutete er zu, dass sie ihn drei Tage voller Angst suchten. Als seine Eltern ihn schließlich fanden, waren sie sehr betroffen. Seine Mutter fragte ihn vorwurfsvoll: »Kind, wie konntest du uns das antun? Dein Vater und ich haben dich voll Angst gesucht« (Lk 2,48). Doch Jesus geht gar nicht auf ihre Angst und ihren Vorwurf ein. Er stellt ihnen eine Frage: »Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört?« (Lk 2,49) Die Eltern verstehen nicht, was Jesus meint. Sie spüren, dass ihr Sohn ihnen fremd geworden ist. Es ist etwas in ihm, wozu sie keinen Zugang haben. Sie können nicht mehr über ihn verfügen. Sie müssen ihn seinen Weg gehen lassen.

Was Lukas hier schildert, geschieht in ähnlicher Weise in jeder Pubertätskrise. Der Sohn oder die Tochter tut etwas, was die Eltern nicht verstehen und sie verletzt. Die Eltern verstehen ihre Kinder nicht, die doch bisher immer so brav waren. Es bricht etwas in die Kinder ein, über das die Eltern nicht mehr verfügen können. Das ist oft genug schmerzlich. Und viele Eltern haben Angst, dass ihre Kinder das Leben nicht schaffen. Wenn die Eltern leistungsorientiert waren, verweigern die Kinder in der Pubertät die Leistung. Sie leben in den Tag hinein und übernehmen keine Verantwortung für ihr Leben. Sie wollen zwar ihren Weg gehen, aber sie wissen nicht, wohin er geht. Und sie rechnen damit, dass die Eltern ihre immer unersättlicher werdenden Bedürfnisse erfüllen. Auf der einen Seite wollen sie erwachsen sein. Auf der anderen Seite aber bleiben sie Kinder mit riesigen infantilen Ansprüchen an die Eltern.

Lukas beschreibt aber auch einen Weg aus der Krise. Maria und Josef machen dem Kind keinen Vorwurf. Sie nehmen ihn mit nach Nazaret. Von Maria wird gesagt: Sie »bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen« (Lk 2,51). Im Griechischen steht hier das Wort: »diaterein«, das »durchschauen, auf den Grund schauen« bedeutet. Maria versuchte demnach, in die Worte und in das Geschehen hineinzuschauen, um ihren Sohn zu verstehen. Sie urteilt nicht, sondern nimmt alles, was sie von ihrem Sohn sieht und hört, in ihr Herz auf, um es dort anzuschauen und ihm auf den Grund zu sehen.

Von Jesus aber wird gesagt: »Er kehrte mit ihnen nach Nazaret zurück und war ihnen gehorsam« (Lk 2,51). Jesus blieb also nicht in der Rebellion. Nach außen hin ordnete er sich unter. Aber dennoch ging er seinen eigenen Weg: »Jesus aber wuchs heran, und seine Weisheit nahm zu, und er fand Gefallen bei Gott und den Menschen« (Lk 2,52). Das klingt sehr harmonisierend. Aber die Weisheit, die in Jesus zunahm, war den Eltern sicher nicht immer verständlich. Dennoch fand Jesus Gefallen, nicht nur bei Gott, sondern auch bei den Menschen.

Es ist ein Hoffnungsbild für alle Eltern pubertierender Söhne und Töchter, dass durch alle Krisen hindurch die Kinder Weisheit lernen und dass sie ihren Weg finden: einen Weg, der auch vor den Menschen Gefallen findet.

Die Krise der Identität

Viele junge Erwachsene erleiden zwischen dem 20. und 23. Lebensjahr eine Identitätskrise. Nach der Pubertät haben sie ihren Weg gefunden. Sie haben Abitur gemacht oder eine Lehre abgeschlossen. Bisher war alles in Ordnung. Doch jetzt zweifeln sie auf einmal an ihrer Identität. Bei Studenten ist diese Identitätskrise besonders ausgeprägt. Im Gymnasium nahm alles seinen geregelten Lauf. Doch jetzt müssen sie sich selbst im Studium zurechtfinden. Im Gymnasium wussten sie, was sie konnten. Gerade Schüler, die sehr gute Noten hatten, tun sich jetzt auf einmal schwer, weil sie nicht mehr die besten sind oder weil sie nicht einschätzen können, wo ihre Leistung momentan steht. Das verunsichert sie.