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Tödliche Spur

erzählt von André Marx

Kosmos

 

 

 

 

 

Umschlagillustration von Aiga Rasch (9.Juli 1941–24.Dezember 2009)

Umschlaggestaltung von eStudio Calamar, Girona, auf der Grundlage der Gestaltung von Aiga Rasch

 

 

 

Unser gesamtes lieferbares Programm und viele weitere Informationen zu unseren Büchern, Spielen, Experimentierkästen, DVDs, Autoren und Aktivitäten finden Sie unter www.kosmos.de

 

 

 

 

© 1999, 2010, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Mit freundlicher Genehmigung der Universität Michigan

 

Based on characters by Robert Arthur.

 

ISBN 978-3-440-12507-6

Produktion: DOPPELPUNKT, Stuttgart

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Todesangst

Justus Jonas erwachte und öffnete die Augen.

Dunkelheit.

Wärme.

Stille.

Modergeruch lag in der Luft.

Er horchte. Nicht der kleinste Laut. Nur das Pochen seines Herzens und das Rauschen des Blutes in seinen Ohren. Sein Rücken schmerzte. Er lag auf etwas Hartem. Vorsichtig tastete er den Boden ab. Unter ihm war raues, rissiges Holz. Direkt neben seinen Schultern ragten hölzerne Wände empor. Und über ihm … Seine Hände stießen nur wenige Zentimeter über seinem Gesicht gegen ein Hindernis. Justus erschrak. Ringsherum nur Holz. Er war gefangen.

Panik stieg in ihm hoch. Mit aller Kraft trat er gegen die Wände. Das Holz gab nicht einen Zentimeter nach. Es gab nicht einmal das erwartete Krachen, sondern nur ein dumpfes Pochen. Jedes Geräusch wurde sofort geschluckt. So als befände er sich … tief unter der Erde.

Hektisch zog er aus seiner Hosentasche ein Feuerzeug hervor. Die kleine Flamme erhellte den winzigen Verschlag – ein Sarg! Er war lebendig begraben worden! Die Angst ergriff vollends von ihm Besitz. Er brüllte aus Leibeskräften, trommelte gegen die Wände, stemmte sich gegen die Decke – und erwachte in seinem Bett. Justus riss die Augen auf und blickte auf die grüne Digitalanzeige seines Weckers: 2:12. Erleichtert entspannte er sich. Dann strampelte er mühsam die Decke weg, unter der er wie verrückt geschwitzt hatte, und atmete einmal tief durch.

Justus versuchte, sich daran zu erinnern, was für ein Tag heute war. Montag. In fünf Stunden musste er aufstehen und zur Schule gehen. Hatte er wirklich geschrien? Womöglich waren Onkel Titus und Tante Mathilda davon wach geworden. Er schwang sich aus dem Bett. Das Schlafzimmer der beiden lag im Erdgeschoss. Justus schlich die Treppe hinunter und öffnete vorsichtig die Tür. Ein schmaler Streifen Licht fiel durch das Fenster auf das Bett. Dort lagen die beiden, Onkel Titus in Embryohaltung auf der Seite und Tante Mathilda auf dem Rücken, leise schnarchend. Justus lächelte. Wenn sie erkältet war, war das Schnarchen manchmal so laut, dass er ein Stockwerk höher davon aufwachte. Onkel Titus dagegen machte es nie etwas aus. Justus betrachtete ein paar Sekunden lang dieses friedliche Bild. Er war heilfroh, dass sie nicht aufgewacht waren. Sein Geschrei wäre ihm ganz schön peinlich gewesen. Leise schloss er die Tür und ging zur Treppe zurück. Doch noch bevor er die erste Stufe betrat, hörte er ein vertrautes brummendes Geräusch: sein Magen.

Justus drückte vorsichtig auf seinen Bauch. Da war ganz klar ein riesiges Loch, das unbedingt gefüllt werden wollte. Wann hatte er das letzte Mal etwas gegessen? Vor sechs Stunden. Kein Wunder, dass er hungrig war.

»Nein«, rief er sich flüsternd zur Ordnung. »Die Kalorien, die man nachts anfrisst, wird man nie wieder los.« Er wollte das Knurren ignorieren und schnell wieder ins Bett gehen, doch bereits nach drei Stufen meldete sich sein Magen so energisch, dass er die Kontrolle über Justus’ Beine gewann. Wie hypnotisiert folgten sie dem Ruf des Kühlschranks, und Justus konnte nicht mehr an sich halten, als er den Käse, den Schinken und die Reste des Schokoladenpuddings von gestern sah. Gierig machte er sich über alles her und redete sich immer wieder ein, dass dies das letzte Mal war. Eine letzte Sünde vor der großen Diät, die er diesmal so lange durchhalten würde, bis er sein Idealgewicht erreicht hatte. Ohne Zucker, ohne Fett und mit viel Sport. Er würde einfach Peter bei seinem Training begleiten. Bestimmt.

Ein wenig frustriert, doch von guten Vorsätzen erfüllt, stellte er die Reste seines Nachtmahls in den Kühlschrank zurück und wollte sich gerade auf den Weg nach oben machen, als er aus den Augenwinkeln etwas wahrnahm. Er drehte sich zum Fenster. War da draußen nicht eine Bewegung gewesen? Langsam trat er näher an die Scheibe und sah hinaus. Düster lag der Schrottplatz vor ihm. Nur das Licht der Straßenlaternen fiel über den hohen Bretterzaun, der das Gelände begrenzte, und verwandelte die Berge aus Schrott und Gerümpel in bizarre Gebilde aus Licht und Schatten – ein vertrauter Anblick für Justus. Er hatte fast sein ganzes Leben hier verbracht. Aufmerksam wanderte sein Blick vom kleinen Holzschuppen, in dem Onkel Titus seine wertvollsten Schätze aufbewahrte, zum Büro, in dem Tante Mathilda sich um die Buchhaltung kümmerte, zum Campinganhänger, in dem Justus und seine Freunde Bob und Peter ihre Detektivzentrale eingerichtet hatten, zur angrenzenden Freiluftwerkstatt … Alles war ganz ruhig. Er musste sich getäuscht haben. Justus wartete einige Minuten, doch nichts rührte sich. Wahrscheinlich war es nur ein Auto gewesen, dessen Scheinwerferlicht durch die Ritzen im Zaun gefallen war.

Gerade als er endgültig in sein Bett zurückkehren wollte, sah er es erneut: ein Licht, ein Schatten. Jemand schlich mit einer Taschenlampe durch die Werkstatt! Eine hochgewachsene, schlanke Gestalt. Mehr konnte Justus nicht erkennen. Er wirbelte herum, stürzte zum Telefon im Flur, aber als er den Hörer abheben und die Nummer der Polizei wählen wollte, hielt er inne. Die Polizei würde zu lange brauchen. Bis dahin war der Einbrecher längst über alle Berge. Justus legte wieder auf und zog Tante Mathildas Strickjacke an, die an der Garderobe hing. Dann schlüpfte er in seine Turnschuhe und öffnete die Haustür. Es war unangenehm kühl. Er blieb ein paar Sekunden in der Tür stehen und hielt Ausschau nach dem Schatten. Da war er wieder! Er schlich über den Hof, näherte sich aber nicht wie erwartet dem Schuppen oder Büro, sondern dem roten Tor. Diese in den Bretterzaun eingebaute Geheimtür kannte außer Justus, Peter und Bob niemand. Das musste ein Zufall sein! Doch als die Gestalt tatsächlich genau dort stehen blieb und sich an dem Mechanismus zu schaffen machte, mit dem man eines der Zaunbretter zur Seite schieben konnte, löste sich Justus aus seiner Starre und lief, so schnell er konnte, auf den Fremden zu. Er musste wissen, wer das war! Der Einbrecher hörte Justus’ Schritte und drehte sich um, doch sein Gesicht lag im Schatten des Zaunes. Er zwängte sich durch die schmale Öffnung des roten Tores und verschwand.

Als Justus die Geheimtür erreichte, hörte er bereits einen Motor aufheulen. Er steckte seinen Kopf durch das geheime Tor, sah aber nur noch die Rücklichter des Autos. Angestrengt kniff er die Augen zusammen und erkannte die ersten Buchstaben des Nummernschildes. Dann verschwand der Wagen in der Ferne.

Wütend stampfte Justus mit dem Fuß auf, schloss das rote Tor und suchte ein paar Minuten auf dem Schrottplatz herum. Schließlich fand er einen geeigneten Holzkeil, mit dem er den Eingang versperren konnte. Als er ihn unter das Brett geklemmt hatte, fiel sein Blick auf einen kleinen, blitzenden Gegenstand. Der Einbrecher hatte bei seiner Flucht etwas verloren.

Ein Feind aus der Vergangenheit?

»Wir treffen uns heute Nachmittag in der Zentrale«, sagte Justus Jonas, als er seine Freunde Peter Shaw und Bob Andrews in der Pause auf dem Schulhof traf.

Peter runzelte die Stirn. »Ich wünsche dir auch einen guten Morgen, Justus. Tut mir leid, ich kann heute nicht, ich gehe mit Jeffrey surfen. Darauf freue ich mich schon seit Tagen.«

»Im Internet?«, fragte Bob.

»Natürlich nicht«, erwiderte Peter gereizt, der Bobs Scherz nicht begriff. »Schon mal was von Wasser, Wind und Surfbrettern gehört?«

»Es ist wichtig, Peter!«, mischte Justus sich ungeduldig ein. »Wir haben etwas Dringendes zu besprechen. Sozusagen einen Notfall.«

»Notfall? Ist die Zentrale abgebrannt?«

»So ähnlich. Wir hatten letzte Nacht einen Einbrecher. Also: Pünktlich um drei auf dem Schrottplatz!« Mit diesen Worten wandte Justus sich um und ging mit schnellen Schritten auf das Schulgebäude zu.

Bob und Peter blickten ihm schweigend nach, bis Bob seine Sprache wiederfand und hinterherrief: »He! Ist das dein Ernst?«

»Ja!«, rief Justus zurück.

»Was ist denn passiert? Bleib doch stehen!«, versuchte Peter ihn aufzuhalten.

»Keine Zeit! Ich muss noch in die Bibliothek, bevor die nächste Stunde anfängt«, behauptete Justus und war verschwunden.

»Das darf ja wohl nicht wahr sein«, sagte Peter kopfschüttelnd. »Der kann uns doch nicht so hängen lassen.«

»Doch, kann er. Er weiß ja, dass du heute Nachmittag kommst.«

»Aber ich habe keine Zeit!«, widersprach Peter.

»Dann willst du also nicht wissen, was es mit dem Einbruch auf sich hat?«

»Doch, natürlich. Aber …« Nun dämmerte es Peter. »So ein Blödmann«, knurrte er. »Er musste gar nicht in die Bibliothek. Er wollte nur vermeiden, dass wir ihn schon jetzt ausquetschen.«

»Und?«, fragte Bob. »Funktioniert es?«

»Darauf kannst du Gift nehmen.«

 

Justus saß in der Zentrale und dachte über die Geschehnisse der letzten Nacht nach, als es klopfte. Wer konnte das sein? Bob und Peter würden einfach in die Zentrale stürmen. »Herein.«

Onkel Titus betrat den Campinganhänger. Er blickte zurück, als würde er verfolgt, dann schloss er schnell die Tür. Es war selten, dass er oder Tante Mathilda in die Zentrale kamen. Sein Besuch musste einen besonderen Grund haben. Der kleine Mann mit dem riesigen schwarzen Schnauzbart blickte sich interessiert um.

»Onkel Titus! Was für eine Überraschung! Lass mich raten: Du brauchst Hilfe beim Auf- oder Abladen. Hat das vielleicht Zeit? Bob und Peter kommen gleich und wir haben etwas Wichtiges zu besprechen.«

»Mal wieder im detektivischen Eifer?«, flüsterte Onkel Titus, als fürchtete er belauscht zu werden. »Nein, keine Angst, Justus, heute hast du einen freien Tag. Ich wollte nur fragen, ob du schon mit Morton gesprochen und den Rolls-Royce für nächste Woche vorgemerkt hast.«

Justus schlug sich gegen die Stirn. »Ach, Mist! Habe ich ganz vergessen.« Onkel Titus hatte sich zum Geburtstag seiner Frau eine besondere Überraschung einfallen lassen, für die er den Rolls-Royce unbedingt brauchte. Der schwarz-goldene Prachtwagen samt Chauffeur stand den drei ??? seit Beginn ihrer Detektivarbeit zur Verfügung.

»Bitte, Justus, es ist der Geburtstag deiner Tante! Wenn Morton schon ausgebucht sein sollte, weil du ihn nicht rechtzeitig gefragt hast, muss ich mich an eine andere Autovermietung wenden. Dann wird es teuer. Und ich werde Mathilda auf gar keinen Fall mit dem Pick-up fahren!«

»Wird sofort erledigt.«

»Gut. Ich verlasse mich auf dich.«

Als Onkel Titus wie ein Verschwörer die Zentrale verlassen hatte, hängte Justus sich sofort ans Telefon. Doch weder unter Mortons Privatnummer noch am Autotelefon ging jemand an den Apparat. Also rief er bei Mr Gelbert, dem Chef der Autovermietung an, dem der Rolls-Royce eigentlich gehörte. Das tat Justus sehr ungern, da er die Termine sonst immer mit Mor-ton direkt absprach und Mr Gelbert die drei ??? nicht besonders mochte. Zwar war er von einem ihrer alten Klienten vor einiger Zeit für alle weiteren Fahrten mit dem Rolls fürstlich entlohnt worden, doch es passte ihm trotzdem nicht, dass drei junge Burschen kommen konnten, wann sie wollten, um den Wagen zu mieten.

»Autovermietung Gelbert, guten Tag?«

»Guten Tag, Mr Gelbert, hier spricht Justus Jonas aus Rocky Beach. Ist Morton zufällig bei Ihnen im Büro?«

»Justus«, brummte Gelbert, ohne den geringsten Versuch, seinen Unmut zu verbergen. »Nein, Morton ist nicht hier. Leider. Er ist heute nicht zum Dienst erschienen und zu Hause meldet sich auch niemand. Normalerweise ist Morton die Pünktlichkeit in Person. Erst ein Mal hat er unentschuldigt gefehlt. Und damals hatte es mit euch drei Detektiven« – er spie das Wort förmlich aus – »zu tun. Bist du sicher, dass ihr diesmal nicht auch wieder dahintersteckt? Ich warne euch –«

»Ich weiß nicht, wovon Sie reden, Mr Gelbert«, antwortete Justus ungehalten. »Wenn ich eine Ahnung hätte, wo Morton sich aufhält, würde ich kaum bei Ihnen anrufen. Bitte seien Sie so nett und teilen Sie ihm mit, dass ich Freitag in einer Woche seine Dienste in Anspruch nehmen möchte. Auf Wiederhören.« Er legte auf. Bereits einen Moment später bereute er seinen rüden Tonfall. Es war nicht gerade klug, sich mit Mr Gelbert anzulegen. Er war imstande, Morton Justus’ Bitte einfach zu verschweigen, um den drei Detektiven eins auszuwischen. Doch bevor er weiter darüber nachdenken konnte, wurde die Tür aufgerissen und Peter stürmte aufgeregt herein, gefolgt von Bob, der einen wesentlich gelasseneren Eindruck machte.

»Also, Just, schieß los! Ich habe nicht viel Zeit. In einer halben Stunde bin ich am Strand verabredet. Was ist passiert?«

»Kommt erst mal rein«, bat Justus. Er wollte sich nicht von Peters Hektik unter Druck setzen lassen.

Widerwillig nahm der Zweite Detektiv auf einem Stuhl Platz und wippte sogleich ungeduldig mit den Füßen.

Als Justus sicher war, dass er die ganze Aufmerksamkeit seiner Kollegen hatte, schilderte er den Vorfall der letzten Nacht in allen Einzelheiten.

»Unmöglich!«, rief Bob, nachdem er die Geschichte gehört hatte. »Jemand kennt unseren geheimen Eingang zum Schrottplatz?«

»Und zwar sehr genau«, bestätigte Justus. »Ich habe natürlich sofort nachgesehen, ob etwas gestohlen wurde, aber bisher vermisse ich nichts.«

»Meinst du, der Einbrecher war auch hier in der Zentrale?«, hakte Peter nach. Beunruhigt ließ er seinen Blick durch den kleinen Raum schweifen

»Ich glaube nicht. Das Vorhängeschloss am Eingang sieht unversehrt aus.«

»Wenn er das rote Tor kennt, kennt er vielleicht auch Tunnel II«, bemerkte Bob und meinte damit einen geheimen Gang, der von der Freiluftwerkstatt unterirdisch zu einer Luke im Boden der Zentrale führte. »Der ist ungesichert.«

»Mehr oder weniger. Dort unten liegt seit Monaten ein Berg von alten Akten begraben, den wir schon vor einer Ewigkeit abarbeiten wollten. Tunnel II ist also absolut unbenutzbar, es sei denn, man räumt die Akten beiseite. Aber dazu hatte der Einbrecher kaum genug Zeit. Jedenfalls nicht, wenn er hier auch noch etwas gesucht hat.« Zum Beweis öffnete Justus die Bodenluke. Die Akten waren immer noch an ihrem Platz.

»Schön, er war also vermutlich nicht in der Zentrale, sondern nur in der Werkstatt«, überlegte Peter. »Aber du sagst, es fehlt nichts. Was hat er dann gemacht? Und wer war er?«

»Jemand, der uns seit geraumer Zeit beobachtet«, sagte Bob und blickte sich unwillkürlich um. »Sonst würde er sich nicht so gut auskennen.«

»Wann habt ihr das rote Tor zum letzten Mal benutzt?«, fragte Justus. »Bei mir dürfte das ein paar Wochen oder sogar Monate her sein.«

»Kommt bei mir ebenfalls in etwa hin«, sagte Peter.

Auch Bob nickte zustimmend. »Auf keinen Fall in den letzten drei Wochen.«

Justus zupfte an seiner Unterlippe. »Dann gibt es vier Möglichkeiten. Nummer eins: Wir werden bereits seit mehreren Wochen observiert, ohne dass wir etwas davon mitbekommen haben. Das halte ich jedoch für extrem unwahrscheinlich. Wir sind schließlich weder blind noch blöd und hätten es sicher bemerkt, wenn uns jemand beschattet. Nummer zwei: Irgendwann in der Vergangenheit hat jemand zufällig mitbekommen, dass es einen geheimen Eingang zum Schrottplatz gibt, und ist aus bisher unbekannten Gründen erst jetzt zum Täter geworden. Nummer drei: Er hat das rote Tor zufällig entdeckt. Nummer vier: Es ist jemand, den wir kennen. Schließlich ist das rote Tor nicht hundertprozentig geheim. Wir hatten ja schon hin und wieder Besuch in unserer Zentrale und haben einigen auch unsere Spezialausrüstung und Geheimgänge gezeigt.«

»Ein Freund?«

»Oder Feind«, spann Bob den Gedanken weiter.

»Groß und schlank? Da fällt mir ganz spontan nur einer ein«, meinte der Zweite Detektiv und seine Miene verfinsterte sich. »Skinny Norris.«

»Skinny? Der hat sich doch schon ewig nicht mehr in unserer Nähe blicken lassen«, widersprach Bob.

»Na und? Das heißt ja nicht, dass er nicht zurückkommen könnte. Außerdem habe ich gehört, dass er seine Eltern hin und wieder besucht. Glücklicherweise bin ich ihm nie über den Weg gelaufen.« Peter dachte voller Verachtung an ihren Erzfeind, der ihnen in vielen Situationen das Leben schwer gemacht hatte. Ihm war es durchaus zuzutrauen, aus reiner Bosheit nachts auf den Schrottplatz zu kommen, nur um den drei ??? ein Bein zu stellen.

»Keine voreiligen Schlüsse«, warnte Justus. »Wir sollten Skinny als möglichen Verdächtigen im Auge behalten, aber bis jetzt ist das nur eine Vermutung.«

»Mehr als Vermutungen anstellen können wir auch nicht«, überlegte Bob.

»Ich habe das Nummernschild des Wagens in der Dunkelheit zwar nicht vollständig erkannt, aber ich bin sicher, dass es ein Kennzeichen aus Los Angeles war«, fügte Justus nachdenklich hinzu.

»Na prima«, murrte Peter. »Dann kommen ja nur noch knapp neun Millionen Menschen als Täter infrage.«

»Wir haben nicht den allerkleinsten Hinweis«, stimmte Bob zu. »Das Nummernschild hilft uns nicht weiter. Es ist nichts gestohlen worden, du hast den Einbrecher nicht gesehen – was bleibt also übrig?«

»Das hier«, erwiderte Justus und zog triumphierend einen Metallring aus der Tasche, an dem drei Schlüssel hingen. »Unser nächtlicher Besucher hat ihn verloren, als er sich durch das rote Tor quetschte.«

»Und das sagst du erst jetzt?«, rief Peter und riss ihm den Schlüssel aus der Hand.

In diesem Moment klingelte das Telefon. Justus hob ab, doch Bob und Peter waren viel zu sehr mit dem Schlüsselbund beschäftigt, um dem Gespräch zu folgen. Interessiert betrachteten sie Justus’ Fund.

»Damit können wir was anfangen!«, meinte Peter leise, um Justus bei dem Telefonat nicht zu stören.

Bob war skeptisch. »Ja? Was denn? Das sind drei Schlüssel, nichts weiter. Einer für die Haustür, einer für die Wohnung und ein Briefkastenschlüssel, würde ich sagen. Wir müssen also nur noch jemanden finden, der eine Wohnung in einem Mietshaus hat und im Besitz eines eigenen Briefkastens ist. Nichts leichter als das.«

»Wir könnten eine Anzeige in die Zeitung setzen.«

»Und du glaubst, der Einbrecher meldet sich daraufhin?«

»Vielleicht weiß er nicht, wo er den Schlüssel verloren hat. Dann wird er froh sein, ihn wiederzubekommen.«

Bob schüttelte den Kopf. »Denk doch mal nach, Peter: Wir würden deine, meine oder Justus’ Telefonnummer in die Zeitung setzen. Wenn der Täter uns kennt, wird er sofort auflegen, sobald er merkt, wen er da an der Strippe hat.«