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Inhalt

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Titel

1. Mit Unkraut Eindruck schinden

2. Kinder-Garten

3. Loblied auf altmodische Blumen

4. Sommer-Feuerwerk

5. Verrückt nach Blau

6. Im Überfluss

7. Stehen lassen!

8. Ich habe was, was du nicht hast

9. Schwarzes Loch

10. Von wegen Hobby!

11. Sommergäste

12. Jugendsünden

13. Der Stiefgarten

14. Horror vacui

15. Lazy Gardening

16. Frauenquote im grünen Bereich

17. Gartenarbeit und Gossensches Gesetz

18. Mein Garten für Kurzsichtige

19. Die Pflanzenklappe

20. Blumen auf dem Teller, Gemüse in der Vase

21. Das Jahreswesen

22. Bitte eine Schnucke!

23. Bäume lügen nicht

24. Zunehmend wolkig

25. Die ältesten Blumen der Erde

26. Kunst am Baum

27. Die grünen Wände

28. 10 Gebote für absolute Anfänger

29. Mail@Baum

30. Von Köchen und Gärtnern

31. Gartenmythen ade

32. Nicht fummeln!

33. Das Glück im Dreck

34. Wenn Bäume twittern

Editorische Notiz

Autorenporträt

Kurzbeschreibung

Impressum

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Neue Mitteilungen
aus meinem Garten

1. Mit Unkraut Eindruck schinden

Manchmal genügt ein einziges Erlebnis, um unsere lang gehegte Sicht auf die Dinge zu verändern. Seit Jahren müssen treue Leserinnen mein periodisch wiederkehrendes Gejammer über die kolossale Artenvielfalt von Widersachern in meinem Garten erdulden. Heute dürfen sie auf eine Überraschung gefasst sein: Ich werde hier das Hohelied von Pflanzen singen, vor denen man mich immer gewarnt hatte. Ich hätte nie gedacht, dass man sich Unkraut richtig schöngucken kann.

Mein Aha-Erlebnis ging so: Felicia hatte ihren Mann fürs Leben gefunden; die Mutter plante eine ländliche Hochzeit mit 90 Gästen. Da die Mutter eine meiner engsten Freundinnen ist, sagte ich sofort zu, als sie mich bat, für den Blumenschmuck im weißen Festzelt zu sorgen. Es war Frühsommer, mein Garten stand in voller Blüte und ich war bereit, ihn kahl zu rasieren: Die Rosen, Päonien und Schwertlilien gaben ihr Bestes, die ersten Nelken prangten. Ich beschaffte zehn Ziegel Steckschaum und begann damit zu experimentieren: Wie lange hält Akelei im Floristenschaum? Öffnen sich die Rosenknospen? Bleiben die tintenblauen Iris frisch?

Zwei Tage vor der Hochzeit präsentierte ich meiner Freundin lobheischend meinen Prototyp aus dem Versuchslabor im Gartenschuppen. Sie druckste ein bisschen herum. Sie hätte gern nur Weiß mit Grün und »am liebsten so Wiesenblumen und Gräser«. Sie deutete auf eine Blattrosette, die sich neben dem Schuppen eingenistet hatte – es war der Aronstab, eine der Paria-Pflanzen, die sich in meinem Garten ausbreiten, kaum dass ich den Rücken drehe. Arum italicum ist so giftig, dass er schon verfressene Pferde und Kühe auf der Weide getötet haben soll. Andererseits: Mit Floristen-Augen betrachtet, gibt es kaum ein dekorativeres Laub als die gewellten Blatt-Pfeile vom italienischen Aronstab mit ihrer grün-weißen Marmorierung. Warum war mir das noch nie aufgefallen? Zu den Aronstab-Blättern gesellte ich Wiesenmargeriten und weiße Blütenwolken von Anthriscus sylvestris und Aeropodium podagraria. Hinter den klingenden Namen und zarten Blumen verbergen sich die Wildkräuter Wiesenkerbel und der gern verfluchte Giersch. Und zum ersten Mal hatte ich Freude an der Pflanze, die ich meinen Sargnagel nenne, weil ihre Rhizome unerreichbare zwei Meter tief in der Erde wuchern: In einem Bukett sehen die tannengrünen Wedel des Ackerschachtelhalms (Equisetum arvense) verblüffend elegant aus.

In fast allen größeren Gärten gibt es ein paar ungekämmte Ecken, die der überforderte Gärtner dem Wildwuchs überlassen hat: Rund um den Kompost und in der Obstbaumwiese, hinterm Schuppen oder auf den Böschungen zum Nachbargrundstück. Dort sammelte ich jetzt Gräser mit prallen Grannen, deren Namen ich nicht einmal kenne. Und weitere weiße Werktagsblumen, die sonst nie einen Ehrenplatz in der Vase kriegen: Das Mutterkraut (Chrysanthemum parthenium), allerliebst mit seinem frischgrünen Laub und den Blüten, die oft mit der Kamille verwechselt werden. Die silbergrauen Ranken des reichblühenden Cerastium tomentosum eigneten sich hervorragend, um aus den Vasen graziös nach unten zu schlängeln. Cerastium hat auf deutsch den verächtlichen Namen Filziges Hornkraut, während es die Engländer bewundernd »Sommerschnee« nennen. Neben dem Kompost entdeckte ich einen Glücksfall: Dort wuchs im Schatten eine Kolonie von duftenden Nachtviolen (Hesperis matronalis) und Judassilberlingen (Lunaria) in bräutlichem Weiß. All diese Schönheiten hatte ich nie gesät und bislang viel zu wenig beachtet. Sie waren mir zugeflogen. Sie gehören zu der interessanten Spezies »Gartenflüchter«: Blumen, die einst liebevoll in Biedermeier- oder Klostergärten kultiviert wurden und sich dann auf Flugreisen in die große weite Welt der Brachen, Waldlichtungen und Ackerränder begeben haben.

Leider neigen auch Gärtner wie viele andere Leute dazu, Gratis-Geschenken keinen Wert beizumessen oder ihnen sogar zu misstrauen. Umgekehrt genießen seltene oder berühmt zickige Pflanzen wie der Blaue Tibetmohn ehrfürchtige Anerkennung. Im Kopf des Gartlers keimt so manche überalterte Gedanken-Saat: »Nur wer sich rar macht, ist begehrt« und »Was nix kostet, ist nix wert« und »Ohne Fleiß kein Preis«.

Im Garten eben manchmal doch. Die Hochzeitsgäste waren jedenfalls begeistert von all den unbekannten Blüten und Blättern, die sie noch nie bei »Blume 2000« gesehen hatten.

2. Kinder-Garten

Das Kind von heute wird gefördert bis zur Erschöpfung – auch der der Eltern. Pampersgymnastik und Chinesisch für Dreijährige, ab fünf dann Capoeira und Aikido. Oder soll es gleich »Early stage« mit Schauspiel, Tanz und Gesang sein? Musikalische Früherziehung am besten schon auf Englisch. In Hamburg etwa umfasst das Angebot »Alsterkind« zur Nachwuchs-Optimierung 90 Seiten. Um die gärtnerische Früherziehung kümmert sich allerdings kein einziger Coach. Selbst in Gartenzeitschriften taucht das Thema nur sporadisch auf, einschlägige Bücher kann man an zwei Händen abzählen. Ich kann mir schon denken, warum.

Ab und an liest man in der Biographie eines eminenten Gärtners, dass diese Koryphäe schon im zarten Vorschulalter ein eigenes Gärtchen anlegte (keine Kunst) und jahrelang liebevoll kultivierte (so rar wie ein junger Mozart). Ja, die meisten Kinder machen gern mit, wenn man ihnen ein eigenes Beet vorschlägt. Schleppen begeistert Steine zur Einfassung herbei, hacken mit kleinen Werkzeugen wie die Spechte, schwenken die Gießkännchen, stippen Pflänzchen und Samenkörner in die Erde. Am nächsten Tag würden sie die Erdbeeren gern ernten oder wenigstens ein Erbsen-Keimblatt sehen. Erklärungen fruchten da wenig: Das ganz normale Kind interessiert sich für sein Beet ungefähr eine Woche lang. Anschließend übernimmt das Unkraut, während liebende Mütter sich in Schadensbegrenzung versuchen, indem sie das Kinder-Gärtchen heimlich jäten und gießen. (So kontraproduktiv wie seinem Kind den Schulaufsatz zu schreiben; denn selbst wenn’s der Lehrer nicht merkt – wo bleibt da das Erfolgserlebnis?) Grünfingrige Eltern mogeln trotzdem in der Hoffnung, der Gartenbazillus würde demnächst doch noch dauerhaft von ihnen auf die Sprösslinge überspringen. Aber gefühlte 99 Prozent aller Kinder sind dagegen merkwürdig immun. Und haben sie erst das Teenageralter erreicht, entwickeln sie sogar heftige Allergien gegen Gartenarbeit. Das war bei mir genauso.

Ich musste selbst erst Kinder kriegen, um mich wieder an meine frühen Jahre im Gartenglück zu erinnern. Wie fasziniert ich von den Löwenmäulchen war, deren Maul man so schön auf- und zuschnappen lassen konnte wie die Figuren im Kasperltheater. Auch der Türkenmohn (Papaver orientale) hat bei mir bis heute einen Stammplatz; vielleicht weil meine Großmutter mir einst zeigte, wie man Püppchen daraus zaubert: Die blutroten seidigen Blütenblätter zum Stengel klappen, mit einem Fädchen die Taille binden und fertig ist die kleine Prinzessin mit schwarzem Wuschelköpfchen. Ich staunte, wie meine Mutter Radieschen in Rosen verwandeln konnte, und lernte von ihr, Blumen zu pressen und Veilchen zu kandieren. Mein Vater lehrte mich, aus Haselgerten Pfeil und Bogen zu basteln. Und die Tante aus der DDR wusste, wie man aus Löwenzahnblüten oder Gänseblümchen ganz ohne Schnur oder Draht prächtige Halsketten und Haarkränze flicht: Einfach ein kleines Knopfloch in die Stiele ritzen und die nächste Blüte durchstecken.

Geht also doch, Kindern die Liebe zum Garten einzupflanzen, dachte ich als selber spätberufene Gartlerin – es ist eben ein Langzeitprojekt und man muss bereit sein, auf das Aufgehen der Saat zu warten. Genau da liegt das Problem: Kleine Gärtner können nicht warten. Drei Monate vom Samenkörnchen bis zur Mohrrübe fühlen sich für Kinder so unbegreiflich an wie die Unendlichkeit.

Kinder sind nicht nur ungeduldig, sie sind auch ungenierte Utilitaristen. Pflanzen müssen entweder essbar oder zu irgendwas zu gebrauchen sein. Man sieht Kinder nicht ergriffen vor einer Rose stehen. Aber sie lassen sich dafür begeistern, die Blüten zu entblättern um daraus Rosenmarmelade zu kochen. Sehr beliebt im Alter der zerkratzten Schienbeine und unschuldigen Doktorspiele ist auch selbstgemachte Calendula-Salbe; wie einfach man die heilende Creme aus den leuchtenden Ringelblumen anfertigt, wusste vor 800 Jahren schon Hildegard von Bingen und heute steht’s im Internet.

Meine Tochter erinnert sich lebhaft an einen Gartensommer vor 25 Jahren. Sie und ihre kleinen Freundinnen langweilten sich eines Tages – bis ich sie zur Shampoo-Fabrikation animierte. Tagelang wurden Kamille, Lavendel, Rosmarin, Salbei und Duftblattgeranien gerupft, gekocht und der Sud mit geraspelter Kernseife gemischt, in Fläschchen gefüllt und damit wochenlang Friseur gespielt.

Später allerdings riet diese Tochter ihren Erziehungsberechtigten klipp & klar zu Mindestlohn, wenn diese sie zur Gartenarbeit animieren wollten. Das Langzeitprojekt ist in diesem Fall noch nicht abgeschlossen.

3. Loblied auf altmodische Blumen

Unter Rosenmüdigkeit versteht der Gärtner einen einseitig ausgelaugten Boden – weswegen man nicht einfach eine missliebige Rose ausgraben und eine gefälligere an den gleichen Platz setzen kann. Ich beobachte neuerdings eine Rosenmüdigkeit beim Gartenbesitzer selber. Tatsächlich soll der Umsatz der Rosen-Züchter seit ein paar Jahren drastisch zurückgehen. Es wird von Geschmackswandel zugunsten von Stauden und Gräsern gemurmelt. Ich werde dem allmählichen Verschwinden von »Queen Elizabeth« oder »Konrad Adenauer« und anderen duftlosen Allerweltsrosen in unsubtilen Farben keine Träne nachweinen. Weil ich eine Schwäche für altmodische Blumen habe, die viel zu lange viel zu wenig gepflanzt wurden. Drei davon möchte ich Ihnen besonders ans Herz legen:

Sie ist eine Biedermeier-Pflanze par excellence: Lamprocapnos spectabilis, das Tränende Herz. Blaugrüne gefiederte Blätter, im Mai/Juni elegant überhängende Stiele voller pinkfarbener Herzen, aus denen ein weißes Blütenblättchen lugt wie eine Träne. (Warum die Schweizer dieser exotischen Schönheit den Namen »Schlotterhose« gaben, müssen Sie selbst herausfinden.) Das Tränende Herz stammt aus dem Regenwald Nordchinas, weshalb es im Garten gern halbschattig steht und sich bei zu trockener Erde nicht nur saisonal, sondern auf Nimmerwiedersehen verabschiedet. In China entdeckte der botanisierende Jesuit d’Incarville das anmutige Geschöpf und sandte es um 1740 nach Frankreich. Das Boot erlitt Schiffbruch, doch die akkuraten Zeichnungen des Missionars blieben erhalten. So konnten die deutschen Gärtner hundert Jahre lang vom Tränenenden Herz wenigstens träumen. Bis der schottische Pflanzenjäger Robert Fortune 1846 nach China reiste (um auf unfeine Art die Geheimnisse des Tee-Anbaus für die Kolonien der Engländer zu beschaffen) und neben 120 anderen Pflanzen endlich auch das Tränende Herz nach Europa brachte, wo es binnen zehn Jahren zur »allenthalben verbreiteten Prachtpflanze« avancierte. Und schon 1859 entstand in Frankreich, vermutlich durch eine Laune der Natur, eine rein weiß blühende Art, die bis heute kultiviert wird und in einer Schattenpflanzung noch eleganter wirkt als ihre rosige Schwester. Ansonsten hat diese einzigartige Blume aus der Großfamilie der Mohngewächse keinerlei enge Verwandte und sträubt sich auch gegen Kreuzungsversuche.

Das ist beim Phlox ganz anders. Nachdem er im 18. Jahrhundert als noch recht unspektakuläre Staude aus den lichten Wäldern Nordamerika zu uns kam, haben besonders deutsche Gärtner die »Flammenblume« (phlóx ist das griechische Wort für Flamme) eifrig vermehrt, kreuz und quer bestäubt und Hunderte von Sorten kreiert.

Heute gibt es Phlox paniculata, den großblumigen hohen Sommerphlox, in allen Farben außer Gelb. »Ein Garten ohne Phlox ist nicht nur ein bloßer Irrtum, sondern eine Versündigung gegen den Sommer«, beschied der eminente Gärtner Karl Foerster, der um 1930 Blütenstars fürs Hochsommerbeet züchtete. Zum Glück des Gartlers: Im Juli, August sind Päonien, Rosen und Rittersporn verblüht, die Dahlien haben noch keinen Auftritt. Aber der Phlox, der von Jahr zu Jahr üppiger wird, prunkt mit stattlichen Buketts und einem Duft von zarter Süße. Phlox ist vollkommen winterhart. Er mag keinen sauren Boden und ist ansonsten ziemlich anspruchslos, sofern man seinen Wunsch nach kühlen Füßen berücksichtigt – als Flachwurzler trocknet er leicht aus. Mulchen oder leichter Schatten schützt ihn auch vor Mehltau.

www.kraeuter-und-duftpflanzen.de

Sie hat ungefüllte essbare Blüten in den ursprünglichen Farben Violett oder Weiß; wächst rasch zu einem kugeligen Busch, duftet und blüht verschwenderisch viele Sommer lang.