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Nr. 3037

 

Der Abyssale Ruf

 

Terraner beim Heiligtum einer Galaxis – es ist das Geheimnis der Phersunen

 

Michelle Stern

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog: Hinaus

1. Der Verband

2. Vektorwürfel

3. Komm oder stirb

4. Triumphbogen

5. Rettungskapsel

6. Pezenna Flaith

Fanszene

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Mehr als 3000 Jahre in der Zukunft: Längst verstehen sich die Menschen als Terraner, die ihre Erde und das Sonnensystem hinter sich gelassen haben. In der Unendlichkeit des Alls treffen sie auf Außerirdische aller Art. Ihre Nachkommen haben Tausende von Welten besiedelt, zahlreiche Raumschiffe fliegen bis zu den entlegensten Sternen.

Perry Rhodan ist der Mensch, der von Anfang an mit den Erdbewohnern ins All vorgestoßen ist. Nun steht er vor seiner vielleicht größten Herausforderung: Die Rückkehr von seiner letzten Mission hat ihn rund 500 Jahre weiter in der Zeit katapultiert. Eine sogenannte Datensintflut hat fast alle historischen Dokumente entwertet, sodass nur noch die Speicher seines Schiffes RAS TSCHUBAI gesichertes Wissen enthalten.

Weil er mehr über die Hintergründe wissen will, ist Rhodan mit der RAS TSCHUBAI in das geheimnisvolle Galaxien-Geviert aufgebrochen, über 270 Millionen Lichtjahre von der Milchstraße entfernt. Von dort stammen die Cairaner, die neuen Schutzherren in der Menschheitsgalaxis.

Das Galaxien-Geviert stand früher angeblich unter dem Schutz der VECU, einer bisher unbekannten Superintelligenz. Jetzt scheinen die Phersunen diese Region zu kontrollieren – eines ihrer Heiligtümer ist offenbar DER ABYSSALE RUF ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Aktivatorträger ist kosmischen Zusammenhängen auf der Spur.

Sichu Dorksteiger – Die Chefwissenschaftlerin will kosmische Zusammenhänge verstehen.

Gry O'Shannon – Die Materialwissenschaftlerin versteht sich und ihren Kosmos als selbstständig.

Donn Yaradua – Der Parabegabte erfährt seinen Kosmos anders als alle anderen.

Kumusheg Eshall – Die Verkünderin weiß offenbar mehr um kosmische Dinge.

Ich vergelte

Dienst mit Dienst

Feindschaft mit Feindschaft

Schmerz mit Schmerz

auf ewig.

– Das Geheimnis der Phersunen

 

 

Prolog

Hinaus

 

Sie fragen dich, warum du das tust. Warum gehst du immer wieder hinaus, zu den Sternen? Warum willst du spüren, wie sich der SERUN auf der Haut anfühlt, herausfinden, was hinter der nächsten Sonne und dem nächsten kosmischen Schleier liegt, verborgen in den Tiefen des Universums?

Sie wollen wissen, weshalb du dich immer wieder in Gefahr bringst, anstatt dich bequem im Pneumosessel zurückzulehnen und andere das Weltall für dich entdecken zu lassen, während du einen K'amana oder Kaffee trinkst und mithilfe einer Positronik oder deiner Freunde darüber sinnst, wie sich ein Problem am besten lösen lässt.

Oft verstehst du diese Fragen nicht einmal.

Du warst der Erste auf dem Mond, ein Pionier. Du willst der Erste sein, aber du willst es nicht, um dir selbst einen Triumphbogen zu errichten; nein, du möchtest bloß wissen, was da ist, und du hast erkannt, dass ein Wissen aus Holofilmen und Abstraktionen, aus Positronikspeichern und mathematischen Berechnungen nicht genug ist.

Geist, Vernunft, theoretische Wissenschaft – Stützpfeiler der Galaktiker – sind eben nicht alles. Es braucht einen, der hinausgeht und herausfindet, was ist, der selbst sieht, riecht, schmeckt und fühlt, was das Universum in der Hinterhand hält und welche Bedeutung das für die Milchstraße und die Mächtigkeitsballung von ES hat.

Erst wenn du mit dem Problem in Kontakt bist, fällt dir die Lösung ein. Wie solltest du sie finden, während du abseitsstehst und andere dirigierst?

Manchmal würdest du ihnen gerne zurufen: »Ich gehe da hinaus, weil ich gehen muss! Weil ich tief in mir weiß, wie richtig, wie notwendig das ist. Eure Befürchtungen und rationalen Gründe interessieren mich nicht. Ich will erfahren, was ist, und wenn ich dabei sterbe, sterbe ich. Weil es das wert ist. Ihr zittert vor dem Tod. Ich nicht. Sicher habe ich Angst vor dem Sterben. Versteht mich nicht falsch: Ich liebe mein Leben. In mir ist keine Müdigkeit, sondern Wachheit. Ich werde um jede Sekunde kämpfen, die ich länger im Sein bleiben kann, aber es ist kein Selbstzweck. Ich schließe ein, nicht aus, ohne dabei Grenzen und Mauern zu kennen, ohne mich kleinzumachen.

Ein Paradox, ich weiß, denn überall sind Grenzen und Mauern.

Es gibt Regeln. Konstanten. Sich gegen sie aufzulehnen, ist dumm. Genau daraus wird Leid gemacht. Der Tod ist trotz meines Zellaktivators eine solche Konstante, also akzeptiere ich ihn als Teil von dem, was ist.

Und nun lasst mich hinaus, lasst mich gehen. Hört auf mit euren Fragen, was mich dahinzieht, wohin es mich zieht. Geht lieber selbst los und würdigt die Stimme, die in euch ruft – es ist gut und richtig, ihr zu folgen. Nennt sie meinen inneren Kompass, wenn ihr mögt, den Rhythmus meines Herzens, den Takt meines Seins. Ich kenne ihn. Ich liebe ihn. Er ist es, der mich groß sein lässt, mehr als andere Gaben.

Ich werde mich nicht von meinem Kurs abbringen lassen. Niemals.

Weil ich Perry Rhodan bin.

Ein Galaktiker.

Weil ich der Menschheit und allen anderen Völkern im Geist der Verständigung und Kooperation dienen möchte; dem Leben, das leben will. Ich tue das nicht, um anderen zu gefallen, sondern weil ich es möchte.

Ich bin ein Bewahrer, ein Beschützer, ein Schild. Das heißt nicht, dass ich passiv bin. Manchmal verlangt es die Situation, nach vorne zu gehen. Manchmal zurückzuweichen. Manchmal, einfach standzuhalten.

Ich kenne keinen festen Platz im Universum, aber meinen Stellenwert. Ich fühle mich zu Hause und auf Reisen wohl, wie ein Lachs, der im kalten Wasser flussaufwärts strebt. Ich musste früh lernen, mit dem Druck umzugehen, der mit Verantwortung Hand in Hand geht. Doch darunter gibt es keinen Zweifel, kein Zögern. Es gibt Abwägen, Nachdenken – ein Hindernis von allen Seiten zu beleuchten, ehe ich es überwinde.

Es gibt Freunde, die mir helfen, weil auch sie ihren Platz im Kosmos kennen. Weil sie eben Freunde sind und wir gemeinsam durch die Zeiten gehen, egal was sie bringen. Bully, Atlan, Gucky, Tolot und all die anderen werden so wenig aufgeben wie ich.

Es mag an der Oberfläche Krisen geben. Aber letztlich existiert da keine Angst, die groß genug wäre, uns aufzuhalten.

Meine Freundschaft macht mich stark. Alles das ist in mir. Das bin ich. Es macht mich aus, und meine Fähigkeiten setze ich ein, um die zu unterstützen, die ich liebe.

Also los, hinaus, auf ins Abenteuer ...«

Ich bin

doch lebe ich nicht.

Was nicht lebt

kann nicht sterben.

– Das Geheimnis der Phersunen

 

1.

Der Verband

18. Oktober 2046 NGZ

 

Perry Rhodan blickte auf das Holo, das sich in der Zentrale der RAS TSCHUBAI vor ihm ausbreitete. Er nutzte die Projektionsfläche seiner Sesselstation, um sich das Ziel ihrer Tagesreise in Ruhe anzusehen: das Huphurnsystem.

Im Zentrum strahlte ein weißgelber Stern der Klasse F, der 1,3-fache Sonnenmasse hatte. Seine Helligkeit war knapp über drei Mal größer als die von Sol: ein funkelnder Diamant, der aus sich selbst heraus brannte. Trotz der höheren Masse war die Ähnlichkeit zur heimatlichen Sonne verblüffend.

Der Gedanke an das Solsystem versetzte Rhodan einen kurzen, aber scharfen Stich. Er dachte an Terra, das nach wie vor verschollen war, zusammen mit seinem Freund Homer G. Adams und einem Teil der Galaktiker, die während des Raptus auf dem Planeten ausgeharrt hatten. Viel zu lange war das nun her. Sie mussten das Rätsel um Terras Verschwinden lösen und beweisen, dass dieses wundervolle blaue Juwel mehr war als ein Mythos.

Ehe selbst der Mythos Terra verblasste und die Terraner aus der Milchstraße tilgte.

Das Gefühl von Verlust, das Rhodan wie eine schnell heranziehende Wolke überschattete, erstaunte ihn. Er wusste seit Monaten, dass die Erde geraubt worden war; augenscheinlich spurlos verschwunden und durch eine alternative Welt ersetzt. Warum traf ihn dieses Wissen ausgerechnet in diesem Moment, als wäre er mit dem Bauch voran in den klingenbewehrten Greifarm eines Kampfroboters gelaufen?

Vielleicht liegt das Gefühl an dem, was ich gerade nicht sehe.

Das Huphurnsystem hatte neben seiner Sonne ursprünglich aus acht Planeten bestanden, von denen bloß ein einziger übrig geblieben war: Gattcan, eine Fels- und Eiswelt, die entfernt Pluto glich. Die übrigen Planeten waren annihiliert worden – vernichtet. Das jedenfalls ergab die bisherige Datenlage.

Annihiliert. Aufgefressen von einem grauen Wabern, das sich wie ein vernichtender Wolkenstrudel um Planeten und Monde legte und nichts von ihnen übrig ließ.

Rhodan konnte nur hoffen, dass der Erde ein solches oder ähnliches Schicksal erspart geblieben war. Tief in sich spürte er, dass seine Heimat noch existierte und darauf wartete, gefunden zu werden.

Ihm war schmerzhaft bewusst, dass er seine Suche fortsetzen musste. Er wollte herausfinden, was genau den Cairanern widerfahren war und warum sie taten, was sie taten – das war der Schlüssel, um zu begreifen, was mit Terra passiert war. Erst wenn er die Cairaner verstand, konnte er handeln. Noch lag im Dunkeln, was in deren Heimatgalaxis vor sich ging, doch die RAS TSCHUBAI war auf die lange Reise gegangen, um Licht in die Dunkelheit von Ancaisin zu bringen.

Im Holo war eine verschwommene Zone markiert, die nicht näher bestimmt werden konnte. Nach allem, was sie inzwischen über das Huphurnsystem aus dem Hyperfunk heimischer Einheiten sowie anderen Informationsquellen wussten, musste sich dort ein Abyssaler Triumphbogen befinden. Dieser ominöse Bogen war ihr derzeitiges Ziel. Sie wollten wissen, was es damit auf sich hatte.

Worüber triumphierten die Phersunen, und was hatte es mit dem Abgrund auf sich? Bestanden die Denkmäler zu Teilen aus Vektormaterie oder hatten auf andere Weise mit den Annihilationsvorgängen in Ancaisin zu tun?

»ANANSI, Aufzeichnung Paath Abschnitt 5 abspielen!«, wies Rhodan ANANSI an.

Eine wohlmodulierte, weibliche Stimme erklang. Es war die Stimme von Zemina Paath, der rätselhaften Thesan, die Rhodan bei der Ankunft in der neuen Zeit begegnet war. Es handelte sich um ein Tondokument, das Zemina Paath nach den Erinnerungen eines anderen Thesan zusammengestellt hatte, damit Rhodan und die Besatzung der RAS TSCHUBAI darauf zugreifen konnten, während sie durch die Galaxis der Cairaner reisten.

Der Singsang zog Rhodan in den Bann, ließ ihn die Zentrale vergessen. Das entfernte Gemurmel an der Ortungsstation trat in den Hintergrund.

»Dort, wo Oling und ich mit der toten Lasha aus der Bilokal-Sphäre flogen, einige Lichtminuten oberhalb der Umlaufbahn von Caitlast im Huphurnsystem, der Hauptwelt des Sternwestlichen Konsulats von Ancaisin, genau dort griffen sie zuerst an. Dort errichteten sie den ersten ihrer Abyssalen Triumphbögen.«

Lasha. Das war die Bezeichnung für jene Thesanit, die die Gabe hatten, Teile der Zukunft zu sehen. Ob es in dieser Epoche überhaupt Lasha gab? Falls das der Fall war, könnten sie womöglich erkennen, ob Rhodan die Erde wiederfinden würde.

Was für ein irrwitziger Gedanke ...

Eine andere Stimme ließ Rhodan aufschauen: »Du gehst es noch einmal durch?«

Rhodan blickte in das interessierte Gesicht von Cascard Holonder. Der Kommandant hatte seine Station verlassen und setzte sich schwungvoll neben ihn in den freien Sitz. Er war nicht nur Ertruser, sondern pflegte seinen Körper und seine Muskeln so hingebungsvoll wie seine rotbraun glänzende Glatze. Da Ertruser eine Schwerkraft von 3,4 Gravos gewohnt waren, gab es kaum jemanden an Bord, der sich körperlich mit ihm messen konnte – abgesehen von Icho Tolot. Sich mit einem Haluter anzulegen, war so sinnlos wie ohne Schutzanzug in den Kern einer Sonne vorzustoßen.

Holonder kratzte sich am rautenförmigen Oberarmemblem, auf dem drei silberne Kometen seinen Rang als Oberst kennzeichneten. »Was hoffst du zu finden?«

»Nichts Bestimmtes. Ich will es einfach präsent haben. Besonders die Schlagworte. Als Missionsleiter brauche ich mehr als jeder sonst einen Überblick. Die Bilokal-Sphären – diese Portale, die an zwei Orten zugleich sind, und durch die man gewaltige Raumstrecken in Nullzeit überwinden kann. Die Hauptwelt des Sternwestlichen Konsulats und der erste Angriff der Phersunen, der sich gegen die Cairaner und die Vecuia gerichtet hat ... All das ist wichtig und spielt eine Rolle. Wenn ich es aus dem richtigen Blickwinkel sehe, ergibt sich daraus ein Vektor – so, wie bei der Grauen Materie. Es interessiert mich brennend, warum die Phersunen diese Welten attackiert und vernichtet haben. Wer sind sie überhaupt? Was treibt sie an? Wer oder was steckt hinter diesem Krieg? Wieso richten die Phersunen eine derartige Zerstörung mithilfe der Grauen Materie an?«

»Falls es keine zufällige Koinzidenz gibt. – Du denkst an eine Macht im Hintergrund?«

»Es muss eine geben. Wenn es sich bei der Grauen Materie nicht um ein natürliches Phänomen handelt – und da sie nach unseren Informationen von den Phersunen mitgeführt wird, scheint das nicht so zu sein –, entstammt sie einem Technologieniveau, das mindestens auf eine Superintelligenz verweist.«

Holonder zog eine zerknüllte Folie aus der Tasche, auf der dunkle Linien zu erkennen waren. Er hatte wieder eine seiner Skizzen gezeichnet, die er nebenbei schnell vor sich hinkritzelte, doch dieses Mal war er mit dem Ergebnis offenbar unzufrieden. Er ließ die Zeichnung fallen. Ehe sie den Boden berührte, fing ein dafür programmierter Reinigungsroboter sie auf und brachte sie zum nächsten Reprozessor. Noch im Flug glättete sich das Material, gewann die alte Spannkraft zurück.

»Sobald wir das Huphurnsystem erreicht haben, werden wir mehr wissen«, sagte Holonder. »Die Abyssalen Triumphbögen müssen einen bestimmten Zweck erfüllen. Sicher finden wir weitere Hinweise. Vielleicht sogar auf die rätselhafte Macht, die hinter allem steht.«

Rhodan nickte. »Wir brauchen Fakten. Dafür müssen wir zum Abyssalen Triumphbogen vorstoßen und ihn erkunden.«

Holonder sagte nichts. Beide Männer wussten, dass es gefährlich werden würde. Sie waren tief im Feindesland, bewegten sich in einer Galaxis, in der es besser war, wenn niemand von ihrer Anwesenheit wusste. Allein den Triumphbogen anzufliegen, war ein Risiko, selbst wenn sie mit der PAQUA ein Schiff benutzten, das weniger auffällig war, und mit dem sie sich samt einem Einsatzteam als heimische Zivilisation ausgeben konnten. Um erfolgreich zu sein, mussten sie auch die Möglichkeiten der RAS TSCHUBAI in die Waagschale werfen, den Paros-Schattenschirm und ihr Geschick, sich vor den Gewinnern dieses Krieges zu verbergen.

Allem Anschein nach betrachteten sich die Phersunen als die unangefochtenen Herren dieser Galaxis. Die Galaktiker taten gut daran, sich nicht vorschnell auf eine Konfrontation einzulassen.

Rhodan wollte noch etwas sagen, doch eine Veränderung der Lichtverhältnisse zeigte ihm, dass die Ortung eine Meldung hatte. Das Holo vor ihm verschwand per Prioritäts-Überranganweisung und machte einem neuen Bild Platz – es zeigte einen Verband sich schnell bewegender Deltaraumer mindestens drei verschiedener Klassen.

Die gerichtete Stimme von Oberstleutnant Lit Olwar klang, als würde sie direkt in Rhodans Ohr sprechen. »Wir haben eine Ortung. Mehrere Schiffe der Phersunen sind in diesem Raumsektor unterwegs.«

Rhodan blickte auf das Zentrum eines der größeren Deltaschiffe, das über drei Kilometer durchmaß. Dort saß eine kugelförmige Steuer- und Antriebseinheit. Die offensiven Waffensysteme mussten im Außenwulst untergebracht sein. Sämtliche Schiffe schillerten violett. Das war die Farbe des Shillad-Metalls. Schirme waren nicht aktiviert, was darauf hindeutete, dass die Phersunen sich nicht bedroht fühlten. Offensichtlich hatten sie die RAS TSCHUBAI nicht entdeckt.

Rhodan begriff sofort, was das Auftauchen dieser ungeschützten und sorglos geführten Schiffe für sie bedeutete: Sie hatten eines der Rätsel dieser Galaxis genau vor dem Ringwulst. Mit etwas Glück konnten sie neue Erkenntnisse gewinnen!

»Ruft Sichu Dorksteiger und Gry O'Shannon in die Zentrale!«, rief er. »Und Icho Tolot!«

Holonder bestätigte den Befehl knapp mit einem Nicken.

 

*

 

Es dauerte keine fünf Minuten, bis die beiden Wissenschaftlerinnen und der Haluter den leicht versetzten COMMAND-Level der Zentrale betraten.

Dabei gingen die beiden Frauen vor, stolz, aufrecht, aber dennoch auf nahezu verstörende Weise zerbrechlich vor der massigen Gestalt Icho Tolots mit den beiden Armpaaren und dem gewaltigen, schwarzen Körper. Tolot überragte selbst die hochgewachsene Sichu um anderthalb Meter. Sein zwei Tonnen schwerer Körper war erstaunlich wendig und schnell. Wenn er sich auf alle viere niederließ, konnte er Geschwindigkeiten von über 120 Kilometern pro Stunde erreichen und dabei dank der besonderen Beschaffenheit seines für den Kampf gezüchteten Leibs Stahlwände einreißen.

Er hatte die drei feurigen, roten Augen auf den Stielen ausgefahren und betrachtete das Holo mit offensichtlicher Neugierde. Wahrscheinlich war sein Planhirn bereits dabei, ihn mit Analysen und Einschätzungen zur Situation zu versorgen.

Sichus Blick dagegen war misstrauisch, die Lippen leicht zusammengepresst, als befürchtete sie Ärger. Die goldenen Linien und Punkte auf ihrer Haut setzten sich deutlich vom Hellgrün ab. Als sie den Mund leicht öffnete, schimmerten goldfarbene Zähne auf. Die grünen Sprenkel in den Augen schienen im künstlichen Licht zu tanzen.

Mehrere bewegliche Metallschlaufen hielten Sichus silberne, hüftlangen Haare zusammen, formten aus ihnen ein Kunstwerk. Rhodan schluckte bei ihrem Anblick. Es gab Momente, da kam es ihm nach wie vor unwirklich vor, dass dieses wundervolle und exotische Geschöpf aus Anthuresta seine Frau war. Dann sah er Sichu an, und ihm war, als würde er sie das erste Mal sehen – und er wünschte sich, nicht in der Zentrale zu stehen, zusammen mit der Führungscrew, sondern sie ganz für sich zu haben. Irgendwo, wo sie niemand mit Problemen behelligte.

Mit einem kurzen Aufeinanderpressen der Lippen wischte er diese Gedanken beiseite. Sie würden Zeit füreinander haben, irgendwann. Wenn stimmte, was er vermutete, konnte die Situation jederzeit eskalieren.

Beiläufig streifte Rhodans Blick Gry O'Shannon. Etwas am Auftreten der mit 33 Jahren recht jungen Materialwissenschaftlerin irritierte ihn, doch er konnte nicht den Finger darauf legen. O'Shannon war stets selbstbewusst, manchmal geradezu herausfordernd, doch an diesem Tag kam sie ihm beunruhigt vor.

Die kleine, breitschultrige Frau stand schmaler als sonst. Sie hielt die Hände eine Spur zu dicht am Körper, als müsste sie sich wärmen. Wie die meisten Menschen dieser Zeit war sie in den Nachwirren des Posizids aufgewachsen, hatte zusätzlich ihre Familie bei einem Überfall der Ladhonischen Scharen verloren. Auch wenn sie das alles intellektuell längst verarbeitet hatte, waren Spuren zurückgeblieben: Rhodan merkte ihr an, wie sehr sie immer wieder darauf brannte, sich zu beweisen. Er schätzte sie als jemanden ein, der sich im Kern nach Frieden und Ruhe sehnte, jedoch selbst einen Beitrag leisten wollte, damit dieser Frieden und diese Ruhe in die Welt kamen.

»Was genau habt ihr entdeckt?«, fragte O'Shannon, während Sichu und Tolot sich bereits orientierten. Seine Frau und sein alter Freund stellten keine Fragen, sondern suchten die Antworten selbst anhand der Holodarstellungen und Infoeinblendungen.

»Einen Verband aus Phersunenraumern«, antwortete Rhodan.

Inzwischen kannten sie die drei unterschiedlichen Schiffstypen. Auf dem Holo waren deutlich drei Schiffe der 3200 Meter durchmessenden SEMSHAD-Klasse zu erkennen, dreißig der halb so großen NURPHO- und sechzig der deutlich kleineren TUNUSH-Klasse.

»Eine veritable Flotte«, stellte Icho Tolot fest. »Kennen wir ihr Ziel?«

Oberstleutnant Lit Olwar meldete sich von der Ortung. »Nach den bisherigen Berechnungen fliegen sie ein Sonnensystem an, das ein paar Lichtjahre entfernt liegt. Es ist ein sehr ausgeprägtes System mit zwei Welten in habitabler Zone und acht weiteren Planeten. Die genaue Anzahl der Monde wird ermittelt.«

»Einblenden!«, befahl Holonder.

Vor ihnen strahlte eine Sonne mehrere Welten an. Sie lagen wie funkelnde Edelsteine in der Schwärze des Alls. Die Tagseiten der bewohnbaren Welten waren schlanke, lichte Ovale.

»Ich ahne nichts Gutes«, sagte Sichu.

Tolots dröhnende Stimme erklang. »Ich ebenfalls nicht. Die größten Schiffe haben eine ungewöhnliche Konstruktion. Erkennt ihr die würfelförmigen Anbauten wieder?«

»Depotgerüste.« Gry O'Shannon hob die Schultern an, als wäre ihr kalt. Bisher hatten die Galaktiker nur spekulieren können, wofür diese Anbauten gut waren. Inzwischen spukte eine Idee durch Rhodans Kopf, die hoffentlich ein Irrtum war.