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Nr. 3041

 

Die hermetische Botschaft

 

Seit Generationen ist sie die Erbtochter – Atlan erhält eine erschütternde Nachricht

 

Susan Schwartz

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. TARTS – 25. März 2046 NGZ

2. Jahrhundertkind: 1725 NGZ

3. Jahrhundertkind: Mirkandhoum

4. Jahrhundertkind: Die ersten Jahre

5. Jahrhundertkind: Die Höhle

6. Jahrhundertkind: 1762 NGZ

7. Jahrhundertkind: 1840 NGZ

8. Jahrhundertkind: Tryortan, 2002 NGZ

9. Jahrhundertkind: Mit Blut und Siegel

10. Jahrhundertkind: Die letzten Jahrzehnte

11. TARTS – 25. März 2046 NGZ

Fanszene

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Mehr als 3000 Jahre in der Zukunft: Längst verstehen sich die Menschen als Terraner, die ihre Erde und das Sonnensystem hinter sich gelassen haben. In der Unendlichkeit des Alls treffen sie auf Außerirdische aller Art. Ihre Nachkommen haben Tausende von Welten besiedelt, zahlreiche Raumschiffe fliegen bis zu den entlegensten Sternen.

Perry Rhodan ist der Mensch, der von Anfang an mit den Erdbewohnern ins All vorgestoßen ist. Nun steht er vor seiner vielleicht größten Herausforderung: Die Rückkehr von seiner letzten Mission hat ihn rund 500 Jahre weiter in der Zeit katapultiert. Eine sogenannte Datensintflut hat fast alle historischen Dokumente entwertet, sodass nur noch die Speicher seines Raumschiffes RAS TSCHUBAI gesichertes Wissen enthalten.

Weil er mehr über die aktuelle Situation wissen will, ist Rhodan mit der RAS TSCHUBAI in das sogenannte Galaxien-Geviert aufgebrochen. Diese Region ist über 270 Millionen Lichtjahre von der Milchstraße entfernt. Von dort stammen unter anderem die Cairaner, die sich als die neuen Schutzherren in der Menschheitsgalaxis eingesetzt haben.

Weil Atlan mehr zu den aktuellen Verhältnissen in der Milchstraße erfahren will, reist er zum Kugelsternhaufen M 13, wo er gleich in Konflikte verwickelt wird. Und dann erhält er auch noch DIE HERMETISCHE BOTSCHAFT ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Atlan – Der Arkonide erfährt als neuer Mascant von einer geheimnisvollen Botschaft.

Chariklis Kavali – Das Erbkind überdauert schlafend die Jahrhunderte.

Abulom Ma-Anlaan – Der Arkonide übernimmt für eine lange Zeit die Verantwortung für ein spezielles Kind.

1.

TARTS

25. März 2046 NGZ

 

Wir sind Arkoniden und entstammen dem Kugelsternhaufen Thantur-Lok. Unerwünschte Besucher haben dieser Region der Milchstraße fernzubleiben, die unsere Heimat ist. Aber ist sie das? So viel ist verloren gegangen, so viel Macht, so viel Wissen und auch unser Heimatsystem.

Unsere politische Stellung in der Milchstraße ist geschwunden, andere sind an unsere Stelle getreten: nicht die Terraner, mit denen wir immerhin ferne Wurzeln teilen und die ebenfalls Kinder dieser Galaxis sind, sondern Fremde.

Die Cairaner, Friedensbringer, Verwalter, Herrscher, Kontrolleure ... ich weiß es nicht. Die Ladhonen, Piraten, Verbrecher.

Und dann die Naats, einst nicht mehr als Krieger und Diener Arkons, nun ein in Arroganz emporgestiegenes Volk, das uns alles neidet und seinen Stellenwert völlig verkennt. Früher konnten wir angeblich mit den Terranern den Schulterschluss üben, aber wer sind sie schon? Auch ihre Heimat ist unerreichbar, wenn es sie denn überhaupt je gegeben hat, auch sie mussten ihrer Liga ein neues Zentrum geben. Und sie sind umgeben und durchdrungen von Gegnern, während wir uns zumindest abschotten konnten.

Thantur-Lok gehört uns. Wir gehören nach Thantur-Lok.

Und dennoch haben wir unsere Heimat verloren: unseren Stolz, das System der drei Arkonwelten, die auf einer einzigen Umlaufbahn um die Sonne Arkon kreisten, das Herz des Imperiums. Die Atopen vertrieben uns von dort, und eine Bleisphäre hüllt das System ein. Niemand kann hinein. Niemand kommt heraus.

Wir haben unser Wissen verloren: Im Posizid, wie man ihn nennt, wurden unsere Archive von einer unbekannten Macht korrumpiert und geleert, um kurz darauf von haltlosen Informations- und Gerüchtfetzen ergänzt und überschwemmt zu werden, der Datensintflut.

Daher fragen wir uns oft: Woher kommen wir? Wer sind wir?

Diese Fragen ziehen aber meist nur Grübeleien ohne Mehrwert nach sich. Deswegen habe ich gelernt, andere Fragen zu stellen: Was haben wir erreicht? Wohin gehen wir?

Wir haben die Vereinigten Kristallbaronien erschaffen, deren Herz auf Zalit schlägt. Wir sind Arkoniden geblieben, wir haben Thantur-Lok verteidigt, sind aus der Asche des großen Weltenbrands wieder emporgestiegen.

Und nun?

In diesen Tagen verschwört sich das Schicksal gegen uns oder zumindest eine Macht, die gerne Schicksal spielen würde: Wir werden angegriffen. Aus dem Inneren durch Arkoniden, die an die Vergangenheit und nicht an die Zukunft glauben, und von außen durch die Naats und die Ladhonen. Mit 24.000 Schiffen verheeren sie Thantur-Lok.

Kann es Zufall sein, dass in ausgerechnet dieser Stunde höchster Not jener Mann zu uns zurückgekehrt ist, dessen Name selbst durch Zeit und Datentod nicht auszulöschen war. Und ich darf nun unter ihm dienen und erleben, ob all die Legenden wahr sind über unseren neuen Mascanten, den unsterblichen Atlan da Gonozal ...

– Aufzeichnungen Mava da Valgathan

 

Die Spannung in der Zentrale der TARTS war dem Zerreißen nah. TARTS war der Name, den Atlan dem 2200 Meter langen Kelchraumer und Flaggschiff der Kristallbaronien verliehen hatte, als er sein Amt angetreten hatte. Mascant.

Dieses Amt war das militärisch höchste, das zu vergeben war, und nur dem Kristallbaron untergeordnet.

Atlan war der erste Mascant seit Jarak da Nardonn.

Jarak da Nardonn, der Intrigant und Putschist gegen den Kristallbaron.

Jarak da Nardonn, der rückwärtsgewandte, doppelzüngige Verräter.

Jarak da Nardonn, der Meisterstratege, der seinen Tod vorgetäuscht hatte, um den nächsten Schlag vorzubereiten.

Jarak da Nardonn, der sich mit den äußeren Feinden Arkons verbündet hatte und es wagte, sich in der Öffentlichkeit als Retter aufzuspielen.

Jarak da Nardonn, einst ihr Idol ...

... nein, nicht mehr, längst nicht mehr. Ich darf jetzt keinen Gedanken an ihn verschwenden.

Kommandantin Mava da Valgathan musste in wenigen Sekunden auf mehrere Sachen gleichzeitig achten und Befehle geben. Vor allem machte sie durch eine Geste deutlich, nicht zu sprechen, sondern zu handeln.

Als Erstes wurden nach ihrer Anweisung die Funkverbindungen zu dem Möchtegern-Usurpator Jarak da Nardonn und seinem naatischen Lakai Admiral Mumon gekappt. Als Zweites wurde die Verbindung zu dem ladhonischen Kriegstreiber Pekkut Pebu blockiert. Als Drittes ließ Mava sich die aktuelle Lage auf ihr Terminal leiten und übertrug gleichzeitig den Befehl an die Flotte, im defensiven Schutz abzuwarten. Dazu war sie als Kommandantin des Flaggschiffs des Thantur-Barons berechtigt.

Und nun zum Vierten ... sie musste sich in aller Eile gute Argumente überlegen, um mit dem Mascanten über das weitere Vorgehen zu diskutieren – sie kannte seine Antwort bereits, bevor er sie aussprach, gedachte sie aber nicht einfach hinzunehmen.

Zum Fünften, was ihr etwas Zeit zum Nachdenken verschaffte, hatten zwei Personen die Kommandozentrale betreten, die Atlan gerade mit leichtem Stirnrunzeln bedachte. Dadurch wurde er abgelenkt. Gut. Mava wusste, dass sie mit seiner blitzschnellen Einschätzung der Situation und daraus resultierender Entscheidung, bedingt durch Jahrtausende Erfahrung und seinen Extrasinn, nicht mithalten konnte. Ein paar Sekunden zu gewinnen, bot wenigstens einigermaßen Ausgleich, um sich mit ihm auseinanderzusetzen.

Gleichzeitig brauchte sie ihren Meisterstrategen nicht mehr zu sich zu rufen, da er schon anwesend war. Die Neuankömmlinge hatten sich Atlan zwar kurz vorgestellt, doch das war ihm keineswegs genug. Mava wunderte sich nicht darüber, denn sie war selbst von der unangekündigten Ankunft vor allem des Mädchens überrascht worden.

Atlan würde erfahren, wer diese beiden waren, aber das würde eine Weile dauern. Deshalb hatte der Umgang mit dem Ultimatum zunächst mehr Priorität.

»Wir haben nur einen Tag«, sagte sie in die anhaltende Stille. »Das ist wenig.«

»Umgerechnet sind es zwanzig Tontas«, meinte der Mascant. »Das klingt schon viel besser, oder?«

»Du meinst, es käme auf die Verpackung und nicht auf den Inhalt an?«, fragte sie betont.

»Eine hübsche Verpackung schadet jedenfalls nicht«, gab er zurück und hob eine Augenbraue.

Sie spürte, wie sie die Fassung zu verlieren drohte, deshalb wandte sie sich ab, blickte zum Terminal, um sich zu sammeln, und drehte sich dann wieder Atlan zu.

»Pekkut Pebu, der Kommandeur der ladhonischen Invasionsflotte, hält sich korrekterweise an den Waffenstillstand.« Atlan wusste, wer Pebu war, aber Protokoll war Protokoll. Dies war eine offizielle Unterredung und die Zentrale voll besetzt. »Die Kampfhandlungen wurden in gesamt Thantur-Lok eingestellt. Von unserer und vonseiten der Gegner.« Damit meinte sie vor allem Jarak und Mumon. »Wir sollten deshalb augenblicklich den Gegenschlag vorbereiten.«

»Nicht jetzt!«, erwiderte der Mascant.

Sie atmete einmal kurz durch. »Mit dieser Antwort habe ich gerechnet.«

»Und ich mit deinem Widerstand.«

»Ich würde meinem Rang als Vere'athor nicht gerecht werden, wenn ich diesen Vorschlag nicht bringen würde.« Als Dreiplanetenträger war sie Kommandant 1. Klasse, sie führte das Flaggschiff des Thantur-Barons und durfte sich diese Auseinandersetzung erlauben. Mava blieb daher gelassen. »Und fürs Protokoll, wir werden der Forderung, dich auszuliefern, unter gar keinen Umständen stattgeben.« Um dies zu unterstreichen, reckte sie leicht ihr Kinn, da sie ein gutes Stück kleiner war als der hochgewachsene Mascant.

»Einverstanden.« Er lächelte kurz.

Das ging aber schnell. Sie war überrascht. Kein Gegenschlag, aber auch keine freiwillige Auslieferung? Wusste er etwa bereits einen Ausweg?

Sie konnte den Blick in diese uralten, weisen Augen kaum ertragen, um nicht in deren Tiefe hineingesogen zu werden. Atlan hatte Unvorstellbares gesehen und gespeichert. Er vergaß nichts.

Ihn als Betrüger, Marionette, Schauspieler zu bezeichnen war eine kühne Lüge der Gegner. Man konnte alles vortäuschen, nicht aber diese Haltung, diese Blicke, die einem Jahrtausendleben entsprangen. Auch die Selbstsicherheit seiner Bewegungen und der souveräne Umgang mit anderen ließen sich nicht vortäuschen. Und dabei war Atlan in jeder Sekunde vollkommen authentisch. Sie erkannte es, wenn er lächelte: weil dieses Lächeln auch seine Augen erreichte.

»Wenigstens etwas«, stellte sie fest, ohne das Lächeln zu erwidern. Eher straffte sie noch die Haltung, die Arme auf dem Rücken verschränkt. »Ich hatte mich diesbezüglich auf eine längere Diskussion eingestellt.«

»Die wäre Zeitverschwendung«, sagte Atlan. Seine Stimme war tief und angenehm, doch sie wusste, dass sie nicht minder schneidend und scharf werden konnte wie ihre eigene, wenn es erforderlich war. »Wir werden diese vierundzwanzig Stunden gut zu nutzen wissen und am Ende entscheiden, was wir unternehmen werden.«

Aktivatorträger hatten schließlich alle Zeit der Welt. Dass nicht alle dieses Privileg hatten, sollte ihm vielleicht wieder einmal bewusst gemacht werden. »Bei allem Respekt, aber wir sollten jetzt ...«

Er hob die Hand und unterbrach sie. »Es bleibt genügend Zeit, Kommandantin, uns wird etwas einfallen. Wir haben Waffenruhe, das erlaubt uns gründliches Nachdenken und Planen. In vierundzwanzig Stunden kann sich eine Menge verändern, das im Vorfeld und damit voreilig gefällte Entschlüsse überflüssig macht. Und mit diesen beiden haben die Veränderungen bereits begonnen.«

Er wies auf die den Mann und das Mädchen und wandte sich ihnen nun zu. »Aro Ma-Anlaan?«

»Ich stehe zu deinen Diensten«, antwortete der Angesprochene und räusperte sich. Er wirkte müde und traurig.

»Du bist Strategietheoretiker? Die Abzeichen deiner Uniform weisen einen hohen Rang aus.«

»Das ist korrekt.«

»Siehst du, Mava, damit haben wir einen bedeutenden Vorteil, den wir vor dem Ultimatum nicht hatten.«

»Nur, dass ich ihn noch gar nicht gerufen hatte.«

Sie seufzte innerlich. Ein sonniges Gemüt, passte zu seiner sonnengebräunt wirkenden Haut. Atlan stellte in jeder Hinsicht einen vor Energie strotzenden, sich in bester Verfassung befindlichen Mann dar, der in dieser kritischen Lage die Position des Mascanten mehr als angemessen ausfüllte.

Dennoch: Die Stimmung in der Flotte war hochexplosiv und konnte jederzeit umschlagen. Schließlich war da Nardonn ein sehr überzeugender, eloquenter Stratege, der es verstand, die Massen für sich einzunehmen. Noch vor Ablauf der vierundzwanzig Stunden, darin gab sie Atlan recht, konnte sich alles ändern.

»Ursprünglich bin ich nicht deswegen in die Zentrale gekommen.« Aro legte die Hand auf die schmale Schulter des zierlichen, nicht minder blassen Mädchens neben ihm. »Es geht um Chariklis Kavali, meine Erbtochter.«

»Ist es wahr, dass du hundert Jahre geschlafen hast?«, wollte Atlan von dem Mädchen wissen.

Es sah nach wie vor wie zwölf Jahre aus, stellte Mava fest, genauso wie sie das Kind zum ersten Mal im Schlaf in seinem Alkoven gesehen hatte.

Atlan ging leicht in die Knie und lächelte Chariklis an. Er konnte nicht ahnen, wie alt sie wirklich war, dass ihr Geist voll gereift und wissend war. Außer vielleicht, wenn er in ihre Augen blickte. Das musste dann wie ein Spiegel sein – auch seine Augen waren bedeutend älter, als seine körperliche Erscheinung es vermuten ließ.

»Ja, die längste Phase bisher, mit nur wenigen kurzen Wachschüben«, antwortete Chariklis. »Man kann sagen, ich bin das Jahrhundertkind. Doch jetzt bin ich wach. Endgültig wach.«

»Um mir diese ... hermetische Botschaft zu bringen.« Das war keine Frage, denn das hatte Chariklis bereits bei der Vorstellung erklärt.

»So ist es.«

»Ist diese Botschaft bedeutungsvoll für Thantur-Lok und unser Volk? Weil du sie gerade in diesem Moment überbringst?«

»Ich bin sicher, dass es damit zusammenhängt. Aro musste mich sofort hierherbringen, er hatte keine Zeit, uns anzukündigen. Es tut mir leid, dass ich ihn gezwungen habe, alle Protokolle zu missachten.« Chariklis lächelte etwas verlegen zu Mava herüber.

»Mach dir darüber keine Gedanken«, sagte diese freundlich. »Ich bin froh, dich nun erwacht und wohlauf zu sehen.«

»Hast du etwa im Vorhinein von dem Ultimatum gewusst?«, forschte der Mascant weiter.

»Nein, das war nicht der Grund. Aber du bist hier.« Chariklis sah ruhig zu ihm hoch. »Atlan da Gonozal. Der Unsterbliche.«

Atlan richtete sich auf. »Woher willst du wissen, dass ich der bin, den du suchst? Unsere Gegner da draußen behaupten, ich wäre ein Hochstapler und würde dem arkonidischen Volk den Untergang bringen.«

Chariklis schüttelte den Kopf. »Ich bin aus dem längsten Schlaf erwacht. Das kannst nur du bewirkt haben, durch deine Anwesenheit. Die hermetische Botschaft betrifft die Zukunft, auch die unseres Volkes, das siehst du richtig. Aber es geht darin vor allem um dich.«

 

*

 

Es gab also tatsächlich etwas, das Atlan überraschen konnte. Mava registrierte seine erstaunte Miene.

»Dann bin ich jetzt sehr gespannt auf deine Nachricht – und vor allem, von wem sie stammt«, sagte er.

»So einfach ist das nicht«, erwiderte das Mädchen. »Sie ist nicht wie andere Botschaften einfach zu übergeben. Ich kann sie nur auf eine bestimmte Weise offenbaren, so wie sich Tresore erst nach der Eingabe eines Codes öffnen. Es beginnt mit meiner Geschichte.«

»Verstehe.« Atlan fuhr sich durch die schulterlangen weißen Haare. »So wird ein Teil der Zeit genutzt, die wir haben. Alles fügt sich zusammen – doch das ganze Puzzlebild bekommen wir erst zu sehen, nachdem die letzten Bausteine eingefügt sind.«

Mava erinnerte sich, dass der Stratege Aro Ma-Anlaan ab und zu Ähnliches erwähnt hatte.

»Es gibt demnach Regeln«, fuhr Atlan feststellend fort. »Wie meistens in solchen Dingen.«

Somit bahnte sich etwas noch sehr viel Größeres an, als Mava je vermutet hätte. Dabei wusste sie bereits, dass Chariklis etwas Besonderes war, schließlich hatte sie ihr seltsam verlangsamtes Leben zumeist im Schlaf verbracht.

Aber das war nur ein schwaches Echo jener Eröffnung, sie wäre eine Art lebende Zeitkapsel, die eine Botschaft für Atlan trüge. Wer hätte eine solche Botschaft wohl verfasst und wie auf dieses Mädchen übertragen? Fest stand, dass es kein normaler Arkonide sein konnte.

Mava glaubte den Hauch von etwas Kosmischem zu spüren und schauderte unwillkürlich.

Sie begriff nun, weshalb Atlan so gelassen auf das Ultimatum reagiert hatte.

Was galten bei solchen Ereignissen schon vierundzwanzig Stunden?

»Ja, ich befolge Regeln«, bestätigte Chariklis.

»Möchtest du mir deine Geschichte offenbaren?«, fragte Atlan.

»Ich muss.«

»Das war nicht meine Frage.«

Das Mädchen wirkte für einen Moment verwirrt, dann klärte sich sein Blick. »Ja. Ja, das würde ich gerne.«

»Das freut mich. Denn ich möchte ebenso gern deine besondere Geschichte hören.«

Das war für Mava das Stichwort. Sie wies auf eine in den Boden eingelassene Sitzgruppe in der Nähe des Ausgangsschotts zum Hauptantigravschacht. Dort konnten die Zentraleoffiziere sich während der kurzen Pausen niederlassen, etwas zu sich nehmen und Einsatzpläne besprechen. Sie war mit den Polstern sehr viel gemütlicher als ein nüchterner Konferenzraum, und die Kommandantin behielt weiterhin den Überblick.

»Bitte, nehmt Platz, vor allem du, Chariklis.« Das Mädchen mit den alten Augen wirkte angestrengt, was kein Wunder war. Es war den Umgang mit anderen Leuten wohl kaum gewohnt, und Wissen allein konnte ihm dabei nicht helfen.

Mava nahm an, dass Chariklis' Erinnerungen erst nach und nach zurückkehrten und sie noch nicht ganz »bei sich« war. Sie hatte jedoch die Dringlichkeit der Lage, die sie aufgeweckt hatte, umgehend erkannt und war zur Tat geschritten.

»Ich möchte nur in Notfällen gestört werden«, wies Mava die Crew an. »Lasst die gesamte Flotte einen internen Systemcheck und alle notwendigen Reparaturen durchführen. Ansonsten nutzt die Zeit zur Regeneration und Vorbereitung. Nach Ablauf des Ultimatums brauchen wir jeden Einzelnen voll einsatzbereit. Das gilt übrigens auch für euch.«

Ihr Stellvertreter bestätigte den Befehl, danach aktivierte sie mit einer Geste den Diskretionsschirm.

Ein Servo brachte diverse Getränke, Snacks und kleine Gerichte.

»Dann können wir ja beginnen. Fühlst du dich gut, Chariklis?«, fragte Mava.

Das Jahrhundertkind nickte, nun deutlich lebhafter. »Ich weiß auch schon, wo ich anfange. Vor meiner Geburt ...«

2.

Jahrhundertkind:

1725 NGZ

 

Der Krieg währte bereits drei Jahre, als die CHARIKLIS Bonanomos Stern erreichte.

Kapitän Abulom Ma-Anlaan sendete ununterbrochen auf allen offenen Frequenzen, dass das Schiff sich auf einer friedlichen Forschungsmission befinde und absolute Neutralität wahre.

Seine Mission führte das robotische Raumschiff schon seit Jahren in kritische Randgebiete. Die Mannschaft bestand aus vierzig Arkoniden, drei Siganesen und sieben Akonen. Bis auf den Kapitän waren allesamt Wissenschaftler auf vielen Gebieten.

Einige wenige Male waren sie in Gefahr geraten, aber zumeist wurden sie respektiert und in Ruhe gelassen. Ab und zu wurden sie sogar willkommen geheißen und von einer Regierung zu einem gemeinsamen Abendessen eingeladen; manchmal flogen sie zu Symposien und berichteten von ihren bisherigen Ergebnissen.

Seit einiger Zeit eilte der CHARIKLIS ihr guter Ruf voraus, sodass es keiner langen Erklärungen mehr bedurfte. Ihr automatisch gesendeter »Passierschein« wurde nur selten abgewiesen oder das Forschungsschiff von einer Zollpatrouille durchsucht. Jedermann wusste, dass von einem 340-Meter-Kreuzer der ADANAN-Klasse mit nur geringer offensiver Bewaffnung keine große Gefahr ausgehen konnte. Für eine Spionagemission waren ihre Einsatzgebiete zu weit abgelegen von politisch brisanten Orten. Lediglich als Schmuggler könnten sie auftreten, was jedoch nur sehr wenige paranoide Behörden annahmen. Die Cairaner stuften die CHARIKLIS offiziell als politisch unbedeutend ein. Sie nahmen das eifrige Bestreben und die nie nachlassende Hoffnung der Besatzung nicht sonderlich ernst.

Bei Bonanomos Stern waren keine Schwierigkeiten zu erwarten. Das System lag 34.175 Lichtjahre von der Bleisphäre entfernt. Die Distanz zum Clausum war mit fast fünfhundert Lichtjahren groß genug, um die Cairaner nicht zu einer Inspektion zu veranlassen.

Das einsam abgelegene System, an dem nur selten Raumschiffe vorbeikamen, war nie besiedelt worden. Die alte rote Sonne und ihre fünf Planeten hatten in den älteren arkonidischen Katalogen nur eine chiffrierte Bezeichnung, die Wissenschaftler der CHARIKLIS benutzten aus Bequemlichkeit den terranischen Namen.

Was sie ausgerechnet an diesen Ort führte, belächelte Kapitän Abulom Ma-Anlaan im Stillen. Selbstverständlich würde er nie laut äußern, was er über die Mission dachte –