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Aus dem Amerikanischen übertragen

von Kirsten Borchardt

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www.hannibal-verlag.de

Impressum

Der Autor: Corey Taylor

Deutsche Erstausgabe 2018

Titel der Originalausgabe:

America 51 – A Probe Into The Realities That Are Hiding Inside „The Greatest Country In The World“

© 2017 by Corey Taylor

ISBN: 978-0-306-82544-6

Published by Da Capo Press, an imprint of Perseus Books, LLC, a subsidiary of Hachette Book Group, Inc. USA. All rights reserved.

Editorial production by Marrathon Production Services. www.marrathon.net

Buchdesign: © Jane Raese

Coverdesign: © Bau-Da Design

Coverabbildung und Fotos: © P. R. Brown

„Gematria (The Killing Name)“ © 2008 EMI April Music Inc. and Music That Music. All rights administered by Sony/ATV Music Publishing LLC, 424 Church Street, Suite 1200, Nashville, TN 37219. All rights reserved. Used by permission.

„Guns of Brixton“ words and music by Paul Simonon. Translated by Yan Ju. Copyright © 2012 Nineden Ltd. All Rights in the U.S. and Canada Controlled and Administered by Universal – Polygram International Publishing, Inc. All Rights Reserved. Used by Permission. Reprinted by Permission of Hal Leonard LLC

Satz: Thomas Auer, www.buchsatz.com

Übersetzung: Kirsten Borchardt

Lektorat und Korrektorat: Hollow Skai

© 2018 by Hannibal

Hannibal Verlag, ein Imprint der KOCH International GmbH, A-6604 Höfen

www.hannibal-verlag.de

ISBN 978-3-85445-642-1

Auch als Paperback erhältlich mit der ISBN 978-3-85445-641-4

Hinweis für den Leser:

Kein Teil dieses Buchs darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, digitale Kopie oder einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet werden. Der Autor hat sich mit größter Sorgfalt darum bemüht, nur zutreffende Informationen in dieses Buch aufzunehmen. Alle durch dieses Buch berührten Urheberrechte, sonstigen Schutzrechte und in diesem Buch erwähnten oder in Bezug genommenen Rechte hinsichtlich Eigennamen oder der Bezeichnung von Produkten und handelnden Personen stehen deren jeweiligen Inhabern zu.

Inhalt

Widmung

Zitate

1. Mal wieder unterwegs auf Tour

2. Wie Ronald Reagan Weihnachten rettete

3. Stars & Stripes in modernen Zeiten

4. Fabel-haft

5. Hillary und der Fall des Hauses Kennedy

6. Das größte Land der Welt

7. Was, ihr sprecht hier kein Englisch?

8. Weltpolizist Amerika

9. CMFT + GOP = WTF

10. Vom Weiter- und vom Hörensagen

11. Augen zu und durch

Danksagung

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Widmung

Wie immer für meine Familie, meine Freunde …

und vor allem für meine Kinder:

Griffin, Ryan, Angie, Haven, Lawson und Aravis.

Diese Welt wird später einmal euch gehören.

Ich werde versuchen, mich ein bisschen zu beeilen,

bevor ich für heute Nacht Schluss mache.

Ich liebe euch alle.

Zitate

Nichts anderes braucht es zum Triumph des Bösen

als die Untätigkeit aller guten Männer (und Frauen).

Edmund Burke (sinngemäß)

Macht verdirbt den Charakter.

Und absolute Macht verdirbt ihn absolut.

Lord Acton

When they kick at your front door

How you gonna come?

With your hands on your head

Or on the trigger of your gun?

The Clash, „The Guns Of Brixton“

America … what if God doesn’t care?

Slipknot, „Gematria (The Killing Name)“

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Also.

Aaaaalso.

Fangen wir mal an mit einem Witz. Mit einem Witz, der überhaupt nicht witzig ist.

Gehen zwei politische Parteien in eine Bar. Die eine knallt sich die Birne zu und nominiert einen lauten, ungehobelten, egoistischen, kindischen und rüpelhaften (aber selbst schnell beleidigten) quietschorangefarbenen Volldepp-Wichsfrosch-Milliardär als Kandidaten für das Präsidentenamt der Vereinigten Staaten von Amerika. Die andere Partei, genauso selbstzufrieden und unnahbar wie die erste, beschließt, sich nicht auf dasselbe unterirdische Niveau hinabzubegeben. Stattdessen reiten die Delegierten die ganze Zeit darauf herum, dass sie was absolut Besonderes darstellen, schon allein, weil sie ja gaaanz anders sind wie dieser andere schreckliche Kandidat der Konkurrenz. Deswegen müssten wir sie riesig liebhaben, meinen sie jedenfalls, denn wenn wir das nicht tun, gucken sie auf uns herab und behandeln uns mit einer Mischung aus Mitleid und amüsierter Bitterkeit. Auf beiden Seiten gibt es ungefähr gleich viele intelligente Verleumder, und auch die Truppen völlig ergebener Fanatiker halten sich zahlenmäßig ungefähr die Waage. Damit bleibt den meisten Leuten, die sich politisch in der Mitte verorten, nur eine scheußliche Wahl: Entweder jemanden zu wählen, den man nicht wirklich gut findet, und damit in vollem Bewusstsein auf die eigenen Bürgerrechte zu scheißen, oder aber sein Kreuz bei jemandem zu machen, den niemand sonst wählt, und die eigene Stimme wegzuschmeißen. Dasselbe in Grün, natürlich, wobei man sich bei der zweiten Variante zumindest ein bisschen besser fühlt.

Und deswegen haben das wohl auch eine Menge Leute so gemacht.

Klar, es gab auch viel echte Unterstützung für die verschiedenen Kandidaten der letzten US-Präsidentschaftswahl. Trump hatte die ganzen hinterwäldlerischen Mösengrapscher auf seiner Seite, Hillary die Frauensolidaritätsfront, und die ganzen oberaufrechten, superbewussten Filterkaffeetrinker hatten Stein und Johnson, die schmollend maulten, sie würden sowieso ihre Spielsachen einpacken und nach Hause gehen, weil nämlich Bernie Sanders nicht mitspielen durfte. Die ganze Lage war von Anfang an ziemlich beschissen, und man hätte meinen sollen, schlimmer hätte es gar nicht mehr kommen können. Aber dann mussten wir voll ungläubigem Entsetzen mit ansehen, wie dieser orangenhäutige Riesendödel, der sich über so viele andere lustig gemacht hatte, dank des Wahlmänner-Systems den Sieg davontrug, auch wenn er bei der Auszählung der eigentlichen Wählerstimmen um drei Millionen zurücklag. Ich konnte meinen verdammten Augen nicht trauen: DONALD FUCKING TRUMP WÜRDE DER NEUE PRÄSIDENT DER VEREINIGTEN STAATEN VON AMERIKA SEIN. Selbst jetzt fühlt es sich beim Schreiben noch irgendwie unwirklich an. Und sobald ich das noch einmal lese, muss ich mich davor zurückhalten, den Satz sofort korrigieren zu wollen. Es ist aber wahr: Donald Trump ist Präsident der USA.

Mein Scheiß-Präsident ist er nicht. Aber er ist Präsident der USA. Belassen wir es dabei.

Ich wette um einen ganzen Eimer Nippelklemmen, dass es mir genauso ging wie den meisten anderen Amerikanern: Ich hockte wie angenagelt vor dem Bildschirm, guckte CNN und sah fassungslos zu, wie die Zahl der Stimmen für Trump wuchs und wuchs. Alle möglichen Leute schickten mir Textnachrichten: „Das kann doch gar nicht wahr sein?“ – „Verdammte Kacke, was geht da ab?“ Immerhin gab mir das eine Möglichkeit, meine eigene Angst in Schach zu halten, indem ich immer wieder beruhigend zurückschrieb: „Keine Panik! Es ist doch noch nichts entschieden. Es wird sicher alles gut! So blöd kann unser Land doch gar nicht sein!“ Als dann auch noch Pennsylvania an Trump ging und sein Sieg eindeutig feststand, saß ich wie vor den Kopf geschlagen auf dem Sofa und flüsterte wie Charlton Heston in Planet der Affen, in dieser Szene am Schluss, wenn er die Freiheitsstatue findet, die bis zu den Titten im Sand steckt: „Ihr Wahnsinnigen! Ich verfluche euch! Ich verfluche euch alle!“

Dieses Buch fing eigentlich mal total anders an.

Nämlich mit einer Warnung vor den Gefahren, die ein Despot wie Donald Drumpf (wie sein wahrer Name laut Comedian John Oliver ja lautet) über unser Land bringen würde. Hillarys Sieg wurde dabei als garantiert vorausgesetzt. Nicht, dass ich sie an sich jetzt richtig toll gefunden hätte, ich wollte nur einfach nicht, dass der Cheeto gewinnt. (Kennt ihr Cheetos? Das sind diese Maissnacks mit Käsegeschmack, die original dieselbe quietschorangene Farbe haben wie Trumps Hackfresse.) Und ich vertraute voll und ganz darauf, dass das nicht passieren würde, weil die so genannten einfachen Leute noch rechtzeitig zur Besinnung kommen würden. Aber das geschah nicht – im Gegenteil, es kam noch schlimmer. Die Grand Old Party, auch als GOP oder schlicht als „die Republikaner“ bekannt, hielt letztlich ihre Mehrheit im Senat und verdoppelte sogar noch ihre Super-Mehrheit im Repräsentantenhaus, womit der Weg für jede Menge Streichungen bisher sinnvoller Leistungen und Sozialprogramme frei war. Präsidentenamt und Kongress waren also fest in der Hand der Republikaner, während das Oberste Gericht – eine der drei Säulen der Gewaltenteilung – nur noch aus acht Mitgliedern bestand, weil der Kongress es Barack Obama nicht gestattet hatte, noch einen neuen Richter zu ernennen. Meine Damen und Herren, Bühne frei für den ultrakonservativen Neil Gorsuch!

Dieses Buch schilderte in seiner ursprünglichen Fassung die Hoffnung, dass die Demokraten nach dem Trump-Schreck wieder das Ruder übernehmen würden und ein paar der sogenannten einfachen Leute – meiner Leute – davon überzeugen könnten, sie würden sich tatsächlich für sie einsetzen. Es begann mit der lustvollen Vorstellung, wie die GOP richtig Scheiße fressen musste, nachdem sie sich vor den Karren eines chauvinistischen Wichsers hatten sperren lassen, der Angst vor seinem eigenen Schatten hat und sich ständig zu lächerlichen Aussagen verleiten lässt. Schließlich hatte sich die GOP oft genug als genau die Heuchlertruppe geoutet, die sie auch ist – beispielsweise, indem sie behauptete, für weniger Staat einzutreten, aber dann genauso viele Subventionsprogramme und Unterstützungsleistungen am Laufen hielt wie die Demokraten auch. Das hätte ich euch allen gerne aufgezeigt. Und dann gewann er die Wahl. Verdammte Kacke, er wurde Präsident. Scheißegal, was er vorher alles gemacht oder gesagt hatte, wie widerwärtig oder abgefuckt er sich gebärdet hatte, egal, wie oft er gelogen und gelogen und noch mal gelogen hatte – er hatte gewonnen. Am Spieltisch der Politik hatte er seine Trump(f)karte ausgespielt und das Haus richtig fett abgezockt.

Als das feststand, ging ich rüber zu dem Computer, auf dem ich meine Bücher schreibe, öffnete alle Kapitel, mit denen ich schon angefangen hatte, markierte die gesamten Texte, in denen so viele Stunden Mühe und Arbeit steckten … und drückte auf „delete“. Markieren. Löschen. Und noch mal von vorn. Markieren. Löschen. Das tat weh. Danach hatte ich eine richtige Scheiß-Zeit, weil man mir zum einen vorwarf, ich hätte nicht genug dafür getan, die Leute zum Wählen zu ermutigen, und mich zum anderen unter Beschuss nahm, weil ich anzudeuten wagte, dass es aufgrund von Trumps Wahlsieg zu vermehrten Gewalttaten gegen Schwarze, Latinos, Moslems, die gesamte LGBT-Community, Frauen und so weiter kommen würde. Man warf mir vor, damit würde ich die Gewalt überhaupt erst heraufbeschwören! Aber egal, ob ich das nun vorausgesagt hatte oder nicht: Genau das passierte auch. An die Mauern von Kirchen und Moscheen im ganzen Land wurden Hakenkreuze gesprüht. Menschen wurden ernsthaft angegriffen. Bei ganz normalen Linienflügen oder im Straßenverkehr brüllten zornige, weiße Männer plötzlich ihre Verachtung für all jene heraus, die so dreist waren, nicht weiß oder männlich zu sein. Dafür gibt es jede Menge Videobeweise. Jawohl, diese Taten lassen sich eindeutig belegen – und TROTZDEM WURDE NIEMAND FESTGENOMMEN ODER ZUR RECHENSCHAFT GEZOGEN. Keine Anzeige wegen Beleidigung oder Beschimpfung – man guckte weg, überhörte das, ließ diese Typen unbehelligt. Das ging eine ganze Weile so, obwohl die Proteste immer lauter wurden und sich die Trump-Unterstützer schließlich ebenso empfindlich auf den Schlips getreten fühlten wie die angeblich ach so zartfühlenden Liberalen, gegen die sie mit Begeisterung zu Felde zogen. Beide Seiten teilten reichlich aus und warteten nur auf den jeweils nächsten Schlag aus dem anderen Lager.

Aber jetzt sag ich euch was, und wahrscheinlich werdet ihr mich deswegen für komplett bescheuert halten: ich bin FROH, dass er gewonnen hat. JAWOHL, RICHTIG GEHÖRT, IHR ARSCHLÖCHER, ABER WARTET ERST MAL AB! Bevor irgendwelche linken Säcke mein Mail-Postfach zuspammen und mir detailliert beweisen wollen, dass der Trump-Effekt das ganze Land in Schutt und Asche legen, auf diese Asche pissen, sie dann in Melanias sauber gebleichten Arsch schieben, wieder rauskratzen, in ein Champagnerglas kippen und sie sich dann kackversetzt, champagnerdurchweicht und vollgepisst wie Zucker in den eigenen privilegierten Arsch blasen wird … Oh, verdammt, da ist es wohl gerade mit mir durchgegangen. Tut mir leid, Leute! Jetzt weiß ich selbst nicht mehr, worauf ich eigentlich gerade hinauswollte. Wollte ich was über die Nacktbilder unserer neuen First Lady schreiben? Oder über dieses komische Verhältnis zwischen Donald und Ivanka? Wenn ich es jetzt recht überlege, dann fiel mir das mit der vollgepissten Asche vielleicht wegen dieser Geschichte mit den Nutten ein, denen Donald laut der „Golden Showers“-Enthüllungen gerne beim Pinkeln zugeguckt hat. Ach, Donald …

Egal, bevor es also wirklich zu irgendwas von dem wirklich kommt, und das wird es höchstwahrscheinlich, lasst mich diese Überlegung einmal kurz erklären. Ich bin nicht glücklich darüber, dass diese Wahl unser Land in zwei derart verfeindete Lager gespalten hat. Ich bin nicht glücklich darüber, dass einige Leute jetzt Panik schieben, während andere offenbar glauben, es wäre völlig okay, ihre Mitmenschen zu terrorisieren. Ich bin nicht glücklich darüber, dass es immer öfter Proteste gibt, weil offenbar jeder ständig nach neuen Sachen sucht, über die er sich aufregen kann. Ich bin aber froh, dass diese Wahl mir mit aller Deutlichkeit klargemacht hat, wie die Sache steht, dass sie meinen Blick geschärft und mich wieder in die Spur gebracht hat.

Ja, Donald Trump ist Präsident (jedenfalls im Moment) – NICHT MEIN PRÄSIDENT, aber eben DER Präsident. Damit will ich nicht sagen, dass ich es gut finde, wenn die Rechten versuchen, Hilfsprogramme einzustampfen, die es anderen Menschen ermöglichen, irgendwie durchs Leben zu kommen. Ich werde auch nicht meine Klappe halten, wenn sie eine noch höhere Staatsverschuldung anstreben, denn sie haben auch keine besseren Lösungen für die aktuellen Probleme parat als die, die es schon gibt, auch wenn sie das nicht zugeben wollen. Ich werde auch nicht bloß zusehen, wenn sie versuchen, die Mächte jener zu beschneiden, die gegen sie aufstehen, wie die Geheimdienste, die Kontrollorgane innerhalb der Regierungen … oder die amerikanischen Wähler. Wenn sie eine Revolution wollen, dann werden sie die auch bekommen, weil sie in Mathe nämlich Scheiße sind: WESENTLICH MEHR LEUTE HABEN GEGEN UND NICHT FÜR TRUMP GESTIMMT, DAS SOLL ER MAL BESSER NICHT VERGESSEN. Es gibt kein quietschorangenes Mandat.

Nein, dass ich froh bin, hat andere Gründe. Genauer gesagt, diese zwei: Bis zu diesem Punkt war dieses Buch echt nur Scheiße, so wie unser Zwei-Parteien-System. Bis zur Wahl hatte ich nur rumgelabert, wie recht ich doch mit allem hatte, was Trump und die Rechten anging, blablabla, mimimi, UND JETZT REISS DICH MAL ZUSAMMEN, TAYLOR. Ich benahm mich genau wie die Partei, von der ich dachte, dass ich sie unterstützte, bis ich begriff, dass das genau der Grund war, weswegen es den meisten Leuten so schwerfiel, bei eben dieser Partei ihr Kreuz zu machen. Nicht nur, dass sie mit den demokratischen Wahlkampfthemen nichts verbanden, sie fühlten sich außerdem herabgesetzt und nicht ernst genommen, weil sie nicht Teil der schicken, intellektuellen Eliten sind. Die eher bodenständigen Leute schlugen sich daher lieber auf die Seite eines egomanischen Cheeto-Maiskäsebällchens als auf die Seite des Kandidaten, der diese Type wie ein Gangmitglied in Death Wish 2 hätte wegpusten sollen.

Sie hatten keinen Bock mehr darauf, immer wieder in die Wortwahl-Falle zu tappen – dies darf man nicht sagen, jenes darf man nicht sagen … dabei ist das doch albern. „God bless you“ ist angeblich nicht mehr okay wegen des Gottesbezugs, es darf jetzt nur noch „bless you“ heißen. Man muss höllisch mit den Pronomen und den Wortendungen aufpassen, auch wenn das dann klingt, als ob man einen Sprachfehler hätte. „Merry Christmas“ geht nicht mehr durch, „motherfucker“ schon gar nicht, stattdessen muss alles furchtbar geschraubt und aufgesetzt sein. Das führt zu einem Phänomen, zu dem wir später noch kommen werden: Empathieverweigerung. Der britische Schriftsteller W.S. Gilbert hat einmal gesagt: „Wenn jeder etwas Besonderes ist, dann ist niemand mehr etwas Besonderes.“ Was an dieser Stelle so viel bedeutet wie: Wenn alles zur Beleidigung wird, dann ist nichts mehr eine Beleidigung.

So sehr sich die Meinungsforscher und Journalisten auch bemühten, ein breitgefächertes Bild von den beiden großen Parteien zu zeichnen, waren die Politiker trotzdem zu Leuten geworden, mit denen man sich nicht mehr identifizieren konnte. Persönlich denke ich zwar, dass man ein solches Identifikationsangebot auch gar nicht von einem Politiker erwarten sollte, aber ich glaube eben auch grundsätzlich, dass die meisten dieser Typen nur Scheiße labern, zwei Gesichter und vor allem viel zu tiefe Taschen haben. Bei Trump hatten wir wenigstens noch das Gefühl, das ist ein Idiot wie wir. Bei Hillary ging mir das nie so. Ehrlich, ich glaube, die meisten Amerikaner gingen immer davon aus, dass sie sowieso nur auf alle herabsieht, und deswegen haben sie sich nie die Mühe gemacht, ihr auch mal zuzuhören. Jetzt will ich nicht wieder die ganze beschissene Wahl aufarbeiten – ich denke mal, in der Zeit sind wir alle um Jahre gealtert, und das will heute keiner mehr hören. Ich finde halt nur, dass die meisten von uns, die meisten ganz normalen Leute nur versuchen, sich irgendwie durchs Leben zu schlagen, und sie wollen keine Präsidentin, die ihnen dauernd das Gefühl gibt, sie wären scheiße. Ob euch das jetzt gefällt oder nicht, ich bin überzeugt, das war genau der Eindruck, den die Leute von Hillary hatten, und wahrscheinlich von allen Demokraten. Es kommt halt nicht gut an, wenn man den Leuten dauernd reindrückt, dass man doch viel schlauer ist als sie. Das war wahrscheinlich nicht der einzige Grund, aber es hat bestimmt dazu beigetragen, dass viele ihr Kreuz woanders gemacht haben.

Wie schon gesagt, ich habe jahrelang zu den Demokraten tendiert. Allerdings denke ich jetzt doch sehr über einen völlig unabhängigen Standpunkt nach, weil es mir auch so geht wie den meisten anderen Amerikanern und ich das Gefühl habe, dass die da oben uns hier unten sowieso nicht ernst nehmen. Und da rede ich jetzt von beiden Parteien. Die Republikaner verstecken das ein bisschen besser hinter ihren Waffen und dem lieben Gott, aber man darf, Gott bewahre, eben auch auf gar keinen Fall ein bisschen anders sein. Sie wollen, dass man sich von ihnen vertreten fühlt – sie sehen sich ja als die „Partei des Volkes“! Das gilt aber nur, solange man eben auch genauso ist wie sie. Wenn nicht, bist du deine Rechte schneller los, als du „mein Bauch gehört mir“ sagen kannst. Die Demokraten sind aber nicht besser. Sie sind zwar schlau genug, in liberalen Fragen progressiv zu entscheiden und die Transgender-Gleichberechtigung oder das Recht auf Abtreibung durchzusetzen, aber dann doch nicht so schlau, dass sie kapieren, wieso manche Leute damit schlecht zurechtkommen, vor allem, wenn sie sehr religiös sind. Für die normalen Leute sind solche Themen so fremd, als ob sie mit einer Kindergärtnerin in Topeka französisch reden müssten. Die meisten haben über so etwas noch nie zuvor auch nur nachgedacht, und jetzt werden sie plötzlich gezwungen, ihnen völlig fremde Einstellungen zu unterstützen und bedingungslos zu akzeptieren, selbst, wenn sie noch nicht mal richtig wissen, was sie eigentlich bedeuten.

Es erklärt ja heute keiner mehr was – es wird einfach nur irgendwelcher Scheiß in die Welt geblökt, auf Twitter oder Facebook oder irgendwelchen dunklen Kommentarseiten, wo sich Anstand und Verstand schon lange verabschiedet haben. Das facht den Narzissmus auf beängstigende Weise an. Aber wir kommunizieren ja sowieso nicht mehr richtig. Wir hauen irgendein aufsehenerregendes Statement raus, und wehe, irgend so ein Arsch sagt dazu irgendwas, was auch nur ein bisschen abfällig klingt, dann hauen wir sofort mit echtem Digitalgift und einer dicken Portion Selbstgerechtigkeit zurück. Ihr, die ihr euch hier einloggt, lasset alle Hoffnung fahren. Und so ist es dann kein Wunder, wenn jeder, der intelligent rüberkommt, gleich als „elitärer Gutmensch“ gilt, während jeder, der eher nach Arbeiterklasse klingt und vielleicht eine etwas simplere Sicht auf das Leben hat, schnell als „weißer Abschaum“ und „rassistischer Hinterwäldler“ abgestempelt wird. Eine Bevölkerung, die derartig auseinanderdividiert wird, bevor überhaupt ein Gespräch in Gang kommt, wird unglaubliche Dinge tun … zum Beispiel einen Donald Trump nominieren und dann auch noch wählen.

Und so veränderte sich auch dieses Buch: Erst war es ein scheinheiliges Editorial, das vor allem zeigte, wie sehr meine Matschbirne zu wissen glaubte, was für alle das Beste ist. Dann wurde es zu einer tiefgehenderen Auseinandersetzung damit, was hier gerade läuft, und damit meine ich alles: die politischen Parteien, für wen sie angeblich eintreten, für wen sie wirklich eintreten, was die Leute glauben, für wen sie eintreten, wohin das alles führt und wo wir hoffentlich einmal hinkommen – kombiniert mit einer Geschichtsstunde zum Thema amerikanische Politik. Außerdem will ich mit euch eine kleine Tour durch ein paar ziemlich coole Immobilien in den Vereinigten Staaten machen, euch ein bisschen was erzählen, was ihr vielleicht schon vergessen habt oder vielleicht auch noch nie wusstet, euch an Leute und Orte erinnern, die die Phantasie anregen, ein bisschen nostalgisch und – Achtung, jetzt kommt’s – echt patriotisch werden, wobei ich allerdings nicht den Scheiß meine, den die Regierung im Spätabendprogramm raushaut. Es geht mehr darum, unterm Bett mal nach den alten Lieblingsspielzeugen zu gucken, die wir gar nicht mehr so richtig auf dem Zettel haben, und uns über die Wiederentdeckung zu freuen, bevor uns dann wieder der Zynismus in die Klauen bekommt und uns daran erinnert, dass die harte Realität leider eher darin besteht, Rechnungen zu bezahlen und Wäsche zu waschen. So wie es im richtigen Leben nun mal ist.

Wisst ihr, was mich an vielen Politikern so stört? Dass wir sie nur im Fernsehen sehen. Oder in den Zeitungen. Wir kennen die doch gar nicht. „Alter, das ist doch mit dir auch nicht anders.“ Hey, du Drecksack, halt mal die Luft an. Wann hast du denn das letzte Mal eine Rechnung nicht bezahlen können und dir ein oder zwei Wochen lang deswegen Sorgen gemacht? Wann hast du die letzte Nacht durchwacht, weil du kleine Kinder hast und kein Auge zubekommst, solange sie nicht einschlafen? Wann musstest du das letzte Mal entscheiden, ob du für die Kinder was zu essen kaufst oder lieber erst die Stromrechnung bezahlst? Hast du solche Scheißzeiten überhaupt schon mal erlebt? Wenn ja, zeig mal die Fotos. Oder ein Video. Erzähl mal, wie du ein Sandwich machst, wenn du nichts hast, was aufs Brot drauf könnte. Ich? Ich kann mich an all sowas erinnern. Ein gutes Gedächtnis ist ein Fluch und ein Segen zugleich. Und ich kann dir sagen, wenn du mir ein paar Scheiben Brot gibst und mich in eine Küche steckst, in der sich nichts finden lässt, was auch nur annähernd wie „Sandwich-Belag“ aussieht, dann komm ich trotzdem mit einem Sandwich da wieder raus. Und ich würd’s auch essen, weil ich nämlich weiß, wie sich das anfühlt, pleite und verzweifelt zu sein. Ich kenne dieses Gefühl zu wissen, dass man zwar die Miete nicht zusammenbekommen wird, aber dafür in der nächsten Woche zumindest was zum Abendessen hat. Und ich würde gern mal einen Beweis dafür sehen, dass ein Politiker wie Paul Ryan sowas von der Art auch mal erlebt hat, bevor er mit seinen ganzen Scheiß-Haushaltskürzungen ankommt und sowas wie die finanziellen Unterstützungen für kranke Rentner, die Sozialhilfe, die bezahlbare Krankenversicherung oder andere Sozialleistungen zusammenstreicht.

Man kann doch Leuten nicht vorwerfen, finanziell gut dazustehen oder eine ordentliche Bildung genossen zu haben. Wenn man sich den Arsch abarbeitet, soll man auch die Früchte der Arbeit genießen dürfen. Aber man darf eben nicht vergessen, woher man kommt, und man sollte es anderen gegenüber auch nicht zu weit raushängen lassen. Das ist nämlich genau das Problem, und damit kommen wir zu der Erkenntnis, die dieses Buch komplett verändert hat. Jetzt geht es nämlich viel weniger um Politik, als vielmehr … um uns. Denn so, wie wir dastehen, wie kleine Würstchen beim Grillabend, sind wir der Grund für unseren eigenen Niedergang. Das Land ist in diesem Scheiß-Zustand, weil wir alle in einem Scheiß-Zustand sind. Unsere Politiker sind so am Arsch, weil wir alle so am Arsch sind, und damit meine ich, so richtig, ohne Spucke und ohne Gleitcreme. Wir reden nicht mehr miteinander, jedenfalls nicht mehr im direkten Gespräch, wie zivilisierte Menschen. Stattdessen brüllen wir uns ständig, brutal und anonym an, verborgen hinter Computerbildschirmen und Smartphones, und versuchen alle nur noch, in einer Tour Recht zu haben. Wisst ihr, warum sich dieses Land allmählich selbst auffrisst? Ganz einfach: Weil wir ihm Messer und Gabel gegeben und „Hau rein“ gesagt haben.

Es gibt kein Verantwortungsbewusstsein mehr, weil wir inzwischen auch nicht mehr für uns selbst verantwortlich sein wollen. Für richtig und falsch, für abgefahren oder vernünftig gibt es keine Grenzen mehr. Wer hört denn noch zu, wenn man dauernd mit den Köpfen aneinanderkracht? Wen kümmert es denn noch, ob jemand verletzt ist oder Hilfe braucht, wenn man immer nur denkt: „Na, die haben sich das bestimmt selbst zuzuschreiben“ oder „mir hat ja auch keiner geholfen, als ich jemanden brauchte“. Damit versucht man sich nur vor der Realität wegzuducken, die besagt, dass man eben verdammt viel Energie braucht, um heutzutage ein guter Mensch zu sein. Zumindest versuchen die, die sich für ihre Leistungen dauernd selbst auf die Schulter klopfen, es so aussehen zu lassen. Eine Frage dazu: Wann hat es sich eigentlich durchgesetzt, dass sich die Konzepte „allgemeines Wohlergehen“ und „Verantwortung als Steuerzahler“ völlig ausschließen? Kann mir das mal jemand beantworten? Ich sag euch mal, was genau dahintersteckt, und das ist der Grund, weshalb es überhaupt nichts bringt, den berühmten Sumpf trockenzulegen, irgendwelche abgefahrenen Mauern zu ziehen oder politische Gegner einzuknasten, auch wenn das die Drecksärsche, die für den Cheeto gestimmt haben, nicht hören wollen werden: Sie sind genauso verabscheuungswürdig wie die Typen auf der anderen Seite, die sie angeblich so sehr hassen. Sie sind die Spiegel auf der Brücke nach Guantanamo, die Wachtposten an der Grenze zwischen Nord- und Südkorea – genau das, was ihr am meisten fürchtet, Trump eingeschlossen.

Davon abgesehen sind wir inzwischen ein einziger Haufen von Heuchlern. Dauernd reden wir über die Fehler anderer Leute, dabei haben unsere eigenen Lebensläufe Löcher, durch die man mit einem Sattelschlepper durchfahren könnte, und zwar nonstop, 24 Stunden lang. Die Rechten sagen den Linken, „findet euch endlich damit ab“, und „wir haben ja auch nicht dauernd demonstriert, als Obama Präsident geworden ist“ – dabei gibt es genug Beweise, Fotos, Videos, Tonaufnahmen, dass sie genau das nach Obamas Sieg gemacht haben, und zwar fast die ganzen folgenden acht Jahre lang. Die Linken hingegen reiten immer wieder auf den beleidigenden Ausdrücken herum, haben aber keine Probleme damit, jemanden einen Nazi, einen bigotten Heuchler oder einen Rassisten zu nennen, sobald sie fürchten, bei einem Disput nicht die Oberhand zu behalten („so, wie es in einer gerechten Welt schließlich sein sollte!“). Das ist ein Verhalten, das in den jahrelang gehegten Ressentiments wurzelt und von den technologischen Entwicklungen und den sozialen Medien unglaublich begünstigt worden ist.

Jetzt würde ich hier zu gern sitzen und etwas über die Helden schreiben, die auf der anderen Seite des Zauns für uns kämpfen, aber das kann ich nicht, denn genau wie ihr alle da draußen habe ich auch nicht mehr viel Vertrauen in unseren „Anführer“. Unsere Regierungsinstitutionen haben allmählich aufgehört, verbindungsstiftend zu wirken. Jede neue Politikergeneration ist extremer als die vorhergehende und neigt dazu, die Sorgen der Bevölkerung über kleinere, persönlichere Ziele zu vergessen. Man will die ACA, die eine bezahlbare Krankenversicherung anbietet, nicht deswegen zerschlagen, weil sie für das amerikanische Volk eine Belastung darstellt. Die ACA soll weg, weil diese Leute rachsüchtige Kleingeister sind, die es nicht verwinden können, dass diese Einrichtung nicht nach ihren Vorstellungen gestaltet wurde. Hier geht es nicht mehr um wir hier unten, sondern um die da oben, und allmählich ist zu erkennen, dass das auch nicht erst seit gestern so ist. Diese Wichser in Washington wissen ganz genau, dass wir alle unsere eigenen Sorgen und Nöte haben, und das nutzen sie aus: Was meint ihr wohl, wieso die niemand zur Rechenschaft zieht? Was meint ihr, wieso jemand Präsident werden konnte, der gar nicht die Mehrheit aller Stimmen bekommen hat? Das liegt nur daran, dass wir so zerstritten sind.

Und das muss aufhören, und zwar VERDAMMT NOCH MAL SOFORT.

Ich werde jedenfalls nicht dabei zusehen, wie irgendwelche Fanatiker unsere Schweinenation komplett ficken, während sie uns dabei noch angrinsen und uns ins Gesicht lügen. Ich werde nicht hinnehmen, dass das alles nur deswegen möglich ist, weil wir vergessen haben, dass es zwischen uns mehr Gemeinsames als Trennendes gibt. Ich werde keine Sekunde aufhören dafür zu kämpfen, dass uns endlich wieder klar wird: Die Leute, die wir auf unseren kleinen Bildschirmen gerade fertigmachen, sind echte Menschen wie du und ich, und es mag zwar kurzfristig ein geiles Gefühl sein, sie total kaputtzumachen, aber es ist nicht von Dauer – sobald man sich seine eigene Situation dann wieder vor Augen hält, ist man genauso deprimiert wie vorher. Das ist ein Fakt. Wir müssen das Kriegsbeil begraben, und das geht am besten, indem man die Arschlöcher findet, die man am besten gleich mit begräbt. Wir müssen die echten Feinde erkennen – diejenigen, die uns immer wieder gegeneinander ausspielen wie Schachfiguren. Allerdings geht das nicht, solange wir nicht endlich miteinander reden.

Es ist ein Leichtes, herauszuarbeiten, was uns alle voneinander unterscheidet. Zu erkennen, was uns verbindet und worin wir uns gleichen, ist ein bisschen anstrengender, und das vor allem deswegen, weil wir, wie ich schon sagte, den Dingen nicht mehr ins Auge sehen. Wir haben einen Punkt erreicht, wo alles zur Beleidigung hochstilisiert wird – alles. Wenn man sich früher über irgendetwas geärgert hat, dann hat man das angesprochen, protestiert und zu erklären versucht, wie widerlich das der ganzen Welt erscheinen muss. Das hat uns in unserer Entwicklung als Menschen und als gute Nachbarn weitergebracht. Damals ging es auch um große Themen, wie um Vorurteile und Rassismus (und das sind zwei verschiedene Sachen, ihr Lieben), um Korruption und Machtmissbrauch. Heute gibt es diese großen Themen zwar immer noch, aber man nimmt gar nicht mehr wahr, wie wichtig sie sind, weil inzwischen alles in dieser Größenordnung diskutiert wird, von der Farbe der Kaffeebecher bei Starbucks bis zu einem Walmart-T-Shirt mit einem Spruch, der sich über Zwangsstörungen lustig macht.

Ich will das mal so erklären: Ihr wisst doch, wie das ist, wenn etwas mit den Wasserleitungen in eurem Haus nicht stimmt? Wenn die Rohre Geräusche machen, weil zum Beispiel Luft in den Leitungen ist? Da gibt es so ein hohes Pfeifen, wie ein böser Badezimmergeist, der in den höchsten Tönen quietscht. Das ist ein Geräusch direkt aus der Hölle, und es nervt kolossal. Jetzt stellt euch mal vor, alles in eurem Haus würde so einen Lärm machen, aus den schwachsinnigsten Gründen. Wenn jemand im Schlafzimmer das Licht angelassen hat – Nervgeräusch. Wenn eine einzelne Socke im Trockner liegengeblieben ist – Nervgeräusch. Wenn niemand den Müll rausgebracht hat – Nervgeräusch.

Versteht ihr jetzt, weswegen die Leute einfach abschalten? Wenn es einen Ton für soziale Medien gäbe, dann wäre das hundertprozentig solch ein Nervgeräusch. Wobei ich glaube, wenn soziale Medien tatsächlich immer einen bestimmten Ton von sich gäben, würden sich sowieso viel weniger Leute den ganzen Tag damit beschäftigen. Was ich damit sagen will, ist: Man will das ganze Gequatsche irgendwann einfach nicht mehr hören. Ich weiß, dafür werde ich jetzt ordentlich was einstecken müssen, aber es ist doch so wie in der Geschichte von dem Jungen, der jede Nacht um Hilfe gerufen hat, weil angeblich ein Wolf kam, und der dann gefressen wurde, weil irgendwann keiner mehr darauf reagiert hat. Ihr Liberalen da draußen, aufgepasst: Wenn man ein Kreuz als Schmuck oben auf den Weihnachtsbaum setzt, dann ist das etwas ganz anderes, als wenn man andere damit durchkommen lässt, dass sie Menschen rassistisch oder sexistisch beleidigen. Das sind Sachen, GEGEN DIE MAN NICHT MIT DERSELBEN VEHEMENZ PROTESTIEREN SOLLTE. Klar, ich hab schon kapiert: Das Kreuz repräsentiert nicht alle Menschen. Aber jetzt mal ehrlich, welches Symbol unserer Zeit täte das denn und wäre von daher oben auf dem Weihnachtsbaum gut aufgehoben? Naaaa? Merkt ihr was?

Der Titel dieses Kapitels bezieht sich ja darauf, als Band auf Tour unterwegs zu sein – on the road. Ich sag euch jetzt auch, warum, denn darin steckt die eigentliche Botschaft, die ich mit diesem Buch vermitteln möchte. Ihr wisst vielleicht, dass ich auf der Welt schon ein bisschen rumgekommen bin. In Spanien habe ich wunderschöne Kathedralen gesehen, und ich habe einen steifen Hals bekommen, als ich mit meinen Kids die Stroboskoplichter vom Eiffelturm angesehen habe. In London bin ich durch historische Gebäude geschritten und in Moskau über den Roten Platz gegangen. In Tokio und São Paulo, in Sydney und Singapur habe ich mich durch die ganze Küche probiert. Ich war auf der ganzen Welt, und trotzdem ist das beste Land der Welt für mich immer noch mein eigenes – hauptsächlich wegen der Städte und Landschaften, aber auch wegen der Leute. Zu den Dingen, die Politiker uns immer wieder einbläuen, gehört ja auch, dass es in jedem Bundesstaat völlig verschiedene Kulturen gibt, zwischen denen sich teilweise sehr tiefe Gräben auftun. Verdammt, sowas Ähnliches habe ich zu Beginn dieses Kapitels ja auch schon gesagt, als ich darauf einging, wie verschieden wir alle sind. Und das ist auch so: Es gibt riesengroße Unterschiede innerhalb des Landes, aber auch innerhalb der einzelnen Staaten und sogar innerhalb einer Stadt. Aber das heißt nicht, dass wir a) nicht doch mehr gemeinsam haben, als uns lieb ist, und b) dass diese Unterschiede etwas sind, wegen dem man sich gegenseitig runtermachen, verarschen oder verurteilen muss.

Trotz alledem …

Ein paar von euch Ärschen da draußen sind absolute Vollidioten.

Dabei beziehe ich mich nicht auf bestimmte Regionen, Staaten oder Volksgruppen. Ich meine auch nicht die Leute, die es eben nicht besser wissen. Ich rede auch nicht von bestimmten Parteiwählern. Ich meine – und ich will jetzt nicht, dass das jemand missversteht oder anders auffasst – ich meine fast alle von euch. Na gut, es gibt eine Handvoll Leute, denen der Zustand unseres bescheuerten Staatenbunds genauso schwer zu schaffen macht wie mir. Aber die meine ich jetzt nicht. Ich meine euch, die ANDEREN. Euch schreie ich gerade an.

Ich meine all jene Arschlöcher, die mit viel Gequengel und Geschrei „den Promis“ und „den Reichen“ einen Strick draus drehen, dass ihnen unverschämterweise nicht egal ist, was in ihrem Land so läuft. Das sind dann prompt dieselben Leute, die dazu beitragen, dass ein Promi-Milliardär gewählt wird, ein blöder Sack, der sich weigert, seine Steuererklärung offenzulegen und mit den Medien zu reden, der sich vielleicht auch schon mal hat anpinkeln lassen (na gut, wer hat das nicht) und der Quietschorange nicht von normaler Bräune unterscheiden kann. Und außerdem meine ich auch die weinerlichen, dauerbeleidigten Wichser, die immer dann einen Haufen Schuldzuweisungen aufs Tapet bringen, sobald sie ihren Kopf nicht durchsetzen können. Ah, und bevor ich es vergesse – ich meine natürlich auch diese Scheißhaufen, die es unmöglich gemacht haben, in diesem Land noch eine Meinung zu äußern, ohne sofort als bigotter Heuchler, Nazi, Rassist oder frauenfeindlicher Arsch bezeichnet zu werden. Es gibt keine richtige Seite mehr. Früher dachte ich das mal, aber die Zeiten sind vorbei. Heute gibt es nur noch zwei Meinungen: das, was ich glaube, und das, was sich die Leute gegenseitig ins Gesicht brüllen. Und das war’s. Es gibt keine Partei mehr, die meine Einstellungen repräsentiert, aber wahrscheinlich hat es die auch nie gegeben. Mich erinnert das an einen Streit in der Grundschule, der etwa anno 1980 stattfand. Betsy Smith und Erica Toller tobten dabei etwa eineinhalb Stunden lang über das Spielgelände der Sunset Elementary School in Clear Lake, Iowa, und konnten sich nicht einigen, ob ich ein „Scheiße-Arschgesicht mit Titten“ oder eine „Kackhaufen fickende Müllfresse“ sei. Es war eine Debatte epischen Ausmaßes, die sich in mein Gedächtnis eingegraben hat, obwohl sie inzwischen 37 Jahre zurückliegt. Und so ein Wörterkrieg tobt heute AUF JEDEM SMARTPHONE IN JEDER HAND IN JEDEM HAUS AUF JEDER STRASSE IN JEDER STADT EINES JEDEN BUNDESSTAATES IN AMERIKA … UND AUCH ÜBERALL SONST. Mir hat neulich irgendwo ein Quatscheimer entgegengeschleudert, ich sei „Killarys Schoßhündchen“. Der war dann tatsächlich aus Alberta in Kanada … sowas kannste dir gar nicht ausdenken. Und wenn doch, dann besteht die Chance, dass du Peyote mit Hundescheiße geschluckt hast.

Aber, um das jetzt noch mal klarzustellen: Wenn du eine Rassistensau bist, dann schmeiß dieses Buch in die Tonne, jetzt sofort oder beim nächsten Ku-Klux-Klan-Treffen, denn dir wird nicht gefallen, was ich hier über dich sagen werde. Und alle, die was gegen Menschen aus anderen Ländern haben, muss ich auch gleich warnen: Schenkt das Buch am besten eurem Hippie-Barista im nächsten Starbucks, denn euch mach ich auch platt. Ach, und fast hätte ich’s vergessen: Jeder, der glaubt, dass Weiße nur aus den USA kommen oder dass alle Moslems so aussehen wie Osama Bin Laden (und der demnach wahrscheinlich noch nie einen Moslem aus dem südpazifischen Teil Asiens gesehen hat oder einen weißen, muslimischen Kroaten … oder der ums Verrecken nicht kapieren will, dass „muslimisch“ keine Scheiß-Hautfarbe ist), yepp, wer so tickt, der sollte dieses Buch mindestens genauso meiden wie ein Love-In bei einer Versammlung der schwarzen Bürgerrechtsbewegung NAACP. Und wo wir schon dabei sind, schließen wir auch gleich noch alle mit ein, die glauben, es wären vor allem Schwarze, die in den USA Sozialhilfe beziehen (was nicht stimmt), und es wären vor allem Latinos und Schwarze, die Drogen verkaufen und Verbrechen begehen (was auch nicht stimmt) und dass nur Nichtweiße terroristische Anschläge verüben (ich erinnere nur mal schnell an den Kirchenattentäter Dylann Roof und an die Bundy-Brüder, die einen paramilitärischen Aufstand in einem Naturreservat in Oregon angezettelt haben) – yeah, diese Typen werden dieses Buch nicht wirklich mögen. Falls ihr also den Breitbart-Newsletter abonniert habt, euch zu Fotos von Milo Yiannopoulos einen abwichst oder meint, dass riesige Schnauzbärte zu Unrecht einen schlechten Ruf genießen, hört sofort auf zu lesen. Ich lade euch herzlich dazu ein, das Buch zu verschenken oder die Seiten rauszureißen und als Klopapier für euren Endzeitbunker bereitzulegen, denn mehr ist da für euch nicht rauszuholen.

Ob die Leute den Mainstream-Medien glauben wollen oder nicht, hängt meistens allein davon ab, ob die Presse gerade auf ihren eigenen Kandidaten einschlägt oder auf die Gegenseite. Gleichzeitig setzen Fake-News-Seiten völlig unhaltbare Gerüchte in die Welt und stacheln zu Gewalt an, weil irgendwelche vernagelten Fanatiker den Scheiß für bare Münze halten und ihn verbreiten wie Herpes beim Spring Break. Und mehr noch, gleichzeitig werden unsere Nachrichtendienste diskreditiert, je nachdem, ob deren neuste Informationen das eigene Lager besser oder schlechter aussehen lassen. Nun erwarte ich ja gar nicht, dass ich nur von den allerhellsten Blitzbirnen umgeben bin. Scheiße, ich glaube nicht mal, dass ihr alle einen Highschool-Abschluss habt; die klügsten Leute, die ich kenne, haben die Schule nicht zu Ende gemacht (ich ja auch nicht). Ich will doch gar nicht, dass wir es in den USA nur mit superschlauen Uni-Abgängern zu tun haben. Aber verdammt noch mal, ein bisschen gesunder Menschenverstand ist doch wohl nicht zu viel verlangt, gerade bei Leuten, die den Cheeto gewählt haben. Ihr habt doch auch gemeint, ihr hättet alles total durchschaut und hättet keinen Bock mehr darauf, dass die offizielle Regierung in Washington und die inoffizielle in Hollywood mit ihren ganzen Gutmenschen gegen eure Interessen arbeiten. Ihr seid doch nur ganz normale Leute, die nichts dran finden, einen Typen „Mann des Jahres“ zu nennen oder jemandem zu sagen, dass ihr ihn in eure Gebete einschließt, ohne vorher zu fragen, ob er überhaupt religiös ist. Die hart arbeitenden Leute von Nebenan erobern sich ihr Land zurück. Alles gut, aber leider habt ihr es damit einem echten Haufen Flachwichser überantwortet!

Ich sag’s noch einmal: Niemand muss dieses Buch lesen. Niemand muss es kaufen, leihen, lesen oder glauben, was drinsteht. Euch kann komplett am Arsch vorbeigehen, was ich zu wissen glaube. Wahrscheinlich habt ihr das Buch sowieso bloß wegen des Covers gekauft oder weil ihr meine Bands kennt. Aber wie gesagt, ich will auch keinem vorschreiben, was er über unser Land zu denken hat. Wir sind niemals alle intellektuell auf derselben Wellenlänge. Können wir versuchen, klar, aber das wird nie klappen – das ist ja das Schöne an der menschlichen Natur. Wenn ihr eure festgefahrene Meinung habt, bitte, dann ist das so. Wenn ihr unsicher seid, was eure Gedanken oder Gefühle betrifft, dann lest gerne weiter. Ich möchte uns allen einfach nur ein paar Dinge aufzeigen, und dann werde ich auch ganz zufrieden Ruhe geben.

Kann sein, dass dieses Buch kein Happy End haben wird. Normalerweise versuche ich in meinen Büchern ja, im letzten Kapitel noch einen positiven Ausblick zu formulieren, aber das klappt dieses Mal vielleicht nicht. Das hier wird ein ziemlich gnadenloser Blick auf die Vereinigten Staaten von Amerika der heutigen Zeit. Einigen von euch wird das vielleicht nicht gefallen. Aber ich hoffe, es wird zumindest eine einigermaßen faire Darstellung. Wie ihr alle werde ich mein Bestes geben, um optimistisch zu sein, aber nicht naiv. Ich werde versuchen, konstruktiv zu bleiben und nicht negativ reaktionär. Lieber die Dinge von allen Seiten betrachten und überlegen, wie wir in diese Scheißsituation gekommen sind. Meine schöne Welt der Neunziger hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren so hässlich verändert, dass ich mich schäme – nicht für andere, sondern für mich. Wenn du den Fuß vom Gas nimmst, bleibt die Karre irgendwann stehen. Wenn du nicht guckst, wohin der Ball fliegt, dann knallt er dir ins Gesicht und bricht dir die Nase. So ist es mir ergangen. Verdammt, nicht nur mir, sondern wahrscheinlich drei Fünfteln aller Leute im Land. Jetzt wäre es an der Zeit, mal wieder aufzuwachen, zu retten, was noch zu retten ist und zumindest zu versuchen, die Dinge wieder einigermaßen ins Lot zu bringen.

Die andere Möglichkeit wäre, sich zurückzulehnen und so zu tun, als wäre das alles eine Illusion oder, schlimmer noch, ein Traum, aus dem wir alle irgendwann aufwachen. Oder man macht es wie die größten Oberärsche und stolziert herum, als wäre mit diesem Land alles in schönster Ordnung, als gäbe es kein Privileg weißer Männer, keine brutale Polizeigewalt, keinen Krieg zwischen den Klassen, und wir können uns gemütlich aufs Sofa setzen und uns die x-te Folge von Matlock oder Mord ist ihr Hobby in der x-ten Wiederholung angucken. Keine Ahnung, wieso mir gerade diese beiden Serien einfallen – ich liebe Matlock, und Angela Lansbury ist einfach klasse. Aber ihr versteht schon, was ich meine. Nichtstun ist auch ein Statement, und manchmal hat auch das seine Wirkung. Das wäre wie ein Sit-In, bei dem ihr allerdings überhaupt kein Interesse an dem Problem hättet, gegen das ihr protestiert.

Aber das ist euer gutes Recht, so wie es mein gutes Recht als Amerikaner ist, darüber meine Sprüche abzulassen. Wie ich schon gesagt habe, das hier wird kein Spaß, es gibt vielleicht kein Happy-End, und vielleicht sind wir am Ende dieser Schwarte hier nicht mal mehr Freunde oder nette Bekannte. Das Risiko gehe ich jedes Mal ein, wenn ich meine ungefilterte Meinung auf virtuelles Papier bringe: dass man mich zitiert und auseinandernimmt. Mir ist scheißegal, ob ihr meiner Meinung seid oder nicht, da bin ich ganz ernst. Auch, wenn ich nicht Ernst heiße, haha. So denke ich eben. Und das werde ich wahrscheinlich auch immer tun. Vielleicht macht euch das Buch zum Riesen-Scheiß-Spielverderber im Zusammenleben mit anderen. Aber wenn ihr zu unserer gemeinsamen Reise bereit seid, dann lehnt euch zurück, setzt euch den rotweißblauen Motorradhelm auf und drückt auf die Tube, ihr Easy Rider.

Vergesst nicht, nach dem Einatmen die Luft anzuhalten.

Nieder mit den Faschisten.