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Zu den Autoren

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Michael Epkenhans, geboren 1955 in Rheda-Wiedenbrück, ist Historiker und Leitender Wissenschaftler am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam.

© John Zimmermann

John Zimmermann, Oberstleutnant, geboren 1968 in Bruchsal/Baden, ist Historiker und Leiter des Forschungsbereiches »Deutsche Militärgeschichte bis 1945« am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam.

Über dieses Buch

Der Zweite Weltkrieg wurde von der Wehrmacht als verbrecherischer Angriffs-, Raub- und Vernichtungskampf geführt. Adolf Hitler weihte die Heeresleitung frühzeitig in seine Expansions- und Vernichtungspläne ein. Die Soldaten verübten nicht nur zahlreiche Kriegsverbrechen, insbesondere in Osteuropa, sie waren auch aktiv und wissentlich am Holocaust beteiligt. Entsprechend schwer fiel es der deutschen Nachkriegsgesellschaft, zu einem verantwortungsvollen Umgang mit dem Erbe der Wehrmacht zu finden.

Michael Epkenhans und John Zimmermann erläutern auf der Grundlage der aktuellen Forschung die Rolle der Wehrmacht im Vernichtungskrieg.

 

Die Reihe Kriege der Moderne, herausgegeben vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, macht die jüngsten Erkenntnisse der Forschung einem breiten Publikum zugänglich. Die wichtigsten kriegerischen Konflikte der vergangenen Jahrhunderte werden sowohl im Hinblick auf den Verlauf der Auseinandersetzungen als auch in Bezug auf politische sowie kulturelle Zusammenhänge anschaulich dargestellt und analysiert.

Alle Bände werden von sachkundigen Historikern verfasst und sind mit zahlreichen farbigen Fotos, Grafiken und Karten ausgestattet.

Hinweise zur E-Book-Ausgabe

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Enthält das E-Book in eckigen Klammern beigefügte Seitenzählungen, so verweisen diese auf die Printausgabe des Werkes.

1 »Nicht mehr lebenswert« – Die Wehrmacht vor Leningrad

Fast 900 Tage war Leningrad, heute Sankt Petersburg, von der Außenwelt abgeschnitten. Die Abriegelung der Stadt war eines der größten Kriegsverbrechen der Wehrmacht.

Am zweiten Weihnachtsfeiertag 1941 stimmte der Oberbefehlshaber der 18. Armee, Generaloberst Georg von KüchlerKüchler, Georg von, dem Antrag des XXVIII. Armeekorps zu: 230240 psychisch, an Syphilis oder Epilepsie erkrankte Frauen aus einer Anstalt in dem ehemaligen Kloster Makarevskaja Pustin sollten durch ein Einsatzkommando des Sicherheitsdienstes (SD) ermordet werden. Die Patientinnen seien »auch im Sinne deutscher Auffassung Objekte nicht mehr lebenswerten Lebens«, urteilte das Armeekorps. Auch wegen der Seuchengefahr sei ihre Ermordung unvermeidlich. Das, was danach geschah, war kein Einzelfall. Bereits in den Wochen zuvor hatte der Oberquartiermeister des Armeeoberkommandos »die Übergabe« der Insassen einer anderen Anstalt in Nikolskoe befohlen, da die »Ernährung der 1200 Irren« nicht mehr möglich sei. Wenig später überzeugte sich KüchlerKüchler, Georg von persönlich vom »Erfolg« der Maßnahme: 850900 Patienten der Anstalt waren mit Giftinjektionen getötet und in einem Panzergraben verscharrt worden.

Dieser Fall ist nur ein Beispiel für Verbrechen durch die Wehrmacht oder deren Beteiligung an diesen seit Beginn des Krieges. Dieses Mal ermordete der SD auf ihren Befehl im Winter 1941/42 an der Front vor Leningrad Hunderte Insassen von Anstalten. Nützlichkeitserwägungen und NS-Ideologie verbanden sich dabei zu einem tödlichen Gemisch. Für die Verantwortlichen waren die Kranken unnütze Esser, ihre Unterkünfte wurden dringend für die frierende und durchnässte Truppe benötigt. Zugleich, und darin wird der ideologische Charakter der Entscheidung deutlich, waren sie aus NS-Sicht »unwertes Leben«.

Wie unter einem Brennglas tritt in diesem Fall der scharfe Bruch zwischen vorangegangenen Kriegen und dem »Weltanschauungskrieg« zutage, zu dem die Wehrmacht angetreten war. Die Versorgung und Schonung der Zivilbevölkerung, die ja unter den Folgen eines Krieges litt, gehörte selbst nach den Vorschriften der Wehrmacht zu ihren Aufgaben. Diese Verpflichtung ignorierte sie vor allem in Osteuropa jedoch skrupellos: Sonderbefehle hatten von Anfang an dafür gesorgt, dass das bisherige Kriegsrecht im Osten nicht galt. Der Kommissarbefehl sah die gezielte Ermordung der Polit-Kommissare der Roten Armee vor; der Kriegsgerichtsbarkeitserlass gab den Soldaten einen Freibrief bei der Behandlung der Bewohner des Landes, das sie erobern sollten.

Bedeutete dies aber, dass die Wehrmacht mit ihren 18 Millionen Soldaten damit nichts anderes war als ein »marschierendes Schlachthaus« (Michael NaumannNaumann, Michael)? Die grausamen Fakten legen dies nahe: Deutsche Truppen schlossen Leningrad bereits am 8. September 1941 ein und belagerten die Stadt bis zu ihrer Befreiung durch die Rote Armee am 27. Januar 1944. Luftwaffe und Artillerie zerstörten mit ihren Bombardements große Teile Leningrads – Pläne, die Stadt zu erobern, gab die Wehrmacht im Laufe des Jahres 1942 jedoch auf und beschränkte sich auf die Abwehr der sowjetischen Versuche, die Stadt zu befreien. Die von jeglicher Versorgung abgeschnittenen Einwohnerinnen und Einwohner überließ die Wehrmacht ihrem Schicksal; die Folgen waren verheerend. Die hungernden Menschen begannen alles zu essen, was irgendwie organischen Ursprungs war: Nachdem die letzten Lebensmittel bereits Ende September 1941 verbraucht waren, wurden zunächst Tiere bis hin zu Krähen und Ratten, hernach Klebstoffe, Tapetenkleister und Schmierfette zur Nahrung; selbst Fälle von Kannibalismus sind belegt. Geringe Lebensmittelmengen konnten Einheimische und sowjetische Truppen unter erheblicher Lebensgefahr freilich über den bald zugefrorenen Ladogasee in die Stadt bringen. Im Winter wurde diese Verbindung über das Eis zur »Straße des Lebens«; bis zur Befreiung der Stadt im Januar 1943 blieb sie die einzige Verbindung zur Außenwelt. Dann konnten sowjetische Truppen unter horrenden Personalverlusten wenigstens einen schmalen Landkorridor errichten, der allerdings innerhalb der Reichweite der deutschen Artillerie lag. Rund um die Belagerung der Stadt verloren inklusive der Kämpfer zwischen 1,6 und zwei Millionen Menschen ihr Leben, davon verhungerten in Leningrad zwischen 600 000 und einer Million Menschen oder erlagen Krankheiten.

Einwohner der belagerten Stadt bringen ihre Toten zum Wolkowo-Friedhof, 1942. Die Stadt an der Newa hatte bei Kriegsbeginn drei Millionen Einwohner. Etwa 1,4 Millionen Menschen konnten evakuiert werden, zwischen 600 000 und 1 Million starben.

Ein ausgemergelter Einwohner Leningrads mit seiner Tagesration Brot, einem Gemisch aus Baumrinde, Kleie, Tannennadeln und etwas Mehl, 7. April 1942.

Der Blick auf den ›Mikrokosmos‹ vor Leningrad zeigt, dass es ungeachtet aller Schrecken und Verbrechen notwendig ist, zu differenzieren. Auf der einen Seite standen jene, die gnadenlos HitlersHitler, Adolf Befehl ausführen und Leningrad wie Moskau »dem Erdboden« gleichmachen wollten, »um zu verhindern, dass Menschen darin bleiben, die wir dann im Winter ernähren müssten«. Andere wollten die Stadt erobern und schmiedeten erste Pläne für die »Behandlung« der Bevölkerung. Wieder andere, darunter der Chef des Generalstabs des Heeres, Generaloberst Franz HalderHalder, Franz, glaubten angesichts fehlender klarer Befehle HitlersHitler, Adolf »an die Bereinigung Leningrads nur durch den Hunger, nicht durch Waffengewalt«. Letztlich lief es auch darauf hinaus, da ein Teil der Truppen abgezogen wurde, um vor Moskau eingesetzt zu werden.

Manche Befehlshaber, vor allem aber viele Landser zeigten durchaus Skrupel, auch was die Behandlung der Bevölkerung im eroberten Gebiet betraf. Anders sind die Weisungen, keine »missverstandene Menschlichkeit« zu zeigen, oder Truppe und verhungernde Bevölkerung »durch das Ziehen eines großen Stacheldrahtzaunes« dauerhaft voneinander zu trennen, nicht zu erklären. Bei einer Frontbesichtigung befahl KüchlerKüchler, Georg von schließlich Ende November 1941: »An die Zivilbevölkerung dürfen unter keinen Umständen Lebensmittel abgegeben werden. Jeder Soldat muss sich darüber klar sein, dass letzten Endes diese Lebensmittel seinen Angehörigen in der Heimat entzogen werden.« Kritik selbst hochrangiger Generale an dieser Politik des gezielten Verhungernlassens, die durch die Wegnahme der »letzten Kühe der einzelnen Bauern« und der Winterbekleidung der Bevölkerung noch weiter gesteigert wurde, prallte an KüchlerKüchler, Georg von ab. Verhindern konnte er die vereinzelte heimliche Unterstützung der Hungernden durch seine Soldaten, ja sogar die Abgabe von Essen durch Feldküchen allerdings nicht. Menschlichkeit, aber auch die Angst, wie von der Armeeführung vorgesehen, doch auf hungernde Flüchtlinge aus Leningrad schießen zu müssen, dürften manche zu dieser Hilfe veranlasst haben. An der Tatsache, dass sie als kleines Rädchen in einem großen Getriebe dieses Elend erst mit verursacht hatten, ändert dies freilich nichts.

Franz HalderHalder, Franz (18841972) leitete den Überfall auf die Sowjetunion. Nach Streitigkeiten über operative Planungen setzte HitlerHitler, Adolf 1942 ihn als Chef des Generalstabes des Heeres ab. HalderHalder, Franz unterhielt Kontakte zur Widerstandsgruppe um Ludwig BeckBeck, Ludwig. Nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 wurde HalderHalder, Franz in das KZ Flossenbürg gebracht.

Georg von KüchlerKüchler, Georg von (18811968) leitete die Belagerung von Leningrad. Nach dem Krieg wurde er zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt, kam jedoch 1953 frei. Seine Mitverantwortung an den Verbrechen bestritt er stets.

Wie aber gingen die Verantwortlichen mit ihrer Verantwortung und ihren Verbrechen später um? Als KüchlerKüchler, Georg von in einem der Nachkriegsprozesse in Nürnberg auch für die Ermordung der Patientinnen von Makarevskaja Pustin angeklagt und schließlich verurteilt wurde, stritt er jegliche Verantwortung ab. Zu einem Eingeständnis der eigenen Schuld sah er genauso wenig Veranlassung wie viele andere auch. Dennoch wurde KüchlerKüchler, Georg von zu zwanzig Jahren Zuchthaus verurteilt, die er allerdings nur teilweise absitzen musste. Als er 1952 vorzeitig entlassen wurde, war bereits der Nährboden für die Legende von der »sauberen Wehrmacht« bereitet. Von den späteren Prozessen gegen die Angehörigen von SS, SD und Polizei, die teilweise mit direkter Unterstützung oder unter dem ›Schirm‹ der Wehrmacht Millionen von Menschen ermordet hatten, blieben die verantwortlichen Generale, Offiziere und Mannschaften daher weitgehend verschont. Kaum jemand war an ihrer Schuld interessiert.

1987 sollte allerdings ein ehemaliger Offizier der Wehrmacht, der selbst zeitweise zu den Belagerern der Stadt gehört hatte, Bundespräsident Richard von WeizsäckerWeizsäcker, Richard von, bei einem vielbeachteten Besuch des Friedhofs, auf dem Hunderttausende der Opfer begraben sind, sich zu diesen Verbrechen bekennen. Nachdem er bei einer früheren Reise nach Leningrad sich sogar selbst als einen »der Hunnen« bezeichnet hatte, welche die Stadt belagert hatten, schrieb er ins Gedenkbuch des Friedhofs: »Ich bin heute hier, um alles in meinen Kräften stehende dazu beizutragen, dass künftigen Generationen erspart bleibt, was der Krieg an Gewalt, Not und Tod mit sich gebracht hat.«

1987 legte Bundespräsident Richard von WeizsäckerWeizsäcker, Richard von auf dem Friedhof von Leningrad einen Kranz für die Opfer der Belagerung nieder.

Der Weg zu diesem Bekenntnis und dem Willen, Verantwortung durch Erinnerung zu übernehmen, war jedoch weit gewesen. Die wissenschaftliche Aufarbeitung der Beteiligung der Wehrmacht an den Verbrechen des NS-Regimes und ihre Verantwortung für den »Kulturbruch« in der deutschen Geschichte durch die historische Forschung, allen voran durch das Institut für Zeitgeschichte (1949) und das Militärgeschichtliche Forschungsamt (1957), hatte die Mehrheit der Bevölkerung kaum wahrgenommen. Auch im Anschluss an den US-Film Holocaust ging es Anfang der 1980er Jahre in den öffentlichen Diskussionen in erster Linie um die Rolle der SS und der Gestapo, nicht aber um die Verantwortung der Wehrmacht für die Verbrechen des NS-Regimes.

Erst die »Wehrmachtsausstellung« des Hamburger Instituts für Sozialforschung Mitte der 1990er Jahre sollte dieses weitverbreitete Desinteresse überwinden. Trotz vieler Proteste ehemaliger Wehrmachtsoldaten gegen den Vorwurf, Kollektivtäter gewesen zu sein, besteht heute kein Zweifel mehr daran, dass die Wehrmacht als Organisation für viele Verbrechen des NS-Regimes mitverantwortlich war. Gleichwohl gilt es sorgfältig zu unterscheiden. Als Organisation war die Wehrmacht der »stählerne Garant« (Rolf-Dieter MüllerMüller, Rolf-Dieter) des Regimes. Ohne Wehrmacht kein Krieg, ohne Krieg keine Verbrechen, so könnte die einfache Formel lauten.

Doch was bedeutete dies konkret, beim Blick auf die 18 Millionen Angehörigen der Wehrmacht? Sie alle oder ihre große Mehrheit als Verbrecher zu bezeichnen, würde der historischen Wahrheit nicht gerecht werden. Allerdings lassen sich Tätergruppen bestimmen, die in unterschiedlicher Weise Verantwortung trugen: Dies waren zunächst jene führenden Offiziere, die nicht nur die Kriege des NS-Regimes aus tiefster Überzeugung mitgeplant und geführt hatten, sondern auch mit besonderen Befehlen wie dem Kommissarbefehl den Rahmen für massenhafte Verbrechen geschaffen hatten. Andere hatten vor Ort aus vielerlei Gründen Verbrechen befohlen und geduldet oder aus unterschiedlichsten Gründen selbst begangen. Tatorte waren vor allem der Osten, wo der NS-Ideologie zufolge der eigentliche Vernichtungskrieg stattfand, aber auch die übrigen besetzten Gebiete – von Norwegen über Frankreich bis nach Italien, Jugoslawien und Griechenland.

Die Bandbreite dessen, was unter Verbrechen zu verstehen ist, ist groß. Sie reicht von jenen Verbrechen, die von jeher Kriegsverbrechen waren, wie die Erschießung von Soldaten, die sich bereits ergeben hatten, oder der Ermordung unbeteiligter Zivilisten über willkürliche Hinrichtungen und Zerstörungen bei der Bekämpfung von Partisanen, die systematische Unterversorgung von sowjetischen Kriegsgefangenen und die gnadenlose Ausbeutung der besetzten Gebiete bis hin zur Unterstützung der rassistischen Mordpolitik von SS, SD und Polizei. Front- und Besatzungstruppen waren an diesen Verbrechen in unterschiedlicher Weise und unterschiedlichem Umfang beteiligt; Form und Ausmaß variieren auch in den verschiedenen Kriegsgebieten. Der kollektive Schuldvorwurf – Hannes HeerHeer, Hannes, einer der Initiatoren der Wehrmachtsausstellung, sprach von 80 Prozent aller Wehrmachtangehörigen – geht, wie die Forschung inzwischen gezeigt hat, sicherlich fehl. Aber selbst wenn sich nur die fünf Prozent schuldig gemacht hätten, von denen Rolf-Dieter MüllerMüller, Rolf-Dieter ausgeht, so beläuft sich die Zahl der Täter in der Wehrmacht doch auf 900 000 Soldaten. Dies ist keine zu vernachlässigende Größe; sie entspricht fast der doppelten Sollstärke der Bundeswehr vor 1990.

2 NS-Ideologie und Wehrmacht

Militärparade zu HitlersHitler, Adolf 50. Geburtstag in Berlin, an dem Tausende dem »Führer« ihre Treue bekundeten. Mit derartigen Inszenierungen verstand es das NS-Regime, Massen zu begeistern.

Der Kulturbruch in der deutschen Geschichte zwischen 1933 und 1945, für den auch die Wehrmacht Verantwortung trägt, ist nur verständlich, wenn dessen ideologische Grundlagen berücksichtigt werden. Anders als viele Kriege in den Jahrhunderten zuvor war der Zweite Weltkrieg kein ›klassischer‹ Krieg um Macht und Einfluss, Territorien, strategische Positionen oder Rohstoffe und Absatzmärkte. Darum ging es zwar auch, aber die eigentliche Triebfeder dieses Vernichtungskriegs war eine Weltanschauung, deren zentrale Elemente ein radikaler, universeller Antisemitismus und eine Aufteilung der Welt in »Räume« waren. Adolf HitlerHitler, Adolf, anfangs »Führer« einer kleinen Münchener Splitterpartei, hatte diese Ideologie seit der Mitte der 1920er Jahre »zusammengezimmert« (Hans-Ulrich ThamerThamer, Hans-Ulrich). Völkisch-antisemitische, rassenbiologische und sozialdarwinistische, nationalistische wie auch imperialistische, antidemokratische und antimarxistische Vorstellungen hatte HitlerHitler, Adolf dabei vermischt. Für Millionen Menschen sollte die politische Umsetzung dieser Ideologie den Tod bedeuten.

Bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert hatten Geopolitiker, Volkstumsideologen und Antisemiten ihre abstrusen Ideen von der Notwendigkeit von »Lebensraum« und »Weltherrschaft«, »Rassenreinheit« und »Kampf ums Dasein« propagiert. Nur ein Staat, der über ausreichend »Lebensraum« für sein ethnisch homogenes »Volk« verfüge, sei auf Dauer »lebensfähig«. Diese Vorstellungen waren untrennbar verknüpft mit der Idee von einer Hierarchie der Staaten, Völker und Rassen. Dazu gehörte auch die Vorstellung, dass Staaten nur dann »stark« seien, wenn kein innerer »Zwist« sie spalte. Antiparlamentarismus und antidemokratisches Denken waren insofern ebenfalls integrale Bestandteile dieser Vorstellungen.

Zunächst eher unterschwellig, zunehmend jedoch offener spielte seit den 1880er Jahren auch Antisemitismus eine wichtige Rolle, der teilweise auf alten antijüdischen Ressentiments beruhte, sich jedoch zu einer pseudowissenschaftlich untermauerten Rassenlehre verdichtet hatte. Die Schriften führender nationalistischer Organisationen wie des 1891 gegründeten Alldeutschen Verbands hatten die Vorstellungen von einem starken, autoritären Staat, die Ausgrenzung und Entrechtung der Juden sowie die Gewinnung von »Lebensraum« im Osten durch die »Ausweisung« der dortigen Bevölkerung bei den »Völkischen« popularisiert. Dennoch handelte es sich dabei damals noch um Splittergruppen, deren Vorstellungen politisch und gesellschaftlich keine Mehrheit fanden. Die Niederlage im Ersten Weltkrieg und die folgende Revolution 1918/19, der als Schmach empfundene »Diktatfrieden« von Versailles sowie der Sieg der Bolschewisten im Russischen Bürgerkrieg (19171922), den viele auch schon vor HitlersHitler, Adolf Aufstieg für eine jüdische Weltverschwörung hielten, verliehen diesen Vorstellungen neuen Schub. Die Ikonographie zahlreicher Wahlplakate aus der Revolutionszeit und vieler Bilder vom »Dolchstoß« spiegelt dieses Denken.

Organisationen wie der Alldeutsche Verband machten seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Vorstellungen von einem autoritären Staat stark, der Minderheiten entrechtet, ausgrenzt und nach neuem »Lebensraum« strebt. Postkarte von 1914.

HitlerHitler, Adolf knüpfte daran an, radikalisierte diese Ideen jedoch. Die Niederlage im Ersten Weltkrieg, behauptete er in Mein Kampf, sei das Resultat einer Verschwörung. Fahrlässig habe Kaiser Wilhelm II.Wilhelm II., dt. Kaiser den »Führern des Marxismus die Hand zur Versöhnung gereicht, ohne zu ahnen, dass Schurken keine Ehre besäßen. Während sie die kaiserliche Hand noch in der ihren hielten, suche die andere schon nach dem Dolch. Mit dem Juden gebe es kein Paktieren, sondern nur das harte Entweder-Oder. Ich aber beschloss, Politiker zu werden«, heißt es in den entscheidenden Passagen.

Ein zentrales Ziel der NS-Ideologie war der unerbittliche Kampf gegen die Juden. Sie waren in HitlersHitler, Adolf Augen für all das verantwortlich, was er und mit ihm viele andere als tiefe Schmach empfanden: die Niederlage im Weltkrieg und den Verlust des Großmachtstatus, die Revolution, den Bürgerkrieg und die Weimarer Verfassung. Hinter allem sah er den vermeintlichen Plan des Judentums, Deutschland im Interesse der »jüdischen Welteroberungstendenz« zu bolschewisieren und damit den mit der Revolution 1917 in Russland begonnenen Weg zur »jüdischen Weltherrschaft« fortzusetzen. Damit begründete er seinen unbedingten Willen, jenem »arischen Herrenvolk« zum Sieg zu verhelfen, das, bei »Pflege seiner besten rassischen Elemente«, als einziges Volk zu Recht berufen sei, »eines Tages zum Herrn der Erde« zu werden. Dazu brauche es aber, das sei auch eine der »Lehren« aus dem verlorenen Weltkrieg, neuen »Lebensraum«: Die nationalsozialistische Bewegung müsse, mahnte HitlerHitler, Adolf in eindringlichen Worten,

ohne Rücksicht auf »Traditionen« und Vorurteile, den Mut finden, unser Volk und seine Kraft zu sammeln zum Vormarsch auf jener Straße, die aus der heutigen Beengtheit des Lebensraumes dieses Volk hinausführt zu neuem Grund und Boden und damit auch für immer von der Gefahr befreit, auf dieser Erde zu vergehen oder als Sklavenvolk die Dienste anderer besorgen zu müssen.

HitlersHitler, Adolf Buch Mein Kampf ist eine politisch-ideologische Programmschrift. Es gehört zur völkisch-nationalistischen Literatur. Anders als oft behauptet, wurde das Buch, das in fast jedem Haushalt des nationalsozialistischen Deutschlands zu finden war, durchaus gelesen.

Diese kruden Gedanken finden sich nicht nur in den 1925/27 veröffentlichten beiden Bänden von Mein Kampf. Auch in seinen öffentlichen oder geheimen Reden sowie zahllosen Denkschriften hat HitlerHitler, Adolf aus seinen Absichten nie einen Hehl gemacht. So heißt es 1936 in der Einleitung zu seiner Denkschrift Über die Aufgaben eines Vierjahresplans, die Wirtschaft und Wehrmacht auf einen baldigen Krieg vorbereiten sollte: