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ES GIBT EIN FERNSEHBILD, das werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Es ist ein Zwischenschnitt aus dem Aktuellen Sportstudio Anfang der 80er-Jahre. Du warst zu sehen, wie du dir mit den Fingern über die Wange strichst, als du registriertest, dass das Rotlicht an der Kamera leuchtete und dich unter den Zuschauern zeigte. Du winktest etwas verschämt und auch ein bisschen verschmitzt in die Kamera, um uns daheim vor dem TV-Bildschirm zu grüßen. Wir haben uns übrigens weggeschmissen vor Lachen und fanden, das sah ulkig aus, um es mal vorsichtig auszudrücken. Das ist das Bild, das ich mein Leben lang nicht aus dem Kopf kriege. Du warst immer genau so Sport-bekloppt wie ich, du hast mich zuallererst zum Sport gebracht, im zartesten Alter zum Basketball. Du hast mir gesagt: »Versuch es doch auch noch mit Kicken«. Ich spielte also auch Fußball. Du hast mich auf den Tennisplatz geschleppt – ich glaube, du gewannst kein einziges Match gegen mich. Du warst immer ein Sportverrückter, einer, der alles geguckt hat, der selbst viel Sport gemacht hat. Basketball in Hagen in den 70er-Jahren. Du warst Jugendwart. Da lag es nahe, dass das auch meine erste wichtige Sportart werden würde.

Wie gerne wäre ich den Weg, den ich im Sport und im Sportjournalismus gegangen bin, mit dir gemeinsam gegangen. Du entschiedst dich aber anders. Am 12. September 1983 hast du beschlossen, dir das Leben zu nehmen. Du dachtest, du seist nichts Wert, kein guter Ehemann, kein ­guter Vater, kein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft. Wie kann man auch zweimal innerhalb kurzer Zeit den Arbeit­geber wechseln – dann ist man ja ein Versager. Was für ein Quatsch!

Du sehntest dich immer extrem nach Anerkennung. Manche Leute behaupten, das hätte ich von dir geerbt … Und du achtetest immer extrem darauf, dass die Leute gut von dir reden. Das habe ich ganz sicher nicht von dir geerbt! Deine Frau, die Mami, deine Tochter, meine Schwester Heike, und ich fanden das damals unglaublich unfair, dass du uns, so ­haben wir es gesehen, alleine gelassen hast. Erst viel später erkannten wir, dass du krank warst. Aber wer hätte sich 1983 schon mit Depressionen beschäftigt?

Das Thema sollte mich in meiner Sportjournalisten-Laufbahn noch zweimal einholen. Das war zum einen, als Robert Enke sich auf exakt die gleiche Art und Weise unter exakt den gleichen Umständen das Leben nahm. Und das war, als ich, auch eine bemerkenswerte Fügung, an einem Samstagnachmittag einsprang als Moderator bei Liga Total. In jener Sendung, für die ich gar nicht vorgesehen war, in der aber ganz normal über den Spieltag in der Fußball-Bundesliga berichtet werden sollte. Babak Rafat, ehemaliger Schiedsrichter, versuchte an genau dem Tag sich in einem Kölner Hotel das Leben zu nehmen. Das warf unsere gesamte Sendung um, denn natürlich war das ein großes Thema. Für mich ein ganz besonderes »Live on Air«!

Das waren die schwierigsten Momente in meiner beruflichen Karriere.

Mich würde so unglaublich interessieren, wie du erlebt, wie du bewertet, wie du kommentiert hättest, was ich in diesem Buch näherbringen möchte, nämlich die Liebe und Leidenschaft zum Sport, zum TV-Sport, zum Beruf, eigentlich zu allem, was man anpackt. Was hättest du wohl dazu gesagt? Wie hätte dir das gefallen, wie ich von einer Basketball-Europa- oder -Weltmeisterschaft berichte? Wenn die Gäule mit mir durchgehen, wenn ich ausflippe? Hättest du gesagt: »Mach mal ein bisschen ruhiger?« Ich stelle mir vor, du wärst mit mir gereist, 2001 in die Türkei. Dort hättest du dann neben Vater Nowitzki am Pool gelegen. Ich hätte das alles so unglaublich gerne erlebt. Und ich gebe ganz offen zu, ich hätte es so unglaublich gemocht, ich hätte es so unglaublich toll gefunden, wenn du vielleicht irgendwann hättest sagen können, weil all das auch deiner Leidenschaft entspricht, dass du stolz wärst, dass du fändest, dass ich den richtigen Weg gegangen bin.

Vielleicht kriegst du das alles irgendwo mit. Vielleicht schaust du von irgendwo zu, schüttelst manchmal mit dem Kopf, sagst manchmal: »Ja, Ja! Ja«. Und manchmal: »Um Gotteswillen, nein.«

Fakt ist, du bist immer in meinem Herzen.

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WENN DU IN HAGEN groß wirst, dann ist alles ganz anders, anders als etwa in Dortmund – der Nachbarstadt von Hagen – oder auf Schalke, oder in Bochum … In Hagen wirst du nicht Fußballer, da gehst du direkt zum Basketball. Zumindest war das in den 60er-, 70er-Jahren so. Und schon mal erst recht, wenn dein Vater als Jugendwart bei dem Club der Stadt aktiv war, beim SSV Hagen. Er war total engagiert. Der SSV Hagen war der Club, bei dem Jimmy Wilkins spielte. 1974 Deutsche Meisterschaft, 1975 Pokalsieg. Der erste Basketballer mit Besuch im Aktuellen Sportstudio. Er führte vor, dass er springen konnte wie ein Flummi. Meine Mutter war glühender Jimmy-Wilkins-Fan, die ganze Familie drehte durch, Basketball war alles in Hagen in den 70er-Jahren. Und da musste der Kleene natürlich auch spielen. Und so war klar, dass ich mit sechs, sieben Jahren eigentlich gar keine Wahl hatte: ich wurde ­Super-Mini beim SSV Hagen.

Das war eine unglaublich schöne Zeit. Wir waren extrem erfolgreich, gewannen einfach alles, Stadtmeisterschaft, Kreis­meisterschaft, westdeutsche Meisterschaft. Das ging ganz von selbst. Wir waren eine super Truppe, und nur mal so am Rande: von den elf, zwölf Jungs des 64er- und 65er-Jahrgangs, die damals zusammen begonnen hatten, spielten später sieben in der 1. oder 2. Basketball-Bundesliga. Da kann man von einem guten Jahrgang sprechen, ohne Frage. In der C-Jugend gab es den ersten ganz großen Höhepunkt: Mit einem Sieg im Finale gegen den USC Heidelberg wurden wir Deutscher Basketballmeister. Dabei profitierten wir von unserem alles überragenden Mann Ralf Risse, genannt X-Risse, später zigfacher deutscher Basketballnationalspieler. Der trug uns durch jeden Wettbewerb. In diesem Endspiel gegen Heidelberg machte er 45 von 80 Punkten.

Ich war immer der eher kleine, schmächtige Spieler, einen Kopf größer als ein Spiegelei. Als ich Ende der B-Jugend, also mit 16 Jahren, immer noch nur knapp 1,70 Meter maß, da schien die große Karriere eines X-Risse oder einiger anderer Mitspieler für mich in unmögliche Ferne zu rücken. Ich trat, ja, ich muss es zugeben, so ein bisschen den Rückzug an und wechselte zu einem kleinen Vorortverein in Hagen, dem SV Boele-Kabel.

Boele und Kabel sind zwei Vororte von Hagen. Dort wurde es aber richtig gut, denn in der Zeit zwischen 17 und 18 – das klingt jetzt komisch, war aber tatsächlich so – wuchs ich noch einmal um rund 17 Zentimeter, und mit 18 Jahren war ich auf einmal 1,86 Meter groß. Dazu ging ich in die Breite, ich meine damit jetzt keinen Speckmantel um die Hüften, sondern ich wurde richtig kräftig. Und plötzlich schien da doch noch was zu gehen.

Mit 17 spielte ich bereits in der ersten Herrenmannschaft, mit der wir durchmarschierten bis in die 2. Basketball-Bundesliga. Mit einem kleinen Klümpchenverein! Das muss man sich wirklich mal vorstellen. Eigentlich eine undenk­bare Geschichte. War es am Ende leider tatsächlich, denn der Club konnte die finanziellen Rahmenbedingungen nicht schaffen, die es brauchte, um in der Zweiten Basketball-Bundesliga mitzumischen. Die Mannschaft fiel auseinander.

Mein Weg führte danach in Richtung BG Hagen, ebenfalls Zweite Basketball-Bundesliga. Dort habe ich fünf, sechs Jahre den Prinzen in der Provinz gemacht. Ich war, das kann ich wohl mit Fug und Recht behaupten, durchaus ein pas­sabler Zweitligaspieler. Es gab Partien, da ging alles. Ich kann mich an ein Spiel gegen den TK Hannover erinnern, 37 Punkte, neun erfolgreiche 3er, meine Güte! Eine Woche später ­allerdings, im nächsten Spiel: alles danebengeschossen, nur zwei Punkte gemacht, katastrophale Leistung. Das beschreibt so ein bisschen, wie meine Karriere verlief – und erklärt meinen Spitznamen »Das schwarze Loch«. Heute, mit ein bisschen Abstand, weiß ich, dass ich Mitspieler, Trainer und Zuschauer allzu oft in die komplette Verzweiflung getrieben habe. Meist hat man den Ball einfach nie wieder gesehen, wenn er mir zugespielt wurde. Er war dann wie vom Universum verschluckt – denn ich wollte den Korb un­bedingt selbst werfen. Das war für meine Mitspieler nicht immer einfach. Weiß ich heute. Habe ich damals ein bisschen anders gesehen. Damals fand ich mich einfach un­glaublich gut.

Jedoch – irgendwann war klar, dass es für den ganz ­großen Wurf nicht reichen würde, will heißen: Erste Basketball-Bundesliga. Da eine Rolle zu spielen, fehlte es mir nicht nur an Körperlänge, es fehlte mir vor allem an Biss. Der Trainer des FC Bayern München und ehemalige Bundestrainer Svetislav Pesic wirft mir bis heute vor: »Oh, du warst ein Schneewittchen, wenn du den richtigen Kopf gehabt hättest, wenn du mehr Biss, mehr Ehrgeiz gehabt hättest, du hättest durchaus ein passabler Erstliga-Basketballer werden können!« Das ehrt mich vielleicht ein bisschen, zeigt vor allem aber deutlich, dass es an der richtigen Einstellung gefehlt hat. Das kann ich jetzt mit diesem langen Abstand durchaus auch zugeben. Früher hätte ich das niemals eingesehen. Ich habe diesen Sport ja so geliebt, von Beginn an, in all seinen Facetten. Ich habe Partien gehabt um Meisterschaften in der Jugend, um den Aufstieg in die Zweite Basketball-Bundes­liga, gegen den Abstieg aus der Zweiten Basketball-Bundes­liga. Ich hatte sogar mal eine Berufung zur deutschen Studenten-Basketball-Nationalmannschaft. Das war allerdings ein nicht ganz so glückliches Kapitel. Da galt ich mehr so als Feier-Biest. Obwohl ich wirklich nicht verstehe, warum Trainer Torry Schober, auch so eine Basketballlegende, immer dachte, ich sei der Initiator gewesen, wenn gefeiert wurde. Ist mir unerklärlich. Ich werde dieses Mysterium an dieser Stelle auch nicht auflösen.

Als ich also mit Ende 20, Anfang 30 definitiv erkennen musste, dass es für den ganz großen Wurf nicht reichen würde, habe ich gleichzeitig gedacht: »Das ist so ein geiler Sport, der hat mir so viel gegeben, ich liebe diesen Sport, ich muss irgendwie dabeibleiben.« Trainer, Management – hätte ich langweilig gefunden. Also, was macht einer, der vor allem eine große Klappe hat (auch das hat meine Trainer übrigens hin und wieder in den Wahnsinn getrieben)? Er spricht über das, was er so sehr liebt! Und genau darauf werden wir in ­diesem Buch ja noch sehr oft zurückkommen.

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PARALLEL ZU MEINER mittelprächtigen Zweitliga-Basketball-Karriere – der ganz große Superstar war ich ja nun mal nicht – machte ich mir also langsam, aber sicher Gedanken über meine Zukunft. Denn nicht nur sportlich, sondern auch finanziell reichte es nicht wirklich. Zur damaligen Zeit, in den 80ern und Anfang der 90er-Jahre, konntest du vom Basketball nicht wirklich gut leben, geschweige denn dir ein aus­reichendes Polster für die Zeit nach der aktiven Laufbahn zurück­legen, es sei denn, du warst in der Bundesliga ein absoluter Top-Mann wie Henning Harnisch oder solche Größen. Aber welche Aussichten hatte ich?

Klar, ich studierte an der Deutschen Sporthochschule in Köln. Dort gab es nämlich ideale Trainingsbedingungen. Zusätzlich zum Training bei meinem Hagener Club eine prima Möglichkeit, an meiner Fitness zu arbeiten. Als Berufsaus­bildung sah ich das Studium, ich muss es leider zugeben, nicht. Obwohl ich immer allen Leute erzählte: Ich studiere jetzt Sport! Auf Diplom! Außerdem Geschichte! An der Uni! Das war so meine Rechtfertigungsstrategie, damit gaukelte ich mir selbst ein bisschen vor, dass ich was Anständiges, was Richtiges mache und mir alle Wege offenstehen, sei es als Journalist, sei es im Schulamt. Frank Buschmann als Lehrer – das wäre ein Spektakel geworden!

Andererseits hatte ich tatsächlich die ganze Zeit über schon mit der Vorstellung geliebäugelt, Sportjournalist zu werden. Und dann schlug das Schicksal zu, der Zufall, wie auch immer man das bezeichnen möchte. Meine Schwester arbeitete damals, Ende der 80er-Jahre, in Hagen bei einem Anwalt. Der saß im Verwaltungsrat des neu gegründeten ­Lokalradios in Hagen. Irgendwann sprach er meine Schwester an: »Hör mal, der Frank, dein Bruder, der hat doch eine große Klappe« – keine Ahnung, wie er darauf gekommen sein mochte –, »außerdem kennt er sich im Sport aus …« Ich war damals Ende 20. Ich konnte noch locker fünf, sechs Jahre Basketball spielen. Aber der hatte schon mitbekommen, dass ich auf der Suche war und noch was anderes machen wollte. Er ließ also über meine Schwester anfragen, ob ich mir vorstellen könnte, beim Radio zu arbeiten. Dabei hatte ich so was überhaupt noch nie gemacht. Wie gesagt, eine relativ große Klappe hatte ich schon. Was übrigens etwas völlig anderes ist. Nur eine große Klappe haben oder aber vor einem Mikrofon oder vor einer Fernsehkamera sprechen, das sind zwei völlig unterschiedliche Paar Schuhe! Darauf kommen wir später in diesem Buch noch zurück.

Natürlich habe ich sofort ja gesagt! Ohne im Geringsten zu wissen, worauf ich mich einließ. Ich hatte noch nie ein ­Radiostudio von innen gesehen, mir noch nie Gedanken ­darüber gemacht, wie man einen Beitrag aufbaut, wie man in einer Livereportage spricht, wie man moderiert, was in ­einem Studio abgeht, wie man einen Beitrag schneidet … Null Ahnung!

Doch die Tür öffnete sich: Radio Hagen. Das war eine Redaktion von Leuten, die entweder ein Studium absolviert hatten oder an Journalistenschulen gewesen waren und zum Teil schon über erhebliche Berufserfahrung verfügten. Und da hinein platzte der Pseudo-Basketballprofi mit der großen Klappe, um in der Sportredaktion mitzumischen.

Das entpuppte sich, wie sollte es anders sein, als nicht ganz so einfach. Unser damaliger Chefredakteur kam vom Norddeutschen Rundfunk, ein ganz alter Hase von den öffentlich-rechtlichen Medien. Er hatte genaue Vorstellungen, wie man eine Livereportage spricht und wie man als Moderator im Studio agiert. Davon war ich Lichtjahre entfernt. Dazu kam, dass ich parallel ja noch Basketball spielte und immer sagen musste, dann und dann und dann kann ich nicht. Für einen Sportreporter keine ganz ideale Voraussetzung. Ich fiel immer mindestens an einem Tag am Wochenende aus, um mit der BG Hagen in der Zweiten Basketball-Bundesliga unterwegs zu sein. Und ein Sportreporter, der am Wochenende nicht regelmäßig arbeiten kann, ist natürlich eine Lachtaube, ein Treppenwitz. Das ist mir aber erst so im Laufe der Jahre klar geworden.

Immerhin fand sich nach und nach eine super Truppe zusammen. Da war zum Beispiel Michael Körner, mittlerweile ebenfalls im Fernsehen aktiv. Er ist der Poker-Papst unter den Kommentatoren in Deutschland und natürlich ein richtig guter Basketball-Reporter. Wie ich startete er seine Kar­riere damals bei Radio Hagen. Ein anderer Kollege war Harry Wandke mit seiner unfassbaren Stimme. Später wurde er zu der Morgenstimme bei Radio Hagen (das sich übrigens bis heute als kleiner Lokalsender mit sehr, sehr guten Ein­schaltquoten gehalten hat). Leider ist Harry viel zu früh verstorben.

Und so zogen wir denn aus in die Welt, zu den un­terschiedlichsten Sportevents, auch ich (wenn ich denn am ­Wochenende mal Zeit hatte …), ausgestattet mit einem sogenannten Reportofon. Das Ding wog gefühlte 20 Kilo. Ab damit ins Auto, ein alter Opel Astra war das, glaube ich. Oder ein Kadett? Das ist schon so lange her. Auf jeden Fall ein ­alter Opel, und los! Anfangs wurde ich meist zum Basketball geschickt, zu den Erstliga-Spielen. Von Anfang an habe ich mich bei meinen Livereportagen vor allem dadurch ausgezeichnet, dass ich dermaßen laut brüllte, dass sich die Techniker im Studio in der Innenstadt in Hagen regelmäßig beschwerten, ich solle mal ein bisschen leiser machen, sonst übersteuert, überdreht das. Überdrehen – das ist wohl das richtige Stichwort. Ich habe immer schon, nun ja, emotional berichtet. Vielleicht ein bisschen zu sehr.

Ich habe auch andere Dinge als Sport gemacht, eine Livereportage im Hundefrisiersalon zum Beispiel. Aber dadurch, das ist mir erst später klar geworden, durchlief ich eine unglaublich gute Schule, nämlich das berühmt-berüchtigte Learning by Doing. Mach mal drei Minuten live, wie ein Pudel frisiert wird! Im Radio! (Was noch mal ein ganz großer Unterschied zum Fernsehen ist, weil man den Leuten ja etwas vor Augen führen muss, was sie nicht sehen; man muss ihnen die Szenerie so anschaulich beschreiben, dass sie vor ihrem geistigen Auge erscheint, muss erzählen, wie der Fiffi dasitzt, wie er vom Hundefriseur zurechtgemacht wird … Das ist eine große Kunst! Aus dieser Zeit rührt meine bis ­heute anhaltende Bewunderung für herausragende Live-­Radioreporter her. Was die machen, ist, was die Sprache ­betrifft, tausendmal schwieriger als der Job eines Fernseh­reporters, der ja immer noch das Bild dabei hat, das für sich selbst spricht. Der Fernsehreporter muss ja vor allem lernen, auch mal die Klappe zu halten, er muss schweigen können und darf nicht in den Fehler verfallen, das zu beschreiben, was man sowieso sieht. Jedenfalls, es gibt da große Unterschiede!)

Alles war gut, bis eines Tages mein Chef – es war nicht mehr derjenige, der vom Norddeutschen Rundfunk gekommen war; beim Lokalrundfunk war es zumindest früher so, dass die Bosse häufiger wechselten – zu mir sagte, und jetzt wird es spannend: »Du bist ein Verrückter, du hast eine Gabe, du kannst Emotionen transportieren – aber für eine Karriere in den elektronischen Medien, da fehlt dir die Stimme!« Für mich war das ein Schlag komplett ins Kontor … Stell dir vor, du bist beim Radio, und irgendwann, nach zwei Jahren oder so, sagt dir dein Chefredakteur: »Ja, du bist eigentlich ein ganz witziger Typ, und hier fürs Lokalradio reicht das, aber für eine Karriere in den Medien, für einen größeren Radiosender oder einen Fernsehsender, nein, also mit der Stimme wird das nichts …« Aus dieser Zeit stammt mein Lieblingsspruch: Ich bin ein Radio-Gesicht und eine Zeitungs-Stimme, fürs Fernsehen nicht hübsch genug und fürs Radio die Stimme zu dünn.

Na, irgendwie hat die Karriere dann doch Fahrt auf­genommen. Relativ schnell sogar. Nach einem halben, dreiviertel Jahr wurde ich, trotz dünner Stimme, Sportmoderator. Ich kannte mich im Sport halt gut aus und bekam einen guten Zugang zu den Sportlern. Das fand natürlich alles auf Lokal-Ebene statt, wir waren ja ein Lokal-Radio. Aber egal, wenn da mal ein Gast im Studio war, ein Handballer, Basketballer, Tennisspieler oder so, dann hat der sich bei mir offensichtlich wohlgefühlt. Ob dabei meine Interviews immer so super aufgebaut waren, ob ich immer an all die Dinge gedacht habe, die man auf Journalistenschulen so lernt – vermutlich eher nicht. Aber ich habe immer versucht, eine persönliche Beziehung herzustellen und bekam auf dieser Schiene einen Zugang zu meinen Interviewpartnern. Das mache ich bis heute so.

Als dann der Sport in den Lokal- und Regionalradios ­etwas runtergefahren wurde, weil man glaubte feststellen zu können, dass das bei der breiten Masse der Hörer eben doch nicht so der Knaller ist, kristallisierte sich als beliebteste Sendung für einen Moderator im Lokalen die Morningshow heraus, also die Sendung, bei der du morgens von sechs bis neun hinter dem Mikro sitzt und die Leute in den Tag geleitest. Und auch da bin ich nach etwa anderthalb Jahren irgendwie reingerutscht und konnte meinen kompletten Irrsinn weiter ausleben.

Wir waren die erste Generation – wir befinden uns Anfang der 90er-Jahre –, die ihre Selbstfahrer-Studios bekamen. Das heißt, du saßest im Studio und hattest ganz viele Knöpfe und Geräte vor dir. Du musstest sogenannte Dat-Kassetten einlegen, um die Musik oder Werbespots abzuspielen, und anschließend Regler rauf- und runterziehen. Du hattest noch Telefone im Studio, auf die die Hörer zuge­schaltet werden konnten – per Lichtsignal (geklingelt hat das natürlich nicht). Noch während Du sprachst, legtest Du die nächste Kassette ein, um den nächsten Musiktitel vorzucuen, wie wir das nannten. Der größte Ehrgeiz von Radiomodera­toren damals war das sogenannte Ramp-Talking. Das ging, glaube ich, vielen Leuten extrem auf den Senkel, weil sie den Titel ganz hören wollten, aber die Radiomoderatoren damals schaukelten sich gegenseitig hoch und freuten sich wie Bolle, wenn sie über die Ramp, also das Intro eines Titels, so gesprochen haben, dass sie genau in der Sekunde fertig waren, in der der Gesang einsetzte. Das so als kleiner Ausflug am Rande. Heute ist ja alles anders, heute am Computer läuft ­alles mehr oder weniger von selbst.

Aber nicht nur die Hörer wurden mitunter in den Wahnsinn getrieben. Immer häufiger schaffte ich das auch bei ­meiner Dann-Chefredakteurin (wie gesagt, Buschi blieb, die Führungspositionen wechselten …). Irgendwann, ich hatte die Technik einigermaßen im Griff, Regler rauf, Regler runter, Card rein, Card raus, einfach drauflosquatschen, mach­te ich zunehmend so Geschichten wie: Warum steigt der ­Wasserverbrauch während des Football-Finales beim Super-Bowl in den USA in der Halbzeitpause extrem an? (Weil dann alle gleichzeitig aufs Klo gehen und alle mehr oder weni­ger gleichzeitig die Spülungen betätigen.) Analog dazu wollte ich testen, ob nicht auch der Stromverbrauch in Hagen in un­geahnte Höhen zu treiben wäre. Ich rief also dazu auf – es war frühmorgens im Winter, draußen noch stockduster –, dass alle Leute, die mich jetzt hörten, bitte mal alle Lichter in ihrer Wohnung anknipsen sollten. Unser Studio lag mitten in der Stadt. Ich schaute aus dem Fenster, und in ganz, ganz vielen Häusern um mich herum, klack-klack-klack-klack-klack, gingen die Lichter an. Ich freute mich wie ein Schweinchen und fand das supertoll. Unsere Chefredakteurin aber nicht, weil das war ja ein Aufruf zur Stromverschwendung! Ich weiß nicht, was so was beim Energieverbauch wirklich ausmacht. Ich hatte jedenfalls einen mordsmäßigen Spaß bei der Moderation.

Mit der Zeit machte ich alles: Livereportagen, Modera­tionen, Interviews. Ich bin auch rausgegangen und habe Beiträge geschnitten. Damals musste man noch kleben, mit ­Klebestreifen. Es gab Tonbänder, die wurden auf Spulen gezogen, und wenn man geschnitten hat, hat man im wahrsten Sinne des Wortes Teile der Bänder rausgeschnitten und die Enden mit einem Haftstreifen zusammengefügt. Daher der Name Cutter. So war das damals tatsächlich, das habe ich noch erlebt – was für ein alter Kerl bin ich eigentlich schon? Schließlich habe ich – die Königsdisziplin! – die Morgen­sendung moderiert und tatsächlich gedacht, Mann, du bist ein Mordsmolli, du hast es geschafft, du bist Radiomoderator! Und das alles parallel zum aktiven Sport – das lief ja noch immer weiter, ich spielte noch immer in der zweiten Liga, später Regionalliga. Ich fühlte mich ganz oben auf!

Was dann noch alles kommen sollte, das ahnte ja kein Mensch, am wenigsten ich selbst …

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IMMER WIEDER FRAGEN mich Fans: Wie kannst du dich für so viele unterschiedliche Sportarten gleichzeitig begeistern? Fußball – klar, Basketball – klar. Aber Moderner Fünfkampf, Schwimmen, Wasserball … wie geht das?

Na ja, obwohl ich in erster Linie Basketball, zwischendurch parallel auch mal ein bisschen Fußball gespielt habe, war ich immer, seit ich denken kann, total sportverrückt. ­Jedes Buch zu Olympischen Spielen, das ich in die Finger kriegte, las ich vorwärts und rückwärts, alles, was im TV mit Sport zu tun hatte, schaute ich mir an – sofern es meine Eltern irgendwie erlaubten. Wettbewerb, Wettkampf, das fand ich an sich unglaublich spannend. Das musste nicht Fußball oder Basketball, das konnte jede Sportart sein. Und wenn ich das als Sportjournalist begleiten kann … Man kann sicher nie alle Sportarten perfekt beherrschen. Aber man kann sich einfühlen, man kann sich reinarbeiten. Dann ist das einfach ein sensationeller Job.

1993, ich hatte beim DSF noch gar nicht lange unterschrieben, hatte der Sender die Weltmeisterschaft im Modernen Fünfkampf in Darmstadt gekauft. Das DSF war jung, ein bisschen so ein Startup-Unternehmen, die Redakteure waren es auch, junge Leute, die eigentlich, zumindest zum Teil, nicht so ganz viel Ahnung vom Fernsehmachen hatten. Wir selber nannten uns scherzhaft die »Videogruppe Ismaning«. Aber es gab unfassbar viele Möglichkeiten. Moderner Fünfkampf also: vor allem die Frauen waren damals ganz gut. Kim Raisner war ein Name, der mir durchaus was sagte. Also meldete ich mich. Bald reisten wir mit ein paar Mann nach Darmstadt, vom Status her Redakteure, im Grunde eine bessere Studententruppe. Als jemand, der gerade mal zwei Monate, glaube ich, bei dem Laden dabei war, kam ich als Moderator oder als Live-Kommentator für diese Sportart nicht in Frage. Ich sollte vielmehr Zusammenfassungen von den Schwimmwettkämpfen schneiden und anschließend ver­tonen.

Vom Schnitt hatte ich – ich weiß gar nicht, ob man das erzählen soll – nicht unbedingt viel Ahnung. Beim Schnitt sollte man schon ein bisschen darauf achten, dass dem Zuschauer klar wird: die schwimmen in einem Becken hin und her. An so was hatte ich natürlich nicht gedacht. Bei mir schwammen alle immer in die gleiche Richtung. Achssprung nennt das der Fernsehfachmann. Davon hatte ich noch nie etwas gehört. War mir auch nicht ganz so wichtig. Meine Zusammenfassung war fertig, als andere Kollegen bei einem Fünfminüter noch bei Sekunde 30 waren … Die gaben sich eben viel mehr Mühe. Was heißt viel mehr Mühe! Die ach­teten auf die Feinheiten, auf die fernsehspezifischen Dinge, die ich alle gar nicht kannte – und fassten sich an den Kopf! Nach einigen Korrekturen lief dann aber auch meine Zu­sammenfassung vom Schwimmen – immer schön hin und her, wie es sich gehört.

Die Abschlussdisziplin beim Modernen Fünfkampf ist das Springreiten. Das machten wir live, kommentiert von Uli Jansch, ein für unsere Verhältnisse damals schon unfassbar erfahrener Mann im TV-Bereich. Und nun trug es sich zu, dass diese Weltmeisterschaft von Richard Phelps dominiert wurde. Der erste Brite, der im Modernen Fünfkampf bei ­einer WM Gold gewann. Das war etwas Besonderes! Wir als übertragender deutscher Sender mussten diesen Mann natürlich unbedingt in einem Interview präsentieren! Als der Sendeleiter allerdings fragte, wer das Interview denn ­machen wolle, wurde es plötzlich merkwürdig still. Ich war auch ein bisschen überrascht. Alle sagten: »Nö, also ich lieber nicht.« Klar, keiner war vorbereitet, jetzt gleich vor die ­Kamera zu treten und ein Interview zum Modernen Fünfkampf, also über Fechten, Schwimmen, Laufen, Schießen und Spring­reiten, zu führen, und dann auch noch mit einem Briten auf Englisch, der überdies völlig aus dem Häuschen war. Also wurde das meine Sache, kein Problem. Ich hatte zwar nicht unbedingt die passende Kleidung mit (das war auch in den Folgejahren, wenn ich als Moderator auftrat, nicht gerade meine Stärke), aber mein Englisch war passabel, einfach aus dem Grund, weil ich als Basketballer immer mit US-Amerikanern zusammen gespielt hatte und die Amtssprache sozusagen immer Englisch war. Ich sprach zwar kein Oxford-Englisch, aber es gelang mir, Richard Phelps unfallfrei zu inter­viewen. Mir hatte es sogar Spaß gemacht, mit dem Mann über seine Leistung beim Laufen, seine Technik beim Fechten und die Besonderheiten bei der entscheidenden Diszi­plin Springreiten, wo die Pferde zugelost werden (im wahrsten Sinne des Wortes ein Lotteriespiel) zu fach­simpeln. Ich hatte gemerkt, Mensch, vor einer Kamera zu agieren, ist wirklich dein Ding! Dass das rote Licht leuchtete, hatte mich nicht im Geringsten gestört.

So kam es, dass mich noch in der Woche nach den Wettkämpfen mein Vorgesetzter beim DSF fragte, ob ich mir generell vorstellen könnte, nicht nur live zu kommentieren (das war im Basketball bereits der Fall), sondern auch vor der ­Kamera zu moderieren. Und wie ich so bin, konnte ich mir das selbstverständlich vorstellen! Also las ich in der Folge ab und an die Sportnachrichten vor und stand bei unterschied­lichen Sportarten wie Handball, Basketball und Fußball immer mal wieder vor der Kamera. Da war es wieder, das berühmt-berüchtigte Learning by Doing. Das war damals möglich. So auch im Folgejahr 1994, als es hieß, wir reisen zur Schwimmweltmeisterschaft nach Rom – ja, das hat es tatsächlich mal gegeben, Schwimmen im Fernsehen, damals, beim DSF! Ich hatte mich für die Wasserball-Übertragung gemeldet, kannte ich doch einige Wasserballer aus der Schulzeit in Hagen und dachte, es sei eine gute Gelegenheit, mit denen in Rom ein bisschen durch die Gegend zu toben. Leider schafften die Jungs nicht den Sprung unter die besten acht, eine ganz dusselige Niederlage im letzten Vorrundenspiel gegen die USA mit zwei Toren Differenz, hätte nicht sein müssen. Trotzdem war auch das wieder eine Erfahrung: Man steckte mich als Moderator in so einen schwarzen Ba­de­anzug, da stand »Das A-Team« drauf, für die A-Nationalmannschaft, und ließ mich im Becken stehend moderieren. Ich durfte mich schön zum Horst machen. Aber meine Güte, man muss über sich selbst lachen können und Dinge aus­probieren.

Als Live-Berichterstatter war schnell Schluss, nachdem die Wasserballer raus waren. Als Redakteur ging ich aber weiter zu den Schwimmwettkämpfen. Ich saß auf der Tribüne, als Franziska van Almsick knapp den Einzug in den Endlauf über 200 Meter Freistil verpasste. Untergangsstimmung, übri­gens auch beim DSFdieWM