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Christoph Raedel – Gender Mainstreaming | Auflösung der Geschlechter? – SCM Hänssler

SCM | Stiftung Christliche Medien

Inhalt

Kurz und bündig

Dank

Einleitung

I. Die Grundlagen verstehen: ein Geschlecht – zwei Geschlechter oder unendlich viele Geschlechter?

1. Frauenwelten: Der lange Weg zur Gleichberechtigung

2. »… zur Frau wird man gemacht« – der Gleichheitsfeminismus

3. »Frauen, das bessere Geschlecht« – der Differenzfeminismus

4. »Die Frauen gibt es nicht« – der Dekonstruktivismus

II. Die Praxis erleben: Gender Mainstreaming

1. »Top-down« – wie Gender Mainstreaming bei uns ankommt

2. Gleichstellung der Geschlechter – was Gender Mainstreaming erreichen will

3. Diversity Management und Diskriminierungsschutz – was Gender Mainstreaming damit zu tun hat

4. Homo-, Inter- und Transsexualität – eine Gender-Frage?

III. Die Beurteilung vornehmen: Alles kritisch prüfen, das Gute behalten

1. »Wie können wir leben?« – Lebenspräferenzen und Bedürfnisse von Paaren und Familien

2. »Was ist der Mensch?« – Die Einheit und Differenz von Mann und Frau

3. Was bleibt? Herausforderungen für die christliche Gemeinde

Literatur

Anmerkungen

Kurz und bündig …

Geht es Ihnen nicht auch so? Über manches Thema würde man gerne als Normalbürger besser Bescheid wissen – oder man muss es vielleicht sogar aus beruflichen Gründen oder weil man betroffen ist oder Betroffene kennt. Doch was die Fachleute schreiben, ist im Normalfall zu kompliziert oder zu umfangreich. Und wer hat schon Zeit, sich in jedes Thema wochenlang einzuarbeiten!?

Hier wollen wir Hilfestellung leisten. In Hänssler kurz und bündig kommen Fachleute zu Wort, die sich mit einem Thema schon seit Jahren intensiv beschäftigen und darin Erfahrung haben, es etwa in Vorträgen verständlich und komprimiert zu präsentieren. Sie geben kurz und verständlich einen Überblick über das, was man wissen muss, wenn man Bescheid wissen will und mitdiskutieren möchte.

Dabei enthält jeder Band der Reihe Hänssler kurz und bündig die folgenden Elemente:

• Fakten und Basisinformationen

• die Diskussion kontroverser Fragen

• praktische Hilfen und Hinweise zum Weiterarbeiten

All das ist so angelegt, dass der Leser sich in zwei bis drei Stunden (also etwa statt des Abendkrimis oder auf einer längeren Zugfahrt) ein Thema in seinen Grundlagen aneignen kann. Die Anwendung im Leben oder das anschließende Gespräch mit anderen wird dann aber sicher etwas länger dauern …

In diesem Band geht es um ein sehr emotionales Thema, das meist schwarz-weiß und verkürzt diskutiert wird, hinter dem sich aber ein kompliziertes Geflecht an Positionen verbirgt. Es ist Christoph Raedel zu danken, dass er die verschiedenen Positionen allgemein verständlich nachzeichnet und zurückhaltend bewertet, sodass sich jeder von uns sein eigenes Bild machen kann.

Ich wünsche mir, dass dieses Buch Ihren Horizont erweitert und die Informationen liefert, die Sie suchen.

Thomas Schirrmacher

Dank

Mein besonderer Dank geht an Maria Mueller, die mit Interesse für die Sache und Liebe zur Sprache einen ersten Textentwurf überarbeitet und so viel für eine bessere Verständlichkeit getan hat. Eine spätere Textfassung hat Thorsten Dietz durchgesehen und mir eine Reihe wertvoller Hinweise in der Sache gegeben, wofür ich ihm sehr dankbar bin. Thomas Schirrmacher danke ich für die Aufnahme des Bandes in die Reihe »kurz & bündig«.

Ich widme dieses Buch meiner Frau Birgit, die mir in ihrer Hingabe für die Familie und die Erziehung unserer vier Kinder täglich zeigt, dass in Wirklichkeit Frauen das starke Geschlecht sind. Ohne sie wäre dieses Buch viel weiter weg vom wirklichen Leben.

Christoph Raedel

Einleitung

»Wer bin ich, und wenn ja, wie viele?« Diese kernige Frage hat vor einigen Jahren Richard David Precht gestellt und versucht, sie in seinem Buch mit einem Spaziergang durch die Grundfragen der Philosophie zu beantworten. Dieselbe Frage drängt sich dem auf, der tiefer in die Modelle der gegenwärtig vertretenen Geschlechtertheorien eintaucht. Im Dschungel der unterschiedlichen, ja, widersprüchlichen Theorien weiß der Leser am Ende kaum noch, ob er Mann oder Frau ist. Ja, gibt es diese Geschlechter überhaupt? Um Gender Mainstreaming verstehen zu können, ist es notwendig, zumindest ansatzweise zu erfassen, welche Diskussionen hinter den Kulissen der Geschlechterwissenschaft geführt werden und worum gestritten wird. Für Spannung sorgt dabei der Stoff selbst. Es geht um nicht weniger als die Frage, die einst Herbert Grönemeyer umtrieb, als er sang: »Wann ist ein Mann ein Mann?« Und genauso: Wann ist eine Frau eine Frau? Und wie verhalten sich die beiden zueinander – wenn es denn diese beiden Kategorien wirklich gibt?

Die Vorstellung, Mann und Frau seien grundverschieden und gehörten doch zueinander, ist unter Wissenschaftlern, die sich mit Geschlechterfragen beschäftigen, schon lange nicht mehr selbstverständlich. Hier werden viele auf den ersten Blick für selbstverständlich gehaltene Sachverhalte diskutiert und infrage gestellt. Dazu gehören: 1.) die unterschiedliche Machtverteilung zwischen Männern und Frauen im Berufs- und Familienleben, 2.) das von Generation zu Generation tradierte Einfügen vieler Männer und Frauen in eingeschliffene Rollenmuster, während sie heute doch Freiheiten genießen, die früheren Generationen undenkbar schienen, und 3.) die in der Alltagsintuition tief verwurzelte Einteilung in die zwei Geschlechterklassen männlich und weiblich.

Im vorliegenden Buch möchte ich zunächst eine Schneise schlagen in die ebenso komplexen wie teilweise widersprüchlichen geschlechtertheoretischen Diskussionen. Vor deren Hintergrund, aber von diesen Theorien zu unterscheiden, werde ich dann erläutern, wie sich Gender Mainstreaming als gesellschaftspolitischer Handlungsansatz im Alltag auswirkt. Im dritten Teil werden die Geschlechtertheorien ebenso wie Gender Mainstreaming einer kritischen Beurteilung aus der Perspektive christlicher Theologie und Anthropologie (der Lehre vom Menschen) unterzogen werden.

I.Die Grundlagen verstehen: ein Geschlecht – zwei Geschlechter oder unendlich viele Geschlechter?

Die geschlechtertheoretische Diskussion ist kein Garten, der mit übersichtlich angelegten Wegen zum Spazierengehen einlädt. Sie gleicht eher einem Labyrinth, in dem sich zurechtzufinden eine echte Leistung ist. Mehr noch: Dieses Labyrinth ist zugleich vermintes Gelände, politisch aufgeladen, ideologisch umkämpft. Dieses Kapitel soll eine Orientierung im Gelände ermöglichen. Dazu skizziere ich zunächst die lebensweltlichen Voraussetzungen für Frauen, die im 19. Jahrhundert zum Entstehen der ersten Frauenrechtsbewegung führten. Ich erläutere dann etwas eingehender die Vorstellungen, die unter den Namen Gleichheitsfeminismus, Differenzfeminismus und Gender-Dekonstruktivismus diskutiert werden, und zeige jeweils anhand von Beispielen, wo wir im Alltag auf diese Auffassungen treffen können. Mit diesem Überblickswissen im Gepäck sind wir für die Begegnung mit Gender Mainstreaming gerüstet.

1. Frauenwelten:
Der lange Weg zur Gleichberechtigung

Wenn wir heute in den Ländern der westlichen Welt über Geschlechterrollen diskutieren, dann tun wir das aus einer komfortablen Situation heraus. Komfortabel deshalb, weil Männern und Frauen in unserer Gesellschaft gleiche Würde und gleiches Recht gebührt. Dass Frauen und Männer nicht gleichartig sein müssen, um gleichwertig zu sein, gilt heute als selbstverständlich. Dabei tendieren wir dazu, zu übersehen, wie lang der Weg zu dieser Einsicht war und dass auch die Kirchen immer wieder dazu neigten, bestimmte gesellschaftliche Zustände als so von Gott gewollt und daher unabänderlich zu interpretieren. Vergegenwärtigen wir uns daher in aller Kürze, woher wir kommen.

Als im ausgehenden 18. Jahrhundert Aufklärer zunehmend lautstark die Forderung erhoben, dass Frauen die gleichen Rechte wie Männern gewährt werden sollen, da sah die Realität noch deutlich anders aus:1 Der Ehemann besaß volle Gewalt und Entscheidungsbefugnis über seine Frau und die Kinder. Er verfügte über das gemeinsame Eigentum, musste einem von der Ehefrau geschlossenen Arbeitsvertrag zustimmen und konnte ihn auch wieder lösen. Er allein hatte das Recht, zu entscheiden, welche Bildung Frau und Kindern zuteilwerden sollte. Frauen waren nicht nur im Zivilrecht benachteiligt, sondern auch aus der politischen Öffentlichkeit ausgeschlossen, sodass die Durchsetzung des Frauenwahlrechts im Verlauf des 19. Jahrhunderts zu einer der Kernforderungen der Frauenrechtsbewegung wurde. Insgesamt standen für die bürgerliche Frauenrechtsbewegung mehr die kulturellen, für die proletarische Frauenbewegung mehr die sozialen Rechte im Vordergrund. Immer aber ging es darum, die Bürger- und Menschenrechte, die wir heute wie selbstverständlich in Anspruch nehmen, Frauen in gleichem Maße wie Männern zuteilwerden zu lassen. Ob Gleichwertigkeit auch Gleichartigkeit der Geschlechter bedeutet, darum gab es in der modernen Frauenbewegung von Anfang an unterschiedliche Auffassungen, die sich bis heute durch die Geschlechterdiskussion ziehen. Während die einen »die Zwänge und Zumutungen traditioneller Weiblichkeit« ablehnten, sahen andere die spezifisch weiblichen Erfahrungen wie das Muttersein durchaus als geeignet, »zum Ausgangspunkt für emanzipatorische Politik« zu werden.2 Der Kampf um die Gleichberechtigung von Frauen ist also keinesfalls identisch mit der Absicht, das Muttersein abzuschaffen und die Geschlechter austauschbar zu machen. Es kann hier folglich nicht darum gehen, die Früchte des Kampfes für die Gleichberechtigung verächtlich zu machen (und sie gleichzeitig zu genießen), sondern darum, gute und schlechte Früchte, berechtigte Anliegen und problematische Überdehnungen, voneinander zu unterscheiden. Wenden wir uns nun den feministischen Geschlechtertheorien zu, wie sie heute vertreten werden.

2. »… zur Frau wird man gemacht« –
der Gleichheitsfeminismus

Als theoretische Begründerin des Gleichheitsfeminismus im 20. Jahrhundert gilt die Französin Simone de Beauvoir (1908–1986), die langjährige Lebenspartnerin des Schriftstellers Jean-Paul Sartre.3 Sie wird oft mit der These zitiert: »Man wird nicht als Frau geboren, man wird dazu gemacht.«4 Viele Frauen, so de Beauvoir, sähen ihre Biologie, nämlich ihr Frausein, als Schicksal an. Tatsächlich aber seien es gesellschaftliche Faktoren, die eine biologische Frau auf eine weibliche Geschlechtsidentität festlegten. Dabei hat de Beauvoir vor allem die wirtschaftliche Abhängigkeit der Frau von ihrem Mann und die Bindung an die Aufgabe der Mutterschaft im Blick. Die Frau würde an Haus und Herd gebunden, was in vielerlei Hinsicht ihren gesellschaftlichen Status und ihre soziale Rolle bestimmt.

Die Festlegung auf eine weibliche Geschlechtsidentität erfolgt durch die Männer, die für sich beanspruchen, der Grundtyp des Geschlechts zu sein, womit das Weibliche zum »anderen Geschlecht« wird. Das behauptete Anderssein der Frau dient nach de Beauvoir zu nichts anderem als der Befestigung der männlichen Herrschaft und der Unterdrückung der Frau: »Die Menschheit ist männlich, und der Mann definiert die Frau nicht als solche, sondern im Vergleich zu sich selbst: sie wird nicht als autonomes Wesen angesehen.«5 Während also der Mann sein Leben selbst entwirft, verwehrt er diese Freiheit der Frau. Diese Ungleichheit gilt es nach de Beauvoir zu überwinden, wobei die Frauen selbst ans Werk gehen müssen.

De Beauvoir zielt also auf die Gleichheit der Geschlechter, und zwar im Sinne der gleichen Freiheit, man selbst zu sein und sein Leben entwerfen zu dürfen. Die Gleichheit der Geschlechter soll dadurch erreicht werden, dass die Frau sich die Sphäre des Mannes aneignet: Sie weigert sich, Kinder zu gebären, und wird dadurch freier in Bezug auf ihre gesellschaftliche Rolle als Mutter. Sie geht einer Erwerbstätigkeit nach und wird dadurch wirtschaftlich unabhängiger von ihrem Mann. Sie lässt sich nicht in das Korsett der Ehe pressen und gibt damit der bindungslosen Selbstbestimmung den Vorzug.

In Deutschland sind die Thesen des Gleichheitsfeminismus maßgeblich durch Alice Schwarzer popularisiert worden. Sie schreibt: »Mit dem Ausruf ›Es ist ein Mädchen!‹ oder ›Es ist ein Junge!‹ sind die Würfel gefallen. Unser biologisches Geschlecht dient vom ersten Tag an als Vorwand zum Drill zur ›Weiblichkeit‹ oder ›Männlichkeit‹.«6 Nicht eine biologische Vorgabe, sondern erst die Differenz zwischen der Erfahrung, entweder Macht auszuüben oder ihr ohnmächtig ausgeliefert zu sein, macht aus Menschen Männer oder Frauen.7 Rollenzuschreibungen und Aufgabenverteilungen in Beruf und Familie sind Mechanismen, die Herrschaft des Mannes über die Frau zu befestigen. Deshalb muss die Frau von der »Pflicht zur Mutterschaft« befreit werden. Die angestrebte Übernahme der Hälfte aller Hausarbeit durch die Männer eröffnet der Frau Perspektiven eines Erwerbslebens, das sie von ihrem Mann wirtschaftlich unabhängig macht.

Diese programmatischen Sätze wirken vertraut. Zahlreiche Gesetzesvorhaben weisen der Tendenz nach in ebendiese Richtung, nämlich Männer und Frauen (sowie deren Kinder) nicht mehr primär als soziale Einheit, sondern als Individuen zu verstehen, die gegeneinander ihre Rechte durchsetzen. Jeder Partner hat das Recht auf Trennung – und damit die Pflicht, selbst für sein Auskommen sorgen zu können. Das veränderte Unterhaltsrecht (ob Geliebte oder Ehefrau – nach maximal drei Jahren ist Schluss mit den Unterhaltszahlungen des Mannes) ebenso wie der Wechsel vom lohnunabhängigen Erziehungsgeld (das maximal zwei Jahre gezahlt wurde) zu dem in seiner Höhe am Verdienst orientierten Elterngeld (das maximal 14 Monate gezahlt wird) weisen vor diesem Hintergrund in eine gemeinsame Richtung: Wollen Partner sich trennen, soll dies zumindest ohne finanzielle Langzeitfolgen bleiben; tappen Frauen in die »Kinderfalle«, dann sollen sie wenigstens schnell wieder den Weg ins Berufsleben zurückfinden.

Für einiges Aufsehen sorgte 2009 in Frankreich Justizministerin Rachida Dati (damals 43 Jahre), die fünf Tage nach der Geburt ihres ersten Kindes wieder die Amtsgeschäfte aufnahm.8 Öffentlich bekannt wurde ihr Dank allein an die Mitarbeiter, die »in dieser sehr bewegenden Zeit an meiner Seite waren«, und das wohl auch, weil Unklarheit hinsichtlich des Kindesvaters herrscht.9Planning Familial 10Frauennicht11