Cover

Impressum

© Verlag Friedrich Oetinger GmbH, Hamburg 2002

 

Alle Rechte dieser Ausgabe vorbehalten

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Cover und Illustrationen von Silke Brix

E-Book-Umsetzung: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin 2014

 

ISBN 978-3-86274-083-3

Lust auf mehr?

www.oetinger.de

www.oetinger.de/ebooks

Kennst du Linnea? Die ist schon fast fünf, und ihre Puppe heißt Linni, fast genauso wie sie. Linneas Bruder heißt Magnus und ihre große Schwester heißt Anna.

Nur Mama ist leider nicht mit auf dem Bild und Papa auch nicht. Der wohnt jetzt nämlich in Bremen mit seiner neuen Freundin. Da besucht Linnea ihn manchmal.

Aber Mama wohnt natürlich zu Hause. Sie ist nur gerade zur Arbeit. Darum gibt es hier nur ein Foto von ihr.

Linnea allein zu Haus

»Ich weiß nicht, ihr drei!«, sagt Mama zweifelnd. »Ob ich euch wirklich allein lassen kann? So lange?«

»Klar kannst du das, Mama!«, sagt Anna. Aber Anna ist ja auch schon fast elf Jahre alt. »Das ist ja nicht mal die ganze Nacht, und wenn wir aufwachen, bist du schon wieder da.«

Für Samstag ist Mama nämlich zu einem großen Fest eingeladen, das dauert bestimmt ziemlich lange; aber Papa hat am Telefon gesagt, er kann am Samstag die Kinder leider nicht übernehmen, weil er mit seiner neuen Freundin in Bremen Theaterkarten hat. Und Babysitter sind so teuer.

»Wir sind doch auch keine Babys mehr«, sagt Magnus, und weil er schon sieben ist, stimmt das ja auch.

»Und du, Linnea?«, fragt Mama. »Hast du auch keine Angst?«

Linnea guckt Mama an. »Piep, piep, piep, du bist aber dumm, Mama!«, sagt sie. »Sonst merk ich dich nachts ja auch nicht. Da schlaf ich doch.«

Da strubbelt Mama Linnea durch die Haare. »Dann geh ich also zum Fest, ihr Lieben«, sagt sie. »Danke schön, ihr drei! Ich freu mich schon.«

Und vielleicht freut Linnea sich auch.

 

Bevor Mama losgegangen ist, hat sie noch einen großen Teller mit Broten fertig gemacht und einen Teller mit Karotten und Gurke und zum Nachtisch eine Schüssel mit Apfelmus. Und zwei Flaschen Brause hat sie auch noch gekauft, weil es doch ein besonderer Abend ist.

»Und nicht mehr fernsehen!«, sagt Mama und zupft vor dem Flurspiegel ihre Haare zurecht. »Sonst wird es zu spät!«

»Das versprechen wir, Mama«, sagt Anna, und dabei sieht sie wirklich wie eine vernünftige große Schwester aus, die ganz gut einen Abend lang auf ihre beiden kleinen Geschwister aufpassen kann.

»Nachher können Linnea und Magnus sonst vielleicht nicht schlafen«, sagt Mama und schnappt sich ihren Autoschlüssel. »Du weißt doch, Anna. Fernsehen ist manchmal so gruselig.«

»Weiß ich doch, Mama«, sagt Anna, und dann stehen sie alle drei in der offenen Wohnungstür, Anna, Magnus und Linnea, und winken hinter Mama her. Unten fällt die Haustür zu.

»Jetzt wird hier aber mal ordentlich auf den Putz gehauen«, sagt Linnea zufrieden, und woher sie solche Wörter kennt, kann man sich überhaupt gar nicht denken.

 

Aber zuerst hauen sie doch noch nicht auf den Putz.

»Zuerst wollen wir mal Abendbrot essen«, sagt Anna, wie eine vernünftige große Schwester das soll. »Komm, Magnus. Komm, Linnea.«

»Dir muss ich ja wohl nicht gehorchen!«, sagt Linnea und baut sich vor Anna auf. »Du bist wohl nicht meine Mutter!«

Aber bevor Anna etwas Unfreundliches antworten kann, hat sich Magnus schon eingemischt.

»Willst du denn gar kein Abendbrot essen, Linnea?«, fragt er ganz lieb. »Hast du denn gar keinen Hunger?«

»Klar hab ich Hunger, du Dummer!«, sagt Linnea. »Und jetzt ess ich was. Aber nicht, weil Anna das sagt.« Und sie nimmt ihre Linni und geht in die Küche.

Anna seufzt. »Du bist wirklich eigensinnig, Linnea«, sagt sie.

Aber das ist Linnea überhaupt nicht. »Jetzt machen wir uns das aber mal schön«, sagt sie und schnappt sich einen Küchenstuhl. Gerade ist ihr eingefallen, wie sie auf den Putz hauen kann. »Wir machen ein Festmahl«, und bevor Anna etwas sagen kann, hat Linnea den Stuhl schon an den Schrank geschoben und macht oben die Klappe auf, hinter der Mama ihr allerbestes Sonntagsgeschirr aufbewahrt. Das nimmt sie immer nur, wenn Gäste kommen.

»Nein, Linnea, das dürfen wir nicht!«, sagt Magnus ängstlich; aber da hat Linnea schon vier von Mamas wunderschönen guten Tellern herausgeholt, und Anna guckt einen Augenblick ganz erschrocken, aber dann kriegt sie doch so ein Glitzern in den Augen.

»Aber vorsichtig sein, Linnea!«, sagt Anna. Die kleinen Schneidebretter mit den Katzenköpfen legt sie wieder zurück in den Schrank. Für einen festlichen Abend sind die sowieso schon viel zu zerkratzt. »Wieso vier Teller, Linnea? Wir sind doch nur drei.«

»Meine Linni darf ja wohl auch mitfeiern!«, sagt Linnea energisch, und jetzt nimmt sie auch noch die teuren Weingläser mit den dünnen Stielen aus dem Schrank, aus denen dürfen Anna, Magnus und Linnea sonst nie, nie, niemals trinken, nur am Heiligabend, weil Mama sagt, es sieht hübscher aus, wenn auf einem festlich gedeckten Tisch alle Gläser zusammenpassen. Aber Wein kriegen die Kinder dann trotzdem nicht ab.

»Bei einem Festmahl brauchen wir die«, sagt Linnea entschieden, als Magnus ein bisschen ängstlich guckt. Magnus weiß ja vielleicht nicht, was ein Festmahl ist, aber Linnea hat das gerade gestern in der Nilpferd-Gruppe in ihrem Kindergarten gelernt. Da hat der Erzieher eine Geschichte erzählt, in der hat ein Herr Jesus bei einem Festmahl eine Menge Wein gezaubert. Aber Linnea glaubt trotzdem nicht, dass man Wein braucht, damit das Festmahlrichtig wird. Bestimmt reichen die Weingläser auch schon, da kann man ja Brause reintun.

Magnus flitzt noch mal schnell ins Wohnzimmer und holt den Kerzenhalter mit den fünf blauen Kerzen, den sie vor zwei Jahren aus dem Urlaub mit zurückgebracht haben.

»Kerzen sind so gemütlich!«, sagt Magnus, und Linnea nickt aufgeregt.

»Aber vorsichtig sein!«, sagt sie streng. »Kleine Kinder dürfen das ja noch nicht.«

Das weiß Anna natürlich selber, aber kleine Kinder haben sie heute Abend ja zum Glück auch keine dabei, und darum zündet Anna jetzt die Kerzen an und schenkt allen einen winzigen Schluck Brause ein, weil in die vornehmen Weingläser ja leider nicht so viel reinpasst, und Magnus schaltet das Deckenlicht aus. Dann sitzen sie alle drei am Küchentisch, und die Kerzenflammen flackern ein bisschen und spiegeln sich in den Gläsern und duften nach Weihnachten, und es ist so gemütlich, dass Linnea denkt, wenn sie möchte, kann Mama abends gerne mal öfter zu einem Fest weggehen.

»Prost, meine Lieben!«, sagt Linnea und hebt das Glas. »Vor allem auf gute Gesundheit«, sagt sie, weil Opa das am Heiligabend beim Anstoßen auch immer sagt. Und Magnus und Anna heben auch ihre Gläser, und dann stoßen sie alle miteinander an, Linnea mit Magnus und Magnus mit Anna und Anna mit Linnea, und am Schluss darf Linni auch noch mal mit allen anstoßen. Und weil sie die Gläser ganz richtig nur am Stiel anfassen, gibt es auch jedes Mal so ein schönes »Plinggg!«, wie es das beim Anstoßen ja geben muss.

»Ich finde, wir haben das richtig gemütlich«, sagt Magnus und seufzt ein bisschen vor Glück. »Glaubt ihr, Mama hat das auch so gemütlich?«

Darüber denkt Linnea gar nicht nach. »Sti-hille Nacht!«, singt sie. »Heilige Nacht!«

Aber da machen Magnus und Anna nicht mit.

»Das ist doch nicht Weihnachten, Linnea!«, sagt Magnus. »Das ist doch beinahe Sommer!«

»Aber es fühlt sich an