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1
Mein Mann braucht ein Sakko …

Frauen gehen einfach gern shoppen. Am liebsten allein – aber bloß nicht mit dem Partner …

Es geht dabei nicht nur ums Kaufen, es geht darum, kichernd alles anzufassen, die unmöglichsten Fummel anzuprobieren, ein bisschen im Grabbelkasten mit reduzierter Unterwäsche zu fischen und sich schließlich in etwas zu verlieben, das einem wie auf den Leib geschneidert ist und einen Hauch von Glamour verleiht: einen Pulli, ein Kleid, einen BH, nicht so wichtig, was es ist …

Und dann geht man einen Kaffee trinken und ist sehr zufrieden mit sich und der Welt. So stelle ich mir einen gelungenen Shopping-Vormittag vor.

Männer gehen im Allgemeinen nicht besonders gern shoppen, meiner jedenfalls nicht.

»Robert!«, sprach ich letzte Woche streng. »Du brauchst dringend ein neues Sakko, und eine neue Hose wäre auch nicht schlecht.«

»Aber nein!«, rief er. »Ich war doch gerade erst groß einkaufen.«

»Das war vor sieben Jahren«, widersprach ich. Und so machten wir uns vergangenen Sonnabendvormittag auf den Weg ins überfüllte Kaufhaus. Es ist schon schlimm, einen shoppingmuffeligen Ehemann hinter sich herschleifen zu müssen, zu allem Überfluss hatten wir aber noch alle drei Kinder dabei.

»Herrenkonfektion, 2. Stock«, las Sanne vor und hechtete sich auf die Rolltreppe. »Gibt’s da Konfekt?«, rief sie noch, dann war sie verschwunden. Ich nahm die Jungs an die Hand und folgte ihr schnell.

Im 2. Stock angekommen schwärmten meine Kinder in unterschiedliche Himmelsrichtungen davon. Und da war mir klar, dass das heute kein gelungener Shopping-Vormittag werden würde. Aufseufzend machte ich mich auf die Suche nach einem Sakko, Samuel schäkerte mit einer großbusigen Verkäuferin. Sanne stöberte durch einen Haufen reduzierter Socken mit förstergrünem Rhombenmuster. »Hier ist schon was für die Füße!«, rief sie.

»Die sind wirklich sehr hübsch«, fand Robert, und ich suchte vergeblich nach einem Ausdruck der Ironie in seinen Augen. »Das ist doch nicht dein Ernst?«, rief ich entsetzt und zog ihn schnell weiter.

»Guck mal!« Ich atmete tief durch und hielt ihm ein gut geschnittenes Sakko hoch. »Zieh das doch mal über.«

Robert guckte skeptisch. »Das sieht sehr langweilig aus«, murrte er. »Das ist klassisch«, belehrte ich ihn ungeduldig. »Nun zieh es mal an!«

Wenig später stand Robert missmutig vor dem Spiegel und ließ Mundwinkel und Schultern hängen. »Das sitzt nicht«, nörgelte er. »Steh doch mal gerade!«, schimpfte ich und strich ihm das Revers glatt. Robert guckte düster.

»Sitzt tadellos«, sagte ich dann. »Und dieses dunkle Jadegrün steht dir hervorragend.«

»Jadegrün?«, kicherte Sanne, »das sieht eher aus, wie die Farbe eines überfahrenen Frosches.« Robert lachte. »Genau!«, rief er und zog das Sakko wieder aus. Nach einer Weile, in der ich meine kleinen Jungs wieder eingefangen und sie vorübergehend mit Salzstangen ruhig gestellt hatte, kam Robert mit einem blassblauen Sakko und einer karierten Hose wieder. »Das hat doch Stil«, befand er und begutachtete sich vor dem Spiegel.

Das Sakko war zu weit, die Hose zu kurz, und Hellblau ist eine Farbe, die kein männliches Wesen über fünf tragen sollte.

»Chic, Papa.« Sanne war begeistert. Ich nicht.

»Du siehst aus wie der Sandmann«, entfuhr es mir. Sanne wand sich vor Lachen. »Da fehlt Papa noch der Sandsack.«

Beleidigt verschwand Robert wieder in der Umkleidekabine. »Wir gehen jetzt nach Hause!«, rief er.

»Ist das Ihr Sohn?«, fragte mich plötzlich die großbusige Verkäuferin von vorhin und trug einen selig grinsenden Samuel auf dem Arm.

»Hat er was angestellt?«, fragte ich erschrocken.

Sie lachte. »Nein. Er war nur gerade dabei, die Rolltreppe in den dritten Stock zu nehmen!«

Da kam der zerraufte Robert aus der Umkleidekabine. Das Sandmann-Outfit hatte er zurück auf den Bügel gehängt.

»Probieren Sie doch das einmal!«, flötete die Verkäuferin und hielt ihm das jadegrüne Sakko von eben hin. »Dieses dunkle Smaragdgrün würde Ihnen außerordentlich gut stehen.«

Robert räusperte sich verlegen. »Wenn Sie meinen«, sagte er dann charmant lächelnd und trat kurz darauf wieder vor den Spiegel. »Tadellos«, lobte die Verkäuferin und strich ihm das Revers glatt. Robert straffte die Schultern und grinste.

»Es geht eben nichts über eine kompetente, freundliche Fachberatung«, sagte er zu mir.

Sanne flüsterte in mein Ohr: »Aber das ist doch das, was aussieht wie ein überfahrener Frosch.«

»Schsch!«, zischte ich und zwinkerte der Verkäuferin dankbar zu. Eine Hose haben wir an diesem Vormittag nicht mehr gekauft, das machen wir vielleicht im nächsten Jahr. Mit dem Shopping in Begleitung eines Mannes sollte man es nicht übertreiben.

2
Wir sind auf den Hund gekommen

Meine Tante Martha hat einen Dackel, der auf den erstaunlichen Namen »Waldi« hört. Oder eben nicht hört …

Meine Tante Martha ist übrigens auch meine Erbtante. So geschah es, dass ich mich bereit erklärte, Waldi für eine Woche in Pflege zu nehmen. Die Kinder freuten sich riesig.

Und dann erschien Tante Martha mit besagtem Waldi, einem übergewichtigen, asthmatisch schnaufenden Rauhaardackel. »Wieso hast du mir nicht gesagt, dass ihr im dritten Stock ohne Fahrstuhl wohnt?«, war ihre Begrüßung. »Das schafft Waldilein nicht mehr. Du wirst den armen alten Kerl hochtragen müssen!«

»Komm doch erst mal herein, Tante Martha.« Ich lächelte wacker.

»Und runter auch«, fuhr sie unbeirrt fort.

Waldi dackelte an uns vorbei und sprang erstaunlich behände aufs Sofa, wo er es sich auf der Kuscheldecke bequem machte. Tante Martha war begeistert. »Wie süß. Er fühlt sich wohl bei euch.«

Robert, mein Mann, starrte den schnarchenden Waldi düster an.

»Ich habe alles mitgebracht«, erklärte Tante Martha. »Siebenmal Hundefutter. Seine Lieblingsmarke. Vielleicht mischst du ihm ein bisschen feine Leberwurst drunter. Hier ist das Schippchen für seine Häufchen. Das muss man doch aufheben! Und hier sein Quietsche-Entchen und sein Kissen, die Leine und das Regenjäckchen. Waldi muss sieben- bis achtmal sein Beinchen heben. Er hat eine schwache Blase!«

Nachdem sie sich überschwänglich von Waldi verabschiedet und ihm unzählige Küsse auf die feuchte Dackelnase gedrückt hatte, verließ sie uns mit Tränen in den Augen.

Endlich war die Tür zu. Aus dem Wohnzimmer hörten wir wütendes Knurren und panisches Kindergeschrei. Waldi war nicht bereit, die Schmusedecke rauszurücken und auch Sannes besänftigende Streichelversuche quittierte er mit Zähneflet-schen.

»Runter vom Sofa!«, herrschte ich den fetten Wackel-Dackel an und zog heftig an der Decke. Waldi sprang auf den Fußboden, schnüffelte daran herum und hob dann am Sessel sein Bein. Ich hätte schwören können, dass er mich dabei schadenfroh angrinste.

»Ich geh mal Gassi«, sagte ich matt und machte mich mit Schippchen, Leine und Dackel auf den Weg. Doch weiter als hinter die Wohnungstür kam ich nicht. Waldilein weigerte sich, auch nur eine Pfote auf den Treppenabsatz zu stellen.

»Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich dich trage!«, sagte ich zu ihm und zog an der Leine. Waldi klappte die Ohren zurück und setzte sich auf sein Hinterteil. »Komm schon!«, rief ich wütend und zog kräftiger. Waldi hustete und rührte sich keinen Millimeter.

Da habe ihn dann tatsächlich getragen. Auf der Straße angekommen, hob er an schätzungsweise 57 strategisch wichtigen Punkten sein Bein, riss sich schließlich im Park von der Leine und setzte zur Feier des Tages mitten auf den Kinderspielplatz einen Haufen. Mit hochrotem Kopf und umringt von schimpfenden Müttern machte ich mich mit dem Schäufelchen ans Werk, während Waldi wie irre durch den Sand tobte und die erschrockenen Kinder ankläffte.

Nachdem ich seinen Unrat entsorgt und den unmöglichen Hund eingefangen hatte, wollte ich so schnell wie möglich nach Hause.

Leider wollte Waldi das gar nicht. Er setzte sich wieder auf seinen Hundehintern und gab sich stur. »Diesmal nicht!«, zischte ich ihn an und zog aus Leibeskräften. Waldi rodelte mit Dackelblick hinter mir her.

»Sie erwürgen ja Ihren Hund!«, erboste sich eine alte Frau, die eine ähnliche Version an der Leine rührte. Die zwei übergewichtigen Dackelherren beschnüffelten sich eingehend, besonders hinten, wie ich angewidert feststellte, wobei ich an Tante Marthas Abschiedsküsse auf seine Hundenase dachte. Dann begannen die beiden, einander wichtigtuerisch etwas vorzupinkeln. Aufseufzend nahm ich Waldi auf den Arm und schleppte mich mit ihm nach Hause, inklusive der Treppen!

In der Wohnung angekommen, raste Waldi hysterisch bellend ins Kinderzimmer, machte sich dort über die Legosteine her und legte sich dann in Sannes Bett.

»Krisensitzung!«, schnaufte ich. »Das halte ich keinen weiteren Tag aus. Was machen wir?«

Als wüsste er, dass es um ihn ging, watschelte Waldi um die Ecke, hustete einige gelbe und rote Plastikkrümel auf den Teppich und sah uns aufmerksam an.

»Rattengift?«, flüsterte Robert. Da klingelte es an der Tür. Waldis Rettung. Es war Tante Martha, die vor Sehnsucht verging und ihr liebstes Waldilein abholen wollte. Wir waren sehr bemüht, uns unsere übergroße Freude nicht anmerken zu lassen und verabschiedeten uns von den beiden.

»Ich will einen Hund«, verkündete Sanne, als die Tür zu war. Ich streichelte ihr die Wange. »Kriegst du, mein Engel.«

Robert sah mich entsetzt an.

»Wenn du 18 bist und deine eigene Wohnung hast, dann schenke ich dir einen Dackel zur Einweihung …«

3
Ein Termin beim Friseur

Wenn Frauen nach einer kleinen Veränderung im Leben ist, gehen sie meistens zu ihrem Friseur …

So wie ich neulich: Ich dachte mir, eine leichte Typveränderung hätte noch keinem geschadet, und die beginnt meistens auf dem Kopf.

Nachdem ich auf dem Stuhl Platz genommen hatte, informierte ich die Friseurin ganz genau, wie ich es gern hätte, und liebäugelte dabei mit einem Poster, auf dem eine wild gelockte Schönheit siegessicher lächelte.

Die Friseurin schien enttäuscht. Ob Spitzenschneiden und Haaretönen langweilig ist?

»Was denn für eine Tönung?«, fragte sie und zerwurschtelte mir gedankenverloren den Seitenscheitel.

»Ich dachte an Kastanie oder Haselnuss«, antwortete ich und hörte selbst, wie unoriginell sich das anhörte. Ich spähte auf das Poster mit der Lockenpracht. Einmal, nur ein einziges Mal in meinem Leben möchte ich solche Locken haben … »Sagen Sie …«, flüsterte ich. »Hat die Frau auf diesem Bild Naturlocken?«

»Das ist eine Dauerwelle«, antwortete sie schnell und sah mich fragend an.

Mein Blick wanderte über die goldenen Kringel und Kräusel, die dem Model lässig über die Augen fielen. Einmal, nur ein einziges Mal in meinem Leben …

»Nein!«, rief ich laut. »Das würde mir gar nicht stehen. Dieses Lockenmodel ist höchstens sechzehneinhalb Jahre alt und kann es sich leisten, nur die Hälfte zu sehen. Aber wenn mir Dauerwellen über den Augen hängen würden, hole ich noch ein falsches Kind von der Schule ab.«

Die Friseurin lächelte enttäuscht. »Also nur Spitzenschneiden und einmal Kastanie?«, gähnte sie.

»Was haben Sie denn noch, außer Kastanie?«, fragte ich mutig. »Wir haben hier einen ziemlich schrillen Henna-Ton, dazu braucht man allerdings ein bisschen Mut.« Sie sah spöttisch auf mich herab.

»Na und?«, schnippte ich. »Daran soll es nicht scheitern, darf ich mal sehen?«

Sie hielt mir eine Farbkarte unter die Nase.

»Ziemlich schrill, in der Tat«, gestand ich kleinlaut ein. Zu schrill für mich. Die Farbe hatte etwas von einem brennenden Heuschober.

»Haben Sie es ein wenig weniger schrill?« Sie zuckte die Schultern. »Also doch Kastanie?«

Langsam begann mich diese Person zu ärgern. Ich war kurz davor, mich in einen lockigen, brennenden Heuschober verwandeln zu lassen, nur um sie zu ärgern. Doch dann atmete ich ruhig durch. Keine Kurzschlusshandlung jetzt.

»Wie wäre es damit?«, fragte ich und zeigte auf eine Farbe, die sich »Kupferrot« nannte. Nicht so aggressiv, sondern nett rötlich, eben wie ein polierter Kupferkessel.

»Okay!«, sagte die Friseurin und knickte mir den Kopf nach hinten ins Waschbecken.

»Vielleicht könnten Sie mir die Haare leicht durchstufen?«, rief ich gegen das Wassergeräusche an. »Dass es nicht so streng aussieht, sondern ein bisschen lässig!« Oder sollte ich einfach mal etwas richtig Verrücktes machen und als lockige Löwen-Lady aus diesem Salon schreiten? In diesem Moment verbrühte mir ein heißer Wasserstrahl die Kopfhaut, was mich wieder zur Räson brachte. »Ist das zu heiß?«, fragte die Friseurin.

»Ja, ein bisschen«, keuchte ich.

»Also durchstufen?«, fragte sie später. Ich nickte. Sie zückte die Schere und setzte sie in Schläfenhöhe an.

»Halt!«, kreischte ich. »Nicht so kurz!«

Entnervt ließ sie die Hände sinken, und in ihrem Blick stand geschrieben: »Warum kriege immer ich die exzentrischen Kundinnen ab?«

»Ich kürze jetzt erst mal die Spitzen«, murrte sie und wollte in Schulterhöhe zuschneiden.

»Das sind doch nicht die Spitzen!«, rief ich und duckte mich schnell weg.

»Wo darf ich denn?« Ihre Fußspitze wippte nervös auf und nieder.

»Hier, so.« Ich zeigte ihr die Stelle und guckte wachsam in den Spiegel.

»Also einen Zentimeter.« Gelangweilt machte sie sich an die Arbeit, die nach fünf Minuten beendet war.

»Und was für eine Farbe?«, fragte sie dann.

»Was würden Sie empfehlen?« Unschlüssig starrte ich auf »Kupfer«.

»Hier!« Sie zeigte auf »Pflaumenblut.«

»Das ist nicht Ihr Ernst.« Ich lachte etwas zu laut auf.

»Also, Kupfer?« Abwartend sah sie mich an.

»Ähem …« Ich räusperte mich nervös. »Ja!«

Kurz darauf kam sie mit der Tönlotion zurück, die so kreischend orange war, das sie im Dunkeln geleuchtet hätte.

»Nein!«, schrie ich entsetzt.

»Aber das ist doch nicht die Endfarbe«, beschwichtigte sie mich, aber ich weigerte mich. Die konnte mir ja viel erzählen! Sie würde ja nicht aussehen wie eine brennende, blutige Pflaume in einem Kupferkessel.

Kurz darauf verließ ich den Frisiersalon mit der Haarfarbe, die Mutter Natur einst für mich gewählt hatte. Ich trug wieder meinen klassischen Seitenscheitel, und auch das Spitzenschneiden hatte nicht sonderlich zu einer Typveränderung beigetragen.

Aber nächstes Mal: Da werde ich vielleicht mal eine Dauerwelle und eine schrille Hennatönung machen lassen. Vielleicht!

4
Mama, spiel mit uns!

Als Mutter hat man viele Aufgaben: kochen, trösten, schimpfen, singen und spielen. Und da habe ich auch schon mein Stichwort …

Es ist ja nett, mit den Kinderchen mal ein Puzzle zusammenzusetzen oder eine Geschichte zu lesen. Aber nach schätzungsweise 45 Minuten mag ich nicht mehr. In dieser Zeit habe ich mit den Jungs siebenmal dasselbe Puzzle gepuzzelt, zwanzig Purzelbäume geschlagen und fünfmal »Bob, der Bauarbeiter« gelesen. So langsam ermüde ich.

»Nun spielt mal schön alleine«, sage ich freundlich und will mir einen Kaffee zu kochen.

»Mammmaaaa!«, kreischen die Söhne. »Bleib hier!«

»Ich gehe nur in die Küche«, beruhige ich sie.

»Hiiiier!«, brüllen sie, als wollte ich mich auf eine Weltumsegelung begeben. Ich haste in die Küche. Hinter mir Gebrüll. Etwas geht zu Boden – ein Kind, ein Stuhl? Kurz darauf ein Schmerzensschrei. Es war also ein Kind. Jetzt Wutgebrüll. Angriffsgeheul. Wieder ein Schmerzensschrei. Ich kann das alles auseinander halten. Als zwei Schmerzensschreie durch die Wohnung hallen, ist endlich der Kaffee fertig. Ich eile ins Kinderzimmer zurück, in dem sich zwei wütende, kreischende Brüder um einen Schlumpf kloppen.

»Schluss!«, rufe ich. »Spielt doch mal was Nettes!«

»Mit dir«, lautet die Antwort aus zwei kleinen Mündern.

»Wir haben doch gerade so lange gespielt«, verteidige ich mich und verbrenne mir die Zunge am Kaffee.

Samuel schleppt Bausteine heran, Max hilft ihm dabei. Mit bester Laune schütten sie mir eine halbe Tonne bunter Holzklötze über die Füße. »Und jetzt bau mit uns!«, lautet der Befehl.

Aufseufzend hocke ich mich auf den Fußboden.

»Was wollen wir bauen?«, frage ich lahm.

»Eine Ritterburg«, bestimmt Samuel und steckt seinen Zeigefinger in meinen Kaffee. Nachdem ich seinen Finger gepustet und geküsst habe, kann es auch schon losgehen.

»Heiß?«, fragt Max interessiert und will seinen Finger auch in den Kaffee tunken.

»Schluss!«, rufe ich zum zweiten Mal an diesem Nachmittag und stelle meine Tasse auf den Schrank. Dort kommt keiner ran.

»Aaaalso, eine Ritterburg.« Ich beginne, die Bauklötze übereinander zu legen, einen auf den anderen. Ein richtig schicker Wachturm wird das. Ich baue ihn ausschließlich aus gelben Steinen, so sieht es realistischer aus. Und jetzt die Mauern. Dazu verwende ich längliche Bauklötze in Blau und Rot. »Mama, lies uns was vor!«, ruft Samuel in mein Ohr.

»Ich baue jetzt eine Ritterburg«, sage ich konzentriert und suche nach länglichen blauen Steinen. Na ja, dann nehme ich für die Ecken was Gelbes.

»Maaamaaaa!« Samuel hält mir ein Pixibuch hin, Max schmeißt einen Bauklotz durchs Zimmer. Halt! Der war doch blau und länglich, den kann ich gut gebrauchen. Während ich unter dem Bett nach dem Bauklotz fische, sehe ich, wie sich Samuel meiner Ritterburg nähert.

»Wehe!«, kreische ich unter dem Bett hervor. »Wenn du meine Ritterburg kaputt machst, kriegst du kein Abendessen!«

Samuel grinst.

»Hilf mir lieber!«, schimpfe ich und baue an einer kniffeligen Brücke, die über den Wassergraben rühren soll. Eine Zugbrücke werde ich nicht hinbekommen.

Max klettert mir auf den Rücken. »Hüh!«, ruft er und klatscht mir mit einem Plastikkochlöffel auf den Hintern.

Missmutig schüttele ich ihn ab. Da bricht die grüne Brücke zusammen. »Neiiin!« Aber ich lasse mich nicht unterkriegen und baue aufs Höchste angespannt eine neue Brücke. Diesmal wähle ich dickere Bausteine für die Basis.

»Komm, Max!«, höre ich Samuel sagen, »lass die Mama in Ruhe spielen!«

Genau, lasst mich mal kurz in Ruhe. Ich habe nämlich die Brücke gleich fertig, und dann muss ich noch ein bisschen an der Höhe der Ritterburg arbeiten. Eine stolze Festung wird das! Und so schön bunt. Endlich bin ich fertig. Toll! Ich bin begeistert.

»Guckt mal!«, rufe ich den Jungs zu, die in der anderen Ecke des Zimmers liegen und geräuschlos Autos hin und her schieben.

Aber sie gucken gar nicht.

»Jetzt guckt doch mal!«, rufe ich wieder. »Ist das nicht die tollste Ritterburg, die ihr jemals gesehen habt?«

»Spielst du jetzt endlich mit uns?«, fragt Samuel.

»Das tue ich doch schon die ganze Zeit!«, rufe ich und hole mir den kalt gewordenen Kaffee vom Schrank runter.

»Nee«, meckert Samuel. »Du baust ganz allein, und wir dürfen dich nicht stören.«

»Ich mache jetzt das Abendessen«, antworte ich pikiert. Als ich in der Küche bin, höre ich, wie aus dem Kinderzimmer das Geräusch einer zusammenfallenden Ritterburg dringt. Dann ist Totenstille. Und kurz darauf erklingt verschworenes Brüdergekicher. Wenigstens sind sie sich jetzt einig.

Diese Teufel! Meine schöne Ritterburg! Aber ich kann ja morgen eine neue bauen. Am besten, wenn die beiden Jungs im Kindergarten sind. Denn dann macht sie mir wenigstens keiner kaputt …

5
Was soll ich bloß anziehen?

Wenn ich mich für einen netten Ausgeh-Abend vorbereite und in Unterwäsche vorm Kleiderschrank stehe, habe ich meistens nicht das berühmte Problem des »Ich habe nichts anzuziehen« …

Was mich jedes Mal wieder ungemein mitnimmt, ist die Frage: »Was ziehe ich überhaupt an?« Denn nichts ist so daneben, wie auf einer legeren Party im schwarzen Abendkleid dazustehen oder auf einer piekfeinen Gesellschaft in Jeans und T-Shirt. Beides ist mir passiert …

»Was soll ich anziehen?«, fragte ich also neulich meine Freundin Jana, die uns zu ihrer Wohnungseinweihung eingeladen hatte.

»Ach, nichts Besonderes«, antwortete sie. Okay. Also vielleicht dieses hellblaue Twinset und dazu eine graue Hose? Ich war sehr zufrieden mit meiner Wahl. Ich hängte mir noch eine zweireihige Perlenkette um und kam mir eine halbe Stunde später, als ich in Janas neuem Wohnzimmer stand, wie meine eigene Großmutter vor.

Um mich herum tummelten sich schräg gekleidete Gestalten. Das Konservativste, was ich an diesem Abend ausmachen konnte, war ein Minirock mit Bauchfrei-T-Shirt. Unauffällig ließ ich die Perlenkette in die Handtasche gleiten, aber das änderte nicht wesentlich viel an meinem Oma-Look. Also sahen Robert und ich zu, dass wir bald wieder nach Hause kamen.

»Das passiert mir nicht wieder!«, schwor ich mir. Und als ich bei der nächsten Einladung auf meine Frage, was ich anziehen soll, zu hören bekam: »Ach, nichts Besonderes!«, da knotete ich mir eine fransige Bluse über dem Bauch zusammen und zwängte mich in meine hautengste Printhose. Nun, Sie ahnen es bereits: Edel gekleidete Damen mit mehrreihigen Perlenketten am Hals übten sich in gedämpfter Konversation und warfen mir schräge Blicke zu. Ich entdeckte das ein oder andere hellblaue und mintgrüne Twinset, klassisch geschnittene Hosen und gerade Röcke. Ich hatte zwar noch die zweireihige Perlenkette vom letzten Mal in der Handtasche, aber die würde mich nicht retten. Nervös zog ich die Fransen über meinem nackten Bauch in die Länge und verließ wenig später unter Vortäuschung heftigster Kopfschmerzen die Feierlichkeit.

Als meine Freundin mich in einen todschicken Club mitschleppte und vorher sagte: »Brezel dich ein bisschen auf!« – da war ich umgeben von Leuten, die betont lässig gekleidet waren und mich musterten wie einen schillernden Paradiesvogel.

Selbst neulich, auf Tante Ruths Kaffeenachmittag, habe ich es geschafft, falsch gekleidet zu sein. Ich trug ein Jeanskleid mit Seidentuch und fand mich klassisch zeitlos, mit einem Hauch sportlich-unkompliziert. »Hättest dich ja mal ein bisschen netter zurecht machen können!«, rügte die Tante mit gespitzten Lippen, und ich dachte bedauernd an mein hellblaues Twinset, das sich zu Hause im Kleiderschrank langweilte.

Vor kurzem waren Robert und ich auf eine Achtziger-JahreParty eingeladen. »Verkleidet euch«, warnte uns der Gastgeber.

»Achtziger«, murrte Robert, der sich nicht gern verkleidet, »das war doch gerade erst!«

»Das ist zwanzig Jahre her«, erinnerte ich ihn und bekam selbst einen Schreck, als ich darüber nachdachte. Das war meine Jugend! Inzwischen so lange her, dass man lustige Shows darüber im Fernsehen bestaunen kann, so kurios und ewig weit weg ist das alles.

Also her mit Schulterpolstern, Stulpen und mit »St-St-Stu-dio-Line« fest betonierter Föhnwelle. So richtig schön blöd sahen wir am Ende aus, so blöd wie vor zwanzig Jahren – nur älter, aber auch schlauer. Ganz so schlau dann leider doch wieder nicht! Denn wenig später stellten wir fest, dass wir die Einzigen waren, die sich verkleidet hatten. Die anderen Gäste trugen hübsche Mode aus der aktuellen Frühjahrskollektion 2003. Robert und ich gingen bald nach Hause, legten »Modern Talking« auf und feierten unsere eigene »Achtziger-Jahre-Party«.

Aber was lernt man daraus? Dass man immer ein mittelgroßes Köfferchen mit Ersatzkleidung mit sich führen sollte?

Meine Tochter Sanne wollte letztens für einen Kindergeburtstag ihr glitzerndes Prinzessinnenkleid anziehen, das eigentlich ein abgelegtes, abgeschnittenes Abendkleid von mir ist. Ich riet ihr dringend ab. »Alle Kinder werden ganz normal angezogen sein«, sagte ich eindringlich.

»Na und?«, gab sie schulterzuckend zurück und rauschte wenig später im ausrangierten, leicht zerbeulten Abendkleid ihrer Mutter auf die Feier.

Ich sollte Recht behalten: Alle anderen Kinder trugen Latzhosen und Jeans.

»Ich habe Wechselkleidung im Auto«, flüsterte ich Sanne ins Ohr. Aber sie sah mich erstaunt an. »Wieso?«, antwortete sie. »Ich bin doch hier die Allerschönste!«

Und dann entschwebte sie selbstbewusst und amüsierte sich köstlich. Vielleicht sollte man lieber etwas daraus lernen? Vielleicht war ich im Club mit meinem Paillettenkleidchen ja auch die Allerschönste und darum haben mich alle so angeguckt?

Laut Sanne muss es so gewesen sein …

6
Nusstorte ist so lecker

Was tut man nicht alles für sein Wohl? Oder tut man es nicht vor allem für die anderen …

Weil es sich gut anhört zu sagen: »Ich jogge jeden Morgen von 6 bis um 7 Uhr, dann dusche ich kalt und meditiere anschließend bei einer Tasse grünem Tee.« Wer zugibt, dass er einfach lieber Käsesahnetorte isst als gedünsteten Chinakohl, der wird schief angeguckt. Vom Rauchen soll hier erst gar nicht die Rede sein.

Meine Freundin Sandra schaute mich letztens ganz besonders schief an, als ich offen zugab, dass ich weder Mitglied in einem Fitness-Studio bin noch ständig irgendeine Diät mitmache.

»Ich bin einfach ein ganz normaler Mensch«, versuche ich ihr klar zu machen.

»Kein Sport?«, fragt sie ungläubig.

Ich überlege heftig. »Ich stemme jeden Tag 16 Kilo schwere Söhne durch die Gegend und schleppe Einkaufstaschen die Treppe hoch und Mülltüten die Treppe runter!«

Sie schüttelt den Kopf. »Wie ernährst du dich?«

»Indem ich esse«, antworte ich gelassen.

»Und was?«, bohrt sie unerbittlich und reißt die Kühlschranktür auf. Sie tippt an ein Glas Mayonnaise. »So was isst du doch wohl nicht?«

So langsam mag ich mich in meiner eigenen Küche nicht mehr fühlen wie ein Schwerverbrecher.

»Natürlich esse ich die Mayonnaise, oder glaubst du, ich benutze sie als Haarfestiger?«, meckere ich. »Mir schmecken Pommes eben besser mit Mayonnaise.«

»Tanja!«, ruft sie entsetzt. Habe ich etwas Obszönes gesagt?

»Du musst deinen Darm sanieren! Du musst Diät machen, kein Zucker, kein Fett, kein Alkohol, du musst …!« Sandra kriegt hektische rote Flecken am Hals. »Gleich morgen beginnst du zu fasten!«

»Ha?« Ich habe mich wohl verhört? Morgen kommt meine Schwiegermutter zu Besuch und bringt ihre berühmte Nusstorte mit.

Sandra plappert unermüdlich weiter, von Abführsalz und Einläufen ist die Rede. Damit sie endlich den Mund hält, verspreche ich ihr, gleich am morgigen Tag mit dem Heilfasten zu beginnen. Ganz unter uns: Ich habe natürlich nicht vor zu fasten, ganz zu schweigen davon, mir einen Einlauf zu machen.

Ob man es mir ansieht, wenn ich lüge? Sandra ist jedenfalls nicht überzeugt von meinen Versprechungen und hält mir einen weiteren Vortrag über die »Reinheit von Körper und Geist« und von »Geistesblitzen und Glücksgefühlen«, die über mich hereinbrechen werden.

Das hört sich schon interessanter an. Den einen oder anderen Geistesblitz könnte ich gut gebrauchen.

»Also gut«, höre ich mich sagen. »Ich fange morgen an!«

»Schwör es!«, ruft Sandra. Ich schwöre kleinlaut und mache mich auf den Weg in die Apotheke, um mir Glaubersalz und – einen Einlauf zu kaufen. Irre ich, oder grinst mich der Apotheker an? Na, der kann nur neidisch sein auf meine Glücksgefühle, die schon Schlange stehen, um in mein Leben zu treten.

Leider ist am nächsten Tag nicht das kleinste Gefühlchen anwesend. Mein Magen knurrt mich wütend an, mein Kreislauf lechzt nach Kaffee, Frühstück und Mittagessen. Ich schütte Mineralwasser und lauwarmen Tee in mich hinein und fühle mich elend. Glaubersalz und Einlauf liegen unberührt auf dem Küchentisch. Mir egal. Ich habe Hunger! Schlecht gelaunt setze ich mich auf das Sofa und warte auf ein Glücksgefühl. Stattdessen klingelt das Telefon. Es ist Sandra, die sich nach meinem Wohl erkundigt.

»Alles bestens!«, lüge ich, denn am Telefon kann man es mir ja nicht ansehen. Als ich aufgelegt habe, wird mir schwindelig. Da haben wir es! Der verhungerte Körper rebelliert. Auf dem Fußboden liegt eine fast leere Chipstüte, die die Kinder liegen gelassen haben. Da sind noch Krümel drin. Ich nehme sie zwischen die Fingerspitzen und blicke mich um. Keiner wird es je erfahren …

Ich mache den Mund auf und lasse mir die salzigen Krümel auf der Zunge zergehen. Was für ein Genuss, was für ein Hochgefühl. Endlich ein erstes Glücksgefühl! Gleich darauf ein Geistesblitz: Ich mag nicht fasten! Soll doch fasten, wer will. Ohne mich!

Doch was ist mit dem Schwur?

Während ich mir ein Wurstbrot einverleibe, arbeitet auch mein Gehirn wieder mit ganzer Kraft und lässt mich wissen, dass ich meinen Schwur ja gar nicht gebrochen habe, denn ich habe ja heute angefangen zu fasten. Dass ich heute auch wieder damit aufhören würde, ist ein ganz anderes Thema.

Sofort überwältigt mich ein außerordentliches Gefühl der Erleichterung. Als ich mir am Nachmittag mit der Schwiegermutter und den Kindern die Nusstorte schmecken lasse, kommt auch Sandra vorbei.

»Du hast noch Kuchen am Mund!«, sagt sie vorwurfsvoll. Dann kichert sie plötzlich: »Ich habe es auch nicht geschafft«, gibt sie zu, und nach einem großen Stück Nusstorte nehmen wir uns vor, in der nächsten Woche gemeinsam nach Plan zu fasten.

Aber schwören werde ich Ihnen bestimmt nichts!

7
Viele Gäste verderben den Brei

Neulich, da hatte mein Mann seine Arbeitskollegen zu einem zwanglosen Abendessen zu uns nach Hause eingeladen.

»Ganz privat entspannt«, erklärte er mir mit angestrengtem Gesichtsausdruck, »aber eben perfekt professionell!«

Am Freitagabend sollten sie kommen, und ich zerbrach mir die ganze Woche den Kopf, was ich koche. Als Vorspeise Suppe und zum Nachtisch Tiramisu, so viel wusste ich bereits. Den Hauptgang wollte ich ganz spontan aus dem Bauch heraus entscheiden.

Der Freitag kam, und mein Bauch hatte nichts entschieden. Also machte ich mich zuerst an die Vorbereitung der Suppe. Als ich dabei war, Champignons und Brokkoli zu zerschnipseln, rief die Kindergärtnerin an und unterrichtete mich mit vorwurfsvollem Unterton, dass meine Söhne Fieber hätten und abgeholt werden müssten. Da wusste ich, dass es ab jetzt nicht mehr sehr entspannt laufen würde.