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Termine, Termine, Termine!

So lautet neuerdings die Umschreibung für meinen alltäglichen Wahnsinn. Der Ablauf ganz normaler Tage birgt nämlich eine Vielzahl auf mich einstürmender Herausforderungen …

… denen ich mich spontan zu stellen habe. Oder wie würden Sie es bezeichnen, wenn Sie morgens Butterbrote schmieren, dabei die Englischvokabeln der Tochter abfragen, den einen Sohn (auf Deutsch) ausschimpfen, weil er Unflätiges von sich gibt, den Hund beschimpfen (egal, welche Sprache), weil er wieder klammheimlich auf dem Sofa übernachtet hat. Sich vornehmen, die Schwiegermutter anzurufen, dringend einen Schluck Kaffee brauchen, sich den Kopfzerbrechen, worüber – um Gottes Willen – Sie eine Geschichte schreiben werden und schließlich … Aber halt! Um was geht es jetzt eigentlich gerade? Wie lautete der Anfang dieses Satzes? Nicht, dass Sie jetzt meinen, ich wäre nicht gut organisiert. Ha! Ha! Da kann ich nur lachen. Ich bin die Großmeisterin der Organisation.

Nehmen wir den gestrigen Tag als Beweis. Ich stehe, wie bereits beschrieben, morgens in der Küche, mit einigen Handgriffen beschäftigt, nichts Besonderes. Ich bin routiniert, ich bin eine alte Häsin.

»Hallo«, unterbrach Robert meinen selbstsicheren Gedankenfluss. »Schläfst du etwa im Stehen?«

Nun ja, so muss es tatsächlich ausgesehen haben, in Wahrheit habe ich aber natürlich an all die Termine gedacht, die mich an diesem Tag erwarten würden. Ein Logopäde für Max, ein Orthopäde für Samuel, ein Brittopäde für Sanne. Ha! Ha! Kleiner Scherz. Denn auch für muntere Heiterkeiten ist in meinem Alltag immer Platz. Was wollte ich sagen, bevor ich so lustig wurde?

Ach ja: kein Brittopäde, sondern ein netter Engländer aus dem Nachbarhaus kommt einmal die Woche zu uns, um Sannes Sprachkenntnisse ein wenig zu fördern. Was tut man nicht alles für die lieben Kleinen? Und deswegen auch jede Menge Termine.

»Von nichts kommt nichts«, sagte meine Oma immer. »Gut Ding braucht Weile«, sagte sie außerdem. Aber das scheint irgendwie verjährt. Bei mir dauert nichts eine Weile, ich bin immer auf Zack, immer unter Strom. Und rucki, zucki habe ich alles im Griff. Bei mir werden Einkaufslisten geschrieben, bevor ich einkaufen gehe. Dass ich sie eigentlich fast immer verloren habe, wenn ich im Supermarkt ankomme, soll das Thema einer anderen Geschichte sein. Bei mir machen die Kinder ihre Betten, bevor sie in die Schule gehen. Ich sage es ihnen jedenfalls täglich. Dass sie stattdessen lieber noch mit Lego spielen und vergessen, ihre Zähne zu putzen, ist nun wirklich auch wieder ein anderes Thema.

Wieso bin ich jetzt eigentlich so abgeschweift? Ich wollte etwas über den gestrigen Tag schreiben: Erst hätte ich beinahe Max beim Orthopäden abgeliefert und Samuel zum Logopäden geschleppt. Aber die Jungs haben es gleich gemerkt. Während man sich um ihre Plattfüße und Lispelzungen kümmerte, eilte ich (von wegen »Weile«) zum Bäcker, zur Post, in den Supermarkt. Zwischendurch klingelte das Handy viermal. Dreimal war es Sanne, die mir verbittert mitteilte, dass Englisch eine blöde Sprache sei.

»Oh, Daaarling, stop it, please!«, rief ich in den Hörer und kam mir bei Aldi an der Kasse ganz schön kosmopolit vor. Die Kassiererin sah mich allerdings nicht gerade andächtig an. »Macht siebenunddreißigfuffzich«, sagte sie tonlos, und ich machte mich auf die Suche nach meinem Portemonnaie. Ob es mir auf dem Postamt aus der Tasche gefallen war?

Das Stöhnen vieler Leute in der Warteschlange hinter mir missachtend, hechtete ich aus dem Geschäft, zurück zur Post. Dort fand ich mein Portemonnaie tatsächlich auf dem Fußboden wieder. Leider fehlten die Kreditkarten. Darum würde ich mich später kümmern, denn ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass meine Söhne bereits seit einer Viertelstunde abgeholt werden mussten.

Wenigstens hatte ich die Zeit sinnvoll genutzt und ein Sonnenblumenbrot gekauft.

Schlecht gelaunt wurde ich von meinen beiden Jungs empfangen. »Wo warst du denn so lange?«

»Termine«, keuchte ich, denn das klang besser, als zu sagen, dass ich einen vollen Einkaufswagen bei Aldi stehen gelassen hatte, dass mir meine Kreditkarten geklaut worden waren, und dass ich dreimal mit Sanne auf Englisch telefoniert hatte.

»Termine, Termine, Termine.« Meine neue Zauberformel. Wie heißt das auf Englisch? Dann würde es noch seriöser klingen. Businesslike. Everything under control. Ich nahm mir vor, Sannes Englischlehrer bei Gelegenheit danach zu fragen.

So viel also zum gestrigen Tag. Sie sehen selbst: Viel Unvermutetes strömte auf mich ein.

Und die Schwiegermutter hatte ich dann doch nicht angerufen. Ich musste ja noch einmal einkaufen gehen. Da fällt mir ein, dass ich die Kreditkarten besser sperren lassen sollte. Das mache ich heute. Nachdem ich Sanne zum Reiten, Samuel zum Kung-Fu und Mäxchen zu seinem Freund Karl gefahren habe.

Ich bin echt gut organisiert, selbst mit dieser Geschichte bin ich schon fertig. Alles unter Kontrolle.

2
Worüber Männer und Frauen so lachen …

Über Geschmack lässt sich bekanntlich ja nicht streiten. Und schon gar nicht über die Frage, ob ein Witz nun lustig ist – oder ob er es nicht ist …

Aber am allerwenigsten kann man über schlechte Witze lachen. Ich jedenfalls.

Neulich war ein alter Schulfreund von Robert bei uns zu Besuch, und nachdem er zwei Gläser Bier getrunken hatte, fragte er Robert, meinen allerliebsten Ehemann: »Warum schleichen Blondinen eigentlich immer am Medizinschrank vorbei?«

Robert, den ich bis zu diesem Augenblick für einen niveauvollen, intelligenten Menschen gehalten habe, prustete sofort in sein Bierglas und konnte es gar nicht abwarten, die Antwort zu hören.

»Sie wollen die Schlaftabletten nicht aufwecken!«, grölte sein Freund Eric. Ganz unter uns: Ich mag Blondinenwitze nicht besonders. Das liegt nicht nur daran, dass ich mir vor Kurzem blonde Strähnchen ins Haar färben ließ und mich damit ungemein attraktiv finde. Trotzdem musste ich kurz über den Schlaftablettenwitz schmunzeln, der war ja noch harmlos.

Nur dass Robert sich so gar nicht beruhigen konnte, erstaunte mich. Winselnd schlug er mit der Faust auf die Sofalehne und lief rot an. So komisch war es ja nun auch wieder nicht.

»Und kennst du den?«, grunzte mein Ehemann, als er wieder Luft bekam. »Was sagt eine Blondine, die bis zum Bauchnabel im Wasser steht?«

»Ha, ha, haaa«, brüllte Eric und gab sofort die Antwort: »Sie sagt … ha, ha, ha … sie sagt: ›Das geht über meinen Verstand!‹ Ha, ha, haaa!«

»Sehr witzig«, dachte ich und fuhr mir gereizt über mein goldenes Haar, in dem L’Oréals »Sommerblond Nummer 35« leuchtete. Warum lachten denn die beiden so blöd, wenn sie den Witz offensichtlich bereits kannten? Und warum entpuppte sich mein Robert plötzlich als leicht angetrunkener Blondinenwitz-Erzähler?

Fragen über Fragen - und Eric stellte gleich die nächste: »Wie bringt man eine Blondine Montag früh zum Lachen?«

Aus großen Augen starrte Robert seinen Freund interessiert an. Im Wohnzimmer war es so still, dass man das Ticken der Wanduhr hören konnte.

»Wie geht es eigentlich deiner Frau?«, fragte ich dazwischen, in der Hoffnung, das Thema diskret zu wechseln und Eric daran zu erinnern, dass seine Frau so semmelblond wie eine Schwedin ist. Ich glaube, sie ist sogar eine Schwedin.

»Scht!«, machte Robert in meine Richtung, und das fand ich richtig unhöflich.

»Wie bringt man eine Blondine Montag früh zum Lachen?« Das war die Frage, die ihn im Moment brennend interessierte und einer Antwort harrte.

»Indem man ihnen am Freitagabend einen Witz erzählt!«, krakeelte Eric, und Robert brach in seiner Sofaecke zusammen. Offensichtlich war es das Witzigste, was er seit Urzeiten gehört hatte. Aus zwei rauen Männerkehlen quoll infernalisches Gelächter. Wie? Freitagabend einen Witz erzählen? Was hatte denn das mit dem Montagmorgen zu tun?

»Nicht so laut«, mahnte ich spielverderberisch in Richtung höchst amüsierter Männerwelt.

Doch Eric hatte sich inzwischen vor Lachen über seinen eigenen Witz am Bier verschluckt und hustete grunzend vor sich hin, und Robert winselte wieder in die Sofalehne. Ich sah seine Schultern zucken. Mit tränennassem Gesicht blickte er endlich auf.

»Warum steht eine Blondine im Hamburger Hafen und wirft Steine ins Wasser?«, keuchte er hochrot. Na, das würde mich nun aber auch interessieren. »Weil …, röchelte Robert. »Weil da ein Schild steht: Deutsche Werft!«

Nun hatte ich genug. Das war doch wirklich nicht besonders lustig.

»Ich gehe jetzt ins Bett«, informierte ich die Männer hoheitsvoll.

»Dann erzähle ich dir noch den Witz mit der Blondine, die …, flüsterte Eric Robert ins rot brennende Ohr. Auf einmal kamen mir die beiden vor, als wären sie noch die Grundschüler von damals, die bis auf ein paar Blondinenwitze nicht viel dazugelernt hatten. Am nächsten Tag litt Robert unter Kopfschmerzen, und er tat mir kein bisschen Leid. Am Abend hatte ich drei Freundinnen eingeladen, wir wollten ein bisschen Sekt trinken und Spaß haben. Alles mit Niveau natürlich.

Nachdem wir uns über Deutschlands politische Lage und die neuesten Bücher ausgetauscht hatten, wurde die zweite Flasche Sekt geöffnet, und Sabrina rief fröhlich: »Wie nennt man einen Mann der 90 % seiner Denkfähigkeit verloren hat?«

Erwartungsvoll lauschten wir anderen. »Ha, ha, haaaaaa! Einen Witwer!«, kreischte Sabrina, und dann wurde gelacht, dass die Wände wackelten.

»Was sagt ein Mann, der bis zum Bauchnabel im Wasser steht?«, fragte Dagmar mit sich überschlagender Stimme.

Ich bekam kaum Luft, so witzig war das alles. »Das geht über meinen Verstaaaand!«, kreischte ich begeistert.

»Ach du liebe Güte«, murrte Robert, der sich kurz zu uns gesetzt hatte, vollkommen humorlos.

»Und warum schwitzen Männer immer so stark zwischen zwei Orgasmen?«, wollte Marie nun wissen. Ich sah Robert rückwärts in Richtung Tür verschwinden.

»Weil ein ganzer Sommer dazwischen liegt!«, brüllte Marie begeistert, und das gackernde Gelächter aus vier Frauenkehlen vertrieb meinen Mann endgültig.

Wie ich bereits am Anfang sagte: Jeder lacht an anderer Stelle. Und was ist der Unterschied zwischen einer geschälten Banane und einem Mann auf einem Fahrrad? Ha, ha, ha! Das beantworte ich Ihnen ein anderes Mal …

3
Die großen Tricks der kleinen Babys

»Ach, kleine Babys sind so süß!«, seufzte ich entzückt bei meiner Freundin Barbara, die ihre einjährige Tochter Kim auf dem Schoß hielt. »Ja, ja«, sagte Barbara müde, »aber sie sind auch ganz schön anstrengend …«

Diesen letzten Satz überhörte ich, weil ich gerade Kims dickes, kleines Händchen streichelte und ein Stofftierchen darauf tanzen ließ.

»Ach«, seufzte ich wieder. »In diesem Alter sind Kinder doch so goldig.« Sie müssen noch keine Schularbeiten machen, wollen nicht zum Fußballtraining gefahren werden, haben keine Trotzphasen. Kurz: Sie sind einfach nur zauberhaft.

»Na, du als dreifache Mutter hast ja auch Erfahrung«, erwiderte Barbara.

»Ja«, dachte ich stolz, »die habe ich allerdings«, und irgendwie muss mir dieser Gedanke zu Kopf gestiegen sein, denn als Barbara mich wenig später fragte, ob ich Klein Kim nicht mal übers Wochenende hüten könnte, sagte ich ohne nachzudenken: »Ja, klar!«

Am folgenden Sonnabend traf Kim bei uns ein. Sie reiste mit großem Gepäck: Taschen voller Windeln, Kuscheltiere, Nuckelflaschen standen plötzlich im Flur herum. Barbara hatte sich schnell verabschiedet, um ins Wellness-Wochenende abzureisen, was Kim gar nicht weiter berührte. Sie grinste mich an, sabberte ein bisschen auf meinen Teppich und kroch dann mit beachtenswerter Schnelligkeit auf allen vieren davon. Ich folgte ihr in die Küche, wo sie gerade zwei ihrer nassen Finger in die Steckdose bohrte. Und urplötzlich fiel es mir wieder ein: Babys sind nur deswegen so niedlich, weil man sonst vor lauter Anstrengung durch Übermüdung einfach alles stehen und liegen lassen würde. Das hat Mutter Natur sehr tückisch so eingerichtet.

Was sie offensichtlich auch – noch heimtückischer – eingerichtet hat, ist die Tatsache, dass selbst erfahrene Hasenmütter nach nur wenigen Jahren vergessen haben, wie es ist, den ganzen Tag hinter einem Kleinkind herzurennen Und sich, geblendet von der süßen Niedlichkeit, fragen, ob man nicht doch noch einmal – ein letztes Mal –, bevor es zu spät ist …

Diese Frage stellte ich mir nun nicht mehr. Denn nachdem ich Kim vor einem Stromschlag bewahrt hatte, bemerkte ich den üblen Geruch, den sie verströmte. Wie konnte ein so süßes Kind so entsetzlich stinken? (Fragen Sie Mutter Natur!)

»Hier stinkt’s!«, rief mein kleinster Sohn Max, der gerade in die Küche schlenderte, gefolgt von Samuel und Sanne.

»Was ist das?«, fragte Samuel und zeigte auf Kim.

»Das ist ein Baby«, rief ich genervt und versuchte, Kim unter dem Küchentisch hervorzuangeln.

»Ist es das, was so stinkt?«, wollte Sanne wissen.

»So hast du auch mal gerochen«, meckerte ich und bekam Kims Fuß zu packen.

»Niemals«, widersprach Sanne mit arroganter Miene und verzog sich in ihr Zimmer.

»Wenn die nicht mehr so riecht, können wir mit ihr Memory spielen«, bot Samuel mir an, dann verschwanden auch die Jungs, und ich beförderte Kim zu Tage, was sie mit einem undankbaren Geheul quittierte. Kurz darauf versuchte ich, ihr die Windel zu wechseln, und ich muss gestehen, dass ich aus der Übung war. Kim kreischte in schrillsten Tönen und wehrte sich mit aller Kraft gegen eine neue Pampers. Mir brach der Schweiß aus. Drei Windeln klebten auf meinem Handrücken oder auf dem Fußboden, aber nicht an Kinns Po.

Erst beim vierten Versuch stellte ich mich geschickter an. Kim heulte dennoch immer weiter, sie schien mir einiges zu verübeln und warf einen Schnuller nach mir. Wenig später kam Robert, der liebste Ehemann, ins Wohnzimmer, in dem Babyspielzeug, Krabbeldeckchen und Stapel von Windeln verteilt waren. Kim saß auf meinem Schoß und kaute nachdenklich an meinen Haaren, während ich kurz meine Augen geschlossen hatte, um meinen Kreislauf zu stabilisieren.

»Ihr seht aber niedlich aus, ihr zwei«, murmelte Robert.

»Das täuscht«, knurrte ich. »Es sieht nur so aus, in Wirklichkeit ist es Knochenarbeit.«

»Ach«, murmelte Robert und hatte meine Aussage wohl vollkommen überhört. In diesem Alter sind Kinder doch zu niedlich!«

Ich versuchte ihm klarzumachen, dass Mutter Natur ein ganz listiges Weib ist, aber er hörte gar nicht zu und nahm Klein Kim auf den Arm. Aus blauen Engelsaugen lachte sie ihn an.

»Hach«, seufzte Robert wieder. »Da könnte man doch glatt noch einmal darüber nachdenken, ob man nicht selbst …« Fragend blickte er mich an, und in seinen Augen flimmerte ein merkwürdiges Licht, das so aussah, als wollte es noch mehr Leben in die Welt setzen. Am liebsten auf der Stelle.

»Spinnst du?«, rief ich panisch, und »La, le, lu« singend verließ Robert mit Kim auf dem Arm das Wohnzimmer, um ihr auf dem Balkon die Stiefmütterchen zu zeigen. Was hatte ich da bloß heraufbeschworen?

Wenig später klingelte das Telefon. Es war Barbara, die wissen wollte, wie alles lief. »Bestens«, rief ich betont munter.

»Würde es dir etwas ausmachen, wenn ich Kim doch wieder abhole?«, fragte Barbara mit zitternder Stimme. »Sie fehlt mir so.«

Mein Herz machte einen erleichterten Sprung, und so kam es, dass Klein Kim bereits eine Stunde später das Feld wieder geräumt hatte. Zurück blieb ein trauriger Robert, der gedankenverloren in die Stiefmütterchen starrte. Ich werde ihn mal bei Barbara zum Windelwechseln vorbeischicken, dann fällt ihm vielleicht wieder etwas ein!

4
Kinder und Kino? Das geht nicht…

Mit Kindern etwas zu unternehmen ist oft ein großes Abenteuer. Jeder Spaziergang durch den Park ähnelt einer Dschungelexpedition.

Der Gang in den Supermarkt wird zur Meuterei auf der Bounty. Und der Besuch bei Tante Martha erscheint mir (oder ihr?) wie die Invasion feindlicher Truppen. Neulich saß ich mit meinen drei aufgeregten Kindern, drei Bechern Popcorn und drei Flaschen Limonade in einem brechend vollen Kinosaal, und als das Licht ausging, fing diese Geschichte an …

»Pssst! Es geht los!«, zischte ich. Dasselbe zischten schätzungsweise dreiundneunzig andere Eltern und hatten ähnlichen Erfolg damit wie ich, denn eine noch größere Unruhe machte sich breit. Hinter mir stieß irgendein Kinderfuß rhythmisch gegen meine Rückenlehne, neben mir wollte Mäxchen auf den Schoß. »Weil es ja so dunkel ist«, lispelte er feucht in mein Ohr.

»Es ist im Kino immer dunkel«, gab ich zurück, doch er war bereits mit Popcorntüte, Limoflasche und eigens von zu Hause mitgeschlepptem Rucksack auf meinen Schoß gezogen und wollte nicht wieder runter.

Im Gegenteil: Aus dem Rucksack wurde noch Schlappi gezogen, das ist sein Kuschelhase, und in die Höhe gehalten.

»Hase runter!«, flüsterte ich.

»Der sieht doch sonst nichts!«, erwiderte Max empört und hinter mir schlugen inzwischen zwei Füße in meinen Rücken.

Gereizt drehte ich mich um. »Würden Sie bitte Ihrem Kind sagen, dass es still sitzen soll?«, fragte ich die Mutter des Trommlers.

»Nur wenn Ihr Kind den Plüschhund runternimmt!«, zickte sie mich an.

»Das ist ein Hase«, antwortete ich pikiert.

»Ruhe, bitte!«, rief ein Vater von vorn.

»Schlappi will jetzt sowieso lieber etwas essen«, informierte mich Mäxchen freundlich und stopfte den Hasen in die Popcorntüte.

Dabei ging leider die Limonadenflasche zu Boden, ich spürte wie meine Füße feucht wurden. Hastig setzte ich den protestierenden Max mitsamt Schlappi in der Tüte ab und ging auf Tauchstation.

Doch neben einem ausgespuckten Kaugummi und zwei Bierdosen fand ich nur noch eine leere Flasche wieder, wobei ich nicht sicher war, ob es überhaupt unsere war.

»Nun setz dich doch endlich mal ruhig hin«, rügte mich meine Tochter, als ich wieder hochkam.

»Ich habe Durst!«, jammerte Max.

»Jetzt nicht«, keuchte ich und ließ mich in meinen Sessel fallen.

»Wer ist denn eigentlich diese Marianne?«, fragte mich Samuel und deutete auf die Leinwand.

»Was für eine Marianne?« Erschöpft schloss ich kurz die Augen. In meinem Rücken pulsierten zwei Kinderfüße.

»Hast du denn nicht aufgepasst?«, zischte Sanne. »Das ist doch die Tante von Saskia, der das schöne weiße Pferd gehört!«

»Ah ja«, sagte ich und versuchte, mich auf den Film zu konzentrieren, was schwierig war, denn das kleine Mädchen in der Reihe vor uns hatte sich umgedreht und starrte mir interessiert ins Gesicht.

»Hallo, du!«, sagte sie. Offensichtlich verfolgte ihr Vater die Geschichte von Tante Marianne und Saskia zu gebannt, um seine Tochter zu zügeln. »Hallo«, sagte Mäxchen nicht gerade leise. »Hast du auch Popcorn?«

»Ruhe!«, meckerte wieder die zickige Mutter von dem Trommelkind hinter mir.

»Könnte Ihr Kind bitte endlich mal still sitzen?«, rief ich viel zu laut und drehte mich wutentbrannt um.

»Und könnte Ihr Kind endlich mal leise sein und dieses Plüschtier runternehmen?«, meckerte sie.

»Psssssssssssssssst!«, wurde gezischt, denn offensichtlich hatte auf der Leinwand das Schicksal die arme Saskia gerade besonders hart getroffen, und ihr weißes Pferd sollte verkauft werden. Neben mir schluchzte Sanne empört auf.

»Mäxchen!«, wisperte ich. »Nimm Schlappi endlich runter.«

»Schlappi küsst gerade Diddl-Maus«, informierte mich das kleine Mädchen aus der Reihe vor uns.

»Würdet ihr euch jetzt bitte den Film ansehen!«, flüsterte ich etwas lauter. »Sonst gehen wir auf der Stelle nach Hause!«

»Ach, darf ich mit zu euch?«, freute sich das kleine Mädchen. Ihr Vater stierte auf die Leinwand. Zu sehr nahm ihn Saskias Leidensgeschichte mit. Gerade wieherte das weiße Pferd so traurig.

»Ich muss mal aufs Klo«, ließ mich Samuel in diesem ergreifenden Augenblick wissen.

»Das kann nicht wahr sein«, stöhnte ich.

»Ganz, ganz schnell«, wimmerte er. Panisch schob ich mich also mit dem zappeligen Samuel an siebzehn besetzten Kinostühlen vorbei, trat dabei auf viele Füße, erreichte die Toilette. Und während sich Samuel erleichterte, blickte ich in den Spiegel und sah eine zerraufte Mutter im Einsatz, auf deren T-Shirt noch ein paar Popcornflocken hafteten. Außerdem klebten meine Füße von der verschütteten Limonade. Wenig später saß ich wieder im Kinosessel. Schlappi und Diddl-Maus tanzten Walzer, hinter mir wurde getrommelt, Samuel hatte Durst, Sanne wurde schlecht, dazu heulte ein Kleinkind, und ich bekam Kopfweh. Um es an dieser Stelle kurz zu machen: Saskia bekam ihr weißes Pferd zurück. Wohin die böse Tante Marianne dann letztlich ausgewandert ist, kriegte ich nicht mehr mit, weil ich mich mit der Mutter hinter mir streiten musste.

Aber Mäxchen hat jetzt eine neue Freundin, denn mit dem kleinen Mädchen in der Reihe vor uns haben wir nach der Vorstellung Telefonnummern getauscht. Und auch Schlappi freut sich schon auf den Besuch von Diddl-Maus. So kommt auch diese Episode zu ihrem Happy End …

5
Warum bin ich nur so höflich?

Ist es nicht manchmal besser, ein paar kleine Unwahrheiten von sich zu geben, einfach um des lieben Friedens willen?

Sollte ich der besten Freundin wirklich sagen: »Dein neuer Lover ist ja nicht gerade ein helles Köpfchen!«? Ganz zu schweigen von den vielen Dingen, die man seiner Schwiegermutter zu sagen hätte!

Oder neulich Onkel Rudolph: Er saß an einem lauen Sommerabend bei uns auf dem Balkon, trank Weißweinschorle – und nach der dritten war er nicht mehr zu halten.

»Horcht!«, rief er, stach mit dem Zeigefinger in die Luft und starrte in den Wipfel der Blautanne, die auf unserem Hof steht. »Horcht! Das ist eine Heckenbraunelle!«

»Hä?«, murmelte Robert, der liebste Ehemann, unwirsch. »Ich dachte, das wäre eine Tanne.«

»Ein Vogel«, verbesserte Onkel Rudolph ungeduldig. »Erinnert an einen Sperling, doch der Schnabel ist feiner. Die Heckenbraunelle ruft ›stiiiiih stiiiiih‹.«

»Hat Onkel Rudolph Bauchweh?«, fragte meine Tochter Sanne besorgt.

»Stiiiiih«, wiederholte Onkel Rudolph mit hervorquellenden Augen, und hätte ich da nicht besser »Halt den Schnabel!« rufen sollen, anstatt Ausschau nach einer Braunelle in einer Blautanne zu halten?

Habe ich aber nicht, denn es wäre unhöflich gewesen. Mein Verständnis von Höflichkeit hatte allerdings zur Folge, dass uns Onkel Rudolph nun sein gesamtes fundiertes Vogelwissen unterbreitete.

»Während die Straßentaube eher ›dru-rrru-du‹ ruft, klingt es bei der Ringeltaube nach ›du-duu-du‹ …«

»Du, du, Onkel Rudolph«, unterbrach ich ihn gurrend, in der Hoffnung, es wäre ihm dann verständlicher. »Möchtest du vielleicht ein Glas Wasser?«

»Nun gut, wenn es euch nicht interessiert«, knarzte der Onkel beleidigt, und ich atmete erleichtert auf.

»Dann erzähle ich euch eben etwas vom Lanius collurio, dem so genannten Neuntöter, er ruft ›wäääd schack-schack‹ und lebt an Waldrändern, ›wääääd, wääääd‹!« Onkel Rudolph legte sich so richtig ins Zeug. Sanne begann zu kichern.

»Ja, richtig«, feuerte sie der erhitzte Onkel an. »Genauso klingt es, wenn der Karmingimpel singt. ›Tütje-hütja, widje-widje-hüü‹ … er hat ein rotes Köpfchen und einen roten Bürzel und ist in Osteuropa zu finden. ›Tütje-hütja‹ …«

Sanne bekam tatsächlich ein rotes Köpfchen. »Ich besitze keinen Bürzel«, sagte sie hoheitsvoll. »Gute Nacht allerseits und noch viel Spaß.«

Mit vielsagendem Blick zog sie sich in ihr Zimmer zurück, und ich beneidete sie. Onkel Rudolph saß im Korbstuhl wie ein Vogel im Nest und machte sich Gedanken über den Karmingimpel. Ich begann meinerseits, darüber nachzudenken, ab wann zu viel Höflichkeit in Unaufrichtigkeit ausartete.

Und dann fiel mir ein, dass ich neulich im Kaufhaus auch nicht gerade eine ehrliche Haut gewesen war – nachdem ich eine Hose anprobiert hatte, die so gut gesessen hatte wie noch nie – und dann feststellen musste, dass ich mein Portemonnaie vergessen hatte.

Was hätten Sie getan? Wenn Ihnen endlich mal eine Hose so richtig gut gefüllt und sie auch noch preisgünstig ist?

Und ganz unter uns: in Konfektionsgröße 40! Wann passt mir denn schon eine 40?

Ich habe das getan, was jede verzweifelte Einkäuferin getan hätte, ich habe die Hose ganz weit hinten, bei den Größen 48/50 »versteckt«.

Das war zwar unehrlich, aber so richtig schlimm war es wohl nicht. Außerdem vergrub ich noch eine seidene Bluse in einem Haufen reduzierter Unterwäsche und deponierte drei Spitzen-BHs unter einem Stapel langweiliger Pullover. Dann ging ich das Geld holen, und als ich wiederkam, hatte eine übereifrige Verkäuferin alles aufgeräumt. So ist mir die sagenhafte Hose in Größe 40 doch noch durch die Lappen gegangen. Vielleicht hätte ich sie einfach an der Kasse deponieren sollen? Darauf war ich gar nicht gekommen.

»Sissisisisi-siiii«, holte mich Onkel Rudolph in die Realität zurück Robert verdrehte die Augen und ließ die Flügel hängen.

›»Si siiiisi-siiii‹. So ruft das Sommergoldhähnchen«, erklärte der Onkel begeistert.

»Hast du noch Rückenschmerzen?«, unterbrach ich ihn, denn über seine Krankheiten spricht doch jeder gern.

»Nö«, schnarrte Rudolph. ›Nönööönökriiiiaaatschak-tschak‹!«

»Wir sollten ihm eine Taxe rufen«, sagte ich zu Robert

Wenig später wünschten wir einem unschuldigen Taxifahrer viel Glück und winkten erleichtert dem trällernden Onkel Rudolph hinterher, der den sehnsuchtsvollen Gesang einer Nachtigall imitierte.

»Es war die Nachtigall und nicht die Lerche«, grunzte Robert erleichtert, als das Taxi um die Ecke gebogen war.

»Als ob du das auseinander halten könntest«, gab ich zurück.

»Das werde ich wohl bald«, antwortete mein liebster Ehemann gähnend. »Onkel Rudolph hat uns nächste Woche in seinen Club der Vogelfreunde eingeladen, weil wir doch so interessiert gewesen wären.«

Sehen Sie! Das meine ich! Für meine Höflichkeit kriege ich gleich die Rechnung präsentiert.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen: »Tütje-hütja-widje-widje TSCHACK!«

6
Meine Söhne sind ganz lieb – oder?

Ich weiß ja nicht, ob alle kleinen Jungs so sind, denn ich habe ja nur zwei – aber das reicht mir schon. Die Rede ist von Schlacht-Plänen, die lautstark am Frühstückstisch diskutiert werden …

Und von Playmobil-Rittern, die in langen Reihen durch das Wohnzimmer marschieren, um im Badezimmer von mordlustigen Schlümpfen dahingemetzelt zu werden. Dabei sind letztens sogar drei Ritter ins Klo gefallen – und wer hat sie wieder herausfischen müssen? Ich!

Doch nicht nur deswegen bin ich zunehmend genervt von den kriegerischen Ambitionen meiner Söhne. Und ich habe keine Ahnung, wo sie das her haben. Bei uns zu Hause geht es friedlich zu, wir verabscheuen Gewalt, es gibt kein Kriegsspielzeug, und ich habe sogar Skrupel, eine Mücke an der Wand zu erschlagen. Wieso bombardieren sich also meine Söhne, die so liebevoll erzogen werden, abends mit Plüschtieren und Kopfkissen und schreien: »Schlachtschiff versenkt!« Wieso?

Es sind sensible Kinder, die das Krümelmonster aus der Sesamstraße gruselig finden und in der Silvesternacht heulend erwachen, weil sie solche Angst haben. In meinen Augen passt das nicht zusammen.

Neulich lud ich für den Nachmittag ein nettes, kleines Mädchen aus der Nachbarschaft ein. Sie hieß Luise, brachte drei Barbiepuppen mit, und ich hoffte, dass die einen beruhigenden Einfluss auf meine zwei Wikinger haben würden. Hatten sie aber nicht. Wenig später hingen die Barbies kopfüber von der Deckenlampe, wurden mit Legosteinen beschossen, und Luise hatte sich unter dem Bett versteckt.

»Lasst das!«, schrie ich in den Tumult und entknotete die malträtierten Barbies.

»Aber Mama!«, rügte mich Samuel. »Das sind Vampir-Barbies, und die wollten gerade Luise aussaugen!«

»Ach so ist das«, murmelte ich betroffen, denn das konnte ja keiner wissen. Da traf mich ein Legostein an der Schläfe.

»Der Ober-Vampir versucht, die Barbies zu befreien und will uns dann auch aussaugen!«, kreischte Mäxchen grimmig. Er schien den Plan durchschaut zu haben. Zerzaust blickte Luise unter dem Bett hervor.

»Ich will jetzt endlich befreit werden«, beschwerte sie sich, und bevor mich weitere Legosteine treffen konnten, verließ ich fluchtartig das Kinderzimmer, und überließ Luise und ihre Barbies einem ungewissen Schicksal.

»Legosteine sind keine Wurfgeschosse«, versuchte ich meinen Söhnen am Abend zu erklären. »Man baut damit Türme oder Häuser, aber man wirft sie nicht durch die Gegend.«

»Man kann damit machen, was man will«, widersprach Samuel altklug.

»Morgen baut ihr ein nettes Schloss damit«, befahl ich ungeduldig und hätte am liebsten mit der Faust auf den Tisch gehauen wie ein alter General und »Das ist ein Befehl!« gedonnert. Aber bei uns geht es ja wie gesagt immer friedlich und harmonisch zu. Nur nicht im Kinderzimmer …

Meinem mütterlichen Druck nachgebend, bauten Max und Samuel am nächsten Morgen tatsächlich ein Legoschloss. Sie sahen nicht begeistert aus, aber sie taten es, und ich war sehr zufrieden.

»Na, es wird doch«, dachte ich mir. Und hatte mich, wie immer, zu früh gefreut. Denn wenig später hörte ich lautes Poltern aus dem Kinderzimmer dringen.

»Attacke!«, schrie Samuel und zielte mit seinem Hausschuh auf das Legobauwerk. Mäxchen bombardierte es mit Plastikdinosauriern.

»Was macht ihr da?«, rief ich erschrocken.

»Wir stürmen die Burg!«, rief Samuel. »Dafür haben wir sie doch gebaut.«

»Ihr stürmt eure eigene Burg?«, fragte ich ungläubig.