Henner Kotte

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Vorwort

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Henner Kotte, geb. 1963 in Wolgast, Studium der Germanistik in Leipzig, Moskau, Stuttgart und Dresden, danach u. a. Arbeit als wiss. Assistent und Dozent für Deutsch als Fremdsprache. Kotte lebt seit 1984 in Leipzig und ist heute Kulturredakteur beim Stadtmagazin „BLITZ!“, seit 2001 eigene kriminal literarische Talkshow, die „Schwarze Serie“, in der Leipziger Moritzbastei. Im Mitteldeutschen Verlag erschienen „Die vermauerte Frau. Authentische Kriminalfälle aus Leipzig“ (Kriminalgeschichten 2012, 2. Auflage 2014), „Leipzig. Die 99 besonderen Seiten der Stadt“ (Literarischer Stadtführer 2013).

2014

© mdv Mitteldeutscher Verlag GmbH, Halle (Saale)

www.mitteldeutscherverlag.de

Alle Rechte vorbehalten.

Gesamtherstellung: Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale)

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2014

ISBN 978-3-95462-430-0

Ihr war, als wäre sie schon einmal in dieser Straße gewesen, aber da hatten die Häuser andere Fassaden gezeigt und die Automobile waren ganz alt. Sie sah Gudrun Holzapfel Huppekästel springen, und vor Jürgen Kleinschmidt riss sie aus, der war der Schwarze Mann. Heute kannte sie keinen Menschen, und sie verstand kein Wort. Sie versuchte zu lächeln, doch es grüßte keiner zurück. Alle Menschen schienen in Eile. Sie wollten vor den Sirenen zu Hause sein. Die Frau schaute zum Himmel. Kein Flugzeug. Die Sonne stach. Ihre Augen tränten.

Bei diesem Wetter würde es keinen Alarm geben. Die alte Frau vergaß ihre Angst. Sie lief weiter über das holprige Pflaster. Stocherte mit der Schuhspitze Zementbröckchen aus den Ritzen zwischen den Steinen. Die Buslinie trug heuer eine zweistellige Nummer. Die Bäume waren hoch und streichelten die ziehenden Wolken. Der Supermarkt hinter der Ecke des roten Hauses musste erst kürzlich fertig gestellt worden sein, sie kannte ihn nicht, obwohl sie seit Jahrzehnten im Viertel wohnte. Die Meißner hatte ihr gar nicht erzählt, dass die Quitten im Angebot hatten. Moritz liebte doch Quittengelee, sie würde für ihn welches kochen. Beate trank den Saft gern. Aber nur, wenn sie die Krumseln herausgeseiht hatte. Die alte Frau sammelte die schönsten Früchte in ihren Korb. Sie leuchteten gelb wie die Sonne. Dann betrat sie mit einem Lächeln den Laden.

Drinnen roch’s wie bei Oma. Jahrzehnte hatte sie nicht mehr bei ihr am Tisch gesessen. Das Brot fand die alte Frau versteckt zwischen Kartoffeln und flüssiger Seife. Sie drückte am Fläschchen, vom Geruch wurde ihr übel. Mutters Bettwäsche hatte nach Frühling geduftet und auf dem Laken blühte die Wiese. Federbetten hatte Mutsch sogar im Sommer überzogen. Dann hatte Oma sich aufs Bett gesetzt und ihr die Geschichte vom Rübezahl erzählt, dem Mann mit dem unendlich langen Bart. Zwischen den Klüften der oft und matt besungenen Sudeten, dem Parnaß der Schlesier, hauset in friedlicher Eintracht neben Apollo und seinen neun Musen der berufene Berggeist Rübezahl genannt, der das Riesengebirge traun berühmter gemacht hat als die schlesischen Dichter allzumal. Oma lächelte und strich ihr über die Haare. Und nun schlaf gut, mein Kind. Die Frau mit den Quitten fand im Supermarkt einen Stuhl neben der Fleischtheke, dort saßen andere Alte und aßen die schnell gekochten Menüs. Aus Edelstahlschüsseln dampfte es. Die Scheiben über der Auslage beschlugen. Sie kochte besser. So wie das Gemüse hier aussah, hatte es zu lange gegart. Sicher fehlte auch Salz. Das Mädchen hinter der Theke könnte selbst einen Teller vertragen. Von dem Wellfleisch zum Beispiel. Das daneben sah aus wie Flecke. Die alte Frau wusste, dass dieser Geruch sie an Oma erinnerte. Flecke – überhaupt, sie müsste Beate mal sagen, dass sie darauf Appetit hätte. Beate kochte immer nur null acht fuffzehn. Oma hatte die Flecke bereitet, mein Gott! Der Frau lief das Wasser im Munde zusammen. Sie würde sich eine Portion holen und stellte sich an.

„Prosze?“

„Flecke.“

Das dünne Mädchen verstand nichts. Die alte Frau wiederholte.

„Flecke.“

Die Alte musste darauf zeigen. Das Mädchen stach mit einer Gabel darein und lächelte um Verständnis. Die Frau nickte huldvoll. Sicherlich ein Aushilfsjob, der von einer Ausländerin besetzt worden war. Die kannte Flecke nicht mal, obwohl sie die im Angebot hatte. Die Frau seufzte und schüttelte ihren Kopf. Beate sagte immer, dass sie damit aufhören solle mit ihrem Lächeln, es mache sie wütend. Dabei lächelte die Frau gar nicht. Sie hatte bei Beate nichts zu lachen, und Flecke konnte die gar nicht kochen. Und hier hatten sie die am Imbiss ausliegen. Warum war sie noch nicht eher hierher zum Essen gegangen? Sie musste erneut mit dem Kopf schütteln und seufzen. Die Leute sahen sich nach ihr um. Sie lächelte und grüßte zurück.

„Trzej pięćdziesiąt.“

„Bitte?“

„Trzej pięćdziesiąt.“

Die alte Frau verstand kein Wort und reichte dem Mädchen einfach ihr Portemonnaie über die Theke. Das Mädchen stocherte mit dem Finger im Kleingeld und nahm dann einen Fünf-Euroschein aus dem Geldfach. Dann zeigte sie der alten Frau das Kleingeld und ließ es in die Geldbörse fallen. Die Alte schlurfte mit Flecke auf ihrem Teller zurück an den Tisch. Das Mädchen rief ihr hinterher und winkte mit dem Portemonnaie. Beate hätte geschimpft. Die alte Frau war froh, dass ihre Tochter nirgends zu sehen war. Was meckerte die, wo sie doch gar nichts falsch gemacht haben konnte. Beate behandelte sie wie ein Kleinkind, dabei war sie die Mutter. Zumindest gewesen. Wann hatte Beate das Elternhaus verlassen? Da hatte Heinz noch gelebt, und der lag doch schon gut zwanzig Jahre unter der Erde. Sie musste mal fragen, ob Beate das Grab pflegte. Sie konnte ja nicht mehr, seit ihr die Knie so schmerzten. Aber im Rollstuhl sitzen, das wollte sie nicht. Sie hatte sich immer zu helfen gewusst. Rollstuhl, wie hieß die Freundin von der Heidi aus den Alpen, die dann wieder laufen lernte. Marie?

Nein, wie die Flecke von Oma schmeckten die nicht. Waren das überhaupt Flecke? Die alte Frau zog mit der Gabel das Fleisch über den Teller, dann hob sie ihn sich unter die Nase. Ein paar Tropfen Soße liefen über die Knopfleiste der guten Bluse. Beate würde sie schimpfen, wenn sie den Dreck wieder rauswaschen müsste. Die Alte verrieb ihn. Es war fast nichts mehr vom kleinen Missgeschick zu sehen. Und wenn Beate was sagte, würde sie ihr entgegenhalten, wie oft sie für sie die Hemden gebügelt hatte. Hieß deren Mann Manuel oder war das der aus dem Hotel jeden Nachmittag? Klara! Ja, Klara hieß Heidis Freundin im Rollstuhl. Aber sie selbst würde niemals in einen Rollstuhl steigen. Außerdem taten ihr die Knie heut gar nicht weh. Aber Beate schleppte sie von einem Arzt zu dem nächsten. Manchmal glaubte sie, Beate sei gar nicht ihre Tochter.

Als sie kaute, war sie sicher, Omas Kochkunst doch auf der Zunge zu haben. Ja, doch, doch, so hatten die Flecke bei Oma immer geschmeckt. Sie sah den verrußten Herd in der Küchenecke. Der musste mit Holz heiß gemacht werden. Heute nannten sie die Platten Ceranfeld. Auf Felder war sie nach dem Kriege stoppeln gegangen. Jetzt lagen Quitten in ihrem Korb. Moritz hatte sie das Gelee versprochen. Hoffentlich war der nicht wütend, weil sie noch Mittag gegessen hatte. Aber Moritz war ihr immer viel lieber als Beate gewesen. Die hatte manchmal einen Ton an sich! Früher hätte sie kurz mit der Hand ausgeholt und zugeschlagen. Aber seit das mit den Knien passiert war, hatte sie nicht mal mehr dazu die Kraft. Aber die Flecke, tiptop. Oma hatte beste Kochkunst bewiesen. Sie stellte sich an der Theke an und reichte dem dünnen Mädchen den Teller zum Nachschlag.

Dann musste sie endlich nach Hause. Die Schule war sicher längst aus, und Moritz würde das Schulessen nicht geschmeckt haben. Sie würde sich den Rest Flecke einpacken lassen. Auch Moritz würden sie schmecken, denn Freund Rübezahl ist geartet wie ein Kraftgenie, launisch, ungestüm, sonderbar; bengelhaft, roh, unbescheiden; stolz, eitel, wankelmütig, heute der wärmste Freund, morgen fremd und kalt. Vor Beate und Rübezahl hatte sie Angst, die würden auf sie warten und ihr Vorwürfe machen. Das dünne Mädchen hinter der Theke gab Omas Flecke in ein Styropor-Schächtelchen, das musste die alte Frau vorsichtig tragen, damit die Soße nicht an den Seiten herauslief.

Die Frau von der Kasse stellte sich ihr in den Weg.

„Proszę Pani, zapłacić!“

Ja, sie hatte doch gar nicht vor, Seife und Quitten zu stehlen. Die alte Frau hielt der Kassiererin einen Fünfzigeuroschein entgegen. Wenn die jetzt nicht wechseln kann, fange ich an zu schreien, dachte die Alte. Aber die Kassiererin hatte schnell die Posten getippt und reichte ihr das Wechselgeld. Ein paar Pfenge rutschten ihr neben das Fach. Ein junger Mann bückte sich. Moritz. Warum hatte der denn nicht gesagt, dass er mit ihr einkaufen wollte? Nein, diese Kinder! Auch er trug ein Styropor-Kästchen. Hatte der sich seine Flecke selber gekauft?

„Ich hab doch schon welche.“

Die Alte hob ihren Beutel, um sie Moritz zu zeigen. Doch der Junge drückte sich an ihr vorbei, ohne zu sagen, wohin er noch wollte. Sicher hatte er schon wieder eine neue Freundin und keine Zeit mehr für Mutter. Jugend, seufzte die Alte und griff Seife und Quitten. Aber wo war der Beutel? Sie hatte ihn doch noch in die Manteltasche gesteckt. Dort fand sie jetzt den Lottoschein von voriger Woche. Beate hatte einen Dreier gehabt. Oder hatte ihr das Gudrun Holzapfel erzählt? Die hatte die Fehler ihrer Diktate angekreuzt und gewonnen. Hut ab!

Die Alte steckte Quitten und Flecke in ihren Mantel. Dass Soße herauslief, bemerkte sie nicht. Sie pfiff, als sie sich auf den Heimweg machte. Dort im Haus hatte der Brunner die Schuhe geflickt. Macht heute gar keiner mehr, kauft man neu. Da konnte sie Beate noch so sehr ins Gewissen reden, die schmiss das Geld zum Fenster raus. Wäre sie so sorglos gewesen, ihre Mutter hätte sie achtkantig, wo doch der Vater im Krieg war. Und die Bäume waren gewachsen. Mal sehen, ob das Herz von Jürgen Kleinschmidt noch in der Platane zu sehen war. Der war in sie so was von verliebt gewesen und hatte täglich Blumen gebracht. Aber Mutter hatte gesagt: Der verdient dich nicht! Den Kleinschmidt hatten sie ja dann auch verhaftet. Der sollte mit Kindern, ... schrecklich, ganz schrecklich.

Da kam ihr der Kleinschmidt entgegen und hatte so ein böses Gesicht wie Peter Lorre. Die alte Frau konnte nicht schreien. Ein Zweiter hielt ihr von hinten seine Hand auf den Mund. Die Quitten fielen ihr aus dem Mantel und rollten über die Straße in das Huppekästel von Gudrun Holzapfel. Die alte Frau fiel. Jetzt schmerzten die Knie. Aber die Fußtritte in ihren Bauch taten mehr weh. Dann traf sie Kleinschmidts Stiefel frontal ins Gesicht. Ihr Gebiss brach und rutschte zwischen den Lippen aufs Pflaster. Sie hörte Beate schreien, oder sie war es selbst. Der Kleinschmidt mit seinem Kumpan droschen weiter auf sie ein und durchsuchten den Mantel. Dabei hatte sie die fünfzig Euro gerade gewechselt. Sie hielt ihnen das Fläschchen mit Seife entgegen, wenn sie das haben wollten, bitte. Sie konnte neue kaufen, gab sie jetzt ja in zig Kombinationen Holunder-Mango, Erdbeer-Vanille, Krokant mit Schokosplittern. Lecker. Die Jungen übersahen die Seife und fingerten an ihrem Hals. Die Luft blieb ihr weg. Das Goldkettchen riss unter ihren Händen. Das einzige, was ihr von Oma geblieben war. Und die Flecke würde der Moritz gar nicht mehr essen können, die lagen im Dreck. Sie spürte die Brocken in ihrem Mund. Dann traf sie von hinten der Absatz vom Stiefel. Die alte Frau verlor das Bewusstsein. Die Jungen hörten erst auf, als ihr Blut die Löcher vom Gulli im Rinnstein erreicht hatte.

1.

Er war enttäuscht. Seine Amtseinführung hatte er sich feierlicher vorgestellt. Mit Fanfaren links, rechts, und er in der Mitte bekam den Blumenstrauß von der attraktivsten Kollegin in die Hände gedrückt. Danach Küsschen auf beide Wangen, wie es bei der Tour de France üblich war. Und das Publikum applaudierte und wollte gar nicht mehr aufhören in die Hände zu klatschen. Hochrufe wären zu hören. Die attraktivste Kollegin hieß seiner Meinung nach Manderley und hatte angolanische Vorfahren. Aber als sich der neu berufene Kriminaldirektor im Raum umsah, entdeckte er weder Manderley noch den Oberbürgermeister noch die Fanfaren. Vereinzelt standen Menschen im Saal und grüßten ihn schüchtern. Aber noch hatte die Zeremonie nicht begonnen. Thorst Schmitt hatte Hoffnung.

Im großen Besprechungsraum waren die Stühle zur Seite geräumt worden. Stehtische hatte man aufgestellt und mit weißen Laken umspannt. Das Sonnenlicht machte den Staub in der Luft kenntlich. Wahrscheinlich hatte die Reinigungsfirma gerade über die Auslegware gesaugt. Ein schmuckloses Buffet war unter den Fenstern aufgebaut worden. Darauf lagen Ananasscheiben und gegrillte Hühnerflügel. Dahinter stand die dicke Frau aus der Kantine in der blauweiß karierten Schürze, die über ihrer Brust spannte. Sie nickte ihm zu und hob einen Deckel vom Topf. Darin dampfte Bockwurst. Kartoffelsalat stand in drei großen Schüsseln daneben. Ein handgeschriebener Zettel pries: hausgemacht. Die wenigen bisher erschienen Gäste hatten von Thorst Schmitts Auftritt kaum Notiz genommen. Dominic Bleicher, der Pressesprecher hielt diskreten Abstand, als wolle er Schmitt unter Kontrolle behalten. Der Stadtdezernent für Inneres musste sich räuspern, es klang, als würde er kotzen. Dann reichte er ihm die Hand. Das brachte kurzzeitige Aufmerksamkeit der Anwesenden und wohlwollendes Lächeln.

Oberkommissarin Agnes Schabowski drehte sich ihm zu, und Thorst Schmitt war erneut fasziniert von ihren unregelmäßigen Zügen. Seit die Schabowski zur Leiterin der Mord eins berufen worden war, zeigte sie sich ihm gegenüber viel aufgeschlossener als ehedem, wo sie ihm für seine Avancen die Glasnudeln vom Vietnamesen vor die Füße geschmissen hatte. Aber jetzt, wo er auf der Stelle des Kriminaldirektors saß, änderte sich vielleicht ihr Verhalten grundlegend ihm gegenüber. Denn auf Dauer war das mit der Oksana ja nichts für einen Mann seiner Position, auch wenn ihm die zweihundert Euro nicht ans Bein gebunden waren. Bei der Gehaltssteigerung könnte er Oksanas Service jetzt sogar noch öfter nutzen. Aber Geld unnütz zum Fenster rausschmeißen, musste er nicht, und falls ihn einer beim Gang ins Bordell beobachtete, wäre es nunmehr ein Skandal und die Schlagzeilen wert: Sachsensumpf. Agnes Schabowski lächelte ausgesprochen freundlich, empfand er und nickte gnädig zurück. Thorst Schmitt spürte die Attraktivität der Macht, und die würde ihm Sex auch ohne Bezahlung gestatten. Doch sicher war er sich da nicht.

Lars Kohlund, sein ehemaliger Vorgesetzter, lehnte am Rahmen der Ausgangstür und hielt ein Glas Wasser in seinen Händen. Diese Feier hatte sich der Kollege sicher anders vorgestellt. Auch Kohlund hatte sich auf den Posten des Kriminaldirektors beworben. Jetzt aber war endlich einmal er dran: Thorst Schmitt. Jahrelang hatte er Kohlunds Befehle empfangen, jetzt war er Kohlunds Chef. Kohlund hob ihm sein Glas entgegen, es schien mit Blei gefüllt und Kohlunds Lächeln wirkte erzwungen. Schmitt lief forschen Schrittes auf den Kollegen zu.

„Schön, dass du die Zeit erübrigen konntest, Lars.“ Den Triumph in seiner Stimme konnte Schmitt nicht verbergen.

„Doch selbstverständlich.“

Oh, wie schwer dem Kohlund diese Worte fielen. Wie er die Silben zog, den Blick nach unten wandte. Vorgesetzte und Verwaltung hatten sich für ihn, Thorst Schmitt, entschieden, gegen Lars Kohlund, seinen Chef aus der Mordkommission Leipzig zwei. Jahrzehntelang hatte Schmitt im Schatten des eloquenteren und jüngeren Kollegen gestanden. Im Studium schon war Lars Kohlund ihm stets eine Note voraus gewesen. Allein beim Schießen erlangte Schmitt bis heute bessere Quoten. Obwohl er einige Monate mehr Dienst in der Polizei tat und der Rangfolge nach dran war, hatten die Chefs damals Kohlund zum Leiter der Mord zwo befördert. Vielleicht war Schmitts Wut darüber letztendlich der Beginn seiner Entfremdung von Ehefrau, den Kindern und den Kollegen gewesen. Nein, Thorst Schmitt war seit diesem Affront nie mehr er selbst gewesen. Er fühlte sich unterfordert, missverstanden und milde belächelt. Aus purer Wut hatte er sich um die freigewordene Stelle des Direktors beworben. Wider alle Erwartungen hatten die Entscheidungsträger ihm dieses Amt übertragen. Logisch, dass der nette Lars darüber enttäuscht war. Der erste Stopp auf seiner Karriereleiter, und er war der Grund: Thorst Schmitt. Er stieß mit Kohlund an. Aus seinem Glas schwappte der Rotkäppchen-Sekt.

„Auf dein Wohl, Lars!“

„Glückwunsch, Thorst, du hast es verdient.“

Lüge! So wie der guckte, konnte es Kohlund nicht ehrlich meinen. Thorst Schmitt musste lächeln.

„Auf gute Zusammenarbeit.“

Eine Scheißfloskel, aber angemessen. Thorst Schmitt war nicht bereit, auf vergangene gemeinsame Arbeit und Sympathien Rücksicht zu nehmen. Nun war er der Direktor. Er trug fortan die Verantwortung für die Arbeit der Leipziger Kriminalpolizei. Da konnten private Beziehungen nur schaden. Wenn allerdings Hauptkommissarin Agnes Schabowski ihre Zurückhaltung aufgab, würde er sich sicher nicht sklavisch an sein Regelwerk halten. Kohlund nippte am Sekt. Die angolanische Manderley nahm sich grade ein Glas grazil vom Tablett. Woher war dieses Klasseweib so plötzlich gekommen? Übersehen konnte Thorst Schmitt sie nicht haben. Manderleys Augen blitzten ihm zu. Er hoffte, sein Blick blitzte zurück. Als er sich zu ihr begeben wollte, entdeckte Schmitt Konstantin Miersch.

„Bis später!“, meinte er schnell zu Kohlund, neben dem er noch immer stand. Der nickte und trank sein Wasserglas leer. Schmitt machte sich auf den Weg, Pressechef Dominic Bleicher im Schlepptau.

Miersch, der gewesene Direktor, plauderte erfrischend locker mit der dicken Frau hinterm Buffet. Der Alte sah aus, als wäre er Dauerurlauber. Seine Haut war sonnengebräunt, sein Lächeln wirkte in die Wangen getackert. So entspannt hatte der nie auf seinem Chefsessel gesessen. Miersch schien wie neugeboren. Wenn man ihn daraufhin ansprach, behauptete er, man habe ihn im Präsidium all die Jahre absichtlich verkannt. Er sei von Haus aus eine Ulknudel, Fetensau und der beste Kumpel, den man sich vorstellen könne. Keiner der ihm Unterstellten hatte diese Seite am Kriminaldirektor je bemerkt. Miersch hatte sie keinem gezeigt. Jetzt munkelte man, sei er ins Gaststättengewerbe eingestiegen und das sei sein Traumjob schon immer gewesen. Andere meinten, es sei die Liebe in der Provinz, denn Miersch war aufs Land gezogen. Thorst Schmitt nahm forsche Schritte auf seinen ehemaligen Chef zu. Der schien sich ehrlich zu freuen und haute seinem Nachfolger im Amt die Pranke auf die Schulter.

„Noch können Sie lachen, Schmitt, das wird sich ändern!“

„Wäre gelacht.“

„Gott erhalte Ihnen Ihren Humor. Sie werden ihn brauchen.“

Die Kunst des Smalltalks hatte Schmitt nie gelegen, und über Gott fiel ihm augenblicklich kein Bonmot ein. Schmitt suchte nach Themen, die Miersch und ihm Peinlichkeit sparten. Wie geht’s der Gattin? wäre ein Ansatz. Doch Schmitt glaubte gehört zu haben, der Direktor a. D. lebe in Scheidung oder zumindest bei einer anderen Frau. Da verbot sich das Fragen. Ob der Alte Kinder hatte, wusste Schmitt nicht. Über zehn Jahre hatte er unter Mierschs Befehlen gestanden, von der Person kannte Schmitt weniger Fakten als von jedem, der im Verhör vor ihm gesessen hatte. Konstantin Miersch hatte in Bayern um seine Versetzung gebeten, wahrscheinlich war in der Heimat seine Karriere zu Ende gewesen, deswegen hatte er die Herausforderung Osten gern angenommen. Die Privatperson Miersch kannte keiner. Thorst Schmitt überlegte, was die Kollegen über sein eigenes Privatleben wussten. Er hoffte, dass er niemals zu viel davon preisgegeben hatte. Vor Zeiten war er mit Kohlund befreundet gewesen, bis der beschloss, Karriere zu machen. Sicher hatte Kohlund einige persönliche Anekdoten gespeichert, die Schmitt heute unangenehm wären. Aber solange sich der Kollege damit nicht der Presse offenbarte, schlief Schmitt beruhigt. Dass seine eigene Tochter mit Enthüllungsjournalismus Geld verdiente, verdrängte der künftige Kriminaldirektor. Es konnte gut sein, dass Annika fortan bereit war, diese familiären Kontakte zu nutzen. Aber Thorst Schmitt hatte keine Ahnung, womit sich Annika gerade beschäftigte. Er wusste nicht mal, wo sie wohnte. Sicherlich nicht in dem Kaff Leipzig, wie sie ihre Heimatstadt nannte. Die jüngere Claire hatte er seit dem Tod der Mutter gar nicht mehr gesehen. Schmitt war ein Scheißvater. Die plötzliche Erkenntnis belastete ihn jedoch nicht.

„Jetzt genießen Sie Ihre Pension?“

Der Alte lächelte und schwieg, schaute sich unter den wenigen Anwesenden um. Schmitt fühlte sich ignoriert und ließ den Direktor a. D. einfach stehen. Stoffel! Konstantin Miersch hatte sich überhaupt nicht geändert, nur entspannt sah er aus. Doch Miersch hielt Schmitt am Jackettärmel zurück. Der zum Anlass neu gekaufte Anzug würde hoffentlich keine Knitter bekommen.

„Sie werden zwischen allen Stühlen sitzen, verehrter Kollege. Wie Sie auch entscheiden, einigen kann es nicht recht sein. Sie brauchen Fingerspitzengefühl, dass ich leider niemals gehabt habe.“

Schmitt war versucht anzumerken, dass Karriereristen aus den alten Bundesländern bei ihm aus Prinzip ungelitten waren, von Oberbürgermeister bis LVB-Chef. Die nahmen den Job hier im Osten als Sprungbrett in Politik und auf Managerposten und sahnten nach vollbrachter Tat bei den Pensionen auch noch gewaltig ab. Am Ende hinterließen diese Westimporte mehr Chaos als je vordem gewesen war. Planwirtschaft und Parteidoktrin zum Trotz. Schmitt hatte sich vorgenommen, zukünftig vorurteilslos auf die Kollegen zu blicken, sie streng nach ihrer Arbeitsleistung einzuschätzen, nicht nach Herkunft und Diplom. Aber er wusste, dass er das nicht durchhalten würde. Die Schabowski hatte auf seiner Werteskala wesentlich mehr Sympathiepunkte als Kohlund, und die kam nun aus der alten Bundesrepublik.

Schmitt zeigte Miersch seine Hände.

„Die können streicheln und kratzen.“

„Sie müssen nur wissen, wen und wann.“

Da lachte der Alte, so wie ihn Kohlund noch nie lachen gehört hatte. Alle im Saal blickten zu ihnen. Schmitt hatte das Gefühl, Miersch mache sich über ihn lustig. Und prompt haute der ihm noch mal seine Pranke auf die Schulter, sodass Schmitt der Sekt aufs Jackett schwappte. Daraufhin wischte ihm Miersch über die Brust. Mensch, der Anzug war für den Anlass teuer erkauft! Nun sah der vor dem offiziellen Teil schon wie vom Billiganbieter aus. Die Dicke vom Buffet hielt sich die Hand vor den Mund. Ihre Gesichtshaut dahinter war rot. Schmitt ärgerte sich. Miersch lachte noch immer.

„Sie werden das Kind schon schaukeln. Das Zeug haben Sie zu.“

„Werd mich bemühen.“

Mit Diener und Rückwärtsschritten entfernte sich Schmitt und glaubte, dass ihn Konstantin Miersch soeben vorgeführt hatte, und vermeinte dessen unterdrücktes Prusten zu hören.

„Ich drück alle Daumen. Toi, toi, toi.“

Und der Alte hob die Hände zum Himmel, seine Daumengelenke wurden weiß. Die Umstehenden barsten vor Sympathie und leisem Seufzen. Selbst Dominic Bleichers Mundwinkel rutschten nach oben. Es war wie im Theater vor der großen Premiere, und er war der Hauptheld und hatte kein Lampenfieber. Zumindest redete sich Thorst Schmitt das ein.

„Sie können sich auf mich verlassen.“

Schmitt schritt der Bühne zu. Auf dem Weg konnte er dem Impuls, wie der Papst seine verschränkten Hände übers Volk zu halten und jedem zuzunicken, nur knapp widerstehen. Wahrscheinlich gehörten manche Gesten einfach zum Amt. Und er wollte nicht wie die Parteibonzen Frank-Walter Steinmeier, Holger Zastrow oder Philipp Rösler wirken, die Niederlagen als Siege verkauften. Er hielt seine Hände hinter dem Rücken verschränkt.

Als Thorst Schmitt durch das Spalier der Gäste lief, stand ihm plötzlich Agnes Schabowski im Weg. Die spröde Kollegin trug seit ihrer Beförderung offiziell ein R. zwischen ihren Namen: Agnes R. Schabowski. Vermutlich versprach sie sich vom R. mehr Respekt. Schmitt lächelte, weil er es wollte.

„Die Aufregung steigt.“ Sie schien ihn zu fragen.

„Meine, nicht Ihre“, gab sich Schmitt locker.

„Ich wünsche Ihnen von Herzen Erfolg“, flötete Agnes R., „und ganz viel Glück, und alles, alles Gute.“

Thorst Schmitt müsste sich sehr täuschen, wenn das nicht nach mehr klang. Die Kollegin spielte nach den üblichen Regeln, aber sie spielte schneller als die anderen. Er freute sich schon auf ihre außerdienstlichen Gespräche. Die Schabowski reichte ihm beide Hände. Er ergriff sie. So viel Intimität war Schmitt fast peinlich. Er kam sofort zum Dienstlichen.

„Sind Sie im Fall der Vermissten weitergekommen?“

Die Schabowski zuckte zurück, als hätte er ihr beim Tanz einen unsittlichen Antrag gemacht. Schmitt war ja bereit, mit ihr persönliche Beziehungen zu knüpfen, aber vor all den erschienen Gästen musste die private Annäherung scheitern. Agnes R. hatte verstanden und fiel auch sofort wieder in ihren dienstlichen Ton.

„Keine Anhaltspunkte. Wie vom Erdboden verschluckt.“

„In diesem Alter.“

Dass die verschwundene Dame verstorben war, lag nah. Seit gut einem halben Jahr suchte die Schabowski mit ihrer Mord eins Gerlind Hopstock, eine 79-jährige, demente Frau. Deren Familie befürchtete nunmehr das Schlimmste. Was eigentlich auch Schmitt und die ermittelnden Kollegen annehmen mussten. Gerlind Hopstock hatte einen Moment der Unachtsamkeit genutzt und war der Familienidylle im Einfamilienhäuschen entflohen. Die Tochter verzehrte sich in bitteren Vorwürfen, ihre Mutter alleingelassen zu haben, obwohl sie um deren Zustand wusste. Der Schwiegersohn sah die Sache entspannter und rational. Dass geistig Verwirrte ihren Betreuern weglaufen, kommt stets wieder vor. Meist findet man sie nach wenigen Stunden verlassen in Parks, auf Bahnhöfen, oder sie kommen von selbst zurück. Gerlind Hopstock wurde bislang nicht gefunden. In keinem Krankenhaus lag sie als Verletzte eines Unfalls. Unbekannte Tote oder Opfer andrer Gewalt waren nicht angezeigt worden. Die unbekannte Leiche im Keller der Riemannstraße war männlich und keine dreißig. Einen Selbstmord schlossen sie nicht aus, aber mit ihrem Geisteszustand wusste Gerlind Hopstock nicht, was sie tat. Dass sie ihren Tod geplant und vorbereitet hatte, war zumindest unwahrscheinlich. Und an den bevorzugten Orten für Suizide hatte man keine Gerlind Hopstock gefunden.

„Auch aus den angrenzenden Regierungsbezirken erlangten wir keine Hinweise, die im Zusammenhang mit unserer Vermissten stehen könnten. Wir weiten unsere Suche aus. Aber ein erster Blick in die deutschlandweite Datenbank erbrachte ebenfalls kein Resultat. Bleibt der Zufall, der uns weiterbringt. Hoffe ich. Hoffen wir.“

„Frau Kollegin, nicht so pessimistisch.“ Und prompt schlug Schmitt der Schabowski auf die Schulter, genauso wie es Miersch bei ihm soeben getan hatte. Offensichtlich gab es einen Zusammenhang zwischen Gesten und Amt. Schmitt war im Zweifel, ob er das gutfinden sollte. „Manche Fälle klären sich unerwartet und schnell.“

„Eine demente Greisin interessiert keinen. Außer der Familie natürlich.“

„Manchmal ist diese froh, wenn das Problem gelöst ist.“

Da sprach Thorst Schmitt aus eigener Erfahrung. Monatelang hatte seine Geschiedene auf der Intensivstation im Koma gelegen. Stunde über Stunde hatte er an ihrem Bett gesessen. Die Ärzte waren einstimmig zur Diagnose gekommen, dass Gabrieles Gehirn tot war und nie wieder anspringen würde. Sie hatten sich zusammengesetzt, er, die Kinder, der Lover, die Ärzte, und sie hatten beraten und geweint und beschlossen, auf die lebenserhaltenden Maßnahmen zu verzichten. Er würde seine Gabriele nie wieder zurückerhalten. Alle standen ums Bett, als der Schalter ausgedrückt wurde und Gabriele ihr Leben im Beisein der Familie aushauchte. Vielleicht hatte Gerlind Hopstocks Krankheit ihre Familie an die Grenzen der Belastbarkeit geführt. Vielleicht hatte einer der Verwandtschaft dieser unerträglichen Situation ein Ende gemacht.

„Die Familie leidet. Noch mehr, weil sie nicht wissen, was mit ihrer Oma passiert ist.“

„Kollegin Schabowski, Sie werden den Fall klären, bin ich mir sicher.“ Schmitt mochte sich selbst nicht hören. Er sprach wie der Alte, genauso. Dabei wollte er auf dem Posten fast alles anders gestalten. Mitreden sollten die Kollegen können. Kritik würde er aushalten, ja, sich über sie freuen. Soweit sie berechtigt war, keine Frage. Genauso wollte er es in seiner Antrittsrede sagen. Genauso. Thorst Schmitt fühlte in seiner Jackettasche die Karteikärtchen, auf denen er seine Dankesworte notiert hatte. Er würde sie zu gegebenen Zeitpunkt lässig hervorziehen und wie der Gottschalk mal draufschielen und frei von der Leber weg reden. Apropo. „Darf ich Ihnen noch ein Gläschen Piccolo reichen, Frau Kollegin?“

Allein ihr Blick war die Sünde wert.

„Ja.“

Agnes R. Schabowski hauchte, sodass nur er sie verstand. Thorst Schmitt eilte zur dicken Kantinenfrau und ließ sich zwei Sektkelche reichen. Die rote Farbe war aus dem Gesicht der Buffetteuse gewichen. Sie gab sich betont sachlich.

„Sehr gern, Herr Direktor.“

Diese Kantinenfrau hatte sich eindeutig mit zu viel Kölnisch Wasser besprüht, sie roch aufdringlich und billig. Oder hatte sie es erst nach ihrem Lachanfall vorhin über sich gegossen, um den Schweißgeruch zu verdecken? Schmitt griff nach den Gläsern. Die waren aus Plaste und landeten nach dem Fest auf dem Müll.

„Bitte.“ Schmitt schob Agnes R. den Sekt in Hand. Die Schabowski schaute, als wäre er der Prinz von Monaco. Ein bisschen so fühlte sich Thorst Schmitt auch. „Halten Sie mich auf dem Laufenden? Ich sage meiner Sekretärin Bescheid: Sie haben unbeschränkten Zutritt. Denn so einfach kommen Sie zu mir nicht mehr durch.“

„Ja, natürlich.“

So in Amt und Würden fühlte sich Schmitt herzlich wohl und bedauerte, nicht eher befördert worden zu sein. Er suchte die Augen Lars Kohlunds. Die beiden Kommissare fixierten einander und hoben die Gläser. Die Schabowski drängte dazwischen.

„Vielleicht können Sie mir wirklich raten, Herr Hauptkommissar.“

„Meine Freunde nennen mich Thorst.“

„Ich weiß nicht, ob ich diese Ehre annehmen darf?“

„Sie dürfen, Agnés, Sie dürfen.“ Und Thorst Schmitt sprach den Namen französisch, weil er so seiner Meinung nach mehr Sex-Appeal hatte. Die Schabowski guckte erschrocken. Schmitt blieb eiskalt: „Wenn ich angelegentlich fragen darf, was verbirgt sich denn hinter dem R?“

„Bitte?“

Die Schabowski war eindeutig überfordert. Sie schien ihn tatsächlich nicht verstanden zu haben.

„Das R. in Ihrem Namen, was bedeutet es?“

„Oh. Nichts Besonderes.“

„Na, dann können Sie mir Ihren Zweitnamen doch sagen oder muss ich erst in die Personalakte schauen?“

„Er ist kein Geheimnis. Ragna. Ein Teil meiner Familie hat isländische Wurzeln.“

„Was!“ Schmitt glaubte, sich verhört zu haben. „Wie eine Brunhilde sehen Sie gar nicht aus.“

„Sie haben mich ja auch noch nicht kennengelernt.“

„Stimmt.“

Also, wenn das kein offensiver Flirt war, dann hatte Thorst Schmitt noch nie Frauen verstanden. Und er hatte selten etwas anbrennen lassen. Kohlund, der Spielverderber, hatte ihm ehedem immer wieder ins Gewissen geredet. Gabriele würde leiden und die Familie. Schmitt sah das anders. Bis sich dann Gabriele von ihm getrennt hatte und fortan nicht mehr litt. Mit einem aus Arabien hatte sich seine Ex eingelassen: Nasreddin El Atassi. Dazu sagte Schmitt nichts. Aber die Schabowski eröffnete ihm heute Abend Perspektiven, auf die er nie zu hoffen gewagt hätte. „Ich würde dich gern Ragna nennen.“

Die Schabowski blickte ihn verächtlich an, als ob er ihr mit diesen Worten einen unsittlichen Antrag gemacht hätte. „Wir bleiben beim Sie, Chef. Wäre mir lieber.“ Die tat ja grad so, als wäre ihr Vorname gar nicht gefallen. Mensch, die Schabowski hatte doch um seine Hilfe gebeten. Jetzt war Schmitt, als wären noch einmal die Glasnudeln auf seinen Füßen gelandet. Aber die Schuhe blitzten noch immer. Auch sie waren extra zum Anlass gekauft. Er hatte sie sich im Laden noch blank putzen lassen.

Und so stand Schmitt neben Agnes Ragna Schabowski, und die hatte mit einem Mal weder Fragen noch Antworten. Dominic Bleicher nickte seinem neuen Vorgesetzten zu und ging der improvisierten Bühne entgegen. Der Vorhang wurde geöffnet. Denn im Moment klopfte der Dezernent für Inneres gegen das Mikro. Bässe dröhnten durch unregulierte Boxen. Die Dicke am Buffet hielt sich die Ohren.

„Meine Damen, meine Herren. Liebe Kollegen, liebe Freunde, liebe Vertreter der Presse. Es ist mir eine große Ehre ...“

Thorst Schmitt nahm Haltung an. Diese Worte galten ihm, dem neuen Kriminaldirektor. Die Augen der Anwesenden wandten sich ihm und der Bühne zu. Man lächelte. Ein Kameramann schob sich Publikum aus dem Weg, sodass er ihn voll im Bild hatte. Thorst Schmitt schritt wacklige Stufen nach oben. Die Gäste hatten ein Spalier gebildet und verteilten sich nun wieder zwanglos. Der Saal war voll. Mit einem Mal schien das ganze Präsidium versammelt. Schmitt nickte Bruno Ehrlicher zu. Neben dem stand der Kain und grüßte ihn. Der ehemalige Innenminister sprach mit der Dicken am Buffet und wandte ihm sein Gesicht zu und winkte. Der Oberbürgermeister schritt durch die Tür, umringt von Bodyguards. Und Schmitt sah die Kommissare Arndt und Fuchs und Jürgen Frohriep, Schimanski und sogar die Intendantin vom MDR. Die reichte ihm eine Grußadresse des Ministerpräsidenten oder gar von Angela Merkel. Schmitt hielt das Papier wie eine Monstranz und wagte nicht, die Zeilen zu lesen. Er schritt würdevoll aus und nahm den Weg zu Stadtdezernent und Mikrofon. Das Spektakel hatte begonnen. Er gehörte zum Establishment.

Schni schna schnappi, schnappi schnappi schnapp. Unverschämt! Die grässliche Melodie hallte als Handyklingeln durch den Saal. Die Gesellschaft war wie erstarrt. Thorst Schmitt hielt im Schreiten inne und blickte sich genervt im Saal um. Schni schna schnappi, schnappi schnappi schnapp. Natürlich: Lars Kohlund suchte in Taschen von Jackett und Hose und holte seinen Telefonapparat aus einem knallpinken Wollbeutel, den er um den Hals hängen hatte. Wer hatte ihm den denn gestrickt? Furchtbar! Die feierliche Atmosphäre geriet zum Kindergeburtstag. Mit entschuldigendem Blick drückte Kohlund auf Empfang. Dann hallte seine Stimme lauter als die des Stadtdezernenten durch den Saal.

„Leiche im Zwenkauer See. Sexualverbrechen wahrscheinlich.“

Kohlund, der Arsch, hatte diesen Anruf bestellt. Der gönnte ihm nicht diesen Auftritt. Thorst Schmitt war wütend. Kohlund verschwand. Der Stadtdezernent räusperte sich.

„Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist mir eine Genugtuung und Ehre ...“

2.

Auf der B2 herrschte der Stau. Hauptkommissar Lars Kohlund war versucht, das Blaulicht aufs Autodach zu kleben, aber entschied sich dagegen. Tote hatten keine Eile. Die Kollegen waren vor Ort. Der Kommissar rekapitulierte, was er an Fakten fernmündlich erfahren hatte: Weibliche Leiche im Tagebau. Hatte wahrscheinlich schon wochenlang dort gelegen. Tierfraß und Umwelt hatten am Körper starke Zerstörungen hinterlassen. Aber Knochen und Fleischreste ließen einen toten Menschen vermuten, Kleidung und Tasche auf eine Prostituierte schließen. Diese Fakten legten die Assoziation eines Sexualmordes nah. Mehr Anhaltspunkte gab es dafür aber nicht. Ein Hund hatte sein Herrchen zur Leiche gebellt. Herrchen hatte sofort die Polizei verständigt. Nun war Hauptkommissar Lars Kohlund, Chef der zweiten Leipziger Mordkommission, unterwegs und quälte sich durch Stau, laute Hupsignale und wütende Autofahrer. Im Prinzip wusste er nichts, außer: Leichenfund. Die Meldung hatte ihn im richtigen Moment erreicht. Kohlund war froh, einen Grund zu haben, der Inthronisierung des Kollegen Schmitt nicht länger beiwohnen zu müssen.

Lars Kohlund hatte seinen Abgang aus dieser offiziellen Berufungszeremonie genossen. Das gestand er sich ein. Allein wie Schmitt seine Fassung verlor und fast über die eigenen Füße gestolpert wäre, hatte Kohlund Genuss bereitet. Und er war nicht der Einzige, der das Lächeln nicht unterdrückte. Schmitt war so was von machthungrig und machtbesessen, dass ihm diese Peinlichkeit noch am Tage seiner Demissionierung vor Augen stehen würde. Schni schna schnappi, schnappi schnappi schnapp.

In einem Anfall purer Bosheit hatte seine Tochter Charlotte Kohlund diesen Kinderhit als Klingelton aufs Handy gespielt. Er als Vater hatte darauf bestanden, sein minderjähriges Kind nach der Fete bei Freunden bereits um 23 Uhr wieder daheim begrüßen zu dürfen. Mein Gott, die Dame streikte und sprach kein Wort mehr mit ihm. Er selbst hatte, wenn’s überhaupt möglich gewesen war, nur am Wochenende in die Disko gedurft. Heute feierten die Kids mitten in der Woche vor Testat und Prüfung. Genau das passte dem besorgten Vater nicht und das hatte er auch gesagt. Charlotte hatte abfällig bemerkt: Früher! Ich kann’s nicht mehr hören! Auch er konnte manches nicht hören. Vor allem nicht diesen kotzblöden Schlager. Schni schna schnappi. Das wusste die gesamte Familie Kohlund. Deswegen hatte Charlotte ihm die Melodie im Handy gespeichert. Mit jedem Anruf wurde sie laut.

Zunächst war er darüber sehr wütend gewesen und hatte versucht, mit allen Tastenkombinationen diesen dämlichen Klingelton zu entfernen. Es war ihm nicht gelungen, vielmehr sah Kohlund mit Schrecken ein blinkendes Display und hatte unfreiwillig den SMS-Verkehr auf seinem Handy geblockt. Seiner Frau wollte Lars Kohlund sein mangelndes technisches Wissen nicht eingestehen. Alexia hätte gelacht und Na, typisch! gesagt. Zu Charlotte zu gehen und um Beseitigung des Schadens zu bitten, dazu war der Vater zu stolz. Und Gisbert, der Sohn, war mit Beginn seines Sozialjahres in eine Wohngemeinschaft gezogen. Seitdem machte sich Kohlunds Handy mit Schni schna schnappi bemerkbar. Er hatte sich daran gewöhnt. Und die entgeisterten Reaktionen der Mitmenschen belustigten ihn mittlerweile. Der Kommissar musste lächeln. Hätte nicht der Stadtdezernent schnell reagiert und Thorst Schmitt unter den Arm gegriffen, der neue Kriminaldirektor wäre schon vor seinem Amtsantritt gestürzt.

Nur im Schritttempo schob sich Kohlund im Auto vorwärts. Die Kollegen am Fundort würden sicher schon unruhig. Aber Technik und Gerichtsmedizin hätten die gleichen Anfahrtsprobleme, wenn sie nicht die Verkehrsmeldungen im Radio abgehört hatten. Überhaupt könnte Kohlund ja, den Apparat einschalten, Melodien und Nachrichten verkürzten die Zeit. Syrien, FDP, SPD, Koalition, Euro ... jede Viertelstunde die gleiche Scheiße, und das seit fünf Jahren. Offensichtlich war die Welt stehen geblieben, genauso wie er momentan. Kohlund drückte den Knopf am Sender. Bernhard Brink hatte er schon in seinen Teenie-Jahren gehört. Wie weit willst du gehen? Das Urgestein auf Jubiläumstour! Mein Gott und ein erneuter Suchlauf. Carglas repariert, Carglas tauscht aus! Kohlund konnte sich im ersten Gang zehn Meter fortbewegen. Auf der Nebenspur gab eine Mutter ihrem Baby die Brust und zog tatsächlich eine Gardine vors Fenster, als sie seinen Blick bemerkte. Was es nicht gab – Autos ausgestattet mit Wohnzimmergardinen! Das Martinshorn eines Motorrades fuhr Slalom zwischen den Autos.Das Beste aus den 80ern, 90ern und von heute! Jingle mit Glockengeläut, danach Platz Nummer eins Helene Fischer: Die Hölle morgen früh. Offensichtlich war es bereits einen Tag später. Stau auf der B2 wegen Unfall, Verkehr wird umgeleitet. Das konnte Lars Kohlund nicht betreffen, er saß bereits drin. Vor und hinter ihm bewegte sich nichts. Er stellte entschlossen das Blaulicht aufs Dach und folgte dem Motorrad des Kollegen.

Keine hundert Meter weiter gaffte auch der Kommissar auf die Räder eines Lkws, der auf einem Kleinwagen stand. Dessen Marke war nicht mehr erkennbar. Fünf Zivilisten und ein Uniformierter standen auf der Wiese neben der Leitplanke und starrten auf ein im Gras liegendes Etwas. Die Kollegen würden im Tagebau wahrscheinlich ebenso gucken, denn sie hatten versprochen, am Fundort bis zu seinem Eintreffen nichts zu verändern. Am Ende waren die Reaktionen immer dieselben: Man stand still und weigerte sich, das Unabänderliche zu anzuerkennen.

Abfahrt Zwenkau und freie Straße. Mindestens dreißig Minuten hatte Kohlund dieser Unfall gekostet. Jetzt stellte er fest, dass die andere Strecke um den See, kürzer gewesen wäre. Es folgt Ute Freudenberg: Willkommen im Leben!

Der Kommissar stoppte auf einem improvisierten Parkplatz vor einem Imbiss und gab sich recht, Technik und Arzt hatten ihr Ziel nicht vor ihm erreicht. Er stieg aus und betrachtete die Gegend. Noch war das Tagebau-Restloch kein Naherholungsgebiet. Prospekte versprachen allerdings schon jetzt perfekten Urlaub mit Wellness, Rad, Rafting und goldgelbem Strand. Hier schritt Lars Kohlund über dorniges Gras und dürres Gehölz. Biegsame Birken raschelten leise im Wind. Krähen krächzten auf Erlen und in der Luft. Die Mondlandschaft, die der Bergbau hinterlassen hatte, holte sich die Natur schüchtern zurück. Zweihundert Meter entfernt gingen die Bäume im Flutwasser unter. Ein Anblick der biblischen Sintflut. Auch diese Vegetation vor ihm würde nicht überleben.

In der Luft lag neben Krächzen das Gemurmel von Menschen, die zwischen brusthohen Büschen wohl noch immer um die Leiche standen. Ein Köter verbellte Lars Kohlund. Dahinter wurde ihm mit der Mütze zugewinkt, obwohl Kohlund ja sah, wo der Kollege stand. Unter dem Schuh des Kommissars bewegte sich Abraum, der von den Förderbändern ehedem aufgeschüttet worden war. Die Wege der Maschinenfahrten waren noch gut erkennbar und hatten den Eindruck riesiger Pflugfurchen hinterlassen. Kohlund nickte nur, als er zu Uniformierten und Zeugen trat. Die beiden standen vor einem Häufchen alter Textilien, und wenn er nicht wüsste, was sich darunter verbarg, würde Kohlund Abfall dazu sagen.

„Tach.“

Der Kommissar sah auf den Rest, der von der Toten geblieben war. Fliegen schwirrten, obwohl es eigentlich noch nicht ihre Zeit war. Auf dem Fleisch krabbelten nicht nur weiße und graue Maden, auch Käfer und lila Würmer waren zu sehen. Darüber kreisten Vögel, die sich um ihre Mahlzeit gebracht sahen. Ein Gefühl von Western stellte sich beim Kommissar ein. Und wenn die Geier über dir kreisen ... Nebenher kein Haus, nur trostlose Wüste wohin auch das Auge blicket Moor und Heide nur ringsum. Gleich würde Klaus Kinsky auf sie zu reiten, und Terence Hill würde schießen.

Der Körper lag am Tiefpunkt einer Mulde und schien teilweise vergraben worden zu sein.

„Wir haben Äste und Erde beiseitegeschoben, um festzustellen, ob das überhaupt ein Mensch ist.“ Der Polizist schluckte. Er sah aus wie siebzehn, musste aber wesentlich älter sein. „Eine Frau, natürlicher Tod ist bei dieser Auffindungssituation wohl nicht anzunehmen.“

Das war die Frage. Aber Kohlund schwieg. Er kannte Fälle, wo plötzlich Verstorbene in Panik an andere Orte verbracht worden waren. Er erinnerte sich eines Fremdgängers, den die Geliebte im Auto vor sein Wohnhaus gefahren und ans Steuer gesetzt hatte. Die Familie eines Jägers hatte versucht, dessen Selbstmord mit Gewehr als Unfall zu tarnen und ihn auf einen Hochsitz geschleppt. Und immer wieder wurde von der toten Oma erzählt, die in Polen samt Auto geklaut worden war. Ob die Todesursache hier überhaupt noch festzustellen war, musste der Gerichtsmediziner entscheiden. Dr. Jänicke war noch nicht vor Ort, stand offensichtlich noch immer im Stau.

Über das Alter der Toten war gar nichts zu sagen. Die verbliebene Haut schien straff und nicht runzlig. Die Augenhöhlen leer und verschorft. Knochen lagen blank zwischen Resten von Fleisch und tupften die Einöde weiß. An den Füßen des Körpers waren goldglänzende hochhackige Pumps mit einem Riemchen ums Gelenk geschnallt. Ein Blickfang, in dem sich die untergehende Sonne reflektierte. Das Röckchen war ins Hüftgelenk geschoben und offenbarte kräftige Beine. Die Bluse war ehedem vielleicht weiß gewesen, jetzt zeigte sie Risse und Löcher. Den Rüschenkragen bewegte der Wind. Darunter sah Kohlund das verwesende Fleisch. An den Fingern kein Ring, um den vermuteten Hals kein Kettchen. Möglicherweise ein Raubmord.

„Sie hatten eine Tasche erwähnt?“

„Ja.“

Der Jungpolizist reichte Kohlund eine sehr kleine Lederimitation, wie man sie vor dreißig Jahren ins Gewandhaus getragen hatte. Nicht auf den ersten Blick billig, doch nun konnte man das Kunstleder in Streifen vom Schaumstoff ziehen. Der Henkel war gerissen. Das Schloss schnappte nicht mehr.

„Hinweise auf Identität oder überhaupt irgendwas?“

„Nein.“

Der Kommissar hielt sich das Täschchen vor die Brust, betrachtete drei leere Fächer und fuhr mit der Hand darin herum, obwohl er wusste, dass er nichts finden würde. Ein rostiger Reißverschluss sicherte das kleine Wertbeutelchen. Mit Gefühl und hartem Fingernagel bekam es der Kommissar auf: Drei Büroklammern und ein Groschen der DDR-Zeit, Papier, möglicherweise ein Zellstofftaschentuch. Er gab das Fundstück zurück. Es war fraglich, ob es der Toten gehörte.

„Sichern und der Kriminaltechnik übergeben.“

„Jawohl, Herr Kommissar“, nahm der Polizist den Befehl entgegen. Kohlund fühlte sich an seine Armeezeit erinnert, Sozialdienst wie Gisbert war ihm nicht möglich gewesen.

„Andere Auffälligkeiten?“

„Sie trägt die Haare extrem kurz geschnitten.“

„Mode, oder sie trug gern Perücken.“

„Wir haben keine gefunden“, der junge Kollege hatte kein Gespür für Ironie.

Eine Windböe wirbelte Staub auf, trockene Blätter flogen und zwei Pappbecher rollten über das Gras. Der Hund vom Zeugen versuchte, ihnen nachzujagen. Sein Herrchen hielt ihn zurück. Bislang hatte der Mann ihnen interessiert zugehört. Auch er erschien Kohlund jung. Aber der Kommissar kam in das Alter, wo alle anderen tatsächlich jünger waren als er.

„Mandy, aus! Aus!“ Vergeblich brüllte der Zeuge. Mandy war von der Pappe nicht abzubringen. Das Hundchen war für den Halter eindeutig die falsche Rasse. Zur Person der Leiche hätte es vielleicht gepasst. Herrchen war eindeutig zu wuchtig für das wadenhohe Tierchen, dessen Stimmchen kläglich über die deprimierende Landschaft hallte. Der Pappbecher flog endgültig davon. Mandy war außer sich vor Wut. Herrchen zog ihr die Leine so straff um den Hals, dass Hundchen augenblicklich verstummte. Der Blick des Halters bat den Kommissar um Verzeihung. „Mutti ist zur Kur.“

„Sie haben die Leiche gefunden?“

„Was soll ich sagen?“

Kohlund stutzte. Was war da nicht zu verstehen? Auf Entscheidungsfragen Ja oder Nein, mehr Möglichkeiten gab es da nicht. Hatte er in der Schule gelernt. Aber vielleicht gehörte auch das zum Allgemeinwissen nicht mehr dazu.

„Wie wär’s mit der Wahrheit?“

Das sagte jeder Kommissar, ob in Film oder Realität. Aber Kohlund fand diesen Satz richtig und angebracht. Er war gespannt, was den Zeugen hierher in die Einöde getrieben hatte. Herrchens Schuhe waren gelackt. Der Schnitt des Anzugs offenbarte einen Hang zur teuren Eleganz. Auch Mandy war nicht billig gewesen. Kohlund glaubte sich zu erinnern, dass hippe Girls solch Tiere unterm Mantel spazieren trugen. Herrchen gab Mandy wieder Leine. Die bellte die Pappbecher zurück, die natürlich nicht kamen. Ein blödes Vieh!

„Meiner Mutter macht die Behörde viel Stress wegen Mandy, sie soll gegen das Tierschutzgesetz verstoßen haben, dabei ist das ein persönlicher Rachefeldzug des Dr. Wenzke, weil Mandy immer in seinen Garten ihren Haufen machen soll. Dabei ist Mandy so reinlich, nicht wahr? Ja, Mandy, bist du ’ne Gute?“ Das Tier spitzte die Ohren. „Aber der Wenzke nennt sich nur Tierschutz, dabei ist der der Sadist! Niemals hat Mandy in seinen Garten geschissen. Mutti nimmt Tüten für den Papierkorb. Jedenfalls hat der Skandal um ihren Hund Mutti dermaßen in Rage gebracht, dass ich gesagt hab’, nun ruh’ dich aus und lass alles Weitere auf dich zukommen, bleibe gelassen. Und da ist Mutti zur Kur, die ich ihr bezahle. Bad Kösen, sie wollte nicht allzu weit weg. Ich hätte ja Bad Piermont vorgezogen. War ein Sonderangebot. Aber falls was mit Mandy ist, dann wollte Mutti dabei sein und aus Bad Kösen könnt ich sie holen