Marquis de Sade

Juliette

oder

Die Wonnen

des Lasters

(gekürzte Ausgabe)

Impressum

ISBN: 9783955017026

2014 andersseitig.de

Covergestaltung: Erhard Koch

Digitalisierung: Erhard Koch




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Aufzählung verschiedener Sitten und Gebräuche bei allen Nationen, um die Rechtmäßigkeit der von der Gesellschaft der »Freunde des Verbrechens« angenommenen Grundsätze zu beweisen

Wir schätzen die Jungfernschaft einer Braut sehr hoch. Die Einwohner der Philippinen aber machen sich gar nichts daraus, ja man hat auf diesen Inseln eigene gut bezahlte Beamte, welche die Pflicht haben, die jungen Mädchen am Vorabend ihrer Hochzeit zu entjungfern.

In Sparta war der Ehebruch gesetzlich gestattet.

Wir verachten die Mädchen, die sich für Geld hingeben, die Lydierinnen dagegen wurden nur nach der Anzahl ihrer Liebhaber geachtet und was sie durch ihre Prostitution verdienten, machte einzig und allein ihre Mitgift aus.

Die Zypriotinnen boten sich um sich zu bereichern, öffentlich für Geld jedem Fremden an, der auf ihrer Insel landete.

Die Verderbtheit der Sitten ist in einem Staate durchaus notwendig; das begriffen die Römer, die deshalb auch in dem ganzen umfangreichen Gebiete der Republik Bordelle mit männlichen und weiblichen Insassen errichteten und ebenso Schaubühnen, auf welchen nackte Mädchen tanzten.

Die Babylonierinnen gaben sich einmal jährlich im Tempel der Venus dem Ersten Besten preis.

Die Armenierinnen waren gehalten, ihre Jungfernschaften den Priestern des Tanais zu opfern; diese fickten sie jedoch erst in den Arsch und nur wenn das Mädchen dies mutig ausgehalten hatte, wurde ihm die Ehre der Entjungferung zuteil; eine Weigerung, eine Träne, ein einziges Zurückziehen, ein Schrei und es war des Angriffs von vorn unwürdig und fand dann auch keinen Mann.

Die Einwohner der Stadt Goa -- Vorderindien, Canara-Küste -- unterziehen ihre Töchter einer noch ganz anderen Folter; diese müssen sich mit einem Götzenbild prostituieren, welches einen unmäßig großen Penis von Eisen hat, den man erst glühend macht, ehe man ihn dem Mädchen gewaltsam in die Scheide stößt und nur auf diese grausame Weise erweitert, ist es dem armen Kinde möglich, einen Gatten zu finden; ohne diese vorangegangene Zeremonie würde sie keiner heiraten.

Die Kainiten, eine im zweiten Jahrhundert entstandene Sekte, stellten die Behauptung auf, dass man nur durch Unkeuschheit zur ewigen Seligkeit gelangen könne, sowie ferner, dass jede Gräueltat ihren Schutzengel habe und sie verehrten diesen Schutzgeist, indem sie sich den unglaublichen Ausschweifungen ergaben.

Ewen, einer der ältesten Könige Englands, erließ ein Gesetz, laut welchem kein Mädchen heiraten durfte, ohne dass er sie vorher entjungfert hatte; in Schottland und in einigen Teilen Frankreichs genossen die vornehmen Vasallen dieses Vorrecht.

Die Unzucht treibt sowohl Männer als Frauen allmählich zur Grausamkeit. Als die Spanier (1532) zur Zeit des letzten selbstständigen Inca Atahualpa Peru eroberten, gaben sich ihnen sofort dreihundert eingeborene Weiber preis und halfen ihnen dann, ihre eigenen Ehemänner zu massakrieren.

Die Sodomiterei ist über die ganze Erde verbreitet; es gibt kein Volk, das ihr nicht frönt, keinen großen Mann, der ihr nicht ergeben gewesen wäre; ebenso allgemein ist die »lesbische Liebe«. Diese letztere Leidenschaft liegt gerade so in der menschlichen Natur, wie die erstere; sie ergreift das junge Mädchen schon in der zartesten Kindheit, im Alter der Arglosigkeit und der Unschuld, wo es noch gar keine fremden Eindrücke in sich aufgenommen hat.

Auch die Unzucht mit Tieren war allgemein verbreitet. Schon Xenophon berichtet, dass bei dem berühmten Rückzug der Zehntausend die Griechen sich nur mit Ziegen vergnügt hätten. Dieser Gebrauch ist in Italien noch sehr im Schwange und zwar ist der Bock besser dazu geeignet, wie das weibliche Tier; sein After ist enger und heißer und von Natur schon geil, macht er von selbst unzüchtige Bewegungen, sobald er fühlt, dass man abprotzt.

Auch der Truthahn ist zur Unzucht vorzüglich geeignet; doch muss man ihm im Augenblick der Krisis den Hals abschneiden, dann aber verschafft einem auch die Zusammenziehung seines Mastdarms den höchsten Genuss.

Man findet solche daher auch in mehreren Pariser Hurenhäusern; die Dirne hält ihn mit dem Kopf zwischen ihren Schenkeln, wendet Euch den Arsch zu und im Augenblick wo ihr entladet, schneidet sie ihm den Hals ab.

Die Sybariten vögelten Hunde; die Ägypter trieben mit Krokodilen, die Ureinwohner Amerikas mit Affen Unzucht; selbst Statuen wurden zu diesem Zwecke benutzt. Es ist allbekannt, dass eine Page von Ludwig XV. dabei erwischt wurde, wie er seinen Samen auf die Venus Kallipyga spritzte. Ein Grieche, der nach Delphi gekommen war, um das Orakel zu befragen, sah im Tempel zwei Genien aus Marmor und brachte während der Nacht demjenigen, den er für den schöneren hielt, seine unzüchtige Huldigung dar; nachdem dies geschehen, krönte er ihn mit Lorbeer aus Erkenntlichkeit für das Vergnügen, dass er durch ihn gehabt habe.

Die Siamesen halten den Selbstmord nicht nur für erlaubt, sondern sie glauben sogar durch ihn die ewige Seligkeit zu erlangen.

In Pegu wälzt man die Wöchnerinnen fünf Tage lang über einem Gestell voll glühender Kohlen hin und her, um sie dadurch zu reinigen.

Die Karaiben kaufen die noch ungeborenen Kinder, machen ihnen gleich nach der Geburt mit Orlean (roter Extrakt aus dem Samen des Orleanbaums -- Bixa orellana) auf den Bauch ein Zeichen, entjungfern sie gewöhnlich, nachdem sie dieselben missbraucht haben.

In Nicaragua ist es den Eltern gestattet, ihre Kinder behufs der Opferung zu verkaufen; wenn diese Völker Mais als Opfer darbringen, so begießen sie denselben mit ihren Samen und tanzen dann um diese beiden Erzeugnisse der Natur.

Die Indianer in Brasilien geben jedem Gefangenen, den sie ihren Götzen zu Ehren schlachten, ein Weib; er beschläft sie und sie, die oft schwanger von ihm ist, hilft ihn zerfleischen und auffressen.

Die Ureinwohner Perus, die lange vor der Herrschaft der Inkas dort hingekommenen Scythen -- die überhaupt die ersten Einwohner Amerikas waren -- brachten ihre Kinder den Göttern zum Opfer.

Die Umwohner des Rios-Real wenden statt der bei manchen Völkern üblichen Beschneidung der Mädchen folgenden grausamen Gebrauch an:

Sie stoßen ihnen, sobald sie mannbar sind, mit großen Ameisen bedeckte Stöcke in die Gebärmutter, welche natürlich von den Insekten furchtbar zugerichtet wird; dabei aber wechseln sie öfter die Stöcke, um die Folter zu verlängern, die nie unter drei Monaten dauert.

Der heilige Hieronymus erzählt, dass er, gelegentlich einer Reise, die er zu den Galliern machte, die Schotten mit großem Behagen die Arschbacken junger Hirten und Brüste junger Mädchen verspeisen sah. Was mich betrifft, so würde ich das erstere Gericht vorziehen, da ich der Ansicht aller menschenfressenden Völker bin, dass Mädchenfleisch wie ja überhaupt das Fleisch weiblicher Tiere, dem der Männchen weit nachsteht.

Die Mingrelier und Georgier sind zwar die schönsten Völker der Erde, zugleich aber auch diejenigen, welche am meisten der Ausschweifung und dem Verbrechen ergeben sind, gerade als ob uns die Natur dadurch zu erkennen geben wollte, dass sie weit davon entfernt die Verirrungen zu verdammen, die Anhänger derselben erst recht mit ihren schönsten Gaben schmücken wolle. Bei diesen Völkern sind die Blutschande, die Notzucht, der Kindermord, die Prostitution, der Ehebruch, der Mord, der Diebstahl, die Sodomie, die lesbische Liebe, die Unzucht mit Tieren, die Brandstiftung, die Vergiftung, der Mädchenraub, der Elternmord, lauter verdienstliche Handlungen, deren man sich rühmt. Bei ihren Versammlungen sind die Schandtaten, die sie begangen das Hauptgespräch, je größer deren Zahl und je schrecklicher dieselben sind, desto lieber ist es ihnen und gegenseitig stacheln sie sich zur Begehung neuer Missetaten an.

Im Norden der Tartarei lebt ein Volk, welches jeden Tag einen anderen Gott anbetet und zwar ist dieser Gott derjenige Gegenstand, der ihnen beim Erwachen zuerst in die Augen fällt; ist dies nun zum Beispiel ein Scheißhaufen, so ist dieser der Götze des betreffenden Tages; und ist dieser streng genommen nicht gerade so viel wert, wie der lächerliche Gott, den sich die Katholiken aus Mehl bereiten -- die Hostie. Jeder ist schon Kot, dieser wird es gar bald sein; wahrlich, der Unterschied ist ein verschwindend geringer.

In der Provinz Matomba sperrt man die Kinder beiderlei Geschlechts, sobald sie 12 Jahre als sind, in ein stockfinsteres Haus und dort unterwirft man sie allen Entbehrungen und Martern, welche die Priester ihnen aufzuerlegen für gut finden, ohne dass die Kinder, wenn sie diese Häuser endlich verlassen dürfen, auch nur das Geringste enthüllen oder sich beklagen können.

Wenn in Ceylon ein Mädchen heiratet, so wird sie von ihren Brüdern entjungfert, nie aber wird dieses Recht dem Gatten zugestanden.

Wir halten das Mitleid für eine Regung des Herzens, das uns zur Vollbringung einer guten Tat veranlasst; in Kamtschatka dagegen hält man sie und mit weit größerem Rechte für ein Übel, ja es wird bei dem dortigen Volke als ein Hauptverbrechen angesehen, jemand aus irgend einer Gefahr zu retten und wenn man einen Menschen ertrinken sieht, so hütet man sich wohl, ihm beizuspringen, sondern geht ruhig seines Weges weiter.

Bei uns einfältigen Christen betrachtet man es als eine Tugend, seinen Feinden zu vergeben, bei den Indianern Brasiliens dagegen als ein verdienstliches Werk, sie zu töten und aufzufressen.

Sobald ein junges Mädchen in Guyana zum ersten Male den Monatsfluss hat, gibt man es den Stichen der Mosquitos preis; und kommt es dabei um, so ist dies für den zufälligen Zuschauer Anlass, den Tag freudig zu begehen.

In Brasilien zerfleischt man der jungen Zukünftigen am Vorabend der Hochzeit die Arschbacken, um den jungen Ehemann, der in Folge seines heißen Blutes und des heißen Klimas mehr den Freuden der Hinterpforte zuneigt, durch den Anblick der Wunden etwas von seiner Passion abzubringen.

Diese wenigen Beispiele, welche ich Dir, mein liebstes Julchen, angeführt habe, zeigen Dir genugsam, was eigentlich die Tugend ist, von der unsere europäischen Gesetze und Religionen so viel Wesen machen, was es mit der geradezu hassenswerten Nächstenliebe auf sich hat, die das Christentum so heilig hält. Da kannst Du erkennen, ob diese Gefühle wirklich das so oft zitierte »allgemein Menschliche« repräsentieren und was es mit diesem allgemein menschlichen für eine Bewandtnis hat.

Wie könnten so viele grausame Gebräuche existieren, wenn nur die vom Christentum gepredigte Tugend der Liebe als höchstes Sittengesetz jedem Erdenbewohner in die Brust gepflanzt wäre.

Ich kann es Dir nicht oft genug wiederholen: was man Humanität zu nennen beliebt, ist nichts als ein leerer Wahn, der nicht einmal den Bedürfnissen, wie viel weniger als den Leidenschaften gegenüber Stand hält; sehen wir doch täglich, wie sich die Menschen untereinander selbst zerfleischen. Diese Humanität ist also nichts weiter als ein Erzeugnis der Furcht und des Vorurteils, eine Schwäche, die der Natur vollkommen fremd ist. Wir können doch unmöglich bestreiten, dass es die Natur ist, die uns unsere Bedürfnisse, unsere Neigungen vorschreibt, nun haben wir aber gesehen, dass die Natur die vergebliche Tugend der Menschlichkeit nicht kennt, folglich ist diese Tugend auch nichts weiter als der Ausfluss der nackten Selbstsucht, welche uns rät, mit unseren Nächsten in Frieden zu leben, um selbst der Ruhe zu genießen. Derjenige aber, der keine Widervergeltung zu fürchten hat, wird sich schwerlich eine Pflicht auferlegen, welche nur dem, der Angst vor ihm hat, lobenswert erscheint. Nein, nein, Julchen, es gibt kein aufrichtiges Mitleid, kein Mitleid außer für unser liebes Ich. Prüfen wir uns doch einmal ernstlich in dem Augenblick, wo uns eine innere Stimme zuruft: »Du weinst wegen dieses Unglücklichen, weil Du selbst unglücklich bist und es noch mehr zu werden furchtest«; diese Stimme ist doch nichts weiter wie die Furcht und die Furcht entspringt doch nur aus der Selbstsucht.

Darum lassen sie uns mit der Wurzel ausrotten, diese feigherzige Humanität, dieses einfältige Gefühl, das stets schmerzlich für uns sein muss, weil es uns nur beim Anblick des Unglücks ergreifen kann.

Sobald Du, mein teures Mädchen, einmal ganz den Unsinn, ja ich möchte fast sagen, das Verbrechen einsiehst, das Vorhandensein dieser angeblichen Nächstenliebe zuzugeben, dann wirst Du mit den Weisen ausrufen: »Warum soll ich auch nur einen Augenblick schwanken, eine Tat zu begehen, wenn diese Tat, wie wehe sie auch meinem Nächsten tun mag, mir das größte Vergnügen verschafft?« Denn nehmen wir einmal an, ich beginge durch Vollführung dieser Tat eine Ungerechtigkeit gegen meinen Nächsten, so beginge ich durch Unterlassung derselben eine Ungerechtigkeit gegen mich. Wenn ich zum Beispiel meinen Nachbar seiner Frau oder einer Erbschaft oder seiner Tochter beraube, so begehe ich dadurch in der Tat ein Unrecht gegen ihn, lasse ich ihm aber diese Gegenstände, die mir doch besonders Vergnügen machen würden, so begehe ich ein Unrecht gegen mich, sollte ich aber ein so großer Feind meiner selbst sein, um nicht dem Unrecht den Vorzug zu geben, welches mir auch nur einen vergnügten Augenblick verschafft? Täte ich dies nicht, so könnte es doch nur aus Mitgefühl geschehen; wenn nun aber dieses Gefühl mich die Dummheit begehen ließe, auf mir so wünschenswerte Genüsse Verzicht zu leisten, so muss ich doch selbstverständlich alles aufbieten, dasselbe gründlich zu unterdrücken, damit es in Zukunft nicht noch einmal die Herrschaft über mich gewinne. Sobald mir dies gelungen ist (und das ist nicht schwer, wenn man sich nach und nach daran gewöhnt, Andere leiden zu sehen) werde ich mich nur noch dem Reize des Selbstgenießens hingeben; es wird dann durch nichts mehr im Schach gehalten werden, ich werde auch keine Gewissenbisse mehr zu befürchten haben, denn dieselben könnten doch nur aus Mitgefühl entspringen und dieses habe ich in mir erstickt.

Ich werde mich also dann ohne Furcht ganz meinen Neigungen hingeben, mein Interesse aber, mein Vergnügen werden mir höher stehen als die Leiden des Anderen, die mich nichts weiter angehen und ich werde begreifen, dass es eine wahre Albernheit von mir wäre, auf irgendein greifbares Gut zu verzichten, weil es einem Anderen in eine unglückliche Lage brächte (eine Lage, deren Rückschlag mich nicht treffen kann), denn das hieße diesen Anderen, mir Fremden, mehr lieben als mich selbst, was allen Gesetzen der Natur, allen Grundsätzen des gesunden Menschenverstandes einen Schlag in Gesicht versetzen würde.