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Die Angaben im Text entsprechen dem Stand bei Konvertierung des E-Books Ende Januar 2015.

Dank an die Süddeutsche Zeitung für die Genehmigung zum Abdruck des Interviews mit Campino im Kapitel »Hass« (aus »Ich verzweifle fast am Glück der Deutschen«, Kurt Röttgen und Ludger Schulze im Gespräch mit Die Toten Hosen-Sänger Campino, 01.12.2007).

ISBN 978-3-492-96972-7

März 2015

© Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2015

Redaktion: Fabian Jonas, Berlin

Coverkonzeption: Büro Hamburg

Covergestaltung: Birgit Kohlhaas, kohlhaas-buchgestaltung.de

Covermotiv: Allianz Arena, München (Hermann Dobler/imagebroker/Okapia)

Litho: Lorenz & Zeller, Inning a.  A.

Datenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Vorwort

»Liebe machen und Tore schießen sind die schönsten Dinge, die Gott uns gegeben hat.«

Luca Toni

Es war 1974. Nach dem Weltmeisterschafts-Finale gegen Holland, das meine Familie am Fernseher verfolgt hatte (während wir aber vom Balkon des Hochhauses, in dem wir wohnten, den realen Lärm aus dem Stadion hören konnten, wenn ein Tor fiel – so nahe waren wir dem Olympiastadion), stürzten wir auf die Straße, um die Vorbeifahrt der Sieger zu bejubeln.

Vielleicht waren die Leute auf den Triumph nicht vorbereitet gewesen (Holland galt ja als klarer Favorit und hatte die Sonderbriefmarke zum eigenen Sieg bereits gedruckt), und sicher gab es noch keine Nationalflaggen- und Wimpelindustrie, die mit dem heutigen Merchandisingaufwand vergleichbar wäre, aber es lag wohl auch noch am nicht soo lang zurückliegenden Krieg, dass in jener Zeit, der kurzen Ära zwischen APO und RAF, ein Fahnenmeer schlicht undenkbar gewesen wäre. Doch die Leute wollten toben und ausgelassen sein, darum war aus tausenden Fenstern Klopapier auf die Straßen abgerollt worden. Das sah sehr lustig, aber auch ein wenig farblos aus. Ich habe seltsamerweise nie irgendwo ein Foto davon gesehen. Die frisch gekürten Weltmeister rollten in ihren offenen Wagen über den Bonner Platz, und ich sah sie nur aus der Ferne, denn das Getümmel auf der Fahrbahn sei, hieß es, nur etwas für Risikobereite. Egal, ich genoss meine Sommerferien weltmeisterlich, und dann – kam der Tag, der große ersehnte Tag.

Es war der 31. August 1974. Ich durfte zum ersten Mal mit dem Rad zum Olympiastadion fahren und mir ohne elterliche Aufsicht ein Spiel des FC Bayern München ansehen. Ich radelte, so schnell ich konnte, ließ das Rad am Eingang Nord irgendwo im Gras liegen (ich habe mein Rad während meiner gesamten Jugend nie abgesperrt), musste keine zwei Minuten anstehen, um – ich glaube, 5 DM, oder waren es sogar weniger? – für einen Stehplatz zu bezahlen. Und dann war ich drin. Zehn Jahre alt und stolz wie Bolle. Ich stellte mich in die Nordkurve, denn von der Südkurve hatte man mir von väterlicher Seite dringend abgeraten. Da stünden die »Wilden«, die Fanatiker, da werde viel gebrüllt und gerauft und gesoffen. Dem sollte ich mich nicht aussetzen. Und in der Nordkurve saßen kaum gegnerische Fans. Die Leute hatten damals einfach nicht so viel Geld, um zu weiten Auswärtsspielen ihrer Mannschaft zu reisen.

Bayern spielte gegen die Hertha aus Berlin. Ich zählte ungefähr vier oder fünf Hertha-Fahnen, und insgesamt war es im Stadion auffallend ruhig. Das Spektrum der Fangesänge war noch schmal, die Rituale waren noch nicht durchexerziert, es gab noch kaum eine Frau im Rund, dafür viele ältere Zigarre rauchende Männer, die nie auf den Gedanken verfallen wären, Parolen zu grölen.

Man kann im Almanach nachlesen, dass circa 38 000 Menschen das Spiel live verfolgten. Fast die Hälfte der Plätze war also leer. Die Partie selbst verlief recht unspektakulär, die Bayern gewannen mit Mühe 2:1. (Hertha wurde in dieser Saison Vizemeister, Bayern nur Zehnter.) Und obwohl das Olympiastadion so weitläufig war, bekam man fast alles mit, was die Spieler ihren Kollegen zubrüllten. Ein ausländischer Tourist, ich glaube, ein US-Amerikaner, stand neben mir und fragte mich hin und wieder etwas, grundlegende Fragen zum Fußballsport an sich, und in meinem sehr begrenzten Englisch von damals konnte ich ihm nur bedingt Auskunft erteilen. Aber ich zählte die Namen der Weltmeister auf, die in der Mannschaft des FCB spielten, das waren sechs Stück: Sepp Maier, »Katsche« Schwarzenbeck, Franz Beckenbauer, Jupp Kapellmann, Uli Hoeneß und Gerd Müller.

Paul Breitner, der vorher sicher der Lauteste im Stadion gewesen war, fehlte der Mannschaft sehr. Sein Abgang zu Real Madrid wenige Wochen zuvor hatte mich erbost, ich empfand ihn beinahe als Verrat. Was heißt beinahe? Hochverrat, so kam es mir vor, wenn ich mich recht erinnere. Ich war jung und will nichts beschönigen. Es war nicht schön, dass wir in dieser Saison in der Bundesliga versagten, aber ehrlich: Wer erinnert sich heute noch daran, wie und wann und warum eine Mannschaft mit sechs Weltmeistern auf einem zweistelligen Tabellenplatz landen konnte? Ich empfand es ja dennoch als große Gnade, Münchner zu sein und den beispiellosen Siegeszug der Bayern in Europa miterleben zu dürfen. Dreimal hintereinander gewann ich mit dem FCB den Pokal der Landesmeister – es konnte überhaupt keinen Zweifel daran geben, dass ich diesem Verein mein Leben lang verfallen sein würde.

Und was für Typen waren das! Ich erinnere mich, dass Sepp Maier, als er vor dem Anpfiff von der eigenen Abwehr warmgeschossen wurde, ein ganz besonderes Kunststück hinlegte. Der Ball kam hoch auf ihn zugeflogen – und sogar ziemlich scharf geschossen –, Sepp Maier springt nach vorne, macht einen Handstand und wehrt den Ball in zwei Metern Höhe mit den Schuhsohlen ab. Dergleichen hab ich nie wieder irgendwo gesehen. Und weil es wohl keine Fernsehaufnahme davon gibt, muss eben ich davon berichten. Als er 1979 den Autounfall hatte, der seine Karriere jäh beendete, war das eine niederschmetternde Nachricht für mich. Als Franz Beckenbauer zu Cosmos New York wechselte, brach die halbe Welt für mich zusammen. Ich war an den ständigen Wandel im Leben noch nicht so gewöhnt. Gerd Müller geht nach Florida und spielt WO? Fort Lauderdale? HÄ? Ich hab das einfach nicht kapiert, wusste noch nicht recht, dass es dem Einzelnen auch ums Geld geht, wusste noch nicht mal im Ansatz, wie schnell Fußballspieler altern, dass manche, wie Uli Hoeneß (den ich als Spieler nie so schätzte, wie er es verdient gehabt hätte), schon mit 27 in Rente gehen.

Seither ist viel Wasser die Isar hinabgeflossen. Das Spiel hat undenkbare und unheimliche Dimensionen erreicht – und nicht alles daran gefällt mir. Aber bis heute bin ich für eines außerordentlich dankbar: quasi neben dem Olympiastadion aufgewachsen zu sein in jenen großartigen Jahren, denn von daher benötige ich keine, aber auch nicht die geringste Erklärung oder gar Entschuldigung dafür, Fan dieses Vereins zu sein, der einen zur Ekstase wie zur Weißglut bringen kann, der polarisiert wie kaum sonst etwas auf der Welt, wir wissen das.

Und ich bin mir bewusst, dass der Siegeszug des Clubs – trotz allem, was später geleistet wurde – seinen Ursprung einem seltsamen Zufall zu verdanken hat, vielmehr einer äußerst seltenen Konstellation: Maier, Breitner, Beckenbauer, Müller – ohne die vielen anderen Spieler in ihren Leistungen schmälern zu wollen (wäre Beckenbauer z. B. ohne Schwarzenbeck denkbar gewesen? Wer hat je eine Ode für Bernd Dürnberger geschrieben?): DAS ist wirklich eine Rarität. Ich meine: Vier der besten Spieler aller Zeiten, und genau noch je einen in Tor, Abwehr, Mittelfeld (Beckenbauer, obwohl Libero, war für mich de facto immer ein Mittelfeldspieler) und Angriff in EINEM Verein zu finden, und einem Verein, der damals noch keineswegs reich war und sich diese Spieler etwa gezielt hätte zusammenkaufen können – das war Zufall oder Schicksal oder Glück oder was auch immer. In jedem Fall ein unvergleichlicher Zauber, der mich bis heute in seinem Bann hält.

Ich spiele nun seit vier Jahrzehnten bei den Bayern in der Außenposition als zwölfter Mann, habe zwar noch nie ein Tor erzielt, aber auch noch keines verschuldet und nie eine Gelbe oder Rote Karte bekommen, von daher verleihe ich mir die Eigenlob-mit-Eichenlaub-Medaille samt Fairness-Preis und Treueorden. Ich bin mit dem FCB durch dick und weniger dick gegangen, und einmal haben mich Anhänger eines anderen Münchner Fußballvereins, an dessen Namen ich mich nicht mehr erinnere, tätlich angegriffen, mit Platzwundenfolge und Blutverlust. Mögen sie in der Hölle schmoren. Oder wenigstens – ich bin weder nachtragend noch ein Unmensch – in der Zweitklassigkeit.

Es war höchste Zeit, mich auch einmal literarisch für diesen Club zu betätigen.

Ansprache

So, lieber Leser, Sie möchten in der Zukunft also mit dem FCB zu tun haben, sei es als Fan, Freund, Sympathisant oder als einer, der einfach mitreden und kompetent wirken möchte beim Thema? Dann bietet Ihnen dieses Buch einen Überblick, einen Almanach, einen Stichwortgeber zu allem Wissenswerten über den FCB sowie ein paar eher persönliche An- und Einsichten des Autors, die hier und da vielleicht ein wenig überspitzt formuliert sein mögen, aber den Ernst der Sache nicht gleich außer Kraft setzen.

Als Unterstützer des FCB sind Sie ein Freund der Sonne, aber Sie haben nicht automatisch auf der Siegerstraße geparkt, und es herrscht nicht immer Kaiserwetter. Viel Wind wird Ihnen entgegenwehen. Viel Kritik werden Sie einstecken müssen. »Zieht den Bayern die Lederhosen aus!« – diese in Deutschland erstaunlich verbreitete homoerotische Fantasie wird Ihnen vor allem bei Auswärtsspielen entgegenschallen. Im Gespräch mit Fremdvereinsanhängern, die Sie alsbald mit boshaften Vorwürfen konfrontieren, mit fiesen Unterstellungen drangsalieren werden, werden Sie gelegentlich den Drang verspüren, sich rechtfertigen zu wollen oder zu müssen. Drum lesen Sie bitte weiter. Wenn Sie auf der Seite des FCB stehen, dann liefert Ihnen dieses Büchlein Argumente, nüchterne Fakten, Richtigstellungen hartnäckiger Vorurteile bzw. Widerlegungen alberner Klischees.

Dieses Buch ist kein Fachbuch, es richtet sich nicht in erster Linie an jene, die über den FC Bayern bereits viel oder gar alles wissen, weil sie schon die Werke meiner zahlreichen Vorgänger verschlungen haben. Vielmehr bemüht es sich, jenes Basiswissen zu vermitteln, das zur Teilnahme an einer Diskussion über den FCB befähigt. Einiges habe ich natürlich eben diesen Vorgängern zu verdanken, und wann immer mein nachlassendes Gedächtnis mich unsicher werden ließ, habe ich Daten und Zahlen bei Wikipedia nachgesehen. Da dieses lexikale Medium durch die Vielzahl der an ihm Beteiligten immer detaillierter und präziser wird, kenne ich kein anderes Nachschlagewerk, dem ich ähnlich unbedingt vertrauen würde. Absolute Sicherheit kann es aber auch nicht bieten.

Vor- und Frühgeschichte

»Weiter, immer weiter!«

Oliver Kahn

Im Gegensatz zu England war Fußball auf dem europäischen Kontinent lange Zeit kein Phänomen der Arbeiterkultur, sondern eher beheimatet im neuen Milieu der bürgerlichen Akademiker und der Angestellten in kaufmännischen oder technischen Berufen.

Englisch oder britisch war zu jener Zeit ein Synonym für »modern«. Aus England wurden Werte wie Fairplay und Toleranz importiert.

Dieser Sportgedanke stand im strengen Gegensatz zur Turnbewegung, die patriotisch und nationalistisch geprägt war, die, als Körperbildung Anfang des 19. Jahrhunderts im Kampf gegen die napoleonische Fremdherrschaft entstanden, einen deutsch-christlichen Nationalstaat propagierte, der auch stark antisemitische Züge trug.

Demgegenüber war die von historischem Hintergrund freie Sportbewegung viel liberaler und weltoffener. Feudale Schranken wurden vom Sport ausgehebelt. Unter den ersten deutschen Fußballern waren deshalb Juden und Protestanten auffällig stark vertreten. Juden wurde der Zutritt zu studentischen Verbindungen oder Turnvereinen häufig verwehrt, während sie beim Fußball einen Weg fanden, sich gesellschaftlich zu assimilieren und über den sportlichen Erfolg Anerkennung zu bekommen. Der FC Bayern vom Gründungsjahr 1900 bis 1933 galt, zumindest für die damaligen Verhältnisse, als dezidiert weltoffen und liberal. Die Mitglieder des Clubs setzten sich zu Anfang meist aus Studenten, Künstlern und Kaufleuten zusammen. Das Schwabing der Jahrhundertwende bildete eine deutschlandweit einzigartige liberale Insel in einer erzkatholisch-konservativen Stadt, die leider eine Hochburg des Antisemitismus genannt werden muss.

Mindestens zwei der siebzehn Unterzeichner der Gründungsurkunde des FCB waren Juden: Joseph Pollack, der erste Torjäger in der Geschichte des Vereins, und Benno Elkam, aus dem später ein berühmter Bildhauer wurde. 1911 wurde der Jude Kurt Landauer Präsident des FC Bayern. Unter seiner Ägide wurde der FCB 1932 zum ersten Mal Deutscher Meister, mit dem österreichisch-ungarischen Juden Richard Kohn (»Little Dombi«) als Trainer. Kurt Landauer war das Musterbeispiel für einen komplett integrierten Juden, der sich viel eher als Münchner verstand, aber dabei sein Leben lang darunter litt, kein ganz »echter« zu sein, denn geboren wurde er im Vorort Planegg.

Unter anderem wegen Landauer und Kohn (und seiner Trainer-Vorgänger Dori Kürschner, Konrád Weisz und Kálmán Konrád) galten die Bayern unter Antisemiten als »Judenclub«, was sie aber nicht wirklich waren. Juden blieben immer eine kleine Minderheit beim FCB. Ein wenig eher hätte die Bezeichnung für Vereine wie Eintracht Frankfurt gepasst, oder in besonderem Maße für Tennis Borussia Berlin (etwa ein Drittel jüdische Vereinsmitglieder in den Zwanzigerjahren). Aber die Bedeutung des FC Bayern bestand unter anderem darin, dass dem Verein Juden jederzeit willkommen waren und man ihnen dort dieselben Profilierungsmöglichkeiten bot wie ihren andersgläubigen Kameraden.

Angefangen hat im Jahre 1900 übrigens alles mit den Vereinsfarben Blau-Weiß. Erst ein paar Jahre später, nach der Fusion mit dem Münchener Sport-Club, wechselte man zu Rot-Weiß, wahrscheinlich auch, um sich vom anderen wichtigen Münchner Fußballverein, den sogenannten »Blausternen« des FC Wacker München, deutlicher abzugrenzen. Der FC Bayern begann als elitärer und vornehmer Club, der vom FC Freiburg (von dorther war Joseph Pollack nach München gekommen) die Kleiderordnung übernahm: aus Frankreich importierte, ausgefallene, dabei aber einheitliche Strohhüte. Man betrat das Spielfeld mit Krawatte.

Im proletarischen Milieu galt der Verein, wenn man es gut meinte, als »Kavaliersclub« oder, ablehnend, als »Protzenclub«. Bis 1908 durften dem FC Bayern nur freiwillig Wehrdienstleistende mit Abitur beitreten. Man wollte sich vom Proletariat abheben, mit Bildung und feinen Manieren. Man wollte, im Sinne eines britischen Gentlemen’s Club, »unter sich« bleiben. Dass man sich damit bei den Arbeitern keine Sympathie erwerben konnte, nahm man billigend in Kauf. Sobald aber der Verein eine gewisse Mitgliederzahl und Bedeutung erreicht hatte, wurde der »Club«-Gedanke schnell aufgegeben, schon um Zugriff auf Spieler zu erhalten, die vielleicht wenig gebildet, aber gute Fußballer waren.

Bereits drei Jahre nach seiner Gründung setzte der FC Bayern ein ebenso ambitioniertes wie ungewöhnliches Zeichen, indem er den niederländischen Sportpionier Wilhelm Hesselink zum Präsidenten wählte. Ein Ausländer in dieser Position, das wäre bei einem nationalistisch gesinnten Turnverein nie möglich gewesen. Sehr früh auch entwickelte der Verein eine Vorliebe für internationale Begegnungen. Von seiner Gründung an bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 bestritt der Club insgesamt 361 Spiele, 50 davon internationale Freundschaftsbegegnungen, eine stolze Anzahl. Man suchte sich namhafte Gegner aus, von denen die eigenen Spieler lernen konnten und die für das Münchner Publikum attraktiv waren. 1910 kam der österreichische Profitorwart Karl Pekarna zum Verein, und Ende 1913 warben die Bayern den englischen Erfolgstrainer William Townley vom damaligen Meister Spielvereinigung Fürth ab. Man wollte nach oben. Investiert wurde, zum Unverständnis vieler Clubmitglieder, zuerst in die Mannschaft, dann in den Bau eines eigenen Stadions.

Präsident Kurt Landauer gehörte zu jenen, die sich für das Profitum engagierten und ein Ende der Scheinheiligkeit forderten, sprich: eine legale Basis für die Bezahlung der Fußballspieler. Der Verein trug heftigste Konflikte mit dem erzkonservativen Deutschen Fußball-Bund (DFB) aus. 1920 gelang es Kurt Landauer immerhin, für seine Spieler eine Unfallversicherung abzuschließen, ein erster Schritt in Richtung Profifußball. Dessen Wurzel sei aber nicht das Geschäft, betonte er stets, sondern der Wille zur Qualitätsverbesserung und der sportliche Wettbewerb. In Frankreich, Italien, Spanien, Ungarn, Österreich und der Tschechoslowakei wurde in den Zwanziger- und frühen Dreißigerjahren der Berufsfußball legalisiert, Deutschland indes beschritt einen Sonderweg und hielt am Amateurismus fest, teilweise durch drakonische Maßnahmen. Ausländische Spieler konnten erst eine Spielerlaubnis bekommen, nachdem sie zwei Jahre in Deutschland ansässig gewesen waren.

Als die Pro-Profi-Bewegung endlich zum Ziel gelangt schien, Ende 1932, erfolgte kurz darauf die nationalsozialistische Machtübernahme, und die DFB-Führung nutzte die radikale Neuordnung des deutschen Sports, um die alten Verhältnisse wiederherzustellen. Der Profifußball wurde in Deutschland erst nach dem Zweiten Weltkrieg legalisiert.

In einer Festschrift aus dem Jahre 1950 steht zu lesen, dass die Zerstörung der liberalen Fußballkultur und der Ausschluss der jüdischen Aktivisten aus dem Verein einen »gewaltigen Eingriff in das innerste Gefüge« des Vereins bedeutet habe. Der FC Bayern München muss sich seiner Rolle im Dritten Reich keineswegs schämen. Er behielt sich eine gewisse Widerständigkeit vor und wehrte sich, solange es irgendwie möglich war, gegen eine nationalsozialistische Führung, weswegen die Nazis dem Verein bis zum Schluss skeptisch gegenüberstanden. Erst am 9. April 1943 kam mit dem Bankier Josef Sauter ein überzeugter Nationalsozialist auf den Präsidentenstuhl.

Sieben Monate später fand ein Freundschaftsspiel des FC Bayern im Züricher Hardtturmstadion statt. Auf der Tribüne saß der emigrierte Ex-Präsident Kurt Landauer. Obwohl den Spielern jegliche Kontaktaufnahme ausdrücklich verboten worden war, liefen sie zum Spielfeldrand, um ihrem so populären Ex-Präsidenten zuzuwinken – für Sauter und seine Hintermänner ein derber Affront.

Die nationalsozialistische Führung revanchierte sich ein halbes Jahr später: Als der FCB im Mai 1944 Südbayerischer Meister wurde (der einzige leidlich erwähnenswerte Titel des Clubs in den dunklen zwölf Jahren), lehnte der Münchner Oberbürgermeister eine Ehrung der Meisterelf mit der Begründung ab, dass der Verein bis zur Machtübernahme von einem Juden geführt worden sei. In der Folge landeten die Spieler der »Roten« weitaus öfter an der Front als diejenigen ihrer Münchner Konkurrenten, die meist nur zum Arbeitseinsatz abkommandiert wurden.

Nach dem Krieg, 1947, kehrte Kurt Landauer aus dem Exil zurück und übernahm erneut die Präsidentschaft, für vier Jahre, bevor er in einer Stichwahl sein Amt an einen Handballer verlor. Der Verein, ins tiefe Mittelmaß abgestürzt, musste bis 1969 warten, bevor (mit nur 13 aktiven Spielern während der gesamten Saison!) der zweite nationale Meistertitel errungen werden konnte.

Als die Bundesliga 1963 gegründet bzw. angepfiffen wurde, war der FC Bayern nicht dabei, da der DFB die Meinung vertrat, man müsse flächendeckend denken und könne folglich nicht zwei Vereine aus einer Stadt benennen. (Es gab, was heute oft vergessen wird, damals noch einen anderen leidlich erfolgreichen Münchner Verein, also das, was man einen »Lokalrivalen« nennt. Die ganz Alten werden sich vielleicht sogar an dessen Namen erinnern.)

Und in dieser Zeit startet die neue bis aktuelle Geschichte des FC Bayern München.

Der Urknall

»Der Grund war nicht die Ursache, sondern der Auslöser.«

Franz Beckenbauer

Die neuere Geschichte des FC Bayern München beginnt mit einer Ohrfeige, einer Watschn, die zum Urknall all dessen wurde, was die Vorherrschaft dieses Clubs begründen sollte.

Viele werden wissen, was gemeint ist. Es war die Watschn, die ein Jugendlicher eines Arbeitersportvereins dem jungen Spieler (damals noch Mittelstürmer) Franz Beckenbauer gab, nachdem der ein Tor geschossen hatte. »Zu dene geh i net«, sagte Franz Beckenbauer und entschied sich daraufhin, von Wacker München zum FC Bayern zu wechseln. Sonst wäre vielleicht alles ganz anders gekommen.

Der Spieler, der Franz Beckenbauer die Watschn verpasste, war über Jahrzehnte hin namenlos. Neulich endlich las ich, sein Name sei Gerhard König. Mag sein. Ein König, der dem Kaiser den Weg wies? Wie apart.

Jener selbstzerstörerische Arbeitersportverein kam auch ein paar Stunden zu spät, um Gerd Müller abzuwerben, nämlich am Nachmittag – die Vertreter des FC Bayern hatten ihm aber schon am Vormittag die Unterschrift abverhandelt. Zuvor hatte sich Müller beim 1. FC Nürnberg beworben, aber die nahmen ihn nicht, weil sie schon zwei andere »Müller« unter Vertrag hatten.

Es gibt noch mehrere Fälle, in denen der FCB – andere würden sagen: Geschick bewies, ich würde sagen: verdammtes Glück hatte. Ausnahmefußballer wie Beckenbauer, Breitner, Gerd Müller, Uli Hoeneß und Sepp Maier, ergänzt durch ebenfalls hervorragende Spieler wie »Bulle« Roth und Katsche Schwarzenbeck, formten eine Mannschaft, der der internationale Erfolg gar nicht verwehrt bleiben konnte.

Wer den alten Spruch vom Flügelschlag eines Schmetterlings, der einen Orkan auslösen kann, nicht mehr hören mag, der soll eben die Geschichte einer Ohrfeige erwähnen, die zur Grundlage eines Fußballimperiums wurde.

Die großen Spieler I

»Da kam dann das Elfmeterschießen.

Wir hatten alle die Hosen voll, aber bei mir lief’s ganz flüssig.«

Paul Breitner

Franz Beckenbauer

Mancher wird glauben, ich würde in diesem Buch originell sein wollen oder müssen, wenn ich über Franz Beckenbauer rede. Aber derlei liegt mir fern. Franz Beckenbauer hat in seinem Leben einfach sehr vieles richtig gemacht und das meiste richtig gut. Dennoch gibt es ja auch Jüngere als mich, die vielleicht gar nicht mitbekommen haben, dass FB nicht immer jene Lichtgestalt war, jener hypercharismatische Fußballguru, von dem eine übernatürliche Aura auszugehen scheint.

Süddeutsche Zeitung