Die Fallen der Liebe

Wie Sie Liebeskummer vorbeugen

Geschichten und Tipps

von

Silvia Fauck

Silvia Fauck

Hohenzollerndamm 199

10717 Berlin

fauck@silviafauck.de

030. 86 31 31 00

Mit herzlichem Dank an Sabine Barz,
die mir mit ihrem Können die wertvollste Hilfe bei der Entstehung
dieses Buches war: www.write-now.de

Inhalt

Einleitung

Teil I: Die 7 Fallen der Liebe: Geschichten und Tipps

Liebeskummerfalle Nr. 1: Fernbeziehung

Die Geschichte von Sonja und Theo

Die Geschichte von Carla und Alexander

Wie Sie diese Falle umgehen können

Liebeskummerfalle Nr. 2: Fremdgehen

Die Geschichte von Nikola und Arndt

Die Geschichte von Anne und Ulrich

Wie Sie diese Falle umgehen können

Liebeskummerfalle Nr. 3: Baby-Alarm

Die Geschichte von Carola und Georg

Stefanies Geschichte

Wie Sie diese Falle umgehen können

Liebeskummerfalle Nr. 4: Keine Zeit für den Partner

Die Geschichte von Katharina und Frank

Die Geschichte von Ariane und Robert

Wie Sie diese Falle umgehen können

Liebeskummerfalle Nr. 5: Rollenkonflikte

Kiras Geschichte

Die Geschichte von Kerstin und Christian

Wie Sie diese Falle umgehen können

Liebeskummerfalle Nr. 6: Ausbruch statt Auseinandersetzung

Die Geschichte von Sönke und Kathrin

Timos Geschichte

Wie Sie diese Falle umgehen können

Liebeskummerfalle Nr. 7: Nur das Negative sehen

Beates Geschichte

Die Geschichte von Verena und Benjamin

Wie Sie diese Falle umgehen können

Teil II: Die Liebe lebendig halten

So halten Sie Ihre Fernbeziehung lebendig

Mein Partner ist fremdgegangen – gemeinsam die Krise überwinden

So bleibt Ihre Beziehung mit Kind harmonisch

Qualität vor Quantität: Wie man auch mit wenig Zeit zu zweit glücklich sein kann

Starke Frauen, schwache Männer? Mit Rollenkonflikten konstruktiv umgehen

Gemeinsam Hürden überwinden, statt einfach umzudrehen

Manchmal ist der Spatz in der Hand in Wirklichkeit eine Taube: Wertschätzung in der Partnerschaft leben

Glücksrezepte – Beziehungsgeheimnisse von Menschen, die eine harmonische Partnerschaft leben

Literaturempfehlungen

Kontakt

Weitere Geschichten von Silvia Fauck

Impressum

Einleitung

Kann eine Liebe ein Leben lang halten? – diese Frage wird mir von meinen Klienten in der Liebeskummerpraxis häufig gestellt. Viele von ihnen sind in diesem Moment in einem Zustand, in dem sie den Glauben an die Liebe fast oder ganz verloren haben. Sie erleben gerade eine schmerzhafte Trennung, die sich entweder über einen langen, quälenden Zeitraum angebahnt oder ihnen vollkommen aus dem Nichts das Herz förmlich zerrissen hat.

Ich antworte auf die Frage immer mit einem entschiedenen »Ja«. Ja, Es gibt sie, die große Liebe, die ein Leben lang hält, bis dass der Tod die Partner scheidet. Aber – und dieses »Aber« muss ich ebenso bestimmt hinterher schicken: Es ist nicht leicht! Es bedeutet, aufmerksam zu bleiben für die eigenen Erwartungen und die Erwartungen des anderen. Es heißt, aktiv die Beziehung zu pflegen und dafür auch den einen oder anderen Kompromiss in Kauf zu nehmen. Und es erfordert manchmal, im richtigen Moment die Notbremse zu ziehen und sich professionelle Hilfe zu holen.

Aus der Erfahrung, die ich in den vergangenen sieben Jahren in meiner Liebeskummerpraxis in Berlin und Hamburg sammeln konnte, weiß ich: Es gibt Beziehungskonstellationen, die im Hinblick auf Beziehungskrisen und Trennungen besonders gefährdet sind. Und meistens realisieren die Betroffenen erst viel zu spät, dass sie in eine dieser typischen »Liebeskummerfallen« getappt sind. Wenn sie bei mir in der Praxis sitzen, wurden sie entweder bereits von ihrem Partner verlassen oder sind selbst kurz davor, diesen Schritt zu tun.

Doch wo verbergen sich diese Liebeskummerfallen? Von welchen Beziehungskonstellationen spreche ich, wenn ich »besonders gefährdet« meine?

Sie lassen sich in sieben Bereiche gliedern, die in diesem Buch anhand von je zwei Fallgeschichten aus der Liebeskummer-Praxis veranschaulicht werden. Außen vor geblieben ist dabei das Thema Eifersucht – es könnte in seiner Komplexität sicher ein eigenes Buch füllen.

Da ist zunächst die Fernbeziehung, bei der die Partner keine Perspektive haben, mittelfristig in derselben Stadt oder Region zu leben. In der Fernbeziehung ist es besonders schwer, am Leben und vor allem am Alltag des anderen teilzuhaben und ein Gefühl von Vertrautheit, Nähe und Geborgenheit aufzubauen oder zu erhalten. Die beiden Geschichten im Kapitel über die Fernbeziehung zeigen, wie zermürbend ein solches Leben sein kann – und sei die Liebe noch so groß.

Ein Klassiker, bei dem das Liebesglück immer auf Messers Schneide steht, ist daneben natürlich die Beziehung, in der einer oder gar beide Partner regelmäßig fremdgehen – ob es nun immer mal wieder »nur« für einen One-Night-Stand ist oder über einen längeren Zeitraum quasi eine »Parallelbeziehung« gelebt wird. Auch Beziehungen, die sich bereits über mehrere Jahrzehnte lang »bewährt« haben, wie im Falle von Anne und Ulrich im Kapitel 2, sind vor dieser Liebeskummerfalle nicht gefeit.

Eine nicht zu unterschätzende Herausforderung stellt für viele Paare auch das Leben mit einem Kind dar. Besonders wenn man zuvor jahrelang ohne Kind zusammengelebt hat, kann so ein kleiner »Eindringling« das Leben extrem durcheinanderwürfeln, selbst dann, wenn beide sich eine Familie mit Kind/ern gewünscht haben. Aber ebenso kann der umgekehrte Fall manchmal »fatale« Folgen haben: Ein unerfüllter Kinderwunsch hat schon so manches Loveboat zum Kentern gebracht.

Liebeskummerfalle Nr. 4 besteht in einer aktuellen Zeiterscheinung: Die Partner bringen nicht mehr genug Zeit füreinander auf. Unsere Terminkalender sind heute selbst am Wochenende so voll, dass ein Vormittag im Bett oder ein romantisches Candle-Light-Dinner kaum noch möglich sind, ohne dass man sich vorher beim Partner einen Termin dafür hat geben lassen. Ganz gleich, ob dieser ewige Zeitmangel nur einen oder beide Partner betrifft, er ist ein absoluter Beziehungskiller.

Mit dieser Entwicklung korreliert übrigens ein weiteres Phänomen, das noch relativ neu ist: Wenn beide Partner berufstätig sind und sich auch die Kindererziehung und alle anderen Aufgaben im Haushalt teilen, geht damit häufig unterschwellig ein Rollenkonflikt einher. Dem Mann fehlt dann der Raum, sich männlich zu fühlen, derjenige zu sein, der abends als »Held der Arbeit« nach Hause kommt und von der Ehefrau umsorgt wird. Und auch Frauen wünschen sich so manches Mal die konservativen Klischees zurück. Sie möchten dann vielleicht einmal schick ausgeführt werden und am Ende nicht die Rechnung zahlen, ob.wohl sie doppelt so viel verdienen wie ihr Partner. Diese Liebeskummerfalle ist sicherlich der »Geheimtipp« unter den hier vorgestellten Konstellationen, denn sie ist besonders komplex.

Zwei weitere Krisenfaktoren begegnen mir in meiner Praxis in letzter Zeit immer häufiger: Da ist zum einen der Aspekt »Ausbruch statt Auseinandersetzung«. In diesem Falle liegt bei einem Partner ein verstörendes Erlebnis aus der Vergangenheit zugrunde, das nicht ausreichend verarbeitet wurde. Es führt dazu, dass der/die Betroffene in jeder Beziehung immer wieder auf dieselben Probleme stößt und daraufhin immer wieder auf dieselbe Weise scheitert. Die beiden Geschichten in diesem Kapitel verdeutlichen, dass hier häufig nur mit professioneller Hilfe eine neue Richtung eingeschlagen werden kann.

Zum anderen ist unser Alltag heute insgesamt so schnelllebig geworden, dass wir ohnehin immer mehr dazu neigen, beim kleinsten Hindernis die Flinte ins Korn zu werfen. Diese Einstellung hängt möglicherweise auch mit unserem Konsumverhalten zusammen, nach dem Motto: Weist die alte Beziehung schon ein paar »Gebrauchsspuren« auf, muss eben eine neue her. – Aber wie häufig habe ich es erlebt, dass Menschen dieses leichtfertige »Wegwerfen« hinterher bitterlich bereut haben und in meiner Praxis sagen: »Schade, dass ich nicht durchgehalten habe!«

Nun mag man vielleicht annehmen: Eine Liebeskummer-Praxis lebt ja davon, dass Menschen mit Liebeskummer dort hinkommen. Warum sollte ich also ein Interesse daran haben, Liebeskummer zu verhindern? – Dazu kann ich sagen, wer mich oder eines meiner anderen Bücher kennt, weiß, wie sehr ich selbst unter der Trennung von meinem letzten Partner gelitten habe. Diesen Schmerz, diese Verzweiflung, diese Trostlosigkeit würde ich selbst meinem ärgsten Feind nicht wünschen. Deswegen kann ich jedem Menschen in fester Partnerschaft nur raten: Gehen Sie Probleme in der Liebesbeziehung rechtzeitig an. Sprechen Sie mit Ihrer Partnerin oder ihrem Partner über das, was sie bedrückt oder beschäftigt. Kommunikation ist das wichtigste Mittel, um eine Partnerschaft lebendig zu halten. Ausführliches dazu liefert Ihnen der zweite Teil dieses Buches »Die Beziehung lebendig halten«. Hier finden Sie zu jeder der vorgestellten Liebeskummerfallen ausführliche Analysen und Tipps, um konstruktiv mit der Situation umzugehen, bevor es zu spät ist. Durch wertvolle Einschätzungen des Paar- und Familientherapeuten Torsten Klatt-Braxein sowie durch zahlreiche Studien des Partnerportals ElitePartner.de werden meine Ausführungen ergänzt.

Und ebenso wie für das vorangegangene Buch habe ich wieder eine Umfrage gestartet und geragt: Was wünschen Sie sich in einer Beziehung oder Ehe von Ihrem Partner/Ihrer Partnerin? Wie halten Sie Ihre Partnerschaft langfristig frisch? Wo liegen für die größten Stolpersteine für Beziehungen? Die Antworten finden Sie im zweiten Teil am Ende der Kapitel sowie im Abschnitt »Glücksrezepte – Die Beziehungsgeheimnisse von Menschen, die eine harmonische Partnerschaft leben«.

Allen Klienten und Freunden, die mir einen Einblick in ihre persönliche Geschichte gewährt und sich an meiner diesjährigen Umfrage beteiligt haben, möchte ich an dieser Stelle ganz herzlich danken. Ein besonderer Dank gilt außerdem meinem Kollegen Torsten Klatt-Braxein für seine Mitarbeit an diesem Buch.

Teil I

Die 7 Fallen der Liebe:
Geschichten und Tipps

Liebeskummerfalle Nr. 1: Fernbeziehung

Die große Liebe zwischen emotionaler Nähe und räumlicher Distanz

Amor sucht sich nicht immer den passenden Ort und den passenden Zeitpunkt im Leben derjenigen aus, auf die er mit seinem Liebespfeil zielt. So trifft er eben manchmal zwei, die in Hamburg und München zu Hause sind oder in Berlin und Wattenscheid. Und solange das Paar auf Wolke 7 schwebt, erscheint beiden Partnern jede räumliche Distanz überwindbar, wenn man nur fest genug an die Liebe glaubt.

Doch mit dem sich normalisierenden Beziehungsalltag kommen meist auch die ersten Probleme: Da fährt der Mann beispielsweise dreimal so häufig zur Frau wie umgekehrt, weil ihre Wohnung doch viel kuscheliger ist. Gleichzeitig bezahlt er aber auch dreimal so hohe Reisekosten für das gemeinsame Beisammensein wie sie.

Spontane Aktivitäten sind so gut wie unmöglich, weil der Partner auf Besuch die passenden Schuhe nicht dabei hat oder weil man dann den gebuchten Zug am Sonntagabend nicht erreichen würde.

Spätestens wenn das Misstrauen Einzug hält, weil ein Partner den anderen am Vorabend telefonisch nicht erreichen konnte, ist es höchste Zeit für eine grundsätzliche Veränderung. Denn eine Fernbeziehung kann nur bestehen, wenn sie ein Ziel hat, auf das beide Partner mit gleichem Antrieb zusteuern. Im besten Falle besteht dieses Ziel darin, zum Zeitpunkt X in derselben Stadt zu leben. Wer diesen Punkt einfach übergeht, hat die größten Chancen in die Liebeskummerfalle Nr. 1 zu tappen, wie die beiden folgenden Geschichten zeigen.

Die Geschichte von Sonja und Theo

Sonja und Theo lernen sich in einem Club-Urlaub in Griechenland kennen. Sie ist 45 und seit zwei Jahren Single, er ist 46, seit sechzehn Jahren verheiratet und hat zwei Töchter im Alter von elf und 14 Jahren. Als die beiden zum ersten Mal beim Abendessen miteinander ins Gespräch kommen, ist sofort klar: Da stimmt die Chemie und vielleicht sogar noch einiges mehr …

Doch während des Urlaubs geht es zwischen ihnen noch ganz harmlos zu. Theo ist schließlich mit seiner Familie da, und es ergeben sich nur wenige Gelegenheiten für »unauffällige« Treffen und Gespräche beim Essen, am Pool oder abends an der Bar. Nach zwei Wochen heißt es für beide, die Koffer zu packen und in ihren Alltag zurückzukehren – Sonja nach Hamburg, Theo nach Bremen. Natürlich tauschen sie vorher ihre Telefonnummern aus, doch Sonja weiß, dass dieses Abschiedsritual nicht unbedingt etwas zu bedeuten hat. Wie viele Telefonnummern von Urlaubsbekanntschaften hat sie selbst in den letzten Jahren beim nächsten Aufräumen des Schreibtisches einfach weggeworfen?

Mit Theo läuft es aber anders. Fünf Tage nach ihrer Rückkehr ruft er Sonja vom Büro aus an und im Nu haben sie sich festgequatscht. So bleibt es nicht bei dem einen Telefonat, und bald werden die Gespräche zu einem festen Bestandteil ihres Alltags. So geht es sechs Wochen lang, bis Sonja schließlich ihren Mut zusammennimmt und ein Treffen in Hamburg vorschlägt.

So nah Sonja und Theo sich bereits auf intellektueller Ebene bei ihren vielen Ferngesprächen waren, so plötzlich funkt es zwischen ihnen danach körperlich. Nach einem intensiven Wochenende zu zweit wissen beide: Das ist keine kurze Affäre, sondern eine große Liebe, vielleicht DIE große Liebe ihres Lebens.

Theo macht deshalb zu Hause auch sofort reinen Tisch: Er erzählt seiner Frau, mit der er ohnehin seit Jahren keinen Sex mehr hatte, dass er sich verliebt hat und sich trennen will.

Damit sei die wichtigste Voraussetzung für ihr gemeinsames Glück geschaffen, meint Theo, und alles andere wird sich dann schon finden. Sonja schwebt zwar auch auf Wolke Sieben, aber ganz so positiv wie Theo sieht sie die Dinge nicht. Zwar ist die Entfernung zwischen Hamburg und Bremen im Grunde kein großes Hindernis, aber eine spontane Einladung zum Essen oder ein kuscheliger Abend auf dem Sofa bei Rotwein und einem guten Film sind doch nicht drin. Hinzu kommt, dass Theo beruflich sehr häufig unterwegs ist. Oft muss er wegen dringender Termine noch im letzten Moment seine Pläne ändern, fliegt doch nicht über Hamburg oder muss von dort aus gleich weiter ans andere Ende der Welt. Noch dazu hat er ein sehr zeitaufwendiges Hobby: Er fährt Oldtimer-Rennen, die an den verschiedensten Orten in ganz Europa stattfinden. So sind viele Wochenenden schon seit Monaten verplant. Sonja fühlt sich deshalb permanent wie in der Warteschleife. Die Sehnsucht, die sie von Anfang an hatte, wird nie wirklich gestillt.

Immerhin schafft es Theo nach neun Monaten zwischen seinen zahlreichen Terminen endlich, sich eine eigene Wohnung in Bremen zu mieten. Nun kann Sonja auch mal ein paar Tage bei ihm verbringen, seine wenigen Freunde kennenlernen und eine leise Ahnung davon bekommen, wie es wäre, mit Theo den Alltag zu teilen.

Wenn sie dann endlich zusammen sind, verbringen Sonja und Theo aber eine sehr schöne und intensive Zeit miteinander. Sonja versteht sich auch mit Theos Töchtern auf Anhieb gut, und sie fahren auch zu viert in den Urlaub.

Nach einem Jahr kommt aber zum ersten Mal die Frage auf: Wo soll diese Beziehung eigentlich hinführen? Nach Sonjas Empfinden kann es jedenfalls nicht ewig so weitergehen mit der Pendelei zwischen Bremen und Hamburg. Ohnehin finden die Treffen fast immer bei Sonja statt, denn der Wohlfühl-Faktor ist in ihrer Wohnung um ein Vielfaches höher als in Theos karg eingerichteter Behausung. Aber es ist eben Sonjas Wohnung, die sie für sich allein eingerichtet hat, und immer öfter bemängelt Theo, er habe bei Sonja keinen Raum für sich.

Wer zieht langfristig also zu wem in die Stadt? Theo hat in Bremen seine Firma und seine beiden Töchter, die ihn an die Stadt binden. Sonja absolviert gerade ein Studium in Hamburg und kann sich weder vorstellen, in das kleine »provinzielle« Bremen zu ziehen, noch möchte sie Theos Frau auf der Straße begegnen – zumindest, solange er noch nicht geschieden ist. Ein erstes ernsthaftes Gespräch über dieses Thema bleibt ohne konkretes Ergebnis.

Also geht es weiter wie bisher: Wenn es sich irgendwie einrichten lässt, treffen sich die beiden am Freitagabend in Hamburg oder in Bremen. Und wenn der andere, auf den man so lange gewartet hat, dann endlich da ist, ist es doch plötzlich so fremd zwischen ihnen, dass sie erst einmal ein paar Stunden brauchen, um wieder zueinander zu finden. Der Samstag vergeht dann meistens ganz harmonisch, aber immer viel zu schnell. Und am Sonntag nach dem Frühstück ziehen bei Sonja regelmäßig die ersten Magenschmerzen auf, denn sie weiß, jetzt sind es nur noch wenige Stunden, bis Theo aus der Tür verschwindet oder sie selbst wieder im ICE nach Bremen sitzt. Nach einigen Monaten entwickelt sich daraus eine negative Eigendynamik: Sonja sitzt leidend am Frühstückstisch und Theo fühlt sich dafür verantwortlich.

»Du übertreibst es aber auch und verlangst immer mehr und mehr«, sagt er eines Tages unwirsch. »Wir sehen uns doch schon bald wieder.« Überhaupt kommt er mit der ganzen Situation offenbar wesentlich besser zurecht als sie. »Mir reicht es, dass ich weiß, dass wir uns lieben. Wir müssen uns doch deswegen nicht ständig sehen«, lautet sein Kommentar zu diesem Thema.

Doch für Sonja werden dieses ewige Koordinieren der Termine, das Pendeln zwischen Hamburg und Bremen und die ständige Telefoniererei, die die Sehnsucht nicht wirklich lindert, immer mehr zu einer Qual. Sie ist deshalb zu einem Kompromiss bereit: Sie würde nun doch nach Bremen kommen, wenn sie und Theo dort gemeinsam ein Haus kaufen und zusammenziehen.

Theo steht dem Vorschlag zunächst gar nicht abgeneigt gegenüber. Also beauftragt er einen Makler mit der Suche und an den folgenden Wochenenden schauen er und Sonja sich verschiedene Objekte an. Bald finden sie tatsächlich ein Haus, das ihnen gefällt und sogar einigermaßen erschwinglich ist. Als sie besprochen haben, was jeder zu investieren bereit ist, gibt Theo die ganzen Unterlagen und Zahlen an seinen Steuerberater weiter – und fortan wird über das Thema nicht mehr gesprochen. Auf Sonjas Nachfragen weicht er aus, und schließlich liefert Theos Freund Gero ihr die Antwort: Theo habe sich die Sache doch anders überlegt. Er könne sich ein gemeinsames Haus mit Sonja, in das auch ihre Kinder und später wahrscheinlich die Enkelkinder häufig zu Besuch kommen nicht so recht vorstellen. Das sei nicht das Leben, das er führen möchte. Sonja bleibt nichts anders übrig, als das zu akzeptieren.

Obwohl sie im Grunde nicht daran denkt, sich zu trennen, ist Sonja mit der Situation zunehmend unzufrieden und wird immer häufiger krank. Vor allem, dass jeder beim anderen immer nur zu Gast ist, geht ihr auf die Nerven. Ständig muss man Sachen packen, auspacken und an alles denken, was man in den nächsten Tagen braucht, und doch ist man letztlich nie auf jede Eventualität eingestellt. Ein spontaner Ausflug ans Meer scheitert daran, dass der warme Mantel zu Hause geblieben ist; bei einem kurzfristig anberaumten Abendessen mit Freunden fühlt Sonja sich unwohl, weil die passende Garderobe fehlt.

Noch dazu ist die Küche in Theos Wohnung so spartanisch ausgestattet, dass es fast unmöglich ist, darin mal ein richtiges Essen zu kochen, und auch sonst ist die Wohnung eben irgendwie ungemütlich. Beklagt Sonja sich dann mal über fehlende Ablagemöglichkeiten im Flur, wo wegen der Fußbodenheizung mehrfach ein Lippenstift in ihrer Handtasche schmilzt, ist Theo sofort beleidigt. Umgekehrt beschwert er sich aber in Sonjas Wohnung, dass dort alles so sehr von ihrem Stil dominiert sei und er keinen Raum für sich habe.

Kurzum: Nach zweieinhalb Jahren haben sich Sonja und Theo bei einer ganzen Reihe von Themen förmlich in eine Sackgasse hereinmanövriert. Überall lauern Tabus, die es zu umschiffen gilt, denn die wenige Zeit, die sie gemeinsam verbringen, wollen sie schließlich nicht mit Streitereien vergeuden.

Sonja hatte mittlerweile alle Prüfungen für ihr Studium bestanden. In der anstrengenden Zeit hatte sie die Einsamkeit im Alltag ganz besonders stark gespürt: An keinem der Ergebnistage war Theo vor Ort. So saß Sonja allein mit einer Flasche Champagner in ihrer schönen Single-Wohnung!

Gleichzeitig wird zumindest Sonja immer klarer, dass die Beziehung ein Ziel braucht – und das kann in ihren Augen nur darin bestehen, dass sie und Theo endlich gemeinsam in einer Stadt leben. Nachdem das Vorhaben Hauskauf so unerfreulich versandet war, gibt es schließlich immer Noch mehrere andere Optionen: Sonja könnte zu Theo in die Wohnung ziehen oder sich in Bremen eine eigene Wohnung mieten. Aber wenn sie schon in die »Provinz« zieht, will sie zumindest, dass Theo endlich die Scheidung von seiner Frau in die Wege leitet. Immerhin sind seit der Trennung mittlerweile fast drei Jahre vergangen. Am Silvesterabend 2006 gibt Theo ihr nach einem leidenschaftlichen Kuss sein Ehrenwort, dass er sich bis zu ihrem nächsten Geburtstag, also in acht Monaten, von seiner Frau scheiden lassen hat. Dieses Versprechen würzt die Beziehung wieder mit einer großen Prise Zuversicht. Als Sonjas Geburtstag dann aber kommt, wird das Thema Scheidung mit keinem Wort mehr erwähnt.

Erst viel später erfährt sie dann, dass Theo zu diesem Zeitpunkt schon munter mit einer andere Frau ausgeht, während Sonja brav zu Hause in Hamburg sitzt und auf seinen Anruf wartet. Im Rückblick wird auch klar, warum Theos Freunde sich ihr gegenüber so distanziert verhalten, wenn sie mal gemeinsam ausgehen, zumal Theos Neue selbst zu diesem Freundeskreis gehört … Doch damals versteht sie überhaupt nicht, was los ist. »Was sind denn das hier in Bremen für komische Leute?«, fragt sie sich und kann sich immer weniger vorstellen, ihr geliebtes Hamburg zu verlassen, nur um mit Theo in einer Stadt zu leben.

Als eines Tages eine E-Mail von Theo kommt, in der er ihr mitteilt, er werde sich von ihr trennen, weil er einfach beziehungsunfähig sei, fällt Sonja aus allen Wolken. Gerade erst hatten sie einen traumhaften Urlaub gemeinsam verbracht. Zugegeben, sie hat gemerkt, dass ihrer Beziehung eine konkrete Perspektive fehlt und war selbst oft genug unzufrieden mit der Situation. Nicht zuletzt deshalb hatte sie immer wieder neue Vorschläge gemacht, wie sie und Theo im wahrsten Sinne des Wortes wieder mehr zueinanderfinden könnten. Aber dass er sich von einer gemeinsamen Zukunft inzwischen schon ganz verabschiedet hatte, das war ihr bei all den emotionalen Aufs und Abs, mit denen sie in ihrem Fernbeziehungsalltag zu kämpfen hatte, entgangen. Heute weiß sie, dass sie und Theo geradewegs in eine klassische Liebeskummerfalle getappt sind: Sie haben die Bedeutung der räumlichen Distanz zwischen ihnen einfach unterschätzt und sich keine verbindlichen Ziele gesetzt, um die wachsende Unzufriedenheit in den Griff zu bekommen.

Die Geschichte von Carla und Alexander

Alexander lernt Carla auf der Hochzeit seines Cousins kennen. Beim Essen sitzen sie nebeneinander und kommen schnell ins Gespräch. Bald merken sie, dass sie beruflich einiges verbindet: Carla ist Marketingchefin eines Pharmaunternehmens in Basel, Alexander ist Geschäftsführer einer Firma für Medizintechnik, die in der Nähe von Hannover produziert. Nach dem ersten Tanz weiß Alexander, dass er heute nicht ohne Carlas Telefonnummer nach Hause gehen wird.

Das Wiedersehen, zu dem sie sich zwei Wochen später verabreden, verläuft vom ersten Moment an stürmisch. Kaum hat Alexander Carlas Wohnung betreten, »arbeiten« sie sich zwischen langen leidenschaftlichen Küssen bis in Carlas Schlafzimmer vor. Diese erotische Welle trägt die beiden über das nächste halbe Jahr, in dem sie so viele Wochenenden wie möglich gemeinsam verbringen. Für beide ist es nicht immer einfach, sich die Zeit für den anderen freizuschaufeln, denn sie sind beruflich viel unterwegs, manchmal auch über das Wochenende.

Als Alexander mit einem Freund eine Reise nach Casablanca macht, die er schon Monate zuvor gebucht hatte, telefoniert er währenddessen so häufig mit Carla, dass die Telefonrechnung am Ende höher ausfällt als die Hotelkosten.

Trotz allem gefällt den beiden die Vorstellung, dass jeder seine Freiheiten, seine Karriere und sein eigenes Leben hat, und man sich gleichzeitig mit dem anderen verbunden fühlt und einen emotionalen Rückhalt hat. Was ihnen allerdings nach einer Weile zu schaffen macht, ist, dass das viele Hin- und Herfahren, das ewige Planen, wann und wo sie sich das nächste Mal sehen, doch sehr viel Kraft kostet. In ihrem Beruf geben Carla und Alexander immer 120 Prozent – da ist es kein Wunder, dass sie am Wochenende eben einfach mal die Füße hochlegen und sich um nichts mehr kümmern wollen. Hinzu kommt, dass sie die Zeit miteinander so intensiv und innig verbringen, dass die Sehnsucht, die zwangsläufig folgt, wenn sie auseinandergehen, kaum auszuhalten ist. So entwickelt sich die Beziehung langsam zur Kraftprobe.

Alexander will sich deshalb ein paar Fixpunkte schaffen, auf die er sich freuen kann, wenn Carla ihm so sehr fehlt. »Was machen wir denn an Weihnachten?«, fragt er schon im Oktober, und auch die Geburtstage möchte er gern rechtzeitig planen. Carla hat dafür allerdings so gar kein offenes Ohr. Sie versucht einfach nur, ihren Alltag zu bewältigen und »kann doch jetzt noch nicht über Weihnachten nachdenken«. Bis dahin könne doch noch so viel passieren.

Alexander empfindet diese Unsicherheit als sehr unbefriedigend. Auch abends fällt er häufig in ein depressives Loch und fragt sich: Warum bin ich jetzt schon wieder allein? Nun bemerkt er ach, dass er seine Freunde in den vergangenen acht Monaten völlig vernachlässigt hat. Jede freie Minute hat er mit Carla verbracht, inzwischen ist er vollkommen isoliert.

Auch Carla muss vor sich selbst zugeben, dass das viele Getrenntsein von Alexander ihr ziemlich zu schaffen macht. So schnüren sich beide in ein Korsett aus Erwartungen, die sich immer häufiger in Form von gegenseitigen Vorwürfen manifestieren: »Wann kommst du endlich mal wieder?«, »Warum hast du gestern nicht mehr angerufen?«, »Fehle ich dir denn gar nicht?«

Leider ist für dieses Dilemma keine akzeptable Lösung in Sicht. Carla will ihren extrem gut bezahlten Job in der Schweiz auf keinen Fall aufgeben, Alexander ist mit seiner Firma ebenfalls so verbunden, dass er sich nicht vorstellen kann, diesen Posten aufzugeben. Immerhin sind sich beide in diesem Punkt einig: Die eigene Karriere aufzugeben, kann man vom anderen einfach nicht verlangen.

In den folgenden Monaten setzen sich Carla und Alexander immer wieder zu Gesprächen zusammen, um die Unzufriedenheit, die sie beide spüren, irgendwie aufzulösen, und nehmen schließlich auch meine Hilfe in Anspruch. Nach weiteren drei Monaten stellt sich heraus: Die Liebe zwischen beiden ist zu groß für eine Beziehung auf Distanz. Keiner der beiden zweifelt an seinen eigenen Gefühlen oder an den Gefühlen des anderen, aber dennoch kommen sie auf einer anderen Ebene einfach nicht zusammen.

Sie habe immerzu diese Strophe im Kopf, erzählt Carla während einer Sitzung bei mir, bloß, dass sie das Wort »Wasser« dann gedanklich durch »Liebe« ersetzt:

Es waren zwei Königskinder,
die hatten einander so lieb.
Sie konnten zusammen nicht kommen,
die Liebe war viel zu tief.

So beschließen Carla und Alexander nach etwas über einem Jahr sich zu trennen. Heute könnten sie noch im Guten auseinander gehen, meint Alexander, später wäre der bittere Beigeschmack vielleicht doch zu groß. Wenn man nicht zusammenkommen könne, müsse man vielleicht loslassen.

Einige Monate später hörte ich über eine gemeinsame Bekannte, dass Carla und Alexander seit ihrer Trennung gar keinen Kontakt mehr hatten. Sie könnten sich nicht vorstellen, ihre leidenschaftliche Beziehung in eine Freundschaft umzuwandeln – auch dafür war die Liebe offenbar zu tief.