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Vorwort des Herausgebers

Voltaire, der große Schriftsteller, Denker und Spötter, schickt seinen Helden Candide auf einen Parforceritt durch die Hälfte der damals bekannten Welt – um Was? festzustellen: Die Welt ist gut? Die Welt ist schlecht? Oder: Jeder muss sehen, dass er in einer schlechten Welt das bestmögliche Leben führt? Wohl eher Letzteres.

Voltaire war kein Atheist, aber Gott war für ihn auch nicht DIE über allem stehende Autorität. »Wir grüßen uns«, sagte er, »aber wir reden nicht weiter miteinander.« Von dieser anti-klerikalen, anti-missionarischen Haltung ist auch das Werk Candide durchzogen. Frömmelei, Untertanengeist und Bigotterie werden im Buch sofort bestraft. So begleiten Katastrophen und pflastern Leichen Candides Weg durch die Welt; Voltaire lässt die Frömmelnden untergehen, während andere geschunden, geschändet, oder nur etwas weiser geworden, wie Candide selbst, sich bis zum Ende durchschlagen – bis zum berühmten Schlusssatz: »Man muss seinen Garten bestellen.« Was man vielleicht übersetzen kann mit: Jeder soll auf seinem Gebiet etwas zu leisten versuchen.

Das Buch konnte im Jahre 1759 nur anonym erscheinen, zu sehr löckte es wider den Stachel der kirchlichen und staatlichen Autoritäten. Kaum erschienen, wurde es verbrannt. Kaum verbrannt, wurde es umso zahlreicher neu gedruckt. Und man glaubt es kaum: Bis 1965, als der ›Index‹[1] der Katholischen Kirche offiziell abgeschafft wurde, blieb das Werk darauf gelistet.

Voltaires meisterhafte Satire ist eigentlich eine Replik. Eine Antwort auf Gottfried Wilhelm Leibniz´ aus dem Jahre 1710 stammendes Postulat, dass unsere Welt die bestmögliche sei. Leibniz begründete dies, verkürzt gesagt, so: Gott könne gar nichts anders als das Bestmögliche schaffen, alles andere sei ihm nicht angemessen. Dass wir Menschen dies nicht erkennen, liege eben nur an unserem beschränkten Erkenntnisvermögen. Und da Gott nun einmal die bestmögliche aller Welten geschaffen habe, sei alles, was darin geschehe, ipso facto gut.

Es ist die Lehre, die auch Candides intellektueller Widerpart im Buch, der Lehrmeister Pangloss vertritt. Trotz Seesturm, Schiffbruch, Erdbeben, Inquisition, Krankheit und Hinrichtung, trotz der Verschleppung, Schändung und Vergewaltigung von Candides Braut Cunégonde, bleibt Philosoph Pangloss unerschütterlich dabei: »Dies ist die beste aller möglichen Welten.« Worauf Candide lakonisch erwidert: »Wenn das die beste aller möglichen Welten ist, dann möchte ich erst die übrigen sehen!«

Candide begegnet auf der Reise, in Surinam, einem zweiten Lehrmeister, dem alten Philosophen Martin, der ihn fortan begleitet. In den Gesprächen mit diesem lebensklugen holländischen Pessimisten erfährt Candide etwas über Habgier und Bosheit als den treibenden Kräften des menschlichen Strebens. So wird er allmählich skeptischer gegenüber der allzu optimistischen Pangloss´schen Philosophie.

Die Reise, die eigentlich eine Reise der Erkenntnis ist, endet in der Türkei. In Konstantinopel finden sich alle wieder: Der längst totgeglaubte Pangloss, der treue Diener Cacambo, und Martin, der Gelehrte. Auch die ewig angebetete Cunégonde ist da – inzwischen allerdings aller Schönheit beraubt und schwer vom Leben gezeichnet. Candide beschließt, sie dennoch zu heiraten. Er kauft ein Landgut, ganz hinten in der Türkei, abgelegen und still, und zieht mit der ganzen seltsamen Gesellschaft dort hin, um endlich Ruhe zu finden und Landwirtschaft zu betreiben. Der Garten muss bestellt werden.

Redaktion eClassica

 

Über den Autor

Voltaire (1694–1778) (eigentlich François-Marie Arouet) war einer der meistgelesenen und einflussreichsten Autoren der französischen und europäischen Aufklärung. Als Sohn eines gutgestellten Pariser Notars war er ein echtes Großstadtkind, dem alle Möglichkeiten der damaligen Zeit offen standen – und er machte das Maximale daraus. Er war enorm belesen, weit gereist, und seine Schriften hatten dank intellektueller Brillanz schon nach kurzem eine Durchschlagskraft, wie die keines anderen Zeitgenossen. Als Lyriker, Dramatiker und Epiker schrieb Voltaire in erster Linie für ein Publikum gebildeter Franzosen; als Erzähler und Philosoph für die gesamte europäische Oberschicht seiner Zeit – denn diese beherrschten meist die französische Sprache und konnten französische Werke im Original lesen. Viele seiner Werke erlebten in rascher Folge mehrere Auflagen und wurden häufig auch umgehend in andere europäische Sprachen übersetzt. Obwohl aus dem Establishment stammend, setzte sich Voltaire immer für die Unterdrückten und Entrechteten ein. Ein korruptes Staatswesen war ihm genauso zuwider wie die ebenso korrupte Kirche, und er schrieb dagegen an. Mehrmals steckte man ihn ins Gefängnis – um ihn kurz darauf wieder hochleben zu lassen. Im Alter durch seine Literatur reich geworden, kaufte sich Voltaire das Schweizer Schloss Ferney, dessen Grund an drei Länder grenzt, und ihm jeweils die Flucht in das eine oder andere ermöglichen konnte; je nachdem, wo er gerade verfolgt wurde.

 

Über den Illustrator

Ernst Paul Klee (1879–1940) gehört zu den bedeutendsten bildenden Künstlern der Klassischen Moderne des 20. Jahrhunderts und stand mit der Künstlergruppe ›Der Blaue Reiter‹ in engem Kontakt. Sein vielseitiges Werk wird vorwiegend dem Expressionismus, Konstruktivismus und Surrealismus zugeordnet. Ab 1931 war Klee Professor an der Kunstakademie Düsseldorf. Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten ging er ins Exil nach Bern, wo ein umfangreiches Spätwerk entstand.

Im Januar 1911 hatte Paul Klee in München Alfred Kubin kennengelernt, der ihn in dem Vorhaben bestärkte, Voltaires Candide zu illustrieren. Zu diesem Zeitpunkt nahm Klees grafisches Werk einen großen Raum ein, und seine Neigung zum Sarkastischen und Skurrilen war deutlich erkennbar. Im März 1912 schloss er die Illustrationen zu Candide ab. 1920 erschien das Werk unter dem Titel »Kandide oder die Beste Welt. Eine Erzählung von Voltaire mit 26 Illustrationen in Lichtdrucken nach Federzeichnungen von Paul Klee« im Verlag Kurt Wolff, München.

 

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Anmerkungen:

[1] Der Index Librorum Prohibitorum, das »Verzeichnis der verbotenen Bücher«, kurz auch »Römischer Index«, wurde 1965, nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, abgeschafft.

 

Verwendete Quellen (u.a.):

›Voltaire: Candide‹ von Robert Minder, in: ZEIT-Bibliothek der 100 Bücher, Suhrkamp 1980;

• Der große Brockhaus Literatur, Leipzig, Mannheim, 2007;

• Websites: u.a. Wikipedia