Cover

Corinna Wieja

TESSA UND TIM:
MEERSCHWEIN GEHABT

mit Vignetten von

Isabel Wieja

Inhaltsverzeichnis

Widmung

Für meine großartigen Kinder und meinen Mann,

die mich auf die Idee zu diesem Buch gebracht haben.

Wer sich dieses Buch für dich ausgedacht hat

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Corinna Wieja liest, übersetzt und schreibt am liebsten spannende und lustige Bücher. Wie Tessa und Tim mag sie Tiere und teilt sich deshalb mit ihrer verfressenen Katze manchmal sogar den Schreibtischstuhl. Wenn du wissen willst, welche Geschichte sie gerade schreibt, dann blättere ganz nach hinten. Dort kannst du in eines ihrer neuen Bücher reinlesen. Eine Auflistung von all ihren Büchern, Malvorlagen, Spielen, Leseproben und andere Extras zum kostenlosen Ausdrucken findest du hier: www.corinnawieja.de.

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Ein Buch wird mit Bildern noch schöner.

Die Bilder in diesem Buch sind von Isabel Wieja. Sie ist Corinnas Tochter und zeichnet, wo sie geht und steht. Wenn sie mal nicht zeichnet, dann liest sie – am liebsten Fantasyromane und Mangas. Außerdem studiert sie Japanisch und Norwegisch. Ihre Lieblingstiere sind Bartagamen … und Meerschweinchen … und Hunde … und Katzen und … äh ja, eigentlich alle Tiere, bis auf Stechmücken vielleicht.

Und jetzt geht’s mit der Geschichte los …

1. Ein Pechvogel kommt selten allein

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Rrrrrrring! Verflixt, der Wecker macht einen Höllenlärm. Blind greife ich danach und stemme mühsam die Augen auf. Halb sieben. Seufz! Nicht mal in den Ferien kann ich im Bett bleiben und ausschlafen. Dabei wäre heute ein idealer Bleib-im-Bett-und-schlaf-dich-aus-Tag. Der Himmel ist grau und Regen trommelt grässlich laut ans Fenster.

Ich drücke die Schlummertaste und vergrabe den Wecker unter meinem Kopfkissen. Ich habe ihn extra so früh gestellt, damit ich meine Eltern am Frühstückstisch erwische. Ich muss mit ihnen reden, denn ich habe gestern schon wieder beim Losen gegen Tim verloren. Zum fünften Mal hintereinander. Der schummelt doch! Wie sonst lässt sich erklären, dass immer er den Zettel zieht, auf dem „Gassi gehen“ steht? Ich muss nur noch herausfinden, wie mein Bruderherz das anstellt. Ich habe nämlich wirklich keine Lust, die ganzen Ferien über allein die Katzenklos und die Kaninchenkäfige sauber zu machen! Wenn ich meinen speziellen Bitte-bitte-Blick einsetze, verdonnern Mama und Paps Tim vielleicht dazu, dass er sich mit mir abwechselt oder mir wenigstens heute hilft.

Erst mal kuschele ich mich aber noch tiefer unter die Decke. Nur ein paar Minuten noch. Der Dreck in den Kaninchenkäfigen läuft ja nicht weg. Leider. Wäre doch schön, wenn die Hasenköttel Füße bekämen und von selbst zur Mülltonne tippeln würden. Ich muss grinsen, als ich mir das vorstelle: eine Parade kleiner brauner Kügelchen, die durch unseren Garten marschiert. Das wäre mal ein nützlicher Zaubertrick! Wenn Tim den könnte, hätte ich auch nichts mehr gegen seine nervkrötigen Kartentricks, die er immer an mir ausprobiert.

Tim will unbedingt Zauberkünstler werden und so berühmt wie David Copperfield, Jan Rouven oder Harry Potter. Dabei ist Tim im Zaubern ungefähr so geschickt wie eine Kuh beim Rollschuhlaufen.

Wird der Esel genannt, kommt er gerannt, sagt meine Oma immer. Wie wahr! Die Tür fliegt auf und mein Bruder stürmt ins Zimmer. „He, Tessa, wach auf! Ich hab einen neuen Trick, den musst du dir unbedingt anschauen.“

„Aber nicht jetzt! Will noch schlafen. Verschwinde“, nuschle ich und ziehe mir die Decke über den Kopf.

Tim und ich sind Zwillinge, aber wir sind uns überhaupt nicht ähnlich. Er hat kurze blonde Haare und blaue Augen, ich habe lange braune Haare und grüne Augen. Sein Name hat drei Buchstaben, meiner fünf. Ich bin morgens ein Murmeltier, er ist so munter wie das Kikeriki eines Hahns.

„Nein, das muss ich dir sofort zeigen. Ich hab den Trick ewig geübt. Der ist richtig schwer, aber jetzt kann ich’s“, sagt er und zieht mir die Decke vom Kopf. In der Hand hält er einen Zylinder, in dem ein Ei rumkugelt.

Ich richte mich auf und ziehe die Augenbrauen zusammen, und zwar so, dass er es auch mitbekommt. „Was soll das werden? Frühstück am Bett?“

„Nee, viel besser.“ Tim grinst. „Pass auf!“ Er wedelt mit der Hand in beschwörenden Kreisen über dem Ei im Zylinder. „Abrakadabra verschwindibus!“ Dann dreht er mit Schwung den Zylinder um.

„Neeeeeeein!“, brülle ich und werfe das Kopfkissen nach ihm. Ich verfehle ihn nur um Millimeter, weil er sich geschickt zur Seite dreht. Trotzdem ist es zu spät. Das Ei platscht auf den Boden. Dotter und Eiweiß vermischen sich zu einer glitschigen, gelbweißen Pfütze auf meinem Teppich. „Du Schusselkopf! Mein schöner weißer Flauscheteppich! Der ist jetzt total hin. Warum hast du kein gekochtes Ei genommen? Oder eins aus Plastik?!“

Tim kratzt sich am Kopf. „Komisch, vorhin hat es noch funktioniert. Da muss was mit der Geheimklappe nicht stimmen …“

„Ich glaube, bei dir stimmt’s nicht!“, sage ich. „Und zwar hier.“ Ich tippe mir an die Stirn. „Das machst du sofort sauber!“

Tim reagiert nicht. Er untersucht immer noch seinen Zylinder. Verärgert springe ich aus dem Bett – mitten in die Eierpfütze hinein. Örks! Das ist so was von eklig. Vorsichtig hebe ich meinen Fuß hoch. Das Eiweiß zieht lange klebrige Fäden und ich wünsche mir, ich wäre nie aufgestanden. Dotter tropft von meinem großen Zeh. Na warte!, denke ich mir und will Tim am Kragen packen, damit er sich endlich um den Eiermatsch kümmert. Tim weicht mir jedoch grinsend aus. Ich gerate ins Schwanken, weil ich immer noch wie ein Storch auf einem Bein stehe. Hopsend versuche ich, mein Gleichgewicht wiederzufinden. Dabei rudere ich wild mit den Armen und bin kurz davor umzufallen. Blöderweise lande ich mit dem anderen Fuß auf den Eierschalen. Es macht krack und der Matsch und die Schalenstücke kleben auch an diesen Zehen. Kurz überlege ich, ob ich Tim den Zylinder über den Kopf ziehen soll, damit er selbst in der Geheimklappe verschwindet.

Dann aber schließe ich die Augen und stelle mir zur Beruhigung ein tiefblaues Meer vor, dazu einen Strand mit Palmen. Alle meine Freundinnen liegen jetzt irgendwo in der Sonne am Meer. Und ich? Hach, wäre das schön, endlich mal wieder in den Urlaub zu fahren. Ohne Tim! In Gedanken verfasse ich eine Liste, wie ich meinen Bruder loswerden könnte.

- In einer Rakete zum Mond schießen (leider habe ich keine Rakete).

- Im Restaurant des Möbelhauses vergessen (sollte ganz einfach sein, wenn die Hackfleischbällchen im Angebot sind. So gern, wie Tim die isst).

- Ihn mit einem seiner Zaubertricks verschwinden lassen (dazu müsste ich allerdings selbst erst mal zaubern lernen).

Ich schüttele mich aus meinem Tagtraum. Herumspinnen hilft mir nicht weiter. Erst mal muss das Ei weg. Außerdem bin ich schließlich die Vernünftige von uns beiden. „Jetzt geh schon und hol einen Lappen!“, befehle ich ganz ruhig. „Ich kann nicht, ich tropfe.“

Tim kichert. „Ja, aber dein Eiertanz war cool.“

Wortlos deute ich mit dem Finger zur Tür.

„Ja, ja, schon gut“, sagt Tim und verzieht sich. Kaum ist er zur Tür raus, höre ich lautes Gepolter und einen ohrenbetäubenden Schrei. Die Stimme erkenne ich sofort – Mama. Gleich darauf poltert es wieder und jemand flucht. Eindeutig Paps. Mit einem letzten Blick auf den Wecker – es ist gleich sieben, eine echt bescheuerte Zeit zum Aufstehen in den Ferien! – stürze ich aus dem Zimmer und laufe zum Bad. Von dort kam der Schrei. Unterwegs verteile ich überall den Eiermatsch.

Vor der Badezimmertür steht Tim wie versteinert. „Was war das denn?“, flüstert er.

„Keine Ahnung“, antworte ich. „Aber das werden wir gleich herausfinden.“ Mein Herz trommelt wie wild, als ich die Tür aufreiße. Ach du liebes Gänseblümchen! Was ist denn hier los? Ich reibe mir die Augen, aber das Bild bleibt dasselbe. Meine Eltern liegen übereinander auf den weißen Fliesen! Paps hält sich das linke Bein und jammert, Mama den rechten Arm und jammert.

„Was macht ihr denn da?“, frage ich, obwohl das eigentlich klar ist. Sie liegen auf dem Boden und jammern.

„Mir ist beim Duschen … ah … die Seife nach draußen geflutscht“, erklärt Mama mit Autsch-Gesicht. „Als ich sie aufheben wollte, bin ich gestolpert. Dabei habe ich mir wohl den Arm verrenkt.“

„Wieso hast du denn kein Duschgel genommen?“, frage ich. Sie schenkt mir einen Blick, mit dem sie Wasser gefrieren lassen könnte.

„Weil es alle war“, antwortet sie und schwenkt den Eisstrahlblick zu Paps.

„Ja, ich geb’s zu. Ich hab es aufgebraucht und nicht Bescheid gesagt. Tut mir leid. Aber meine Strafe dafür habe ich ja schon.“ Paps verzieht stöhnend das Gesicht. „Ich bin nämlich auf der Seife vor der Dusche ausgerutscht.“ Seine Schlafanzughose hat an einer unvorteilhaften Stelle einen nassen Fleck. Tim und ich starren wie gebannt darauf. Er bemerkt unseren Blick. „Das ist Wasser. Nicht, was ihr denkt!“, sagt er und zieht eine Grimasse. „Und jetzt steht da nicht so rum. Wir könnten Hilfe gebrauchen.“ Auffordernd streckt er mir den Arm entgegen.

Meine Eltern wären wohl auch besser im Bett geblieben, schießt es mir durch den Kopf. Aber das sage ich lieber nicht laut. Die beiden sehen echt fertig aus.

„Tim, komm, pack mal mit an.“ Ich sag nur: ächz. Paps ist ein ganz schön schwerer Brocken. Und ich bin nun mal keine Ameise, die das Hundertfache ihres Gewichts schleppen kann. Paps hüpft auf einem Bein zum Klo, Mama schafft es mit Tims Hilfe zum Badhocker.

Vorsichtig setzt Paps den Fuß auf – und verzieht erneut das Gesicht. Er betastet den Knöchel. „Ich glaube, mein Fuß ist gebrochen“, sagt er. „Was ist mit dir, Sandra?“ Mama streckt den Arm aus, Paps tastet ihn ab. Mama hat die Lippen fest zusammengepresst. Ihr Gesicht ist so weiß wie Käsesahnetorte. Es muss richtig weh tun. Paps ist zwar Tierarzt, aber mit Menschen kennt er sich genauso gut aus. Behauptet er. „Tja“, sagt er. „Das Gelenk ist geschwollen.“ Als er vorsichtig Mamas Hand dreht, schreit sie auf. Also Mama, nicht die Hand. „Entschuldige. Hm, vielleicht ist die Hand gebrochen. Tessa, ruf bitte Oma Lina an. Wir müssen ins Krankenhaus zum Röntgen.“

„Sollen wir nicht den Notarzt rufen?“, fragt Tim sofort. Er würde wohl gerne mit Blaulicht in die Klinik rasen.

Paps schüttelt den Kopf. „So schlimm ist es nun auch wieder nicht.“

Ich gehe also nach unten zum Telefon und alarmiere Oma. Dann helfen wir Mama und Paps beim Anziehen. Das ist echte Schwerstarbeit, uff. Nach wenigen Minuten tuckert Oma in ihrem alten Käfer an. Tim läuft runter und macht ihr die Tür auf. Kurz darauf taucht Oma im Bad auf und fuchtelt aufgeregt mit den Händen. Ihre kurzen braunen Haare stehen wie Igelstacheln in alle Richtungen ab. Offenbar ist sie sofort los, ohne sich zu kämmen. „Ihr macht ja Sachen, Kinder. Meine Güte! Aber zum Glück bin ich ja jetzt da.“ Oma wuschelt Paps durch die Haare und tätschelt Mamas Wange. „Kommt, fahren wir ins Krankenhaus“, sagt sie.

Mit vereinten Kräften verfrachten wir meine Eltern in Paps‘ Jeep, was gar nicht so einfach ist – noch mal ächz. Warum muss das Trittbrett auch so hoch sein. Allerdings ist der Jeep größer als Omas Käfer und wir passen alle rein. Auf dem Weg zum Krankenhaus ist es mucksmäuschenstill im Auto, wahrscheinlich, weil wir bis auf Oma alle starr sind vor Angst. Oma heizt um die Kurven wie Sebastian Vettel. Dabei haut sie die Gänge so fest rein, dass der Motor jedes Mal protestierend aufkreischt. Ich klammere mich am Griff der Tür fest und bete, dass wir die Fahrt lebend überstehen. Ein Blick in die verzerrten Gesichter meiner Eltern verrät mir, dass sie entweder immer noch höllische Schmerzen haben oder Omas Fahrkünsten auch nicht besonders vertrauen. Vielleicht auch beides.

Leider behält Paps recht. Der Arzt in der Unfallklinik stellt fest, dass Arm und Bein gebrochen sind. Jetzt sitzt Paps mit Schienen am verbundenen Bein in einem Rollstuhl und Mamas Arm steckt in einer seltsamen Schale.

„Tja, wie es aussieht, sind wir echte Pechvögel.“ Paps lächelt schief.

„Ach, das wird schon wieder“, sage ich tröstend, während Tim vorsichtig mit der Hand über Mamas Verband fährt.

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