Schlusswort

Die westliche Welt der Technischen Analyse wurde mit Ichimoku Kinko Hyo um eine mächtige Methode bereichert. Der Chart offenbart auf einen Blick und ohne Interpretationsspielraum, ob sich der Preis im bullischen oder bärischen Territorium befindet. Mit einer einzigen Einstellung der Parameter können Sie in jedem Zeithorizont auf Anhieb den Trend bestimmen. Der (langfristige) Investor kann seine Anlageentscheidung mit den gleichen Einstellungen treffen wie der Trader im Fünf-Minuten-Chart.

Ichimoku Kinko Hyo ist eine durch und durch dynamische Methode. Widerstands- und Unterstützungszonen werden mit jedem neuen Preis an das neue Preisniveau angepasst. Für den Einsteiger ist das sicher eine Herausforderung. Diese Dynamik aber in Kombination mit der Projektion in die Zukunft und in die Vergangenheit macht diese Methode so einzigartig und wertvoll. Die Wolke ist das zentrale Element und gibt die weitere Strategie vor. Mache einen Plan und halte Dich an den Plan!

Eine weitere Herausforderung ist, dass sich das ganze Geschehen im Preischart abspielt. Das ist ein weiterer Vorteil der Methode. An erster Stelle einer Analyse steht immer die Analyse der Preisaktion. Da werden der Blick und die Gedanken nicht durch das Geschehen in irgendwelchen separaten Indikatorenfenstern abgelenkt. Die Preisentwicklung steht immer im direkten Kontakt mit den Unterstützungs- und Widerstandszonen. Insbesondere Candlestick Umkehrformationen, die in oder an diesen Zonen ausgebildet werden, sind signifikant und auf jeden Fall sehr aussagekräftig. Aber auch die Signale werden direkt im Preischart generiert – in direktem Kontakt mit den Kerzen und den Unterstützungs- und Widerstandszonen.

Wer möchte, kann jederzeit den klassischen Candlestickchart durch die modifizierte Variante der Heikin Ashi Kerzen ersetzen. Auch die Indikatoreinstellungen können variiert werden. Da im Devisenhandel die Fibonacci-Zahlen vielfach zum Einsatz kommen, bietet es sich an, damit zu experimentieren. Wobei man immer im Hinterkopf behalten sollte, dass in den japanischen Handelsräumen die Standardeinstellungen verwendet werden.

Als Trendfolger ist Ichimoku in Seitwärtsmärkten überfordert. Wer in Seitwärtsmärkten trotzdem handeln möchte, kann entweder zusätzlich einen Oszillator verwenden oder eine Zeitebene tiefer wählen. Es ist natürlich grundsätzlich möglich, zusätzliche Indikatoren oder Oszillatoren zu verwenden – Ichimoku harmoniert mit allen anderen Methoden der Technischen Analyse. So können Signale durch eine weitere Instanz bestätigt werden.

Die Handelssignale leiten sich zum Teil direkt aus der Preisaktion ab. Wer eine Position eröffnet, muss diese durch einen Stopp absichern – das Preisniveau von Kijun-Sen ist hier die Linie der Wahl. Wobei nicht so wichtig ist, wie der Stopp berechnet oder bestimmt wird, viel wichtiger ist, dass er sofort nach Positionseröffnung erteilt wird und immer nur in Gewinnrichtung nachgezogen wird.

Die Kurszielbestimmung und die Wellentheorie aus der Feder des Meisters weisen große Ähnlichkeit mit dem Elliott-Wave-Principle auf. Wer mit der 1-2-3 Methode vertraut ist und auch die Grundzüge eines Impulses kennt, kann die Kursziele über diese Methode berechnen. Und mit Stopp und Kursziel lässt sich das Chance-Risiko-Verhältnis (CRV) berechnen.

Arbeiten Sie mit unterschiedlichen Zeithorizonten und schauen Sie sich die Charts eines Instruments gleichzeitig an. So können Sie übergeordnete Widerstands- und Unterstützungszonen erkennen und auch widersprüchliche Trendaussagen identifizieren.

Was kann ich Ihnen noch auf den Weg geben?

Nur wenige Informationen sind über Ichimoku Kinko Hyo in den vergangenen Jahrzehnten in die westliche Welt gedrungen. Das ist sicherlich der Grund dafür, dass Ichimoku in der westlichen Welt wenig bekannt ist.

Lassen Sie sich nicht abschrecken durch die Vielzahl der Linien. Gehen Sie es systematisch an und lernen Sie die Linien und ihre Bedeutung kennen. Und dann müssen Sie üben. Das Buch kann Ihnen nur die Grundlagen vermitteln und Anregungen geben. Beziehen Sie Ichimoku in Ihre Handelsentscheidungen mit ein. Bald werden Sie feststellen, dass Sie einen Chart »auf einen Blick« analysieren können und dass sich der Handelserfolg einstellt.

Wie schrieb Hidenobu Sasaki treffend:

»Je nach Kenntnisstand des Lesers kann man den Chart zum Leben erwecken oder töten!«

Wir erwecken ihn nun zum Leben.

Für alle, die sich intensiv mit Ichimoku Kinko Hyo beschäftigen und sich regelmäßig austauschen wollen, wurde auf XING eine Ichimoku-Gruppe eingerichtet. Über diese Plattform können Nutzer ihre Erfahrungen mit dieser Methode mit anderen teilen.

Feedback an: ichimoku@t-online.de

Nachwort

Von Martin Siegert

Während die japanischen Kerzencharts bereits seit Jahrzehnten im angelsächsischen Sprachraum und seit einigen Jahren auch in Europa Einzug gehalten haben, sind andere profitable und oftmals aus dem fernöstlichen Sprachraum stammende Techniken weniger bekannt. Vielleicht liegt es daran, dass die Ichimoku Kinko-Studien visuell als komplex bezeichnet werden können bzw. die Heikin Ashi-Methode nicht aus den traditionellen Datensätzen generiert werden kann. Karin Roller ist es in diesem Buch gelungen, dem Leser diese Techniken nicht nur näher zu bringen, sondern ihm aufzuzeigen, wie diese Methoden gewinnbringend eingesetzt werden können. Die Wiederholung anderer bereits etablierter Methoden wie zum Beispiel verschiedene Indikatorenkonzepte und die Stopp-Strategie runden dieses Buch ab und machen es zur Pflichtlektüre eines verantwortungsvollen Investors.

Martin Siegert,

Head of Technical Market Research bei der Landesbank Baden-Württemberg, Entwickler der AIKIDO-TRADING Methode.

Hinweise

Die Abbildungen 101, 102, 103, 105, 107, 108 und 109 wurden mit Stock-Charts.com erstellt.

Abbildung 154 stammt vom Deutschen Wetterdienst.

Abbildung 155 wurde von der Autorin mit MS Office EXCEL 2007 generiert.

Alle anderen Charts wurden mit Taipan End-of-Day 9.0 erstellt.

Alle Grafiken wurden von der Autorin selbst »gemalt«.

Literaturliste

Beckett, David Linton: Cloud Charts: Trading Success with the Ichimoku Technique von Updata Plc

Bollinger, John: Bollinger-Bänder

Bulkowski, Thomas N.: Enzyklopädie der Candlesticks

Elliott, Nicole: Ichimoku Charts: An Introduction to Ichimoku Kinko Clouds von Harriman House Ltd

Faith, Curtis M.: Die Strategien der Turtle Trader

Hidenobu Sasaki: Ichimoku Kinko Studies 英信 佐々木  一目均衡表の研究

Kahler, Philipp: Trading Strategien (nicht nur) für Extrem-Situationen

Murphy, John J.: Technische Analyse der Finanzmärkte

Nison, Steve: Technische Analyse mit Candlesticks

Nison, Steve: Beyond Candlesticks: New Japanese Charting Techniques Revealed (Wiley Finance) von Steve Nison

Wilder jr., Welles: New Concepts in Technical Trading Systems. Trend Research Verlag

Endnoten

1 IFTA = International Federation of Technical Analysts

2 CFTe: Certified Financial Technician

3 Der Begriff Effizienzmarkthypothese wurde 1970 von Eugene Fama definiert und geprägt.

4 Behavioral Finance ist ein Teilgebiet der Wirtschaftswissenschaft. Sie beschäftigt sich mit menschlichem Verhalten in wirtschaftlichen Situationen.

5 Normalverteilung: Das ist die Gauß’sche Glockenkurve. Benannt nach Carl Friedrich Gauß, einem deutschen Mathematiker (1777-1855).

6 Self fulfilling prophecy = sich selbst erfüllende Vorhersage: Ist eine Vorhersage, die sich deshalb erfüllt, weil sich in diesem speziellen Fall eine große Masse von Tradern so verhält, dass sie sich erfüllen muss.

7 Kanji sind die chinesischen Schriftzeichen, wie sie in der japanischen Schrift verwendet werden.

8 Elliott-Wave-Principle: Wurde von R.N Elliott gut dokumentiert und über die Jahrzehnte hinweg weitergetragen.

9 Gann-Konzepte: Wurden von W.D. Gann sehr rudimentär dokumentiert, nichts Genaues weiß leider niemand.

10 greater fool = größerer Dummkopf

11 Thomas N. Bulkowski: Enzyklopädie der Candlesticks, erschienen im Finanzbuchverlag

12 Ein Inside Day liegt dann vor, wenn sich die aktuelle Candle innerhalb der Candle des vorangegangenen Tages befindet.

13 Gap = Kurslücke. Entsteht dadurch, dass der Eröffnungskurs des heutigen Tages über dem Tageshoch des vorherigen Tages liegt.

14 Handelsspanne ist die Differenz zwischen Tageshoch und Tagestief.

15 Pivot Punkte dienen der Kurszielbestimmung. Sie haben ihren Ursprung bei den Floor Tradern in den USA und werden in den Futures-, Termin- und Forexmärkten verwendet. Grundüberlegung ist, dass die Preisaktivität des vorherigen Handelstages Einfluss auf die heutige Preisaktivität hat. Durch Berechnung der Pivot Punkte werden Widerstands- und Unterstützungsniveaus für den heutigen Handelstag definiert. Die Pivot Punkte werden aus dem High, Low und Close des vorangegangenen Handelstages berechnet.

16 Retracement = Korrekturlevel.

17 Umkehrformationen in der Candlestick-Analyse.

18 Nackenlinie: Bei einer Kopf-Schulter-Formation werden die beiden Tiefs rechts und links des Kopfes miteinander durch eine Linie verbunden.

19 FOREX = Foreign Exchange

20 XETRA = Exchange Electronic Trading, ist eine elektronische Handelsplattform der Deutschen Börse AG.

21 NYSE = New York Stock Exchange, größte Wertpapierbörse der Welt.

22 Streubesitz = free float, dazu werden die Aktien gezählt, die nicht in der Hand von Großaktionären sind. Als meldepflichtiger Großaktionär gilt, wer mehr als 3 % der Aktien eines Unternehmens hält.

23 Dow Jones Industrial Average = DJIA, was den Deutschen der DAX, ist den Amis der Dow Jones.

24 Double Crossover Methode = Methode der doppelten Überkreuzung

25 Gerald Appel: Powertools für die Technische Analyse, erschienen im Finanzbuchverlag

26 Channel = Kanal

27 Richard Dennis und Bill Eckardt wollten mit einem Experiment 1983 beweisen, dass Traden erlernt werden kann. Mit einer klaren Strategie und Positions- und Risikomanagement wurde der Beweis auch erbracht.

28 John Bollinger: Bollinger Bänder, erschienen im Finanzbuchverlag

29 erratisch = unvorhersagbar schwankend

30 Times = mal / multipliziert

31 Indikativer Preis: der Preis, der bestimmt werden würde, wenn die Preisauktion zu diesem Zeitpunkt beendet worden wäre.

32 Trailing Stopp ist eine Stopp-Loss-Order, die sich bei steigenden (Long-Position) oder fallenden (Short-Position) Kursen automatisch um eine vorab definierte Differenz in Gewinnrichtung anpasst. Bei Long-Positionen ist das nach oben, bei Short-Positionen ist das nach unten.

33 FDAX = DAX-Future, wird an der EUREX, der Deutschen Terminbörse, gehandelt

34 RSI = Relative Stärke nach Welles Wilder

35 MACD = Moving Average Convergence Divergence nach Gerald Appel

36 Primzahl ist eine natürliche Zahl, die nur durch 1 und sich selbst geteilt werden kann.

37 Eine irrationale Zahl ist eine reelle Zahl, die nicht als Bruch zweier ganzer Zahlen dargestellt werden kann.

38 Nautilus = Perlboot, das ist ein Kopffüßler und damit ein Verwandter der Tintenfische.

39 Fast-Entry-Regel: Die DAX-Mitgliedschaft wird vierteljährlich überprüft. Gehört ein börsennotiertes Unternehmen mit dem Börsenumsatz und der Marktkapitalisierung zu den 25 Besten, muss der Wert in den DAX aufgenommen werden. Dafür muss das Unternehmen mit der geringsten Marktkapitalisierung den DAX verlassen.

40 NEMAX = Neuer Markt Index der Deutschen Börse

41 Initial = Anfang, anfänglich

42 to reverse = umdrehen

43 Settlement: Hierbei geht es um die Abrechnung und Bewertung von Derivaten. Als Referenzpreis wird in der Regel der Tagesschlusskurs des Basiswertes herangezogen.

44 Bei dem von Gerald Appel Ende der siebziger Jahre (des vergangenen Jahrhunderts) entwickelten MACD werden in der Standardeinstellung für den längeren der beiden exponentiell gleitenden Durchschnitte ebenfalls 26 Perioden verwendet.

45 Pip = kleinste Preisstufe in einer Währung. Bei EUR/USD ist es die 4. Stelle nach dem Komma.

46 Blended Candle = zusammengesetzte Kerze

47 open = Eröffnungskurs

48 Eine Kopf-Schulter-Formation ist eine Trendwendeformation, die im Aufwärtstrend als Topformation auftaucht, als inverse SKS im Abwärtstrend als Bodenformation.

49 lat. retrospectare = zurückblicken

50 Breakout = Ausbruch

51 Die -1 erklären sich dadurch, dass die letzte Kerze einer Einheit und die erste Kerze der folgenden Einheit nicht doppelt gezählt werden. Werden drei Einheiten addiert, so werden die zwei »Zwischentage« subtrahiert.

52 Swing-Charts beschreiben den Markt auf eine sehr klare Art und Weise.

53 Take Profit-Order ist ähnlich einer Stopp-Loss-Order. Sie stellt sicher, dass beim Erreichen eines bestimmen Kurslevels der Gewinn realisiert wird, ohne dass der Handel rund um die Uhr beobachtet werden muss.

54 Eine Stopp-Loss-Order dient der Verlustbegrenzung. Sobald ein bestimmtes Kurslevel erreicht wird, wird die Long-Position automatisch verkauft, beziehungsweise die Short-Position eingedeckt.

55 Ein Pip ist die kleinste Einheit beim Währungshandel. Beim EUR/USD ist es die 4. Stelle nach dem Komma.

56 Initial Stopp ist der Stopp-Loss, der unmittelbar nach dem Eröffnen der Position zur Verlustbegrenzung eingegeben wird. Wird der Einstiegskurs erreicht wird, wird der Stopp-Loss nachgezogen.

57 homo oeconomicus = der »Wirtschaftsmensch«, der rational handelt und seinen eigenen Nutzen maximiert.

58 Behavioral Finance ist ein Teilgebiet der Wirtschaftswissenschaft. Sie beschäftigt sich mit menschlichem Verhalten in wirtschaftlichen Situationen.

59 Gravestone = Grabstein

60 Spinning Top = Kreisel

61 Umbrella = Regenschirm

62 Reversal = Umkehr

63 Dragonfly = Libelle

64 Hanging Man = tja, da ist jemand aufgehängt worden.

65 Shooting Star = Sternschnuppe

66 Gravestone = Grabstein

67 Morning Star = Morgenstern

68 Evening Star = Abendstern

69 Gap = Kurslücke

70 Star = Stern

71 Raindrop = Regentropfen

72 Long Legged = langbeinig

73 Thomas N. Bulkowski: Enzyklopädie der Candlesticks, erschienen im Finanzbuchverlag.

74 Hanging Man = tja, da ist jemand aufgehängt worden.

75 Up-Gap = Kurslücke nach oben

76 Down-Gap = Kurslücke nach unten

77 to engulf = einhüllen, umhüllen

78 Counterattack = Gegenangriff

79 Three White Soldiers = drei weiße Soldaten

80 Three Black Crows = drei schwarze Krähen

81 Rising = steigend

82 Falling = fallend

83 Separating = trennend

84 to blend = vermischen

85 Siehe Dow-Theorie

86 Das reimt sich im Englischen so schön: Die Aktien im Mai verkaufen und im September wieder einsteigen.

87 Der Brent Index wird von der ICE, www.theice.com, berechnet. Es ist der Durchschnitt aus aktuellem Liefermonat und nächstem Liefermonat des ICE Brent Futures.

88 ATH = All-Time-High = All-Zeit-Hoch

89 Bei einem Kursindex wird der Indexstand aufgrund der Aktienkurse ermittelt und nur um die Erträge aus Bezugsrechten und Sonderzahlungen bereinigt. Bei einem Performanceindex, wie zum Beispiel dem DAX, werden alle Ausschüttungen (auch Dividenden oder sonstige Nebenrechte) reinvestiert.

90 Timeout = Auszeit

Gedanken zur Technischen Analyse

Ziele der Technischen Analyse

Was ist denn überhaupt »Technische Analyse« und was ist deren Ziel? Wieso verbringen manche Menschen Zeit damit, sich Charts der verschiedensten Aktien, Rohstoffe, Währungen oder was auch immer zu betrachten und zu analysieren? Für alle, die sich mit den Finanzmärkten und damit Wertpapieren, Rohstoffen oder Währungen beschäftigen, gilt es nur zwei Fragen zu beantworten:

  1. Wann ist der richtige Zeitpunkt für ein Investment – oder – wie ist der aktuelle Trend?
  2. Wann macht es Sinn, die Position zu schließen – oder – gibt es Signale für eine Trendumkehr?

Mit Beantwortung dieser beiden Fragen kann der richtige Zeitpunkt für ein Investment oder für die Gewinnmitnahme gewählt werden. Ein praktisches Beispiel dafür: Angenommen, Sie wollen den Betrag X in eine Aktie investieren. Wie wählen Sie die Aktie aus? Sie fragen Ihren Bankberater nach einer Empfehlung. Oder Sie fragen einen Kollegen beim nächsten Stammtisch. Jetzt haben Sie zwei Namen, zwei Empfehlungen. Was nun? Blind kaufen? Das ist, als ob Sie versuchen, mit verbundenen Augen über eine viel befahrene Straße zu gehen. Wenn Sie Glück haben, kommen Sie auf der anderen Seite wohlbehalten an. Wenn nicht …

Dann schauen Sie sich einfach mal einen ganz schlichten Chart an. Sie brauchen nur einen Computer mit Internetanschluss. Kostenlose Charts gibt’s fast auf jeder Seite, die sich mit Börse beschäftigt.

Welche der beiden Aktien würden Sie in die engere Auswahl ziehen? Wahrscheinlich die links. Und wieso?

Eine kurze Analyse:

Die Aktie im linken Chart von Abbildung 1 befindet sich im Aufwärtstrend, eine Änderung des Trends ist nicht erkennbar. Bei der Aktie im rechten Chart sieht das schon ganz anders aus. Ob hier der Abwärtstrend beendet ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht ersichtlich. Also werden Sie aller Voraussicht nach die Aktie kaufen, die im linken Chart abgebildet ist, das sind übrigens die Henkel Vorzüge, rechts die Aktie der Commerzbank.

Sie sehen – auch für jemanden ohne tiefgreifende Kenntnisse der Technischen Analyse kann ein erster Blick auf einen schnörkellosen Chart wichtige Erkenntnisse bringen.

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Abbildung 1: zwei Liniencharts, Zeitraum 2 Jahre zweier DAX-Titel (XETRA)

Drei Grundannahmen der Technischen Analyse

  1. Die Marktbewegung diskontiert alles.

    Das ist der Grundstein der Technischen Analyse. Die Nachrichtenlage beeinflusst Angebot und Nachfrage. In der Regel sorgen »gute« Nachrichten für steigende Nachfrage. Die fundamentals sind bullisch und damit steigen die Kurse. »Schlechte« Nachrichten hingegen sorgen für steigendes Angebot. Die fundamentals sind bärisch und die Kurse fallen. Alle Nachrichten spiegeln sich in der Kursbewegung wider. Der Grund für die Kursbewegungen ist dem Technischen Analysten egal.

  2. Kurse bewegen sich in Trends.

    Das Trendkonzept ist absolut unentbehrlich. Ein Trend wird als solcher identifiziert, um danach zu traden. Die meisten Ansätze sind trendfolgend. Ein Trend in Bewegung setzt sich mit größerer Wahrscheinlichkeit fort, als dass er sich umkehrt.

  3. Die Geschichte wiederholt sich selbst.

    Börse ist Psychologie. »Der Markt« – das sind nichts anderes als Menschen. Und Menschen handeln in ähnlichen Situationen durchaus vergleichbar. Der Schlüssel zum Verständnis der Zukunft liegt im Studium der Vergangenheit.

Kritikpunkte an der Technischen Analyse

  1. Charts können nicht die Zukunft vorhersagen!

    ABER: Die Wettervorhersage funktioniert genauso! Es werden meteorologische Karten analysiert und daraus Prognosen erstellt. Der Vergleich mit der Wettervorhersage ist zutreffend, da Ichimoku Kinko Hyo auch Wolkencharts genannt werden – wer sie deuten kann, ist klar im Vorteil!

  2. Random-Walk-Theorie

    Kursbewegungen sind Zufallsbewegungen, wie der Gang eines Betrunkenen, nicht vorhersagbar, Kurstrends gibt’s nicht, buy and hold ist die beste Strategie.

    Die Verfechter dieser Theorie gehen davon aus, dass die Finanzmärkte effizient3 sind und alle Teilnehmer rational handeln. Alle vorhandenen Informationen sind bereits eingepreist, und somit ist niemand in der Lage, dauerhaft überdurchschnittliche Gewinne zu erzielen.

    Das gegenteilige Gedankenmodell liefert die Behavioral Finance4. Deren Vertreter gehen davon aus, dass die Marktpreise von der Psychologie der Marktteilnehmer geprägt sind.

    Gegen die Random-Walk-Theorie spricht, dass es zum einen in der Tat »erfolgreiche« Technische Analyse gibt, und zum anderen folgen die Aktienkurse nicht dem statistischen Modell der Normalverteilung5. Werden die Kursbewegungen statistisch ausgewertet, so verläuft die Kurve in den Randbereichen nicht etwa glatt und stetig gegen Null laufend. An den Flanken der Kurve werden die sogenannten »fetten Verteilungsenden« ausgebildet (Fat Tails). Die Fat Tails sind nichts anderes als Tage mit extremen Kursschwankungen. Wenn also der DAX mal so mir nix dir nix an einem Tag 11,4% zulegt (13.10.2008) oder 12,8% verliert (16.10.1989), dann sollte das statistisch betrachtet die absolute Ausnahme sein und nur alle paar tausend Jahre einmal vorkommen. Allerdings kommt das alle paar Monate einmal vor und passt damit nicht in das Modell der Normalverteilung und damit in das Konzept der Zufallsbewegung.

  3. Self fullfilling prophecy6

    Technische Analyse funktioniert nur, weil sie von vielen verwendet wird, da die Trader auf die gleichen Muster oder gleichen Indikatoren starren und danach handeln. Dazu eine ketzerische Frage: Wenn damit Gewinne realisiert werden können – was ist dann daran so schlimm?

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Abbildung 2: DAX Täglich, XETRA, Juni 2007 bis Februar 2008

Ein geradezu mustergültiges Beispiel lieferte der DAX Anfang 2008, der vielbeachtete 200 Tage Durchschnitt dient als anschauliches Beispiel für diese These: Kreuzt der Kurs den 200 Tage Durchschnitt von oben nach unten, gilt dies als Verkaufssignal, kreuzt der Kurs den 200 Tage Durchschnitt von unten nach oben, gilt dies als Kaufsignal.

Weil viele Trader, insbesondere auch institutionelle Anleger mit großen Positionen, den 200 Tage Durchschnitt beobachten und auch danach handeln, trifft die Vorhersage auf fallende oder steigende Kurse in der Regel auch ein.

Der 200 Tage Durchschnitt wurde am 15.01.2008 gebrochen und es ging mit viel Schwung und Volumen in 7 Tagen über 10 % nach unten (siehe Abbildung 2).

Es war ein Trendwechsel mit Ansage: Der Widerstand bei ca. 8.100 Punkten konnte auch nach wiederholten Versuchen nicht gebrochen werden. Es hat sich ein aufsteigendes Dreieck ausgebildet. Nachdem der 200 Tage Durchschnitt durchbrochen wurde, fiel auch die Unterstützung, die die untere Begrenzung des Dreiecks über Wochen geboten hat. Am Tag 4 nach dem Trendbruch der unteren Begrenzung des steigenden Dreiecks begann die Société Générale damit, riesige DAX-Future-Positionen glattzustellen, die ein Händler ohne Genehmigung unter Umgehung sämtlicher Kontrollmechanismen aufgebaut haben soll (das ist der »Fall« Jérôme Kerviel).

… tja … der Kurs macht halt die Nachrichten…

Zugegeben, das ist ein extremes Beispiel. Aber wer die Signale beachtet hat, die der Markt gesendet hat, konnte sein Depot vor großen Verlusten bewahren.

Historisches zur Technischen Analyse der Finanzmärkte

Bezüglich den Anfängen der Technischen Analyse der Finanzmärkte müssen eigentlich zwei Handlungsstränge begonnen werden: zum einen die Entwicklung in Japan und zum anderen die Entwicklung in den USA. Zu einem regelmäßigen und beidseitigem Austausch von Ideen und Methoden ist es erst ab Mitte des 20. Jahrhunderts gekommen.

Japan

Das Fundament zur Entwicklung der Technischen Analyse in Japan wurde bereits im 16. Jahrhundert gelegt. Dazu ein kleiner Exkurs in die Geschichte Japans:

Nach der Sekigahara Schlacht im Jahr 1600 wurde Japan von General Tokugawa Ieyasu geeint. Er gründete in Edo, dem heutigen Tokyo, seine Regierung. Die sogenannte Edo-Zeit (1603–1868) war geprägt von der Abschottung Japans nach außen, innerer Stabilität und kultureller Blüte, aber auch Feudalismus und erblicher Ständegesellschaft. Die Edo-Zeit gilt als die längste Friedenszeit in der Neuzeit weltweit. Es herrschte eine starke Zentralgewalt, das Tokugawa-Shõgunat. Der Tennõ kam über eine repräsentative Funktion nicht hinaus und die ehemals mächtigen Fürstenhäuser wurden entmachtet. Unter anderem wurden sie gezwungen, eine angemessene Residenz in der neuen Hauptstadt zu unterhalten, diese selbst regelmäßig zu bewohnen und ihre Familien dort ganzjährig als Geiseln wohnen zu lassen. Die doppelte Haushaltsführung – Residenz in Edo und im heimatlichen Han (= Lehen) – war kostspielig und zwang die Fürsten zur Kooperation mit der Zentralgewalt. Erhebliche Kaufkraft floss nach Edo, Handwerk und Handel erblühten. Edo wurde zu einer mächtigen und großen Stadt.

Die Haupteinnahmequelle der Herrschenden war Reis, denn Steuern und Abgaben waren in Reis zu bezahlen. Der Reis wurde gelagert und weiterverkauft. Und das so eingenommene Geld wurde großzügig ausgegeben – so wie das im heutigen Leben mit den Steuern und Abgaben auch geschieht.

Gesichert ist, dass die Dõjima Rice Exchange in Osaka 1697 vom Shõgunat die Lizenz zum Reishandel bekam. Mit Gründung einer zentralisierten Börse wurde auch die Liquidität zentralisiert. Bis ca. 1710 wurde nur physischer Reis gehandelt. Aber dann tauchten die ersten Future-Kontrakte auf: Wurde der Reis und damit auch das Geld knapp, wurde die nächste, noch auf dem Feld stehende Ernte verkauft. Für den Leerverkauf von Reis wurden Belege ausgestellt, welche dann gehandelt wurden – der erste Future war geboren und damit natürlich auch die Future-Händler. Neben dem primären Markt, auf welchem nach wie vor physischer Reis gehandelt wurde, entstand ein Sekundärmarkt, auf welchem die Future-Kontrakte gehandelt wurden.

Der berühmteste Reishändler der Dõjima Rice Exchange war der legendäre Munehisa Homma (1724-1803), welcher im 18. Jahrhundert ein Vermögen verdiente. Er versuchte den Markt zu verstehen und vorherzusehen, wie er auf bestimme Ereignisse reagiert, zum Beispiel auf das Wetter, Lagerbestände oder das Handelsvolumen. Er war vermutlich der Erste, der die Preisbewegungen der Vergangenheit dafür nutzte, zukünftige Preisbewegungen vorherzusagen. Er veröffentlichte 1755 das erste Buch über die Psychologie des (Reis-)Marktes, The fountain of Gold – The Three Monkey Record of Money (三猿金泉秘録, San-en Kinsen Hiroku). Bereits damals behauptete er, dass die Psychologie des Marktes ein wichtiger Aspekt für den Handelserfolg ist und dass die Emotionen der Reishändler einen signifikanten Einfluss auf den Reispreis haben. Er kam zu dem Schluss, dass man sich gegen die Markterwartung positionieren kann, wenn alle fallende Reispreise erwarten, denn das ist Grund genug für steigende Preise – und vice versa.

Und damit war die Technische Analyse der Finanzmärkte geboren. Über Generationen hinweg wurden die Analysemethoden verfeinert, und wohl im Jahr 1868 wurden die Candlesticks in der Form, wie wir sie heute kennen, erstmals angewendet.

Doch wie ging die Edo-Zeit zu Ende?