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Beate M. Weingardt

Warum wir manchmal
Neid empfinden

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RBtaschenbuch Bd. 745

Umschlag: Miriam Gamper, Essen

Satz: Breklumer Print-Service, Breklum

Druck: CPI-Ebner & Spiegel, Ulm

ISBN 978-3-417-21942-5 (E-Book)

ISBN 978-3-417-20745-3 (lieferbare Buchausgabe)

Best.-Nr. 220.745

Datenkonvertierung E-Book:

Fischer, Knoblauch & Co. Medienproduktionsgesellschaft mbH, 80801 München

Inhalt

Was ist Neid eigentlich?

Die zwei Grundformen des Neides

Neid und Eifersucht im Alten Testament

Neid zwischen Geschwistern

Eifersucht zwischen Partnern

Weshalb wir Neid anderen gegenüber nicht (gern) eingestehen

Weshalb wir Neid auch uns selbst nicht (gern) eingestehen

Neid und Eifersucht in den Evangelien

Die zahlreichen Möglichkeiten, Neid zu verbergen

Sind wir heute weniger neidanfällig als früher?

Die tieferen Ursachen des Neides

Die Folgen des Neides

Wie wachsen wir über den Neid hinaus?

Neid und Glaube

… und wenn die anderen neidisch sind?

Was ist Neid eigentlich?

„Neid – das kenne ich nicht!“ Wer so redet, ist nicht ganz ehrlich oder hat ein schlechtes Gedächtnis, denn zumindest in der Kindheit waren wir alle mal neidisch – wenn nicht auf den Bruder oder die Schwester, dann auf Mitschüler, Altersgenossen, Nachbarskinder usw. Neid gehört von Geburt an zum Gefühlsleben des Menschen , es muss ihm nicht erst beigebracht werden, neidisch zu sein. Ja, auch alte Menschen können ausgesprochen neidvoll reagieren, wie ich bei meiner Arbeit als Seelsorgerin in einem Altenheim oft erlebt habe: „Frau Mayer bekommt immer als Erste ihr Essen serviert!“ – „Bei Herrn Müller kommt gleich jemand, wenn er klingelt, bei mir nicht!“ – „Frau Schneider empfängt so viel Besuch – zu mir kommt niemand!“ – „Frau Winklers Tochter wohnt in der Nähe, meine wohnt in Amerika!“

– Solche und viele andere Klagen, die ich dort gehört habe, zeigten mir: Solange ein Mensch wahrnehmen und denken kann, vergleicht er sich mit denen, die um ihn herum sind. Und solange ein Mensch sich vergleicht, bewertet er auch das, was er dabei feststellt. Und aus dieser Bewertung entspringt das vorherrschende Gefühl. Entweder man empfindet ein Gefühl der Zufriedenheit, weil man es „im Vergleich“ mit dem/den anderen doch eigentlich ganz gut hat, oder man erlebt ein Gefühl der Unzufriedenheit, weil man in diesem Vergleich den Kürzeren zieht. Von der Unzufriedenheit zum Neid ist es dann nur noch ein kleiner Schritt. Man kann auch sagen: Die beiden sind Geschwister.

Zwei Voraussetzungen sind also immer notwendig, damit Menschen das Gefühl des Neides empfinden:

–  Sie müssen beobachten, wahrnehmen, vergleichen.

–  Sie müssen, was den Vergleichspunkt betrifft, unzufrieden sein.

Was ist Eifersucht?

Neid und Eifersucht sind eng verwandt, doch gibt es zwei prägnante Unterschiede zwischen den beiden Gefühlen:

•  Zum Neid gehören zwei: ein Neider und ein Beneideter (wobei es sich bei denen, die man beneidet, auch um eine Gruppe handeln kann, z. B. „die Rentner“, „die Singles“ usw.). Zur Eifersucht gehören hingegen drei (oder mehr) Beteiligte: „Ich bin eifersüchtig auf dich, weil du etwas mit einer dritten Person teilst, ihr etwas zukommen lässt, von ihr etwas bekommst, was eigentlich mir zusteht …“ – Eifersuchtsgeschichten sind Dreiecksgeschichten!

•  Neid setzt voraus, dass der andere etwas besitzt, was man nicht hat. Eifersucht entsteht hingegen dann, wenn ich Angst habe, etwas zu verlieren, was ich besitze und was mir sehr wertvoll ist, z. B. die Vorzugsstellung als (einziges) Kind oder die Sonderstellung beim Partner. Man kann sagen: Mit Neid reagieren wir auf einen vorhandenen Mangel in unserem Leben, mit Eifersucht reagieren wir auf eine Bedrohung – nämlich auf die Bedrohung, dass uns ein Mangel entstehen könnte (indem beispielsweise der Partner sich jemand anderem zuwendet und uns verlässt, oder indem wir bei der nächsten Beförderung übergangen werden).

Die Problematik des Vergleichens

Dass wir Menschen uns mit anderen vergleichen, kann durch nichts aus der Welt geschafft werden. Das ist auch gar nicht notwendig, denn dieses Vergleichen kann, wie wir noch sehen werden, in vielen Fällen auch positiv anspornen.

Keine Frage: Der Mensch als soziales Wesen lebt in seiner eigenen Entwicklung ein gutes Stück vom Vergleichen. Allerdings sind wir, wenn wir uns mit jemandem vergleichen, oft wie Menschen, die ein Fernglas vor die Augen halten, um einen ganz bestimmten Punkt in ihrer Umgebung möglichst genau zu sehen. Einen Punkt oder Ausschnitt zu fixieren hat zur Folge, dass wir beim Vergleichen auch unbewusste „Sehfehler“ machen – man könnte auch sagen, dass wir manches schlichtweg übersehen und ausblenden. Typische Sehfehler beim Vergleichen sind beispielsweise:

•  Man vergleicht sich in der Regel nur nach „oben“, d. h. mit jenen, die es (scheinbar) besser haben. Würden beispielsweise wir Deutschen uns mit dem Rest der Welt vergleichen, müssten wir uns eher vor dem Neid der anderen fürchten, weil wir in deren Augen immer noch eine Insel des Friedens, der Freiheit und des Wohlstands sind!

•  Man vergleicht sich mit Vorliebe an den Stellen, an denen man meint, selbst schlecht weggekommen zu sein. Lebensbereiche, die man im Griff hat, werden ignoriert, weil man sie für selbstverständlich hält. Ein Beispiel: Vor einiger Zeit kam eine schwerbehinderte und dadurch in ihrem Leben sehr eingeschränkte Frau zu mir in die Beratung. Sie wusste sich nicht mehr zu helfen, weil ihre Schwester sie mit Neid und Eifersucht verfolgte. Diese warf ihr vor, dass sie, die Behinderte, als Kind viel mehr Zuwendung der Eltern bekommen hätte. Überhaupt hätte sie es viel schöner! Dabei hatte diese gesunde Schwester geheiratet und Kinder bekommen – ihrer behinderten Schwester war das alles verwehrt! Doch das alles sah die Gesunde nicht …

•  Man macht sich nicht klar, dass man von dem anderen, mit dem man sich vergleicht, nur einen sehr kleinen Ausschnitt sieht. Man sieht beispielsweise die scheinbar glückliche Ehe der Nachbarin und ist überrascht, wenn man eines Tages erfährt, dass die Scheidung bevorsteht. Man sieht das scheinbar gut florierende Geschäft und bekommt eines Tages mit, dass es Konkurs angemeldet hat … Man sollte sich deshalb beim Vergleichen immer in Erinnerung rufen: „Du siehst die Weste, nicht das Herz!“

Wenn wir uns beim Vergleichen ertappen, sollten wir uns immer die Frage stellen, ob wir dabei nicht in mindestens eine der drei aufgezählten Fallen gelaufen sind. Kein Wunder, wenn unsere Vergleiche dann zu unseren Ungunsten ausfallen!

Die Problematik der Unzufriedenheit

Der Same des Neides braucht den Boden der Unzufriedenheit, sonst kann er nicht aufgehen. „Etwas fehlt immer“ – so könnte man den Seelenzustand der meisten Menschen hierzulande charakterisieren. Dieses Empfinden eines Mangels ist nicht nur negativ zu bewerten. Es ist der Hauptantrieb unserer Aktivitäten. Niemand würde sich um etwas bemühen, wenn es ihm nicht wichtig wäre, es zu erreichen oder zu bekommen. Und die meisten praktischen Erfindungen der Menschheit wurden gemacht, weil jemand mit irgendetwas unzufrieden war und sich darum bemüht hat, eine neue Lösung zu finden. Insofern ist Unzufriedenheit keinesfalls von vornherein etwas Schlechtes – es sei denn, sie wird zum vorherrschenden Gefühl eines Menschen oder gar zum seelischen Dauerzustand. Dann sollte allerdings die Alarmglocke läuten! Wenn man sich nämlich eine dauerhaft oder überwiegend unzufriedene Persönlichkeit genauer anschaut, stellt man fest: Sie macht in der Art und Weise, wie sie sich selbst, ihr Leben und ihre Umwelt betrachtet, ganz bestimmte Denkfehler, von denen ich hier nur die vier wichtigsten benennen möchte:

•  Der unzufriedene Mensch sucht die Gründe seiner Unzufriedenheit in aller Regel am falschen Fleck. Er meint: „Wenn dieser Umstand anders wäre … wenn ich das hätte … wenn ich so wäre … wenn mir das abgenommen würde … – dann, ja dann wäre ich glücklich.“ Und auf diese Weise sorgt er dafür, dass er niemals zufrieden ist, denn entweder lässt sich an den Umständen nichts ändern, oder sie ändern sich, und schon ist es wieder etwas anderes, an dem sich die Unzufriedenheit entzündet, denn: „Ein jeder Wunsch, wenn er erfüllt, kriegt augenblicklich Junge!“ (Wilhelm Busch)

•  Der unzufriedene Mensch macht meist andere Personen für seine Situation und Seelenlage verantwortlich. Der zufriedene Mensch hat begriffen: „Ich kann die Menschen nicht ändern, aber ich kann meinen Umgang mit ihnen oder meine Einstellung zu ihnen ändern, dann geht es mir besser.“ Der unzufriedene Mensch dagegen lebt mit der tiefen Überzeugung: „Es ginge mir gewiss viel besser, wenn du, ja du anders wärst/dich anders verhalten würdest usw. An dir liegt es, dass ich so unglücklich bin!“ Weil sich andere Menschen in den seltensten Fällen dazu bewegen lassen, so zu werden, wie wir sie gern hätten, zementieren viele Unzufriedenen ihr eigenes Unglücklichsein. Vor allem in engen Familienbeziehungen kommt diese Tragik sehr häufig vor.

•  Der unzufriedene Mensch sieht alles negativ gefärbt. Unzufriedenheit ist wie eine grau getönte Brille, mit der wir uns, unsere Umwelt und die Umstände unseres Lebens betrachten. Achten Sie einmal auf Urlaubsschilderungen: Zufriedene Menschen betonen vor allem die schönen Erlebnisse, das weniger Erfreuliche wird kurz erwähnt, damit hat sich’s. Unzufriedene hingegen ergehen sich in langen Schilderungen all dessen, was nicht gut oder nicht nach Wunsch gelaufen ist, wo es Anlass zu Klage, Ärger und Empörung gab. Das Schöne hingegen wird kaum erwähnt. Als Zuhörer denkt man sich: „Egal, wo du gewesen wärst, du hättest garantiert ein Haar in der Suppe gefunden!“

•  Der unzufriedene Mensch vermeidet es, sein Inneres zu erforschen. Wie die ersten drei „Fehler“ deutlich gemacht haben, ist der Unzufriedenheit nur dadurch wirksam zu begegnen, dass man die Ursachen nicht nur bei den anderen oder in den Umständen, sondern auch bei sich selbst sucht. Genau dieser Herausforderung weicht der Unzufriedene jedoch in der Regel beharrlich aus. „Der Weg, den die Menschen am meisten zu gehen scheuen, ist der Weg zu sich selbst“, hat Hermann Hesse einmal sinngemäß gesagt. Und natürlich haben die Menschen gute Gründe, diesen Weg nicht zu gehen – ist es doch zunächst viel einfacher, die Ursachen der Probleme nicht bei sich, sondern bei anderen zu suchen! Das erspart mühevolles Nachdenken, und vor allem erspart es unter Umständen bestürzende Entdeckungen, die man bei sich selbst machen könnte! Suchen wir nicht alle, wie Jesus es so anschaulich formulierte, deshalb lieber „den Splitter im Auge des Bruders“ als „den Balken im eigenen Auge“? Doch was uns kurzfristig entlastet, erweist sich langfristig als Bumerang: Wer sich scheut, in sich zu gehen, kommt nicht vom Fleck – weder in seinem persönlichen und spirituellen Wachstum, noch in der Verbesserung seiner Beziehungen, noch in der Lösung seiner Probleme!

Worauf kann man neidisch sein?

Die schlichte Antwort auf diese Frage lautet: auf alles! In der Tat gibt es wirklich nichts, worauf ein Mensch nicht neidisch sein könnte, sofern er der Meinung ist, dass ihm der Besitz dieses Gutes irgendeine Form von Glück oder Vorteil gewähren würde. Doch es gibt bevorzugte Ziele menschlichen Neides:

Materielle Güter