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Für Ute und Michael,
die mich überredet haben,
doch noch ein Buch vom Sams zu schreiben

1. Kapitel

Die Rückkehr

Das Sams blickte grinsend in die Runde.

Es schien so, als hätten sich tatsächlich sämtliche Samse versammelt.

Auf einem großen, blau gepunkteten Kürbis saß das Übersams. Es hieß so, weil es schon über zweihundert Jahre alt und somit das älteste Sams in der Runde war. Man konnte es an den zwei Querfalten auf seinem Rüssel erkennen. Solche Falten bekommen Samse frühestens mit zweihundert Jahren.

Die Samse saßen dicht gedrängt in einem weiten Rund. Vier oder fünf waren sogar auf einen Baum gestiegen, um besser sehen zu können.

Das Übersams machte eine ernste Miene, rümpfte zweimal den Rüssel und wandte sich an das Sams. »Du weißt, weshalb wir hier zusammengekommen sind?«, fragte es.

Das Sams sagte: »Ist doch klar: Ich bin euer Star. Weil ich so lange bei Taschenbiers war.«

Alle Samse schüttelten heftig den Kopf.

»Viele von uns waren mal bei einem Menschen«, sagte das Übersams. »Das ist nun wirklich nichts Besonderes.«

Alle Samse nickten.

»Hm …« Das Sams dachte kurz nach. Dann hatte es die Lösung: »Ihr bewundert meinen schönen Anzug. Soweit ich sehe, bin ich hier das einzige Sams mit Taucheranzug.« Voller Stolz fing es an zu singen:

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»Ja, meine Taucherflossen

passen wie angegossen.

Meinen Anzug empfehle ich auch.

Leider spannt er ein bisschen am Bauch.

Der Reißverschluss,

den man hochziehen muss …«

Weiter kam das Sams nicht, denn das Übersams unterbrach es. »Genug!«, rief es. »Halt den Mund! Sei endlich still!«

»Das Sams ist still, das Sams ist still, weil das Übersams es will«, reimte das Sams.

Einige Samse lachten.

»Reimen kannst du immerhin noch«, stellte das Übersams fest. »Aber genügt das?«

Einige Samse nickten, aber die meisten schüttelten den Kopf. Ein Sams aus der dritten Reihe rief laut: »Das genügt mitnichten, denn jeder kann dichten!«

Das Sams runzelte die Stirn. »Was wollt ihr von mir? Was soll das denn eigentlich hier?«, rief es.

»Wir müssen dir leider mitteilen, dass du nicht mehr hierher gehörst. Verstehst du: Du gehörst nicht mehr zu uns«, sagte das Übersams.

Die meisten Samse nickten.

»Nicht mehr zu euch? Weshalb denn? Warum denn?« Vor Verblüffung hörte das Sams auf, in Reimen zu sprechen.

»Du bist zu menschlich geworden. Du bist nicht mehr samsig. Viel zu unsamsig«, erklärte ihm das Übersams. »Sieh dich doch an!«

Das Sams guckte an sich herunter. »Ja und?«, fragte es.

»Du bist viel zu groß. Genauso hoch wie ein Menschenkind. Deine Nase ist kaum noch rüsselig. Und Punkte hast du auch keine mehr«, sagte das Übersams.

»Die hat dieser doofe Daume weggewünscht«, verteidigte sich das Sams.

»Sie sind auch gar nicht so wichtig«, sagte das Übersams. Was zur Folge hatte, dass die Samse durcheinanderriefen: »Und ob die wichtig sind! Richtig wichtig! Oberwichtig! Sogar überoberwichtig! Wie sollen wir denn Wünsche erfüllen ohne Punkte?«

»Natürlich sind unsere Wunschpunkte wichtig«, beschwichtigte das Übersams sie. »Ich meinte doch: Sie sind nur wichtig, wenn ein Sams zu einem Menschen kommt. Nicht, wenn es zu uns zurückkehrt.«

Die Samse beruhigten sich wieder.

Das Übersams sprach weiter. »Wir alle finden, dass du zu lange bei den Menschen warst.«

Alle Samse nickten.

»Du bist zu menschlich geworden«, sagte das Übersams noch einmal. »Dein langer Besuch dort hat auf dich abgefärbt. Du gehörst einfach nicht mehr hierher. Deshalb bitten wir dich, zurückzukehren zu deinem Menschen und dort zu bleiben.«

»Meinst du zu Papa Taschenbier oder zu Martin Taschenbier?«, fragte das Sams. »Du meinst doch hoffentlich nicht den Daume, die alte Pflaume.«

»Habt ihr das gehört, habt ihr das gehört? Das ist es, was uns stört!«, rief eines der Samse.

Ein anderes sagte laut: »Es hat nicht nur einen Menschen wie jedes normale Sams, sondern gleich drei!«

»Du darfst wählen, zu wem du zurückkehren willst«, sagte das Übersams.

»Na gut, na gut, dann geh ich zu Martin Taschenbier zurück«, rief das Sams. »Das ist mir ganz recht, denn ihr reimt mir zu schlecht. Das ist mir ganz wichtig, denn ihr tickt nicht ganz richtig. Das ist mir ganz lieb …« Es machte eine Pause. Alle Samse guckten gespannt zu ihm hin. Was reimte sich wohl auf lieb?

Das Sams grinste und sagte: »Das ist mir ganz lieb, denn ihr habt einen Hieb!«

Damit streckte es den versammelten Samsen die Zunge heraus, drehte sich um, reckte ihnen den Hintern entgegen und pupste.

Die Samse brachen in lautes Gelächter aus, klatschten und pfiffen Beifall.

Auch das Übersams musste lachen. »Hm«, machte es. »Du scheinst doch noch ziemlich samsig zu sein. Vielleicht sollten wir noch einmal darüber nachdenken, ob …«

Weiter kam es nicht, denn das Sams war schon verschwunden.

Es war mitten in der Nacht. Martin Taschenbier lag in seinem Bett und schlief tief. Er wurde davon wach, dass in seinem Zimmer jemand laut sang:

»Schlaf, Martin, schlaf,

der Daume ist ein Schaf.

Der Daume ist ein Trampeltier,

das Sams ist wieder hier bei dir,

schlaf, Martin, schlaf!«

Martin war mit einem Mal hellwach. Er knipste die Nachttischlampe an. »He, Sams, bist du das?«

»Bin ich das?« Das Sams ging zum Wandspiegel und schaute hinein. »Ja, stimmt! Ich bin das, das bin ich«, bestätigte es.

»Ich hab gedacht, du bist ganz weg und für immer verschwunden«, sagte Martin.

»Wie kommst du nur auf so eine Idee!«, sagte das Sams. »Ich war nur mal kurz weg …«

»Drei Monate nennst du kurz?«, sagte Martin.

Das Sams ließ sich nicht beirren. »Ich war nur mal ziemlich kurz weg, um …«

»Um was?«, fragte Martin.

»Um …«

»Um was? Sag schon! Was gibt’s da zu überlegen?«

»Jetzt fällt es mir wieder ein: Ich wollte ein Paar Würstchen kaufen!«

»Würstchen?«, fragte Martin.

»Ja. Mit Senf!«

»Dazu hast du drei Monate gebraucht?«

»Und mit Mayo!«

»Aber …«

»Und mit Ketchup!«, sagte das Sams schnell. »Ohne Brot.«

»Na gut, du hast also Würstchen gekauft«, sagte Martin.

»Nein«, sagte das Sams.

»Gerade hast du behauptet, du hättest Würstchen gekauft!«

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»Du musst einfach besser zuhören«, sagte das Sams. »Ich habe gesagt, ich wollte Würstchen mit Senf, Mayo und Ketchup kaufen. Aber natürlich habe ich keine gekriegt. Weil ich ja kein Geld hatte. Denkst du vielleicht, man kriegt Würstchen mit Senf, Mayo und Ketchup ohne Geld?«

»Nein, natürlich nicht«, sagte Martin. »Aber das hättest du schon nach fünf Minuten …«

Das Sams ließ ihn nicht aussprechen und sagte: »Ich bin müde. Ich will nicht stundenlang reden, mitten in der Nacht. Ich will jetzt schlafen wie ein Wafen.«

Es gähnte laut und streckte sich auf dem Wollteppich aus.

»Was ist denn ein Wafen?«, fragte Martin.

»Ein Wafen ist das Wort, das sich auf ›schlafen‹ reimt. Weiß doch jeder«, sagte das Sams und gähnte noch einmal. »Und du solltest auch endlich schlafen. Wieso bist du überhaupt noch wach? Weißt du nicht, wie spät es ist? Die Mitternacht ist längst vorbei, es ist schon mindestens halb zwei.«

Dann hatte es doch noch eine Frage. »Darf ich überhaupt bei dir bleiben?«

»Aber natürlich. Ich freue mich sehr, dass du wieder da bist«, sagte Martin. »Ich war ziemlich sauer auf dich, weil du einfach verschwunden bist. Nicht mal verabschiedet hast du dich.«

»Das ist leider immer so bei Samsen. Sie kommen und gehen wieder«, sagte das Sams. »Das kann ich auch nicht ändern.«

»Bedeutet das, dass du auch diesmal plötzlich wieder verschwindest?«, fragte Martin.

»Diesmal ist es anders«, sagte das Sams. »Diesmal kann ich bleiben. Wenn du es willst.«

»Natürlich will ich es.«

»Ich habe aber keine Punkte mehr.«

»Ist doch egal. Du bist auch ohne Punkte mein Freund«, sagte Martin.

In diesem Augenblick wurde die Tür zu Martins Zimmer geöffnet. Sein Vater kam im Schlafanzug herein und fragte leise: »Kannst du nicht schlafen, Martin? Du hast noch Licht?«

»Ich habe nicht nur Licht, sondern auch Besuch«, sagte Martin.

Herr Taschenbier kniff die Augen zusammen, wie immer, wenn er ohne Brille etwas erkennen wollte.

»Das ist doch … das ist ja das Sams!«, rief er.

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»Ja, Papa Taschenbier. Ich bin wieder bei euch«, sagte das Sams, ging zu ihm hin und umarmte ihn.

»Das Sams!«, wiederholte Herr Taschenbier und drückte es an sich.

»Papa Taschenbier? Das klingt komisch«, sagte Martin.

Sein Vater kam zu ihm und setzte sich auf die Bettkante.

»Martin, du musst nicht eifersüchtig sein«, sagte er.

Martin lachte. »Das bin ich wirklich nicht, Papa.«

»Ich kenne das Sams schon ganz, ganz lange«, sagte sein Vater. »Es kam zu mir, als du noch gar nicht geboren warst, und hat mich einfach zu seinem Papa erklärt.«

»Das weiß ich doch«, sagte Martin. »Aber wenn du auch der Papa vom Sams bist, dann ist das Sams ja so was wie mein Bruder.«

»Dein großer Bruder«, sagte das Sams. »Weil ich ja schon vor dir da war.«

Herr Taschenbier lachte. »Vielleicht doch eher sein kleiner Bruder?«, fragte er. »Martin ist mindestens zehn Zentimeter größer als du.«

»Dann bin ich eben Martins kleiner großer Bruder«, sagte das Sams. »Und jetzt wird nicht mehr geredet! In Martins jungem Alter sollte man nachts um halb zwei nicht stundenlang herumquatschen, sondern schlafen.«

»Dann gute Nacht, ihr zwei«, sagte Herr Taschenbier. »Mama wird staunen, wenn ich ihr erzähle, dass unser Sams wieder da ist.«

Er ging aus dem Zimmer und schloss leise die Tür.

»Tina und Roland werden auch staunen, wenn sie dich wiedersehen«, sagte Martin.

»Du meinst deine Freundin Tina-Margarina?«

»Genau die!«, sagte Martin.

»Und deinen Freund Roland-Flohbrand?«, fragte das Sams.

»Hör auf, alle Namen zu verdrehen. Sonst nenn ich dich Sams-Bams oder Sums-Bums!«, sagte Martin.

»Jetzt aber wird endlich und endgültig geschlummert, gepennt und geschnarcht. Wenn nicht sogar geschlafen«, sagte das Sams. »Und zwar tief und fest wie ein Vogel im Nest. Gute Nacht.«

Martin gähnte und löschte das Licht.

»Gute Nacht, kleiner großer Bruder«, murmelte er, drehte sich auf die Seite und war gleich darauf wieder eingeschlafen.

2. Kapitel

Roland und Samantha

»Roland ist verliebt! Roland Steffenhagen ist ver-liii-iebt!« Leander Plattners Spottgesang hallte über den ganzen Schulhof. Er stand auf der niedrigen Mauer, die den Hof umgrenzte. Dort hatte er auf Roland gewartet.

Es war Mittag. Fast alle Schüler waren schon auf dem Heimweg.

Nur Martin Taschenbier hatte wieder mal vergessen, seine Jacke mitzunehmen, und sie oben an der Garderobe vor dem Klassenzimmer hängen lassen. Er hatte es noch rechtzeitig gemerkt und war die Stufen hochgerannt, um sie zu holen. Gleich würde nämlich der Hausmeister die Schultür abschließen.

Roland stand unten neben dem Eingang. Er wartete da auf seinen Freund Martin.

»Ich muss Leander mal kräftig in den Hintern treten«, schimpfte Roland, als Martin mit der Jacke in der Hand bei ihm ankam.

»Roland und Samantha! Roland und Samantha!« Leanders Spottgesang hörte nicht auf.

Ein paar Schüler, die sich im Pausenhof unterhalten hatten und noch nicht gegangen waren, lachten und blickten zu Roland hin.

Er war nahe daran, sich auf Leander zu stürzen.

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Martin nahm Roland beim Arm. »Reg dich nicht auf! Lass den Plattfuß singen, bis er heiser wird«, sagte er und zog seinen Freund vom Schulhof. »Hör einfach nicht hin!«

»Immer heißt es gleich ›verliebt, verliebt, verliebt‹«, schimpfte Roland. »Man kann doch als Junge mit einem Mädchen ganz normal befreundet sein!«

»Ja, klar. Aber eines musst du zugeben: Seitdem du mit Samantha ganz normal befreundet bist, sehen wir uns viel weniger. Du triffst dich ja fast jeden Nachmittag mit ihr«, sagte Martin.

»Stimmt«, gab Roland zu. »Trotzdem muss der Plattfuß so was nicht laut herausbrüllen.«

Eine Weile gingen sie stumm nebeneinanderher. Roland schien nachzudenken.

»Aber es ist nicht einseitig«, sagte er schließlich.

»Was meinst du mit ›einseitig‹?«, fragte Martin.

»Samantha kann mich auch gut leiden«, sagte Roland. »Wir sind echte Freunde. Oder findest du nicht?«

»Doch, das seid ihr«, sagte Martin.

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»Manchmal kann ich es noch gar nicht glauben, dass ich eine Freundin habe«, sagte Roland. »Ausgerechnet Samantha!«

Da sprach Roland aus, was Martin schon oft gedacht hatte. Es war wirklich kaum zu glauben: Roland und Samantha!

Samantha hatte kurz geschnittene Haare, trug eine auffallende, blau-rot gestreifte Brille und war fast einen halben Kopf größer als Roland.

Mitten im Schuljahr war sie in Tinas Klasse gekommen. Ihr Vater war Amerikaner, ihre Mutter Deutsche. Sie hatte erst in Deutschland, dann zwei Jahre in New York gewohnt. Nun waren ihre Eltern wieder zurückgezogen. Obwohl Samantha in Deutschland groß geworden war, sprach sie jetzt mit einem ganz leichten amerikanischen Akzent. Wenn sie wütend oder aufgeregt war, konnte es sogar passieren, dass sie auf Englisch schimpfte, ohne dass es ihr bewusst war.

Tina hatte sich rasch mit Samantha angefreundet. Und weil Tina Martins Freundin war und Roland Martins Freund, hatte es nicht lange gedauert, bis Samantha Roland kennenlernte.

Sie hatten sich bei Tina getroffen. Roland war an diesem Tag gut gelaunt gewesen und hatte eine witzige Bemerkung nach der anderen gemacht.

Am nächsten Tag hatte Samantha zu Tina gesagt: »Er ist wirklich witzig, dieser Roland. Really! Findest du nicht auch?«

Tina hatte zugestimmt und sich nichts weiter dabei gedacht.

Sie war genauso erstaunt wie Martin, als sich herausstellte, dass sich Samantha und Roland regelmäßig trafen, zusammen durch die Kaufhäuser zogen, Hausaufgaben machten, bei Samanthas Eltern Eistee tranken oder bei Roland die neuesten Computerspiele spielten. Dabei durfte Samantha sogar die Tastatur bedienen. Das ließ Roland nicht einmal bei seinem Freund Martin zu.

Am Obstmarkt trennte sich der Weg der beiden Freunde. Roland musste nach rechts, zum Weidenufer, Martin nach links, zur E.T.A.-Hoffmann-Straße.

Sie blieben stehen.

»Kommst du heute Nachmittag mal wieder zu mir?«, fragte Martin. »Tina ist dann auch da. Wir könnten im Garten Tischtennis spielen. Wir spielen ein Doppel. Tina und ich gegen dich und das Sams.«

»Warum soll ich mit dem Sams in eine Mannschaft?«, fragte Roland. »Es ist doch dein Sams, nicht meins.«

»Ich spiele aber lieber mit Tina zusammen«, sagte Martin.

»Und warum?«, fragte Roland.

»Das weißt du genau: weil Tina meine Freundin ist.«

»Eben!«, sagte Roland.

»Was heißt ›eben‹?«, fragte Martin.

»›Eben‹ heißt, dass man am liebsten mit einer Freundin zusammen spielt. Warum darf Samantha nicht mitspielen?«

Martin zögerte mit der Antwort. »Sie kennt doch das Sams nicht.«

»Eben«, sagte Roland, jetzt schon zum zweiten Mal. »Ich kenne das Sams, Tina kennt es, aber Samantha schließen wir aus.«

»Du meinst, sie sollte das Sams kennenlernen?«

»Logisch!«, sagte Roland.

»Aber das ist doch unser Geheimnis. Tina, du und ich, wir haben uns versprochen, dass nicht alle wissen sollen, dass es ein Sams gibt.«

»Samantha ist nicht ›alle‹! Entweder sie kommt mit, oder du musst mit Tina allein spielen«, sagte Roland.

»Na gut«, sagte Martin. »Aber sie muss versprechen, dass sie niemand davon erzählt.«

»Logisch«, sagte Roland. »Wir werden sie vorsichtig auf das Sams vorbereiten. Ich treff sie um drei hier am Obstmarkt. Kommst du auch?«

»Warum ich?«, fragte Martin. »Ihr kommt doch zu mir.«

»Weil du mehr über das Sams weißt als ich. Wir gehen zusammen zu euch und unterwegs erzählen wir ihr alles.«

»Einverstanden!«, sagte Martin. »Dann kann Tina auch zum Treffpunkt kommen, und wir marschieren gemeinsam los.«

3. Kapitel

Samantha glaubt kein Wort!

Als Samantha kurz nach drei am Obstmarkt eintraf, staunte sie. Sie wurde nicht nur von Roland erwartet, sondern auch von Martin und Tina.

»Wartet ihr alle auf mich?«, fragte sie. »Was ist los? Ihr macht einen so feierlichen Eindruck. Hat jemand Geburtstag oder was?«

»Nein, wir wollen dich nur fragen, ob du mitkommst zu mir. Wir wollen Tischtennis spielen. Gemischtes Doppel«, sagte Martin.

»Schön«, sagte Samantha. »Gehen wir also los.«

Zu viert gingen sie nebeneinanderher. Das war gar nicht einfach, denn sie mussten ständig entgegenkommenden Fußgängern ausweichen. Roland ging links von Samantha, Martin rechts, und da Tina nicht hinter den dreien hergehen wollte, hielt sie sich dicht an Martin.

Eine Weile gingen sie so und unterhielten sich über Nebensächlichkeiten, wie über ihre Lehrer und die Schule.

Schließlich flüsterte Tina ihrem Freund zu: »Jetzt sag ihr doch endlich was vom Sams!«

Martin räusperte sich und sagte: »Samantha, wenn wir jetzt zu mir nach Hause kommen, dann ist da jemand.«

»Logisch«, sagte Samantha.

Roland nickte ihr zu. »Ja, logisch«, wiederholte er.

»Du weißt es?« Martin war verwirrt. Er fragte Roland: »Hast du ihr schon was erzählt?«

Roland schüttelte den Kopf.

Samantha lachte. »Ist doch klar, dass deine Eltern da sind. Oder wohnst du allein?«

»Ja, das stimmt, meine Mutter ist zu Hause«, antwortete Martin. »Mein Vater ist noch bei der Arbeit. Es ist aber noch jemand da.«

»Jetzt mach’s doch nicht so spannend«, sagte Samantha. »Hast du einen Bruder oder eine Schwester?«

»Nein«, sagte Martin.

Ehe Samantha weiterfragen konnte, sagte Tina: »Er hat ein Sams.«

»Ein was?«, fragte Samantha.

»Ein Sams«, wiederholte Roland. »Los, Martin, jetzt erzähl ihr schon alles!«

»Am besten, ich erzähl mal, wie es aussieht«, fing Martin an. »Es hat eine etwas komische Nase, die sieht fast wie ein Rüssel aus …«

»Warum nennst du es immer ›es‹?«, fragte Samantha. »Ist es ein Junge oder ein Mädchen?«

»Das ist schon die erste Schwierigkeit. Es ist weder ein Junge noch ein Mädchen, es ist einfach ein Sams«, sagte Martin.

»Aha, ein Sams«, sagte Samantha und blieb stehen. »Es ist kein Junge und kein Mädchen und hat einen Rüssel!« Sie wandte sich an Roland. »Dein Freund macht sich über mich lustig und du findest das auch noch gut, was? Das ist nicht fair!«

Tina mischte sich ein. »Nein, Samantha, du musst ihm glauben. Ich hab genau dasselbe zu ihm gesagt, als er mir zum ersten Mal vom Sams erzählt hat. Ich war ganz sauer auf ihn und wollte nichts mehr von ihm wissen.«

»Und dann?«, fragte Samantha.

»Dann hab ich das Sams gesehen. Es war genau so, wie er es damals beschrieben hat: rote Haare, eine komische Nase und blaue Punkte im Gesicht.«

»Wunschpunkte!«, ergänzte Roland.

»Die hat es aber nicht mehr. Die hat jetzt Herr Daume«, sagte Martin.

»Daume? Wer ist denn Herr Daume?«, fragte Samantha.

»Unser ehemaliger Sportlehrer. Er ist jetzt in einer Nervenheilanstalt, soviel ich weiß«, erzählte Martin weiter.

»Mich könnt ihr auch dort einweisen, wenn ihr so weitermacht«, sagte Samantha. »Was sind das für Punkte? Sind die wichtig?«

»Und ob!«, sagte Roland. »Damit kann Martin alles wünschen, was er will.«

»Aha, Martin kann alles wünschen«, wiederholte Samantha. »Dann wünsch doch mal was, Martin! Wünsch einfach, dass ich eure Geschichte glaube!«

»Das kann ich nicht, weil ja Herr Daume nicht da ist. Die Wünsche gehen nur in Erfüllung, wenn er hört, was ich wünsche.«

»Ich glaube euch kein Wort«, sagte Samantha. »Und ich habe große Lust, mich umzudrehen und euch hier stehen zu lassen. Yes, genau das werde ich tun.«

Roland hielt sie am Arm fest.

»Bitte, Samantha. Du musst uns glauben. Bitte, bleib hier!«, bat er. Und zu Martin gewandt: »Du erzählst auch so, dass man es gar nicht kapieren kann. Erzähl doch einfach ganz logisch! Einfach der Reihe nach!«

»Da muss ich mit meinem Vater anfangen«, sagte Martin. »Einmal schien am Sonntag die Sonne und am Montag kam Herr Mon zu Besuch …«

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»Herr Mon? Wer ist denn das schon wieder?«, fragte Samantha.

»Das ist ein Freund von Martins Vater«, sagte Tina. »Jetzt lass doch die Einzelheiten weg und erzähl einfach, dass eines Tages zu deinem Vater ein Sams gekommen ist, das blaue Wunschpunkte im Gesicht hatte, mit denen er sich Wünsche erfüllen konnte.«

»Und irgendwann ist das Sams dann wieder verschwunden. Als alle Punkte aufgebraucht waren«, sagte Roland. »Aber es hat die S.R.Tr. dagelassen.«

»Was hat es dagelassen?«, fragte Samantha.

»Die Sams-Rückhol-Tropfen«, übersetzte Martin. »Wollt ihr jetzt meine Geschichte erzählen, oder darf ich es sagen?«

»Erzähl du!«, sagte Roland. »Aber bring nicht alles durcheinander!«

»Jahre später habe ich die Sams-Rückhol-Tropfen aus Versehen mit ins Schullandheim gebracht und sie eingenommen. Ich hatte keine Ahnung, was das für Tropfen waren. Und schon stand das Sams vor mir.«

»Und dann?«, fragte Samantha. Sie schaute immer noch zweifelnd von Roland zu Martin.

Bevor Martin wieder alles in allen Einzelheiten erzählen konnte, sagte Tina schnell: »Und dann hat unser Sportlehrer, Herr Daume, die Tropfen geklaut und das Sams damit zu sich geholt. Irgendwie hat Martin Herrn Daume überlistet und das Sams befreit. Wie das funktioniert hat, weiß ich selber nicht genau. Das kann nur Martin erzählen. Und jetzt komm endlich mit, Samantha! Wenn du das Sams siehst, wirst du uns schon glauben.«

»Wenn man um Mitternacht auf ein Hausdach steigt und ›Gatsmas‹ ruft …«, fing Martin an.

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Samantha unterbrach schon wieder. »Gatsmas? Was heißt ›Gatsmas‹?« Sie sprach das Wort englisch aus, es klang wie »Gättsmäss«.

»Das ist ›Samstag‹, rückwärts gelesen«, erklärte Roland.

»Soll ich jetzt erzählen oder erzählst du?«, fragte Martin.

»Sei nicht beleidigt«, sagte Tina. »Erzähl uns lieber, warum Herr Daume blaue Punkte gekriegt hat!«

»Das wollte ich ja gerade erzählen: Wenn man genau um Mitternacht mit dem Sams auf dem Dach sitzt und ›Gatsmas‹ ruft, bekommt man blaue Wunschpunkte im Gesicht. Und dann darf das Sams damit wünschen«, sagte Martin.

»Genau so ist es«, bestätigte Roland.

Samantha blickte ungläubig von Roland zu Martin und von ihm zu Tina. Man konnte ihr ansehen, dass sie kein Wort glaubte und die drei am liebsten stehen gelassen hätte und weggerannt wäre.

Roland nahm sie bei der Hand.

»Komm einfach mit, dann siehst du es selbst«, sagte er.