Dieses Buch ist für meine besten Jungs – meine Enkel Tomas, Marcoa und Lucas

1

ill_978-3-7891-4614-5_Vig06.tif

Die Idee stammte von unserem Schuldirektor, aber Schuld daran waren die Herdmanns, meinte meine Mutter.

»Herr Zwackbaum kann nichts dafür«, sagte sie. »Schließlich war es nicht Herr Zwackbaum, der acht Kinder in die Drehtür der Bank gezwängt hat. Es war nicht Herr Zwackbaum, der die Pizzas mit Zierfischen belegt hat. Es war einer von den Herdmanns, oder es waren ein paar von den Herdmanns oder alle Herdmanns … Wenn also Halloween dieses Jahr ausfällt, ist es ihre Schuld!«

Natürlich konnten die Herdmanns Halloween nicht überall ausfallen lassen. Das erklärte ich jedenfalls meinem kleinen Bruder Charlie. Charlie wiederholte immer wieder: »Ich glaub‘s einfach nicht!« – als wäre es etwas Besonderes, dass die Herdmanns alles und jeden durcheinanderbrachten.

Es war nichts Besonderes. Es gab sechs Herdmanns – Ralf, Eugenia, Leopold, Klaus, Olli und Hedwig – plus ihre gestörte Katze, der ein Auge fehlte und der halbe Schwanz und fast das gesamte Fell und jede Form von Gutmütigkeit, die sie vielleicht mal gehabt hatte. Sie hatte den Briefträger gebissen und die Kosmetikvertreterin, und zuletzt musste sie an die Kette gelegt werden, ein Schicksal, das die meisten Leute auch dem Rest der Herdmanns wünschten.

Ich fragte mich oft, warum ihre Mutter nicht auf diese Idee kam, aber immerhin waren es sechs von ihnen gegen eine von ihr. Sie war sowieso nur selten zu Hause, man konnte ihr also wirklich nicht an allem die Schuld geben – selbst meine Mutter sagte, man könne das nicht.

Sie wohnten über einer Garage im Westend, und ihr Hof war voller Zeugs, das sie im Laufe der Zeit aus der Garage gezerrt hatten –, alte Reifen und rostige Werkzeuge und kaputte Fahrräder und der Kofferraum eines Autos (kein Auto, nur der Kofferraum) –, und ich schätze, die Nachbarn hätten sich über diese Unordnung beschwert, bloß waren alle Nachbarn längst weggezogen.

»Die Glückspilze!«, grummelte Charlie. »Die müssen nicht mit Leopold zur Schule gehen, so wie ich.«

Wie wir alle eigentlich.

Die Herdmanns waren über die ganze Woodrow-Wilson-Schule verteilt, einer in jeder Klasse, und wären es noch ein paar mehr gewesen, hätten sie vermutlich die gesamte Schule und die gesamte Schülerschaft ausgelöscht.

Mit dem Flaggentag war ihnen das jedenfalls schon gelungen, als sie die Fahne klauten, und mit dem Pflanztag, als sie den Baum klauten. Sie hatten Feuerwehrübungen, Schulversammlungen und den Kuchenbasar des Elternbeirats ruiniert, und im Kindergarten hatten sie alle Mäuse aus den Käfigen freigelassen und dafür Meerschweinchen reingesetzt.

Den Kindergarten versetzte das in hellen Aufruhr. Einige Kinder glaubten, die Meerschweinchen hätten ihre Mäuse gefressen. Andere Kinder meinten, die Meerschweinchen wären die Mäuse, über Nacht ins Gigantische gewachsen. Sie weinten vor Angst und kriegten Schluckauf, und der Hausmeister musste kommen und die Meerschweinchen entfernen.

Die Mäuse konnten alle entkommen, daher nehme ich an, dass man als Maus die Herdmanns ziemlich toll fand. Ich hab keine Ahnung, ob Mäuse sich treffen und dann eine von ihnen fragt: »Wie war euer Tag?«, aber wenn es das gäbe, würde die Antwort der anderen Mäuse lauten: »Großartig!«

»Und das war‘s, Lisa?«, fragte mich Charlie. »Die Mäuse und die Meerschweinchen? Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, und danach sagten alle: ›So, das war‘s nun aber endgültig … Halloween fällt aus!‹ War es das?«

»Ich glaube nicht«, sagte ich. »Ich glaube, es war der ganze Rest.«

Es hatte ziemlich viel Rest gegeben, weil der Tag der Arbeit dieses Jahr weiter hinten gelegen und die Schule deshalb später begonnen hatte. Die Eltern hatten eine ganze Woche länger Zeit, ihren Kindern neue Schuhe für die Schule zu kaufen und ihnen die Haare schneiden zu lassen; die Kinder hatten eine Woche länger Zeit, ihre Festungen und Baumhäuser und Fahrradpisten fertig auszubauen oder was auch immer sie seit Juni gemacht hatten; und die Lehrer hatten eine Woche länger Zeit zu beten, sie mögen keinen der Herdmanns abkriegen, schätze ich … Und natürlich hatten die Herdmanns eine Woche länger Zeit, alles in Schutt und Asche zu legen, was ihnen in diesem Sommer bisher entgangen war.

Was sich als jede Menge herausstellte und, wie immer bei den Herdmanns, nicht unbedingt das war, was man von ihnen erwartet hätte.

Der Wachmann in der Bank sagte, er habe sie reinkommen sehen. »Die kann man ja nun wirklich nicht übersehen«, sagte er. »Also lief ich gleich rüber, zum großen Aquarium. Ich sag mal, wenn ich einen Bankräuber reinkommen sähe, würde ich das Geld beschützen, aber wenn ich diese Kinder reinkommen sehe, beschütze ich die Fische!« Er schüttelte den Kopf und seufzte. »Auf die Idee, mich besser bei der Drehtür zu postieren, bin ich gar nicht gekommen.«

Niemand wurde verletzt, und es ging für alle glimpflich aus, aber die Feuerwehr musste gerufen werden, um die Tür auseinandernehmen zu lassen, und die Bank musste ihre Schalter schließen, bis die Tür wieder eingebaut war.

Der Feuerwehrhauptmann sagte, so etwas habe er noch nie erlebt. »In diese Tür«, sagte er, »würden sich zwei, vielleicht auch drei Kinder quetschen können, um zu sehen, was dann passiert. Aber das hier waren acht Kinder! Ein Abteil der Drehtür voller Kinder! Wir kriegten die Tür nicht nach vorne bewegt und nicht nach hinten, also mussten wir sie auseinandernehmen, außer natürlich … Na ja, aber man konnte sie ja schlecht da drin stecken lassen.«

Das sollte ein Witz sein, aber viele Leute fanden, es wäre die Gelegenheit schlechthin gewesen, die Herdmanns wenigstens irgendwo wegzusperren, und sei es in einer Drehtür.

Es wäre auch die Gelegenheit schlechthin gewesen, bloß hatte es sich bei den Kindern nicht um die Herdmanns gehandelt. Es waren acht völlig andere Kinder, unter ihnen Charlie.

»Warum?«, fragte ihn mein Vater. »Warum würde überhaupt irgendwer den Herdmanns nachlaufen und warum ausgerechnet in eine Drehtür?«

Charlie zuckte die Achseln und sah rauf zur Decke und runter zum Boden und sagte schließlich, er wisse es nicht. »Vielleicht, weil sie einfach überall waren«, sagte er dann. »Vor uns waren Herdmanns, und hinter uns waren Herdmanns, und Ralf sagte: ›Lasst uns mal ausprobieren, wie viele Kinder in eine Drehtür passen‹, und dann …« Er zuckte wieder die Achseln.

Der Geschäftsführer der Bank war wütend wegen seiner Tür, und der Wachbeamte war wütend, weil er das Falsche beschützt hatte, aber niemand gab ihm die Schuld. Wie konnte er schließlich ahnen, was die Herdmanns vorhatten? Ich vermute, selbst die Herdmanns wussten nur selten, was sie als Nächstes vorhatten.

Ich glaube nicht, dass sie geplant hatten, die Mäuse mit den Meerschweinchen zu vertauschen, bis sie zufällig ein paar Meerschweinchen sahen; und ich glaube auch nicht, dass sie absichtlich ein paar Kinder gesucht hatten, die sie dann in eine Drehtür stopfen konnten, bis sie zufällig die Tür und einen Haufen Kinder am selben Ort zur selben Zeit sahen.

In der Pizzeria hätte es vermutlich auch keinen Ärger gegeben, wenn Herr Santoro nicht eine neue Sorte eingeführt hätte – Pizza mit Sardinen –, und selbst das wäre kein Problem gewesen, wenn Bosse Fährmann nicht seine Zierfische hätte loswerden wollen.

Bosse hatte mit zwei Guppys in einem Goldfischglas angefangen, und eine Woche später besaß er ungefähr einhundert Guppys in Schüsseln und Flaschen und Einmachgläsern. Frau Fährmann erzählte meiner Mutter, sie hätte sogar Guppys im Eiswürfelfach gefunden.

Eigentlich hatte Bosse vorgehabt, die Guppys zu verkaufen, aber zuletzt musste er Leopold Herdmann fünfzig Cent zahlen, um sie an ihn loszuwerden. Laut Hedwig wollten sie alle Guppys ins Klo kippen und den Kindern Eintritt dafür abnehmen, dass sie beim Runterspülen zugucken dürften.

»Sie merken gar nichts davon«, hatte Hedwig gesagt. »Sie lassen sich einfach vom Wasser mitreißen, wohin auch immer, und schwimmen dann dort herum. Sie mögen das.«

Vielleicht war das so, aber es kam nie dazu. Bevor sie mit den Guppys zu Hause in ihrer Toilette ankamen, machten Leopold und Klaus und Hedwig in der Pizzeria halt, sahen die sechs Sardinenpizzas auf dem Tresen und tauschten die Guppys gegen die Sardinen aus.

Niemand hatte daran geglaubt, dass die Sardinenpizzas ein Erfolg werden könnten, aber, wie Herr Santoro sagte: »Danach hatten die Sardinenpizzas überhaupt keine Chance mehr!«

ill_978-3-7891-4614-5_kap01.tif

Seine Kunden stimmten ihm zu. Ein Mann meinte, er könne sich nicht vorstellen, überhaupt je wieder irgendeine Pizza zu essen. »Hab nicht hingeguckt«, sagte er, »sondern einfach reingebissen, und im nächsten Moment klebte ein Guppy in meinem Schnurrbart.«

Es gab also keinen besonderen Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Aber als schließlich die Schule wieder anfing, waren dermaßen viele Leute aus dermaßen vielen Gründen dermaßen sauer auf die Herdmanns, dass man wusste, es würde was passieren.

»Das muss aufhören«, sagte der Bürgermeister … aber niemand ahnte, dass es sich bei das um Halloween handeln würde.