Der spanische Rosenstock

 

 

 

Fabeck, ein junger Dichter, liebte ein Mädchen, von dem er nun für eine längere Zeit Abschied zu nehmen hatte. Am Vorabend seiner Abreise gingen sie miteinander durch den schon dunkel gewordenen Park. Es war im hohen Sommer. Das gemähte Gras lag noch auf den Parkwiesen, und von ihm ging ein kräftiger und süßer Geruch aus. Vom Parkweiher kam das Quaken der Frösche. Sonst war nur fernes Hundegebell vernehmbar. Ab und zu hörte man auch das Knirschen von Schritten auf dem Kies der Wege, dann wurde es wieder still.

Fabeck und Christine stiegen den Hügel hinan, auf dem ein steinernes Tempelchen im griechischen Geschmack stand. Hier setzten sie sich hin, und es war ihnen bange ums Herz.

Sie sprachen nicht, denn alles, was Menschen vor dem Beginn einer Trennung einander zu sagen pflegen, hatten sie sich gesagt und wiederholt.

Erzähle mir auch heute eine Geschichte, zum letzten Male, bat das Mädchen nach einer längeren Weile.

Fabeck hatte die Gewohnheit, Geschichten zu erzählen, und am liebsten erzählte er sie Christine. Oft nahmen seine Erzählungen von Märchen, Sagen oder geschichtlichen Vorfällen ihren Ausgang, andere schöpfte er gänzlich aus seiner Eingebung; doch schrieb er diese Geschichten nie auf, sei es, dass er sich zu dieser Art der Hinvergeudung reich genug meinte, sei es, dass er dunkel fühlen mochte, es fehle ihm noch eine bändigende und sondernde Kraft, wie sie nur in Jahren erworben werden kann.

Fabeck dachte jetzt eine kurze Zeit nach und begann: Am Hofe einer gewissen Herzogs lebte ein unbegüterter junger Mann namens Lysander. Diesen Lysander erfasste eine heftige Leidenschaft für die jüngste Tochter des Herzogs, welche Oktavia hieß. Lange Zeit diente er ihr, ohne dass sie es bemerkte; endlich begann sie ihn vor andern auszuzeichnen, doch geschah dies sehr unauffällig und nur ihm allein wahrnehmbar.

Einmal fassten sie sich ein Herz zueinander. Dies war auf einer Lustfahrt, die der Herzog, fremden Gästen zu Ehren, mit seinem ganzen Hofstaat unternahm. Man war in geschmückten Barken den Fluss hinuntergefahren. Dieser verbreiterte sich sehr beträchtlich, je mehr es der Mündung zuging. Das Wasser floss träge. Mitten auf dem Flusse war eine breite Wasserstraße frei gehalten, auf dieser fand der gewöhnliche Schiffsverkehr statt; rechts und links aber zogen sich große Schilfwälder zum Ufer hin, und zwischen ihnen lief ein Gewirr schmaler Wasserpfade, die zur Not die Breite zweier Ruder hatten. Inmitten dieser Schilfwildnis waren ein paar kleine Inseln festen Landes; hier und da stand auf ihnen eine winzige Hütte für den Fischfang oder die Entenjagd. Die Barken auf der Wasserstraße der Flussmitte waren mit Teppichen und Girlanden geziert und trugen zahllose bunte Wimpel. Die Musik spielte. Aus dem Flusse tauchte ein Stromgott hervor, mit Seerosen und Binsenkraut im wirren Bart und im Kopfhaar. Er begrüßte die Gäste mit einer langen gereimten Ansprache. Nur zum Schluss wurde er eilig, stolperte über seine Verse und schnaufte, denn er war von feister Körperbeschaffenheit, und das Schwimmen hatte ihn ermüdet. Man zog ihn an Bord, bewirtete ihn und sagte ihm Lobsprüche; es war einer der Schauspieler des Herzoghofes.

Jetzt wurden die Barken von einer ganzen Flotte leichter kleiner Ruderboote eingeholt, deren jedes außer dem Ruderer nur noch einem einzigen Menschen Platz bot. Sie legten an den Barken an, und die Gäste und die Hofgesellschaft verteilten sich auf die Boote, nur die Älteren blieben auf ihren Barken, die mit Sonnenzelten versehen waren. Es begann nun ein Spiel, das einer Fuchsjagd ähnelte, ein Boot entfernte sich mit gehörigem Vorsprung und verschwand zwischen dem Schilf im Gewirr der Wassergassen; die Übrigen setzten ihm nach.

Lysander hatte keinen Gedanken für das Boot, das den Fuchs darstellte. Er behielt Oktavias Boot im Auge und folgte ihm. Sein Ruderer machte ihn aufmerksam, er werde den Fuchs am ehesten aufspüren, wenn er sich rechts halte; Lysander reichte ihm als Trinkgeld ein Geldstück, mit dem er eine längere Weile hätte haushalten müssen, und sagte, er solle tun, was ihm befohlen werde.

Oktavias Boot war mit andern im Schilf verschwunden. Lysander sah es auftauchen und abermals verschwinden. Die Übrigen hatten sich verloren. Oktavias Boot wurde noch einmal sichtbar, dann glitt es um eine Ecke. Lysander gab dem Ruderer die Richtung an. Der Ruderer warnte: Das ist eine Bucht und Sackgasse, dort ist kein Weiterkommen, und es wird nur Zeit verloren. Lysander hieß ihn rudern.

Oktavia war eine Weile gefahren, ohne sich um den Fuchs zu kümmern. Es war ohnehin gesagt worden, die Ehre des Fuchsfanges habe den Gästen zuzufallen; so mochte sie lieber ihren Gedanken nachhängen als am Gehetze der Übrigen teilnehmen.