LITERATUR
KOMPAKT
Herausgegeben von Gunter E. Grimm
Tectum
Susanne Kleinpaß
THEODOR
FONTANE
Die Autorin
Susanne Kleinpaß, geb. 1959, studierte Germanistik und Geschichte auf Lehramt an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Nach dem Refe-rendariat am Gymnasium unterrichtete sie an einer Realschule und war als Lehrbeauftragte am fachdidaktischen Lehrstuhl für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur an der Düsseldorfer HHU tätig. Seit 2004 ist sie Deutschfachleiterin am Zentrum für Lehrerbildung Mönchengladbach. Aufsätze zum kooperativen Lernen im Deutschunterricht in fachdidaktischen Zeitschriften.
Susanne Kleinpaß
Theodor Fontane
Literatur Kompakt – Bd. 2
ISBN: 978-3-8288-2925-1
eISBN: 978-3-8288-5603-5
© Tectum Verlag Marburg, 2012
Reihenkonzept und Herausgeberschaft: Gunter E. Grimm
Projektleitung Verlag: Christina Sieg
Layout und Redaktion: Sabine Manke
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Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
INHALT
I. Zur Aktualität Theodor Fontanes
II. Zeittafel
Grafik: Wichtige Punkte
III. Leben und Werk
IV. Voraussetzungen, Grundlagen und Werkaspekte
Ästhetische Komplexität – Realismus und Verklärung
V. Fontanes Publikationsschriften
Fontanes Realismusbegriff
VI. Romane und Erzählungen
1. Grete Minde
2. L’Adultera
3. Irrungen, Wirrungen
4. Frau Jenny Treibel
5. Effi Briest
VII. Fontanes Lyrik und Balladendichtung
1. Frühere Gedichte
2. Spätere Gedichte
3. Die Brück’ am Tay – John Maynard – Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland
VIII. Wirkung
Glossar
IX. Literatur
Abbildungsverzeichnis
I. Zur Aktualität Theodor Fontanes
Schriftsteller des Realismus
Theodor Fontane ist der bedeutendste deutsche Schriftsteller des Realismus. Das hängt mit der komplexen Ausarbeitung seines Realismusverständnisses zusammen, das er in seinen Werken – vor allem in seinen Altersromanen – ungemein kunstfertig umzusetzen wusste (Balzer 2006, S. 72). Soweit das Resümee von literaturwissenschaftlicher Seite. Wie aber sieht das die heutige Leserschaft? Effi Briest war und ist auch heute Fontanes erfolgreichster Roman (Chambers 2003, S. 20). Aber kann die in der Bismarckära spielende Geschichte eines jungen Landedelfräuleins, das in der Ehe auf ‚Abwege‘ gerät, im 21. Jahrhundert überhaupt noch interessieren? Gehören Innstettens Ehr- und Tugendbegriffe sowie der vielzitierte Ausspruch des alten Briest »Das ist ein weites Feld« nicht in die literarische Rumpelkammer? Handelt es sich nicht um ein Erzählstück moralistischer Prägung, das heute eigentlich niemandem mehr etwas zu sagen hat?
Gesellschaftliche Normen und Handlungsspielräume
Ähnlich provokante Fragen stellt Burkhard Spinnen (2003) in seinem Artikel in der Wochenzeitung Die Zeit, bekennt aber zugleich dezidiert, dass die Figuren in Effi Briest trotz der historischen Differenz von »bestürzender Gegenwärtigkeit« seien. In der ersten Fontanemonografie, 1919 von Conrad Wandrey verfasst, konstatiert der Autor, mit Effi Briest habe sich Fontane nicht zuletzt deshalb in die Weltliteratur eingeschrieben, weil in diesem Roman die sich manifestierende Brüchigkeit der bestehenden preußischen Ordnungswelt auf bewegende Weise anschaulich wird. Diesem Umbruch fallen Effi und letztlich auch Innstetten zum Opfer (267). Innstetten dient dem »Gesellschaftsetwas«, um Ruf und Karriere nicht aufs Spiel zu setzen, und handelt damit gleichzeitig gegen sein Gefühl. Dieser Konflikt zwischen Gefühl und einer so empfundenen Pflicht berührt ethische Fragen, die bis heute belangvoll und spannend sind. Auch der Mensch des 21. Jahrhunderts »ist nicht bloß ein einzelner Mensch, sondern gehört einem Ganzen an«, wie Innstetten formuliert. In dieser Spannung zwischen individuellen Bedürfnissen und gesellschaftlichen Ansprüchen muss er fortwährend nach Konfliktlösungen suchen. In der Geschichte der Effi Briest lassen sich trotz der engen preußischen Verhaltenskodizes Handlungsräume aufspüren, die heutige Lesende in eine produktive Beziehung zu ihrer eigenen Lebenswelt setzen können (Mecklenburg 1998, S. 16 f.). Schließlich sind und bleiben Konfliktthemen wie die Ehe, die Emanzipation der Frau oder die Frage nach der Gültigkeit von Konventionen aktuell. Sie verlangen danach, immer wieder neu beantwortet zu werden. Das Dilemma zwischen individuellem Glücks streben und der Einhaltung gesellschaftlicher Normen stellt auch für den heutigen Menschen eine große Herausforderung dar (Hamann 1988, S. 111).
Fontanes Aktualität
Die starke Präsenz des Romans in der Gegenwart kann insofern also nicht verwundern. Bis heute erreichen die Taschenbuchausgaben – neben den großen Fontane’schen Gesamtausgaben – eine größere Leserschaft. In zentral gestellten Abituraufgaben finden wir eine gut konservierte Effi Briest vor. Und auch die Vielzahl der Forschungsansätze, über den deutschen Sprachraum hinaus, machen den Stellenwert dieses Romans deutlich. Effi Briest ist das am meisten untersuchte Werk Fontanes.
Andere Romane stehen der heutigen Leserschaft ferner. Auf den ersten Blick mag die Erzählung über die Brandstifterin Grete Minde in ihrer historisierenden Schreibweise von geringstem Interesse für die Gegenwart erscheinen. Nähert man sich der Geschichte aber über die Frage, wie es dazu kommen kann, dass ein junger Mensch eine solche Wahnsinnstat begeht, gewinnt der Stoff Aktualität. Welche Verantwortung treffen Familie und Gesellschaft für die Tat einer einzelnen Person? Welche Rolle spielen mangelnde Liebe und Empathie aufseiten der an Erziehung beteiligten Autoritäten? Welche Schuld trifft diejenigen, die die labile psychische Disposition eines jugendlichen Amokläufers übersehen haben? Grete Minde liefert in diesem Zusammenhang ein komplex gezeichnetes Gesellschaftsporträt, das die verheerende Gewalttat seiner Protagonistin in ihren sozialen Bezügen und Wechselwirkungen darstellt.
Emanzipation der Frauen
In L’Adultera rückt Fontane eine verwöhnte junge Frau in den Fokus. Sie begeht Ehebruch, darauf folgen die Trennung von ihrem Gatten und ihre Selbstverwirklichung mit Happy End. Das Muster erscheint nur bei oberflächlicher Betrachtung klischeehaft und abgegriffen. Denn die Umsetzung der Frauenemanzipation bietet auch heutzutage zahlreiche Hürden und offene Fragen. An dem Ehe-Modell ‚Van-der-Straaten‘ und seinen genderspezifischen Rollenerwartungen arbeitet sich auch das Beziehungsleben des 21. Jahrhunderts noch ab. Von ihm kann sich auch das gegenwärtige Nachdenken über aktuelle Beziehungsmuster letztlich nicht freimachen. Hier bietet der Roman den Lesenden historische Anknüpfungspunkte, die den gegenwärtigen Diskursen über Geschlechtergerechtigkeit eine historische Perspektive verschaffen. Denn die absolute Vorherrschaft des Gesellschaftlichen vor dem individuellen Glück ist in L‘Adultera bereits durchbrochen (Müller-Seidel 1994, S. 169–179). Dies macht es lohnenswert, die Geschichte vor dem Hintergrund unserer heutigen Bestrebungen nach Individuation noch einmal neu zu lesen. Auch in produktionsästhetischer Hinsicht, also auf der literarisch-gestalterischen Ebene, lohnt eine Lektüre von L’Adultera. Die zahlreichen Anspielungen in Form von Gemälden und Zitaten und die aufseiten der Figuren vorgeführte Gesprächskunst sind laut Meyer von einem späteren Fontane nicht mehr überboten worden (nach Jolles 1993, S. 47). In ihnen entfaltet sich die Tiefenstruktur des Romans und kommen auch die Elemente der ‚Décadence‘ zur Geltung, die auf die literarische Moderne verweisen.
Partnerwahlkonflikte
Irrungen, Wirrungen schildert die Geschichte einer drei Monate währenden Liebesbeziehung, die aufgrund der Standesunterschiede der beiden Liebenden nicht legalisiert werden kann. Lediglich eine Kompromisslösung lässt die Ständeordnung wilhelminischer Prägung für diesen Konflikt zu. Sicherlich lässt sich die gegenwärtige Gesellschaft mit ihren viel subtileren Grenzziehungen nicht mit der Ständeordnung des 19. Jahrhunderts vergleichen, aber dennoch: Auch heutzutage bringen sich bei der Partnerwahl gesellschaftliche Ansprüche und Differenzierungen zur Geltung. Gravierende Unterschiede in Bildung, Status und Erfolg sowie verschiedene Religionszugehörigkeiten können so manchem Paar aufgrund des Einwirkens von Familie und Gesellschaft zur Repressalie werden. Das Ergebnis ist dann manchmal ähnlich wie in diesem Roman: Entsagung, Kompromiss, Resignation, kurz ein Sicharrangieren mit einem anderen Partner. Sicherlich muss dies nicht zu einem gänzlich unglücklichen Leben führen, bedeutet aber doch unter Umständen den Verzicht auf individuelle Erfüllung.
Macht des Geldes
Gegenwartsbezüge lassen sich trotz der historischen Differenz auch in Frau Jenny Treibel finden. In dem unverblümten Porträt seiner Protagonistin hat Fontane die Macht des Geldes und den Einfluss eines Statusdenkens als Triebkräfte für unser Zusammenleben anschaulich gemacht. Die Lektüre von Jenny Treibel zeigt individuelle wie soziale und politische Wirkungsweisen einer Gesellschaft auf, die das Anhäufen von wirtschaftlichem und symbolischem Kapital in den Mittelpunkt stellt. Damit setzt Jenny Treibel einen selbstreflexiven Prozess in Gang, der die Ambivalenzen moderner Lebensentwürfe aufdecken kann. Fontane hat hier nicht zuletzt auch seinen eigenen gespaltenen Bezug zur Bourgeoisie umgesetzt. In einem Brief an seine Tochter Mete aus dem Jahre 1891 kommen seine zwiespältigen Empfindungen pointiert zur Sprache:
Das Bourgeoisgefühl ist das zur Zeit bei uns maßgebende und ich selber, der ich es grässlich finde, bin bis zu einem geringen Grade von ihm beherrscht. Die Strömung reißt einen mit fort (zitiert nach Aust 1998, S. 153).
Inwieweit man sich dieser »Strömung« des Gesellschaftlichen entziehen kann und muss, um Gegenwart und Zukunft verantwortungsvoll mitzugestalten, ist die stets bedeutungsvolle Frage, welche Fontane in Jenny Treibel ausgearbeitet hat. Mit großer Kunstfertigkeit und einer frappierend glaubwürdigen Figurengestaltung schafft Fontane als Dichter des 19. Jahrhunderts diesen existentiellen Problemfeldern moderner Gesellschaften einen ungemein produktiven Denkraum.
II. Zeittafel
1819 | Fontanes Geburt am 30. Dezember in Neuruppin |
1827 | Umzug nach Swinemünde |
1828 | Privatunterricht im Hause der Familie Krause in Swinemünde |
1832 | Besuch des Gymnasiums in Neuruppin |
1833 | Besuch der Gewerbeschule in Berlin |
1836 | Beginn der Apothekerlehre in Berlin bei Wilhelm Rose |
1838 | Das Wasserröslein (GB 2, 15) (Frühe Gedichtveröffentlichung) |
1840 | Ende der Lehrzeit, anschließend Tätigkeit in einer Apotheke in Burg bei Magdeburg |
1841 | Eintritt in die demokratische Burschenschaft (von F. ‚Herwegh-Klub‘ genannt) |
1841/1842 | Lied eines Ausgewanderten (GB 2, 275f.) |
1842 | Die Faust in der Tasche (GB 2, 53f.) |
1843 | Gast im literarischen Sonntagsverein Tunnel über der Spree |
1844 | Einjähriger Militärdienst |
1845 | Verlobung mit Emilie Rouanet-Kummer |
1847 | Fontanes Approbation |
1848 | Gemäßigte Teilnahme an den Barrikadenkämpfen der 48er-Revolution |
1849 | Sprüche (GB 1, 22–26) |
1850 | Lektor im Literarischen Cabinet |
1851 | Annahme der Stelle in der Zentralstelle für Preßangelegenheiten |
1852 | Englandkorrespondent im Auftrage der Zentralstelle für ein halbes Jahr 1853 |
1854 | Archibald Douglas (GB 1, 110–113) |
1855 | Mehrjähriger Aufenthalt in England |
1856 | Presseagent bei Albrecht Graf von Bernstorff in London |
1857 | Umzug von Frau und Kindern nach England |
1859 | Rückkehr nach Berlin |
1860 | Redakteur bei der Kreuzzeitung |
1864 | Reisen zu den Kriegsschauplätzen Schleswig Holstein und Dänemark (1. Einigungskrieg) |
1866 | Reisen zu den böhmischen und süddeutschen Kriegsschauplätzen (2. Einigungskrieg) |
1870 | Kündigung bei der Kreuzzeitung |
1871 | Kriegsberichterstattung in Frankreich |
1874 | Italienreise mit Emilie |
1875 | Italienreise |
1876 | Ständiger Sekretär der Akademie der Künste in Berlin |
1878 | Vor dem Sturm |
1880 | Grete Minde, Die Brück’ am Tay (GB 1,153–155) |
1881 | Ellernklipp |
1882 | L’Adultera |
1883 | Schach von Wuthenow, Publikum (GB 1, 43) |
1884 | Graf Petöfy |
1885 | Unterm Birnbaum, John Maynard (GB 1, 155–157), Auf der Treppe von Sanssouci (GB 1, 250–253) |
1887 | Cécile |
1888 | Irrungen, Wirrungen |
1889 | Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland (GB 1, 229–230) |
1890 | Stine |
1890/91 | Brunnenpromenade (GB 1, 46f.), Ja, das möchte ich noch erleben (GB 1, 51f.) |
1891 | Verleihung des Schillerpreises Quitt |
1892 | Schwere Erkrankung Fontanes Unwiederbringlich |
1893 | Verleihung der Ehrendoktorwürde |
1895 | Effi Briest |
1898 | Tod Fontanes in Berlin |
1899 | posthum erscheint Der Stechlin |
1902 | Tod Emilie Fontanes in Berlin |
1907 | posthum erscheint Mathilde Möhring |
III. Leben und Werk
Man fährt bei solch autobiographischer Arbeit entweder [...] in einem offenen Wagen durch freie, sich weit ausdehnende Landschaft, oder man fährt umgekehrt durch eine Reihe langer Tunnels mit intermittierenden Ausblicken auf im Licht aufleuchtende Einzelpunkte. Welcher der beiden Methoden der Vorrang gebührt, ist schwer zu sagen (Theodor Fontane 1891 in einer Rezension über die Autobiografie des Kunsthistorikers Wilhelm Lübke, zitiert nach Hädecke 1998, S. 364).
Vorüberlegungen
Zum Zwecke einer komprimierten Übersicht über Fontanes Leben wird sich die folgende Darstellung weder in »einer sich ausdehnenden Landschaft« breit angelegter Narration verlieren, noch folgt sie der Einteilung in Lebensabschnitte, wie sie Fontane selbst in seinen Autobiografien vorgenommen hat. Es wird hier im Wesentlichen der Chronologie Rechnung getragen werden, die allerdings, wenn sie nicht bei einer Faktentafel stehen bleiben soll, ohne kleinere Verletzungen der zeitlichen Abfolge nicht ganz auskommen kann. Des Weiteren kommt sie nicht ohne ein gewisses Maß an anschaulichen Einzelheiten aus, denn: »Der Zauber steckt immer im Detail« (zitiert nach Grawe 1996, S. 7), so Fontane selbst. An geeigneter Stelle sollen Fontanes Lebensdaten deswegen durch »im Licht aufleuchtende Einzelpunkte« seines literarischen Schaffens flankiert werden. Eine Darstellung der Beziehungen zu zahlreichen bedeutsamen, nicht ausschließlich aus der literarischen Zunft stammenden Freunden und Bekannten hätte das Vorhaben gesprengt und bleibt daher in weiten Teilen unberücksichtigt. Eine fragmentarische Übersicht der Begegnungen von Fontane mit Persönlichkeiten seiner Zeit findet sich auf den Seiten 46 und 47.
Autobiografische Quellen
Der chronologischen Lebensskizze sollen hier einige Aspekte aus Fontanes autobiografischen Zeugnissen vorangestellt werden. Seine Kindheitsgeschichte gilt ihm als Lebensgeschichte, in ihr stecke der ganze Mensch, schreibt Theodor Fontane 1892 im Vorwort zu seinem autobiografischen Roman Meine Kinderjahre (MK, 3) und rechtfertigt damit die scheinbare Reduktion auf die Darstellung seiner ersten Lebensjahre. Tatsächlich überschreitet er aber die in den Titeln abgesteckten Zeiträume immer wieder vorwärts und rückwärts. Dies gilt ebenso für den sechs Jahre später folgenden biografischen Band Von Zwanzig bis Dreißig. In beiden Bänden wird der enge Zusammenhang zwischen eigenen Erlebnissen und späterem literarischen Schaffen manifest: Da ist die auf den Vater zurückgehende Vorliebe für das Anekdotische, mit der er den Sohn zu unterrichten und motivieren verstand, die in den Romanen Fontanes breiten Raum einnimmt. Bildhafte Eindrücke aus Kindheit und Jugend verwebt der Schriftsteller zu typisch Fontane’schen Motivkomplexen, die seine Figuren bestimmen. An den unterschiedlichsten Persönlichkeiten, denen er als Junge begegnete, schärfte Fontane seinen Blick für das Menschliche. So sind es nicht selten Widersprüchlichkeiten, Schwächen und Sonderbarkeiten, mit denen er sein literarisches Personal ausstattet, denn, so Fontane in Von Zwanzig bis Dreißig, das Volk verlange keine Heiligen, sondern Menschen (CH, 3, IV, 330).
Die Kinderjahre entstehen in einer Zeit der Depression. Der Dichter, aus gesundheitlichen Gründen gezwungen, die Arbeit an Effi Briest ruhen zu lassen, widmet sich auf Anraten seines Arztes der Niederschrift seiner Kindheitserinnerungen. Diese sollen ihn näher an seine eigene Person heranführen und ihn die Krise überwinden helfen, die laut Diagnose auf eine durch Überarbeitung und Überforderung ausgelöste psychische Störung zurückgeführt wird. Das Kalkül geht auf – Fontane schreibt sich an den Kinderjahren gesund. Von der Forschung werden sie im Vergleich zu Von Zwanzig bis Dreißig auch für ihren literarischen Wert geschätzt (Nürnberger/Storch 2007, S. 468) – also auch jenseits der Erkenntnisse, die sie zu Fontanes Lebenslauf bieten. Ein Beispiel für den geglückten Balanceakt zwischen Selbstschilderung und Selbstdistanz ist das 16. Kapitel Vierzig Jahre später, in welchem Fontane die späte Weisheit seines Vaters im Rückblick auf sein eigenes Leben auf anrührende Weise schildert, ohne rührselig zu sein.
Weitere autobiografische Zeugnisse sind in Kriegsgefangen und Aus den Tagen der Okkupation zu finden. Sie stammen aus seinen Beobachtungen als Kriegsberichterstatter der drei Einigungskriege, aus dessen letztem, dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71, Preußen siegreich und Deutschland als einheitlicher Nationalstaat hervorging. In Kleinere autobiographische Texte hat Fontane seine Arbeit als Theaterkritiker sowie Anekdoten über Freunde und Bekannte festgehalten. Im Wangenheimkapitel, gedacht für den dritten nicht mehr geschriebenen Teil seiner Autobiografie, geht er auch auf seine Tätigkeit im ‚Literarischen Cabinet‘ ein. Die Tagebücher, ein Fundus von Fakten, Exkursen und Essays, werden Fontane als Arbeitsjournale gedient haben. Darüber hinaus können sie Hinweise geben für die möglichen Inhalte des ungeschriebenen Teils seiner Autobiografie von Vierzig bis Achtzig (GB, TB, XV). Diese Schriften sowie eine umfangreiche Korrespondenz und Reiseberichte zeugen trotz manch finanzieller Entbehrungen von einem ereignisreichen und engagierten Leben und dem enormen Arbeitspensum, das der Dichter sich täglich über Jahrzehnte abverlangt hat.
Chronologische Skizze
Kindheit und Jugend 1819–1835
Elternhaus
Am 30. Dezember 1819 wurde Theodor Fontane in Neuruppin geboren. Seine Eltern, Emilie Fontane, geb. Labry, und Louis Henri Fontane, beide von französisch-hugenottischer Abstammung, hatten ein dreiviertel Jahr zuvor ein Haus in Neuruppin bezogen. Die dazu gehörende Löwenapotheke konnte der Vater zu günstigen Konditionen erwerben und arbeitete dort als Apotheker. Bei der Geburt Theodors kam die Mutter gerade noch mit dem Leben davon, woraus sich bis zu der Geburt von Fontanes jüngerer Schwester Jenny eine Bevorzugung des Erstgeborenen ergab. »Er ist mir auch am schwersten geworden« (MK, 17), hat die Mutter in Bezug auf ihren Sohn Theodor einmal formuliert. Jenny Fontane, deren Vorname nicht zufällig mit dem von Frau Jenny Treibel identisch ist, war es, die Fontane später Details über eine Familie aus großindustriellen Kreisen lieferte – Informationen, welche dem Dichter als Vorlage für den Roman gedient haben (Wagner 2004, S. 62 f.).
Die Ehe der Eltern stand unter keinem guten Stern. Aufgrund seiner Spielleidenschaft gab Louis Henri Fontane mehr Geld aus, als er einnahm. Mehr als einmal war er gezwungen, sich von seinem Vater Geld zu leihen. Zwar liebte sich das Paar, aber Emilie Fontane litt unter der relativen Nüchternheit des Mannes. Er schien sich mehr für die Historie zu interessieren als dafür, seiner Frau ein aufmerksamer Beziehungspartner zu sein. Davon zeugt die ironische Bemerkung Emilies über einen an sie geschriebenen Brief Louis Henris, der statt Zärtlichkeiten historische Fakten enthielt: »Da habt Ihr Euren Vater als Liebhaber, Ihr seht, er hätte einen Briefsteller herausgeben können« (MK, 26). Diese Erfahrung kann für Fontane nicht ohne Wirkung geblieben sein, fühlt man sich doch an den Charakter Innstettens erinnert, von dem der Erzähler in Effi Briest zu berichten weiß: »Innstetten war lieb und gut, aber ein Liebhaber war er nicht«.
Der Vater verfügte jedoch über Eigenschaften, die sein Sohn sehr geschätzt hat und die einen Vergleich mit Innstetten unweigerlich an Grenzen führen. Fontane beschreibt ihn als stattlichen Gascogner voll Gutmütigkeit, der es verstand, Geschichten zu erzählen (MK, 14), und dem Menschliches über alles ging (MK, 144). Die unkonventionelle Art des Vaters wird immer wieder hervorgehoben. Bei einer nächtlichen Schlittenfahrt auf dem Wege zum Großvater zum Beispiel wurde der kleine Theodor einfach in einen Fußsack gepackt, um ihn vor Kälte zu schützen, obwohl das nicht ungefährlich war, denn der Junge hätte jederzeit herausfallen können. Dies konnte die Freude Fontanes jedoch nicht trüben. Er genoss die schnelle Fahrt und die nächtliche Atmosphäre des Sternenhimmels (MK, 24). Weitere Belege für die Abenteuerlust des jungen Fontanes scheinen später in dem Charakter von Effi Briest aufgegriffen zu werden. Da ist Fontanes Spiel- und Kletterlust, das Sich-Wiegen und Fliegen auf einer morschen Schaukel, die unter der Last zusammenzubrechen drohte. Gerade dieser Nähe zur Gefahr konnte er die Lust und das Gefühl »Dich trägt Dein Glück« abgewinnen (MK, 40).
Die Neuruppiner Jahre werden von Fontane in seiner Autobiografie sehr knapp behandelt. Die Provinzstadt erschien ihm prosaisch und monoton. Das einzig Unregelmäßige, was es in Ruppin gegeben habe, seien die unregelmäßigen Verba gewesen (Nürnberger 1997a, S. 27). Die Misswirtschaft des Vaters machte es bald notwendig, Haus und Löwenapotheke zu verkaufen und in eine Mietwohnung umzuziehen. Durch den hohen Verkaufserlös konnte der Vater ein halbes Jahr später ein neues Apothekerhaus in der auf Usedom gelegenen Kreisstadt Swinemünde erwerben, wohin die Familie 1827 übersiedelte.
Swinemünde
Im Vergleich zu dem prosaischen Neuruppin war Swinemünde für Fontane von poetischem Reiz. Man kann sich gut vorstellen, dass die sagenumwobene Stadt Vineta, die einst der Insel Usedom vorgelagert gewesen sein soll, die Fantasie des damals knapp zehnjährigen Jungen beflügelte. Durch Hochmut und Verschwendung hatten die Bewohner von Vineta die wendischen Gottheiten erzürnt, was gemäß der Sage zum Untergang der Stadt bei einem Sturmhochwasser geführt hatte. In Effi Briest taucht die Sage von Vineta in einem Gespräch zwischen Effi und ihrem Verehrer Crampas auf. Die Sage führt das Thema des moralischen Verfalls literarisch ein und kann als Verweis auf die zukünftigen Geschehnisse gelesen werden. Auch für andere Motivbausteine dieses Romans finden sich Entsprechungen im Swinemünder Haus. Wie der Haifisch, der Effi bei ihrer Ankunft in Innstettens Privatwohnung so beeindruckt, hängt dort ein getrockneter Buttfisch (MK, 37) von der Decke. Es gibt einen Lehnstuhl, in dem der Vorbesitzer gestorben war (MK, 37). Des Nachts schien er nun auf dem Dachboden zu spuken: »De oll Geisler geiht wedder üm« (MK, 33). Diese Geschichte sowie die Schilderung vom Kampf eines Swinemünder Seehandelsschiffes gegen chinesische Seeräuber (MK, 53) lässt an den spukenden Chinesen in Effi Briest denken. Auch vom Charakter her gleicht Swinemünde dem in dem Roman dargestellten fiktiven Ort Kessin.
Schulzeit
Fontanes Schulzeit verläuft alles andere als geradlinig. Nach dem Besuch der Elementarschule in Neuruppin und der Swinemünder Stadtschule wird er für einige Zeit vom Vater unterrichtet. Dem aus Anekdoten und historischen Geschichten bestehenden Unterricht fehlte zwar Logik und Systematik, aber Fontane beschreibt ihn rückblickend, wenngleich mit einiger Verklärung, als äußerst fruchtbar. Diesen Stunden verdanke er das Beste und Brauchbarste für seine spätere schriftstellerische Arbeit. Wie ein Schatzkästlein seien ihm die Inhalte des häuslichen Unterrichts stets zur Hand und von weitaus größerem Nutzen gewesen als die Gymnasial- und Realschulzeit zusammengenommen (MK, 130). Zeitweise darf er sich dem Privatunterricht der Kinder des Kommerzienrats Krause anschließen. Die Tochter, Minna Krause, Fontanes erste und zugleich unerfüllte Liebe, gilt als Urbild von Effi (Nürnberger 1997b, S. 62). 1832 verlässt Fontane das Elternhaus, um das Gymnasium in Neuruppin zu besuchen. Ein Jahr später schickt ihn der Vater nach Berlin auf die Gewerbeschule, die ihn auf die Apothekerlehre vorbereiten soll. Fontane äußert sich zu dem Schulwechsel kritisch. Anstatt eine Sache wirklich zu lernen, sei er um alles richtige Lernen gekommen, und so habe er »von links her die Gymnasialglocken, von rechts her die Realschule läuten hören« (Hädecke 1998, S. 50).
In diese Zeit fallen eigene Studien, die zum entscheidenden Bildungserlebnis des jungen Fontane werden. Ganze Nachmittage verbringt der Gewerbeschüler in einer Konditorei mit eingehender Journallektüre. Die Journale enthalten eine breite Palette von Novellen, Gedichten und Theaterkritiken und bereiten seine zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorhersehbare schriftstellerische Laufbahn vor (CH, 3, IV, 284 f.).
Von den Lehrjahren zur Approbation – Vormärz und Revolution 1836–1848
Apothekerlehre
1836 tritt Fontane in Berlin seine Lehrzeit in der Apotheke von Wilhelm Rose an. Er wohnt bei seinem Onkel August Fontane, dessen Freund ein Pflegekind angenommen hat: Emilie Rouanet-Kummer, die spätere Frau Theodor Fontanes. Sein Bemühen, sowohl den Aufgaben eines Apothekerlehrlings, als auch seiner Vorliebe für die Literatur nachzukommen, findet eigenen Angaben zufolge eine literarische Umsetzung in der 1888 verfassten Ballade Fritz Katzfuß (Kolk 2001, S. 184). Die im Rose’schen Hause befindliche Bibliothek wird von Fontane ausgiebig frequentiert. Sie wurde durch einen Lesezirkel regelmäßig gespeist und vergrößerte sich dadurch beständig.
Literarische Gruppen
Aus dieser Zeit stammen seine Kenntnisse über das Junge Deutschland. Hier hat er, neben Karl Gutzkow, Theodor Mundt, Gustav Kühne, Heinrich Laube und Ludolf Wienbarg, die literarische Bekanntschaft mit Heinrich Heine geschlossen. Heines Gedicht Seegespenst spielt in der durch Crampas initiierten Verführungsszene in Effi Briest eine bedeutende Rolle.
Beginn der literarischen Produktion
Erste literarische Produkte Fontanes fallen in seine Lehrzeit. Während die Prosawerke zum Teil verschollen sind, blieben einige Gedichte dieser Zeit erhalten. Seine erste Novelle Geschwisterliebe wurde 1839 im Berliner Figaro gedruckt. Er besucht Lesecafés und Dichterclubs wie den ‚Platen‘- und den ‚Lenau-Verein‘, schließt sich dem ‚Herwegh-Klub‘ an. Mit Balladen und Liedern auf preußische Feldherren kann er im Vormärz erste Erfolge erzielen (Nürnberger 2000, S. 29 f.).
Verlobung
An seine Lehrzeit schließen sich Aufenthalte in Burg bei Magdeburg, Leipzig und Dresden an, wo er als Apothekergehilfe arbeitet. Nach Ableistung seines einjährigen Militärdienstes wird Berlin, unterbrochen von mehreren Englandaufenthalten, sein ständiger Wohnsitz. Er lebt zunächst wieder bei seinem Onkel, August Fontane, wo er Emilie Rouanet-Kummer wiedersieht und sich schließlich mit ihr verlobt. In das Jahr seiner Approbation als Apotheker erster Klasse fällt die Trennung seiner Eltern ohne Scheidung. Seine Mutter geht nach Neuruppin.
KünstlerBekanntschaften
1844 tritt Fontane dem literarischen Sonntagsverein ‚Tunnel über der Spree‘ bei. Dessen Name war eine ironische Anspielung auf die im Vergleich zu England bestehende industrielle Rückständigkeit Preußens. England hatte bereits mit dem Bau eines Tunnels unter der Themse begonnen, unter der Spree aber gab es keinen. Als Vereinsmitglied knüpft Fontane Kontakte zu Dichtern und Künstlern wie Paul Heyse, Theodor Storm, George Hesekiel, Bernhard von Lepel und Adolf Menzel. Vorträge und Gedichte, sogenannte Späne, wurden dort einer Kritik unterzogen und von den Mitgliedern, den ‚Runen‘, sogar mit Noten versehen. Damit sich die aus heterogenen Lebensschichten zusammensetzenden Mitglieder auf Augenhöhe begegnen konnten, wurden Necknamen (siehe hierzu: Böschenstein 2007, S. 96–118; Horch 2007, 1 S. 74-186) eingeführt (CH, 3, IV, 319), eine Technik, der sich die Figuren in Irrungen, Wirrungen ebenfalls bedienen, um Standesunterschiede zeitweise einzuebnen. Fontanes Erlebnisse in Dichterklubs gehen auch in den Romanerstling Vor dem Sturm ein, in welchem der Protagonist, Lewin von Vitzewitz, als aktiver Anhänger romantischer Lesezirkel charakterisiert wird. Fonyse tane beschreibt die Zeit im ‚Tunnel‘ als einen Weg von jugendlicher Naivität zu höherem künstlerischen Bewusstsein, einhergehend mit seiner Wendung von der Lyrik zur Ballade (Hädecke 1998, S. 87).
Fontanes Zugehörigkeit zu den sich in ihrer politischen Ausrichtung stark unterscheidenden Dichterklubs wirft Fragen zu seiner politischen Einstellung auf. Der ‚Herwegh-Klub‘ war weniger ein Dichterverein als eine illegale studentische Burschenschaft, der ‚Tunnel‘ hingegen von stark konservativer, royalistischer Prägung. Fontane beteiligte sich zwar mit Ausbruch der Revolution in gemäßigter Form an den Barrikadenkämpfen, aber es kam ihm nicht auf den Umsturz der bestehenden Ordnung an, sondern auf die Sicherung einer verfassungsmäßigen Entwicklung (Jolles 1983, S. 49). Seine Beziehungen zum konservativen und royalistischen Preußen sollten jedoch nie abreißen.
Uneheliche Vaterschaften
In privater Hinsicht befindet sich Fontane in dieser Zeit in »Bräutigams- und Geldkalamitäten« (Nürnberger 2000, S. 38), wie der Tunnelianer Bernhard von Lepel es ausdrückte. Zum zweiten Mal Vater eines unehelichen Kindes geworden, beklagt Fontane das damit zusammenhängende moralische Dilemma und die damit verbundenen Geldsorgen. Ob seine Verlobte von den außerehelichen Kindern gewusst hat, ist nicht belegt.
Von Bethanien zur Zensurbehörde 1848–1852
Krankenhaus Bethanien
Ein halbes Jahr nach Ausbruch der Revolution nimmt Fontane eine Stellung als pharmazeutischer Ausbilder in dem Krankenhaus Bethanien an. Die mit der befristeten Anstellung verbundenen Aufgaben lassen ihm Zeit für die Arbeit an seinem unvollendet gebliebenen Drama Karl Stuart. Fontane verarbeitet darin die von ihm wahrgenommene Parallele zwischen dem preußischen Verfassungsstreit und dem Kampf Karls I. mit dem Parlament. Mitglieder des ‚Tunnels‘ warnen vor Tendenzdichtung, und auch die einsetzenden gegenrevolutionären Bestrebungen tragen dazu bei, dass das noch unfertige Stück in seinen aktuellen Bezügen obsolet wird (Nürnberger/Storch 2007, S. 238).
Nachdem sein Vertrag in Bethanien ausgelaufen ist, stellen sich erneut Geldsorgen ein, weil Fontane versucht, »sein literarisches Leben auf den Vers zu stellen«. Die Aussichtslosigkeit, von der Dichtung leben zu können, kann ihn von der weiteren Beschäftigung mit ihr nicht abhalten. Den Apothekerberuf gibt er vollständig auf, zumal ihm die finanziellen Mittel fehlen, eine Apotheke zu kaufen. Sich selbst Motivation und Trost zusprechend, sagt er sich:
Wenn Du jetzt ein Gedicht machst, das dir nichts einbringt, so hast du wenigstens ein Gedicht. Das Gedicht ist Dein Besitz und wenn es nur leidlich gut ist, kann es immerhin für etwas gelten. Wenn du aber einen Aufsatz schreibst, den niemand haben will, [...] so hast du rein gar nichts. [...] Prosa darfst Du nur schreiben, wenn sie von durchaus zahlungskräftigen Leuten von dir gefordert wird (CH, 3, IV, 533).
Buchveröffentlichungen
Es gelingt Fontane, beim Cotta Verlag Gedichte über den alten Derfflinger und den alten Zieten zu publizieren. Man kann sich gut vorstellen, welches Glücksgefühl sich bei Fontane einstellt, als bald danach auch seine Romanzen Von der schönen Rosamunde und andere kleine Dichtungen als Buch herausgegeben werden.
Anstellungen beim preußischen Staat
Als Fontane 1850 auf eigene Initiative (Jolles 1983, S. 85) und unterstützt von seinem Freund und Förderer, dem ‚Tunnelianer‘ Wilhelm von Merckel, eine Anstellung zur Mitarbeit im ‚Literarischen Cabinet‘ des preußischen Innenministeriums erhält und annimmt, schreibt er sofort an seine Verlobte: »Wenn dir’s paßt, Hochzeit im Oktober« (CH 3, IV, 535). Die Hoffnung, sich mit der Tätigkeit im Staatsdienst für seine Ehe eine finanzielle Basis von längerer Dauer verschafft zu haben, zerschlägt sich. »Ich trat nur ein, um wieder auszutreten« (CH 3, IV, 1049), schreibt Fontane im Wangenheimkapitel ironisch. Durch die Neubesetzung des Innenministeriums mit Otto Theodor von Manteuffel kam es zu Umstrukturierungen im ‚Literarischen Cabinet‘, wodurch für ihn dort zunächst kein Platz mehr war. Es folgt ein entbehrungsreiches Jahr für das Ehepaar Fontane, das inzwischen den ersten Sohn bekommen hat. »Wenn ich’s nur zu einem kleinen, ganz mäßigen Jahrgehalt bringen könnte« (zitiert nach Hädecke 1998, S. 115), quält sich der Ehemann. Fontane erteilt Privatunterricht und ein Teil der Wohnung wird untervermietet. Er schreibt schottische Balladen, der erste Lyrik-Sammelband erscheint im Carl Reimarus Verlag, aber eine gesicherte Existenz erwirkt er damit nicht. Im November 1851 kann er erneut für die preußische Regierung in der ‚Centralstelle für Preßangelegenheiten‘ arbeiten, deren Aufgaben sich von dem inzwischen geschlossenen ‚Literarischen Cabinet‘ nur unwesentlich unterscheiden. Sinn und Zweck dieser Tätigkeit war es, die Presse im konterrevolutionären Sinne zu beeinflussen und die Redakteure mit entsprechenden Beiträgen gegen den »demokratischen Unsinn« zu versorgen. Es sollte verhindert werden, dass die Presse sich zu einer oppositionellen Macht entwickelte (Jolles 1983, S. 78). Fontane, der schon zur Zeit des Cabinets darunter gelitten hatte, tendenziöse Berichte verfassen zu müssen, steckt in einem Dilemma. Einerseits lockt das – wenn auch schmale – Gehalt, andererseits widerspricht es seiner Einstellung, erneut als Korrespondent konterrevolutionär tätig zu sein. Fontane nimmt unter großen Selbstvorwürfen an.
Journalist, Korrespondent und Englandaufenthalte 1852–1859
England
Von seinem ersten Englandaufenthalt, den er 1844 für zwei Wochen angetreten hatte, war er tief beeindruckt zurückgekehrt und wünschte sich nichts sehnlicher, als dieses Land wiederzusehen. 1852 erhält er von Ryno Quehl, dem Leiter der ‚Centralstelle für Preßangelegenheiten‘ und Herausgeber der Adler-Zeitung, die Genehmigung, als Korrespondent nach England zu gehen. Der Versuch, dort eine dauerhafte Existenz aufzubauen, scheitert. In schriftstellerischer Hinsicht jedoch war dieser Aufenthalt für ihn bedeutsam: Seine Eindrücke verarbeitete er in seinem Prosawerk Ein Sommer in London. Basis hierfür waren von ihm verfasste Artikel für die Adler-Zeitung und Artikel aus der englischen Presse, die er frei übersetzte und durch eigene Kommentare bereicherte. Ein Sommer in London ist mehr als nur ein Reisetagebuch, scheinen doch bereits hier Elemente realistischen Erzählens durch, die er in seinem späteren Romanwerk aufgreift (Hädecke 1998, S. 130 f.).
Seine Frau hatte inzwischen den zweiten Sohn zur Welt gebracht, der jedoch nach zwei Wochen verstarb – Fontane hat ihn nicht mehr lebend sehen können. In der Zeit nach seiner Rückkehr aus London nimmt er die Arbeit in der ‚Centralstelle‘ wieder auf. Er legt eine Prüfung als englischer Sprachmeister ab und übernimmt bei der Preußischen Zeitung die Aufgabe, geschriebene Artikel vor dem Druck einer letzten Revision zu unterziehen. Nebenbei erteilt er den Töchtern der Familie Wangenheim Privatunterricht. Aus der freundschaftlichen Beziehung zu dieser Familie hat Fontane sich ein vertieftes Verständnis für den Katholizismus erworben, das in seinen Romanen ein nicht selten zu findendes Motiv darstellt (Nürnberger/Storch 2007, S. 240 f. und S. 476 f.).
Literaturkritik und -theorie
1853 debütiert Fontane als Literaturkritiker und -theoretiker mit dem Aufsatz Unsere lyrische und epische Poesie seit 1848, der anonym in den Deutschen Annalen Karl Biedermanns erscheint. Der Text markiert die Verlagerung von Fontanes Interessen nach der gescheiterten Revolution von 1848, weg von der Politik hin zu Kunst und Geschichte. Zudem spiegelt der Aufsatz sein Realismusverständnis, das für die späteren Romane relevant wird (Nürnberger/ Storch 2007, S. 456). In diesem Jahr erkrankt Fontane schwer und hält sich zur Beobachtung in Bethanien auf. Es ist vermutet worden, dass Fontanes insgesamt instabile Gesundheit auf psychosomatische Ursachen zurückzuführen sei (Hädecke, 1998, S. 137). Die anhaltende Sorge darum, sich und seiner Familie eine angemessene Existenz zu verschaffen, die stark empfundene Fremdbestimmtheit im preußischen Staatsdienst und die zunächst fehlgeschlagenen Versuche, als Schriftsteller Fuß zu fassen, sprechen für diesen Zusammenhang.
Pressebeobachter und Korrespondententätigkeit in England
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