Cover

Cover

Impressum

Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Nutzung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52 a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne eine solche Einwilligung eingescannt und in ein Netzwerk eingestellt werden. Dies gilt auch für Intranets von Schulen und sonstigen Bildungseinrichtungen.

Dieses Buch ist auch als Printausgabe erhältlich:

ISBN 978-3-407-85707-1

www.beltz.de

© 2015 Verlagsgruppe Beltz, Werderstraße 10, 69469 Weinheim

Lektorat: Tarek Münch

Umschlaggestaltung: www.stefanielevers.de (Gestaltung), www.stephanengelke.de (Beratung)

Icons Umschlag: © Stefanie Levers

E-Book

ISBN 978-3-407-22265-7

Inhalt

Aus dem Schatten, bitte

Noch ein Denkmal für Helmut Kohl

Väter im Visier

Keine Diskriminierung, nirgends

»Die Väter« sind nicht schuld am Stress »der Mütter«

Gesundheitsrisiko Vater

Das meiste macht doch die Mutter

Unrecht ist keine Antwort auf Unrecht

Willkommen im »Gedöns«

Der mit dem Teilzeit-Elternjob

Lauter reichste Männer der Welt

Wir müssen noch mal über Geld reden

Aus dem Geschlechter-Baukasten

Die Vaterchance

Papa – ein Auslaufmodell?

Mama ist nicht genug

Der »neue Vater«. Eine Bestandsaufnahme

Papa ist keine Mama zweiter Klasse

Angst essen Vatersein auf

Männer werden so schnell ohnmächtig

Gestatten: Babybjörn

Wie wollen und sollen Familien leben?

Wer fehlt, ist Papa

Von Affen lernen

Väterentwertung am Fließband

Papa wusste es nie am besten

Willkommen in der vaterlosen Gesellschaft

Eine starke Hand halt

Jenseits der Mauer

Auf, auf und davon

Pappa ante portas

Die Bedeutung des Vaters bei der Entwicklung seines Kindes

Wir sind ein Dreieck

Die späte Chance

In Papas Schuhe steigen

Kommt er noch?

Er kommt nicht mehr

Galgenhumor?

Trennungsväter sind auch Väter

Menschen hinter Zahlen

Mit und ohne Ring

Über den Schatten springen

Eltern bleiben nach der Trennung

Die Mär vom Kindeswohl

Entsorgte Väter

Deins, meins, unseres

Und welcher Vater bist du?

Patchwork ist nicht cool

Der Mut der Männer

Die Verhaltensstarren

Vatermörder

Lauter Problembären

Lebenslänglich!

Für ein glücklicheres Leben

Mutter ehrenhalber?

Lauter Opfer?

Anklage abgewiesen

Sucht und werdet Vorbilder!

Rechts überholen

Ein Daddy Makeover

Glücksgefühle

Ausblick
Neun Forderungen für eine bessere Zukunft

1
Mehr Zeit und Geld für Papa und Mama

2
Mehr Entscheidungsfreiheit für Papa und Mama

3
Mehr Autorität für Papa

4
Mehr Überlebenschancen für Elternbeziehungen nach Trennungen

5
Mehr Familienfreundlichkeit für Papa

6
Mehr offene Türen für Papa

7
Mehr Vaterchance ergreifen

8
Mehr Vater statt Mutter zweiter Klasse

9
Mehr Anerkennung für Papa und Mama

Danksagung

Literatur

Bücher und Sammelbände

Studien und Untersuchungen

Artikel und Interviews

I cried at the sight of a flashing light

Can’t believe it’s true

I spied the tiny heartbeat inside

Can’t believe it’s you

Hello, I sure am pleased to meet you

How do you do?

Hello, it sure is good to see you

Safe in your womb

Derek Singleton, Hello

Für D.

Aus dem Schatten, bitte

Der Wartebereich für Familien im Flughafen Berlin Tegel ist mit einem Symbol beschildert, das eine Mutter mit Kind und Kinderwagen zeigt. Die meisten Gehwege werden ähnlich ausgewiesen. Lediglich die Schilder für verkehrsberuhigte Bereiche zeigen eine erwachsene Figur in Hosen beim Fußballspiel mit einem Kind, die auch als Vater durchgehen könnte. Wickelmöglichkeiten gibt es in Deutschland fast ausschließlich auf Damentoiletten, und nur am ersten Schultag stehen Väter neben Müttern.

Endlich.

Da sind sie, die Papas, in Anzügen und Krawatten, manche sprechen noch schnell in ihr Smartphone, bevor sich der Schuldirektor dann launig an sie und ihre Partnerinnen wendet in seiner Rede vom Ernst des Lebens, der jetzt auch bei ihren Kindern angekommen sei.

Was ist der Ernst im Leben eines Vaters? Dass sein Job, seine Erwerbstätigkeit wichtiger sind als die Familie. Dass er in der Regel als Ernährer und Erzeuger gilt, Aufgaben übernimmt, aber kaum Verantwortung. Dass viele Väter fast unsichtbar sind im Leben ihrer Kinder, obwohl sie keineswegs in einer Trennungsfamilie leben. Dass ihr liebevolles Engagement auch in unserer heutigen Gesellschaft immer noch keinen rechten Platz hat. Dass die Bedeutung ihrer Beziehung zum Kind eher belächelt als anerkannt wird. Und dass sie das ohne viel Widerstand akzeptieren.

Ich habe selbst zwei Söhne, und doch wirkt es auf mich wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten: das strahlende Bild der deutschen Mutter mit dem Kinde. Einer Ikone gleich haben wir es durch den Nationalsozialismus, die Frauenbewegung und den Neoliberalismus gebracht und dulden kein zweites Bild daneben. Immer noch! Mama ist die Beste und das Beste für das Kind. Mütter, ob berufstätig, zuhause, in Teilzeit oder eine Auszeit nehmend, wurden in den vergangenen Jahren hierzulande ausgiebig untersucht und beschrieben.

Und bei all dem, was so über Mütter gesprochen und geschrieben wird, Gutes wie Schlechtes, gibt es einen Punkt, auf den sich scheinbar alle gern einigen wollen: Es gibt niemanden, der einer Mutter das Wasser reichen kann, wenn es um das Kindeswohl geht. Das gilt auch für die Rabenmutter, die ihren Nachwuchs dem Beruf zuliebe beiseiteschiebt, oder die Latte-macchiato-Mutter, die die Karriere vernachlässigt, um sich ganz ihren Sprösslingen widmen zu können.

Ganz offensichtlich gibt es hier ein Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern. Das von manchen nur mit der Kneifzange angefasst wird, gar wie ein Tabu behandelt wird – schließlich leiden doch immer nur Frauen unter Diskriminierung!

Stimmt nicht.

Und genau wie es bei allen anderen Formen der geschlechterbedingten Unterdrückung ist, schadet sie auch hier beiden, Frauen wie Männern. Viele Frauen empfinden großen Druck, äußern sogar den Verlust ihrer persönlichen Handlungsfreiheit durch die verpflichtende Übermacht des Mutterbildes. Und je prächtiger das von Medien, Politik und Gesellschaft gemalt wird, desto blasser wird das Bild des Vaters. Der keinesfalls gleichberechtigt neben seiner Partnerin steht in Sachen Kindeswohl & Co.

Kind: »Papa, Papa, was ist ein Vakuum?«

Vater: »Ich hab’s im Kopf, mein Sohn, aber ich komme grad nicht drauf!«

Das heute gültige Vaterbild gleicht häufig einer Karikatur, einer Witzfigur. Denn neben der überall anerkannten Mama-Huldigung sorgt ironisches Papa-Bashing auch dreißig Jahre nach der Erfindung des »Verhaltensstarre«-Bonmots noch für sichere Lacher, trotz Elterngeld und trotz eines Vizekanzlers, der zwölf Wochen Elternzeit genommen hat.

»Peter«, fragt die Lehrerin, »weshalb nennen wir unsere Sprache auch Muttersprache?«

»Weil Papa nie zu Wort kommt.«

Was ist los mit dem deutschen Vater? Warum tritt er nicht aus dem Schatten der deutschen Mutter hervor? Ein solches, nicht nur farbloses, sondern auch ganz schön negatives Vaterbild wird ja von der Gesamtgesellschaft erschaffen und getragen – seit wann haben wir denn diesen blassen Papa im Abseits? Warum nehmen Väter ihr Schattendasein so einfach hin? Und warum wird es von Müttern akzeptiert, vielleicht sogar gewünscht? Um den Finger mal so richtig draufzulegen: Ist Mama vielleicht genug? Braucht es Papa überhaupt zum Kindeswohl? Oder sind Väter vielleicht doch unverzichtbar?

Noch ein Denkmal für Helmut Kohl

Auf der Suche nach den Vorlagen für unser heutiges Bild des deutschen Vaters fällt mir zuerst Helmut Kohl ein. Schließlich war er in meiner westdeutschen Jugend in den Achtzigerjahren so etwas wie der Vater der Deutschen, der sogar noch zum Vater Europas wurde. Als Kohl mit seinem störrischen Ehrenwort in der Parteispendenaffäre an Ansehen verlor, kam nicht nur ich mir vor wie ein Kind, das im Erwachsenenalter die Wahrheit über den übermächtigen Vater herausfindet: Ein Mann, der Anstand immer als das höchste Gut bezeichnet hatte, ist quasi jahrzehntelang fremdgegangen und hat seinem eigenen Leitbild überhaupt nicht entsprochen.

Dass Helmut Kohl auch als Familienmensch und Vater seiner Kinder keine besonders gute Figur gemacht hat, ist bekannt. Das bestätigt der Altkanzler-Sohn Walter Kohl in seinem Buch Leben oder gelebt werden: Abwesenheit, wenig Verständnis für die Kinder, und immer hatten das Büro, die Politik den Vorrang. Sehr deprimierend erscheint mir heute diese Kohl’sche Vaterschaft, die eine wie die andere. Und doch ist sie immer noch eine Blaupause in diesem unserem Land:

Wer holt die Kinder nachmittags von Schule und Kindergarten ab?

Wer geht mit den Kindern auf den Spielplatz?

Wer sitzt mit ihnen im Wartezimmer der Kinderärztin?

Wer richtet die Geburtstagsfeiern der Kinder aus?

Wer kauft ihnen neue Kleidung, wenn sie aus den alten Sachen herausgewachsen sind?

Es sind meistens Mütter, so meine Beobachtung. Wenn auch die Zahl der Väter in den erwähnten Situationen größer geworden ist, verglichen mit meiner Kohl-geprägten Jugend: Damals sah ich wirklich nie irgendeinen Vater jenseits von Feierabend oder Wochenende, nirgends. Auch nicht auf den eingangs genannten Verkehrsschildern, die Fußwege kennzeichnen: Der Mann mit Hut, der ein Kind an der Hand führt, wurde 1971 von einer Frau abgelöst. Ein Jahr vor meiner Geburt.

Väter im Visier

Es gibt jede Menge Bücher über die Väter von heute. Lustige Bücher über Väter, die bei den Kindern bleiben, nachdenkliche über Väter in der Identitätskrise, anklagende, gar weinerliche über Väter ohne Perspektiven. Zumeist schreiben Männer über moderne Väter, neue Väter, Väter zwischen Kind und Karriere, von ihren Kindern getrennt lebende Väter und noch mehr. Ich habe viele dieser Bücher gelesen, mit einigen der Autoren gesprochen, und mit zahlreichen Vätern auch. Dabei habe ich immer stärker das Bedürfnis verspürt, eine Brücke zu schlagen zwischen dem Lager der Mütter und dem der Väter, zwischen Frauen und Männern, zwischen Feminismus und Männerforschung.

Denn es ist dieses Miteinander, das uns fehlt, sowohl in der Kommunikation als auch in der Ausbildung von Visionen für ein (noch) besseres Leben: Wie soll der schwere Vereinbarkeits-Rucksack von den Schultern vieler Mütter genommen werden, wenn nicht auch viele Väter die Last mittragen? Mittragen dürfen? Oder wollen? Wie können wir unseren Söhnen und Töchtern ein gleichberechtigtes Leben versprechen, wenn sich ihre Eltern doch in einem andauernden Ungleichgewicht befinden? Das von allen gesehen wird, aber von niemandem kritisiert?

Meine Vorstellungen von einer Welt, in der niemand aufgrund seines Geschlechts benachteiligt wird, haben immer sehr viel mit der Stärkung der gesellschaftlichen Position von Frauen zu tun gehabt. Doch es ist höchste Zeit, auch die Position von Männern, von Vätern zu bedenken. Denn die Ungleichbehandlung der Geschlechter schwächt auch Männer, wirkt sich auf ihre Position, ihre Bedeutung in unserem gültigen Familienmodell aus. Und wie wir es durch die Kritik an der Benachteiligung von Frauen ja längst kennen, funktioniert unsere Gesellschaft auch diesmal nicht wie eine mathematische Gleichung. Wird die eine Hälfte des Elternpaars kleiner gemacht, wächst die andere Hälfte nicht automatisch in die richtige Richtung.

Ich bin sicher: Ohne Väter geht es nicht. Nicht nur für die Zeugung werden sie gebraucht. Auch danach sind sie unverzichtbar – und zwar nicht nur, um bei der Geburt Händchen zu halten oder die Nabelschnur zu durchtrennen bzw. um sich finanziell unterstützend oder engagiert beim Freizeitsport zu zeigen. Väter sind unverzichtbar, weil Eltern sein zu zweit nicht nur leichter ist, sondern auch besser. Für alle Beteiligten! Mama ist nicht genug, das sagen mir nicht nur meine eigenen Erfahrungen als Mutter und als Partnerin eines Vaters, sondern das bestätigen inzwischen auch Erkenntnisse quer durch die Wissenschaften und viele Studien, einige davon erwähne ich in den folgenden Kapiteln.

Leider ist das unserer Gesellschaft eher egal als bewusst: Ja, es ist einfacher, den Vater als Zusatz-Kraft zur Mutter zu sehen oder schlimmer noch pauschal zum Samenspender, Wochenendbespaßer oder Unterhaltszahler zu degradieren, als an den gültigen Strukturen zu rütteln. Die ja historisch gewachsen sind und somit auch irgendwie von uns allen mitgetragen – wenn nicht sogar gewünscht. Dennoch ist dieses Kleinmachen, dieses Reduzieren extrem falsch – und muss sich ändern. Weil es unfair ist – und weil es »den Vater« als Mamas Handlanger gar nicht gibt! Es existieren heute ebenso viele Auslegungen von Vaterschaft, wie es Väter gibt. Von denen auch Mütter profitieren, die ja beileibe auch nicht alle aus demselben Holz geschnitzt sind.

Dabei ist der eigene biografische Hintergrund nicht unwichtig: Wer heute Vater wird, orientiert sich mit Sicherheit auch an seinem eigenen Vater und Großvater, ebenso wie an seinem kulturellen Umfeld. Was aber nicht heißen soll, dass wir die nächsten Schubladen öffnen, um Menschen dort einzusortieren: Nicht jeder US-Amerikaner in Deutschland holt am vierten Donnerstag im November einen Thanksgiving-Truthahn für seine Familie aus dem Ofen. Nicht jeder türkischstämmige Familienvater in Deutschland verliert seine Töchter an den Islamischen Staat. Und doch spielt bei allen Ängsten und Vorstellungen eines Menschen, der sich Kinder wünscht oder bereits welche hat, die Herkunft immer auch eine Rolle. Gerade in unserer heutigen Gesellschaft, die ja viel multikultureller ist als etwa die meiner Eltern, ist dieser Aspekt wichtig und zugleich ziemlich kompliziert. Eben weil es keine pauschalen Verhaltensweisen qua Herkunft gibt.

Mit all diesen vielen unterschiedlichen Geschichten und Lebensentwürfen können wir auch eine große Lücke füllen: Sie ist deutlich sichtbar an der Stelle, an der es im gesellschaftlichen Bewusstsein um die Qualität der Bindung zwischen Vater und Kind geht. Mal ehrlich: Was eine Mutter ihrem Kind gibt, darin sind sich alle einig: Schutz, Wärme, Zärtlichkeit, Verständnis und so weiter – es ist unverhohlen einzigartig.

Was aber gibt ein Vater vergleichbar Einzigartiges an sein Kind? Ist das wirklich nur das Engagement bei den berühmten Tobespielen oder die Unterstützung bei fiesen Physik-Hausaufgaben? Kann ein Vater einem Kind überhaupt etwas geben, was es nicht schon von der Mutter erhalten hat?

Diese Lücke ist wie eine Schikane, eine fest installierte Stolperstelle für den Mann, der seine ersten Schritte als Papa gehen möchte nach der Geburt seines Kindes. Was extrem ungerecht ist! Hier brauchen wir dringend eine Veränderung im gesamtgesellschaftlichen Bewusstsein.

Keine Diskriminierung, nirgends

Um sofort mögliche Missverständnisse zu vermeiden: Ich verurteile hier ganz und gar nicht gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern, Alleinerziehende oder Familien, in denen aus guten Gründen kein Vater anwesend ist! Ich gehe ebenso wenig davon aus, dass sich Paare mit Kindern leichtfertig trennen.

Doch gerade jetzt, wenn wir vielleicht tatsächlich nur noch ein paar Schritte von der Normalität einer Geschlechtsverkehr-unabhängigen Reagenzglasgeburt eines Menschen entfernt sein mögen, möchte ich das Bild des Vaters aus dem Schatten holen und mit neuen Farben versehen. Möchte ich die fehlende Balance zwischen den Geschlechtern aufzeigen. Und auch eine Motivation liefern für das Bekennen zum Papasein, dafür, die »Vaterchance« zu ergreifen!

Dabei geht es mir nicht um praktische Anweisungen für ein individuelles Zusammenleben, sondern um ein besseres Verständnis von Vaterschaft, quasi eine Basis für ein besseres Miteinander von Frauen und Männern, die gemeinsame Kinder haben oder das planen.

»Vaterschaft im 21. Jahrhundert ist ›Malen nach Zahlen‹ ohne Nummern«, hieß es vor einigen Jahren in der Zeit. Das gilt heute leider immer noch: Parteienübergreifend wird nach einem neuen Familienleitbild gesucht, und sogar die beiden christlichen Kirchen diskutieren viel über die Gültigkeit des klassischen Familienmodells und die Autorität des Vaters.

Ob verheiratet oder nicht, ob unter einem Dach oder in zwei Haushalten: Wir brauchen dringend eine neue Vision für eine Familie, in der Mutter und Vater gleichberechtigt für Kind oder Kinder sorgen. So eine Familie wünschen sich immer noch sehr viele, heute und hier. Doch ohne ein neues Vaterbild wird dieser Wunsch nicht zu erfüllen sein.

»Die Väter« sind nicht schuld am Stress »der Mütter«

Eine Bushaltestelle, morgens um acht. Eine Frau nähert sich im Laufschritt. An der einen Hand ein Kind, mit der anderen schiebt sie einen Buggy, in dem ein zweites, kleineres Kind sitzt. Der Bus kommt. Die Frau muss an der gegenüberliegenden Straßenseite an der Ampel warten. Das größere Kind zieht an ihrer Hand. Der Bus öffnet die Türen, die Ampel schaltet auf Grün, die Frau rennt los, das größere Kind mit ihr. Da weint das kleinere Kind, es hat ein Stofftier fallen gelassen. Die Frau dreht sich um und läuft mit Kindern und Buggy zurück. Die Bustüren schließen sich. Die Frau hebt das Stofftier auf. Der Bus fährt los.

Der Alltag einer Mutter, besonders einer berufstätigen Mutter und ganz besonders einer berufstätigen Mutter mit einem oder mehreren kleinen Kindern, grenzt nicht selten an Wahnsinn. Es ist ein gehetztes Jonglieren mit Kita-Öffnungszeiten, Fahrplänen des öffentlichen Nahverkehrs und der Arbeitszeit. Weitere Bälle sind dann der Haushalt, der Einkauf für die Familie und das, was hinsichtlich des Privatlebens noch so übrig bleibt.

Das »Gesundheitsrisiko Mutter« wird vom Müttergenesungswerk offen angesprochen: »Die Belastungen von Müttern sind gesellschaftlich bedingt und die Erkrankung kein individuelles Versagen«, hieß es dort auf der Jahrespressekonferenz im vergangenen Sommer. Kinder in die Welt setzen wird inzwischen auch gesellschaftlich als bemerkenswertes Wagnis anerkannt; als berufstätige Mutter zweier Söhne erfahre ich manchmal Bewunderung von Fremden und Bekannten ob meiner Qualitäten, ständig im Spagat zwischen zwei Welten zu stehen.

Gesundheitsrisiko Vater

Wer aber hinsichtlich dieses Stress-Spagats eher schlecht wegkommt, sind Väter. Obwohl das Müttergenesungswerk heute auch Vater-Kind-Kuren anbietet, werden sie gerne zu Hauptschuldigen gemacht. Bei Vätern sticht die Erwerbstätigkeit in den meisten Fällen das Familienleben, und so wird die Vereinbarkeit beider Welten zu einem Mutterthema. Was beileibe nicht allen passt.

Sehr häufig höre ich erregte Frauen, die öffentlich Kritik äußern an ihren Männern und den Männern überhaupt, die endlich anpacken und mehr machen sollen als bloß die finanzielle Versorgung zu ermöglichen plus mit den Kindern am Wochenende ins Schwimmbad, damit Mama wenigstens einmal in Ruhe zum Yoga kann. Ihre Vorstellung einer gleichberechtigten Welt hat sehr viel damit zu tun, dass Väter ihr lethargisches Sofasitzen wenigstens kurz mal beenden mögen, um sich in der Familie zu engagieren.

All diese ärgerlichen Frauen haben mit Sicherheit ärgerliche Dinge erlebt, die ihren Unmut rechtfertigen. Dieser eine Vater würde mir auch auf die Nerven fallen: Er besteht darauf, am Wochenende immer bis spät in den Vormittag zu schlafen – ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse seiner Frau oder seiner Kinder. Oder der, der sich auch beim fünften Kind noch konsequent weigert, eine volle Windel zu wechseln. Der, der nachts nicht aufsteht, wenn das Baby weint, weil er es »nicht hört«, ebenso wie er es »nicht sieht«, wenn Staubflusen übers Parkett fliegen und nach einem Staubsauger rufen. Zweifellos macht so etwas extrem ärgerlich.

Trotzdem bin ich der Meinung: Die Väter sind nicht schuld am Stress der Mütter. Weil es »die Väter« ebenso wenig gibt wie »die Mütter«. Wir müssen uns davon verabschieden, Menschen in Schubladen einzuordnen, weil wir ihnen damit nicht gerecht werden können. Nicht jeder Vater leidet an »Schlafsucht« und chronischer Wickelverweigerung, ebenso wie nicht jede Mutter immer sofort und als Einzige weiß, warum ihr Kind weint.

Und das gilt für alle: für Paare, in denen Papa arbeitet und Mama nicht, ebenso wie für die, in denen beide Elternteile berufstätig sind. Alle Eltern verspüren häufig Stress. Der Vereinbarkeits-Stress, der berufstätige Väter eigentlich ebenso erreichen müsste wie berufstätige Mütter, hat strukturelle Ursachen und in den seltensten Fällen individuelle. Doch unsere Welt ist nicht nur an dieser Stelle ganz und gar nicht gleichberechtigt, zu Lasten der Väter, die mehr Ernährer sein müssen, und zu Lasten der berufstätigen Frauen, die mehr Mütter sein müssen. Daneben gibt es natürlich durchaus Väter, die ihre Partnerinnen in allen Bereichen unterstützen und jeden Stress mittragen. Das ist heute mit Sicherheit weiter verbreitet als früher. »Die Väter« gab es aber auch in den vergangenen Generationen nicht.

Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem älteren Mann, der verheiratet und kinderlos ist. Seine Frau hat ihm zu Beginn ihrer Beziehung klargemacht, so erzählt er, dass sie keine Kinder mit ihm haben will – weil sie keine Lust darauf hätte, dass dann alles an ihr hängen bleiben würde. Der Mann ist ein klassischer 68er, der die Entscheidung seiner Frau sehr bedauert hat, wie er zugibt, sie aber dennoch mitgetragen hat, aus Liebe und Loyalität zu ihr.

Aus derselben Generation kommt ein anderer Mann, mit dem ich gesprochen habe, Vater von zwei heute erwachsenen Kindern. Als seine Kinder klein waren, hat er sich die Betreuung gleichberechtigt aufgeteilt mit seiner Frau. Beide haben in Teilzeit gearbeitet, was für ihn zur damaligen Zeit sehr schwer durchzusetzen war, weil es eben vor rund 30 Jahren für Männer noch unüblich war, wegen der Familie beruflich kürzerzutreten. »Ich kann mich an viele Abende erinnern, an denen ich bei den Kindern lag«, sagt er. »Ich blieb bei ihnen, bis sie eingeschlafen waren. Dann habe ich aufgeräumt, die Küche, das Bad. Und war ganz schön erschöpft, wenn meine Frau von der Arbeit nach Hause kam.«

Das meiste macht doch die Mutter

Es gibt zahlreiche aktuelle Studien und Erhebungen zur elterlichen Aufteilung der Betreuung von Kindern und Küche mit den unterschiedlichsten Ergebnissen. So belegt die Vorwerk Familienstudie 2011, ausgeführt vom Institut für Demoskopie Allensbach, dass Väter sich heute immer noch nicht mehr in der Familie engagieren als früher. Der Löwenanteil an Familien- und Hausarbeit liegt nach wie vor bei den Müttern: 4 Prozent von ihnen tragen alles, 73 Prozent von ihnen »das meiste«, so die Ergebnisse der Studie, für die über 10.000 Personen in Deutschland befragt wurden.

Die AOK-Familienstudie von 2014 zeigt, dass Väter häufiger als Mütter der Meinung sind, die Haushaltspflichten inklusive Familienarbeit würden geteilt. Dieses Missverständnis wirkt sich auch auf die Zufriedenheit aus: 58 Prozent der Väter mögen die Aufteilung hinsichtlich der Kinderbetreuung im Alltag – aber nur 46 Prozent der Mütter. Dabei gibt es kaum Unterschiede hinsichtlich des Bildungsstands der Eltern oder ob ein Migrationshintergrund besteht.

Ein wichtiger Aspekt jedoch ist die Arbeitszeit: 50 Prozent der für die AOK-Studie befragten Mütter haben Teilzeitjobs. Und da in der Regel jene Person die Hauptverantwortung für Kinder und Küche übernimmt, die nicht Vollzeit arbeitet, erklärt sich die Aufteilung quasi von selbst. Familienarbeit, Pflege, Kindererziehung, Hausfrausein, all das, was wir heute unter »Care« verstehen, ist in unserer Gesellschaft auch heute noch kaum ökonomisch fassbar und somit nicht anerkannt.