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Alexander Kords

Manuel Neuer

Alexander Kords

Manuel Neuer

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Originalausgabe
1. Auflage 2015
© 2015 CBX Verlag, ein Imprint der Singer GmbH
Frankfurter Ring 150
80807 München
info@cbx-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf in keinerlei Form – auch nicht auszugsweise – ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Lektorat: Cornelius Traub
Umschlaggestaltung: Nina Knollhuber
Foto: imago/Ulmer
Satz: Sina Georgi
Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck
Printed in Germany
ISBN 978-3-945794-40-1

Inhalt

1. Aufgewachsen in einer Fußballstadt
2. Wie er wurde, was er ist:
Manuel Neuers Torwarttraining im Schalker Nachwuchs
3. Manu für Deutschland:
Neuers Weg durch die Junioren-Nationalmannschaften
4. Der schnelle Sprung ins Schalker Profi-Tor
5. Die jüngste Nummer 1 der Bundesliga
6. Manuel Neuers erste Europameisterschaft
7. Nächster Angriff auf die Schale
8. Auf dem Weg zur WM 2010:
Der Vierkampf um das deutsche Tor
9. Die jungen Wilden mischen Südafrika auf
10. Die Bayern brauchen einen neuen Torwart
11. Ein Pokalsieg zum Abschied
12. Vize-Triple und „Drama dahoam“:
Manuel Neuers erste Saison in München
13. Die Europameisterschaft 2012
14. Der Beste im Tor der Besten
15. Die WM 2014:
Prototyp einer neuen Torwartgeneration
16. Manuel Neuer und die Frau(en)
17. Die Sache mit der Weltklasse
18. Werbepartner Manuel Neuer
19. Die Manuel Neuer Kids Foundation
20. Anekdoten rund um Manuel Neuer
Quellenverzeichnis
Bildnachweis

1. Aufgewachsen in
einer Fußballstadt

Auch wenn der seit Jahrzehnten erfolgreichste Fußballverein Deutschlands im Süden der Republik beheimatet ist, schlägt das Herz der beliebtesten Sportart der Deutschen dennoch im Ruhrgebiet. Ein gutes halbes Dutzend Clubs aus der Metropolregion Rhein-Ruhr spielte oder spielt noch immer in der Bundesliga, viele weitere blicken auf eine viele Jahrzehnte andauernde Tradition und auf die Zugehörigkeit zu hohen Ligen zurück. Drei Vereine aus Deutschlands größtem Ballungsgebiet konnten noch dazu mindestens ein Mal in ihrer Geschichte die Deutsche Meisterschaft erringen. Neben Borussia Dortmund und Rot-Weiß Essen ist dies der FC Schalke 04, der sich nach dem Stadtteil in Gelsenkirchen benannt hat, in dem er im Mai des Jahres 1904 gegründet wurde. Knapp 82 Jahre später, am 27. März 1986, kam in Buer, einem weiteren Stadtteil Gelsenkirchens, ein Junge zur Welt, der dem Club von frühester Kindheit an verbunden sein sollte. Manuel Neuer hieß der Kleine, sein zweiter Vorname Peter entsprach dem ersten seines Vaters. Der stammte aus Allmendigen, einer Gemeinde in Baden-Württemberg, rund 25 Kilometer von Ulm entfernt. Dort führte Peter Neuers Vater, Manuels Großvater, einst ein Friseurgeschäft, das Peter einmal übernehmen sollte. Weil der aber seine Zukunft nicht darin sah, Haare zu schneiden, zog er mit seiner Frau Marina, einer Fremdsprachenkorrespondentin, nach Gelsenkirchen. Dort bekam das Paar zwei Söhne: Ende 1984 Marcel und im März 1986 Manuel. Peter Neuer wurde Polizist und schloss sich der Stadionwache an, die für Sicherheit im Gelsenkirchener Parkstadion sorgte – der Heimstätte von Schalke 04.

Schon mit zwei Jahren bekam Manuel Neuer seinen ersten Fußball geschenkt und war fortan nicht mehr davon zu trennen. Im Garten der Familie spielte er, auf der Straße, allein, gegen seinen Bruder oder gegen Freunde. Im März 1991, kurz vor seinem fünften Geburtstag, trat er dem FC Schalke 04 bei – obwohl ihn seine Eltern lieber bei einem kleineren Verein gesehen hätten. „Sie wollten mich zum SSV Buer oder zum SC Hassel schicken“, erzählte Neuer rückblickend in einem Interview mit dem DFB. „Sie haben mich zwar für verrückt erklärt, als ich gesagt habe, dass ich nach Schalke will, aber ich habe mich durchgesetzt.“ Seine Eltern fuhren ihn zur Glückauf-Kampfbahn, dem legendären ehemaligen Heimstadion der Schalker, wo er zu seinem Probetraining antrat. Weil kein Torhüter anwesend war und keiner der anderen Knirpse ins Tor gehen und sich immerzu in den Schlamm werfen wollte, musste eben der Neue: Manuel. Er wurde von den Königsblauen angenommen, und obwohl er durchaus auch die technischen Fähigkeiten hatte, im Feld mitzuspielen, beließ ihn sein erster Trainer – „Herr Bösdorfer. Richtige Erinnerungen an ihn habe ich nicht mehr“ – im Tor.1 An seinem ersten sportlichen Wettbewerb nahm der kleine Manuel schon im März 1991 teil. Mit seiner Schalker Kindermannschaft trat er in Westerholt im Norden des Ruhrgebiets zu einem Bambini-Turnier an. Auf einem Video dieser Veranstaltung ist zu sehen, wie sich die Mannschaft vor einer Partie versammelte und von ihrem Trainer eingeschworen wurde. Torwart Manuel trug dabei einen Teddybär unter dem Arm, der beinahe so groß war wie er selbst und vor Spielbeginn hinter ihm im Tor Platz nahm. Nach einem Gegentreffer musste Manuel getröstet werden und verließ frustriert seinen Kasten, kehrte kurz darauf aber wieder zurück, um sein Plüschtier zu holen. „Damals kam ich mit Gegentoren noch überhaupt nicht klar, ich musste immer mit den Tränen kämpfen“, sagte er später. „Mein Vater stand damals immer hinter dem Tor und hat gesagt, dass ich mich zusammenreißen soll.“2 Doch Rückschläge verdarben dem Nachwuchskicker nicht den Spaß am Spiel. Im Gegenteil: Auch nachdem er eingeschult worden war, blieb der Fußball im Mittelpunkt von Manuels Leben. Wenn er am Nachmittag mal nicht bei Schalke trainierte, spielte er auf dem Ascheplatz der Fachhochschule Gelsenkirchen gegen Freunde oder im heimischen Garten mit seinem Bruder. Der erinnerte sich viele Jahre später an die Duelle mit Manuel. „Mit viel Einsatz und meiner damaligen körperlichen Überlegenheit habe ich seine technischen Vorteile wettzumachen versucht, oftmals leider vergeblich“, so Marcel Neuer. Selbst das Wohnzimmer der Familie war vor den Brüdern nicht sicher, allerdings gaben sie dort dem Tennisball als Spielgerät den Vorzug. „Erstaunlich wenig ging dabei zu Bruch“, meinte Marcel Neuer rückblickend. „Möglichweise war das schon Manuels außergewöhnlichem Talent als Torhüter geschuldet, aber, wenn ich ehrlich bin, mir ist dieses erst viel später aufgefallen.“3 Mit den kleinen gelben Bällen kannte sich Manuel auch sonst recht gut aus, spielte er doch neben Fußball auch im Verein Tennis. Seine Begeisterung für Sport war auch erblich bedingt, schließlich hatte sein Vater eine Zeitlang Handball gespielt.

Selbstverständlich war es auch Peter Neuer, der Manuel Anfang der 1990er-Jahre zu dessen erstem Bundesligaspiel ins Parkstadion mitnahm. Dort hatte die Polizei eine eigene Kabine unter dem Dach, von der aus sie die Zuschauer im Blick behalten konnte. Und von dort aus sah Manuel die Partie: ein Freitagsspiel gegen die SG Wattenscheid 09. Nicht nur wurde der Junge von der Stimmung im Stadion gepackt, er entdeckte auch seine Zuneigung für einen Spieler, den er später als sein Vorbild bezeichnen sollte: Jens Lehmann. Der war 1987 als 17-Jähriger in Schalkes Jugend gewechselt und hatte nur ein Jahr später den Sprung in die Profimannschaft geschafft. Mit Lehmann als Stammtorwart gelang dem Club, der sich zu dieser Zeit in der Zweiten Bundesliga befand, der Aufstieg ins Oberhaus. Auch als Lehmann den Verein im Sommer 1998 verlassen und zum AC Mailand wechseln sollte, blieb er Neuers Idol. Und selbst als Lehmann nach nur einem halben Jahr in Italien zu Schalkes Erzrivalen Borussia Dortmund ging, ließ Neuers Bewunderung nicht nach. Noch immer war Jens Lehmann für ihn der „beste Torwart der Welt“.

Auch Manuels Bruder Marcel spielte ganz passabel Fußball. Seinen Stammplatz hatte der ältere Neuer in der Verteidigung, wo er seinem kleinen Bruder helfen konnte, wenn dieser die Unterstützung überhaupt benötigte. Das defensive Neuer-Duo konnte sogar gemeinsam einen Titel gewinnen – wenn auch keinen allzu prestigeträchtigen. Zwischen 1997 und 2000 verbrachten die Brüder ihre Sommer regelmäßig ohne Eltern auf der niederländischen Insel Ameland, wohin sie mit ihrer Kirchengemeinde St. Urbanus zur Ferienfreizeit fuhren. Und auch dort verbrachte Manuel jede freie Minute auf der Fußballwiese. Das Highlight für den passionierten Jungkicker war dementsprechend der Insel-Cup, der jedes Jahr zum Abschluss des Urlaubs veranstaltet wurde. Und aus einer Auflage des Turniers ging das Team der Neuer-Brüder siegreich hervor. „Für uns war das eine große Sache“, so Marcel Neuer in der Rückschau. „Das Siegerfoto habe ich heute noch zu Hause, auf dem die Mannschaft in der Reihe steht und ich den Ball in meiner Hand halte.“ Auch später amüsierten sich die Neuers gelegentlich darüber, dass dies Marcels „einziger Ballkontakt des ganzen Turniers“ war.4

Zu Hause in Gelsenkirchen besuchten beide Brüder regelmäßig die Spiele des FC Schalke im Parkstadion – selten allerdings zusammen. Während nämlich Marcel, der früh sein Interesse für die Tätigkeit als Schiedsrichter entdeckte, mit seinen Kollegen in den Zuschauerrängen stand, ging Manuel mit seinen Kumpels und machte auf der Nordtribüne Stimmung. Außerdem schloss er sich dem Fanclub „Buerschenschaft“ an – ein Wortspiel mit dem Stadtteil Buer, aus dem die Mitglieder der Vereinigung stammten. Im Stadion war Manuel immer schon lange vor dem Anpfiff vorzufinden, da er dabei zuschauen wollte, wie sich seine Helden – allen voran Jens Lehmann – auf dem Rasen warm machten. Zuweilen wurde Manuel vom Verein als Balljunge zugeteilt und durfte seinem Idol das Spielgerät zuwerfen. Auch die ersten Einsätze des Nachwuchsspielers auf dem Grün des Parkstadions ließen nicht lange auf sich warten, schließlich bestritten die Jugendmannschaften der Schalker manchmal ihre Partien als Vorprogramm der Bundesligaspiele.

Ab Sommer 2000, mit 14 Jahren, richtete Manuel Neuer auch sein schulisches Leben nach dem Fußball aus. Er wechselte nämlich auf die Gesamtschule Berger Feld, die sich gleich neben dem Vereinsgelände von Schalke 04 befindet. Erst fünf Jahre zuvor war die Schule eine dauerhafte Kooperation mit dem Club eingegangen, für die ihr der Deutsche Fußball-Bund im Jahr 2007 das Prädikat „Eliteschule des Fußballs“ verleihen sollte. Just in dem Sommer, in dem Manuel die Gesamtschule Berger Feld zu besuchen begann, startete das Projekt „Fußballschule AufSchalke“. Die Schüler, die für das Programm ausgewählt wurden, besuchten die gleiche Klasse wie die „Nicht-Kicker“, begaben sich allerdings vier Mal pro Woche während der Unterrichtszeit zum Training nach nebenan. Dort, auf dem Trainingsgelände der Königsblauen, war in den vorangegangenen Monaten mit der „Arena AufSchalke” die neue Heimstätte des Clubs gebaut worden, die zum Sehnsuchtsort der Fußball-Schüler wurde. Weit mehr als 150 junge Männer und Frauen haben bis zum Sommer 2015 das Programm durchlaufen, mehr als 40 von ihnen haben im Anschluss daran eine Laufbahn als Fußballprofi eingeschlagen. Zu den Absolventen gehörten etwa Benedikt Höwedes, Julian Draxler, Sebastian Boenisch und Joel Matip, die später alle in den Nationalmannschaften ihrer Herkunftsländer spielten. In die gleiche Klasse wie Manuel Neuer gingen auch Tim Hoogland, Christian Pander und Mesut Özil, die alle den Sprung zu den Profis sowie mindestens in die Jugendauswahl-Mannschaften des DFB schafften. Pander absolvierte sogar zwei A-Länderspiele, und Özil, der erst fünf Jahre nach seinem Eintritt in die Gesamtschule Berger Feld von Rot-Weiß Essen zu den Knappen wechselte, war bekanntlich eine noch größere Karriere vergönnt. Dass sich so viel geballtes Fußballtalent innerhalb eines Jahrgangs in Form von Titeln auszahlen musste, war zu erwarten, und so gewann die Berger Felder Mannschaft im Jahr 2001, also gleich in Manuels erstem Jahr an der Schule, das Bundesfinale des Wettbewerbs „Jugend trainiert für Olympia“ gegen die Berliner Poelchau-Oberschule. Zum Helden des Endspiels wurde Torwart Manuel, der im Elfmeterschießen drei Schüsse parierte.

Um sich ganz auf Fußball und Schule konzentrieren zu können, hörte Manuel gleich nach seiner Aufnahme in der „Fußballschule AufSchalke“ mit dem Tennis auf. Das gleichzeitige Betreiben beider Sportarten hatte ohnehin bereits zu Zeitproblemen geführt, nicht selten musste Manuel nach Schule und Fußballtraining noch auf dem Tennisplatz stehen. Auch wenn er am Wochenende in Wettbewerbsspielen antrat, machte er sich nach dem Fußballmatch auf den Weg zu seinem Tennis-Team, wobei er nicht selten die Einzel verpasste und erst im Doppel einsteigen konnte. Die Entscheidung, mit einer seiner beiden Sportarten aufzuhören, trafen Manuels Eltern für ihn, da sie sich Sorgen um seine schulischen Leistungen machten. Dennoch spielte er weiterhin Tennis, wenn auch lediglich als Hobby.

Bis auf mittwochs sah der typische Schultag von Manuel Neuer vier Jahre lang wie folgt aus: Um sieben Uhr fuhr sein Bus zur Schule, wo er zunächst zwei Stunden Unterricht hatte. Während der dritten und der vierten Stunde fand das Fußballtraining statt, danach ging der Unterricht – abzüglich der Mittagspause – noch bis zwanzig vor vier. Bis er um halb fünf zum Torwarttraining musste, bekam Manuel von einem Nachhilfelehrer Unterstützung bei den Hausaufgaben und holte den Lernstoff nach, den er während seiner Lektionen auf dem Rasen verpasst hatte. Zwischen 17:30 und 19:15 Uhr trainierte er mit seiner Schalker Jugendmannschaft, danach dauerte es bis halb neun, bis er wieder zu Hause ankam. Ab und an veranstaltete der Verein Lehrgänge, für die die Schule ihren Kicker-Schülern frei gab. Für Freundschaften blieb da keine Zeit, Manuels einzige gleichaltrige Bezugsperson außerhalb des Fußballs war lange sein Bruder Marcel. Dazu kam, dass es Manuel und die anderen künftigen Elite-Kicker bei ihren nicht-fußballspielenden Mitschülern nicht gerade leicht hatten. Schließlich hatten die einen die anderen im Verdacht, Sonderrechte zu genießen, was das Verhältnis der beiden Lager nachhaltig spaltete.

Außerdem war Manuel in der Schule nicht sonderlich auffällig – was unter anderem auch daran lag, dass er eher klein war für sein Alter. Im Gegensatz zu einigen seiner Klassenkameraden neigte er nicht dazu, Streiche auszuhecken, stattdessen konzentrierte er sich schon als Jugendlicher stets auf seine Aufgaben. Das war auch nötig, schließlich musste Manuel in der Schule hart für seine Noten kämpfen. Sein Lieblingsfach – wen wundert’s? – war Sport, wohingegen ihm beispielsweise der Kunstunterricht nicht unbedingt zusagte. Dafür erledigte gerne mal sein Bruder für ihn die Hausaufgaben und malte ein Bild, für das Manuel dann eine gute Zensur bekam. Im Wesentlichen war es jedoch seinem Fleiß und seiner harten Arbeit zu verdanken, dass Manuel im Sommer 2006 die Gesamtschule Berger Land mit der Fachhochschulreife verließ – nur wenige Monate vor seinem ersten Spiel für die Profis des FC Schalke 04.

2. Wie er wurde, was er ist:
Manuel Neuers Torwarttraining
im Schalker Nachwuchs

Als Manuel Neuer im Jahr 1999, mit 13, in die C-Jugend des FC Schalke 04 aufrücken sollte, wurde seine geringe Körpergröße zu einem Problem – und zwar zu einem so entscheidenden, dass sie beinahe seine Fußballerkarriere beendet hätte, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Dazu kam, dass von der C-Jugend an auf Tore gespielt wurde, die denen im Profisport entsprechen, also eine Höhe von 2,44 Metern hatten. Davor waren die Tore lediglich zwei Meter hoch. Manuel hatte allerdings das Glück, dass die Torhüter der königsblauen Jugendmannschaften von einem Mann betreut wurden, der sich auf sein Handwerk verstand: Lothar Matuschak, der Leiter des Torwarttrainings in der A- und der B-Jugend des Vereins. Seine erste Begegnung mit Manuel Neuer beschrieb der damals 51-Jährige einmal so: „Er war so groß, wie eine Tischkante hoch ist, und hatte so eine piepsige Stimme, dass man ihn kaum hören konnte. Ein richtiges Milchgesicht.“5 Wegen seiner Körpergröße stand Manuel auf der Abschussliste und hätte wohl den Sprung in die C-Jugend nicht geschafft, wenn Matuschak nicht sein großes Potential erkannt hätte. Vor allem die fußballerischen Fähigkeiten und die Übersicht des 13-Jährigen imponierten dem Torwarttrainer. Der lud Manuel zu einem Sichtungstraining ein und beriet sich anschließend mit Helmut Schulte, dem Nachwuchskoordinator der Schalker. Entgegen der ursprünglichen Pläne von Schulte beschlossen die beiden, Manuel eine Chance in der höheren Altersklasse zu geben.

Dass Manuel lediglich 1,70 Meter maß, während andere Torhüter in seinem Alter bereits bis zu zehn Zentimeter größer waren, machte ihm schwer zu schaffen. Und obwohl er es bei Schalke in die C-Jugend geschafft hatte, wurde er wegen seiner Größe nicht mehr für die Westfalen-Auswahl nominiert. „Manche Trainer rieten mir, zu einem Chirurgen zu gehen, um meinen Kiefer oder die Knochen meines Handgelenks vermessen zu lassen“, sagte Neuer viele Jahre später. In seiner Verzweiflung besorgte er sich einen Zollstock, mit dem er regelmäßig nachprüfte, ob er ein paar Zentimeter länger geworden war. Auch bei seinen Eltern nahm er Maß und stellte bei seiner Mutter eine Körpergröße von 1,74 Meter und bei seinem Vater 1,89 Meter fest. „Irgendwann beschloss ich, mir keine weiteren Gedanken zu machen“, so Neuer.6

Ohnehin hatten die Sorgen bald ein Ende, weil Manuel noch während seines ersten Jahres bei der C-Jugend ordentlich wuchs. Und kurz nachdem er mit 15 Jahren in die B-Jugend und somit in die Obhut von Lothar Matuschak wechselte, setzte der so lange erhoffte Wachstumsschub ein. Plötzlich war Manuel der längste unter seinen Altersgenossen und auf dem besten Weg, die Größe von 1,93 Meter zu erreichen, die ihm als Erwachsenem zu bedeutenden Vorteilen gereichen sollte. Neben der Länge seines gesamten Körpers legten auch die Gliedmaßen zu – was sich überaus positiv auf sein Torwartspiel auswirkte. Denn dank der Hebelwirkung seiner langen Arme war Manuel in der Lage, den Ball sehr weit abzuwerfen. Weil Lothar Matuschak zudem intensiv Abwürfe üben ließ, gerieten die von Manuel mit der Zeit immer präziser. Dies sorgte dafür, dass er nach abgefangenen Angriffen des Gegners sehr schnell einen Konter einleiten konnte, weil er in der Lage war, das Leder gezielt und bis über die Mittellinie hinaus zu einem seiner durchstartenden Mannschaftskameraden zu werfen. „Er hat immer fast alles richtig gemacht, weil er schon als Junge die Fußball-Intelligenz hatte“7, erinnerte sich Matuschak Jahre nach seiner Arbeit mit Manuel Neuer.

Lothar Matuschak war im Sommer 1995 zum FC Schalke 04 gestoßen. In seiner Anfangszeit beim Verein befand sich das Torwarttraining – nicht nur bei den Knappen, sondern im Allgemeinen – noch in den Kinderschuhen, war doch bis dahin der Chefcoach dafür zuständig, spezielle Übungen für seine Schlussmänner zu entwickeln. Matuschak begann, das Training zu übernehmen, zunächst nur ein Mal pro Woche, später immer häufiger und professioneller. Mussten die Keeper anfangs noch auf Asche oder auf einer kleinen Rasenfläche abseits des Platzes trainieren, so wurde ihnen im Laufe der Zeit immer mehr Raum gegeben. Matuschak beobachtete zudem die Spiele seiner Schützlinge und die anderer Mannschaften, in denen er potentielle Kandidaten für die Schalker Jugend vermutete. Die ersten Spieler, denen sich der Torwarttrainer von 1995 an widmete, waren die B-Junioren Robert Wulnikowski, Christian Wetklo und Toni Tapalović. Obwohl keiner aus diesem Trio im späteren Verlauf seiner Karriere den Sprung in die erste Mannschaft von Schalke 04 schaffte, wurde zumindest Wetklo, der 2001 zum FSV Mainz 05 wechselte, zum Stammtorwart eines Bundesligisten. Tapalović sollte seinerseits für die Laufbahn des sechs Jahre jüngeren Manuel Neuer eine bedeutende Rolle spielen.

Matuschaks Philosophie vom Torwartspiel basierte darauf, dass ein Schlussmann nicht nur das Handwerk seiner Position beherrschen musste. Eine wichtige Rolle nahm auch das Beherrschen des Balles mit dem Fuß ein. Jede Einheit begann mit beidseitigem Pass- und Schusstraining, noch bevor die Keeper ihr Tor betraten, machten sie sich mit dem Spielgerät am Fuß warm. Eine ähnlich große Bedeutung hatte das schnelle Umschaltspiel von der Abwehr in den Gegenangriff. Eine typische Übung war etwa, dass die Torhüter per Abschlag in kleine Tore im Mittelfeld treffen mussten, nachdem sie einen Ball gehalten hatten. So schulten sie ihre Fähigkeit, den Überblick zu behalten und gezielt ihre Mannschaftskollegen in Szene zu setzen. Matuschak musste dabei zunächst sein eigenes Verständnis vom Torwartspiel überdenken und revolutionieren. Schließlich war in den 1970er-Jahren, in denen er für Westfalia Herne aktiv war, das Spiel sehr viel langsamer, zudem war es den Schlussmännern erlaubt, den Ball in die Hand zu nehmen, der ihnen aus den eigenen Reihen zugespielt wurde. Bei der Entwicklung von Matuschaks Trainingskonzept bildete der Torwart tatsächlich den letzten Mann – einen Mannschaftsteil, der nicht nur verhindern sollte, dass der Ball nicht im eigenen Tor landete, sondern der von hinten das Spiel lenkte und im Bedarfsfall weit vor seinem Kasten ins Geschehen eingreifen konnte. Diese Spielidee prägte von der B-Jugend an Manuel Neuers Verhalten auf dem Platz und ist heute ein Grundpfeiler seines Erfolgs.

Dass Neuer auch auf dem Feld eine sehr gute Figur abgab, hatte übrigens nicht unwesentlich damit zu tun, dass er schon in sehr jungen Jahren im Tor stand. Auf den Ascheplätzen, die seine Freunde und er für ihre Freizeitspiele wählten, waren Stürze zumindest unangenehm, nicht selten aber sehr schmerzhaft. Um zu verhindern, dass er sich auf den Boden werfen musste und Blessuren zuzog, musste Neuer Situationen vorzeitig entschärfen. Und das tat er eben am besten, indem er Bälle abgrätschte, Laufduelle gewann und Gegenspieler ausdribbelte. Noch in der B-Jugend-Bundesliga kickte Neuer zuweilen als Feldspieler mit und war dabei durchaus erfolgreich. An ein Ereignis, das sich in einer Partie seiner Schalker gegen den Erzrivalen Borussia Dortmund ereignete, erinnerte sich der Fußballer noch Jahre später gerne. „Ich wurde in der B-Jugend mit einem gebrochenen Finger als Stürmer gegen den BVB eingewechselt und habe in der letzten Minute ein Fallrückziehertor erzielt“, so Neuer. Dass sein Team die Partie trotzdem mit 1:4 verlor, war insofern zweitrangig, als dass „der BVB ein Tor von einem Torwart kassiert hat.“8

Neben den spielerischen Anlagen wurde der junge Schalker auch charakterlich geschult – und zwar sowohl von Lothar Matuschak als auch von seinen Eltern. Dem Torwarttrainer war es sehr wichtig, dass seine Schützlinge Respekt voreinander haben und voneinander lernen. Die jungen Spieler sollten in einem Umfeld Sicherheit erlangen, in dem es noch keine Konkurrenzkämpfe gab. Dieser unvermeidliche Teil des Fußballgeschäfts würde schließlich noch früh genug auf sie zukommen. Der Respekt vor seinen möglichen Gegenspielern prägte Manuel Neuer bis in seine Profilaufbahn – ebenso wie die Bescheidenheit, die er von seiner Mutter und seinem Vater vermittelt bekam. „Ich hatte nie die Chance, abzuheben“, sollte er rund 20 Jahre später, nach dem WM-Finale 2014, der Zeitschrift Gala erzählen.

Am 19. Mai 2001 befand sich der damals 15 Jahre alte Manuel Neuer unter den 65.000 Zuschauern der Partie zwischen dem FC Schalke 04 und der SpVgg Unterhaching im Gelsenkirchener Parkstadion. Die Königsblauen hatten an diesem letzten Spieltag der Saison 2000/2001 nur noch geringe Chancen auf die Deutsche Meisterschaft, da der FC Bayern München mit einem Vorsprung von drei Punkten an der Tabellenspitze stand. Ein Trumpf in der Hinterhand der Schalker war jedoch ihre um fünf Punkte bessere Tordifferenz, die ihnen – ein eigener Sieg vorausgesetzt – bei einer Niederlage der Bayern in der zeitgleich stattfindenden Partie beim Hamburger SV doch noch den Meistertitel einbringen konnte. Beste Voraussetzungen also für eine emotionale Berg-und-Tal-Fahrt. Denn während es in Hamburg lange 0:0 stand, gerieten die Schalker gegen Unterhaching nach einer halben Stunde mit 0:2 in Rückstand, konnten aber zur Pause ausgleichen. Nach 70 Minuten führte Haching erneut, doch ein Doppelschlag von Jörg Böhme in der 73. und der 74. Minute brachte erstmals die Knappen in Front. Nach 89 Minuten stellte Schalkes Stürmer Ebbe Sand mit dem 5:3 den Sieg sicher, und beinahe zeitgleich köpfte Sergej Barbarez das 1:0 für den HSV. Nachdem in Gelsenkirchen der Schlusspfiff ertönte, stürmten die Schalker Fans – unter ihnen auch der jugendliche Manuel Neuer – den Rasen und feierten bereits die so sicher geglaubte Meisterschaft.

Was folgte, sollte als größtes Drama der jüngeren Geschichte in die Annalen des FC Schalke 04 eingehen. Durch das Rund des Parkstadions verbreitete sich nämlich die Information, dass auch die Partie in Hamburg abgepfiffen worden war. Ein Feuerwerk wurde ausgelöst und stieg über Gelsenkirchen auf, Schalker Spieler wurden von Reportern über ihre Gefühlslage angesichts der gewonnenen Meisterschaft befragt. Währenddessen ging die Videoleinwand des Parkstadions an und zeigte Szenen des Spiels Hamburg gegen Bayern. Es dauerte ein paar Sekunden, bis man auf Schalke realisierte, dass es sich nicht um Wiederholungen, sondern um das Live-Bild handelte. Und man wurde Zeuge der Nachspielzeit in Hamburg – in der die Bayern noch einen indirekten Freistoß im Strafraum des HSV zugesprochen bekamen. Ausgerechnet der von Schalke an Hamburg ausgeliehene Torwart Matthias Schober hatte einen unkontrolliert vom Fuß seines Mannschaftskollegen Tomáš Ujfaluši abgesprungenen Ball mit den Händen aufgenommen, woraufhin Schiedsrichter Markus Merk auf Rückpass entschied. Stefan Effenberg tippte das Leder zu Patrik Andersson, der aus elf Metern Entfernung den Weg durch die voll besetzte Hamburger Mauer fand und zum 1:1-Ausgleich traf. Während die Bayern auf dem Rasen des Hamburger Volksparkstadions den Gewinn der Meisterschaft feierten, lagen sich rund 350 Kilometer südwestlich die Fans und die Mannschaft von Schalke 04 weinend in den Armen. Eine Szene aus Hamburg brannte sich vor allem Manuel Neuer ins Gedächtnis: der Jubel von Oliver Kahn nach dem 1:1. Bayerns Torwart eilte nach dem Treffer zur Eckfahne, riss sie aus der Erde und ließ sich mit ihr auf den Boden fallen. Acht Jahre später sollte Neuer genau diese Aktion auf großer Bühne kopieren, um sich und allen Schalker Fans, die an diesem Spätnachmittag im Mai 2001 so sehr leiden mussten, eine gewisse Genugtuung zu verschaffen.

In der Schalker B-Jugend stand Manuel Neuer in der Hierarchie der Torhüter nur an dritter Stelle und kam daher nur selten in Wettbewerbsspielen zum Einsatz. Umso ehrgeiziger trainierte er und entwickelte seinen eigenen Spielstil weiter. So sah er sich die Zusammenschnitte von Highlights aus den europäischen Ligen an, die regelmäßig auf dem Sender Eurosport zu sehen waren, und nahm sich die guten Torwartaktionen zum Vorbild. Zudem achtete er sehr genau auf die Stärken der Torhüter, die zu dieser Zeit in seinem Fokus standen. An seinem Idol Jens Lehmann wusste er vor allem zu schätzen, dass dieser häufig aus seinem Kasten kam und nicht auf der Linie klebte, während er sich von Oliver Kahn, der damaligen Nummer 1 der deutschen Nationalmannschaft, abschaute, wie dieser auch in dramatischen Situationen seine Konzentration aufrechterhielt. Auch Frank Rost, der seit 2002 bei den Profis von Schalke 04 im Tor stand, diente als Anschauungsobjekt für den jungen Manuel Neuer. Dennoch wollte dieser alles andere als eine Kopie der bereits etablierten Keeper werden. Er wollte sich nur den Teil der Spielweise oder des Charakters herauspicken, der ihm für seinen eigenen Weg am dienlichsten schien.

Im Sommer 2003 stieg Manuel Neuer in die A-Jugend der Schalker auf und spielte von da an für das Team, das in der Staffel West der neu gegründeten A-Junioren-Bundesliga antrat. Betreut wurde es von Norbert Elgert, der gerade erst von seiner Tätigkeit als Co-Trainer bei der Profimannschaft zurückgekehrt war. Bereits zwischen 1999 und 2002 hatte Elgert die A-Junioren trainiert und wurde im Sommer 2002 zum Assistenten von Frank Neubarth in der Bundesliga. Als Neubarth nach weniger als einem Jahr entlassen wurde, ging der 1957 in Gelsenkirchen geborene Elgert wieder zur A-Jugend der Schalker. In seinem Kader für die Saison 2003/2004 befanden sich unter anderem die Verteidiger Benedikt Höwedes und Sebastian Boenisch sowie die Mittelfeldspieler Tim Hoogland und Alexander Baumjohann. Das Tor teilte sich Manuel Neuer mit dem ein Jahr älteren Tim Grothuysen, der im Laufe der Saison bei der deutschen U19-Nationalmannschaft zu mehreren Einsätzen kam. Auch in der Schalker A-Jugend erhielt Grothuysen zunächst den Vorzug vor Neuer und stand an den ersten vier Spieltagen im Tor. Am fünften, beim Auswärtsspiel gegen den KFC Uerdingen 05 am 28. September 2003, gab Manuel Neuer schließlich sein Debüt für die höchste Juniorenmannschaft und blieb beim 3:0-Sieg unbezwungen. Am Ende der Saison kam Neuer auf zwölf Einsätze, in denen er sieben Mal die Null hielt, und kassierte insgesamt zehn Gegentore. Grothuysen, der die restlichen 14 Spiele absolviert hatte, rückte im Sommer 2004 in die zweite Mannschaft der Knappen auf. Dort machte er jedoch lediglich ein Spiel, wechselte ein Jahr später zum fünftklassigen SV Straelen und sollte nie den Sprung in den bezahlten Fußball schaffen.

Manuel Neuer kam schon am Ende der Spielzeit 2003/2004 zu seiner Premiere für Schalke II. Am 23. April 2004, einen knappen Monat nach seinem 20. Geburtstag, stand er für die Mannschaft von Trainer Gerhard Kleppinger gegen Dynamo Dresden auf dem Platz. Gespielt wurde im Lohrheidestadion in Bochum-Wattenscheid, das mit 12.500 Zuschauern beinahe ausverkauft war. Die Dresdner gingen durch Steffen Heidrich früh in Führung und hielten das 1:0 bis zur Schlussviertelstunde. Dann drehten Filip Trojan und Tamás Hajnal binnen weniger Minuten die Partie und bescherten Manuel Neuer eine gelungene Premiere in der damals drittklassigen Regionalliga Nord.

In der Saison 2004/2005 hatte es Manuel Neuer im Tor der A-Junioren mit Dennis Lamczyk zu tun, wobei er in dieser Spielzeit auf mehr Einsätze kam als in der vorangegangenen. 18 Partien waren es am Ende für Neuer, in zwölf davon musste er nicht hinter sich greifen, in den restlichen kassierte er zwölf Treffer. Mit Neuer im Tor verlor sein Team nur eine Partie, dennoch verpasste es am Ende der Saison mit fünf Punkten Rückstand auf den VfL Bochum die Tabellenführung, die zur Teilnahme an der Endrunde zur Deutschen Meisterschaft berechtigt hätte. Im Sommer 2005 verabschiedete sich Neuer aus der Jugendabteilung des Clubs, der er insgesamt 14 Jahre lang angehört hatte. Er unterschrieb nämlich seinen ersten Profivertrag, sollte fortan für die zweite Mannschaft spielen und sich als dritter Torwart für Einsätze bei der Bundesligamannschaft der Knappen bereithalten.

Ein Jahr nach Neuers Abgang gewann die von Norbert Elgert und Lothar Matuschak betreute Schalker A-Jugend die Deutsche Meisterschaft. Dem Team gehörten unter anderem Mesut Özil, Sebastian Boenisch und Benedikt Höwedes an, die kurz darauf ebenfalls mit Profiverträgen ausgestattet wurden. Elgert wurde 2013 vom DFB zum Trainer des Jahres gekürt, im gleichen Jahr beendete Matuschak nach 18 Jahren sein Engagement beim FC Schalke 04. Bis zum Ende seiner Karriere galt er als einer der besten Torwarttrainer Deutschlands. Neben Neuer schafften es auch andere Schützlinge von Matuschak, wie beispielsweise Ralf Fährmann, Lars Unnerstall und Mohamed Amsif, im Laufe ihrer Karriere in der Bundesliga sowie in diversen Nachwuchsauswahlen des DFB zu spielen.

3. Manu für Deutschland:
Neuers Weg durch die
Junioren-Nationalmannschaften

Dank seiner Leistungen in der A-Junioren-Bundesliga hatte Manuel Neuer längst die Jugendkoordinatoren des Deutschen Fußball-Bundes auf sich aufmerksam gemacht. Als im Herbst 2004 die neue U19-Auswahl zusammengestellt wurde, gehörte er folgerichtig dem engeren Kreis der Kandidaten für die Torwartposition an. Schon im ersten Länderspiel der Saison 2004/2005, das Deutschland am 15. September 2004 gegen den damals amtierenden Europameister Spanien bestritt, stellte Bundestrainer Uli Stielike Neuer auf und verhalf ihm damit zum ersten Länderspiel seiner Karriere. Und aus der Partie heraus blieb der 18-jährige Schalker bei seinem Debüt unbezwungen, allerdings sorgten zwei verwandelte Elfmeter durch José Jurado und den späteren Welt- und Europameister David Silva für eine 0:2-Niederlage der Deutschen. Zwei Tage später trat die U19 erneut gegen Spanien an, beim 1:4 stand diesmal allerdings nicht Neuer im Tor, sondern sein Kontrahent Florian Fromlowitz vom 1. FC Kaiserslautern.

Für das Nachwuchsteam des DFB stand die Qualifikation für die Europameisterschaft bevor, die im Juli 2005 in Nordirland stattfinden sollte. Die Teilnehmer am kontinentalen Kräftemessen wurden in zwei Gruppenphasen ermittelt. In der ersten traf Deutschland zwischen dem 21. und dem 25. Oktober 2004 auf Slowenien, Lettland und das Team aus Serbien und Montenegro. In allen drei Partien kam Florian Fromlowitz zum Einsatz, während Manuel Neuer auf der Bank verblieb. Dank eines Sieges gegen die Slowenen und zweier Unentschieden sicherte sich die deutsche Mannschaft den zweiten Platz in der Gruppe und somit das Erreichen der zweiten Qualifikationsphase, die erst im Mai 2005 über die Bühne gehen sollte. Bis dahin bestritt die U19 fünf Freundschaftsspiele, von denen Neuer in dreien und Fromlowitz in einem das deutsche Tor hütete. In der fünften Partie testete Uli Stielike den Nürnberger Alexander Stephan, für den das Spiel jedoch das einzige im Dress des DFB bleiben sollte.

Drei Tage vor Beginn des Eliterunde genannten letzten Qualifikationsturniers für die U19-EM nominierte Michael Skibbe, der Trainer der deutschen U18-Nationalmannschaft, Manuel Neuer für eine Partie seiner Auswahl gegen Dänemark. Die fand am 11. Mai 2005 statt und verhalf dem Torwart zu einem Einsatz in dieser Altersklasse, zu dem sich jedoch kein weiterer gesellte. Am 14. Mai starteten Uli Stielike und sein Team endlich in die finale Gruppenphase, in der der Trainer diesmal Manuel Neuer den Vorzug vor Fromlowitz gab. So wurde die Auftaktbegegnung gegen Kroatien zum ersten Pflichtspiel für den Schalker Torwart, nachdem er zuvor lediglich in vier Freundschaftsspielen auf dem Platz gestanden hatte. Bei Schlusspfiff stand ein 3:0-Sieg für die Deutschen auf der Anzeigetafel, zu dem Kevin-Prince Boateng von Hertha BSC Berlin, Mustafa Kučuković vom Hamburger SV und Florian Müller von Union Berlin jeweils einen Treffer beigesteuert hatten.

Zwei Tage später konnte Deutschland einen großen Schritt in Richtung EM machen, indem das Team die Niederlande mit 2:0 besiegte. Endgültig sichergestellt wurde die Qualifikation mit einem 2:1-Sieg gegen die Tschechische Republik zwei weitere Tage später. Zur Endrunde der Europameisterschaft nahm Trainer Uli Stielike einen aus 18 Spielern bestehenden Kader mit. Mit der Rückennummer 1, die eigentlich dem Stammtorhüter vorbehalten war, kam Florian Fromlowitz mit nach Nordirland, als zweiter Keeper wurde Manuel Neuer nominiert. Mit ihm standen auch seine Schalker Jugend-Teamkollegen Markus Heppke und Niko Bungert im Kader, wodurch die Knappen der einzige Club waren, der gleich drei Spieler zum kontinentalen Turnier schickte. Interessanterweise war Manuel Neuer der einzige Kicker aus der EM-Mannschaft 2005, der im Verlauf seiner weiteren Karriere für die deutsche A-Nationalmannschaft auflaufen sollte. Die meisten seiner U19-Kollegen schafften den Sprung in die Seniorenauswahl nicht, allerdings entschieden sich fünf Spieler mit doppelter Staatsbürgerschaft später für das jeweils andere Land, nämlich Eugen Polanski für Polen, Ashkan Dejagah für den Iran, Stephan Schröck für die Philippinen, Kevin-Prince Boateng für Ghana und Chhunly Pagenburg für Kambodscha.

Als am 18. Juli 2005 die Europameisterschaft für Deutschland mit der Vorrundenpartie gegen Serbien und Montenegro begann, stand Manuel Neuer zwischen den Pfosten. Durch ein Tor von Eugen Polanski ging die DFB-Elf mit einer knappen, aber verdienten Führung in die Pause, und als Mustafa Kučuković nach 51 Minuten auf 2:0 erhöhte, sah alles nach einem ungefährdeten Sieg für Uli Stielikes Schützlinge aus. Vor allem ihr Schlussmann Manuel Neuer war bis dahin nahezu beschäftigungslos geblieben. Der zweite Gegentreffer weckte allerdings die Serben, die fortan die Partie bestimmten. Binnen kürzester Zeit – in der 57. und der 59. Minute – glich ihr Kapitän Borko Veselinović die Partie aus und hatte wenig später die Möglichkeit, sein Team per Elfmeter in Führung zu schießen. Manuel Neuer tauchte allerdings rechtzeitig in die linke Ecke ab, hielt den Strafstoß und verhinderte so zunächst ein weiteres Gegentor. Nach 75 gespielten Minuten sah dann aber auch der deutsche Keeper alt aus, als er einen Schuss aus 30 Metern von Nebojša Marinković zur serbischen 3:2-Führung passieren lassen musste. Auch die letzte zählbare Aktion der Partie gehörte den Ex-Jugoslawen, die in der Nachspielzeit durch Marko Markovski zum 4:2-Endstand trafen.

Um sich nicht schon frühzeitig aus dem Turnier verabschieden zu müssen, brauchte das deutsche Team am 20.