Signs of Love

12 Quickies quer durchs Horoskop

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Über die Autoren

Natalie Rabengut, geb. 1985, studierte Germanistik und Anglistik in Düsseldorf und lebt mit ihrem Mann am Rhein. Ihre eBooks zählen zu den Top-Bestsellern in den Liebesromanen.

Geboren wurde Kajsa Arnold im Ruhrgebiet. Nach mehr als 11 beruflich bedingten Umzügen lebt sie wieder in Nordrhein-Westfalen. Unter diesem Pseudonym schreibt sie unter anderem erotische Unterhaltung, unter anderem Namen hat sie schon mehrere Romane veröffentlicht.

Izabelle Jardin studierte Sozial- und Politikwissenschaften in Oldenburg und Braunschweig. Sie lebt mit ihrer Familie in einem verschlafenen norddeutschen Dorf. Ihre romantischen Liebesromane erobern regelmäßig die Ebook-Bestsellerlisten.

Anaïs Goutier ist das Pseudonym einer jungen Autorin und Kulturwissenschaftlerin, die im Bereich der Frauen- und Geschlechterforschung publiziert und forscht. Mehr über die Autorin und ihre Bücher unter www.anaisgoutier.jimdo.com

Nina Hunter wurde 1982 im Ruhrgebiet geboren und wuchs dort auf. Schon früh schrieb sie Geschichten rund um die große Liebe. Später wurden ihre Bücher nicht nur romantischer, sondern auch erotischer. Heute arbeitet sie als freie Schriftstellerin und schreibt Bücher über das Herzklopfen und erotische Begegnungen, in denen das Geschlecht keine Rolle spielt. Sie lebt mit ihrem Mann und einem Haufen Reiseführern in Berlin.

Hinter Lina Barold verbergen sich die Literaturübersetzerin Nina Restemeier und die Kulturpädagogin Anna L. Schmidt, beide in den frühen 80ern in Bielefeld geboren und aufgewachsen. Seit den späten 90ern verbindet sie die Freude an Literatur und Lakritz, Theater und Tratsch, Schwärmen und Schreiben. Und Alliterationen. Sie studierten in Düsseldorf, Leipzig, Triest und Bern. Humor und Intelligenz finden sie gleichermaßen sexy wie unterhaltsam. Deswegen schreiben sie darüber.

Naomi Noah
Die Weltenbummlerin ist im Rheinland aufgewachsen, hat viele Jahre in der Werbebranche gearbeitet, und wollte schon immer mehr aus "Sex sells" machen als ein Marketingkonzept. Trotz erfolgreicher Veröffentlichung in anderen Genres ist sie stets ihrer Liebe zur ars erotica treu geblieben.

Aimee Laurent arbeitete viele Jahre in der Werbebranche, bevor sie sich in Hamburg als freie Autorin selbständig machte. Inzwischen liegt ihr Lebensmittelpunkt wieder in Berlin, wo sie sich vom Herzschlag der Hauptstadt zu ihren Geschichten inspirieren lässt. Neben »Wilde Obsession« ist von der Autorin außerdem der Kurzroman »Frühlingsstürme« erschienen.

Emilia Lucas wurde 1980 geboren und ist in Bayern aufgewachsen, wo sie mit ihrem Mann und ihrem Kater lebt. Schöne Liebesgeschichten mit viel Herzschmerz und sinnlicher Erotik haben es ihr schon immer angetan. Sie liebt es, sich beim Schreiben ganz in ihren Figuren und deren Gefühlen zu verlieren. 2014 erschien ihre Serie »Steal my heart« bei feelings.

Als Alana Falk schreibt sie romantische Fantasy. Ihr Paranormal-Romance-Roman »Unendlich« wurde innerhalb weniger Tage zum E-Book-Bestseller, der zweite Band, »Verirrt«, ist ebenfalls erhältlich.

Unter dem Namen Laura Sander veröffentlicht sie Liebesromane, die das Herz berühren, schmerzhaft und echt sind, aber trotzdem zeigen, dass auch ein schwerer Weg in eine positive Zukunft führen kann.

Kaila Kerr erblickte als Pseudonym erst vor Kurzem das Licht der Welt. Hinter diesem Künstlernamen steht eine Autorin, die bereits namenhafte Veröffentlichungen aufzuweisen hat, sich mit Kaila Kerr jedoch in neue Gefilde wagt.

Bärbel Muschiol wurde 1986 in Weilheim geboren. Glücklich verheiratet lebt sie mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern im schönen Oberbayern. Die Autorin ist bekannt für erotische Liebesromane. Zuletzt haben ihre Bücher über die »Dead Angels« die Leser in eine andere Welt entführt.

Nina Martens ist Modedesignerin aus Stuttgart und Studentin der französischen und italienischen Sprache in Nizza, Bologna und Bochum. Seit 2012 schreibt sie Kurzgeschichten und Romane.

Impressum

Dieser Sammelband enthält alle Einzeltitel der eSerie »Astro-Quickies«, die bereits bei feelings erschienen sind.

 

© 2015 der E-Book-Ausgabe feelings – *emotional eBooks

Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit
Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Redaktion: Franz Leipold

Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Coverabbildung: © FinePic®, München

ISBN 978-3-426-43929-6

Izabelle Jardin
Midnight in Venice

Astro-Quickie: Wassermann

 

 

 

Near … far … wherever you are …«, schluchzte Céline Dion. Feline hatte einen ganz besonderen Bezug zu diesem Song, denn wenn auch Niklas jetzt höchst lebendig vor ihr stand und ganz sicher nicht mit einem Luxusliner untergehen würde: So oft war er »far away« gewesen, unerreichbar für sie, und so selten nah bei ihr.

Sie schaute verliebt zu ihm auf, streckte ihm beide Hände entgegen und strahlte ihn an. Die ganze Hochzeitsgesellschaft trat einige Schritte zurück und verschaffte dem frisch vermählten Paar Platz auf der Tanzfläche. Niklas machte eine zackige Verbeugung und nahm seine Braut in die Arme. Feline beglückwünschte sich zu ihrer Musikauswahl, denn sie wusste, er war kein begnadeter Tänzer und wäre mit dem obligatorischen Eröffnungswalzer heillos überfordert gewesen. Ebenso wie ihre Füße, die in hauchdünnen weißen Pumps steckten und schon allein dadurch genug in Gefahr waren, dass sie sich ständig unter dem voluminösen langen Kleid zu verheddern drohten. Sie schmiegte ihre Wange an seine Schulter und flüsterte ihm ins Ohr: »Du hast es gleich geschafft, Liebling! Klappt doch wunderbar. Noch ein paar Takte, dann können wir den anderen die Tanzfläche überlassen.«

»Du glaubst gar nicht, wie dankbar ich dir bin, dass du mir den Strauss-Walzer erspart hast!«, seufzte Niklas, wartete gar nicht auf die letzten Töne der Musik, nahm ihr Gesicht in beide Hände und küsste sie lange und ausgiebig.

Die Gäste applaudierten. »Was für ein wunderschönes Paar! Sehen sie nicht glücklich aus? Und Niklas mal im Anzug, meine Güte, wirklich ein Genuss! Seht euch bloß Felines Kleid an, das ist doch einfach ein Traum … wie eine Elfe … wie Glöckchen aus Peter Pan! Nein, Elfen sind doch blond! Aber so klein wirkt sie jedenfalls neben ihm … Ja, na gut, ich finde, sie sieht aus wie Schneewittchen: frisch gefallener Schnee und Ebenholz! … Ja, genau! … Wer hat eigentlich diese tolle Frisur gemacht?«

Feline hörte nur am Rande das Getuschel der Gäste und gab sich ganz Niklas’ Kuss hin. Sie war glücklich. Dieses Glücksgefühl ließ sich heute Abend von nichts und niemandem verscheuchen. Vergessen die Momente, als sie gebangt hatte, ob es je gelänge, diesen freiheitsliebenden, karriereorientierten Mann in den Hafen der Ehe zu bugsieren. Jetzt störte es Feline nicht mehr, wenn er ausgiebig mit ihren Freundinnen flirtete. Er brauchte solche kleinen Bestätigungen seiner ausgeprägten Eitelkeit. Und sie gönnte ihm das Vergnügen von Herzen, denn er gehörte nun ihr allein! Mit einer gewissen Sorge beobachtete sie jedoch, dass er mit jedem anwesenden Mann kräftig auf das frische Eheglück anstieß.

Wenn das mal nicht ein bisschen viel ist, um noch eine richtige Hochzeitsnacht zu feiern!

»Ich finde, du solltest jetzt den Brautstrauß werfen und deinen Niklas dann auf der Stelle nach Hause entführen, damit du heute Nacht noch was von ihm hast!«

Feline fuhr erschreckt herum. Es war ihre Trauzeugin Leonie gewesen, beste Freundin seit Sandkastentagen, die ihr das ins Ohr geflüstert hatte. Offenbar war auch ihr Niklas’ Trinkfreudigkeit nicht entgangen.

»Du hast völlig recht! Ich sehe das auch schon eine Weile mit Grauen, was sich mein zauberhafter Gatte da alles hinter die schicke Fliege kippt«, stimmte Feline zu. »Ich hab mich so auf unsere Hochzeitsnacht gefreut. Und jetzt fürchte ich, dass ich ihn kaum noch senkrecht ins Bett, geschweige denn senkrecht im Bett kriege.«

Genau wie von den Freundinnen geplant, war Leonie diejenige, die den hübschen kleinen Wurfstrauß auffing und sich mit gespieltem Erstaunen ihrem Langzeitfreund Ferdinand in die ausgebreiteten Arme fallen ließ. Als sich die ganze Gesellschaft dem potenziellen neuen Brautpaar zuwandte, sah Feline den Moment gekommen, Niklas bei der Hand zu nehmen und gegen einen lediglich geringen Widerstand ins Auto zu verfrachten.

* * * * *

Niklas hatte gewisse Schwierigkeiten, das Schlüsselloch zu treffen.

Das kann ja heiter werden!, dachte Feline, nahm ihm den Schlüsselbund aus der Hand, schloss ihre gemeinsame Wohnung auf und sah ihn erwartungsvoll an. Etwas zerrauft sah er aus. Aber sie fand ihn hinreißend wie immer, mit diesem speziellen jungenhaften Charme, der dunkelblonden Haarsträhne, die ihm in die Stirn gerutscht war, dem vollen, sinnlichen Mund, unter dessen Berührungen sie immer so wunderbar dahinschmolz. Herrgott, er konnte küssen, dass ihr Hören und Sehen verging. Und genau das, und noch viel mehr, wollte sie jetzt.

»Was ist, Süße? Komm rein!«

Er stand schon im Flur und schaute sie verständnislos aus leicht verschwiemelten braunen Augen an. Sie konnte sich das Lachen kaum verkneifen, denn dieser Blick hatte jetzt etwas von einem verunsicherten jungen Hund. Irgendwie rührend. Beinahe hätte sie ihn einfach in den Arm genommen und auf das Hochzeitsritual verzichtet, das sie von ihm erwartete.

Doch sie schüttelte den Kopf und sah ihn auffordernd an. »Hast du nicht was vergessen?«

Er klopfte auf seine Jackentaschen und zog die Geldbörse heraus. »Nö, ist da!«

»Niklas!«, fauchte sie halb scherzhaft, halb resigniert und verdrehte die Augen.

Jetzt begriff er endlich. »Au, Shit! Natürlich!«

O Mann!

»Felinchen, anscheinend bin ich der nachlässigste Ehemann aller Zeiten. Bitte verzeih mir. Ich gelobe Besserung!«, quoll es aus seiner Alkoholfahne, als er sie hochhob und endlich über die Schwelle trug. Sie seufzte tief, verzieh ihm leichten Herzens alles und schmiegte sich an den bedenklich wankenden Träger, der sich schwertat, seine zarte Last unfallfrei bis vors Bett zu transportieren. Rosenbestreute Laken! Eine typische Leonie-Idee. Er setzte sie mit einem Seufzer ab. Offensichtlich erleichtert, diese erste Ehepflicht doch noch sauber erledigt zu haben. Feline drehte sich um, wandte ihm den Rücken zu.

»Hakst du mir bitte die Korsage auf?«

Seine Hände wirkten etwas fahrig. Aber Feline war das in ihrem Glücksrausch völlig egal. Sie wollte nur noch einmal kurz im Bad verschwinden, das Brautkleid gegen den zauberhaften weißen Hauch von Nichts tauschen, den sie für diese Nacht ausgewählt hatte. Und dann mit ihm in einen erotischen Taumel eintauchen, der seinesgleichen suchen sollte. Genau so hatte sie es geplant. Sie ließ das Kleid von den Schultern rutschen. Es bildete eine fluffig weiße Wolke um ihre Füße. Niklas pfiff bei ihrem Anblick anerkennend durch die Zähne.

»Bin gleich zurück«, gurrte sie verheißungsvoll und verschwand durch die Tür zum Bad.

Feline beeilte sich. Kaum zehn Minuten später stand sie in ihrem transparenten Negligé wieder im Schlafzimmer. Das lange seidige Haar ergoss sich wie ein dunkler Fluss beinahe bis zum Po. Die hauchfeinen Halterlosen mit dem geliehenen blauen Strumpfband hatte sie angelassen. Ebenso die hochhackigen Pumps. Leider konnte Niklas dieses Bild purer Verführungskraft nicht würdigen. Er musste einfach rückwärts umgekippt sein. In voller Montur lag er auf dem Rosenbett, die Beine hingen schlaff über den Rand, und leises Schnarchen kam aus dem halb geöffneten Mund.

Heiße Wellen schossen durch Felines Kopf. Sie stampfte wütend mit dem Fuß auf. Was ihr wie ein Donnerschlag vorkam, erreichte Niklas’ Bewusstsein nicht. Er schlief selig weiter. Feline schnappte sich ihr Bettzeug. Als sie geräuschvoll die Schlafzimmertür zuschmiss, kämpfte sie mit den Tränen. Im Wohnzimmer warf sie sich aufs Sofa und überließ sich heulend ihrem abgrundtiefen Katzenjammer.

Hätte ich einfach besser aufpassen müssen, dass er nicht zu viel trinkt? Bin ich selbst schuld? Ach nein! Er ist schließlich erwachsen! Mit zweiunddreißig muss ein Mann doch selber wissen, wie viel er sich zumuten kann. Niklas wusste ganz genau, wie sehr ich mich auf diese Nacht gefreut habe.

Es kam ihr endlos lange vor, bis der Tränenstrom versiegte und die Vernunft die Oberhand gewann. Sie freute sich auf zwei lange vorausgeplante, wundervolle Flitterwochen. Zwei Wochen, in denen sie jede Gelegenheit nutzen wollten, sich zu lieben. Die Flugtickets lagen im Flur auf dem Sideboard. Die Koffer standen fertig gepackt daneben. Morgen wollten sie abheben und auf die karibische Trauminsel fliegen! Sonne, Strand, Palmen, türkisblaues Wasser! Nur sie und er. Was bedeutete schon eine einzige verhunzte Nacht? Alles würde wieder gut werden!

Feline stand auf, putzte sich geräuschvoll die Nase und ging in die Küche. Sie nahm eine Mineralwasserflasche aus dem Kühlschrank, goss ein und trank das Glas in einem Zug leer. Plötzlich ein Geräusch hinter ihr! Niklas stand nackt in der offenen Tür, den Kopf schiefgelegt. Das war so typisch für ihn. Diese Haltung würde ihn unter Tausenden entlarven, stellte Feline mal wieder fest. Sie liebte das, fand die kleine Eigenheit unwiderstehlich. Und er wusste es! Seitdem er herausgefunden hatte, welche Wirkung er mit dieser Geste erzeugen konnte, setzte er sie immer dann ein, wenn Stunk in der Bude herrschte, um Feline wieder schmeichelweich zu stimmen.

Mit begehrlichem Blick sah er sie an. »Du bist meine Frau und gehörst in mein Bett!«

»Was soll ich da, wenn du unsere Hochzeitsnacht verpennst?«, begehrte sie halbherzig auf.

Langsam kam er auf sie zu. Jetzt gar nicht mehr schwankend, sondern verdammt zielstrebig. Sie sah ihn herausfordernd an und wich ein paar Schritte zurück, bis ihr Po die Kante des Frühstückstisches erreichte, den sie in der morgendlichen Eile nicht mehr abgeräumt hatten.

Niklas griff nach Felines Handgelenken und hielt sie hinter ihrem Rücken zusammen. »Ich gedenke, vom Recht auf die erste Nacht Gebrauch zu machen!«

Sehr nah kam ihr sein Mund, und seine Augen waren äußerst wach. Die pure Lust flackerte darin. Zwischen letzter, gespielt empörter Renitenz und aufkeimender Bereitschaft versuchte Feline noch ein paar matte Widerworte: »Jetzt? Hier? Haben wir nicht ein wunderbar bequemes Bett?«

»Jetzt! Und hier! Bett kann doch jeder«, brummte er, und Felines winziger Vorbehalt schmolz wie Eis in der Tropensonne. Langsam, aufreizend langsam, öffnete er das Schleifchen, das den weißen Tüll vor ihrem üppigen, festen Busen verschloss. Das Negligé schwebte lautlos zu Boden. Er hob sie auf die Tischkante, fegte mit einer einzigen Geste das Geschirr klirrend zu Boden und breitete ihren Körper auf der Tischplatte aus. Das Honigtöpfchen kippte um und ergoss seinen flüssigen Inhalt neben ihre Hüfte. Sie bemerkte sein Grinsen. Gute Idee, schien er zu denken. Mit der flachen Hand fuhr er in die goldene Lache und strich genüsslich die klebrige Süße auf ihre Haut. Feline schnurrte unter jeder Berührung, leckte gierig den Honig von seinen Fingern, spürte, wie sich eine wohlige Gänsehaut auf ihrem Körper ausbreitete, die Spitzen ihrer Brüste sich aufrichteten.

Er sah ihr fest in die Augen, beobachtete jede ihrer Reaktionen auf sein Tun. Es gelang ihr, einen kurzen Blick auf seine Lenden zu erhaschen. Ihre Sorge war völlig unbegründet gewesen: »Senkrecht« war gar kein Ausdruck! Mit einem seligen Lächeln schloss sie die Augen, hörte nur noch auf ihre Gefühle, als sich seine Hände ihrem Venushügel näherten. Feline zog die Knie an, setzte die Fersen auf die Tischkante, ergab sich dem klebrig-erregenden Spiel seiner kundigen Finger, die sacht ihre Pforte öffneten, zurückkehrten zu ihrem weichen Mund, ihr den eigenen Geschmack zu kosten gaben. Sie leckte genießerisch den Honig von ihren Lippen. Nichts als süße, bereitwillige Hingabe! Ihr Becken hob sich im entgegen, aber er schien so fasziniert von seinem Spiel, dass er sie zappeln ließ, bis sie nur noch leise keuchen konnte: »Bitte, nimm mich endlich!«

Sie hatte ihn schon öfter gemahnt, dass für sie nicht allein der Weg das Ziel war.

»Schon? Ist doch grad so schön!«

»Schon? O bitte, ja, Niklas! Ich halt’s nicht mehr aus«, hauchte sie und hatte den Eindruck, dass er es zutiefst bedauerte.

»Ich könnte noch stundenlang so weiter …«, raunte er, schlug ihr aber die Bitte dennoch nicht ab. Im nächsten Augenblick empfing sie seine Männlichkeit. Noch immer glitten Niklas’ Hände über ihre Haut, streichelten, kneteten, liebkosten, fanden jeden empfindsamen Winkel. Auf allerhöchstem Plateau hielt er ihre Erregung und ließ sich alle Zeit der Welt, sie immer wieder im letzten Moment vor dem Erreichen des Gipfels zurückzuhalten, zu besänftigen, den unwiderstehlichen Trank, den er angerührt hatte, bis zum letzten Tropfen auskosten zu lassen.

»Dem Himmel so nah …!«, seufzte sie und fügte sich dem Orkan, der sie endlich mitnahm und erst wieder losließ, als sie merkte, dass Niklas stöhnend und schwer auf ihre Brust gesunken war. Sein Kopf lag an ihrem Hals, seine Lippen formten schwer verständliche, wirre Liebesworte an ihrem Ohr.

Und alles klebte!

Honig im Haar, Honig auf dem Bauch, Honig auf den Lippen. Honigfäden zogen sich zwischen ihren Körpern, als er sich langsam aufrichtete und von ihr löste.

»Süßer kleiner Tod …«, murmelte er, hob sie vom Tisch und trug sie unter die Dusche.

* * * * *

Keine Honigspuren, kein Deut mehr von der Süße der vergangenen Nacht! Grausam begann der Tag, der sie beide in ein tropisches Liebesparadies entführen sollte. Früh um sieben Uhr, die Nacht war kaum vier Stunden lang gewesen, schrillte das Telefon. Niklas wälzte sich missmutig aus dem Bett. Feline genoss noch für einen Augenblick die Wärme, die er zurückließ. Nichts ahnend.

Als er zurückkam, sah sie seinem Gesicht an, dass irgendetwas nicht stimmte.

»Was ist los? Ein verspäteter Gratulant?«

»Ja … auch …«

»Sag schon!« Feline hockte in gespannter Erwartung im Bett. Die Rosenblätter welkten.

Er setzte sich auf die Kante, griff nach ihren Händen und sah sie mit gequälter Miene an. »Feline, das war mein Chef.«

»Heute? Spinnt der? Der weiß doch, dass wir gestern geheiratet haben. Du hast Urlaub … der kann nicht ausgerechnet jetzt …«

»Wir müssen unsere Hochzeitsreise verschieben, Liebling!«

Feline spürte, dass alles Blut aus ihren Wangen wich.

»Schatz, du bist ganz blass. Alles in Ordnung?«

»Ich fass es nicht. Welchen Grund kann es geben, unsere lang geplante Hochzeitsreise zu canceln?«

Ihre Stimme klang tonlos. Sie hatte das Gefühl, gleich in die Kissen zurückzukippen. Niklas nahm sie in die Arme, streichelte ihren Rücken, drückte sie fest an sich. »Ich soll noch heute nach Dubai fliegen. Der Bauleiter dort hatte einen Unfall und wird für längere Zeit ausfallen. Ich muss seine Aufgaben übernehmen. Das ist unausweichlich. Außerdem ist es eine großartige berufliche Chance für mich. Die will ich unter keinen Umständen ungenutzt an mir vorbeiziehen lassen. Das Projekt dort ist der reine Wahnsinn. Du weißt, unser Prestigeprojekt. Jetzt kann ich endlich mal beweisen, dass Schlüter mir nichts voraushat!«

Feline krallte sich an seinen Schultern fest. Nur nicht loslassen, sonst haut es mich um … Sie wusste um seine Enttäuschung, die ihn vor ein paar Monaten so niedergedrückt hatte, als nicht er, sondern ein nur wenig erfahrenerer Kollege mit dem Megaauftrag betraut worden war. Es hatte ihn tief getroffen, zumal Niklas sich so tief in dieses Projekt gekniet hatte, dass er es vollkommen als sein eigenes empfand. Was für Mühe hatte sie gehabt, ihn wieder aufzurichten!

Sie war froh, sich hinter seinem Rücken verbergen zu können. Den Widerstreit der Gefühle spürte sie allzu deutlich in ihr Gesicht geschrieben.

Stark sein, Feline! Er braucht jetzt eine souveräne, verständnisvolle Frau!

Nach einer langen Weile ließ sie ihn los und sah ihn geradeheraus an. »Niklas, ich weiß, wie wichtig dir das ist, und werde mich gedulden. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Außerdem ist Vorfreude die schönste Freude.«

Sie hörte Geröllbrocken von seinem Herzen plumpsen. Er versuchte ein kleines Lächeln, das unter ihrem aufmunternden festen Blick zum Strahlen wurde.

»Feline, ich liebe dich. Du bist wunderbar! Ich hatte gefürchtet, du würdest eine Szene machen, mich in einen unlösbaren Konflikt stürzen. Aber du bist nicht nur schön und unglaublich sexy, du bist auch noch klug und einfühlsam.«

»Schatz, wir haben noch das ganze gemeinsame Leben vor uns.«

Feline staunte über sich selbst. Das war so selbstverständlich und leicht über ihre Lippen gekommen!

Jammern kann ich, wenn er weg ist.

Sie fühlte sich stark. Genau so lange, bis sein Flieger am späten Nachmittag hinter den schweren Januarwolken verschwunden war. Dann brach ihre Festung zusammen, und sie schaffte es nur noch mit Mühe, sich leidlich auf den Verkehr konzentriert bis zu Leonies Haus durchzuschlagen.

* * * * *

Leonie sah sie so ungläubig an, als stünde sie einem Flaschengeist gegenüber.

»Was machst du denn hier? Ich dachte, ihr sitzt längst im Flugzeug …«

Mit dem nächsten Wimpernschlag erkannte sie allerdings ganz offenbar, dass die Lage ernst war, und im gleichen Augenblick fühlte Feline ihre Nase auf Höhe von Leonies Brustbein plattgedrückt. Ganz fest hatte die Freundin sie an sich gezogen, und Feline ließ ihren Tränen freien Lauf. Leonie hielt die schluchzende Feline um Armeslänge von sich weg und sah auf sie herunter. Sie musste weit hinuntersehen, denn die gerade mal gut anderthalb Meter der Freundin überragte sie erheblich. Leonies Sportart war das Hammerwerfen. Und das sah man ihr an. Erst mit ihrem Partner, dem Basketballer Ferdinand, war ihr endlich mal ein Mann über den Weg gelaufen, der tatsächlich noch größer und breitschultriger war als sie. Feline wusste um ihren Ärger, nie höhere Schuhe anziehen zu können, immer wie eine Walküre neben allen Freunden gewirkt zu haben. Oft genug hatte sie Trost gesucht und Feline alle Hände voll zu tun gehabt, sie von der Selbsteinschätzung abzubringen, ein Trampeltier zu sein. Aber wenn Leonie zugriff und jemanden umarmte, zumal eine so zarte Person wie Feline, dann konnte einem schon mal die Luft wegbleiben. »Obelix und Idefix« hatten Klassenkameraden die beiden immer genannt. Manchmal war es nett gemeint gewesen, manchmal hatte man die Unzertrennlichen damit aber reichlich wütend gemacht und musste zusehen, Leonies Zorn besser flink zu entgehen.

»Was ist passiert, Kleine?«, fragte Leonie, warf die Haustür zu und schob Feline ins Wohnzimmer. »Setz dich. Willst du Kaffee?«

In eine Sofaecke geknautscht, den Kaffeebecher in der Hand, erzählte Feline, was los war. Sie war froh, jetzt nicht mehr die Starke spielen zu müssen und ihrem Kummer freien Lauf lassen zu können. Leonie tat, was sie schon immer gut gekonnt hatte: Sie hörte zu. Und dann versuchte sie, die Situation auf ein pragmatisches Niveau zu reduzieren.

»Ich finde es gut und richtig, dass du ihm keine Szene gemacht hast«, begann sie, und ihr Tonfall wechselte von säuselnd zu resolut, »der Job ist wichtig für seine berufliche Zukunft, und er wird nicht ewig in der Wüste bleiben. Die Hochzeitsreise könnt ihr jederzeit nachholen. Ich an deiner Stelle würde den Urlaub aufsparen und gleich morgen wieder im Museum antreten. Sieh es positiv! War da nicht eine Restaurierungsarbeit, für die du absolut Feuer und Flamme bist? Geh arbeiten, das lenkt dich von deinem Jammer ab.«

»Hast recht! Wie immer!«, stimmte Feline mit einem Lächeln zu. Die klare Ansage tat ihr gut. »Ich habe da ja meinen Giacomo Favretto. Der wartet bestimmt schon sehnsüchtig auf mich.«

»Deinen Giacomo wer? Ein kleiner Italiener? Was sagt Niklas dazu?« Leonie sah sie irritiert an, und Feline musste zum ersten Mal an diesem Tag herzhaft lachen.

»Giacomo ist sehr alt, ein bisschen heruntergekommen und verwittert. Der ist nicht aus Fleisch und Blut. Der ist aus Leinwand und Farbe.«

* * * * *

Feline stürzte sich in die Arbeit. Stunden um Stunden verbrachte sie konzentriert zwischen Pigmentfläschchen, Terpentinöl, Bindemitteln, Zobelpinseln und Farbpaletten mit »ihrem Giacomo«, wie sie das romantische Gemälde des italienischen Meisters liebevoll nannte. Ihr Sachverstand, ihre Neigung zur Akribie und ihr besonders feinfühliger Umgang mit den teils arg ramponierten Schätzen, die ihr anvertraut wurden, machten sie seit nun schon vier Jahren zu einer geschätzten Mitarbeiterin der Restaurationsabteilung im Museum.

Hier hatte sie bereits das Praktikum vor dem Studium abgeleistet. Und hier hatte sie nach dem Diplom, als sie gerade sechsundzwanzig geworden war, einen Arbeitsplatz gefunden. Besser hätte es gar nicht kommen können! Spätestens seit dem Praxissemester im römischen »Istituto Centrale del Restauro« hatte sie ihre besondere Begeisterung für die italienischen Maler des 19. und frühen 20. Jahrhunderts entdeckt. Ab und zu erfüllte sie auch externe Aufträge und war dabei, sich einen gewissen Expertenstatus für ihr liebstes Spezialgebiet zu erarbeiten.

Tagsüber konnte sie den Trennungsschmerz ganz gut betäuben. Doch die Abende ohne Niklas waren einfach nur scheußlich. Meist flüchtete sie sich zu Leonie oder ging mit Kollegen essen und fürchtete den Moment, wenn sie dann doch irgendwann in die einsame Wohnung zurückkehren musste. Er rief jeden Abend an. Nie verpasste sie den verabredeten Zeitpunkt. Aber was für ein mieser Trost war schon ein Telefongespräch für eine frisch verheiratete junge Frau? Er fehlte ihr. Er fehlte ihr furchtbar! Niklas war in Dubai unabkömmlich und konnte noch immer nicht abschätzen, wie lange sich der Projektauftrag hinziehen würde. Nicht einmal ein paar freie Tage oder wenigstens ein gemeinsames Wochenende waren in Sicht. Sogar seinen Geburtstag würden sie demnächst getrennt verbringen müssen.

Niklas ging offenbar völlig in seiner Aufgabe auf, machte einen hochzufriedenen Eindruck und klang durchweg begeistert. Er hatte sich mit dem Schweizer Architekten angefreundet, der das Bauprojekt ständig vor Ort betreute, und erzählte Feline von abenteuerlichen Ausflügen in die Wüste und orientalischen Abendveranstaltungen wie aus Tausendundeiner Nacht. Erzählungen, bei denen ihr um die Standhaftigkeit ihres Mannes angst und bange wurde. Sie hätte sich durchaus ein bisschen mehr Sehnsucht in seiner Stimme gewünscht. Aber so hoffnungsvoll sie auch lauschte: Er klang einfach nicht sehnsüchtig! Niklas war mit sich und der Welt vollkommen im Reinen. Und Feline litt!

Drei Wochen nach seinem Abflug geschah endlich etwas, das sie aus der Traurigkeit herausholte, die sie mühsam zu bekämpfen versuchte. Feline sprang vor Begeisterung durch das Atelier, als die Nachricht kam, und zog sich in ein stilles Eckchen zurück, um Niklas anzurufen. Sie hatte Glück und erwischte ihn sofort.

»Niklas, ich muss dir was erzählen!«, sagte sie atemlos. »Mein schönster Traum wird wahr …«

»Ich dachte immer, ich bin dein schönster Traum?!«, knurrte er und klang etwas beleidigt.

»O Gott, nein … bitte, Niklas, das bist du ja auch!«, rückte sie das Missverständnis gerade. »Ein beruflicher Traum … das ist doch was ganz anderes!«

»Darauf kann ich schlecht eifersüchtig sein«, bekannte er und klang jetzt interessiert. »Worum geht es? Erzähl!«

»Stell dir vor: Ich habe einen Auftrag in Venedig bekommen! Ein Favretto, Niklas! Mein Giacomo! Gerade habe ich die ›Idilio‹ hier fertiggestellt, da folgt schon der nächste. Ist das nicht wundervoll? Venedig! La Serenissima, die Stolze, die Schöne! Du weißt doch, wie gerne ich schon immer mal nach Venedig wollte. Jede Menge zusammengehortete Kunst aus Jahrhunderten, Kanäle, Gondeln, und bald beginnt dort der Karneval. Ich habe zwar keine Ahnung, wie die gerade auf mich gekommen sind, aber … egal, ich bin so glücklich. Was sagst du?«

Einen kleinen Moment lang herrschte Stille am anderen Ende der Leitung, und Feline war schon drauf und dran, ihre Euphorie zu rechtfertigen.

Ich habe vor Kurzem alle gemeinsamen Träume für deine beruflichen Herausforderungen aufgegeben und war wirklich tapfer. Jetzt bist du dran! Es ist so eine Wahnsinnsgelegenheit, mich zu beweisen …

Sie musste es nicht aussprechen. Als Niklas schließlich antwortete, hatte sie sogar das Gefühl, dass ein bisschen Stolz in seiner Stimme mitschwang.

»Du bist eben die Beste für diesen Job! Einige Visitenkarten hast du doch dafür nun schon abgegeben. Kein Wunder, dass man dich engagiert. Vielleicht sind sie durch den Artikel letztens in der ›Kunst Heute‹ aufmerksam geworden. Wann sollst du denn fahren?«

»Der Bericht über die ›Idilio‹, na klar! Das ist natürlich möglich. Du, meine Auftraggeberin hat es eilig. Sie erwartet mich schon am Samstag.«

Sie war erleichtert, dass er ihre Freude teilte. Aber im nächsten Augenblick bekam sie einen Dämpfer, der ihr mitten in den Magen fuhr.

»Schade! Am nächsten Wochenende wollte ich mich in den Flieger setzen, um für ein paar Tage nach Hause zu kommen. Ich wollte dich überraschen. Ich dachte, wir feiern meinen Geburtstag zusammen. Aber wenn du in Venedig bist, muss ich mich eben hier vergnügen.«

»Och nö«, jaulte Feline gequält auf, »das darf doch nicht wahr sein! Mann, was für eine saublöde Situation! Nichts wäre schöner, als dich endlich für ein paar Tage bei mir zu haben. Du fehlst mir so! Was glaubst du, wie schrecklich es ist, jede Nacht allein in unserem Bett zu liegen. Deine Wärme, dein Geruch, deine Hände! Niklas, es ist einfach nur scheußlich. Soll ich Venedig absagen und hierbleiben?«

Alles in ihr krampfte sich zusammen. Sollte sie verzichten? Das märchenhafte Angebot ablehnen und es für ein paar wundervolle Tage mit ihm eintauschen? Ließ sich der Auftrag vielleicht verschieben?

Niklas zog einen Schlussstrich unter ihre Überlegungen: »Kommt gar nicht infrage! Mein Flug ist noch nicht gebucht. Dann holen wir das eben nach. Es ist nur fair, dir jetzt nicht das Herz schwerzumachen. Ich weiß doch, wie gerne du immer schon mal nach Venedig wolltest. Außerdem hast du für meine berufliche Zukunft verzichtet und ich tue jetzt dasselbe für deine. Keine Diskussion, du fährst! Wir können es ja mal mit Telefonsex probieren. Das soll auch ganz nett sein.«

»Wir werden noch berühmt als das Paar mit den verschobenen Gelegenheiten«, seufzte Feline, »aber ich bin dir sehr dankbar, dass du mir die Entscheidung so leichtmachst. Ich kann nicht einschätzen, wie viel Zeit ich in Venedig brauchen werde. Zunächst soll ich das Gemälde begutachten, und daraufhin will die Besitzerin des Favretto entscheiden, wie wir verfahren. Aber sag mal, mir kommt da gerade eine Idee: Wir wäre es denn, wenn wir uns in Venedig treffen? Wir beide in der Flitterwochenstadt! Ob du hierher fliegst oder nach Venedig – das macht doch keinen Unterschied, oder?«

Wieder hüllte sich Niklas kurz in Schweigen, ehe er antwortete. »Ach, ich weiß nicht … Das bringt es doch nicht. Du fährst zum Arbeiten dorthin. Da hätten wir doch gar nicht viel Zeit füreinander. Nein, Kätzchen, fahr einfach und mach dir ein paar schöne Tage mit deinem Giacomo. Ich freu mich für dich und bin bei diesem angestaubten Herrn sogar kein bisschen eifersüchtig.«

Auch wenn er auf ihren spontanen Vorschlag nicht eingegangen war: Er klang so nah, so verständnisvoll, so zärtlich. Feline atmete tief durch, als sie nach dem üblichen Küsschenaustausch aufgelegt hatte, der jedes Telefongespräch zwischen ihnen beendete.

* * * * *

Feline entschloss sich, mit der Bahn zu fahren. Sie hatte schon immer mit Flugangst zu kämpfen gehabt, und der Winter zeigte sich derzeit von der stürmischen Seite. Ein Orkantief folgte dem nächsten. Im Flieger durchgerüttelt zu werden erschien ihr wenig einladend. Also buchte sie die Overnight-Verbindung über Dresden, wo sie bis Wien ein Schlafwagenabteil bekommen konnte und gegen Mittag Venedig erreichen würde.

Noch im Atelier sortierte sie alle nötigen Utensilien für die zu erwartende Arbeit in den übersichtlich unterteilten Koffer, den sie ihren »Erste-Hilfe-Kasten« nannte. Er war schwer, und sie hoffte, dass sie ihn beim zweimaligen Umsteigen nicht allzu weit schleppen müsste. Der Wetterbericht für Venedig klang nicht erheblich freundlicher als der für Berlin. Das heranziehende Tief sollte die Lagune genauso wenig verschonen wie die deutsche Hauptstadt. Feline packte vorwiegend warme, wetterfeste Sachen ein. Der offene Koffer stand auf dem Bett. Daneben lümmelte Leonie, die sich angeboten hatte, sie zum Bahnhof zu fahren.

»Hast du Gummistiefel eingepackt?«, fragte sie.

»Was soll ich denn mit Gummistiefeln? So wild wird’s doch hoffentlich nicht werden.«

»Da wäre ich mir aber gar nicht so sicher. Im Winter haben die ständig Hochwasser in Venedig. Ich glaube, das heißt da ›Aqua Alta‹«, gab Leonie zu bedenken. »Da watet man dann knöcheltief durchs Wasser. Ich glaube, es gibt nettere Jahreszeiten, um Venedig zu besuchen.«

Feline schüttelte den Kopf. »Die letzten Gummistiefel, an die ich mich erinnern kann, standen unterm Weihnachtsbaum, als ich vielleicht vier war. Ich weiß noch genau, dass ich ganz wild drauf war; frag mich nicht, warum, vielleicht hatte ich damals einen frühkindlichen Gummifetisch. Aber seitdem brauchte ich nie wieder welche.«

»Dann musst du dir eben notfalls dort welche kaufen«, meinte Leonie und sprang der Freundin zu Hilfe, um das maulsperrende Monster von Koffer zuzubekommen.

»Hättest du sowieso nicht mehr reingekriegt«, konstatierte sie und warf sich mit ihrem ganzen beachtlichen Gewicht auf den Kofferdeckel, während Feline sich abmühte, den Reißverschluss zu schließen.

Es blieb gerade noch Zeit für einen Kaffee in der Küche.

»Igitt, was klebt da eigentlich so an der Tischkante?«, fragte Leonie und versuchte sich einen Fleck von ihrem Sweatshirt zu rubbeln.

»Ups, da hab ich wohl den Honig nicht ganz wegbekommen«, grinste Feline.

»Wenn ich du wäre, würd ich den ja aufs Brötchen und nicht auf die Möbel schmieren!«, empfahl Leonie und tat sich schwer, ernst zu bleiben. Feline fing an zu prusten. »Was glaubst du, wo man den alles hinschmieren kann … so im Eifer des Gefechts in der Hochzeitsnacht …«

»Nee, oder? Das ist doch wieder typisch Niklas! So ganz normal im Bett geht bei dem nicht, was?«, gackerte Leonie.

»Niklas ist ein Wassermann. Weißt du doch. Man sagt ja, die seien immer für Ausgefallenes zu haben.«

»Also ich trau ja diesen astrologischen Mythen nicht so ganz. Aber gut, wenn du sagst, dass das typisch für dieses Sternzeichen ist. Ich hatte erstens noch keinen und bin zweitens gar nicht sicher, ob ich einen will.«

»Ach doch, ich schon … da wird’s zumindest nie langweilig«, sagte Feline und wischte sich die Lachtränen aus dem Gesicht.

»Gib mal ’n nassen Lappen«, forderte Leonie kopfschüttelnd und wischte erst über ihren Bauch und dann über die klebrige Tischkante. Mit leisem Ächzen nahm das alte Möbelstück die Behandlung hin.

»Den musst du mal wieder festschrauben«, empfahl Leonie mit süffisantem Grinsen, »sonst kracht der euch beim nächsten Küchenakt zusammen.«

»Ich denk dran! Obwohl ich nicht glaube, dass der Tisch noch mal zu solchen Ehren kommt. Ist doch jetzt nix Neues mehr. O Shit, guck mal auf die Uhr. Wir müssen los!«

»Avanti!«

* * * * *

Feline hatte das Abteil bis Dresden ganz für sich alleine und vertrieb sich die Zeit damit, WhatsApp-Nachrichten mit Niklas auszutauschen. Später lud sie sich einen Venedig-Reiseführer aufs Smartphone herunter. Sie entdeckte tausend Dinge, die sie sich unbedingt ansehen wollte, und ihre Vorfreude wuchs mit jedem Kilometer, den der Zug zurücklegte. Vor den Fenstern eilte die sturmgepeitschte Landschaft im Dunklen vorbei.

In Dresden hatte Feline nur sieben Minuten zum Umsteigen. Mit einem Seufzer schloss sie die Tür ihres Schlafwagenabteils. Wunderbar! Das obere Bett schien leer zu bleiben. Es steckte nur ihre Reservierungskarte in dem Halter an der Wand.

Sie setzte sich auf das ausgeklappte Bett und rief Niklas an.

»Hallo, Kätzchen, wo bist du?«

»Ganz allein in meinem Abteil auf dem Weg nach Wien. Ach, es wäre so toll, wenn du da wärst. Das Bett ist ziemlich breit. Wir könnten es uns richtig gemütlich machen.«

»Ah, fangen wir schon mal an mit dem Telefonsex?«

»Wenn ich dich damit von irgendwelchen Bauchtänzerinnen ablenken kann, gerne«, säuselte Feline.

»Also bitte!« Niklas klang empört. »Du glaubst doch wohl nicht im Ernst, ich würde …«

»N…jein«, provozierte Feline, denn sie wollte ihm ein bisschen mehr an Liebeserklärungen entlocken. Sie fühlte sich einsam und verlassen, und einige Nächte lang hatte sie sich schon schlaflos die tollsten Szenarien ausgemalt. Niklas hingestreckt auf einem plüschigen Diwan, umtanzt von einem halben Dutzend geheimnisvoller, knapp bekleideter arabischer Schönheiten. Das war ihr quälendstes Bild. So albern und klischeehaft sie es auch bei Licht betrachtet immer wieder fand: Ihre Fantasie trieb muntere Blüten, und sie brauchte jetzt einfach eine Beteuerung seiner unverbrüchlichen Treue.

»Feline, ich liebe dich. Und nur dich! Es gibt keinen Grund, eifersüchtig zu sein. Niemals, ich schwöre dir, niemals würde ich auf die Idee kommen, dich zu betrügen, dich zu enttäuschen. Ich habe mich endgültig für dich entschieden und ich will, zum Teufel noch mal, keine andere Frau. Du fehlst mir genauso. Nichts würde ich lieber tun, als jetzt mit dir im Schlafwagen durch die Nacht zu fahren, dich in den Armen zu halten und alle möglichen dollen Sachen mit dir anzustellen.«

»Hach! Schööön!«, hauchte sie ins Handy. »Es tut richtig gut, wenn du so was sagst. Das kannst du ruhig öfter machen.«

»Ich werd’s mir merken«, beteuerte er ernsthaft. »Gehst du jetzt gleich schlafen oder noch was essen? Die Restaurants in der Bahn sollen ja ein bisschen besser geworden sein. Vielleicht nicht unbedingt Orient-Express-Qualität, aber angeblich genießbar.«

»Ja, ich probiere mal, wenigstens einen abgestandenen Kaffee und eine harte Laugenbrezel zu bekommen, und leg mich dann bis zum Umsteigen hin. Wenn ich in Venedig bin, meld ich mich, okay?«

»Schlaf gut, mein Herz, und träum was Schönes. Möglichst ohne Bauchtänzerinnen!«

»Die verbanne ich alle hinter bombensichere Serail-Türen und setze einen fetten Eunuchen davor. Besser zwei.«

Lachend verabschiedeten sie sich und schickten heiße Kusssalven durch den Äther.

Eine halbe Stunde später versuchte Feline in ihrer Koje Schlaf zu finden. Das warme Käsebaguette war wirklich nicht schlecht gewesen. Statt des Kaffees hätte sie allerdings lieber einen kleinen Rotwein-Schlummertrunk nehmen sollen. Selbst das gleichmäßige Rattern des Zuges wirkte durchaus nicht einschläfernd. Zunächst gelang es ihr nur, ein bisschen zu dösen. Irgendwann schlief sie dann aber doch fest ein, bis ihr Handy sie früh um sechs weckte. Nach einer kurzen Dusche, die überraschend heiß ausfiel, zog sie sich an, packte ihre Siebensachen und stand bereit, als der Zug auf die Minute pünktlich in Wien einfuhr.

Nächste und letzte Etappe! Der Zug war voll, aber Feline genoss das ausgesprochen gute Frühstück mit warmen Croissants, Marmelade aus kleinen Plastiktöpfchen, frischem Kaffee und ließ gut gelaunt die Berge mit ihren verschneiten Gipfeln an sich vorbeiziehen. Der Sturm hatte sich halbwegs gelegt, ab und zu blinzelte sogar die Sonne durch die Wolken.

Gegen Mittag erhielt sie einen Anruf von ihrer Auftraggeberin, Signora Ferrara, die versprach, sie am Bahnhof abzuholen. Ihr Deutsch war erstaunlich gut. Sie hatte nur einen kleinen Akzent, den Feline nicht genau bestimmen konnte.

Die Landschaft wurde flacher, schon glaubte sie, die Nähe des Meeres zu spüren. Dann ließ der Zug den hässlichen Bahnhof von Mestre hinter sich und fuhr mit verminderter Geschwindigkeit den Damm entlang, der das Festland mit dem Herzen Venedigs verband. Der Anblick war atemberaubend. Noch war das Meer vom Sturm aufgepeitscht, aber die zerfetzten Wolken waren aufgerissen und ließen helle Sonnenkaskaden durchscheinen.

Das heitere Licht Italiens … Goethe hatte schon recht damit, es als etwas Besonderes zu beschreiben.

Sie öffnete das Fenster, nahm einen tiefen Zug der frischen Meeresbrise und ließ den Blick über die zauberhafte Kulisse schweifen. Von Weitem zeichneten sich die Kuppeln von San Marco ab. Daneben der Campanile, alles überragender Glockenturm des Doms und das Wahrzeichen der Stadt. Der Zug erreichte den Bahnhof Santa Lucia. Schon von dort aus konnte sie den ersten Blick auf die herrlichen Fassaden der Bauwerke am Canal werfen. Kribbelnde Spannung machte sich in Felines Bauch breit.

Der Strom der Reisenden ergoss sich auf den Bahnsteig, und sie sah sich suchend um. Wie sollte sie Signora Ferrara erkennen? Sie hatte noch nicht einmal eine Ahnung, wie alt ihre Auftraggeberin war, geschweige denn ein Foto von ihr gesehen. Alles, was sie wusste, war, dass sie die Eigentümerin des Geburtshauses ihres geliebten Giacomo Favretto war, das direkt am Canal Grande lag, und dass sie den Palazzo in ein First-Class-Hotel umgewandelt hatte. Sie beschloss zu warten, bis sich die Touristen verlaufen hatten, und setzte sich auf eine Bank.

Als sich das Gewimmel lichtete, entdeckte sie die Signora. Die hielt genauso suchend nach ihrem Gast Ausschau und hatte kaum zehn Meter entfernt gestanden. Die Blicke trafen sich. Ein Lächeln, ein Ahnen, der Entschluss, sich erkannt zu haben. Unbefangen kam die Signora auf sie zu. Feline schätzte sie kaum älter als sich selbst. Aber sie wirkte in ihrem dunklen Kostüm unter dem offenen hellen Wollmantel, mit den hochhackigen kniehohen Stiefeln und der akkuraten Hochsteckfrisur außerordentlich elegant. Die Begrüßung war so herzlich, dass Feline sich in ihrer Gegenwart sofort wohlfühlte.

»Sie haben die Sonne mitgebracht und müssen Feline sein, die Retterin meines Favretto!«

»Stimmt, die bin ich! Und Sie sind Signora Ferrara«, strahlte Feline. »War es hier auch so furchtbar stürmisch?«

»Ja, noch ein Sturmtag mehr und wir hätten wieder Hochwasser gehabt. Ich bin Sofia! Bitte nennen Sie mich Sofia, Feline.«

»Sehr gerne, Sofia! Ich bin so gespannt auf Ihr Gemälde, auf die Stadt …«

»Kommen Sie, kommen Sie! Wir nehmen das Vaporetto. Es ist nicht weit.«

Beherzt griff sie nach einem von Felines Koffern. »Uh, ganz schön schwer für so eine donna fragile wie Sie«, stöhnte Sofia und rief entschlossen einen jungen Burschen als Träger heran, der rauchend auf einer Bank lümmelte und den beiden Frauen unverhohlen unter seinem tief in die Stirn gezogenen Cap hervor bewundernde Blicke zuwarf. In null Komma nichts hatte sie ihn um den Finger gewickelt. Der Junge schleppte eifrig die Koffer bis zum Wassertaxi, und Feline meinte trotz ihrer geringen Italienischkenntnisse, einen ganzen Haufen Komplimente zu hören. Sein Gesichtsausdruck sprach jedenfalls Bände. Dann ließ er sich unter wortreichem Protest doch noch von Sofia einen kleinen Geldschein in die Hand drücken und trollte sich zufrieden.

Die beiden stiegen ins Boot, und Sofia sagte augenzwinkernd: »Italienische Männer lieben schon als Knaben schöne Frauen.«

»Das habe ich gemerkt«, gab Feline lachend zurück, »aber es klappt auch in Deutschland vieles mit einem Lächeln.«

Unter der Ponte degli Scalzi hindurch startete das Boot seine Fahrt auf dem Kanal. Schlichte Fassaden mit Grundmauern, denen man besonders im unteren Bereich den gnadenlosen Ansturm des Wassers über die Jahrhunderte ansah, wechselten sich ab mit großartigen Palazzi. Teils waren sie zur Renovierung eingerüstet, teils strahlten sie in einer majestätischen Schönheit, die Feline sprachlos machte. Sie hörte den Erläuterungen ihrer Gastgeberin höflich, aber nur mit halbem Ohr zu. So viel Neues, so Wunderbares! Erschlagend und atemberaubend.

Die Fahrt war für ihren Geschmack viel zu schnell vorbei. Das Boot hielt zwischen den blau-weiß geringelten »Pali« vor dem Hotel »San Cassiano Ca’Favretto«. Mit seiner venezianisch roten Gotik-Fassade und den zweieinhalb Stockwerken wirkte es fast ein bisschen unscheinbar neben seinem monumentalen barocken Nachbarn zur Rechten.

»Vierzehntes Jahrhundert«, erklärte Sofia, »Sie können sich nicht vorstellen, Feline, was die Sanierung verschlungen hat.«

»O doch, das glaube ich sofort«, entgegnete sie und kletterte auf den hölzernen Anlegesteg, der offensichtlich gleichzeitig als Terrasse diente.

Koffer hatte sie nun nicht mehr zu schleppen, denn sofort erschien ein livrierter Angestellter, begrüßte die beiden und trug alles ins Haus. Feline musste ihren ersten Eindruck sofort revidieren. Im Inneren empfing sie eine Großzügigkeit, mit der sie nie gerechnet hätte. Die schmale Front hatte nicht vermuten lassen, wie weit sich das Gebäude nach hinten erstreckte.

Dunkle Edelhölzer, viel weißer und roter Marmor, vergoldeter Stuck, wunderschöne Kronleuchter und antike Teppiche schufen ein dezent luxuriöses und gleichzeitig gemütliches Ambiente.

»Ich zeige Ihnen Ihr Zimmer. Dann lasse ich Ihnen ein Stündchen zum Frischmachen und hole Sie zu einem kleinen Imbiss ab«, schlug Sofia vor, und Feline war dankbar für ein bisschen Ruhe nach der langen Reise. Als Erstes legte sie sich mit ihrem Handy auf das pompöse Bett und rief Niklas an.

»Ich bin gerade angekommen. Wenn du wüsstest, in welchem Luxus ich hier bade! Alles golden und rot, Stuck, Brokat, und ein Bett … ich sage dir, dagegen ist dein orientalischer Plüschdiwan gar nix!«

»Mein orientalischer Diwan, der gar nicht existiert«, hörte sie ihn lachen. »Schön breit, deine Schlafstatt? Nicht dass du mir auf die Idee kommst, dir da irgendeinen heißblütigen Italiener reinzulegen!«

Feline gluckste: »Hast du da Sorge? Irgendwie gefällt mir das. Ach ja, weißt du, diese Stadt hat schon eine verdammt erotische Ausstrahlung. Ich bin gespannt, was mir hier alles so begegnet und was Venedig mit mir macht. Ich bin da ganz offen für neue Erfahrungen.«

»Feline! Ich warne dich! Du flötest! Wenn du flötest, bist du mir immer ein bisschen zu viel Kätzchen. Reichlich rolliges Kätzchen. Muss ich etwa doch kommen, um auf dich aufzupassen?«

»Tja, wer weiß?«, frozzelte sie gut gelaunt und hatte einen Heidenspaß daran, ihn etwas eifersüchtig zu machen. Und er sprang so schön drauf an! Also setzte sie noch eins drauf: »Du, morgen beginnt hier der Karneval. Und wenn ich ein bisschen freie Zeit habe, werde ich mich mal ins Getümmel stürzen. Was meinst du? Ob die Sitten hier während der närrischen Tage auch so locker sind wie bei uns im Rheinland?«

Seine Antwort fiel jetzt allerdings genau so aus, wie sie es nicht erhofft hatte. »Ja, Kätzchen, schau dir das mal alles schön an, genieße es und tu, was dir Spaß macht. Diese Gelegenheit ergibt sich so schnell nicht wieder. Auch wenn du ja eigentlich zum Arbeiten und nicht zum Vergnügen in Venedig bist, oder habe ich da was falsch verstanden?«

Spielverderber! Und dann auch noch dieser arrogant-süffisante Ton. Bah, ich kann ihm aber auch gar nichts vormachen. Er kennt mich einfach viel zu gut.