1873

Teufelsträume

1873

Ein dichter Nebel lag über der großen Stadt London, seit frühem Morgen lag er darüber und war nicht müde geworden, wie sonst einer, der lange auf einer und derselben Stelle liegt, denn er hatte sich weder gerührt noch gedreht. Die Leute, welche ihren Geschäften nachgingen, mußten sich durch seine Schleier hindurch ihre Wege suchen, und da dies die alten, gewohnten waren, so war das eine allerdings noch zu leistende, wenn auch keine angenehme Arbeit, und es mag an solchen Tagen in der großen Stadt London wohl auch mehr geflucht als gebetet werden.

Es war, als hätte die Nixe der Themse ihr feuchtes Gewand zum Trocknen über die gewaltige Häusermasse gebreitet, und wenn dieser nasse Zauberschleier den beschäftigten Leuten schon ein wahrer Greuel war, um wieviel trostloser mußten sich jene in seinen weiten, grauen Falten befinden, die nichts zu tun hatten als – zu leben?! Eine Aufgabe, die allerdings mit einfachem Atemholen abgetan ist, aber doch sehr herabstimmend wirken kann, wenn alle durch diese Luftzufuhr funktionierenden Organe unaufhörlich dem Gehirne rapportieren: "Alles grau –nichts Neues!" Damit wird dem Menschen auch alles Alte so zuwider, daß er in jene Stimmung gerät, die man Langeweile nennt, und die nur der zu schätzen weiß, den sie schon einmal einen ganzen langen Tag über geplagt hat.

In einem der reichsten Stadtteile, inmitten einer schmalen, geraden Gasse, stand ein hübsches, einstöckiges Palais, die Gasflammen davor leuchteten matt wie Glühwürmchen, zwei mürrisch aussehende, steinerne Gesellen trugen den Torbogen, sie hatten sich zu dieser Arbeit aller Kleidungsstücke bis auf eine Art kurzen Schurzes entledigt und obwohl sie also nicht einmal "in Hemdärmeln" arbeiteten, gab ihnen doch der Niederschlag der feuchten Atmosphäre das Ansehen, als ob sie vor Anstrengung schwitzten; ebenso mürrisch und steinern, als wäre er der dritte im Bunde, stand in dem Hausflur der Portier, und man glaubte jeden Augenblick gewärtigen zu müssen, daß er seinen Pelzrock abwerfen und einen der Torbogenträgen ablösen würde. Von dem Flur lief ein breiter Teppich die Treppe hinan und über die Gänge des ersten Stockwerks hinweg, dort lag eine große, graue Katze der Länge nach und streckte behaglich alle viere seitwärts von sich, sie schien offenbar diesen Komfort sehr zu würdigen, wenn sie auch sonst keine Augen hatte für alle die Herrlichkeiten und Bequemlichkeiten in dem Hause des sehr ehrenwerten Lords Edward Knuddl.

Lord Edward Knuddl, aus einer sehr alten Familie, war noch ein junger Mann, wenn man ihm das auch nicht ansah. Er war, sozusagen, das Phlegma, das von allen vorangegangenen Knuddls zurückblieb, denn dieselben hatten immer nur in die Verwandtschaft geheiratet, und wenn sich die gleichen Eigenschaften, Tugenden und Leidenschaften durch Generationen immerfort in einem schon typisch geworden en Organismus aussprechen und auswirken müssen, wenn dasselbe Blut Menschenalter und Menschenalter immer auf andere Adern abgezogen wird, dann verrauchen die seelischen Affekte, und das Blut steht ab. Alle Lebensmüdigkeit, die latent in den Adern der sämtlichen vorangegangenen Knuddls schlummerte, entband sich im Blute unseres Lords Edward.