Gunter Pirntke (Herausgeber)

Clemens Brentano

Godwi oder Das steinerne Bild der Mutter

Impressum:

Covergestaltung: Alexandra Paul

Digitalisierung: Gunter Pirntke


2014 andersseitig.de

ISBN: 978-3-95501-093-5




andersseitig Verlag

Dresden

www.andersseitig.de


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(mehr unter Impressum-Kontakt)

Clemens Brentano

Godwi

oder

Das steinerne Bild der Mutter

Ein verwilderter Roman

Inhalt

Erster Teil

Vorrede.

Godwi an Römer.

Römer an Godwi.

Joduno von Eichenwehen an Otilie Senne.

Godwis Antwort auf Römers ersten Brief.

Otilie Senne an Joduno von Eichenwehen.

Römer an Godwi.

Werdo Senne an Lady Hodefield.

Godwi an Römer.

Lady Hodefield an Werdo Senne.

Jost von Eichenwehen an seine Schwester Joduno.

Godwi an Römer.

Godwi an Römer.

Godwi an Römer.

Godwi an Römer.

Godwi an Römer.

Fortsetzung meines Tagebuchs.

Godwi an Römer.

Fortsetzung meines Tagebuchs.

Godwi an Römer.

Fortsetzung des Tagebuchs.

Joduno von Eichenwehen an Sophie Butler.

Antonio Firmenti an Godwis Vater.

Römer an Godwi.

Römer an Godwi.

Römer an Godwi.

Römer an Godwi.

Der Allzudeutliche.

Deutlichen.

Undeutlichen.

Römer an Godwi.

Römer an Godwi.

Römer an Godwi.

Römer an Godwi.

Zweiter Teil

Hiazynth.

Vorrede.

Erstes Kapitel.

Zweites Kapitel.

Drittes Kapitel.

Viertes Kapitel.

Fünftes Kapitel.

Sechstes Kapitel.

Siebentes Kapitel.

Achtes Kapitel.

Neuntes Kapitel.

Zehntes Kapitel.

Elftes Kapitel.

Zwölftes Kapitel.

Dreizehntes Kapitel.

Vierzehntes Kapitel.

Funfzehntes Kapitel.

Sechzehntes Kapitel.

Siebzehntes Kapitel.

Violettens Denkmal.

Achtzehntes Kapitel.

Neunzehntes Kapitel.

Geschichte der Mutter Godwi's und ihrer Schwester.

Zwanzigstes Kapitel.

Ein und zwanzigstes Kapitel.

Annonciatens Bild.

Mariens Bild.

Zwei und zwanzigstes Kapitel.

Fortsetzung der Geschichte der beiden Schwestern.

Drei und zwanzigstes Kapitel.

Annonciata an Marien.

Vier und zwanzigstes Kapitel.

Fünf und zwanzigstes Kapitel.

Fortsetzung der Geschichte der beiden Schwestern.

Sechs und zwanzigstes Kapitel.

Fortsetzung der Geschichte der beiden Schwestern.

Sieben und zwanzigstes Kapitel.

Acht und zwanzigstes Kapitel.

Neun und zwanzigstes Kapitel.

Dreißigstes Kapitel.

Ein und dreißigstes Kapitel.

Zwei und dreißigstes Kapitel.

Die lustigen Musikanten.

Drei und dreißigstes Kapitel.

Vier und dreißigstes Kapitel.

An den Leser.

Sonnett.

Fünf und dreißigstes Kapitel.

Sechs und dreißigstes Kapitel.

Sieben und dreißigstes Kapitel.

Acht und dreißigstes Kapitel.

Neun und dreißigstes Kapitel.

I. An S . . . . y.

II. Nachgefühl

III. Als Stammblatt.

IV.

V.

VI.

VII. Von A. W–nn.

VIII.

IX. Von K. R.

An Clemens Brentano.

Erster Teil

Den schönen Launen

der lieblichen Minna,

dem

guten Geiste Juliens

und

dem stillen heitern Sinne

Henriettens

weihe ich dies Buch ohne Tendenz.

Ihr schönsten Launen, du guter Geist, und du heiterer Sinn, ihr seyd mein ganzes Publikum, oder wenigstens, was es bedarf, aus mir einst einen leidlichen Dichter zu machen. Neckerei, freundliche Strenge, und Duldung, können mich von allen moralischen und künstlerischen Fehlern heilen. Enthusiasmus ist in mir, ihr kennt und liebt seine schöne Quelle. Ich sagte euch ohnlängst, daß ich euch dies Buch geweiht, die Dedikazion aber vernichtet hätte, weil ich fühlte, wie sehr wenig mein Buch es verdiene. Aber seit ich einen schönen Abend in einer schönen Umgebung zubrachte, fühle ich, daß ihr alles hören dürft, was ich weiß und wußte, ja daß es mir sehr heilsam wäre, wenn ihr alles hörtet, denn ich würde mir dann Mühe geben, alles so gut zu sagen, als ich kann. Du holde Dreieinigkeit stehst also nicht hier, meinem nachlässigen Buche einen schönen Vorredner zu geben, auch steht mein Buch eben so wenig wie eine üble Nachrede hinter deinem guten und lieben Namen, noch weniger soll mit den wenigen guten Gedanken darinn dir eine spärliche Ehre erwiesen werden. Nein, wie drei gute Feen stelle ich euch hierher an die Wiege meiner jüngsten Thorheiten (denn das Buch ist schon ein Jahr alt), damit ich in eurer Miene das Schicksal meines Buchs in der schönsten Welt ergründen möge. Am meisten aber verführte mich meine große Sehnsucht dazu, eine von euch dreien Du zu nennen, was ich öffentlich nur unter dem Verluste meiner ewigen Freiheit erlangen könnte, und hier in meiner poetischen Freiheit mit Recht nach Herzenslust darf. Welche es ist, die kann es sicher fühlen, doch wird keine je errathen können, ob es die andre ist.

So wende ich mich denn zu dir, liebliche Minna, und rede deine schönsten Launen, nicht ohne einige Begeisterung, folgendermaßen an:

»Ihr Leichtbeflügelten, die ihr ihr schönes Bild im ewig neuen Wechsel von tausend glühenden Farbenschimmern in dem bunten Staub eurer Psychen Flügel zerstreut, sammelt euch freundlich in ihrem Herzen, wenn sie mein Buch in die Hand nimmt.«

Warum ich sie alle gern in dein Herz herein hätte, will ich dir gleich sagen. Es ist, weil ich sie dann förmlich drinne belagern mögte, denn ich empfinde, daß sie im freien Felde nicht zu bezwingen sind, und mir manche bange Stunde machen. Etwas würde ich in jedem Falle gewinnen, entweder würden deine Launen sich ergeben, und du würdest mich in dein Herz hereinlassen, auf das ich so unendlich begierig bin, oder sie würden siegreich sterben, und dann brauchte ich nicht mehr herein, denn dein Herz würde sich deutlich auf deiner Oberfläche aussprechen. Du kannst nicht begreifen, wie ich es wage, gar nicht von der Gewalt deiner schönen Augen zu sprechen, die deine Lieblinge, wie du meinst, wohl bald entsetzen würden. So will ich denn von ihnen sprechen. Deine Augen! auf die verlasse dich nimmer. Du hast keine Macht, als deine Launen, deine Augen sind gerade, was den Feind zu dir hinziehen wird. Es liegt für mich eine dunkle Tiefe darinn, wie in den Augen der Ossianschen Mädchen, in die man leise hinabgezogen wird. Auch schlägst du sie selbst zu oft nieder, und sind sie zu weiblich schön, als daß sie je streitbar werden sollten.

Du selbst weißt nicht, was du mit diesem Buche anfangen sollst; das ist ja eben die Klage, daß du nicht weißt, was du mit mir anfangen sollst. Du sollst es lesen und auf den zweiten Theil hoffen, der mehr für dich allein seyn wird. Aber wirst du das je können, wenn deine Launen nicht eingesperrt sind, die dich zwingen werden, in meinem Buche hin und her zu blättern, bald den Anfang, bald das Ende vorzunehmen, Druck- und Schreibfehler drinne zu zeigen, und es wieder von dir zu werfen, was zwar dies Buch, ich aber nie verdiene.

So nimm sie dann zusammen in dein Herz, die launigten Kinder, nimm ihnen das gefährliche Spielzeug, deine Waffen, aus den Händen, und laß sie lieber mit sich selbsten, als mit deinem Besten spielen. Sei nicht unwillig, daß ich wie ein Pädagoge auf die wilde Natur deiner Lieblinge schmähle, die in holder Verwirrung über dir herumirren, und sich in deine einzelnen Reize muthwillig vermummt haben. Sieh, es thut mir nur Leid, daß du dir selbst zur Beute wirst, es ist mir oft, als wäre dein Schmuck nicht an seiner rechten Stelle, wenn Kinder mit ihm spielen, auch mögte ich dich einmahl selbst sehen. Aber du fragst: Was sollen meine muthwilligen Launen in meinem Herzen anfangen, sie werden mein ruhiges Herz auslachen? Wenn du mich je hinein lassen wolltest, so wäre dem geholfen, ich würde ihnen Mährchen erzählen, bis sie einschliefen.

Willst du aber das alles nie zugeben, so verzeihe mir wenigstens, wenn ich mich unter deine Launen mische, blinde Kuh mit ihnen spiele, und wenn ich gehascht werde, nicht etwa die Binde mit ihnen wechsle; nein, ich will mich betragen, als wäre ich Meister geworden, will der Laune etwas muthwilliges ins Ohr flüstern, und wohl auch ein solches Kind in der Eile küssen. »Oder gar wie der Popanz in den Italienischen Kindermährchen eine solche Königstochter aufessen, mein Herr«, sagst du – Fliehet nicht, fliehet nicht ihr Leichtbeflügelten, bin ich denn der schreckliche, vor dem die Spiele des üppigsten Frühlings, die Blumen sterben?

Du guter Geist! mein guter Geist hat mich mehr verlassen, da ich dies Buch schrieb, als da ich es dir weihte, nicht als verdiene es vor dir zu erscheinen, nein, es ist fast lauter Eigennutz. Es war weniges in dem Buche, was ich leiden mogte, aber seitdem dein Name davor steht, habe ich selbst Freude an ihm, so wie ich manche Freude an mir habe, seitdem ich öfter, doch oft sehr unerkannt, vor dir stehe. Das einzige, was dir bei dieser Dedikazion, du guter Geist, gehört, ist, daß ich dir mit diesem Buche wie mit meiner Bekanntschaft die Freude mache, deine Lieblingsbeschäftigung zu üben, dein Herz auf Unkosten deines Geistes sprechen zu lassen; denn dein Geist hat die Oberhand, dein Herz aber die Vorhand.

Ich hätte euch alle drei zugleich angeredet, wenn du guter Geist nicht so allein stehen müßtest, denn du bist sehr schön, wenn du allein stehst, sonst wärst du nie schön. Denn nach meiner Meinung stehst du in der Welt mutterseeligallein, und kannst es, weil, könntest du je aus dir heraustreten, und dich selbst betrachten, wärst du weniger untheilbar, und konsequent, du vor Selbstliebe verschwinden, du so zu dir selbst hingerissen werden würdest, daß du nach Außen alle Thätigkeit verlieren, und verschwinden müßtest. Du würdest nach dir selbst streben, du würdest sehen, daß du den Umriß und das Colorit, das Vorzutragende und den Vortrag der Weiblichkeit erschöpft hast. Du hast mir oft meine bisarre Aeußerung vorgeworfen, denn du warst zu bescheiden, um zu gestehen, daß ich meistens so vor dir stehe, wie ich sage, daß du selbst vor dir stehen würdest, in dich selbst verloren. Meine Erscheinung ist vor dir zertrümmert, unharmonisch, und halb von dir aufgehoben, denn ich bin eins von den Wesen, die nur bei einer scharf gezogenen kalten Trennungslinie, oder in der schönsten Auswechslung rein thätig erscheinen, und dies ist, Gott sei Dank und leider! hier nicht der Fall.

Sei meinem Buche freundlich, doch lasse an ihm alles aus, was du mir verzeihst, denn dies Buch hat wenige meiner Tugenden, und alle meine Fehler. Da ich es schrieb, kannte ich dich noch nicht. Es hat dir daher so wenig, als ich vieles, zu danken, wovon du guter Geist wohl gar keine Ahndung hast, und was, sagte ich es hier, du nicht verstehen würdest. So lebe wohl, und denke, daß mein Buch diesen Zeilen, wie ich dir, gegenüber stehe. –

Was habe ich dir endlich zu sagen, mit dem stillen heitern Sinne, und warum stehst du hier? Ich bedarf das unbefangenste Urtheil, und das ist das Deinige, denn du bist unbefangen, duldend und gerecht. Wenn ich es recht betrachte, so müßtest du eigentlich im Buche selbst stehen, oder in mir, damit das Buch oder ich dir nur einen Augenblick gefallen könne, denn beiden fehlt stiller heitrer Sinn, Duldung, Gerechtigkeit und Fröhlichkeit. Glaube nicht, ich wolle den Lesern verrathen, wer du bist, damit sie dich anhören und ansehen können, um ihnen zu ersetzen, was mein Buch vermißt, denn wenige werden vermissen, was darin fehlt, und diese wenigen sind die Vorzüglichern, denen du so ähnlich bist, und denen ich hier vor dir als einem Repräsentanten des ruhigen, gesunden Verstandes und der Lesefähigkeit in der Vorrede ein Selbstbekenntniß ablege. Fahre fort, mit mir freundlich zu seyn, damit ich lerne, das Tiefste auf die Oberfläche zu führen, und mich bestreben einstens wie die Natur selbst das dem Menschen zum frohen erlaubten Genusse hinzugeben, wovor das Vorurtheil, wie man sagt, zurückbebt. Aber man sagt nur so, der Innhalt der ganzen Welt ist immer der schönste, heiligste, oder freudigsten nur der Vortrag, die Unbeholfenheit des Vortrags, ist verboten.

Vorrede.

Dies Buch hat keine Tendenz, ist nicht ganz gehalten, fällt hie und da in eine falsche Sentimentalität. Ich fühle es izt. Da ich es schrieb, kannte ich alles das noch nicht, ich wollte damals ein Buch machen, und izt erscheint es nur noch, weil ich mir in ihm die erste Stufe, die freilich sehr niedrig ist, gelegt habe. Ich vollendete es zu Anfang des Jahres 99, hatte mich damals der Kunst noch nicht geweiht, und war unschuldig in ihrem Dienste. Ich werde sie an diesem Buche rächen, oder untergehen. Diese Blätter gebe ich nicht wie ein Opfer hin, nein, sie sollen die Flamme nähren, in der ich ihr einst mein reines Opfer bringen will. Du wirst mir darum wohlwollen, lieber Leser, daß ich mich mit diesem Buche, das nur zu sehr mehr von mir als sich selbst durchdrungen ist, gleichsam selbst vernichte, um schneller zur Macht der Objektivität zu gelangen, und von meinem Punkte aus zu thun, was ich vermag. Es ist mir schon izt ein inniger Genuß, alle Mängel, die ich vor 2 Jahren hatte, zu übersehen; sie alle zu verbessern, dazu müßte ich auf der letzten Höhe stehen, die ewig vor uns flieht. Doch will ich schneller, kunstreicher und begeisterter immer vorwärts schreiten, damit der Raum, der mich vom Ziele trennt, stets kleiner wird, und endlich nur dem Seher sichtbar bleibt.

1800. Juni.

Maria.


Schloß Eichenwehen.

Erster Brief.

Godwi an Römer.

Hu! es ist hier gar nicht heimisch, ein jeder Federstrich hallt wieder, wenn der Sturm eine Pause macht. Es ist kühl, mein Licht flackert auf einem Leuchter, der aus einem in Silber gefaßten Hirschhorne besteht. In dem Gemache, in dem ich sitze, herrscht eine eigene altfränkische Natur, es ist, als sey ein Stück des funfzehnten Jahrhunderts bey Erbauung des Schlosses Eichenwehen eingemauert worden, und die Welt sey draußen einstweilen weiter gegangen. Alles, was mich umgiebt, mißhandelt mich, und greift so derb zu wie ein Fehde-Handschuh. Die Fenster klirren und rasseln, und der Wind macht ein so sonderbares Geheule durch die Winkel des Hofes, daß ich schon einigemal hinaussah, und glaubte, es führen ein halb Dutzend Rüstwagen im Galopp das Burgthor herein.

Diesem äußern Sturme hast du meinen Brief zu danken, er stürzt sich zwischen mir und meiner Umgebung wie ein brausender Waldstrom hin, und alle Betrachtungen liegen am jenseitigen Ufer. So muß ich dann meine Zuflucht in mich zurück, in mein Herz nehmen, wo du noch immer in der Stellung der Abschiedsstunde gegen mir über in unserm Garten sitzest, und mir gute Lehren giebst.

Es ist oft so, wie in diesem Augenblicke, und ich glaube, daß der Sturm in der Natur und dem Glücke, ja daß alles Harte und Rauhe da ist, um unsern unsteten Sinn, der ewig nach der Fremde strebt, zur Rückkehr in die Heimath zu bewegen. Wenn draußen der wilde Sturm in vollen Wogen braust, dann habe ich nie meinen so oft beklagten Drang nach Reisen empfunden. Mein Ideal – kennst du es noch? – verschwindet in der Nacht. Ich wünsche nicht, zwischen hohen schwarzbewachsnen Bergwänden, ein liebliches leichtsinniges Weib an meiner Seite, auf weißer mondbeglänzter Bahn, im leichten Wagen hinzurollen, daß mir die schönste Heimath in dem Arme ruht, die mich nie mit trägen Fesseln bindet, wo Ring an Ring gereiht, höchstens ein bewegliches Einerlei entsteht, daß vor mir laut das muntre Horn des Schwagers die lockenden Töne nach der Fremde glänzend durch die Büsche ruft, und Echo von allen Felsen niederspringt, und alles frei und froh die verbotenen Worte durch die Nacht ruft:

So weit als die Welt,
So mächtig der Sinn,
So viel Fremde er umfangen hält,
So viel Heimath ist ihm Gewinn.

Nein, alles dieses nicht, ich empfinde dann fast die Zulänglichkeit von guten Familiengemählden, wo es ohne Zugluft hergeht, und keiner in die Hitze trinkt, und jeder Husten oder Schnupfen von gutem Adel ist, und viele Ahnen zählt.

Wenn die Katzen vor den Thüren Minnelieder singen, und ein Käuzchen vor dem Fenster das Sterbelied von ehrlichen Bürgern singt, die ohne die Anlage des Schwans, das letzte Leben in Melodien auszuhauchen, doch ohne Singen nicht sterben mögen, dann drängt sich wohl das Weib zu dem Manne furchtsam hin, es wird die Furcht zur Liebe, in der sich alles löst, und alles bindet sich in dieser schönen Minute, die Sinne, die in Träumen, wie in fremden Feenländern schwebten, sie kehren in sich selbst in die eigentlichste Heimath zurück, und in dem Traum, der das höchste Wachen unter sich sieht, ersteht nun hier das Denkmal jener schönen Mythe, wo Gott sich mit dem ersten Menschen im Schlafe dicht verband, und sich seinem Herzen das Schöne, die Poesie, das Weib entwand. Wie hier Furcht zwischen der Ehe und ihrer Pflicht stand, so steht sie hier zwischen der Freundschaft und diesem Briefe.

Das Blatt Postpapier vor mir und ich, wir sind wohl die leichtesten Wesen in dem ganzen Umkreise, den ich überschielen kann, denn um mich sehen könnte ich um alles in der Welt nicht; von allen Seiten bin ich eingeschlossen, die Ahnherren schließen ein Bataillon carré um mich. Vor mir vereinigt sich die Linie mit Anfang und Ende. Rechts hängt der bärtige Herr Kunz von Eichenwehen, vom Kopfe bis zum Fuße in Eisen gehüllt, er hat im eisernen Zeitalter dieses Schloß erbaut, zur Linken kommt Frau von Eichenwehen mit bloßer Brust – man schoß in ihrem Zeitalter nicht mehr mit eisernen Pfeilen, dann kommt ein Hirschkopf, der in die Wand eingemauert ist, und ach! wer kommt nun? – das liebe schöne Mädchen, das mich hier verließ, sie hat eine Rose in der Hand, neben mir auf meinem Tische liegt auch eine – wenn ich der Maler gewesen wäre, so hätte ich der Mutter eine Spindel in die Hand gegeben, und der Tochter ein Buch, um anzuzeigen, wie Flachs Leinewand, Leinewand Lumpen, und Lumpen Bücher werden.

Sie hat ein weißes Kleid an – das war der letzte freundliche Lichtstrahl, den ich heute erblickte. Mein Blick stand auf der räucherigen Wand, als sie verschwunden war, und das Aechzen der ungeheuren Thüre verschlang ihre freundliche gute Nacht und meinen Seufzer. Die Rose vor mir sieht mich so freundlich an, – o du verfluchtes Tischbein! Der Tisch hat Beine, die sich mit meinen leichten Füßen gar nicht vertragen. – Sonderbar, kaum spreche ich dieses Wort mit Schmerz und Unwillen aus, so bin ich auch schon wieder mit ihm versöhnt. Unter dem Gemälde des freundlichen Mädchens steht: Tischbein pinxit. Doch was soll das!

Ich bin in der Burg irgend eines Landedelmannes, das merkst du wohl, und fühle nur zu sehr, wie viel langweiliger es hier ohne ein gewisses Etwas wäre, als bey den himmlischen Einfällen in den geschmackvollen Gemächern der einzigen Molly in B., aber das gewisse Etwas wird in der unangenehmen Atmosphäre, wie die Rose vor mir in diesem ungeheuren Saale, wie ein einziger kleiner Stern in der dunkelsten Gewitternacht, so reizend, so freundlich, daß ich es lieber anschaue, als die Sonne im Glanze des Mittags. Die Rose, der Stern tröstet mich, indeß die Sonne mich nur blendete. Pfui! keine Ungerechtigkeit, sie erwärmte mich.

Dir zu Lieb', kalter Freund, steig' ich wieder von den Stelzen herab, auf denen ich das gewisse Etwas anredete, das du am Ende dieses langen langweiligen Briefes kennen lernen sollst. Gedult!

Dein letzter Brief machte mir Vorwürfe, daß ein Weib wie Molly (du kennst sie aber gar nicht) meinen Aufenthalt in B. vierzehn Tage verlängern konnte, machte mir Vorwürfe, daß ich ein Weib bis zu den Sternen erhöbe, die frey und ohne Fesseln des Geistes, oder irgend eines Verhältnisses mit andern, die verlassene Bahn der Menschlichkeit wieder betritt, die allein da steht, wo alle stehen sollten, und wo auch ich bey ihr gestanden habe. Sich selbst genug, und den meisten zu viel, lebt sie glücklich und wahr, obschon ihre Geschlechtsgenossen sie einseitig beurtheilen, weil ihrem kurzsichtigen Blicke die Uebersicht einer so großen, so ganzen, so harmonischen Oberfläche zu unermeßlich ist. Du sprachst als ein Freund mit mir, du wolltest retten, aus Gefahren retten, die es nur dem Schwachen werden können. Du glaubtest, ich hätte mich in die Arme der zügelloseren Liebe gestürzt – o dann hätte ich bey Molly nicht um alles bitten müssen, die nur giebt, wo sie liebt, und nur liebt, wo ihre Liebe im vollen Verstande Belohnung ist. Molly befriedigt nie Leidenschaften, wo ihre Befriedigung Menschen schaden kann. Godwi! sagte sie an einem Abende, an dem ich durch ihre Freundlichkeit, durch die trauliche Anschmiegung ihrer Ideen an die meinigen und meiner Sinnlichkeit an die ihrige kühner, sehr verwegne Hoffnungen wagte, Sie sind hier um meinetwillen, Sie sind hier ohne Zweck, erwarten Sie mehr? ich kann Ihnen nicht mehr geben, als ich Ihnen gab, ich gab Ihnen mein Herz – nur dem, der es fassen kann, der es ganz kennt, bin ich alles, bin ich ein Weib, Sie sind weit, sehr weit davon entfernt. Hier ward sie ruhig, und reichte mir ihre Hand, die in der meinigen bebte, in ihrem Auge glühte eine reine Flamme, die in der Thräne, ach! in der Thräne des Abschieds erlosch.

Sie reisen morgen, ich befehl' es Ihnen, sprach sie ernst, und stand vor mir wie mein Herr – ich bitte Sie um meinet- und Ihrentwillen, folgen Sie meinen Befehlen, fuhr sie mit einer unwiderstehlichen Anmuth fort, sie hatte sich, wie die Liebe, sanft über mich herab gebogen, und nun konnte ich ohne Kühnheit die Thräne des Abschieds von ihrer Wange küssen – seltsam süßer Widerspruch von Gefühlen, ihr Befehl macht mich zum Sclaven, ich muß gehen, ihre Bitte umarmt mich, hält mich fest an sie gefesselt, und indem sie mich zum Gehen bittet, wird es so süß, ihren Willen zu thun, und ich möchte doch nicht gehen.

Der Kuß des Abschieds, er war so Inhaltreich, es lag das Bleiben so deutlich darin, er hatte ja die Scheidethräne weggeküßt, denn was ist Scheiden anders als eine Thräne, und Wiedersehen anders als ein Kuß. Ach hätte ein Kuß kein Ende, Molly hätte mich gerne behalten, und vertrocknete eine Thräne nicht, so könnte ich sie nicht vergessen. Es lag viel Wahrheit in dem Kusse, und da er offenbar ganz anderer Meynung als Molly war, so mußte wohl ein anderer Umstand sie zwingen, vielleicht gar die Furcht, bald durch die sinnliche Wahrheit der Küsse im Rausche der Leidenschaft die geistreiche Heucheley ihrer Enthaltsamkeit im Rausche der Eitelkeit enthüllt zu sehen. – Süß waren ihre Lippen, es schwamm ein stilles liebendes Hingeben auf ihnen, und im Gefühle des Uebergehens eines andern Wesens und seines Genusses in mich und den meinigen lag der entzückende Traum einer Ewigkeit der Wollust des Kusses. – Doch auf dem Gipfel des Rausches entsinkt uns der Becher, kalt strömt die Wirklichkeit zwischen unserer glühenden Lippe und seinem Freuden-Rande durch, reißt den letzten Tropfen los und wir erwachen. So löste sich die Raserey des ersten und letzten Kusses. Stumm stand Molly, um sie her die Trümmer ihres stolzen Befehls, Schaam färbte ihre Wange, Blässe folgte. Der Kuß hatte die Scheidethräne und nicht die Scheidestunde weggenommen. Sie richtete sich auf, und so wie etwa Ludwig der achtzehnte aussieht, wenn er in Reval über Frankreich regiert, erschien sie mir in ihrer Armuth, in diesem kleinen Schiffbruche ihres Plans, der mir nicht entging bey folgenden Worten: Godwi! Sie gehen morgen, ich bin dem Jünglinge gut, aber ihm darf nie werden, was Belohnung des handelnden Mannes ist, gekrönte Liebe. Es ist Verdienst, im Arme des Weibes ruhen zu dürfen, es ist Elend, vom Arme des Weibes ruhen zu müssen. Müssen Sie nie um zu dürfen.

Ach wie klangen diese Sentenzen so kalt und so gezwungen nach einem Kusse, der ihr Verräther war. Mir war dabey zu Muthe, wie dem Gaste eines geizigen Wirths, der seinen Gast berauscht glaubt, und die spätere Weinflasche, die also nach ihrer Herkunft aus dem Keller die jüngere ist, auch immer die jüngere nach ihrer Herkunft aus dem Weinberge, das heißt, ein bischen saurer seyn läßt, er denkt, der Rausch der älteren mag die jüngere betten; sehr weislich – der Chirurg betäubt uns erst die Ohrläppchen, ehe er uns die Ohrlöcher sticht, wer gern Ohrringe trägt, wer gern zu Gaste geht, und wer gern küßt, muß sich das alles gefallen lassen.

Ich theile gerne mit dir, sehr gern, aber nur meine Freuden. Laß mich deswegen von der Nacht schweigen, die ich gepeinigt durchwachte. Du kennst mein Talent, alles von allen Seiten anzusehen, die lachenden und weinenden Seiten jedes Gefühls und jeder Geschichte hervorzuziehen, so daß ich nie ganz glücklich und nie ganz unglücklich werden kann. Auch diese Nacht zerriß mich ein steter Gefühlswechsel. Den freundlichen Traum, der meinen Morgenschlummer umgaukelte, kann ich nicht beschreiben, wer kann das süße Licht der ersten Sonnenstrahlen nach dem Gewitter, wer den lächelnden Frieden und die holde Versöhnung mahlen. Ich selbst fühle nur noch unbestimmt und verwischt die rosigten Fußtapfen dieses Traums in meiner Erinnerung.

Ich saß auf meinem Pferde, die Regentropfen schlugen mir um die Nase, und der wache Donner weckte mich aus dem Seelenschlummer, in den ich versunken war. Wir können uns durch innen von außen verhüllen; eine vollfühlende Seele bedeckt den Körper mit Gefühllosigkeit. Ich kenne kalte Gesichter, ruhige Oberflächen, unter denen ein warmes Herz pocht. Stille Wasser gründen tief. Wohl dem, der kalt von außen ist, weil alle seine Flammen im Innern brennen, er ist Feuer unter der Asche, und wird keinen entzünden, sicher ruht er auf dem häuslichen Heerde des Lebens; weh dem, dessen Oberfläche kalt ist, weil Jammer und Elend eine Eisrinde um ihn gezogen haben. Scheint die Sonne, so wird leicht die Eisbahn zum Grab, und wird der Winter kälter, so stirbt das Leben auf dem Grunde des Stroms.

Mein Tiefsinn hatte mich dichter umhüllt als mein Mantel. Dieser hing über meiner Schulter und ich ward über und über naß. Was weckst du mich nicht, Conrad! rief ich meinem Purschen zu, da es so stürmt, und da es dir doch selbst lieb seyn muß, bald in eine Herberge zu kommen.

»Nun Herr Junker, unser einer thut selten, was ihm selbst lieb ist, ich habe nun einmal meinen Willen vermiethet, und der Unterschied zwischen Herrn und Diener besteht darin, daß der eine seinen Willen aus Armuth versetzt, und der andere ihm auf dieses Pfand geliehen hat, darüber dachte ich nun so nach und lobte Gott den Herrn, daß Sie nicht immer so große Intressen von dem Pfande nehmen, als jetzt.«

»Und deswegen wecktest du mich nicht?«

»Nichts vor ungut, Junker, ich dachte, wen dieß liebe Wetter nicht wecken kann, der schläft nicht zum wecken; wer von der schönsten Frau von der Welt wegreitet, der reitet nicht schnell; wer dabey einen Kuß von einer so charmanten Dame auf den Weg hat, ach! der ist so beladen, daß sein Pferd den Schritt kaum aushält.«

»Von einem Kusse weiß ich nichts.«

»Wenn Sie was davon wüßten, so hätten Sie ihn nicht gekriegt, so wüßte ich nichts davon, und hätte auch nichts gekriegt.«

»Conrad sprich deutlich, oder ich werde Intressen von meinem Pfande nehmen.«

»Sie drohen ein Geheimniß heraus, das Sie heraus locken sollten. So will ich denn sprechen, um auch einmal großmüthig gewesen zu seyn. Ich war heute Nacht immer um Sie her und packte ein, und konnte nicht recht begreifen, wie Sie nun so auf einmal fortwollten. Sie wälzten sich im Bette und konnten nicht schlafen, und ich dachte, wohl eben deswegen, weil Sie reisen müßten. Heute Morgen überfiel Sie endlich der Schlummer, und Sie waren so freundlich dabey, daß ich mich mitfreute über den verliebten Traum, den Sie wohl haben mochten.«

»Du vergißt die Intressen; keine Bemerkung. Ja ich träumte.«

»Nu, Herr, ich träumte fast dasselbe, nur mit halb offnen Augen. Die Thüre geht leise auf, und, nun kömmt's, es kommt Milady auf den Fußspitzen hereingetrippelt, in der Hand hatte sie einen Brief, den steckte sie in Ihre Brieftasche, die auf dem Nachttische lag, und, ach! nun« –

Du kannst dir denken, lieber Römer, mit welcher Eile ich den Brief aus der Tasche zog. Welch sonderbare Adresse! »Ich beschwöre meinen lieben Godwi, diesen Brief nicht eher zu öffnen, als bis ich's ihm selbst erlaube!« Schwer, sehr schwer ward meinem Gehorsam der Sieg. Nur ihrem Befehle kann man bei dem Reitze, den sie selbst gegeben, gehorchen. Nun weiter!

»Nun schlief ich fest, bis alles vorbei war, dann wacht' ich auf, weil ich eben nicht dumm bin, und weil die Zeit zu kurz war, als daß die reifen Aepfel hätten von selbst fallen sollen, so fing ich an zu schütteln.«

»Laß dich weg aus der Geschichte, oder die Gedult geht mir aus. Was that sie, der Engel?«

»Nun ich habe keinen gesehen, und wollte bey Gott mit Milady zufrieden seyn, und alle Engel entbehren, denn sie machte mir sehr warm, als sie Sie so umarmte und küßte. Herr, wenn Sie gewacht hätten, hätten Sie ihn, den Kuß, so nicht gekriegt, das Glück kam Ihnen im Schlafe. Hier that ich, was ich vorhin das Schütteln nannte, das heißt, ich dachte, nun ist es Zeit zu wachen, und ein Lebenszeichen von sich zu geben. Ich gähnte und Milady seufzte, beyde sehr laut; ich streckte mich und Milady beugte sich über Sie hin; ich wischte mir den Schlaf und Milady sich eine Thräne aus den Augen. Ey, schon auf, gnäd'ge Frau? Gott! schweig' Er, Conrad! sie drückte mir ein Goldstück in die Hände, schweig' Er wenigstens bis sein Herr weg ist. Die Aepfel waren gefallen, und nun schlüpfte sie wie ein Lüftchen davon.«

»Nie mehr ein Wort hiervon. Das Geld wirst du dem Weibe wohl wieder geben müssen, und wenn du noch einmal schüttelst, so sollen dir Stockschläge fallen.«

Ich gab meinem Pferde die Sporen, und so schnell bin ich lange nicht geritten, außer mir flogen die Gegenstände wie Augenblicke vorbey, in mir drehten sich langsam die Begriffe, Coquetterie, Betrug, Liebe, geheimnisvoller Brief. – Ach glückliche Stunde, wenn ich ihn erbrechen darf, wann wirst du erscheinen, war der einzige Zusammenhang, dessen ich mich erinnere, und ich jagte, als könnte ich die Stunde im Raume ereilen. – Ganz verschiedene Dinge treten sich in den Weg – ein Fluß, der durch den Regen so angeschwollen war, daß wir nicht durchreiten konnten, hob meine ganze Liebesqual einstweilen auf; ich ritt also links einen andern Weg, und meine Sorge schien mir wie die Straße durch den Fluß zerschnitten, und blieb rechts liegen. Reite ich nicht in die Welt, lebe ich nicht in der Welt? Soll ich etwa am Flusse harren, bis die letzte Welle vorüber eilt, und soll ich etwa auf die Stunde passen, bis sie der Strom der Zeit vorüber wälzt? Ueber unerklärbare Dinge will ich mich nicht quälen. Ich und mein Leichtsinn wurden stark genug, die ganze Geschichte einem Ausschusse, wie die Herren zu Paris, zu übergeben. Der Ausschuß bist du. – Lieber Freund sage deine Meynung.

Der Fluß zwang uns nach einem Dorfe, das an einem Berg lag, zu reiten. Ueber dem Dorfe lag ein altes gothisches Schloß, das bewohnt zu seyn schien, und ich träumte gar nicht mehr, weil mich die Hoffnung, bald unter ein Dach zu kommen, von aller Empfindsamkeit heilte.

Wir waren kaum einige Minuten weiter geritten, als wir einen Trupp Jäger aus dem Walde, der an der Seite der Landstraße lag, hervorspringen sahen, die eben so sehr als wir eilten. Die Hauptperson war ein etwas bejahrter Mann, er hatte einen grünen Tressenrock, ähnlichen Jagdhut und Haarbeutel an. Er ritt immer mit einer gewissen Grandezza in kurzem Galopp an der Spitze, und wenn einer mit ihm sprechen wollte, mußte er auf die Seite reiten, nach welcher der gnäd'ge Herr seinen Kopf drehte. Hinter ihm ritt noch ein Grünrock, der dem alten im verjüngten Maaßstabe alles nachmachte, er schien mir der Herr Sohn zu seyn, ein derber gesunder Landjunker mit ungeheuren Stiefeln, einem preußischen Zopfe und Tressenhut; den Zug beschlossen mehrere reitende Jäger und eine Kuppel Hunde. Die Herren ritten schnell, und wir ritten schnell, und waren kurz hinter einander, als aus der Tasche der Hauptperson eine Brieftasche fiel. Ich rief, allein das Geplätscher des häufig herabfallenden Regens und das Geräusch der Reitenden machten es ihm unhörbar. Mein Pursche hob die Brieftasche auf, und da wir mit unsern müden Pferden den Besitzer nicht mehr einholen konnten, und uns eine Schenke am Wege ein Obdach anbot, so warteten wir den Sturm ab. Der Wirth sagte mir, daß der Jäger der Besitzer des nahe liegenden Schlosses und Dorfes sey. Ich eilte nun die Brieftasche zu überbringen und zugleich um Herberge für eine Nacht zu bitten.

Es war Abend, der Himmel hatte sich erheitert, und die Natur um uns her athmete mit vollen Zügen die Ruhe, die alles Leben nach einem heftigen Sturme so leise und liebend umweht. Auch dein Freund war ruhig, dachte an dich, wie dir diese Stunde auch Ruhe giebt, nach deinen vielen Arbeiten des Tages, und war in der Erinnerung froh bey dir.

Unsere müden Rosse arbeiteten sich mit Mühe den steilen Burgweg hinan; ein offnes Thor empfing uns, ein halb Dutzend hungrige Hofhunde blekten uns die Zähne, und der Herr Castellan, Cammerdiener, Minister der auswärtigen Geschäfte und Thorschließer brachte diese Störer meiner Gefühle von der Ruhe in der großen Natur zur Ruhe, indem er sein Phlegma und seine thönernen Pfeifen ihnen zuwarf. Nachdem er ein bischen geflucht hatte, und mit den Füßen auf der Erde herum gestampft, kam er auf einmal in die dritte Position, und sprach: »Herr Jost Freyherr von Eichenwehen, und Herr Jost, Stammherr von Eichenwehen, zu welchen Sie vermuthlich hinzugelassen zu werden wünschten, sind so eben wieder weggeritten, weil seine Excellenz, der Herr Freyherr, seine Brieftasche verloren, die das ganze Glück der Hochadelichen Familie, seiner Excellenz Stammbaum, enthält, seine Excellenz« – Die Brieftasche habe ich gefunden, schicken Sie Herrn von Eichenwehen nach, bringen Sie die Pferde in den Stall, und zeigen Sie mir eine Stube, in der ich mich ein bischen umkleiden kann. Das Umkleiden mußte der Herr Castellan nicht für nöthig halten. Er führte mich etliche Wendeltreppen hinauf – unmuthig und träge tappte ich seinen schwerfälligen Fußtritten nach – ach! so dreht sich die Wendeltreppe meiner Laune aus dem traulichen Wollustdüstern Boudoir meines Herzens hinauf zu dem wüsten todten Leben in meinem Kopfe, dachte ich, und kaum hatte ich es gedacht, so entstand eine sonderbare Generation in mir. Ich sah mich im Durchschnitt wie den Riß eines Gebäudes, in meinem Kopfe war ein großer Redoutensaal, aber alles war vorbey, den letzten Ton des Kehraus sah ich dicht bei der Orchesterbühne meiner Ohren mit sterbendem verschossenen Gewande gähnend zur Thüre hinausschleichen. Eine Menge meiner jugendlichen Plane standen verstört und mißmuthig da, der Tanz war vorbei, sie hatten die Masken in den Händen, weinten aus den trüben erhitzten Augen Abspannungsthränen, und guckten sich an, und gebehrdeten sich, wie Phöbe, Diane und Proserpina in Wielands Göttergesprächen, sie konnten nicht glauben, daß sie alle dieselben seyen. Unten in meinem Herzen, da war das düstere Cabinet, Molly stand da wie eine Zauberin, sie kam von dem Maskenballe herab, meine Zufriedenheit saß bey ihr, sie suchten ihre krausen Gewänder aus einander zu wickeln, die sich auf der Wendeltreppe verwickelt hatten, und zeigten beide ziemlich unziemliche Blößen. Gut, daß vor die Fenster Gardinen aus rosenrothen Träumen gewebt, gezogen waren, und der Luxus der Sinnlichkeit in dicken wohlriechenden Rauchwolken den kleinen Raum mit Nebel erfüllt hatte, man konnte sich nicht recht erkennen. Ja räuchert nur, dachte ich, Göthe sagt doch, der Herr vom Hause weiß wohl, wo es stinkt. Nun ward es ganz dunkel, das letzte Lichtstümpfchen auf dem Kronleuchter im Ballsaale war erloschen, es schimmerte kein Fünkchen mehr die Treppe herunter. – Nun, nun Herr Baron, wo bleiben Sie denn, donnerte mich eine Stimme von oben herunter an, ich war aus der Wendeltreppe des Schlosses auf die meiner Laune gerathen, und hatte vergessen, auf der ersten weiter zu gehen, nun schlich ich vorwärts. Die breite schöne Treppe in Molly's Landhaus, wo führte die mich hin, ach! in das Amphitheater ihrer Arme, das schöne Schauspiel ihres Geistes in ihren Augen zu sehen, und diese verdammte Wendeltreppe, wo führt sie mich wohl hin? Ich brauche Sie nicht zu melden, sagte der Castellan, als wir an eine kleine gothische Thüre kamen, das Fräulein hält nicht viel davon. Das Wort Fräulein lasse ich mir nicht zweymal sagen. Schnell tröstete ich mich, daß ein Fräulein, welche dem Unangemeldeten verzeiht, wohl auch dem im Reisehabit durch die Finger sieht. Ich klopfe; herein! Ein niedliches Mädchen von achtzehn Jahren hüpft mir entgegen, sie entschuldigt die Abwesenheit ihres Vaters, ich meinen Anzug. Sie setzt sich in den Erker, ich mich ihr gegenüber, auf kleine steinerne Bänke, die in der Mauer angebracht waren.

Sie. Wollen Sie Licht, es ist schon Abend.

Ich. Es ist nicht Abend in uns, wenn es Abend außer uns ist.

S. Was meynen Sie damit – doch Ihr Name?

I. Godwi.

S. Godwi? Dieß ist ein schöner Name, ach! das ist ein schönerer Name als Eichenwehen, ich möchte wohl auch so heißen. Doch ich will Licht holen.

I. Nein, Fräulein, lassen Sie es, es wäre eine Sünde gegen die Natur, und die Stunde, die ich bey dem Untergang der Sonne mit Ihnen durchleben kann.

S. Nun so lassen Sie uns denn so sitzen bleiben.

I. Und uns unserer Freunde erinnern, die vielleicht jetzt eben so glücklich sind, als ich und Sie – Sie verzeihen, ich meyne nur durch diese schöne Naturscene. Sie haben doch auch Freunde?

S. O ja, aber doch nicht viele – Otilien, Sophien, und – nein, das sind sie alle. – Es ist mir recht lieb, daß Sie kein Licht wollen, denn Sie hätten mir sonst meine Lieblingsstunde verdorben. Sehn Sie, so sitze ich alle Abende hier, und sehe wie ein Nönnchen in der Klause nach der untergehenden Sonne, manchmal werde ich ganz traurig, da drüben, wo Sie sitzen, da saß sonst meine gute Mutter, die war so freundlich, und wir spannen dann immer in die Wette, jetzt bin ich immer allein, und wenn die Langeweile, ach! die Langeweile – der Vater ist gut, aber er ist immer auf der Jagd, und Jost, mein Bruder – nu der ist gar nicht freundlich. Doch Sie werden bald sehen, daß hier nur ein Jäger froh seyn kann – Doch was plaudere ich – verzeihen Sie, Ihre Ankunft hat mich so überrascht, daß ich ganz verwirrt spreche.

I. Nein, gnädiges Fräulein, Sie sprechen nicht verwirrt. Sie sprechen eine schöne seltene Sprache, die Sprache der Wahrheit, der Unschuld und der Natur. Ich habe lange keinen Menschen, am wenigsten ein Weib so sprechen hören, und zwar in einer Minute, wo fast alles heuchelt, in der Minute des ersten Zusammentreffens.

S. Es ist sonderbar – in einer andern Stunde würde ich nicht so gesprochen haben – aber hier darf ich nicht mit Fremden sitzen, und nicht in dieser Stunde, daß ich nicht so sprechen sollte, denn hier habe ich immer alles gesagt, was ich fühlte, hier hörte mir immer die Mutter zu. – Wir waren aufgestanden, ich hatte ihre Hand gefaßt, Joduno weinte ihrer Mutter eine stille Thräne, sie sah in die letzten Strahlen der sinkenden Sonne, wie wir dem fliegenden Gewande eines scheidenden Freundes, der nun unserm Nachsehen verschwindet, mit nassem Blicke folgen, und drückte mir dennoch die Hand, wie einem Freunde beym Wiedersehn. Mein Herz, Römer, war verloren. Die Sonne ging unter, und Herr von Eichenwehen, Vater und Sohn, kamen herauf. Joduno machte geschwind Licht, wir setzten uns in eine ehrerbietige Entfernung, indeß unsere Blicke und unsere Herzen ganz dicht beisammen steckten, so dicht, daß sie seufzten. Alles dieses geschah ohne die mindeste Verabredung, wir verstanden uns, und obschon es dich wundern mag, so wunderte es mich doch nicht. Unser Zusammentreffen war ein Wiederfinden. Die Sonne war unter, und als der Vater mich bewillkommte, und der Sohn mit offnem Munde vor mir stand, waren wir schon so vertraut, daß ich mit ihr lachte, schäkerte oder seufzte, wenn der Vater den Rücken wandte. Man dankte mir beim Abendessen für meinen Fund, und bat mich mit vielen Worten, einige Tage zu bleiben; ich entschuldigte mich mit vielen Worten, daß ich morgen wieder reisen müßte. Joduno sah mich an, und ich sprach, recht gerne will ich bleiben, wenn ich Ihnen nicht beschwerlich falle. Von dem Tischgespräche weiß ich nichts mehr, als daß ich mehr von meinen Ahnen erzählte, als wahr ist, daß mir der Herr Sohn nochmals für meinen Fund danken sollte, aber schon schlief, und daß sich meine Schuhspitzen mit den Fußspitzen Jodunos unterhielten.

Joduno war etwas früher vorn Tische aufgestanden als ich, sie kam wieder. Leuchte den Herrn Baron in seine Stube, Joduno – Sonderbare Sitte – Unbefangen und ohne ein Wort zu sagen, geht sie vor mir her, eine große ungeheure Thüre eröffnet sich, das Licht steht auf dem Tische, eine süße freundliche Stimme sagt, gute Nacht! – das übrige weißt du. Ich hatte bey Tische gesagt, daß ich noch schreiben wollte, Joduno hatte einstweilen alles dazu auf den Tisch gelegt, selbst den Stuhl hingerückt. Neben das Papier hatte sie die schöne Rose hingelegt – hat sie den Tisch wohl auch vor ihr Bild hingerückt?

Ach die Wendeltreppe führte mich doch auch zu einer schönen Aussicht. Molly deine Worte: gekrönte Liebe gehört nur dem Manne, haben einen sonderbaren Doppelsinn für mich erhalten, seit ich den Hirschkopf gegen mir über habe – das Bild der lieben Joduno sieht mich so freundlich an, daß ich jetzt fast schon vor der Dunkelheit erschrecke, wenn ich das Licht auslöschen werde. Gute Nacht, ich steige ins ungeheure Riesenbette, in dem vielleicht alle Herrn von Eichenwehen, und wohl auch die liebe Joduno gebohren sind, um heute Abend zu sterben, und morgen früh wieder neu gebohren zu seyn. Dein

Godwi.

Römer an Godwi.

Wo die Herren im Nationalkonvent zu Paris zu viel Arbeit sehen, bey Arbeiten, deren Erfolg kritisch ist, bey denen sie sich in ihren oder in des Publikums Augen durch den Erfolg beschämt finden könnten, muß ein Ausschuß dran. Bey der Verwirrung, bey der Abentheuerlichkeit seiner Streiche, stößt mein lieber Karl auf einen Punkt, der ihm nicht so ganz hell in die Augen leuchtet, und er ernennt mich zum untersuchenden Ausschuß. O lieber Karl, wann wirst du die gerade Menschenstraße wählen, und nicht mehr aus dem Hundertsten ins Tausendste denken, handeln und plaudern, ich kann mir ihn ganz denken, den incroyablen Karl, vis a vis, oder in den Armen, denn ich weiß, du bist kein Freund von Entfernung, einer andern Merveilleuse. Es ist ein Unglück, daß du auch immer in die Hände der Extreme fallen mußt. Wo wohnt das gute bürgerliche Mädchen, das tugendhaft und häuslich dir einst den verwirrten Kopf aufräumen, und deine Hände zu nützlicher und zweckmäßiger Arbeit geschickt machen wird. War es nicht der Aufgang der nämlichen Sonne, der dir das Bild weniger Tage vorher neben der räthselhaften Molly so rosenfarben malte, nicht der Untergang der nämlichen Sonne, die mit den letzten Strahlen gleich darauf dein wächsernes Herz in eine andere Form goß? Du nanntest Molly ein göttliches Weib, das heißt: du bedientest dich zur Bezeichnung ihres Werthes des Namens der höchsten dir denkbaren Vollkommenheit, und schon haben diese Göttinn ein paar Hirschgeweihe und ein lustiges sonderbares Geschöpf gestürzt. Du hast ein Geschöpf kennen gelernt, das du noch höher stellen könntest. Wie heißt denn die Stufe über deinem Götzen? oder, lieber Karl, willst du wohl eingestehen, daß der die Menschen und all' ihr Streben und Ringen nach irgend einem Zwecke für eine Caprice Gottes halten muß, der ein Weib göttlich nennt, das mit den Herzen, Gefühlen und Worten ihrer armen Anbeter spielt? Sie hat nicht genug, dich zu ihren Füßen zu sehen, sie berauscht sich in den Gefühlen ihres Stolzes, und stößt deine Begierden zurück; sich hätte sie ganz befriedigt, sie will nur ihrem Betragen noch das Gewand der schönen Tugend, Enthaltsamkeit und Abentheuerlichkeit umhängen, ernst und streng weiset sie deine feurige Liebe in die Schranken des Wohlstandes zurück, vergißt nicht, dir mit der feinsten Coquetterie die Mühe zu zeigen, die ihr es kostet, läßt sich einen Kuß von dir rauben, wo du ihn rauben solltest, um ihr den Schwur der Ehrerbietung gegen ihre strengen Grundsätze zu besiegeln, und fordert durch das Feuer eben dieses Kusses dich auf, das Gebäude ihrer ganzen Weisheit zu zertrümmern.

Es mag der feinste sinnliche Genuß das bezauberndste Spiel der Gefühle seyn, allein es ist nichts desto weniger das gefährlichste und gewagteste, denn wer es verliert, hat sich selbst verlohren. Molly weiß auf die geschmackvollste Weise die äußersten letzten Fäden der Sinnlichkeit durch affektirte Menschlichkeit in die Gränzen einer edlen empfindungsvollen Sittlichkeit hinüber zu weben, so daß ihr Betragen zwar ihren Geist, ihren Geschmack, und durch augenblickliche, liebenswürdige Geistesgegenwart ihre Erfahrung, aber nichts weniger als ihr Herz, ihre Tugend vor der Verdammniß der Moralität retten kann.

Danke Gott, mein Lieber, daß du so glücklich aus den Schlingen dieser liebenswürdigen Verderberin entkommen bist; aber entgehe zugleich dem Gefühle der Eitelkeit dieses Entgehens. Du selbst warst nicht stark genug, sie hat dich in den Plan ihres Siegs zurückgestoßen, und in der Beendigung der Geschichte mit dem Morgenbesuche und dem Kusse sehe ich wohl, daß du ihren Waffen nur ein Spiel, kein Kampf, warst. Die Geschichte am Morgen scheint mir das, was den Mozart ausgezeichnet hätte, der aus Laune, oder auf Bitte eines mächtigen Geschmacklosen, ein elendes Lied auf seiner Violine hinzauberte. Es war in Rücksicht auf den moralischen Werth der ganzen Sache das Selbstgefühl eines Bierfiedlers, der, hat er in seinem Gassenhauer die Beine seines Pöbels genug zum Tanzen gezwungen, an das Ende des letzten Takts noch einen Ohrenzwang gratis anhängt. In jedem gefälligen Landschaftsgemälde ist Ferne, und die abgestufte Verkleinerung und Verundeutlichung reizender Natur im letzten Grade in eine Morgenröthe überschwebend, giebt uns in gleich nahen Gegenständen das Täuschende der Perspektive. Hier hat der Künstler den Raum behandelt, Molly, die Künstlerin, endigte ihre Scene durch eine versprechende Anspielung in die Zukunft, sie behandelte die Zeit.

Ich halte sie für bewunderungswerth in ihrer Art. Es ist der feinste Egoismus, den Sieg, der wegen der Schwachheit des Gefesselten ohne Lorbeer war, seinem Selbstgefühle durch die Kraft und Zierlichkeit, mit der man das Schlachtfeld verläßt, zur Schmeicheley zu erschaffen.

Ueber den zweytes Abentheuer zu urtheilen, habe ich keinen Beruf erhalten, und überhaupt liebe ich nicht, dir, lieber Freund, Lehren zu geben, denn du willst durch die Zeit und ihren Inhalt geheilet seyn.