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Barbara Frischmuth

Bindungen

und andere Erzählungen

Ausgewählt von Julian Schutting

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Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek:

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

www.residenzverlag.at

© 2013 Residenz Verlag

im Niederösterreichischen Pressehaus

Druck- und Verlagsgesellschaft mbH

St. Pölten – Salzburg – Wien

Original erschienen:

»Meine Großmutter und ich«; »Und ich sah, und siehe, eine weiße Wolke«: »Rückkehr zum vorläufigen Ausgangspunkt«, Residenz Verlag 1973

»Otter«: »Mörderische Märchen«, Residenz Verlag 1989 »Bindungen«, Residenz Verlag 1980

Alle Urheber- und Leistungsschutzrechte vorbehalten.

Keine unerlaubte Vervielfältigung!

ISBN ePub:

978-3-7017-4362-9

ISBN Mobi:

978-3-7017-4401-5

ISBN Printausgabe:

978-3-7017-1617-3

Eine Art Einleitung

Barbara Frischmuth, endlich bei Residenz zu Gast!

Dank unser beider langjährigen Freundschaft durfte ich die Auswahl treffen; Barbara Frischmuth hat nicht auch nur ein Wort mitreden wollen, das waren dann Tage lustvoller Lesewut, vermischt mit Verzweiflung: ein Bücherstapel vor mir, aber ein Auswahlband ist nicht ein Sammelband. letztlich hat mich eine Überlegung meine Wahl treffen lassen: was von all dem gleichwertig Eingeschätzten kennen vermutlich die wenigsten aus der großen Frischmuth-Lesegemeinde? und was davon am besten geeignet, für Barbaras sprachliche Wandelbarkeit, für die Vielfalt ihrer Themen und daher auch Techniken einzustehen?

Drei kurze Erzählungen zu Beginn:

Meine Großmutter und ich: wie ein in einen Teich geworfener Stein zieht der Ausgangspunkt, ein eingerissener Fingernagel, immer weitere Kreise; das Streitgespräch hochoriginelles Absurdes Theater.

Und ich sah, und siehe, eine weiße Wolke: das phantasiebegabte und mit großer Imaginationskraft ausgestattete Mädchen sucht in seinem Hang zum Mystischen ein Wunder zu erzwingen. und uns bezwingt die poetische Aura – das Ganze ein Prosagedicht!

Otter: und wieder eine ganz andere Tonart! beginnt wie eine klassische short story, aber dann dringt Natur ein. nicht daß uns dieser suggestive Text meine Assoziation aufzwingen möchte: Tannhäusers Aufenthalt im Venusberg …

Und nach dieser Dreiheit, gleichsam eingeschmuggelt, die umfangreiche Erzählung namens Bindungen.

Was einmal die Force, ja die Domäne der österreichischen Literatur war, die »psychologische Novelle«, was aber bald nach dem Ersten Weltkrieg zu stereotyper Trivialliteratur verflacht, das hat wie nur wenige andere Barbara Frischmuth in unsere Zeit herübergerettet mit sicherem Instinkt, in der Beschreibung oder auch nur Benennung seelischer Vorgänge sei äußerste Zurückhaltung geboten: hüte dich vor überkommenem »Psychologisieren« … wohltut einem daher, daß sie eingangs die labile Verfassung der Ich-Erzählerin Fanny in behavioristischer Manier indirekt zu verstehen gibt, in deren Blickeinengung auf die Schritte, die sie immer ganz gleich durch ihr Gästezimmer tut. fragil die Konstellation, unter der da von drei Erwachsenen, einem Kind, das einen blinden Superman spielt, und einem Hund wie von Sommergästen etliche Wochen an einem See zusammengelebt wird. aus den alltäglichen Verrichtungen und der Konversation spricht, bisweilen angestrengt, Rücksichtnahme aufeinander, und scheinbar Banales läßt in tieferen Schichten Sitzendes ungewollt zu Wort kommen – da erweist sich Barbara Frischmuth als eine Meisterin dessen, was über Zwischentöne hinausgeht, indem es ungesagt an Existenzielles rührt.

Julian Schutting

Meine Großmutter und ich

Micky? fragt meine Großmutter, sie ist römischkatholisch.

Ja, sag ich, Micky. Micky ist Micky. Er kommt mich abholen und wir gehen zum See rüber, schwimmen.

So, sagt meine Großmutter. Sie schlägt ein Kreuz, bleibt mit dem Finger wo hängen und reißt sich den Nagel ein. Tss, tss, kommt mir da was zu Ohren und noch gar unter die Augen. Micky, sagst du. Ein Witz, ein Witz, so ein Witz. Hol mir schon endlich die Schere aus dem Nähzeug und such die Feile oder soll ich so bleiben. Die Sache verhält sich so oder so. Du weißt, was du mir schuldig bist. Lauf nicht in die Küche, dort ist keine Feile, es muß sie jemand verlegt haben.

Weil man in diesem Haus nichts, aber auch gar nichts findet. Da steht sie und fuchtelt mit dem Finger in der Luft, als hätte sie sich gebrannt. Die Luft tut ihr gut. Drum zieht es immer bei uns.

Stell dich nicht so an, du wirst doch die Feile finden, wenn ich dir sage, daß sie in der Küche nicht ist.

Da geb ich ihr die Schere in die Hand.

Wie verhext ist alles, steht denn das Haus kopf? Ich kann die Gedanken nicht überall haben, und wenn du mir noch was von diesem Micky erzählst, dann erzähl ich dir was. Sie dreht sich auf dem Absatz herum, ihr Kleid rauscht kurz auf, die Vase, die sie mit dem Ellbogen vom Fenstersims gefegt hat, war aus bemaltem Glas, die Splitter springen vom Fußboden auf den Teppich, sie stellt sich darauf, der Rock bedeckt alles – ich weiß, warum ich lange Röcke trage –, ihr Haar flattert in der Zugluft und draußen biegen sich die Bäume.

Ich bin neugierig, wann du mir die Feile bringst. Wenn es noch lange dauert, werde ich selbst danach sehen. Heil hat deine Mutter dich zur Welt gebracht, vielleicht hast du unterdes Schaden genommen, oder willst du sagen, dieser Micky hätte dich um den Verstand gebracht, den will ich mir ausborgen, da wirst du staunen, was von dem übrigbleibt.

Rück ein Stück, damit ich die Scherben aufkehren kann, sag ich mit Besen und Schaufel, sonst schneidet sich jemand, dann haben wir die Bescherung, der Teppich wird blutig, vielleicht muß man den Doktor holen und überhaupt die Aufregung und was sonst noch mit so was zusammenhängt.

Sie steht wie ein Fels. Du süßer Heiland! Sie wird die Scherben in den Teppich treten, wo wir keinen Staubsauger haben, keine Teppichstange und keinen Dienstboten mehr.

Ich will die Feile, habe ich dirs gesagt oder habe ich dirs nicht gesagt oder bist du von Gott verlassen. Wenn ich die Feile nicht bald habe, verliere ich den Verstand, du weißt, was das heißt. Und komm mir noch einmal mit diesem Micky und daß du zum See rüber möchtest, schwimmen. Ich weiß gar nicht, wer das ist, mit wem du dich da herumtreibst, das hast du von deinem Vater, ich hätte mirs denken können.

Jetzt ist der Nagel ab und die Haut dazu. Ich werde mir das Tuch zerreißen, ich kann nichts angreifen mit dem Nagel. Schwer von Begriff, wie du bist, schau in die Tischlade, die Feile muß da sein, du hast zu folgen, aufs Wort, wann wirst du das endlich verstanden haben, oder rede ich gegen eine Wand.

Da stampft sie schon mit dem Fuß, die Splitter werden an ihrem Schuh kleben bleiben, und ich kann mit dem Besen hinterdreinlaufen. Sie wird die Splitter durch die Wohnung tragen, jemand wird sich schneiden, dann ist die Hölle los.

In der Tischlade ist sie nicht, sag ich, die Schere genügt doch einstweilen, willst du nicht selber nachsehen, du hast die Feile zuletzt gehabt. Aber laß mich um der Liebe Jesu willen die Scherben aufkehren, bevor noch ein Unglück geschieht, du wirst die Splitter im Haus herumtragen, man kann keinem Menschen die Tür öffnen, wenn zerbrochenes Glas auf dem Boden liegt.

Du willst mir weismachen, daß ich die Feile zuletzt gehabt hätte, mir nicht, mag da sein, was da will, du vergißt, daß ich im Geiste jung bin. Sag das noch einmal und dann sage ich dir, zeig deine Hände. Wer hat sich für diesen Micky, den ich gar nicht kenne – mit wem du dich da herumtreibst –, die Nägel gefeilt, den ganzen Abend lang, gestern, daß man es durch die Wände hörte. Wenn ich es war, will ich den verdammten Besen da – gelobt sei Jesus Christus – schlucken und noch in dieser Stunde den Bürgermeister zur Abdankung zwingen. Wenn ich es nicht war, rate ich dir, bring mir die Feile, solange ich dich noch bitte, denn wenn ich es nicht mehr tue, dann kannst du diesen Micky anläuten und ihm sagen, daß es heute nichts ist und daß er gar nicht erst zu kommen braucht. Ich werde nämlich an der Tür stehen und die Klinke nicht aus der Hand lassen, bis er sich aus dem Staub gemacht hat und pfeifen oder Steinchen werfen gibts nicht.

Herrjeh, denk ich mir, sie wird die Splitter durchs ganze Haus tragen und wenn Micky kommt, wird er sich schneiden, es ist nicht weit bis zum See und sommers gehen wir immer barfuß, nur in der Schule haben wir Schuhe an.

Ich find die Feile nicht und die Nägel hab ich mir schon gestern gemacht und die Feile hab ich gleich wieder heruntergebracht und auf den Tisch gelegt, aber auf dem Tisch liegt sie nicht und in der Tischlade auch nicht und in der Küche auch nicht, hast du gesagt.

Jetzt wird es ihr bald zu bunt, sie wird sich vom Fleck rühren und ich kann die Splitter aufkehren. Da droht sie mir mit der Schere.

Bitte, sag ich, stich nur zu, wenn du es vor deinem Gott verantworten kannst, und ich knöpf mir die Bluse auf. Da, sag ich, stich zu, aber denk an dein Gewissen. Und wenn Micky kommt, sag ihm, er kann meine Bücher haben und das Kaninchen. Die Eidechse laß ich dir, zur Erinnerung.

Sie sieht die Schere an, dann mich, dann die Schere.

Ich vergesse mich, schreit sie, rede ich gegen eine Wand? Die Feile muß her, du hast sie gehabt, und dieser Micky kommt mir nicht ins Haus, damit du es weißt und was soll ich mit der Eidechse, sie ist ungenießbar, die kannst du diesem Micky ruhig schenken, aber das Kaninchen bleibt und die Bücher bleiben. Und nimm endlich die Schere und leg sie zurück ins Nähzeug, was soll ich mit der Schere, der Nagel ist ab und die Haut dazu.

Da knöpf ich die Bluse wieder zu und nehm die Schere.

Je lauter sie schreit, desto kleinlauter wird sie. Ihre Augen sind feucht. Jetzt wird sies wohl zulassen, daß ich die Splitter aufkehre, damit Micky sich nicht die Füße daran zerschneidet, wenn er kommt und mich abholt, zum See. Wie ich mich bück, mit Schaufel und Besen, rührt sie sich nicht, und ich geb ihr einen Stoß. Sie taumelt weder noch rückt sie zur Seite, doch erwischt sie mich an den Haaren und zieht mich empor, mit ihrer welken Hand.

Du sollst mir die Feile bringen, sonst bleibe ich hier stehen, bis ich umfalle, dann kommen die Leute und sehen mich liegen, tot, dich aber wird man einsperren, weil du deine leibliche Großmutter umgebracht hast. Weil du den Gehorsam nicht kennst, noch das vierte Gebot, auch wenn ich nur deine Großmutter bin, jawohl, das vierte Gebot, weil du aufbegehrst und mit dem Schädel durch die Wand willst, weil du keine Augen im Kopf und kein Herz im Leib hast. Diesem Micky werde ich reinen Wein einschenken und wenn ich mir dabei was vergebe, aber gewarnt muß er sein.

So zieht sie sich aus der Affäre, und ich steh da mit Schaufel und Besen und soll ihr die Feile bringen. Wenn ich nachgeb, wird sie sich im Leben nie mehr die Feile suchen, und ich werd ihr den Nagel feilen müssen, den Nagel ihrer welken Hand. So war es mit der Milchkanne, die ich suchen mußte, und dann war die Milch zu holen.

So gibt ein Wort das andere, ein Schimpf den anderen, eine Tat die andere.

Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott.

Ich versuch es ja, alles und in Güte. Man muß es ihr klarmachen, sie zwingen, das Rechte zu tun, ihr die Zähne ziehen, wenn sie beißen soll, sie strekken, damit sie sich bückt, den Wind aufhalten, um sie fliegen zu lassen.

Diesem Micky kannst du schon sagen, daß es heute nichts ist und morgen auch nichts und übermorgen auch nichts und überhaupt nichts. Wo gibt es denn so was. Ungehorsam ist der Anfang des Übels, du wirst sehen, wie weit du es bringst, daß dir der Leibhaftige … Gott gebs nicht!

Ich hab dich in Windeln gewickelt, dir zur Erstkommunion eine Kerze gekauft, die teurer war als ein Adventskranz, ich habe dir von Kain und Abel erzählt, von Noemi, Ruth und den Richtern, ich habe dir die Höschen gewaschen und die Brote gestrichen, ich habe dir im Winter den heißen Ziegel ins Bett gelegt und dich im Sommer mit Butter – mit echter Butter – eingerieben, wenn deine Haut verbrannt war, wie du krank warst, habe ich dich schwitzen lassen, und als du Angst hattest, blieb das Licht brennen, ich habe deine Schuhe geputzt und dich zur Kirche geschickt, ich habe dir erklärt, was mein ist und was dein und wie man die Hände richtig faltet, ich habe dich vor Hunger bewahrt und vor schlechtem Umgang, vor Hexen, Pest und Bedrängnis, ich habe dich angehalten zu Fleiß und Sorgfalt und dir gesagt, wie man sich kämmt und die Milch nicht überkochen läßt, ich habe dich in den Wald geführt und in die Stadt mitgenommen, ich war beim Zahnarzt mit dir und auf dem Jahrmarkt, du weißt, wie man Feuer anfacht und es wieder ausbläst, du kennst das Wetter am Wind und die Zeit am Himmel, du hast einen Namen, meinen Namen, und du hast eine Bleibe, bei mir, du bist gewachsen unter meinen Händen – unter ihren welken Händen – und hast den Tod nicht erfahren, noch Laster und Unfrieden, du bist am Leben geblieben, weil ich es wollte, und ein Mensch geworden, weil ich dich dazu gemacht habe …

Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott. Hundertmal hin und einmal her. Ich versuchs ja, alles und in Güte. Und da steig ich sachte, aber fest auf einen der Splitter – im Sommer gehen wir immer barfuß, nur in der Schule haben wir Schuhe an – und spür, wie er sich tief in mein Fleisch bohrt, wie er eindringt in meine Fußsohle, wie mein Gesicht sich verzerrt und dann blaß wird, wie es warm aus mir quillt und dann heb ich langsam den Fuß auf und dreh die Sohle nach oben. Das Blut rinnt in einem dünnen Faden bis zur Zehe, und ich zeig mit dem Finger darauf.

Da, sag ich, ich hab mir einen Splitter eingetreten, es blutet, und ich weiß nicht, wie ich ihn herausholen soll, wenn du mir keine Nadel holst.

Wer Mauern einreißt, den beißt die Schlange.

Noch zögert sie, da laß ich den Fuß mit dem Blut wieder zu Boden sinken, auf einen noch größeren Splitter zu, und bin schon dabei, aufzutreten.

Heilige Jungfrau, flüstert sie, und ich seh, wie sie einen kleinen Schritt macht und noch einen und dann noch einen und mit dem Saum ihres Rokkes streift sie ein paar der größeren Scherben mit. Komm, sagt sie, und greift mich an, mit ihren welken Händen, zieht mich an sich, drückt mich, legt ihren Kopf an den meinen, und bevor sie zu klagen beginnt, sag ich, hol mir die Nadel, dann wird es gehen. Und ich weiß, daß sie weinen wird, und bevor sie zu weinen anfängt, schieb ich sie, humpelnd auf einem Bein, bis zum Stuhl hin, damit ich mich setzen kann.

Und es tropft schon aus ihren Augen und sie klagt, ach Gott, ich habe es gewußt, daß du mir alles heimzahlst, aber warum muß dieses Kind es leiden, kann es doch nichts dafür, so ohne Vater und Mutter, und wenn du mich strafst, o Gott, ist es richtig und doch nicht recht, o Gott, o Gott, o Gott …

Und da sag ich, schnell, sonst tropft das Blut auf den Teppich oder ich krieg den Krampf und da läuft sie schon, wie schnell sie nur laufen kann und ihre Röcke rauschen kurz auf – ich weiß, warum ich lange Röcke trage – und sie streift mit dem Saum ein paar der größeren Scherben mit.

Als sie wiederkommt, hat sie meine Erstkommunionskerze in der Hand, zündet sie an und brennt eine Nadel aus, und dann kniet sie sich nieder, nieder vor mir. Sie nimmt meinen Fuß in die Hände – in ihre welken Hände – doch ich sag, laß das, du zitterst, ich mach es selber. Ihre Tränen rinnen, von ihren Lippen stürzen Klagen und sie ruft Gott und mich als Zeugen an.

Als der Splitter heraußen ist und das Blut stockt, kommt sie mit einem Verband, den ich nicht haben will, noch das Jod und auch kein Pflaster.

Und gleich darauf hat sie die Feile gefunden. Siehst du, sag ich, und mach schnell einen Krug Limonade. Wenn Micky kommt, wird er durstig sein und mir klebt schon die Zunge am Gaumen.

Sie stutzt, da verzieh ich das Gesicht vor Schmerzen, und sie stellt sich vor mich hin und sagt, ja, aber nur von einer Zitrone. Die Eidechse kannst du ja diesem Micky schenken, aber das Kaninchen bleibt und die Bücher bleiben.

Also glaubt sie an meinen Tod.

Und ich sah, und siehe, eine weiße Wolke …

Wir haben es sehen wollen, Melanie und ich.

Der Wald dauerte lang, durch den wir gingen. Groß war die Sonne am Mittag. Es hätte auch regnen können. Stumpf vor Staub hingen die Blätter an der Straße und glitzerten im Wald. Die Luft hat gezittert vor Hitze.

Das Krummholz brach und Reisig, wie wir so gingen. Man muß uns weithin haben hören können. O ja, und der Wald hatte kein Ende genommen, bis wir ankamen, dort, wo Melanie schon gewesen war. Im Traum, wie sie mir das hat einreden wollen.

Wir hatten schon nichts mehr gegessen von Abend an. Weil das so besser ist, sagt der Kaplan. Und er hat es doch nie gesehen oder sagt nur so oder will nicht sprechen davon. Da sind wir allein in den Wald gegangen. In die Sonne mußt du schauen, sagte Melanie, und knien, bis du es siehst. Wir hatten uns getrennt, waren jede für sich hinter die Bäume gegangen, und hingekniet, da sah eine die andere nicht. Mir war die Sonne in die Augen gekommen, und ich wollte es sehen, die Knie im Brombeergestrüpp. Lauter Gold, das habe ich so vor mich hingesagt. Wie man sagt, was man sagt, wenn es niemand hört.

Ich habe es sehen wollen, von Angesicht zu Angesicht. Denn da heißt es, siehe, er kommt mit den Wolken, und es werden ihn sehen alle Augen. Da war keine Wolke weit und breit nicht am Himmel, die ich hätte sehen können. Nur die Sonne. Aber ich habe es sehen wollen, ganz im Licht. Hell wie die Wahrheit, wenn nichts gelogen ist.

Und gestern sind die Kröten alle in die Brunnen gesprungen. So dachte ich mir den Traum, blind vor Sonne. Und jemand hat mit dem Messer die Fahnen durchstoßen. Da ist der Regen gekommen, mit all seinem Wasser. Nachts hat die Uhr einen Sprung bekommen. Die Türme sind zerbrochen, die Stadt ist untergegangen. Die Blumen bleiben, mußte ich sagen, aber es half nichts, mein Mund blieb zu. Mir träumte, was ich nicht sagen kann. Und alles ist aus dem Traum gekrochen.

Zugebunden waren mir die Augen von der Sonne. Lauter Gold. Und ich wollte es sehen, die Knie im Brombeergestrüpp. Da war keine weiße Wolke, kein Wind, der sie hätte bringen können. Der Himmel kein Meer, von dem der Kaplan gesprochen hat. Es half nichts, die Arme auszubreiten.

Soviel ich auch nachdachte, mir fiel das Gebet nicht ein, das traurige, von den strahlenden Wunden. Das fröhliche, von der glorreichen Himmelfahrt. Auch nicht das kleine, von der Geburt im Stall, das ich sonst auch im Schlaf noch weiß. Die Sonne muß sie ausgebrütet haben, sie sind davongeflogen. Allesamt. Und ich kniete im Brombeergestrüpp und hatte es sehen wollen. In der weißen Wolke, die über den Himmel schwimmt, und die nicht schwimmen wollte, als ich voll Himmel war.

Und zu riechen war es erst, als die Sonne mir wieder aus den Augen kam. Ich setzte mich auf die Fersen, so träge war der Geruch und geschwollen. Nicht wie Harz oder Nadeln oder Wiese. Eher wie fauliges Laub, wo es doch heiß war. Und doch nicht wie fauliges Laub; Lakritzen und Schwefel. Ich habe eine Weile gehen müssen und konnte es kaum, weil wir schon nichts mehr gegessen hatten von Abend an. Ich wollte, daß Melanie mit mir ging. Aber die war weit weg und da wollte ich sie dann nicht einmal rufen.

Den Haselbusch hatte ich erst zur Seite biegen müssen. Da schwirrten die Fliegen auf und schillerten mit den Flügeln. Es lag in der Grube, das Lamm. Mit zerfressenem Bauch und aufgerissenen Augen. Das Maul hing ihm schief, als hätte es blöken wollen, und auf der Zunge hatte es Schleim, auf dem die Ameisen liefen. Einer der Hinterfüße ragte in die Luft und gab den Bauch frei, in dem die Därme brieten. Und die Sonne bleichte die Wolle aus, weiß und glänzend.

Ich hatte es tun müssen, und weil ich so nahe stand, erbrach ich ins Lamm. Da schwirrten die Fliegen wieder, und der Hinterfuß zitterte in der Luft.

Hast du es gesehen? fragte ich Melanie, als wir wieder beieinander waren.

Und sie nickte.

Wie war es? fragte ich.

Ich kann es nicht sagen. Lauter Gold. Und du?

Da wußte ich keine Antwort und dachte nur, wie es gerochen hat.

Otter

Er hatte alles erreicht, was zu erreichen war.