Cover

Für Denise, die Liebe meines Lebens,
sowie Charlie und Tom, die Früchte dieser Liebe

INHALT

VORWORT
Zugabe

TEIL I DIE ANFÄNGE

KAPITEL 1
Black Country

KAPITEL 2
Teufelsmusik

KAPITEL 3
King Mod

KAPITEL 4
Der Gummimann

KAPITEL 5
Die totale Verzweiflung

TEIL II IN LUFTIGEN HÖHEN

KAPITEL 6
Bum! Bum! Bum!

KAPITEL 7
Valhalla

KAPITEL 8
Blonder Elvis

KAPITEL 9
Sodom und Gomorrha

KAPITEL 10
Crash

KAPITEL 11
Tiefste Dunkelheit

KAPITEL 12
Durch die Hintertür

TEIL III SOLO

KAPITEL 13
Exorzismus

KAPITEL 14
Sea of Love

KAPITEL 15
Tall Cool One

KAPITEL 16
Scheideweg

KAPITEL 17
Good Times Bad Times

KAPITEL 18
Down From the Mountain

KAPITEL 19
Wiedergeburt

KAPITEL 20
Gone, Gone, Gone

KAPITEL 21
Joy

KAPITEL 22
Coda

Danksagung

Quellen

Wie sollte man absehen können, wohin es einen noch treibt?

VORWORT
ZUGABE

Einen Moment lang war er allein. In derselben Garderobe, in der er knapp zwei Stunden zuvor noch nervös auf und ab gelaufen war. Vor diesen zwei Stunden hatte ihn die Angst vor dem, was bevorstand, vollkommen beherrscht. Die Vergangenheit mit all ihren Dämonen, die er hier und jetzt ein für allemal hatte begraben wollen, hatte schwer auf seinen Schultern gelastet.

Er hatte gespürt, wie die Angst ihn von innen auffraß. Die Ungewissheit darüber, welchen Eindruck er bei all den Tausend Menschen da draußen hinterlassen würde. Er war ein 60-Jähriger, der die Zeit zurückdrehen und all die Wunder der Jugend noch einmal Revue passieren lassen wollte. Machte er sich dadurch nicht zum Narren? In diesen endlosen Minuten, in denen er ganz allein mit sich gewesen war, hatte er in den Spiegel geschaut und sich immer wieder gefragt, ob er wirklich noch einmal der sein konnte, der er gewesen war, ob es ihm tatsächlich möglich war, seine Stimme noch einmal in die unglaublichen Höhen hochzuschrauben, die er einst erreicht hatte. So viele Fragen plagten ihn – auf die Antworten musste er noch warten.

Zudem waren da auch noch all die ihm sehr gegenwärtigen Geister. Der seines erstgeborenen Sohnes, der seines besten Freundes und die all der anderen Weggefährten, die er über die Jahre verloren hatte. Für sie alle wollte er dieses eine und letzte Mal der »goldene Gott« sein.

Es war gegen Mitternacht am 10. Dezember 2007, wenige Minuten nach dem Ende von Led Zeppelins Reunion-Konzert in der Londoner O2 Arena. Robert Plant sammelte sich. Der donnernde Applaus und der Jubel der Menge waren allmählich verebbt. Er hörte die ausgelassenen Stimmen all der Menschen in den Gängen im Backstagebereich; in denselben Gängen, in denen es wenige Stunden zuvor noch so still gewesen war, kurz bevor er und die Band noch einmal die Bühne geentert hatten.

Jimmy Page und John Paul Jones, die beiden anderen Überlebenden der Originalbesetzung von Led Zeppelin, hatten sich in ihre eigenen Ecken zurückgezogen und hingen ihren eigenen Gedanken nach. Für diesen einen Abend waren sie noch einmal zusammengekommen, doch es gab eine Distanz, ja eine Kluft zwischen ihnen, die nicht zu überbrücken war. Darin lag all das begraben, was sie gemeinsam aufgebaut hatten, bevor es vor ihren Augen zusammengebrochen war. Ihre Geschichte war nicht nur die Geschichte gemeinsamer Erfolge, sondern auch gegenseitiger Beschuldigungen, und ihre Beziehungen zueinander waren am Ende so verfahren, dass es unmöglich schien, dieses komplexe Geflecht zu entwirren.

Als Plant endlich soweit war, dass er den draußen Wartenden die Türe öffnete, wusste er bereits, was sie ihm sagten, als sie ihm die Hand schüttelten und ihm auf die Schulter klopften. Er, die ganze Band, war großartig gewesen. Besser als irgendwer sich hatte erträumen lassen. Seine Zweifel waren zerstreut und seine Schuld, sofern er denn eine gehabt hatte, war getilgt worden.

Pat und Joan Bonham, die Witwe und die Mutter seines Freundes und Bandkollegen John, den sie vor Ewigkeiten – oder waren es erst Minuten gewesen? – begraben hatten, gehörten zu den Letzten, die er begrüßte, wobei sie ihm besonders nahestanden. Jason, der Sohn bzw. Enkel der beiden, hatte den Platz seines Vaters hinterm Schlagzeug eingenommen und ihm alle Ehre gemacht. Plant versicherte ihnen, dass John unheimlich stolz auf seinen einzigen Sohn gewesen wäre. Und in diesem Augenblick kehrten die Geister zurück.

Eigentlich erwartete man ihn auf der VIP-Party in irgendeinem öden Veranstaltungssaal ein Stockwerk höher, wo sich bereits Promis wie Paul McCartney, Mick Jagger, Kate Moss, Naomi Campbell und Priscilla und Lisa-Marie Presley tummelten, um ihn zu feiern. Doch Plant warf nur noch einen letzten Blick auf den Ort seines großen Triumphs, ließ seinen Wagen vorfahren und bat darum, ihn fortzubringen. Er wollte alles und jeden hier so weit wie möglich hinter sich lassen.

»Diese besondere Atmosphäre hinter der Bühne in der O2 Arena kann man nur wenige Minuten ertragen«, erklärte er mir drei Jahre später.

Plant dirigierte den Fahrer in nördliche Richtung, über die Themse durch die von der Weihnachtsbeleuchtung illuminierten Londoner Straßen bis nach Chalk Farm. Dieses Nordlondoner Stadtviertel liegt etwa anderthalb Kilometer westlich vom geschäftigen Camden Town und nur wenige Schritte vom vornehmen Primrose Hill entfernt, wo Plant ein Haus besitzt. Bei der Marathon Bar, einer etwas heruntergekommenen Dönerbude an der Chalk Farm Road, ließ er sich absetzen.

Beim Hineingehen sah er gleich die zwei großen Dönerspieße, auf denen das Fleisch vor sich hinbrutzelte. Er ging vorbei an einer dieser typischen Imbissbudentheken, über der auf einer ebenso typischen Speisetafel das Angebot aus Kebabs, Döner, Burger und Brathähnchen aufgelistet war, und nahm in einem fensterlosen Hinterzimmer an einem der Holztische Platz. Er bestellte eine halbe Flasche Wodka und einen Hummusteller. Die Leute hier kannten ihn und ließen ihn in Ruhe. Er fühlte sich wohl unter den spätabendlichen Stammgästen in diesem Imbiss – den jungen Kerlen, den verliebten Pärchen und den zwielichtigen Ganoven. Durch den offenen Durchgang konnte er durch den Verkaufsraum bis auf die Straße hinausblicken.

Ich traf Plant zum ersten Mal 1998, als ich für das britische Musikmagazin Kerrang! schrieb. Damals stand die Veröffentlichung des zweiten Page-&-Plant-Albums Walking into Clarksdale bevor. Aus diesem Anlass hatte ich die beiden Musiker in London zu einem Interview getroffen. Im Verlauf des Gesprächs hatte Plant mehrfach Phasen, in denen er gereizt und desinteressiert wirkte und dann wieder sehr einnehmend und mitteilsam war. Ich konnte mir keinen richtigen Reim auf ihn machen und war daher umso interessierter an ihm. Sein offensichtlich widersprüchliches Wesen faszinierte mich ebenso wie sein nicht von der Hand zu weisendes Charisma. Hingegen hinterließ der stillere und verletzlicher wirkende Page einen weitaus blasseren Eindruck bei mir.

In den folgenden Jahren lief ich Plant immer mal wieder über den Weg. Mal fuhr ich gemeinsam mit ihm auf einer öffentlichen Fähre in Istanbul und ein paar Mal traf ich ihn backstage bei diversen TV-Shows und Preisverleihungen. Als er herausfand, dass ich wie er aus den Midlands stamme und ebenfalls ein großer Fußballfan bin, fasste er ein wenig Vertrauen zu mir und taute etwas auf, wenngleich mein Verein, West Bromwich Albion, der größte Rivale der Wolverhampton Wanderers ist, mit denen er seit seiner Jugend mitfiebert. Mehrfach schlug Plant mir per E-Mail eine Wette auf den Spielausgang vor, wenn wieder mal eine Begegnung zwischen unseren beiden Clubs anstand. Ich warte noch heute darauf, dass er seinen Wetteinsatz – ein Essen in einem indischen Restaurant an der Londoner Brick Lane – einlöst.

2010 interviewte ich ihn erneut, diesmal für die Zeitschrift Q. Damals wirkte der Erfolg des Albums Raising Sand, das er mit der amerikanischen Bluegrass-Sängerin Alison Krauss aufgenommen hatte, noch nach. Plant war bei diesem Gespräch herzlicher und freundlicher als bei unserem ersten Interviewtermin und wirkte auch wesentlich entspannter. Das mag an den einhelligen positiven Reaktionen gelegen haben, die es auf Raising Sand und für seine darauf folgenden Projekte gegeben hatte, vielleicht aber auch einfach daran, dass Page bei diesem Gespräch nicht dabei war. Plant sprach über seine Jugend in den englischen Midlands, über seine wilden Jahre mit Led Zeppelin und über seine ungemein facettenreiche Solokarriere, die mal mehr und mal weniger erfolgreich verlief.

Was mich an Plant am meisten beeindruckt, sind seine Leidenschaft für die Musik – die heute keineswegs geringer ist als damals, als er noch ein Junge war – und seine einzigartige Lebensgeschichte. Die meisten Musiker seiner Generation haben ihre besten Werke bereits vor vielen, vielen Jahren abgeliefert und begnügen sich damit – Plant hingegen sucht nach wie vor nach neuen Herausforderungen und Abenteuern. Deswegen macht seine Musik immer noch so viel Spaß, deswegen wirkt sie frisch, vital und aufregend. Diese Einsicht und die Tatsache, dass sich noch nie jemand mit der kompletten Biografie dieses außergewöhnlichen Mannes beschäftigt hatte, gaben den Ausschlag dazu, dieses Buch zu schreiben.

Außerdem wollte ich herausfinden, was Plant inspiriert und anspornt. Auf den ersten Blick mag er sehr geschwätzig wirken, tatsächlich ist das aber nur Fassade. In Wahrheit ist er sehr vorsichtig und zurückhaltend, tunlichst darauf bedacht, nicht zu viel von sich preiszugeben. Ich wollte wissen, was für ein Mensch sich hinter der Musik verbirgt. Denn wenn man den Menschen besser verstehen kann, wird auch der Weg, den er als Künstler eingeschlagen hat, in einem ganz neuen Licht erscheinen.

Welche Fragen gingen Plant durch den Kopf, als er in den frühen Morgenstunden dieses Dezembertages in der Marathon Bar vor seinem Hummusteller saß? Dachte er darüber nach, wie weit er gekommen war und was für eine lange Reise hinter ihm lag? Über seine anstrengenden Jugendjahre, die geprägt waren von Auseinandersetzungen mit seinen Eltern, notorischem Geldmangel und der Sorge, dass sein lang gehegter Traum sich allmählich in Luft auflösen könnte? Über die schwindelerregenden Höhen, die er mit Led Zeppelin erklomm, die Jahre, in denen ihm Millionen von Fans zu Füßen lagen und er geradezu berauscht war von dem gigantischen Erfolg und dem enormen Einfluss der Band? Oder über das tiefe Loch, in das er gestürzt war, als es nichts mehr gab, das die Leere in seinem Herzen hätte füllen können.

Während der ganzen Zeit hatte es für ihn immer die Musik gegeben. Damals wie heute war sie dasjenige, das ihn immer wieder begeisterte. Am Anfang waren es verrauschte Radiowellen gewesen, wilde Klänge, die irgendeinen primitiven Nerv in ihm getroffen hatten. Die unendlichen Möglichkeiten, die sich dahinter zu verbergen schienen, ließen ihn ganz schwindlig werden. So oft und so sehr hatten ihn die Musik von Elvis und Robert Johnson und all die Sounds gepackt, die von der amerikanischen Westküste und von Nordafrika aus zu ihm herüberrauschten. Diese Klänge hatten ihn immer wieder aufgerichtet, hatten ihm mehr gegeben, als er je zu hoffen gewagt hätte. Und er kostete das, was er bekam, bis auf den letzten Tropfen aus. Doch der Preis, den er dafür zu zahlen hatte, war hoch.

Dachte Plant, während er dort in der Marathon Bar saß, auch über die Gegenwart nach und betrachtete das, was er erreicht hatte? Überlegte er in diesem Moment vielleicht sogar, was noch vor ihm liegen mochte? Mit Raising Sand, dem Album, auf das er so stolz war, hatte er eine ganz neue Saite zum Klingen gebracht, dennoch blieb die Frage offen, was er als Nächstes tun, welche Richtung er einschlagen sollte und mit wem. Diese unablässige Neugier auf das, was noch alles möglich sein könnte, hat er nie verloren. Selbst an diesem Abend, an dem er mit rausgereckter Brust einen Schritt zurück in die Vergangenheit getan hatte, schöpfte er die meiste Kraft daraus, nach vorn zu blicken, zu neuen Ufern aufzubrechen und zu den Mysterien, die dahinter verborgen lagen.

»Wenn man süchtig ist nach Musik, kann man sein Leben nicht einfach planen«, erklärte er mir einmal. »Wenn man in meinem Alter immer noch Gänsehaut kriegt und einen Kloß im Hals hat, wenn man Musik hört, wie sollte man da absehen können, wohin es einen noch treibt?«

Rob war ein verdammt guter Elvis-Imitator.

KAPITEL 1
BLACK COUNTRY

Robert Anthony Plant wurde am 20. August 1948 in West Bromwich geboren, im Herzen der britischen Industrieregion in den Midlands. Seine Eltern gehörten zu den ersten Nutznießern des neuen National Health Service, eines landesweiten Gesundheitssystems, das allen Briten kostenlose medizinische Versorgung garantierte. Die Labour-Regierung unter Clement Attlee hatte die Einrichtung dieses staatlichen Gesundheitssystems seit 1945 geplant und wenige Wochen vor Roberts Geburt endlich eingeführt.

Roberts Vater, der ebenfalls Robert hieß, genau wie dessen Vater zuvor, war Diplom-Bauingenieur. Wie die meisten seiner Altersgenossen hatte er während des Zweiten Weltkriegs in der Royal Air Force gedient. Vor dem Krieg hatte er leidenschaftlich gern Geige gespielt, doch jetzt, da er eine Familie zu ernähren hatte, gingen andere Dinge vor. Seiner Liebe zur klassischen Musik tat das jedoch keinen Abbruch. Robert Plant seniors zweite große Leidenschaft war der Radsport. Oft nahm er an Straßenrennen teil, die in und nahe bei seiner Heimatstadt ausgetragen wurden. Nach allem, was über ihn zu erfahren ist, war er ein anständiger und ehrlicher Mensch und nicht konservativer eingestellt als andere Väter zu jener Zeit.

Ein gemeinsames Interesse, das Vater und Sohn eng verband, war der Fußball. Als Plant fünf Jahre alt war, nahm sein Vater ihn zum ersten Mal mit zu einem Spiel der regionalen Profimannschaft, den Wolverhampton Wanderers. Auf dem Schoß seines Vaters sitzend beobachtete er, wie die »Wölfe« in ihren schwarzgoldenen Trikots unter tosendem Applaus den Rasen betraten. Billy Wright, der nicht nur der Kapitän der Wölfe, sondern auch der englischen Nationalmannschaft war, soll ihm, so zumindest erzählte es ihm sein Vater, in diesem Augenblick zugewunken haben.

Plants Mutter hieß Annie, gerufen wurde sie allerdings meist bei ihrem zweiten Vornamen, Celia. Wie es damals in den meisten Familien üblich war, kümmerte sie sich um den Haushalt und das leibliche Wohl der Familie. Ihren Sohn, dem sie ihr fröhliches, kehliges Lachen vererbte, nannte sie liebevoll »mein kleiner Halunke«. Die Plants waren Katholiken und erzogen auch ihren Sohn im christlichen Glauben. Später bekamen sie noch ein zweites Kind, eine Tochter, die sie Alison nannten, doch Robert blieb ihr einziger Sohn, auf dem daher alle ihre Hoffnungen ruhten.

Musik hatte immer einen festen Platz im Familienleben, erinnert sich Plant. Sein Großvater hatte in West Bromwich eine Arbeiter-Brassband gegründet und spielte Posaune, Geige und Klavier.

»Auch mein Urgroßvater hatte schon in einer Brassband gespielt«, erzählte er mir. »Eigentlich beherrschte jeder in der Familie irgendein Instrument. Mein Vater konnte auch spielen, tat es aber nie. Diese ganze Hausmusiktradition, um den Ofen zu sitzen und irgendetwas zusammen zu spielen, hörte mit seiner Generation auf. Er war im Krieg gewesen, was ihn sehr zurückgeworfen hatte, und so musste er sich wie viele seiner Zeitgenossen mächtig abrackern, um noch eine Chance zu erhalten, etwas aus seinem Leben zu machen.«

Der Ort, an dem der junge Plant die ersten fünf Jahre seines Lebens verbrachte, lag nur gut drei Kilometer entfernt vom stetig wachsenden Ballungsraum Birmingham, der zweitgrößten Stadt Englands. Einheimische bezeichnen die im Norden und Westen der Stadt gelegene Region als »Black Country«. Dieser Name spielt an auf den beißenden Qualm, der aus den vielen Tausend Fabrikschloten aufstieg, die seit Beginn der Industriellen Revolution im 19. Jahrhundert rund um Birmingham aus dem Boden gestampft worden waren. Charles Dickens beschrieb in Der Raritätenladen, wie sie »ihren Pestqualm ausstießen, das Licht verdunkelten und die trübe Luft verdarben«.

Um 1830 hatte sich das Land, das man später Black Country nannte und das sich über eine Fläche von knapp 340 Quadratkilometer erstreckte, in ein einziges Industriegebiet verwandelt. Grund dafür war das große Kohlevorkommen – das größte des Landes –, das sich hier unter der Erde verbarg. Bergwerke reihten sich an Gießereien und die wiederum an Fabriken. Neben der rein baulichen Industrialisierung bescherte die Schwerindustrie dem Land zudem den Ausbau des Kanal- und Eisenbahnnetzes, weil es nur mithilfe einer – für damalige Verhältnisse – modernen Infrastruktur möglich war, die wertvollen Bodenschätze auch bis in die entlegendsten Regionen des Königreichs zu transportieren.

Auch in den 1950er-Jahren wurde im Black Country noch Kohle gefördert. Ihre Glanzzeiten hatten die Gruben zu jener Zeit allerdings hinter sich. Die Eisen- und Stahlindustrie florierte in der Region noch bis in die 1980er-Jahre hinein, die Glasindustrie ist dort bis heute ansässig. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden in Netherton die Anker und Ketten für die RMS Titanic hergestellt. Die Gläser und feinen Kristalle für das Schiff stammten aus den Glashütten in Stourbridge.

Die Menschen im Black Country rühmen sich dafür, fest zupacken und hart arbeiten zu können. Sie sind zäh und robust und haben ein stoisches Wesen und einen trockenen Humor. Der regionale Dialekt, der noch heute gesprochen wird, lässt sich bis zu den Anfängen des gesprochenen Englischs zurückverfolgen, für Fremde ist er oft völlig unverständlich. Gesprochen klingt er wie ein leichter Singsang und vermittelt vor allem Freude und Belustigung. Ein regionales Sprichwort lautet: »Black Country born, Black Country bread – strong in the arm and thick in the head« (»Im Black Country geboren, im Black Country aufgewachsen – stark im Arm und stur im Kopf.«). Und mit dieser Einstellung zogen viele Menschen von dort in die Welt hinaus.

Die Vorfahren zweier der bekanntesten Revolverhelden des Wilden Westens, Wes Hardin und »Bad« Roy Hill, die zusammengenommen rund 70 Menschen töteten, stammten aus dem Örtchen Lye im Black Country. Ihre Familien brachen von dort aus nach Amerika auf, um in der Neuen Welt ihr Glück zu finden. Ähnlich machten es die Vorfahren von Wyatt Earp, dem berühmten Gesetzeshüter aus dem Wilden Westen, der sich mit der Schießerei am O. K. Corral 1881 einen festen Platz in den Geschichtsbüchern gesichert hat. Sie stammten aus Walsall, einer Stadt, die keine sechs Kilometer von Plants Geburtsort entfernt liegt.

Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, waren die Folgen schon bald auch in der Region zu spüren. Neville Chamberlain, der damalige britische Premierminister, der Hitlers territoriale Machtausdehnung mit seiner Appeasement-Politik indirekt vorantrieb, war der Spross einer großen Politikerdynastie aus Birmingham. Obschon die Briten letztendlich zu den Siegern des Krieges zählten, waren dessen Nachwirkungen im Alltag in England noch bis in die 1950er-Jahre hinein zu spüren. Lebensmittel wie Fleisch und Milchprodukte waren bis 1954 rationiert. Während Plants Kindheit waren die Narben, die die sechs Kriegsjahre in West Bromwich hinterlassen hatten, noch ebenso sichtbar wie in vielen anderen Orten und Städten in Großbritannien. Als Zentrum der britischen Rüstungsindustrie war das Black Country eines der Hauptangriffsziele der deutschen Bomber gewesen. Birmingham und das Black Country lagen zu weiten Teilen in Schutt und Asche, und es war lange noch ganz normal, Blindgänger oder Granatsplitter zu finden.

»Die ganze Region war Anfang der 1950er-Jahre praktisch ein einziges Trümmerfeld«, erinnert sich Trevor Burton, der in Aston, einem nordöstlichen Vorort von Birmingham aufwuchs und Plant in den 1960er-Jahren kennenlernte. »Dieses Trümmerfeld, diese riesigen Schutthaufen und die Ruinen waren unsere Spielplätze.«

Die 50er-Jahre waren in Großbritannien eine Zeit großer Veränderungen. Zu Beginn des Jahrzehnts besaßen die wenigsten Briten ein Fernsehgerät. Und die wenigen, die eines hatten, konnten nur einen einzigen Sender empfangen – in Schwarz-Weiß. Die Krönung von Königin Elisabeth II. am 2. Juni 1953 sorgte für eine rapide Steigerung des Absatzes von TV-Geräten, und gegen Ende des Jahrzehnts besaßen bereits 75 Prozent der britischen Haushalte einen eigenen Fernsehapparat. Darüber hinaus wurden in den 50ern in Großbritannien die ersten Autobahnen fertiggestellt – 1958 die M6 und 1959 die M1. Sie verschafften den ländlichen Regionen einen besseren Anschluss an die Großstädte und sorgten für schnellere und direktere Verkehrsverbindungen zwischen Großstädten wie London, Birmingham, Liverpool und Manchester, wodurch Großbritannien gleich viel dynamischer und weltoffener erschien.

Dennoch verlor das Land auf der internationalen Bühne zunehmend an Einfluss. Die Sueskrise von 1956, bei der die Briten erfolglos versuchten, Ägypten die Kontrolle über den Sueskanal, die es an sich gerissen hatte, wieder zu entreißen, beschleunigte den Zusammenbruch des Empires. Die USA und die Sowjetunion waren die neuen Großmächte. In dem jahrzehntelangen Kalten Krieg der beiden Supermächte musste sich Großbritannien mit der Rolle eines treuen, aber international zunehmend bedeutungslos gewordenen Verbündeten der Amerikaner begnügen.

Auch wenn man nicht mehr als Weltmacht wahrgenommen wurde, was für das Selbstverständnis der Briten eine sehr schmerzhafte und demütigende Erfahrung war, war man doch in erster Linie im ganzen Land erleichtert darüber, dass der Krieg vorüber war, und alle hofften auf eine bessere Zukunft. Die schien mit dem Wirtschaftsboom Mitte der 50er-Jahre, in dessen Folge unter anderem die Gehälter für qualifizierte Arbeitskräfte anstiegen, auch tatsächlich einzutreten. Die vielfältigen Möglichkeiten zum sozialen Aufstieg führten allerdings bald schon zu einem Mangel an nach wie vor benötigten Hilfsarbeitern, dem die nachfolgenden Regierungen durch verstärkte Zuwanderung aus dem Commonwealth Abhilfe zu verschaffen versuchten. Und so kam es, dass mehr und mehr Immigranten in den Stahlwerken, Gießereien und neu eröffneten Automobilfabriken rund um Birmingham arbeiteten und das Black Country sich zur kulturell vielschichtigsten Region des Landes entwickelte. Zu den vielen Iren, die sich bereits lange zuvor in und um Birmingham angesiedelt hatten, gesellte sich nun eine bunte Mischung von Menschen aus Indien, Pakistan und der Karibik.

1957 hatten der wirtschaftliche Aufschwung und mit ihm die Verbesserung der Lebensverhältnisse bereits solche Dimensionen erreicht, dass der konservative Premierminister Harold Macmillan den Briten einen noch nie dagewesenen Wohlstand prophezeite. »Wollen wir doch mal ehrlich sein«, sagte er, »die meisten unserer Bürger haben es im Leben noch nie so gut gehabt.« Die britische Bevölkerung sah das genauso und vertraute darauf, dass es so weiterging, weshalb Macmillan bei der Wahl im Oktober 1959 im Amt bestätigt wurde.

Die Plants waren ein wahres Musterbeispiel für eine aufstrebende mittelständische Familie im Großbritannien der 50er-Jahre. Als Facharbeiter konnte es sich Robert Plant senior bald leisten, mit seiner Frau und seinem Sohn in eines der ländlichen Randgebiete des Black Country zu ziehen. Sie entschieden sich für Hayley Green, einen wohlhabenden Vorort etwa 25 Kilometer von Birminghams Stadtzentrum entfernt.

Ihr neues Heim lag an der Causey Farm Road, einer breiten Straße mit solide gebauten Vorkriegshäusern, die direkt von der Hauptstraße abzweigte, welche von Birmingham in die Satellitenstadt Kidderminster führte. Auf traditionelle Werte wurde in dieser Gegend, in der hauptsächlich höhere Angestellte lebten, viel Wert gelegt. Anders als in West Bromwich gab es ringsum viel Natur und weite Felder. Es war nicht weit bis zum Wyre Forest, und das Naherholungsgebiet Clent Hills grenzte sogar direkt an Hayley Green.

Das fast am Ende der Causey Farm Road gelegene Backsteinhaus mit der Nummer 64 war eines der bescheideneren Gebäude in der Straße. Eine Garage mit einer schmalen Zufahrt gehörte dennoch dazu, ebenso wie der nach hinten raus gelegene Garten, von dem aus man einen freien Blick auf die sanft geschwungenen Hügel der Umgebung hatte. Als Junge gab es für Plant hier jede Menge zu erkunden und zu entdecken: die Hügel, den Wald am Ende der Straße oder das Städtchen Stourbridge mit seiner belebten Einkaufsstraße, das jenseits der Felder hinter dem Gartenzaun lag.

Viele der Dinge, die Plant sein Leben lang interessierten, lernte er hier zum ersten Mal kennen. Clent Hills sowie die kleinen Städte und Dörfer in der näheren Umgebung inspirierten J. R. R. Tolkien zu seiner Fantasywelt Mittelerde. Der Autor der Romantrilogie Der Herr der Ringe und des Kinderbuchs Der Hobbit war in den 1890er-Jahren in dieser Region aufgewachsen. Plant hatte Tolkiens Bücher im Knabenalter verschlungen, und in seinen späteren Songtexten finden sich immer wieder Anspielungen auf dessen fantastische Welten.

In den Sommerferien zog es die Plants, wie so viele andere Familien, aus dem Black Country in den Westen des Landes, nach Wales. Ihr Ziel war der Snowdonia-Nationalpark, eine etwa 2130 Quadratkilometer große, imposante Berglandschaft im äußersten Nordwesten Englands. Hier schien die Geschichte des Landes und der Menschen und die keltische Folklore auf Schritt und Tritt gegenwärtig zu sein, was Plant vor dem Hintergrund der wildromantischen Landschaft als Junge ungeheuer faszinierte.

Er war geradezu verrückt nach walisischen Sagen wie der, die sich um den Cadair Idris rankte, einen Bergrücken am Südende des Nationalparks nahe der von den Plants oft besuchten Ortschaft Machynlleth. Hier soll nicht nur einst der Thron von König Artus gestanden haben, sondern auch der des Riesen Idris. Immer, wenn Idris zur Ruhe kommen wollte, so die Überlieferung, sei er hierher gekommen, um den Anblick des Abendhimmels zu genießen. Der Sage nach soll jeder, der am Cadair Idris übernachtet, am nächsten Morgen entweder als Barde oder als Verrückter aufwachen.

In Machynlleth hörte Plant auch erstmals von dem Mann, der sein größter Volksheld werden sollte, der walisische König Owain Glyndŵr. Nachdem er einen bewaffneten Aufstand gegen die englischen Besatzungstruppen von König Heinrich IV. angeführt hatte, berief Glyndŵr im Jahr 1404 in Machynlleth das erste walisische Parlament ein. Fünf Jahre später wurde der Aufstand allerdings zerschlagen und Glyndŵrs Frau sowie zwei seiner Töchter wurden in den Tower von London gebracht, wo sie wenige Jahre später starben. Glyndŵr selbst entging der Gefangenschaft und kämpfte bis zu seinem Tod 1416 weiter gegen die Engländer.

Trotz solcher faszinierender Erzählungen gab es nichts, was es mit dem Eindruck aufnehmen konnte, den der Rock’n’Roll auf den jungen Plant machte. Wie all seine Altersgenossen wuchs er in einer spröden und von so starren wie lebensfremden Moralvorstellungen geprägten Gesellschaft auf. Kinder wurden zu Gehorsam erzogen, sie sollten folgsam sein und beispielsweise Älteren und Höhergestellten bedingungslosen Respekt entgegenbringen. Dabei wurden sie nicht wie heute als Kinder betrachtet, die eine ganz eigene Entwicklungsphase durchlaufen, sondern wie kleine Erwachsene, was nicht zuletzt auch durch ihre Kleidung und das Benehmen, das man von ihnen erwartete, zum Ausdruck kam. Autoritäten wurden grundsätzlich nicht infrage gestellt, Anpassung und Konformität waren die Norm und das Erziehungsziel.

Das spiegelte sich auch in der britischen Musikszene der 50er-Jahre wider. Es gab für die Generationen keine unterschiedlichen Angebote, weil es auch keine unterschiedlichen Interessen gab. Varieté-shows, Bigbands und Tanztees waren bei Alt und Jung gleichermaßen beliebt. Als sich das Jahrzehnt dem Ende zuneigte, erfreute man sich in englischen Clubs an Traditional-Jazz-Klängen von Stars wie Chris Barber, Acker Bilk und Kenny Ball, deren gediegene Musik so bieder und harmlos war wie die Sitten jener Zeit. In den USA braute sich unterdessen ein kultureller Wirbelsturm zusammen.

Im Sommer 1954 veröffentlichte ein junger couragierter Mann namens Elvis Presley seine erste Aufnahme bei dem aus Memphis stammenden Label Sun Records. Der Titel lautete »That’s All Right« und begründete ein völlig neues Genre. Es war eine Mischung aus dem traditionellen Blues afroamerikanischer Musiker und den Klängen weißer Countrymusik. Rock’n’Roll nannte man den neuen Sound. Er war laut, aufdringlich und ungeheuer aufregend – und er erschütterte das Land wie ein gewaltiges Erdbeben, dessen Ausläufer noch jenseits des Atlantiks zu spüren waren. Auf Elvis folgten Jerry Lee Lewis, Little Richard, Eddie Cochran, Buddy Holly, Gene Vincent und viele mehr. Alles junge Männer, die von einer brennenden Leidenschaft erfüllt waren – und nicht selten auch einen Hauch Verrücktheit auszustrahlen schienen.

1956 reichte schon Elvis’ Hüftschwung bei einem Auftritt in der Ed Sullivan Show aus, um die amerikanischen Sittenwächter auf den Plan zu rufen. Zum ersten Mal wurde dadurch – auf beiden Seiten des Atlantiks – die Kluft zwischen der Eltern- und der Kindergeneration offenbar, der sogenannte Generationenkonflikt. Britische und amerikanische Teenager waren von Elvis’ lasziven Bewegungen im gleichen Maße fasziniert, wie ihre Eltern darüber entsetzt waren.

Gelegenheit, den Rock’n’Roll live zu erleben, bekamen die Menschen in den Midlands erstmals durch einen Auftritt von Bill Haley in Birmingham. 1954 veröffentlichte der aus Michigan stammende Musiker mit »Rock Around the Clock« eine der allerersten Rock’n’Roll-Singles. Mit »Shake, Rattle and Roll« folgte wenig später sogar ein noch größerer Hit. Als Haley im Februar 1957 auf seiner ersten Tour durch Großbritannien nach Birmingham kam, standen die Teenager Schlage vor dem Birmingham Odeon, um Karten für seine Show zu ergattern. Während des Konzerts sprangen sie aus den Sitzen und tanzten wild in den Gängen herum. Dass Haley äußerlich so gar nichts von Elvis’ kraftvoller jugendlicher Ausstrahlung hatte, spielte dabei überhaupt keine Rolle.

Laurie Hornsby, ein Musikwissenschaftler aus Birmingham, erinnert sich: »Der Mann, der Haley an den Southampton Docks, wo sein Schiff angelegt hatte, abholte, war Tony Hall, der damalige PR-Mann von Decca in London. Er erzählte mir, wie er unten an der Gangway stand und plötzlich dieser Rentner über ihm auftauchte, der kaum noch Haare auf dem Kopf hatte. Hall dachte sich: ›Oh Mann, und den Kerl muss ich den britischen Teenagern verkaufen.‹ Aber das war überhaupt kein Problem, die Nachfrage nach ihm war gigantisch.«

Als Elvis seine ersten Erfolge feierte, ging Plant noch zur Grundschule. Er war groß für sein Alter, sah gut aus und hatte dichtes lockiges blondes Haar. Er mag noch zu jung gewesen sein, um die Bedeutung von Elvis’ Sexappeal zu erfassen, doch er war auf Anhieb fasziniert von dessen ungezähmter, markanter Stimme und dem wilden Rhythmus der Musik. Schon mit neun Jahren versteckte er sich hinter dem Sofa im Wohnzimmer seines Elternhauses an der 64 Causey Farm Road und imitierte den King. Während Presley-Songs aus dem Radio dröhnten, hielt er sich als Mikrofonersatz eine Haarbürste vor den Mund und rockte drauflos.

Schon bald entdeckte er auch die Songs von Eddie Cochran und Gene Vincent. Jedes Wochenende schaute er sich zusammen mit seinen Eltern die beliebte Unterhaltungssendung Sunday Night at the London Palladium an. Und in dieser Show sah er als Zehnjähriger im Frühjahr 1958 auch zum ersten Mal Buddy Holly & the Crickets. Holly gab zu dieser Zeit auch Konzerte in den Midlands. Am 7. März gastierte er im Gaumont Cinema in Wolverhampton, drei Tage später gab er sowohl nachmittags als auch abends ein Konzert in der Birmingham Town Hall.

Plant war inzwischen dazu übergegangen, sich eine ähnliche Tolle zu frisieren, wie Elvis und Cochran sie trugen, sehr zum Missfallen seiner Eltern. Zudem hatte er eine zweite neue Musikrichtung für sich entdeckt, die in Großbritannien gerade sehr populär war. Auch sie wurzelte in der afroamerikanischen Musik des frühen 20. Jahrhunderts, im Jazz und im Blues. In den 1920er-Jahren waren sogenannte Jug-Bands im Süden der USA wie Pilze aus dem Boden geschossen. Dabei handelte es sich um Bands, die jugs (dt.: Krüge) oder andere selbst gemachte Instrumente als Bass-Begleitinstrumente verwendeten. Bei seiner Wiederbelebung in Großbritannien 30 Jahre später nannte man dieses Genre »Skiffle«.

Der unangefochtene »King of Skiffle« war Lonnie Donegan, ein gebürtiger Glasgower, der Anfang der 50er-Jahre zunächst mit verschiedenen Trad-Jazz-Bands aufgetreten war. Nachdem er sich selbst das Banjospielen beigebracht hatte, gründete er eine Skiffle-Band, deren Equipment aus billigen Akustikgitarren, einem Waschbrett und einem Teekistenbass bestand. Sie spielten amerikanische Folksongs von Musikern wie Woody Guthrie und Leadbelly. Donegans Aufstieg begann 1955 mit einer schnellen Version von Leadbellys »Rock Island Line«. Diesem Charterfolg folgten 24 weitere Hits, die sich allesamt in den britischen Top 30 platzierten und dafür sorgten, dass Lonnie Donegan bis in die frühen 60er-Jahre gleichbleibend erfolgreich war.

Inspiriert durch Donegans Erfolg und ermutigt durch die simplen Instrumente, die ausreichten, um mit einer Band Musik zu machen, gründeten Hunderte britische Kids ihre eigenen Skiffle-Bands. Eine davon, die sich The Quarrymen nannte, wurde im Frühjahr 1957 in Liverpool von dem 16-jährigen John Lennon ins Leben gerufen. Plant war damals noch viel zu jung und viel zu unerfahren, um überhaupt über eine eigene Band nachzudenken. Doch sowohl der Skiffle als auch der Rock’n’Roll ebneten ihm den Weg hin zur traditionellen afro-amerikanischen Musik, dem Blues. Und diesem Weg folgte er wie ein Pilger, der fest in seinem Glauben ist.

Das, was Plant am Morgen des 10. September 1959 am meisten beschäftigte, war allerdings nicht Musik, sondern seine neue Schuluniform, die er überhaupt nicht ausstehen konnte. Seine Mutter hingegen war verzückt, ihn so adrett gekleidet in seinen kurzen grauen Hosen, den dazu passenden langen grauen Socken, dem weißen Hemd mit rot-grün gestreifter Krawatte und dem grünen Blazer zu sehen. Sie war stolz auf ihren Elfjährigen, der erst kürzlich die Eignungsprüfung für das Gymnasium bestanden hatte.

Und Plant besuchte fortan nicht irgendein Gymnasium, sondern die King Edward VI Grammar School in Stourbridge, die zu den Besten der Region zählte. Für seine Eltern bedeutete sein Besuch dieser angesehenen Institution erhebliche Mehrausgaben, wobei die Nachbarn damit selbstverständlich zu beeindrucken waren. Die Schule war bereits 1430 unter dem Namen Chantry School of Holy Trinity gegründet worden, und zu ihren ehemaligen Schülern zählten so illustre Persönlichkeiten wie Samuel Johnson, der berühmte englische Gelehrte aus dem 18. Jahrhundert. Plant war einer der insgesamt 750 Schüler der Jungenschule, zu deren Traditionen es unter anderem gehörte, die Neuzugänge alljährlich in der Schülerzeitung in einem Artikel mit dem lateinischen Titel »Salvete« willkommen zu heißen.

An seinem ersten Tag an der King Edward VI School versammelte sich Plant mit etwa 90 anderen neuen Schülern auf dem Schulhof. Der Hof war umgeben von einer Reihe roter Backsteingebäude, zu denen auch die Bibliothek gehörte, die über eine imposante Gewölbedecke und beeindruckende Buntglasfenster verfügte. Als die Lehrer, die schwarze Roben und Doktorhüte trugen, schließlich hinzutraten, teilten sie die Neuzugänge in drei Klassen auf. Diejenigen, die herausragende Ergebnisse bei der Eignungsprüfung erzielt hatten und daher von vornherein als geeignete Kandidaten für ein Universitätsstudium betrachtet wurden, kamen in die Klasse 1C. Plant wurde in die mittlere Klasse, 1B, eingestuft.

An der Schule herrschte eine strenge Ordnung und Disziplin, auf deren strikte Einhaltung der Rektor Richard Chambers sehr bedacht war. Chambers war ein hochgewachsener Mann, dessen Hakennase, auf der er stets eine Hornbrille trug, ihm bei den Schülern den Spitznamen »The Beak« (dt.: der Zinken) eintrug. Viele machten sich hinterrücks auch über einen Sprachfehler lustig, der Chambers an einer korrekten Aussprache des Buchstabens »r« hinderte. Im Allgemeinen wurde der Rektor von den Schülern jedoch respektiert und gefürchtet.

»Er war äußerst streng, im Grunde genommen war er ein Sadist«, erinnert sich Michael Richards, einer von Plants Mitschülern. »Wenn man Mist gebaut hatte, zitierte er einen zu sich, sodass es alle mitbekamen. Man musste zu seinem Büro kommen und vor der Tür warten, bis man hineingerufen wurde. Dort wies er einen für das zurecht und bestrafte einen für das, was man ausgefressen hatte, mit vier Stockschlägen auf den Allerwertesten. Danach wurde man zunächst entlassen, musste jedoch nach dem Unterricht noch einmal zu ihm. Man hatte also den ganzen Tag Zeit, über sein Vergehen nachzudenken. Am Ende des Tages musste man die ganze Prozedur dann noch einmal über sich ergehen lassen.«

Plant war in vielerlei Hinsicht ein typischer Gymnasiast. Er sammelte Briefmarken und spielte in den Wintermonaten Rugby. Fußball wurde an der King Edward VI School nicht gespielt. Selbst auf dem Schulhof waren Fußbälle nicht erlaubt. Einige Jungen, darunter auch Plant, kickten in den Pausen allerdings gern mit einem Tennisball, wobei sie sich mit ihren Blazern behelfsmäßige Tore bauten. In seinem zweiten Jahr an der King Edward VI School wurde Plant von seinem Klassenlehrer zum Klassenaufseher der 2B bestimmt, was bedeutete, dass er so verantwortungsvolle Aufgaben wie das Tafelputzen übernehmen musste oder auch dafür zuständig war, sich im Lehrerzimmer zu melden, wenn ein Lehrer nicht zum Unterricht erschienen war.

Was Plant von den anderen unterschied, war sein großes Faible für die Musik und sein Habitus. Üblicherweise lief er in der Schule mit einem Packen Platten unter dem Arm herum, wobei es sich in der Regel um Elvis-Scheiben handelte. Außerdem eignete er sich den für Elvis typischen Gang mit nach innen zeigenden Fußspitzen an.

»Rob war ein verdammt guter Elvis-Imitator«, erinnert sich Gary Tolley, der in der Klasse direkt neben Plant saß. »Er war ein riesiger Elvis-Fan – ich meine natürlich den frühen Elvis, nicht den Entertainer, den Presley seit G. I. Blues gab. Er stand auch auf Eddie Cochran. Er hatte sich genau dieselbe Tolle zugelegt. Wenn man wissen will, wie Robert damals aussah, muss man sich nur die Fotos angucken, auf denen Cochran seitlich aus den Augenwinkeln heraus in die Kamera blickt. Genau so war Robert damals.«

Plant und Tolley, der damals gerade Gitarre spielen lernte, gehörten an der Schule zu einer Clique von Jungs, die sich alle für Musik interessierten. Zu ihrer Runde zählten auch ihr Klassenkamerad namens Paul Baggott und der angehende Drummer John Dudley. Die vier rühmten sich, immer als Erste die angesagtesten neuen Platten zu kennen und zu wissen, wann Stars wie Cochran oder Gene Vincent in der näheren Umgebung auftraten.

»Ich möchte jetzt wirklich nicht rumstrunzen, aber wir waren damals ziemlich beliebt an der Schule«, erinnert sich Dudley. »Die anderen Kids sahen zu uns auf, weil wir ein paar Dinge wussten, von denen sie keinen blassen Schimmer hatten. Robert war ein netter Kerl, aber auch sehr von sich eingenommen. Keine Frage: Er war ziemlich hochnäsig. Das ist er immer gewesen. Die Zeiten der Teddy Boys waren damals schon vorbei, aber er trug immer noch einen Gehrock und so ein Zeug. Eine Menge Leute hielten ihn für arrogant, weil schon seine ganze Körpersprache etwas Überhebliches hatte.«

»Rob war ein gutaussehender Kerl, der irgendwie immer im Mittelpunkt stand«, fügt Tolley hinzu. »Er hatte dieses gewisse Etwas. Charisma nennt man das wohl. Die katholischen Schüler hatten damals ihren eigenen Frühgottesdienst. Danach versammelte sich die ganze Schule in der Aula. Wenn Robert reinkam, mit seiner Tolle und seinem hochgestellten Kragen, zog er sofort die Blicke aller Lehrer und Präfekten auf sich. Er trug zwar seine Schuluniform, sah aber trotzdem nie aus wie alle anderen.«

Plant und Tolley wurden enge Freunde. Nach der Schule gingen sie gemeinsam ins Jugendzentrum, um Tischtennis oder Billard zu spielen, wobei Plant seine Elvis- oder Cochran-Singles auflegte. Da Plant wie sein Vater ein Faible fürs Radfahren hatte, schnappten sich die beiden Freunde zudem oft ihre Rennräder und machten Touren durch die Midlands.

»Roberts Vater kannte jemanden beim hiesigen Fahrradclub. Ich weiß noch, wie ich mit Rob in einem Velodrom in der Nähe von Stourbridge war, wo wir ständig im Kreis rumfuhren, und dachte, wir seien die Größten«, so Tolley. »Er kam mich oft besuchen, immer wenn wir gerade aßen. Wenn wir uns abends zum Radfahren verabredet hatten, kam er etwa eine Dreiviertelstunde zu früh vorbei. Meine Mutter sagte dann immer: ›Wir haben noch ein paar Reste vom Abendessen übrig, magst du vielleicht etwas davon haben?‹ ›Oh ja, gerne Mrs. Tolley.‹«

»Er war sonntags oft bei uns zum Tee«, sagt John Dudley. »Er war immer sehr höflich, fragte meine Mutter, ob er ein Marmeladenbrot haben könne und so. Von der sozialen Schicht her betrachtet, rangierten seine Eltern ganz klar eine Stufe über meinen. Mein Vater war ein Eisenbahner, Robs Vater war, glaube ich, Architekt. Das Haus, in dem sie lebten, war um einiges besser als unseres. Rob stammte also keineswegs aus ärmlichen Verhältnissen.«

Solange ihr Sohn seine schulische Laufbahn nicht vernachlässigte, tolerierten Plants Eltern dessen Leidenschaft für den Rock’n’Roll, auch wenn sein Vater, der zu Hause meist Beethoven hörte, dieser Musik nichts abgewinnen konnte. 1960 bekam er von seinen Eltern seinen ersten Plattenspieler geschenkt, einen rotweißen Dansette Conquest Auto. Als er den Deckel öffnete, lag auf dem Plattenteller die Single »Dreaming« von dem amerikanischen Rockabilly-Sänger Johnny Burnette. Von seinem ersten Plattengutschein kaufte Plant sich die Miracles-Single »Shop Around«, die Berry Gordys aufstrebendem Motown-Label den ersten Riesenhit in den USA bescherte.

Nach und nach taten sich für die Zukunft des damals Elfjährigen ganz neue Möglichkeiten auf. Was nicht zuletzt auch daran lag, dass die Macmillan-Regierung 1960 die damals in Großbritannien noch herrschende allgemeine Wehrpflicht abschaffte. Wirklich ermessen, was das für ihn bedeutete, dass ihm zwei Jahre Militärdienst erspart bleiben würden, konnte Plant zu diesem Zeitpunkt freilich noch nicht. Jedenfalls kam er, auch ohne dass in ferner Zukunft militärischer Drill und entsprechender Kurzhaarschnitt drohten, der Bitte seiner Mutter nach, sich die üppige Haartolle zu stutzen – wenn auch widerwillig.

Und dann waren da noch wir, gebildete Wunderkinder, die was erleben wollten.

KAPITEL 2
TEUFELSMUSIK

Als 1962 Plants drittes Schuljahr am Gymnasium begann, hatte die Musik all seine anderen Interessen komplett in den Hintergrund gedrängt. An dieses wilde, überwältigende Gefühl, das er zum ersten Mal empfunden hatte, als er seinen ersten Elvis-Song hörte, kam nichts heran. Die seichten Unterhaltungssendungen im britischen Fernsehen konnten da beim besten Willen nicht mithalten, und der einzige Radiosender, auf dem was lief, was ihn packte, war Radio Luxemburg. Hier hörte er auch Nummern von Chris Kenner, einem schwarzen R&B-Sänger aus New Orleans, die seine musikalische Entwicklung mitprägten.

»Als Jugendlicher hatte man damals nichts, an das man sich klammern konnte«, erzählte er mir. »Hin und wieder spielten sie im Radio mal was von dem einen oder anderen Star, aber das war überhaupt kein Vergleich dazu, wie es in Amerika war. Da musste man den Drehregler für den Sendersuchlauf nur ein klitzekleines bisschen weiter nach rechts drehen und schon empfing man einen schwarzen Musiksender.

Wir Briten waren, was die Musik angeht, ziemlich zurückgeblieben. Zu behaupten, dass wir den Blues nach Amerika zurückgebracht hätten, ist völliger Humbug. Leute wie John Hammond, Canned Heat, Bob Dylan, Mike Bloomfield, Elvin Bishop und viele andere hatten diese Musik schon längst selbst gespielt. Die Amerikaner hatten ein ganz anderes Bewusstsein und ein ganz anderes Verhältnis zur Musik als wir. Da drüben war unglaublich viel im Gange, doch als Brite bekam ich davon nur sehr, sehr wenig mit. Den Sachen, die mich begeisterten, wurde hier nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt.«

Eine halbe Million Afroamerikaner wurde im Zweiten Weltkrieg als Soldaten nach Europa geschickt. Sie waren es, die die ersten Bluesplatten nach Großbritannien brachten. Bald konnten Sammler diese Schätze auch in Spezialgeschäften erwerben – alte 45er-Singles und 78er-Schellackplatten, die von Interpreten mit so bedeutungsvollen Namen wie Muddy Waters, Howlin’ Wolf, Memphis Minnie und Blind Lemon Jefferson eingespielt worden waren. Ihre Lieder waren so etwas wie der gesammelte Erfahrungsschatz der Afroamerikaner, es ging um Sklaverei und Armut, aber auch um Liebe und um die Freuden des Trinkens oder das Elend des Saufens.

Das war Volksmusik in ihrer reinsten und ungeschliffensten Form, die Wiege des Zwölftaktschemas des klassischen Rock’n’Roll. Für Plant und viele andere britische Jugendliche seiner Generation war das die Entdeckung. Ironischerweise war es ein Engländer, der Plant mit der Welt des Blues erst so richtig vertraut machte. Nachdem der Rock’n’Roll und das bisschen Bluesmusik, die er im Radio aufgeschnappt hatte, sein Interesse geweckt hatten, stieß er auf ein Buch mit dem Titel Blues Fell This Morning – Die Bedeutung des Blues von Paul Oliver. Oliver war ein Geisteswissenschaftler aus Nottingham, der die Geschichte des Blues sehr trocken und akademisch abhandelte. Plant ließ sich davon jedoch nicht abschrecken. Er sog alle Informationen begierig auf, und während er las, notierte er sich die Titel von all den Platten, die Oliver in seinem Buch erwähnte. Es war geradezu eine weitere Offenbarung für ihn, als er herausfand, dass ein Plattenladen in Birmingham all diese Kostbarkeiten – und noch etliche andere – führte.

The Diskery hieß der 1952 von einem eingefleischten Jazzfan namens Morris Hunting eröffnete Laden, der sich bis heute nicht über zu wenig Kundschaft beklagen kann. 1962 befand sich das Geschäft an der Hurst Street, einer kleinen Seitenstraße nur wenige Gehminuten von Birminghams Hauptbahnhof entfernt. Die Regale in dem engen, kleinen Laden waren vom Boden bis zur Decke mit seltenen Importplatten gefüllt, die The Diskery bald zu einem Mekka für alle ambitionierten Musiker jener Zeit machte. Einer der Mitarbeiter war ein in Birmingham und Umgebung bekannter schwarzer DJ namens Erskin T, dem es eine Herzensangelegenheit war, die Kundschaft für frühe Blues- und R&B-Aufnahmen oder neue Motown-Scheiben zu begeistern.

»An unserer Schule gab es rund 20 Jungs, die total auf amerikanische Musik abfuhren, diesbezüglich war Robert also kein Einzelfall oder eine Ausnahmeerscheinung«, erzählt Gary Tolley. »Er interessierte sich allerdings mehr als alle anderen für Originalaufnahmen. Vor dem großen Erfolg der Beatles gab es in Großbritannien eine Menge Musiker, die die amerikanischen Originale mehr schlecht als recht kopierten. Wir fuhren alle zum Plattenladen nach Birmingham, aber Rob und Paul Baggott waren diejenigen, die ganz erpicht darauf waren, die Originalversionen zu bekommen.«

Um sich die Platten überhaupt leisten zu können, trug Plant jeden Morgen vor dem Unterricht Zeitungen aus. Von dem Geld, das er damit verdiente, kaufte er sich LPs wie John Lee Hookers Folk Blues oder Robert Johnsons King of the Delta Blues Singers. Gerade das letztgenannte Album beeindruckte ihn nachhaltig.