cover

Über die Autoren:

Sabersky.tif Annette Sabersky ist Ernährungswissenschaftlerin und Journalistin. Sie arbeitete jahrelang für Öko-Test und beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit der Qualität von Lebensmitteln. In Ihrem Blog bio-food-tester.de nimmt sie wöchentlich Bioprodukte unter die Lupe. Sie lebt mit ihren zwei Kindern in Hamburg.

Zittlau.tif Der Soziologe und Sportmediziner Dr. Jörg Zittlau arbeitet als freier Wissenschaftsjournalist mit dem Schwerpunkt Ernährung und Naturheilverfahren. Er lebt mit seiner Familie in Bremen.

Annette Sabersky

Dr. Jörg Zittlau

Echte Wurst
hat kein Gesicht

Wie Kinder wieder Spaß
an gutem Essen finden

WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN

Originalausgabe 2/2014

Copyright © 2014 by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Redaktion: Sabine Jürgens

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN: 978-3-641-09829-2

Inhalt

Vorwort: Nehmen Sie die Ernährung Ihrer Kinder selber in die Hand!

Kapitel 1: Von klein auf Gourmet: Der menschliche Geschmack ist eine Wundertüte

Kapitel 2: Sweet Temptation: Warum Kinder scharf auf Süßes sind

Kapitel 3: Radieschen, rück ein Stück: Wo ist all das Bittere hin?

Kapitel 4: Die Bunten ins Wägelchen: Wie Eltern und Kinder zum Kaufen verführt werden – und wie man dem widersteht

Kapitel 5: Currywurst oder Gratin? Was Kinder wirklich brauchen – und was nicht!

Kapitel 6: Bio-Klasse statt Masse: Wie man gute Lebensmittel erkennt

Kapitel 7: Ja, meine Suppe ess’ ich: Die besten Rezepte für die schnelle Küche

Kapitel 8: Fühlen wie’s schmeckt. Wie Kinder genussvoll essen lernen

Kapitel 9: Lexikon der gesunden und ungesunden Kinderernährung: Von A wie Abziehbildchen bis Z wie Zutatenliste

Anhang. Mit Briefe und Siegel: Übersicht der seriösen Biozertifizierungen

Vorwort: Nehmen Sie die Ernährung Ihrer Kinder selber in die Hand!

Grandioser PR-Effekt

Achtung, Achtung: Die Lebensmittelfirmen tun was für die Gesundheit unserer Kinder! Kraft Foods sponsert seit Jahren einen Spendenlauf, bei dem Schüler sich schön austoben und zugleich Geld einsammeln – für SOS-Kinderdörfer. Drum herum gibt es eine Aktionswoche, in der die Schüler etwas über gesunde Ernährung lernen. Nestlé hat zusammen mit der Stiftung Lesen die Aktion »Klasse isst Klasse« ins Leben gerufen. Bei diesem Wettbewerb können Schüler Punkte sammeln für gesundheitsförderndes Verhalten, eben gesundes Essen und Bewegung. Dr. Oetker stellt Unterrichtsmaterialien für Schüler zum Thema Backen, Desserts und Selbstgemachtes bereit, veranstaltet Backkurse und spendiert auch die dazu passenden Rezepte. Die Flockenfirma Kölln hat eine Unterrichtsmappe für Grundschulen zusammengestellt, in der Kinder alles über ein gesundes Frühstück lernen. Und die Sisi-Werke, Hersteller der »Capri-Sonne«, bietet Unterrichtsmaterial unter dem Titel »Fit, fair und schlau« an, das die Themen Ernährung, Bewegung und soziale Kompetenz behandelt.

Doch warum tun sie das? Das Engagement kommt an: 4600-mal wurden die Oetker-Rezepthefte per Post angefordert und 13 000-mal im Internet runtergeladen. 75 000 Schüler nahmen bisher an der Aktion von Nestlé und der Stiftung Lesen zum gesunden Essen teil, 75 Prozent würden dies auch wieder tun. Und 420 000 Kinder sind in den vergangenen zehn Jahren für Kraft Foods joggen gegangen und nahmen die Ess-Infos rund ums Thema Ernährung mit nach Hause. All diese Aktionen haben jedoch nichts mit Schulbildung zu tun. Sie sind grandiose PR. Denn ganz nebenbei, ob beim Laufen, Backen oder Bilderausmalen, wird kräftig Appetit auf die Marke gemacht. Die Shirts, die Kraft Foods den Läufern zur Verfügung stellte, ziert das Firmenlogo. Das begleitende Unterrichtsmaterial leuchtet den Kindern in Milka-Lila entgegen. Auch das Back- und Rezeptmaterial von Dr. Oetker trägt ein fettes Logo. In den Unterrichtsblättern von Kölln-Flocken zum Thema gesundes Frühstück, stößt man beim Sichten der einzelnen Arbeitsblätter auf Bilder von Haferflocken und »Flecks«, allesamt Kölln-Produkte. Und bereits auf dem Cover des Sisi-Materials prangt das »Capri-Sonne«-Label.

Doch gerade diese Firmen sind es auch, die all die ungesunden Lebensmittel mit viel Werbebrimborium auf den Markt werfen. Ob Smacks, Quark zum Quetschen, Fleckenpudding oder Joghurt mit Knisterperlen, Bärchenwurst oder Kinderchips, viele Produkte, die für Kinder gedacht sind, enthalten zu viel Fett, Zucker oder Salz – und bereiten damit den Boden für Übergewicht und Fettsucht. Schon 15 Prozent der Kinder wiegen zu viel. Ein Teil ist sogar fettsüchtig.

Kinder sollen von ihren Eltern lernen

Wir sollten also nicht Nestlé, Kraft, Kölln und all den anderen Foodmakern überlassen, was Kinder über gutes Essen und Trinken lernen. Dies gehört in die Hände der Eltern. Sie und nicht Lebensmittelfirmen sollten ihnen zeigen, wie gesundes und genussvolles Essen geht. Nicht bei Dr. Oetker, sondern bei Mama und Papa oder auch bei Oma sollte der Nachwuchs lernen, mit Töpfen, Pfannen und Backformen zu hantieren. Später können Kindergärten und Schulen dazukommen, vorausgesetzt sie arbeiten nicht mit gesponserten Materialien. So lässt sich ein guter Grundstein für ein gesundes Essverhalten legen.

Es ist gar nicht so schwer, Kinder von klein auf an gutes Essen und Trinken jenseits von Fertigpackungen, Tiefkühlpizza und Gläschenkost heranzuführen. Und sie profitieren gleich mehrfach. Das beginnt schon mit dem Stillen. Kinder, die Muttermilch erhalten, werden nicht nur mit allem versorgt, was sie zum Wachsen und Gedeihen benötigen. Sie werden auch viel offener gegenüber neuen und ungewohnten Geschmackserlebnissen. Denn die Aromen, die die Mutter über Gemüse und Obst, Fisch, Fleisch und Joghurt zu sich nimmt, gehen in die Muttermilch über und werden somit ans Baby weitergeben. Darum sind gestillte Kinder oft die besseren Esser, denn sie akzeptieren auch herzhafte, bittere, saure und scharfe Lebensmittel. Später, mit der ersten Beikost, ist der selbst gekochte Brei das Essen der Wahl. Denn er schmeckt frischer, aromatischer und urtümlicher als die Mahlzeit aus dem Gläschen. Das wird schließlich wie eine normale Konservendose stundenlang gegart, damit es ewig und drei Tage haltbar ist. In der Schule sind Pausenbrot und Obst die bessere Wahl gegenüber Kids-Frühstückskeksen, Milchschnitte und »Bifi«. Denn Stulle und Obst liefern genügend Vitamine und Nährstoffe für einen Fünf-Stunden-Schultag.

Schmecken lernen macht schlau & Kochen macht Spaß

Wenn Kinder natürlich essen und schmecken lernen, dann ist das eine Bereicherung fürs ganze Leben. Sie akzeptieren unverfälschte Lebensmittel viel besser und können sie genießen – und so dem Knistern der Chipstüte und dem »Ratsch« beim Aufreißen einer eingeschweißten Wurst leichter widerstehen.

Doch gutes Essen kann noch viel mehr: Es macht schlau. Werden die Aromen und Geschmacksstoffe mit der Zunge erfühlt und erfasst, dann wird auch das Gehirn ständig gefordert. Denn es muss alle Geschmackseindrücke erkennen, zuordnen und verarbeiten. Die Kindergehirne werden also dauerhaft herausgefordert, trainiert und geschult.

Kinder auf diesem sinnlichen Weg zu begleiten macht Spaß – und ist wichtig. Aber aufwendig ist es nicht. Selbst wenn der Tag randvoll mit Terminen ist, lässt sich das Essen- und Schmeckenlernen in den Alltag einbauen. Aber bitte veranstalten Sie keine großen Kochevents! Es reicht schon, wenn man den Nachwuchs mit auf den Wochenmarkt nimmt und ihn an allem Möglichen schnuppern, einen Apfel, eine Karotte oder ein knackfrisches Bauernbrötchen probieren lässt. Man sollte einfach einen festen Kochtag einplanen, an dem das Kind mit einem der Elternteile Zeit in der Küche verbringt, empfiehlt der Familientherapeut Jesper Juul. Oft genügt es auch, wenn das Kind beim Zusammentragen der Zutaten hilft, wenn es Tomaten schneidet oder auch einfach nur dabeisitzt und ein Bild malt, während Mama und/oder Papa köcheln. Hauptsache, es ist mit von der Partie – und bekommt den Duft des Essens mit auf seinen (Lebens-)Weg.

Wir möchten dabei helfen, dass Kinder von Anfang an einen sinnlichen Umgang mit Essen und Trinken lernen. Deshalb ist es wichtig zu verstehen, wie der menschliche Geschmacksinn überhaupt funktioniert und wie man ihn frühzeitig trainieren kann (Kapitel 1).

Wir enttarnen aber auch die Raffinessen und Tricks, mit denen die Lebensmittelindustrie versucht, die Geschmacksknospen schon jüngster Kinder zu dirigieren – und wir zeigen Ihnen, wie man verhindern kann, dass die Kinder diesen Rattenfängerstrategien auf den Leim gehen (Kapitel 4).

Doch unser Buch wendet sich nicht nur an Eltern mit kleinen Kindern. Die Frage ist, was sich machen lässt, wenn das Kind bereits, oft ganz unwissentlich, in den Brunnen gefallen ist. Denn auch das ist möglich: dem Fertigessen wieder abzusprechen. Gerade Kindern fällt dies viel leichter als Erwachsenen, schließlich sind sie noch nicht so eingefahren und festgelegt, und es besteht eher die Möglichkeit, ungünstige Ernährungsgewohnheiten zu korrigieren. Ein schöner Weg ist, zu fühlen, wie es schmeckt (Kapitel 8).

Wir zeigen Ihnen außerdem, mit welchen Lebensmitteln sich ein gesundes und leckeres Essen zubereiten lässt, wo man sie kaufen kann und wie man sie erkennt (Kapitel 6).

Und schließlich gibt es Antworten auf die wichtigsten Fragen rund um die Kinderernährung – sowie einfache und gesunde Rezepte, die schnell auf dem Tisch stehen, lecker sind und auch Suppenkaspern schmecken (Kapitel 7).

Denn wie sagte schon der deutsche Schriftsteller Karl von Holtai: »Die Theorie träumt, die Praxis belehrt.«

Annette Sabersky und Jörg Zittlau