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Über dieses Buch:

Hannes Rieder ist eine schillernde und umstrittene Figur, eiskalter Lebemann und Oberbürgermeister von Salzburg. Nach heftigen internen Streitigkeiten seiner Partei trifft er Vorbereitungen für ein Bündnis mit den Sozialisten. Doch dann erhält er Drohbriefe, sein Sommerhaus wird niedergebrannt und zwei enge Freunde Rieders werden ermordet. Peter Zoff vom Landeskriminalamt Graz nimmt die Ermittlungen auf …

Über den Autor:

Hans-Peter Vertacnik, Jahrgang 1957, ist im Hauptberuf Bezirkspolizeikommandant. Außerdem ist er als Kommunikations- und Medientrainer sowie als Autor tätig.

Von Hans-Peter Vertacnik erschienen bereits bei dotbooks in seiner Peter-Zoff-Reihe »Abfangjäger: Ein Fall für Peter Zoff - Band 1« und »Ultimo: Ein Fall für Peter Zoff - Band 2«, die auch im Doppelband unter dem Titel »Abfangjäger & Ultimo« erhältlich sind. Außerdem veröffentlichte er den Stand-Alone-Thriller »Rosentod«.

Die Website des Autors: www.vertacnik.com

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Überarbeitete eBook-Neuausgabe April 2013

Dieses Buch erschien bereits 2008 unter dem Titel »Ultimo. Zoffs zweiter Fall« bei Gmeiner.

Copyright © der Originalausgabe 2008 Gmeiner Verlag

Copyright © der überarbeiteten Neuausgabe 2013 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nicola Bernhart Feines Grafikdesign, München, © artburger – Fotolia.com

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (kb)

ISBN 978-3-95520-133-3

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Hans-Peter Vertacnik

Ultimo

Ein Fall für Peter Zoff

dotbooks.

Der vorliegende Roman ist fiktiv.

Daher sind Ähnlichkeiten mit lebenden

oder toten Personen rein zufällig und unbeabsichtigt.

Der Autor

Ultimo

Der aus dem Italienischen stammende Begriff steht für abschließend, als Letztes, endgültig.

Schulden wurden stets zu ultimo eingetrieben.

Seit Jahrhunderten versteht man unter diesem Wort also jenen Tag, an dem man zur Kasse gebeten wird.

Den Zeitpunkt der Abrechnung.

Vorwort

Österreich ist eine demokratische Republik, bestehend aus den neun Bundesländern Wien, Burgenland, Niederösterreich, Oberösterreich, Steiermark, Kärnten, Salzburg, Tirol und Vorarlberg.

Hauptstadt des Bundeslandes Salzburg ist die Festspielstadt Salzburg, die, im Herzen der Alpenrepublik gelegen, als Mozarts Geburtsort weltweite Bekanntheit genießt.

Der Stadtregierung steht ein Bürgermeister vor. In diesem Roman übt diese Funktion ein Oberbürgermeister aus, der in Wirklichkeit nicht existiert.

Der Autor

Kapitel 1

»Unser Leben besteht, wie die aus dem Gegensätzlichen gefügte Harmonie der Welt, aus ungleichen Tönen, schönen und rauen, hohen und tiefen, sanften und schweren. Was wäre der Musiker, der nur die einen liebte? Er muss mit allen spielen und alle mischen, so wie wir das Gute und das Üble, das beides unserem Leben wesenseigen innewohnt.«

(Michel de Montaigne, Über die Harmonie, Essais, Buch III)

***

Ein laue Oktobernacht.

Hier, abseits der mondänen Festspielstadt Salzburg, ist es ruhig und die Luft ist rein und klar wie die Seele eines Kindes.

Das Anwesen steht auf einer sanft abfallenden Landzunge zwischen der verkehrsarmen Regionalstraße, einem breiten Laubwaldgürtel, etwas Buschland und dem See. Landseitig ist es durch einen zwei Meter hohen Maschendrahtzaun geschützt, gleich nach dem Zaun ist das Gelände nur noch mit niedrig geschnittenem Gras bewachsen und bei Tageslicht gut zu überblicken.

Die Straße kommt in einer sanften Rechtskurve von Norden her, und der Asphalt ist erst im Vorjahr neu aufgetragen worden. Die Zufahrt erfolgt durch ein mit Kameras und Alarmanlage gesichertes Tor und mündet in einen befestigten Platz mit niedrigen Garagen und einem hässlichen Geräteschuppen. Dahinter geht es links über einen Kiesweg zum nordwestlich gelegenen Bungalow des Verwalters.

Das Haupthaus mit dem Schwimmbecken an der dem See abgewandten Seite liegt ein gutes Stück weiter südlich vom See. Es ist niedrig, hat einen quadratischen Grundriss, einen hüfthohen Sockel aus behauenem Granit und darüber weiß gekalktes, feinkörniges Mauerwerk. In der großen Wohnhalle, der Küche, dem Schlafzimmer und den vier Fremdenzimmern ist es im Sommer angenehm kühl, und tagsüber erinnert einen der Blick auf den See an manche Gegenden Südtirols.

Der Badeplatz neben dem Anlegesteg ist etwa 20 Meter breit, gegen Norden zu ein wenig steinig, zur Seeseite hin aber doch sandig. Bei Tageslicht kann man diesen eigenartig weißen Sand auch noch im Wasser sehen, das dann an dieser Stelle grün ist und glasklar. Das Ufer ist seicht und der Grund des Sees fällt eine Weile lang nicht besonders steil ab. Erst nach 50 Metern wird das Wasser plötzlich sehr blau und der See tief.

Jetzt glänzen die Fluten pechschwarz. Der abnehmende Mond hat sich hinter die Wolken verzogen, und der Wind bläst landeinwärts. Zwar taucht der auf einem Garagendach montierte Scheinwerfer das massive Eingangstor und ein gutes Stück Straße noch in gleißendes Licht, aber dafür verliert sich der Rest des Geländes in völliger Finsternis.

Der Angriff erfolgt weit nordöstlich aus einem halb verdorrten Ginsterbusch heraus, mit einer über einen Aluminiumpfeiler geworfenen Strickleiter über den Zaun, und die schwarz gekleidete, maskierte Gestalt mit dem schwarzen Alpinrucksack auf dem Rücken braucht keine Minute, um die Absperrung zu überwinden. Die Annäherung an den Schuppen hingegen erfolgt langsam, mit großer Vorsicht und unter Berücksichtigung der Windrichtung. Der schwarze Schäferrüde hat seinen Schlafplatz auf der dem Wasser zugewandten Seite und liegt zusammengerollt unter dem Fenster. Immerhin erwacht er aus seinem Schlummer und knurrt sogar, bleibt aber sonst ohne jeden Argwohn. Die ihm durch die offene Eingangstür zugeworfene Knackwurst frisst er still, mit der bei solchen Tieren üblichen Gier. Keine zwei Minuten später ist der Köter tot.

Ein Käuzchen schreit. Vom See her stinkt es nach nassem Holz und Brackwasser. Sicherheitshalber wartet die dunkle Gestalt noch eine Weile, bevor sie den Schuppen betritt, ihren Rucksack abstellt, den Kadaver aufnimmt, ihn über den Rasen zum Swimmingpool schleppt und an der breiten Römertreppe vorsichtig ins Wasser gleiten lässt. Anschließend huscht sie leichtfüßig zurück, holt den Rucksack und trägt ihn bis dicht ans Haupthaus. Jeder der beiden Benzinkanister im Rucksack fasst fünf Liter. Das Schlafzimmerfenster ist gekippt, und der Stutzen des Behälters passt exakt in den breiten Spalt, durch den der Raum belüftet wird. Das leise Plätschern, mit dem der Kraftstoff ins Zimmer rinnt, hat etwas Leichtes, Spielerisches. Es klingt, als fülle man ein Wasserglas.

»Hannes?«, meldet sich zaghaft eine Mädchenstimme aus dem dunklen Raum. Sekunden später hustet jemand, und irgendetwas raschelt.

Das Leeren des zweiten Kanisters gleicht dem Geprassel heftigen Regens. Wieder flüstert das blutjunge Ding den Namen des Mannes im Bett neben ihr.

Der antwortet mit einem verschlafenen Grunzen.

Ob er Benzin im Haus habe, fragt sie.

Er versteht nicht.

Sie sagt, es stinke danach, doch der Oberbürgermeister schläft schon wieder, und ihre Freundin rechts neben ihm pennt auch, als gebe es kein morgen. Nervös richtet sich die Kleine auf. »Hallo?« fragt sie mit zitternder Stimme. »Ist da jemand?«

Da. Wie ein Glühwürmchen segelt ein brennendes Streichholz ins Zimmer.

»Raus hier!«, schreit das Mädel.

Zu spät.

Augenblicklich lodern Flammen auf.

***

Was für ein ruhiger, heller Morgen. In Jeans und weißem Sommerhemd lenkt Peter Zoff das amerikanische Cabriolet den sanft abfallenden Hügel hinab. An beiden Straßenrändern parken Autos. Die Sonne scheint, aber ein lauer Westwind macht die Hitze erträglich. Im Radio läuft eine Scheibe von John Lennon. Zoff dreht lauter und singt mit, als das Klavier wieder einsetzt.

Nach der sanften Rechtskurve fällt die Straße steiler ab, wird breiter und schnurgerade, und vor den Einfamilienhäusern und Villen links und rechts sieht er gepflegte Gärten, in denen noch Blumen blühen.

Gleich nach der Stelle, wo das Gelände flach und die Besiedlung dichter wird, kommt ihm ein dunkler Alfa Romeo entgegen, fährt vorbei, hält an und wendet. Zoff beobachtet das Fahrmanöver im Rückspiegel. Der Sekretär des Innenministers sitzt am Steuer, der Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit hockt daneben, streckt die Zunge raus und droht Zoff mit geballter Faust.

Der Alfa folgt Zoffs Wagen.

Was die beiden wohl in dieser Gegend zu suchen haben? Zoff beschleunigt das Cabrio und spürt, wie ihm übel wird. Kein Wunder, dass sich sein Magenleiden meldet, wenn ihn diese Leute jetzt sogar schon in seiner Freizeit belästigen.

Da erregt eine schlanke junge Frau auf dem Gehsteig seine Aufmerksamkeit. Sie trägt ein hautenges rotes Kleid und liest anscheinend etwas von einer Plakatwand ab, denn sie kehrt ihm den Rücken zu. »Marlene?« Sie reagiert nicht.

Aufgeregt stellt Zoff den Wagen ein paar Meter weiter in einer Parklücke ab und steigt aus. »Marlene? Wo bist du?« Weg. Keine Spur mehr von ihr. Verzweifelt läuft er den Gehsteig auf und ab, suchend, rufend. Da bläst ihm der Wind einen Zettel vor die Füße. Eine Nachricht? Aufgeregt bückt er sich und hebt das zerknüllte Blatt vom Boden auf.

»Mit Wirkung vom 15. September wird Oberstleutnant Peter Zoff vom Landeskriminalamt Graz für die Dauer von drei Monaten dem Bundesministerium für Inneres dienstzugeteilt«, zitiert er laut. »Der Genannte hat sich am 15. September um 8 Uhr im Büro für Interne Angelegenheiten in Wien zur Dienstleistung zu melden. Rückreisetag zur Stammdienststelle nach Graz ist der 16. Dezember.«

Ein kurzer Blick über die Schulter. Seine Verfolger stehen keine 30 Meter hinter ihm.

»Da ist er«, schreit der Ministersekretär und deutet auf Zoff. »Der Mann ist störrisch. Er pariert nicht.«

Einer plötzlichen Eingebung folgend, überquert Zoff die Straße, schlängelt sich zwischen abgestellten Autos hindurch, eilt über einen Parkplatz, quert eine schmale Parkanlage und rennt endlich los.

»Marlene?« Mit rasselndem Atem hetzt er an einer monumentalen Kirche vorbei, biegt rechts ab und saust die Straße hinunter, wo er keine 200 Meter weiter undeutlich die schlanke Silhouette eines weiblichen Wesens entdeckt.

»Marlene?«, schreit er, »Marlene!« Keine Antwort. »Warte!«

Die Frau geht einfach weiter. Wieso? Er kann es nicht verstehen. Zoff rennt, so schnell er kann.

Schon ist sie an der nächsten Kreuzung und biegt links ab. Keine Minute später ist auch Zoff vor Ort und dreht den Kopf nach links und rechts. Nichts. Da ist gar nichts.

»Marlene«, krächzt er.

Ein dumpfes Krachen weckt ihn. Erschrocken reißt er die Augen auf und stemmt sich hoch. Der plötzlich aufkommende Wind hat die angelehnten Fensterflügel an der Schmalseite seiner Kammer unsanft aufgestoßen. Schlaftrunken schlägt Zoff die Decke zurück, wälzt sich aus dem ungemütlichen Stahlrohrbett und schlurft ans Fenster. Ist das eine miese Absteige, die man ihm da zugewiesen hat. Mürrisch starrt er auf die dunkle, menschenleere Hahngasse im 9. Wiener Gemeindebezirk. Der Wind nimmt an Stärke zu.

Leise fluchend schließt der Oberstleutnant das Fenster und wirft einen Blick auf die grün leuchtenden Zeiger des auf dem schweren Esstisch aufgestellten Reiseweckers, ehe er wieder ins Bett kriecht.

Es ist Freitag, der 14. Oktober, halb fünf.

***

Längst hat der Herbst die Blätter eingefärbt, aber im Westen Österreichs ist es immer noch warm, als glühe der vergangene Sommer weiter fort, bis in alle Ewigkeit.

»So ein beschissener Tag.«

Der Oberbürgermeister von Salzburg strafft seinen drahtigen Körper. In seinen blonden, in die Stirn gekämmten Haaren und dem gepflegten Oberlippenbart zeigt sich noch keine graue Strähne, und wären da nicht die vielen kleinen Falten um die Augen, würde niemand vermuten, dass der Mann schon 46 Jahre alt ist. Als Hannes Rieder an diesem Freitagmorgen nach etwa halbstündiger Fahrt auf die Autobahn auffährt, stinkt er nach Schweiß und Rauch und schaut alles in allem auch ziemlich mitgenommen aus.

»Pack«, zischt er. »Stupides Gesindel. Ruiniert die Partei und fackelt mir auch noch das Sommerhaus ab. Glücklicherweise bin ich wenigstens noch die beiden Mädchen losgeworden, bevor die Polizei antanzte.«

Das Erste, was Rieder auffällt, als er sich wieder auf die Fahrbahn konzentriert, ist diese blutrote Verfärbung der Sonne am Horizont. Seit sechs Wochen haben wir jetzt dieses ungewöhnlich warme Herbstwetter, überlegt er. Deshalb wimmelt es auch immer noch vor Touristen. Gott sei Dank. Ohne diese Leute wäre Salzburg längst pleite. Die riskanten Spekulationen mit dem Geld aus dem städtischen Wohnbaufonds sind ja völlig daneben gegangen. Jetzt ist er über jeden Cent dankbar, der in die Kassa kommt.

Nachdenklich greift er ins Handschuhfach, setzt seine Sonnenbrille auf, legt eine CD in den Player ein und wechselt auf die Überholspur. Neuerdings hört er ja nur noch klassische Musik. Mozart und so. Zur Schärfung seiner kulturellen Kompetenz. So etwas kommt gut an bei der Parteibasis. Bei den Damen auch. Die Sonne zaubert helle Flecken auf den Asphalt. Wie Lichtkegel unzähliger unsichtbarer Lampen.

Gegen dreiviertel acht taucht der Politiker in die Außenbezirke der Landeshauptstadt ein. Der Stadtrand hat sich verändert. Viele der neuen Bauten reichen jetzt bis dicht an die Autobahn heran. Betriebe aller Art, Banken und Großkaufhäuser drängen sich aneinander. Aus der weltoffenen Kulturstadt ist ein internationaler Wirtschaftsstandort geworden, und das ist nicht zuletzt ihm zu verdanken. Die Bevölkerung weiß es und ist ihm dankbar. Er ist beliebt. Zerstreut schaltet Rieder einen Gang tiefer, als ihn das Telefon aus seinen Gedanken reißt.

»Was ist denn?«, fragt er verdrossen.

Paul Freiher, Rieders Bundesparteisekretär, erkundigt sich, ob sein Chef in Ordnung sei.

Der Oberbürgermeister bejaht. In 20 Minuten sei er im Rathaus. Er bremst, wechselt auf die rechte Spur und fährt von der Autobahn ab. Sofort werden die Straßen eng und der Verkehr extrem dicht.

»Hat die Polizei schon etwas herausgefunden?«, fragt Freiher.

»Bettina faselte etwas von einem herrenlosen Boot am anderen Seeufer.«

»Betty? Ausgezeichnet. Gut, dass sie persönlich zu dir rausgefahren ist.«

»Natürlich kümmert sie sich um die Sache. Schließlich hat sie mir viel zu verdanken.«

»Du ihr aber doch auch, oder?«, kontert Freiher. »Die muss toll sein im Bett.«

»Sie bemüht sich.«

»Irgendwie reizt sie mich ganz ungemein.«

»Ich brauche Betty noch. Derzeit ganz besonders.«

»Und wenn sie mich auch will?«

»Du bist nicht ihr Typ.«

»Das geilt mich ja so auf.«

»Ich habe sie zur Stellvertreterin des Landeskriminaldirektors gemacht. Damit hat sie einen gewissen Wert für uns. Es gibt genug andere, also lass sie in Frieden.«

»Ich bin eifersüchtig auf diese Frau, weißt du?«

»Jetzt mach mal halblang. Bettina trägt mir zu, was in der Polizei so läuft, und ich habe meinen Spaß mit ihr. Eine ideale Kombination. Ist doch genial, oder?«

»Kann man wohl sagen. Wie schwer sind die Schäden am Haus?«

»Totalschaden, aber das ist nicht das Schlimmste.«

»Du meinst Hasso? Der Hund hat dir viel bedeutet.«

»Alles, Paul. Alles. Hasso war ein Geburtstagsgeschenk meines Vaters. Sein letztes.«

»Du Ärmster. Das jüngere der beiden Mädchen hat übrigens etwas abgekriegt. Brandwunden an den Beinen. Sie liegt im Krankenhaus. Willst du sie besuchen?«

»Bist du wahnsinnig? Was soll ich am Krankenbett einer 16-Jährigen? Erfinde eine gute Story für die Eltern, bring einen Blumenstrauß vorbei, und stopf der Familie den Mund mit Geld.«

»Wird gemacht.«

»Und das andere Mädel?«

»Ist ausbezahlt. Und du hast der Polizei den Brief gezeigt?«

»Ich habe ihn Betty gegeben. Sie lässt mir eine Kopie davon zukommen.«

»Wer steckt hinter der Sache? Spitzer?«

»Wahrscheinlich. Dieser niederösterreichische Möchtegern mit seinen großkotzigen Kröten. Erst will er im Parteivorstand gegen mich putschen und jetzt das. Aber es ist genug. Wir werden in die Offensive gehen. Trommle ein paar Leute zusammen. Zur Strategiebesprechung. Dreiviertel neun in meinem Büro. Seid pünktlich.«

An der Salzach stockt der Verkehr, denn durch die Verkehrsampeln kommen die Fahrzeuge immer wieder zum Stillstand. Bald steht Wagen an Wagen. Verärgert hupt Rieder, schert aus der Kolonne aus, überholt acht Autos und biegt links in eine unscheinbare Seitenstraße ein, die in einem weiten Rechtsbogen wieder zurück zum Fluss führt. Zum Glück ist das Chaos an der Kreuzung vor der Brücke dieses Mal nicht so groß, wie sonst am Morgen.

Wieselflink huscht er aus der schmalen Einbahn- auf die Hauptstraße und zwängt sich in die aufgelockerte Kolonne, die in langsamer Fahrt den Fluss überquert. Am anderen Ufer biegt er nach links auf den Rudolfskai ein und passiert dabei jene Stelle, an der Bauarbeiter vor drei Jahren den Rumpf dieser Studentin fanden, die von ihrem Geliebten, einem Nigerianer, in Stücke gesägt und in gelben Müllsäcken entsorgt worden war. Ihr Kopf war in der Steiermark aufgetaucht, die Beine in Italien. Nur die Arme blieben verschwunden.

»Kein Mord in Salzburg«, ärgert sich Rieder und rümpft die Nase. »Fast ein ganzes Jahr lang nicht. Auch sonst kein glamouröses Verbrechen, das man politisch ausschlachten könnte. Dabei wäre das so wichtig. Jetzt. Als Unterstützung gegen Spitzer und seine Putschisten.«

Ein Mercedes hupt und der Fahrer wedelt mit der Hand. »Idiot«, zischt der Oberbürgermeister und Parteivorsitzende, zeigt sein bekanntes Grinsen und winkt zurück. Um zehn kommt diese Wirtschaftsdelegation aus China, überlegt er dabei missmutig. Mittagessen im Casino. Später mit dem Hubschrauber ab nach Wien. Um 15 Uhr der Termin beim Kanzler, um 18 Uhr weiter nach Graz, anschließend die Rede im Kunsthaus, und um 20.30 Uhr das Treffen mit Vertrauensleuten in Gleisdorf. Ach zum Teufel, ärgert sich Hannes Rieder, ich hätte meine Kritiker vernichten sollen, als sie noch nicht so stark waren. Späte Einsicht. Jetzt heißt es, einer Abspaltung von Spitzer zuvorzukommen. Aber da heißt es schnell handeln, sonst ist es zu spät.

An der nächsten Kreuzung hält sich Rieder links und schaltet die Musikanlage ab. In langsamer Fahrt gondelt er den Kai entlang und kann bereits die Türme des Schlosses Mirabell erkennen, als eine Gruppe von Touristen, ohne auf den Verkehr zu achten, die Fahrbahn überquert. Fluchend latscht Rieder aufs Bremspedal, und der weiße BMW kommt mit quietschenden Reifen zum Stillstand. Eine hübsche Blondine huscht ebenfalls noch schnell über die Straße, stutzt, eilt zurück zu Rieders Wagen und klopft an die Seitenscheibe.

»Na so was. Der Herr Oberbürgermeister. Guten Morgen.«

Freundlich grüßt er das schöne Kind. »Ein wundervoller Tag, nicht wahr? Ich hoffe, es geht Ihnen gut. Falls nicht, würde ich alles dafür tun, das zu ändern.«

»Lieb von Ihnen. Wenn doch alle Politiker so wären. Wen soll man in diesem Land denn noch wählen, außer Sie?«

»Tatsächlich? Wie schön«, antwortet Rieder geschmeichelt und überreicht seiner Verehrerin eine Visitenkarte, während die Ampel auf Grün springt. »Falls ich Ihnen einmal behilflich sein kann, rufen Sie mich doch einfach an. Sie ahnen ja gar nicht, wie sehr mich Ihre Worte freuen. Könnten doch alle die Dinge so sehen, wie Sie.«

***

Zum selben Zeitpunkt steht in Wien der 42 Jahre alte Grazer Oberstleutnant Peter Zoff am Fenster des kleinen, stickigen Büros in der dritten Etage des Polizeizentrums Lichtenwerder Platz, putzt seine runde Nickelbrille und setzt sie seufzend wieder auf. Ein prüfender Blick ins Fensterglas. Das glänzende brünette Haar, das ihm in die Stirn fällt, die etwas zu große Nase und die hellen Augen, die so distanziert und spöttisch in die Welt gucken, ergeben ein interessantes Gesicht, das ihn jünger erscheinen lässt, als er tatsächlich ist. Noch haben Zoffs Dünnhäutigkeit und sein zunehmender Zynismus keine sichtbaren Spuren hinterlassen.

»Schwarze Hosen, schwarzes Hemd und schwarzes Sakko. Schlecht drauf heute?«, flachst der 51-jährige Chefinspektor Martin Forstinger, mit dem sich Zoff das Zimmer teilt.

»Scheint so«, brummt Zoff und schließt das Fenster. Schlagartig reduziert sich der Verkehrslärm auf ein dumpfes Rauschen. »Ich hasse diese Stadt«, gesteht er, dreht sich um, betrachtet die wild zusammengewürfelten alten Möbel, zieht gereizt die Augenbrauen hoch und seufzt. Es stinkt hier. Aber wonach?

»Mach dir nicht ins Hemd«, meint Forstinger, streicht das zerknitterte weiße Langarmshirt um die Brust herum glatt und reibt sich mit der Linken die stoppelbärtige Wange. Glatzköpfig, mit schwarzem Bartansatz und zwei breiten Goldketten um den Hals, hätte er ebenso gut als Mafioso durchgehen können, wie als Kriminalist. »Ob du Wien besonders magst oder nicht, interessiert hier doch keinen. Einen Großen Braunen kannst du haben. Echten Meinl Kaffee. Wiener Mischung. Na, wenn das kein tolles Angebot ist?«

»Her damit«, erwidert Zoff, zieht sein Sakko aus, wirft es auf den Schreibtisch, setzt sich und schließt einen Moment lang die Augen. Dabei langt er in seine Hosentasche, holt eine Medikamentenschachtel hervor und schluckt eine Tablette.

»Schmerzen?«, fragt Forstinger, kratzt sich am Kopf, gähnt und schiebt eine gefüllte Kaffeetasse über die Breitseite der beiden zusammengestellten Pulte.

Zoff nickt, nimmt die Tasse vorsichtig entgegen und trinkt. Der Kaffee ist heiß und sehr stark. Schlecht für den Magen. Ganz schlecht, aber er scheißt drauf.

Dem Büro für Interne Angelegenheiten, dem Zoff während der nächsten Wochen unfreiwillig angehört, steht das gesamte dritte Stockwerk zur Verfügung. Ab der vierten Etage macht sich das Bundeskriminalamt breit, und den unteren Teil des Komplexes hat sich das Einsatzkommando unter den Nagel gerissen.

Die hätten schon eine eigene Kanzlei für mich auftreiben können, wenn sie gewollt hätten, ärgert sich Zoff. Die haben genug leer stehende Räume in diesem miesen Plattenbau, diese Mistkäfer. Stattdessen darf er sich mit diesem Forstinger eine etwas zu groß geratene Besenkammer teilen. Arschlöcher.

Woran er gerade denkt, will sein Kollege wissen.

»An uns zwei natürlich«, grinst Zoff. »Schön, dass ich dir in diesem Loch Gesellschaft leisten darf. Wie kamen diese Idioten denn auf die Idee, in einem fast neuen Gebäude uraltes Mobiliar zu verwenden?«

»Überschreitung der Baukosten. Die hatten keine Kohle mehr.«

»Ist nicht wahr.«

»Doch. Aber was soll’s? Eh egal. Wir haben Freitag, und um 15 Uhr ist Schluss hier. Dann geht es ab nach Hause.«

Zoff nickt ein wenig zerstreut, gießt reichlich Milch in die schwarze Brühe, rührt um, kostet noch einmal vorsichtig, trinkt, und denkt dabei an seine Verabredung mit Marlene. Über zwei Jahre sind sie jetzt zusammen und er ist immer noch unheimlich verknallt in sie, aber an seiner Frau liegt ihm genauso viel. Er hat Nina versprochen, die Affäre zu beenden. Jetzt muss er zu seinem Wort stehen.

Müde schiebt er die Tasse zurück, blättert in der Zeitung und bricht mit Forstinger eine Diskussion über die bevorstehenden Bundesligaspiele vom Zaun. Sie streiten ziemlich heftig, denn Forstinger ist Rapidanhänger und Zoff drückt Sturm Graz die Daumen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich deshalb früher oder später gegenseitig den Schädel einschlagen, ist also relativ hoch.

Gegen neun klingelt Zoffs Telefon. Korner will ihn sehen.

Eigenartig. Seit seinem Dienstantritt vor einem Monat hat er seinen vorläufigen Vorgesetzten nicht mehr zu Gesicht bekommen.

»Du musst zum Chef? Wieso?«

»Er braucht noch jemanden zum Zweierschnapsen.«

Verdattert klappt Forstinger den Mund zu und schweigt beleidigt.

Grinsend verlässt Zoff das Büro. Die Luft im schmalen, viel zu spärlich mit Tageslicht versorgten Korridor ist ziemlich abgestanden, und an der Decke zeigen sich schwarze Flecken. Schimmel. Dabei ist das Gebäude ja noch gar nicht so alt. Lustlos trottet Zoff an Aufzug und Toiletten vorbei, passiert das Büro des Journaldienstes und klopft an Korners Tür.

Der schlanke, knapp 35-jährige Brigadier begrüßt ihn freundlich, deutet auf den Sessel gegenüber und leckt sich mit der dicken Unterlippe über seine merklich schmälere Oberlippe. Der Chef des Büros für Interne Angelegenheiten ist hochgewachsen, hat sehr helles Haar und ziemlich viele Sommersprossen um die Nase. Zur hellen Hose trägt er ein elegantes dunkles Sakko und ein hellblaues Hemd mit offenem Kragen.

»Kaffee?«

»Wenn er gut ist«, meint Zoff gleichgültig und schaut zu, wie Korner zwei Tassen füllt.

Er habe etwas gegen Zwang, stellt der junge Brigadier leise fest, reicht Zoff eine der beiden Tassen, schiebt ihm Milch und Zucker zu und kneift die braunen Augen zusammen. Zoff sei ja auch keiner, der gern einen Kollegen piesackt, meint er. Das könne er ihm ansehen.

Der Oberstleutnant nickt.

»Reden wir ganz offen«, seufzt Korner. »Die zeitlich begrenzte Strafversetzung kränkt Sie. Verständlicherweise. Allerdings kann ich nichts für Ihre Probleme. Stimmen Sie mir da zu? Ja? Das wäre doch schon einmal eine ganz akzeptable Basis für unsere kurzfristige Zusammenarbeit.«

Zoff habe nichts gegen ihn, sagt er.

Das freue ihn, behauptet der Brigadier. Er brauche ihn nämlich. Als Leiter des Morddezernats des Landeskriminalamts Graz besäße er kriminalistische Erfahrung. Etwas, das den meisten seiner Mitarbeiter teilweise oder sogar zur Gänze fehle.

»Tatsächlich?« Jetzt kann sich Zoff ein hämisches Grinsen nicht mehr verkneifen. Das ärgert den Brigadier, und zwar mächtig.

»Die Damen und Herren meiner Einheit wurden nach politischen Gesichtspunkten ausgewählt. Nicht nach ihren Fähigkeiten, und schon gar nicht nach meinen Wünschen. Das wissen Sie doch, oder?«

»Ich dachte es mir.«

»Weshalb reizen Sie mich dann? Man hat mich vor Ihnen gewarnt, Zoff. Mehr noch, man hat mir nahegelegt, jeglichen persönlichen Kontakt mit Ihnen zu meiden. Im Grunde dürfte ich kein Wort mit Ihnen wechseln. Geben Sie ihm Ihr miesestes Zimmer als Büro, hat man mir befohlen, und sorgen Sie dafür, dass er es bis Jahresende nicht verlässt.«

»Dann halten Sie sich danach, bevor Sie Ihre Karriere aufs Spiel setzen.«

»Machen Sie sich keine Sorgen um meine Karriere«, unterbricht ihn Korner und nippt an seiner Tasse. »Ich bin jünger als Sie und bereits Brigadier. Mein Vater ist Landesparteisekretär in Niederösterreich. Also was soll mir schon passieren? Aber zurück zu Ihnen. Die Zeit bis zum Jahresende wird lang ohne Beschäftigung. Es sei denn, Sie wollen sich hier erholen. Dann können Sie weiterhin lesen und fernsehen. Solange Sie die Dienstzeit einhalten, ist das alles kein Problem. Falls nicht, hätte ich einen Auftrag für Sie. Es geht um den Kommandanten einer steirischen Grenzpolizeiinspektion, den wir verdächtigen.«

»Korruption?«

»Ja, ich denke, er lässt sich von serbischen Schmugglern schmieren.«

»Wieso?«

»Ich erhielt einen anonymen Anruf. Vermutlich kam er von einem Mitarbeiter des Verdächtigen. Anscheinend hat der Mann schon versucht, vor Ort etwas zu unternehmen und ist damit gescheitert. Jedenfalls schilderte er mir die Sache sehr detailliert. Nach Voranmeldung beim Dienststellenleiter reisen die serbischen Drogenkuriere völlig ungehindert ein. Zwei bis drei Wagen. Dicht hintereinander.«

»Klingt schon ein wenig nebulös, oder?«

»Nehmen Sie sich der Sache an, oder nicht?«

Zoff nickt. Nicht, dass ihn der Fall besonders fesseln würde, aber das Ding läuft in der Steiermark. Da kann er wenigstens wieder eine Zeit lang zu Hause schlafen.

»Ich habe das Gespräch dokumentiert«, lächelt Korner. »Meine Sekretärin bringt Ihnen eine Kopie meines Aktenvermerks vorbei. Übrigens ist die Zielperson nicht nur Polizeibeamter, sondern auch noch Bürgermeister von Irrach, mit durchaus guten Beziehungen zu Bundes- und Landespolitikern. Deshalb gehe ich davon aus, dass Sie den Fall diskret behandeln.«

»Natürlich. Wie heißt der Mann eigentlich?«

»Brecht. Chefinspektor Benno Brecht.«

***

Irrach in der Steiermark. Kurz nach 16 Uhr.

Seit Donnerstagabend hat der 49-jährige Brecht mit dem Bürgermeister von Eberswald in einem Weingut gezecht und mit allen Mitteln versucht, den Kerl unter den Tisch zu saufen. Erfolglos.

Als er, nach Zigarettenrauch und Alkohol stinkend, im Trachtenanzug mit einem Karton Weißwein unterm Arm die Grenzpolizeistation erreicht und sein Büro betritt, gähnt er erst einmal ausgiebig, stellt den Wein in den Kleiderkasten, wischt sich den Schweiß von der Stirn und setzt sich müde an den Schreibtisch. Neben dem Computermonitor liegt ein weißes Kuvert.

»Werner? Werner!«

»Hier. In meinem Büro. Was ist los?«

»Her mit dir.«

Augenblicke später steht Brechts Stellvertreter auch schon auf der Matte. »Sag einmal, wo warst du denn so lange?«, motzt der knapp 50-jährige, rothaarige und stämmige Kontrollinspektor Neumeier vorlaut, runzelt die mit Sommersprossen übersäte Stirn und setzt sich.

»Wein holen.« Brecht hat die Figur eines etwas zu schwer gewordenen Mittelgewichtlers, der aber mit seinen breiten Schultern und seinem leichtfüßigen Gang bei den Damen immer noch gut ankommt. Sein Gesicht ist braun und faltenlos, zeigt kantige Züge und ein eigenwilliges Kinn. Der Chefinspektor mit dem glänzenden, in die Stirn gekämmten schwarzen Haar ist keiner, der Diskussionen mag. Bei ihm muss alles hurtig laufen. Schnell und einfach. »Was ist das da auf meinem Schreibtisch?«

»Mein Urlaubsansuchen.«

»Du willst ausspannen? Wann?«

»Mitte November. Ein Sonderangebot.«

Gleichgültig holt der Kommandant das Ansuchen aus dem Kuvert und unterzeichnet.

»Die neue Kollegin hat dein Interesse an ihr bemerkt«, behauptet Neumeier in verschwörerischem Tonfall und steckt das genehmigte Ansuchen hastig ein.

»Die Rothaarige mit dem altdeutschen Namen? Heinrich heißt sie.«

Neumeier nickt.

»Hat sie heute Dienst?«

»Sie ist da.«

»Ausgezeichnet. Schick sie zu mir.«

»Schon in Unterwäsche?«

»Spar dir deine Anzüglichkeiten. Ich bin nicht in Stimmung.«

Neumeier entschuldigt sich.

Der Kommandant winkt ab. Er wird die Kleine zum Abendessen einladen, beschließt er. Vielleicht kann er ihr danach auch noch seine Briefmarkensammlung zeigen.

»Und sonst?«, fragt Neumeier.

»Es ist wieder so weit. Am Mittwoch schiebe ich Nachtdienst, am Donnerstag du. Sie kommen an beiden Tagen so gegen halb drei. Vier Pkws hintereinander, und das Fahrzeug an der Spitze ist immer ein blauer Golf.«

»Beim letzten Mal hätte Ehmann sie fast kontrolliert.«

»Hast du mir erzählt. Deshalb steht der kleine, übermotivierte Arsch ja auch erst wieder freitags an der Spur. Da kann er sich austoben.« Nachdenklich erhebt sich Brecht und schlurft mit hängenden Schultern ans Fenster. »Irgendwie bin ich auf einmal so unruhig«, murmelt er dabei.

Sein Stellvertreter beruhigt ihn. Läuft doch alles hervorragend. Obwohl er immer noch nicht versteht, dass Brecht das notwendig hat. Bei seinen Verbindungen.

»Das verdammte Roulette«, bekennt der Grenzpolizeikommandant. »Ich habe jahrelang schon nicht mehr gewonnen. Weißt du, was das heißt? Dabei hat mir Hannes einige lohnende Jobs angeboten. Alle auswärts. Ich wollte das Haus in Graz nicht aufgeben.«

»Du mit deiner Sentimentalität. Und was hast du jetzt davon?«

»Die Situation hat sich geändert.«

»Du meinst, Fiona hat dich rausgeworfen.«

»Wie das Leben halt so spielt. Irgendwie verstehe ich sie sogar.«

»Ich nicht. Egal. Was läuft politisch? Wieso wirst du eigentlich nicht Landtagsabgeordneter?«

»Werde ich doch. Früher oder später.«

»Falls die Partei die derzeitigen Turbulenzen übersteht.«

»Ein Hannes Rieder macht das schon. Der findet die richtige Lösung, darauf kannst du wetten. Und wenn es soweit ist, fällt auch für dich etwas ab.«

»Du bist mein Freund, Benno. Ob dabei etwas für mich abfällt, oder nicht. Ich denke schon die ganze Zeit darüber nach, ob es klug war, von den Serben mehr Geld zu verlangen.«

»Klar doch. Alles wird teurer, mein Lieber. Diese Gauner haben genug Geld, und das werden wir uns holen.«

»Die wollen es sich aber erst noch überlegen.«

»Die parieren schon. Mach dir keine unnötigen Gedanken, und sieh zu, dass unsere Leute wieder den einen oder anderen Zigarettenschmuggel aufdecken. Wir brauchen Erfolge, sonst wird das Landespolizeikommando nervös.«

»In Ordnung. Sehen wir uns noch vor Dienstende?«

»Eher nicht, aber das kommt auf die Frau Kollegin an. Wenn sie meine Einladung annimmt, bekommt sie Zeitausgleich. Ab sofort. Ich natürlich auch.«

»Gute Idee, Benno. Sieh zu, dass du sie in die Kiste bringst und auf andere Gedanken kommst. Inzwischen schaukle ich hier den Laden schon. Viel Spaß.«

***

17 Uhr. Im Büro des Landeskriminaldirektors von Salzburg sind die Fenster geschlossen, und die Luft ist zum Schneiden dick. Mühsam wuchtet der oberste Kriminalbeamte des Bundeslands seine 120 Kilogramm hoch, wischt sich den Schweiß von der Stirn, beugt sich über den Tisch und schaut seiner attraktiven Stellvertreterin tief in die Augen.

»Ein Brandanschlag auf den Oberbürgermeister und Vorsitzenden der Liberalen hat ganz selbstverständlich eine besondere Dimension«, schnauft er finster und knallt seine massige Faust auf den Tisch. »Neben all dem öffentlichen Interesse, das mit so einer Tat einhergeht, kann niemand ausschließen, dass die Täter aus politischen Gründen gehandelt haben. Wir treten den Fall ans Bundesverfassungsamt ab.«

Das sehe sie aber ganz anders, entgegnet Oberst Bettina Wagner kühl, schüttelt ihr kurz geschnittenes schwarzes Haar, legt ihre langen, schlanken Beine übereinander und lehnt sich bequem zurück. Dabei rutscht ihr blauer Rock hoch, und ihr Chef bekommt Atemnot.

»Mit deinen 32 Jahren hast du zu wenig Erfahrung, Betty«, behauptet der Hofrat, lockert seine rot-weiß-rot gestreifte Krawatte und entledigt sich seines grauen Sakkos. »Bei der Aufklärung von Straftaten, meine ich.«

Was das mit Erfahrung zu tun habe, will seine Stellvertreterin wissen. Das sei eine Führungsaufgabe. Auf Pimminger und seine Leute könne sie sich verlassen. Das seien ausgezeichnete Kriminalisten. Die würden den Fall schon lösen. Unter ihrer Leitung natürlich.

Wütend wechselt sie einen Blick mit dem breitschultrigen blonden Major, der ihr gegenüber desinteressiert in seinem Sessel hockt, sich ungeniert zwischen den Beinen kratzt und sie dabei herausfordernd mustert. Der Kerl stinkt, und seine struppige Mähne schreit geradezu nach einer Haarwäsche.

»Klar«, grunzt er und zwinkert ihr zu. »Das machen wir schon.«

»Wir können uns in dieser Sache keinen Misserfolg leisten, Betty«, meint der Direktor skeptisch.

Es werde keinen Misserfolg geben, versichert sie ihrem Vorgesetzten. Sie verfolge eine Spur, und sei überzeugt, den Täter fassen zu können. Das LKA wäre geradezu verrückt, wenn es unter diesen Umständen noch Andere zum Zug kommen lassen würde.

»Du bist ganz sicher?«

»Absolut. Wir zeigen dem Oberbürgermeister, was wir können, führen den Brandstifter seiner gerechten Strafe zu und haben damit, was die Kompetenz unseres Hauses anbelangt, eine hervorragende Visitenkarte abgegeben.«

Der Landeskriminaldirektor gibt sich geschlagen. »Na gut«, resigniert er. »Ich hoffe, du weißt, was du tust. Behaltet euren Fall und klärt ihn. Rasch.«

»Das tun wir«, gurrt Bettina Wagner, streicht ihren Rock glatt und erhebt sich. »Brauchst du uns noch?«

»Dein neuer Kurzhaarschnitt sieht überaus keck aus«, schmeichelt ihr der Hofrat. »Nein, ich brauche euch nicht mehr.«

Wagner und Pimminger gehen.

Kaum sind sie im Treppenhaus, ist es mit Wagners Freundlichkeit vorbei. »Ich erwarte Sie in meinem Büro. Unverzüglich«, zischt sie und saust über die Stufen nach unten. Der Major grinst bloß und folgt ihr.

»Was fällt Ihnen eigentlich ein?«, faucht sie später, als sie einander in ihrer Kanzlei gegenüberstehen.

»Wie meinen?«

»Sie haben unser wertvolles Beweisstück in aller Herrgottsfrühe persönlich nach Innsbruck gebracht. In die Gerichtsmedizin. Die Fahrbereitschaft behauptet, Sie seien vor einer Stunde zurückgekehrt. Wie schaffen Sie es, sich innerhalb kürzester Zeit so zu besaufen? Und wie Sie aussehen. Haben Sie diesen Anzug von der Müllhalde geklaut?«

»Immer langsam, meine Liebe«, brummt Pimminger aufsässig und betrachtet hingebungsvoll ihre Beine. »Ich habe zwei Gläser Bier getrunken. Höchstens.«

»Sie riechen, als hätten Sie in einem Fass geschlafen.«

»So ein Idiot hat mir sein Bier über die Hosen geleert. In der Kantine. Nach der langen Dienstreise musste ich ja auch etwas essen. Außerdem hat mich meine Freundin gestern an die Luft gesetzt. Nicht dass Sie das etwas anginge, aber die Sache hat mich ein wenig aus dem Gleichgewicht gebracht.«

»Na gut. Aber reißen Sie sich zusammen. Sie hatten bisher keinen schlechten Ruf im Haus.«

»Und was hat mir das gebracht? Gar nichts. Wissen Sie, ich bin jetzt lange genug bei diesem Haufen. Da hat man keine Illusionen mehr.«

»Verstehe. Ich habe den Job, auf den Sie immer scharf waren. Verständlich, dass Sie deshalb sauer sind.«

»Dafür kann ich mir nichts kaufen. Ich bin 49 und habe plötzlich keine Perspektiven mehr. Das ist nicht lustig. Aber lassen wir das. Ich mach meine Arbeit, und irgendwann einmal heilt die Zeit ja alle Wunden. Angeblich.«

»Ich hoffe es für uns beide, Herr Kollege«, seufzt sie. »Ich habe nichts gegen Sie, und es wird Zeit, dass wir uns der gemeinsamen Aufgabe besinnen. Wir haben einen gefährlichen Brandstifter auszuforschen und festzunehmen. Das sind wir dem Herrn Oberbürgermeister schuldig.«

»Sie vielleicht.«

»Wie bitte?«

»Ein Scherz. Ich habe meine Prinzipien und nehme meine Job sehr ernst, also keine Sorge.« Mit einem sarkastischen Grinsen salutiert der Major und meldet sich ab.

Es gibt nicht viele Menschen, denen Pimminger mit lachendem Gesicht den Hals umdrehen würde. Bettina Wagner gehört dazu, und es fällt ihm von Tag zu Tag schwerer, das zu verbergen. Verdrossen trabt er durch den Korridor, steigt in den Aufzug und fährt ins Untergeschoss. Da arbeitet man jahrelang wie ein Berserker, um Karriere zu machen und dann kommt dieses Miststück, macht die Beine breit und bremst ihn aus. Und nicht nur das: Es geilt sie auf ihn spüren zu lassen, dass sie seine Chefin ist. Diese Hure.

Nun ist er endlich im Parterre, verlässt das Gebäude und streckt trotzig seine Nase in den Wind. Er muss sich um eine neue Unterkunft kümmern. Auf der Stelle.

Zwar sind die Temperaturen ja durchaus noch angenehm, aber Pimminger will die Nacht nicht unter einer Brücke verbringen.

Oder im Büro.

***

18 Uhr. Reichenau an der Rax.

Zoffs junge Geliebte überfällt ihn schon an der Eingangstür und verbeißt sich in seine Lippen, als wolle sie ihn auffressen. »Ich habe Karten fürs Theater an der Wien«, raunt sie ihm ins Ohr und strahlt ihn an. »Zwei Plätze in der ersten Reihe. Für morgen Abend.«

»Dass du Musicalkarten kaufst, ohne das vorher mit mir abzusprechen, passt mir aber gar nicht.« Seufzend lässt Zoff die Schultern hängen.

»Ich wollte dich überraschen«, verteidigt sich Marlene hilflos. »Du sagtest doch, dass du dir Elisabeth ansehen will. Da habe ich Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um die Tickets zu kriegen. Teure Karten.«

»Geh bitte allein hin, Marlene«, murmelt Zoff. »Ich muss nach Hause.«

»Du machst Witze«, braust sie auf. »Heim zu Nina? Ist das dein Ernst? Ruf sie an. Du hast in Wien zu tun. Dringend. Dienstlich.«

»Ich kann nicht.«

»Was heißt, du kannst nicht? Den Telefonhörer in die Hand nehmen und daheim anrufen, ist doch kein Kunststück.«

»Ich will nicht.«

»Du willst nicht«, wiederholt sie verstört und wird bleich. »Was heißt das jetzt?«

»Das heißt, dass ich nach Graz muss.«

»Zu ihr. Oh Gott, du liebst mich nicht mehr. Du magst mich nicht mehr. Wieso denn? Was habe ich dir getan? Warum bist du auf einmal so böse zu mir? Sag, was los ist, bitte.«

»Nina hat mir ein Versprechen abgenommen«, argumentiert er hilflos. »Ich hätte schon lange mit dir reden müssen.«

»Reden müssen.« Jetzt versteht sie. »Sag nichts«, flüstert sie hastig, und ihre Augen füllen sich mit Tränen. »Schweig still. Bitte.«

»Es nützt doch nichts. Ich habe auf den richtigen Zeitpunkt gewartet, verstehst du? Ich wollte es dir die ganze Zeit über schon sagen, aber es ging nicht. Bis heute. Jetzt ist er da, der Augenblick.«

»Nein«, sagt Marlene mit Nachdruck und schüttelt ihre langen blonden Locken. »Nein, das ist nicht der richtige Zeitpunkt. Du hast vor, mir das Herz zu brechen, Peter Zoff, nicht wahr? Aber nicht heute, bitte. Lass das sein.«

»Es geht nicht mehr, Marlene. Es tut mir leid, aber es geht nicht mehr.«

»Und warum sollte es nicht gehen? Ich habe dich nie zu etwas gedrängt. Ich war immer froh, dass du bei mir warst. Ich habe Nina nichts weggenommen. Sie hat doch alles. Sie hat dich. Was verliert sie schon, wenn du manchmal zu mir schleichst und mich glücklich machst? Nachts, wenn alle schlafen, und niemand etwas ahnt.«

»Aber du hast doch die ganze Zeit über schon gespürt, dass ich nicht mehr weiter kann. Du hast es erkannt, und du hast es auch verstanden. Wir hatten ein wenig Glück auf Zeit, und die Zeit ist abgelaufen. Jetzt müssen wir uns trennen.«

»Nein. Ich will nicht und ich kann nicht. Du bist alles, was ich habe. Meine erste und einzige, meine großartigste Liebe. Weißt du nicht, wie sinnlos alles ist, wenn du nicht da bist? Was soll ich mit einem Leben ohne dich? Willst du mich zugrunde richten? Willst du das?«

»Bitte, Marlene. Versteh doch.«

»Nein. Ich verstehe nicht. Ich weiß bloß, dass du mir das Schlimmste antun willst, das du mir antun kannst. Weißt du, in letzter Zeit denke ich oft an meine Kindheit. Da träumte ich mir Gesichter und Stimmen. Nina hat doch schwarzes Haar, und sie trägt es halblang, oder? Und diese außergewöhnlich großen blauen Augen und ihre hochgestellten Backenknochen. Ich bin dieser Frau noch nie begegnet und könnte sie trotzdem zeichnen. Auf der Stelle.«

»Lass Nina aus dem Spiel, Marlene. Du hast gewusst, dass ich sie nicht verlasse.«

»Gar nichts habe ich gewusst. Deine Frau hat dir nicht gegeben, was ich dir gebe, sonst wären wir nicht schon über zwei Jahre zusammen.«

»Ich habe dir nichts versprochen.«

»Und deine Hände an meinem Körper? Die waren doch ein Versprechen, und dein Kopf an meiner Brust und dein Zittern in der Nacht, wenn du böse Träume hattest. Oder ging es dir wirklich nur um Sex?«

»Du weißt, dass ich dich liebe.«

»Oh ja. Und Liebe ist ein Versprechen. Willst du das leugnen? Es wegwischen, austilgen, vergessen?«

»Wieso machst du es mir so schwer?«, windet sich Zoff verzweifelt.

»Dir? Du stößt mir ein Messer in die Brust und fragst mich, wieso ich es dir schwer mache? Wieso packen wir nicht einfach unsere Koffer und verschwinden? Wir fliehen. Irgendwohin.«

»Ich habe einen Job und Familie, Marlene.«

»Dein Job? Polizisten braucht man überall auf der Welt. Und die süße Familie? Deine Tochter ist beinahe erwachsen und hat andere Sorgen, als dich. Und deine Frau? Wenn du mich heiratest, schläfst du nie mehr mit einer anderen, darauf kannst du Gift nehmen. Sobald du eine andere nämlich auch nur ansiehst, mache ich dich in meinem Bett so fertig, dass dir eine Woche lang die Knie zittern.«

»Ich muss gehen, Marlene.«

Zoffs Abgang ist eine Flucht. Wortlos, kopflos und ohne einen Funken Hoffnung. Die Reifen des blauen BMW drehen bedenklich durch, als er aus der Einfahrt schießt, und eine Welle von Übelkeit überschwemmt Zoff, während er durch Reichenau jagt.

Ein Stich im Magen.

Noch einer.

Wie eine Welle flutet der Schmerz die Eingeweide, verdickt und verklumpt sich und legt sich zwischen Bauchraum und Brustkorb. Würgend schafft es Zoff noch bis an den Rand der Stadt Gloggnitz, ehe er an einer Bushaltestelle anhält und mit bleichem Gesicht aus dem Fahrzeug taumelt.

»Du bist ein Arschloch, Zoff«, stöhnt er bitter, wischt sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn, nimmt die Brille ab und hält sich mit der linken Hand an der Haltestellentafel fest. »Einer, der jede bloß unglücklich macht.« Ganze zwei Mal schluckt er noch.

Dann dreht es ihm den Magen um.

***

An Samstagen zeigt sich die Stadt Salzburg von ihrer hektischen Seite.

Lädt auch noch der Oberbürgermeister mitten im Zentrum zu einem Stammtisch ein, ist das Verkehrschaos vorprogrammiert. Kreuz und quer stehende Autos, Stau, zugeparkte Gehsteige, aufgeregte Passanten. Und die Exekutive? Die ist schon wieder nicht zu sehen.

Im großen Saal des Veranstaltungszentrums wird immer noch eifrig diskutiert, obwohl die Podiumsdiskussion längst zu Ende ist.

»Wir brauchen mehr Polizei auf der Straße, Betty«, knurrt Hannes Rieder in Jeans, hellgelbem Hemd und schwarzem Blazer und nippt an einem Glas Bier.

»Die Bundesregierung fährt aber einen beinharten Sparkurs«, flüstert die stellvertretende Landeskriminaldirektorin im eng geschnittenen grauen Kostüm, schüttelt ihr schwarzes Haar, legt die Beine übereinander und drückt verstohlen Rieders Hand. »Es ist kein Geld da.«

»Uninteressant. Ich hasse es, wenn meine Gäste im Stau stecken bleiben und sich verspäten. Das kannst du deinem feinen Herrn Landespolizeikommandanten von mir ausrichten.«

»Den interessiert nur noch sein bevorstehender Ruhestand«, erwidert Bettina. »Außerdem kann er dich nicht leiden.«

Das kratzt Rieder nicht. Seine Liberalen sind das Zünglein an der Waage im politischen Spektrum. Der Juniorpartner in der Regierungskoalition. »Immerhin bin ich Bundesparteiobmann«, ärgert sich Rieder. »Ich entscheide, ob es in diesem Land weiterhin eine bürgerliche Mehrheit gibt. Einer Polizeiführung, die ihre Laufbahn ausschließlich diesem Umstand zu verdanken hat, sollte die Bedeutung meiner Person eigentlich klar sein.«

»Ist es auch«, versichert ihm Bettina. »Deshalb bemühen wir uns ja so um dich. Die Polizei kommt dir weit entgegen, Hannes. Sehr weit.« Lächelnd beugt sich die hohe Beamtin nach vorn und gewährt dem Spitzenpolitiker einen tiefen Einblick in den Ausschnitt ihrer weißen Bluse.

»Ja, du. Willst du immer noch Landespolizeichefin werden?«

»Das ist mein sehnlichster Wunsch.«

Ein dezentes Hüsteln unterbricht ihre Unterhaltung. Susanne Vogt. Rieders Sekretärin.

»Verzeihung.«

»Was ist denn?«

»Der Herr Bundeskanzler ersucht um deinen Rückruf, Hannes«, berichtet die schlanke junge Frau mit ebenmäßigen Gesichtszügen, auf deren dichtem, honigfarbenem Haar, welches sie zu zwei Zöpfen zusammengebunden hat, sich das pralle Sonnenlicht bricht, das durch die hohen Fenster in den Saal dringt.

Das habe Zeit. Sie möge ihn später noch einmal daran erinnern, ersucht er gedankenverloren und starrt auf ihren anmutigen Busen. Man treffe sich ja sowieso noch im Büro. In einer Stunde.

Die junge Frau nickt, schiebt den etwas zu kurz geratenen schwarzen Rock nach unten, wirft Bettina Wagner einen bösen Blick zu und verschwindet.

»Die Kür des Landespolizeichefs ist eine strategische Frage«, raunt Rieder seiner Geliebten zu. »Deshalb werden wir die Sache mit Paul bereden. Bei passender Gelegenheit.«

»Was du immer mit deinem Paul hast. Der Mann ist so widerlich.«

»Er ist mein Kamerad.«

»Und Benno?«

»Der ist mein allerbester Freund. Von Kindheit an. Was sagst du übrigens zu seiner neuen Flamme?«

»Zu dieser Frau Heinrich? Sehr jung.«

»Wir werden alle täglich älter. Sie ist ein aparter Typ. Benno hat Geschmack.«

Da rauscht Benno Brecht mit seiner Begleitung auch schon heran. Dynamisch. Strahlend.

»Hallo, Hannes. Die Kollegin Heinrich ist dir schon bekannt?«

»Du hast mir die Dame noch nicht vorgestellt, mein Alter. Ich bin entzückt.«

»Und das hier ist der Kaiser von Salzburg, mein Engel«, grinst der Chefinspektor außer Dienst. »Sag schön Guten Tag

Sie nickt. Errötend.