cover.jpg

img1.jpg

 

Nr. 16

 

Der Fall von Thormain

 

von Paul Wolf

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

Nachdem der Lichtbote nach seinem Sieg über die Finsternis die Welt sich selbst überlassen hatte, begannen die Kräfte des Bösen, die sich in die Dunkelzone geflüchtet hatten, wieder zu erstarken. Inzwischen greifen sie aus der Dunkelzone, einem Ring kosmischer Trümmer, der die Welt umgibt und in eine Nord- und eine Südhälfte teilt, an und beeinflussen bereits weite Teile der nördlichen Länder und deren Bewohner.

Das gilt besonders für die Caer, ein Kriegsvolk, das, von Dämonenpriestern angeführt, einen Eroberungsfeldzug beginnt und seine Nachbarn mit Feuer und Schwert heimsucht.

Im Verhältnis zu den Horden der Caer ist die Zahl derer, die auf Seiten der Lichtwelt gegen die Mächte des Dunkels kämpfen, erschreckend gering. Eigentlich ist es nur ein Häuflein Tapferer und Unverzagter, das angeführt wird von Mythor, den man den Sohn des Kometen nennt.

Gegenwärtig befinden sich Mythor und seine Gefährten in Thormain, der Piratenstadt. Thormain ist ein Ort, der für Mythors künftigen Schicksalsweg richtungweisend wird. Die Piratenstadt ist aber auch ein lebensgefährlicher Ort, was der überraschende Angriff der Seedrachen deutlich zeigt – und DER FALL VON THORMAIN ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Mythor – Er löst das Rätsel des thormainischen Brunnens.

Argur von Solth – Anführer der Piraten von Thormain.

Kalathee, Nottr und Sadagar – Mythors Gefährten werden als Spione behandelt.

Gaymon – Kerkermeister von Thormain.

Coerl O'Marn – Der Caer-Ritter schließt sich Mythor an.

1.

 

Ein qualvoller Schrei drang durch die fellbehangenen Fenster des Thronsaals. Einige der am Fenster stehenden Männer und Frauen hoben die Felle, um einen kurzen Blick auf den Richtplatz zu werfen, und wandten sich dann wieder gelangweilt ab. Was sie zu sehen bekommen hatten, war in Thormain ein alltägliches Schauspiel.

»Der Herr der Schultern ist wieder einmal am Werk«, sagte Kend, der gar nicht nachzusehen brauchte, um zu wissen, was sich auf dem Platz vor dem Nest tat.

Argur von Solth verzog angewidert sein verlebtes Gesicht.

»Muss Welleynn ausgerechnet jetzt eines seiner Spektakel aufführen«, sagte der Herrscher von Thormain und hustete, als ihm Rauch in die Atemwege kam. Er schimpfte und fragte: »Warum qualmt das so?«

»Kein Feuer ohne Rauch«, sagte Kend spöttisch und meinte damit die vielen Fackeln, die den Thronsaal erhellten, und das große Feuer im offenen Kamin, das für Wärme sorgte. »Offenbar sind der Kamin und die Luftschächte verstopft. Ich schicke jemand aufs Dach, um sie durchputzen zu lassen.«

Kend gab Rigon einen Wink, der daraufhin verschwand, um jemanden zu bestimmen, der diese gefahrvolle Aufgabe übernehmen sollte.

Wieder ertönte ein langgezogener Schrei.

»Wen lässt Welleynn an diesem Tag schultern?«, wollte Argur von Solth wissen.

»Er heißt Mythor«, antwortete Kend. »Aber der Herr der Schultern muss gleich hier sein, dann kannst du von ihm Einzelheiten erfragen.« Kend beugte sich näher zu Argur von Solth und fügte mit drohendem Unterton hinzu: »Und du wirst auch über das andere mit ihm reden, nicht wahr? Oder soll ich dich nochmals an das Schicksal deines Vorgängers erinnern? Oder an das, was einst mit Jorgan passiert ist?«

»Lass diese Anspielungen, Kend«, sagte Argur von Solth kläglich. »Noch bin ich der König der Meere und bestimme, was in Thormain zu geschehen hat.«

Kend lachte bösartig und flüsterte:

»Du hast nur etwas zu bestellen, solange du für deine Leute sorgst. Aber es ist doch so, dass schon seit Wochen keine Enterfahrt mehr stattgefunden hat. Wann haben deine Leute die letzte nennenswerte Beute gemacht? Sage es doch.«

»Ich weiß«, sagte Argur von Solth unbehaglich und wischte sich mit dem pelzbesetzten Ärmel seines Prunkgewands den Schweiß von der Stirn. »Ich werde mit Welleynn reden. Ich verspreche dir, dass wir schon in den nächsten Tagen auf große Fahrt gehen werden. Die Caer werden uns nicht daran hindern.«

»Das sind große Worte – vergiss sie nur nicht, Argur«, sagte Kend. »Ich kann dir nur raten, zu deinem Wort zu stehen, sonst ...«

Kend ließ die Drohung unausgesprochen. Aber vom Richtplatz erklang wieder der unmenschliche Schrei des Unglücklichen, der an den Schultern aufgehängt worden war. Dazu lächelte Kend vielversprechend.

Argur von Solth atmete erleichtert auf, als die beiden großen Torflügel des Thronsaals aufgingen und darin die schwarzgekleidete Gestalt des Scharfrichters auftauchte. Welleynn kam mit großen, schnellen Schritten herein und strebte geradewegs dem Thron zu. An seiner Seite entdeckte der Herrscher von Thormain eine zierliche Gestalt in einem wallenden weißen Gewand. Das musste die Schönheit sein, die ihm der Scharfrichter versprochen hatte. Argur konnte auf diese Entfernung jedoch noch keine Einzelheiten erkennen, weil es mit seinem Augenlicht nicht mehr zum besten stand. Er sah nur, dass das Mädchen in den weißen Gewändern trippelnd mit Welleynn Schritt zu halten versuchte und verzweifelt nach ihm griff.

In diesem Moment erklang wieder ein Schrei. Er kam jedoch nicht vom Richtplatz, sondern vom Dach, verlor sich in der Tiefe und endete in einem dumpfen Aufprall. Argur verzog das Gesicht ob dieser Störung und beschloss, den ungeschickten Kaminfeger kielholen zu lassen, falls er den Sturz vom Dach überlebt hatte.

Welleynn erreichte mit seiner Begleiterin den Thron und verneigte sich vor der untersten Stufe. Der Scharfrichter sagte mit gesenktem Kopf und salbungsvoller Stimme:

»Das ist Kalathee, deren Schönheit ich dir gepriesen habe, mein Herr.«

»Komm herauf, schönes Kind, damit ich dich näher betrachten kann«, verlangte Argur und beleckte sich die Lippen. Was er auf drei Armlängen von dem Mädchen sah, gefiel ihm außerordentlich.

Sie war mittelgroß, sehr schlank und so zartgliedrig, dass sie geradezu zerbrechlich wirkte. Ihre tiefliegenden dunkelbraunen Augen blickten verzweifelt zu ihm empor. Ihre aufgetürmte Frisur hatte sich aufgelöst, und Strähnen des blonden Haares hingen ihr ins Gesicht.

»Aber du weinst ja, Herzchen«, stellte Argur bedauernd fest. »Was ist dir Schreckliches widerfahren, dass Tränen dein Antlitz nässen?«

»Herr ...«, kam es über die zitternden Lippen, dann brach es ihr die Stimme. Als Argur mit beiden Händen nach ihr griff, richtete sie sich auf und fuhr mit flehender Stimme fort: »Herr, bitte hilf mir. Man hat meinen geliebten Milchbruder zum Richtplatz geschleppt und will ihn an den ... Schultern zu Tode hängen. Aber er hat dir nichts getan. Was man ihm auch vorwirft, er ist unschuldig. Wenn du, als Herrscher von Thormain, ein Wort sprichst und Mythor Gnade widerfahren lässt, dann will ich auf ewig deine Dienerin sein.«

»Na, na«, machte Argur beruhigend. Er blickte zu Welleynn, schnippte mit dem Finger und sagte in befehlendem Ton: »Erlasse dem Verurteilten die Strafe, und schenke ihm die Freiheit.«

Welleynn zog sich wortlos zurück und ging zu einem der Fenster, um den Henkern ein Zeichen zu geben.

»Danke, Herr.« Kalathee ergriff Argurs Hand und küsste sie dankbar. Er aber entzog sie ihr und hob ihr Gesicht. Es verschlug ihm den Atem. In ganz Thormain gab es keine Frau, die mit dieser vergleichbar gewesen wäre. Er hatte schon lange nicht mehr in ein so sanftmütiges Gesicht geblickt, keine Frau mehr gesehen, bei der sich kindliche Unschuld mit Sinnlichkeit in diesem Maß paarte.

»Du sollst noch Gelegenheit bekommen, deine Dankbarkeit zu beweisen«, sagte Argur. Er würde das Gespräch mit Welleynn rasch zu einem Abschluss bringen und sich dann diesem schönen Kind zuwenden. »Dein Milchbruder ist begnadigt, du kannst zufrieden sein. Oder?«

Diese Frage schloss er an, als er sah, dass Kalathee den Blick betroffen senkte.

»Was willst du noch?«, fragte Argur misstrauisch. »Ist dir das Leben deines Milchbruders nicht genug? Soll ich ihn auch noch in Seide und Hermelin kleiden?«

»Das ist es nicht«, sagte Kalathee mit kaum vernehmlicher Stimme. »Aber meine Freunde Nottr und Sadagar, die auch im Kerker schmachten müssen, sind ebenso unschuldig. Wäre es vermessen, auch um ihre Begnadigung zu bitten?«

»Was wirft man diesen Leuten vor?«, fragte Argur seinen Scharfrichter, der eben zurückkam.

»Wir sind harmlose Spielleute, die nichts anderes wollen, als die Menschen mit ihrem Spiel und Gesang zu erfreuen«, sagte Kalathee schnell. »Wir haben nichts Verwerfliches getan, als ...«

»Genug«, sagte Argur, als er von Welleynn einen Wink bekam. »Ich werde das schon richten. Geh voraus in meine Gemächer, Kindchen, eine Zofe wird dich betreuen. Ich komme bald nach und werde vermutlich eine erfreuliche Nachricht für dich mitbringen.«

»Danke.« Kalathee wollte offenbar noch etwas hinzufügen, aber zwei Wachen drängten sie vom Thron fort.

Welleynn kam die Stufen zum Thron hoch und ließ sich auf das Bärenfell daneben nieder.

»Was ist das für eine Geschichte?«, erkundigte sich Argur stirnrunzelnd. »Warum lässt du diesen Mythor ausgerechnet dann schultern, wenn du mir seine Milchschwester als Bettwärmer bringst?«

Der Scharfrichter lächelte, aber seine Augen blieben dabei kalt.

»Im Vertrauen, Argur«, sagte er dabei, »es war gar nicht Mythor, dessen jämmerliche Schreie du hörtest. Ich habe das dem Mädchen nur eingeredet, damit du deine Großmut zeigen und sie dir auf diese Weise gefügig machen kannst.«

Ein verstehendes Lächeln zeigte sich auf Argur von Solths Gesicht. Es verschwand jedoch sofort wieder, als Welleynn fortfuhr:

»Allerdings habe ich dabei nicht nur an die Befriedigung deiner fleischlichen Begierden gedacht. Das Mädchen und seine Freunde scheinen mir mehr als harmlose Musikanten zu sein. Ich möchte, dass du sie zum Sprechen bringst und von ihr erfährst, was sie wirklich in Thormain wollen.«

»Was vermutest du denn?«, fragte Argur.

Welleynn zuckte die Schultern.

»Yargh Mainer, der sie an mich auslieferte, hat die vier belauscht und behauptet, dass sie eine Verschwörung planen. Mythor, der ohne Zweifel der Anführer ist, hat Erkundigungen über den thormainischen Brunnen eingeholt. Das erscheint mir verdächtig. Ich möchte wissen, was die vier vorhaben, und das geht am ehesten über Kalathee. Sie ist in deiner Abhängigkeit, du kannst alles von ihr haben.«

»Ich werde sie nebenbei aushorchen«, versprach Argur von Solth. »Aber ich verstehe deine Befürchtungen nicht, Welleynn. Diese vier Leute können uns doch nichts anhaben. Gegen unsere Übermacht stehen sie auf verlorenem Posten.«

»Caer!«, sagte Welleynn, und Argur zuckte bei diesem einen Wort wie unter einem Peitschenhieb zusammen.

»Caer?«, wiederholte er. »Du meinst, die vier könnten eine Vorhut der Caer sein?« Argur lachte gekünstelt. »Vier Mann! Was sollen sie ausrichten können. Ja, wenn es wenigstens Caer-Priester wären! Aber Kalathee sieht mir nicht wie eine Dämonenpriesterin aus.«

»Es könnte sich um Spione der Caer handeln«, gab der Scharfrichter zu bedenken, »die die Lage auskundschaften sollen. Du und ich, wir beide wissen, dass Thormain von den Caer nicht verschont bleiben wird. Eines Tages werden sie auch diese Festung nehmen.«

»Steht es bereits so schlimm?«, fragte Argur besorgt. Er packte den Scharfrichter an der Schulter. »Und was ist mit der Abmachung, die du mit den Caer getroffen hast, Welleynn? Die Caer haben uns all die Jahre gewähren lassen, solange wir nicht ihre Schiffe und Siedlungen überfielen. Ja, sie haben uns sogar Hinweise gegeben, wann und wo reiche Beute zu machen wäre. Es ist doch so, dass wir den Caer eigentlich ganz gute Dienste geleistet haben. Du selbst hast das Abkommen mit ihnen getroffen. Wir haben ihre Schiffe in Ruhe gelassen, und sie haben uns nichts in den Weg gelegt. Wieso ist das auf einmal anders?«

»Die Caer brauchen uns nicht mehr, sie fühlen sich stark genug, sich die ganze Welt aus eigener Kraft zu unterwerfen«, sagte Welleynn. »Ich habe seinerzeit mit caerischen Heerführern verhandelt. Aber jetzt sind die Dämonenpriester an der Macht.«

Argur hieb mit der Faust auf die Armlehne des Throns.

»Wir dürfen uns das nicht länger bieten lassen«, sagte er fest. Etwas kleinlauter fügte er hinzu: »Kend und seine Leute haben mich in die Enge getrieben. Wenn ich nicht bald für reiche Beute sorge, werden sie mich stürzen, und du weißt, Welleynn, dass dies auch dir den Kopf kosten wird. Ich muss sie auf Raubzug schicken. Das sind keine Landratten, die man hinter Mauern einschließen kann. Sie brauchen die Seeluft und den Kampf. Wenn wir ihnen nicht dazu verhelfen, werden sie sich ihr Mütchen an uns kühlen.«

»Du hast Angst, Argur«, sagte Welleynn abfällig. »Aber warte nur, bis die Caer kommen, dann wird dieses Pack genug Gelegenheit erhalten, sich im Kampf abzureagieren. Mach das Kend klar. Wir müssen darauf vorbereitet sein, Thormain zu verteidigen.«

»Wie soll ich Kend das klarmachen?«, fragte Argur verzweifelt.

»Das ist deine Sache, du bist der Herrscher über Thormain«, antwortete Welleynn. »Aber vielleicht kannst du Kalathee zum Sprechen bringen und von ihr etwas über die Pläne der Caer erfahren.«

»Ja, Kalathee«, sagte Argur und spürte, wie ihn bei der Erinnerung an dieses zarte Geschöpf ein wohliger Schauer überkam. »Was ist mit ihren Freunden? Ich käme bei ihr leichter ans Ziel, wenn ich ihr eine gute Nachricht überbringen könnte.«

»Ich werde ihre Freunde auf freien Fuß setzen und sie beobachten lassen«, sagte Welleynn. »Sie dürfen sich ihrer Freiheit erfreuen, zumindest so lange, bis wir die Wahrheit über sie wissen. Aber ich werde verhindern, dass sie mit Kalathee zusammenkommen.«

»Das ist gut«, sagte Argur zustimmend. »Ich werde mich sogleich um sie kümmern. Sie wird Wachs in meinen Händen ...«

Der Herrscher von Thormain verstummte, als sich plötzlich eine rußige Wolke über ihn senkte und ihn einhüllte. Sofort eilten die Leibwachen herbei und holten ihn aus der Gefahrenzone.

»Es besteht weiter keine Gefahr«, versuchte ihn einer der Leibwächter zu beruhigen. »Das ist nur Ruß, der sich beim Reinigen der Luftschächte löste.«

Aber Argur von Solth war nicht zu besänftigen. Er befahl, dass der dafür verantwortliche Mann durch Rädern, Schultern, Kielholen und Vierteilen zu bestrafen sei. Dann verließ er wütend den Thronsaal, um sich Kalathee zu widmen. Bevor er jedoch seine Gemächer betrat, wechselte er noch die Kleidung und wischte sich den Ruß aus dem Gesicht.

Als Argur von Solth sein Schlafgemach betrat, war Kalathee bereits da. Sie saß gesenkten Hauptes in einem Stuhl, die Hände artig im Schoß gefaltet und von zwei Wachen flankiert. Argur verscheuchte die beiden Männer, und als die Tür hinter ihnen zufiel, kniete er vor Kalathee nieder und bedeckte ihre Hände mit Küssen. Sie ließ es mit sich geschehen, ohne irgendeine Regung zu zeigen. Ihre großen, braunen Augen waren verträumt ins Nichts gerichtet, ihre Hände waren kalt.

»Warum so traurig, Herzchen?«, fragte Argur. »Ich bringe dir gute Nachricht. Deine Freunde sind frei. Du kannst wieder lachen – und dich dankbar erweisen.«

»Danke«, sagte Kalathee abwesend. »Danke, Herr, für deine Güte. Ich bin deine Sklavin.«

Argur hielt inne und beobachtete forschend ihr überirdisch schönes, aber wie entseelt wirkendes Gesicht.

»Dass es deinen Freuden gutgeht, scheint dich aber gar nicht froh zu machen«, sagte Argur missmutig. »Glaubst du mir nicht? Zweifelst du etwa am Wort eines Argur von Solth!«

Kalathee schüttelte den Kopf.

»Das nicht ...«

»Was dann?«

»Mein Milchbruder«, murmelte Kalathee traurig. »Wenn ich von ihm getrennt bin, dann fühle ich mich wie tot. Ich muss ihn wenigstens einmal sehen, ihn berühren können, sehen, dass er wohlauf ist, damit ich mich am Leben wieder freuen kann.«

»Das lässt sich gewiss einrichten«, sagte Argur. »Du kannst alles von mir haben, Herzchen, wenn du dich freundlicher zeigst. Ich erwarte nur ein wenig Entgegenkommen von dir.«

»Ich weiß, aber zuerst muss der Bann von mir genommen werden«, sagte Kalathee traurig.

»Was für ein Bann?«, wollte Argur wissen.

Und Kalathee erzählte:

»In jungen Jahren, als wir noch nichts von der Liebe und vom Leben wussten, haben wir, mein Milchbruder Mythor und ich, uns innerhalb eines magischen Kreises ewige Treue geschworen. Keiner sollte ohne das Einverständnis des anderen an sich Zärtlichkeiten eines Außenstehenden zulassen dürfen. Dieser Zauber wirkt noch immer. Ich habe schon einmal erlebt, wie ein Mann durch meine Umarmung von magischem Feuer verzehrt wurde. Das darf ich dir nicht antun, Argur.«

Argur von Solth ließ sofort ihre Hände los, als hätte er sich daran verbrannt. Als er den ersten Schreck überwunden hatte, wurde er jedoch sofort wieder misstrauisch.

»Wenn du mich täuschst, Herzchen, dann sollst du mich kennenlernen«, sagte er. »Ehe sich's dein Milchbruder versieht, wird er sich im Kerker wiederfinden – und du bei ihm.«

»O nein, bitte nicht«, rief Kalathee erschrocken aus. »So grausam darfst du nicht sein, wenn du mich wirklich begehrst. Es genügt, dass du mich mit meinem Milchbruder zusammenbringst, damit er den Bann von mir nimmt. Dann kann ich dein sein.«

Das Verlangen erwachte in Argur sofort wieder. Er musste dieses Mädchen besitzen, koste es, was es wolle – nur vom magischen Feuer wollte er sich nicht verzehren lassen.

»Gut, es soll sein«, beschloss er.

»Es geht aber nur unter einer Bedingung.«

»Was denn noch?«

Kalathee machte eine Geste der Verzweiflung.

»Mythor und ich haben herausgefunden, dass der Bann nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen gebrochen werden kann«, sagte sie. »Und es eignet sich nicht jeder Ort dafür. Aber in Thormain gibt es einen solchen Ort, und nur darum haben wir so viele Gefahren auf uns genommen und sind hierhergekommen.«

»Was für einen Ort meinst du?«, erkundigte sich Argur.

»Den thormainischen Brunnen.«