Hoyerswerda-Lese

Hoyerswerda – eine Stadt im Märchen-, Sagen-, Seenland der Lausitz

Entdecken Sie die Schönheit der Stadt und erfahren Sie Wissenswertes über bekannte Persönlichkeiten, Vereine und Unternehmen, die das Bild der Stadt prägen. Begleiten Sie uns auf historischen Streifzügen durch die Umgebung. Lassen Sie sich entführen in die fantastische Märchen- und Sagenwelt, die von verschiedensten Naturgeistern wie dem Wassermann und von dem Zauberer Krabat erzählt.

Blicken Sie mit uns auf Hoyerswerda und lernen Sie die Stadt einmal aus anderen Perspektiven kennen. Wie? Ganz einfach:

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MÄRCHEN UND SAGEN AUS DER LAUSITZ – BAND 1

Ingrid Annel

Glücksdrachenpech

Von Wassermännern, Drachen und Irrlichtern

Illustrationen von Marga Lenz

© Bertuch Verlag GmbH, Weimar, 2012

www.bertuch-verlag.com

Alle Rechte vorbehalten

Titelgrafik: Marga Lenz

Gesamtherstellung:

Graphische Betriebe Weimar

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2013

ISBN 9783863970284

Geisterbeschwörung

Es lebte einmal ein Müller, bei dem hielt es kein Mühlknecht länger als drei Nächte aus, denn es spukte in seiner Mühle. Eines Tages kam ein junger Mann des Wegs, der fürchtete sich vor gar nichts. Als er von dem Spuk hörte, bot er an, dem nächtlichen Spektakel ein Ende zu bereiten.

Er nahm ein großes Stück Leinenstoff und nähte daraus ­einen Sack. Allerdings stach er die Nadel immer verkehrt herum­ in den Stoff, also nicht von rechts nach links und zu sich hin, sondern von links nach rechts und von sich weg. Kaum war er damit fertig, griff er sich einen Reisigbesen und kehrte die Mühle von oben bis unten. Bis in die hinterste Ecke fegte er gründlich aus. Anschließend säuberte er noch Stall und Scheune.

Den Kehricht, der zu einem beachtlichen Haufen angewachsen war, schaufelte der junge Mann in den Sack. Als kein Krümelchen Unrat mehr zu finden war, schnürte er den Sack mit einem derben Strick fest zu, packte sich die Last auf den Rücken und trug sie zu einem Teich ganz in der Nähe. Dort hinein warf er den Sack mit allem, was darin steckte.

Seit diesem Tag hatte der Spuk in der Mühle ein Ende. Doch dafür begann es in dem Teich zu spuken und zu gespenstern.

Einmal warf ich meine Angel an diesem Teich aus. Geduldig saß ich da und wartete. Erst als die Sonne versunken war und das Dämmerlicht die Landschaft zu verzaubern begann, zuckte es an der Angel. Doch als ich sie aus dem Wasser zog, hing kein dicker Karpfen daran, sondern ein alter, modriger Sack.

Enttäuscht wollte ich ihn gleich wieder im Wasser versenken, ganz unauffällig. Was hätte ich auch sonst damit anfangen sollen?­ Doch dann sah ich, wie sich etwas in dem Sack regte und bewegte.

„Um Himmels willen!“, schrie ich den Sack an. Mit fliegenden Händen versuchte ich, den derben Strick zu lösen. Was mochte in dem Sack stecken? Ein Lebewesen? Vielleicht mehrere? Konnte ich ihm oder ihnen noch das Leben retten? Meinen Atem einhauchen, Mund zu Mund? Oder war es dafür längst zu spät?

Kaum war der Knoten gelöst, riss ich den prall gefüllten Sack auf und schaute voller Neugier und Sorge hinein. Und sah nichts als einen leeren Sack. Doch ich hätte schwören können, dass genau in diesem Moment ganze Scharen von eigenartigen Gestalten in meinem Kopf Einzug hielten.

Seitdem spukt und gespenstert es unter meiner Schädeldecke, treiben Dämonen dort ihr Unwesen. Zuweilen taucht der Wassermann aus den Abgründen meiner Gehirnwindungen herauf und will, dass ich ihm folge. Ein Irrlicht führt meine Gedanken kreuz und quer durch sumpfiges Gebiet, bis sie im Morast zu versinken drohen. Unverhofft steht die Mittagsfrau vor mir, und wenn mein Verstand nicht schärfer ist als ihre Sichel, verliere ich beinahe den Kopf. Tag für Tag will der Glücksdrache gut gefüttert werden, damit er mir zum Lohn nachts heimlich mein Oberstübchen mit geistigen Schätzen füllt. Die alte Wurlawa verlangt, dass ich den Faden einer langen Geschichte spinne, eine ganze Spule voll. Und Wichor, der Wirbelwind, bläst all meine säuberlich geordneten Gedanken wild durcheinander, dass ich sie erst wieder zusammensuchen und sortieren muss.

Weil mir aber manchmal all das Geistern und Gespenstern da oben in meinem Kopf zu wild wird, hole ich jetzt einen großen Besen und fege aus allen Winkeln und Ecken meines Gehirns die Sagengestalten und Dämonen, Geschichten und Erinnerungen auf einen großen Haufen. Den schaufle ich in die Seiten dieses Buches hinein und klappe es zu.

Und hier ist es. Doch Vorsicht: Wer das Buch erst einmal aufgeschlagen hat, dem wird es bald auch im Kopf spuken und gespenstern.

Dann werden die alten Sagengestalten zu neuem Leben erwachen.

Ein Paradies für
Wassermänner und Nixen

Vor Zeiten, als die Wassermänner auf der Suche nach einer wohnlichen Gegend waren, entdeckten sie die Lausitz. Eine Landschaft, wie geschaffen für sie. Tausend Seen, Teiche und Tümpel, verzweigte Bäche, Flüsse und Kanäle boten ausreichend Platz für viele, viele Wassermänner, die sich in der sumpfigen Gegend sehr wohl fühlten. In der Tiefe der Gewässer errichteten sie ihre Häuser und kristallenen Paläste, dort wohnten sie mit ihren Frauen und Kindern.

Oft kamen die Wassergeister aus ihrer Unterwelt herauf. Sei es, um still in der Sonne zu sitzen und sich zu wärmen oder um sich die Wasserflöhe aus dem struppigen Haar zu kämmen. Manchmal tanzten sie in wunderlichen Sprüngen am Ufer, ehe sie kopfüber wieder ins Wasser sprangen. Und zuweilen gingen sie ins Dorf, um im Wirtshaus mit den Bauern Karten zu spielen.

Die Töchter des Wassermanns legten auf den Wiesen ihre weiße Wäsche aus, um sie in der Sonne bleichen zu lassen. Wenn allerdings die Wasserfrauen ihre Wäsche am Ufer der Teiche trockneten, dann wussten die Leute in den Dörfern, dass es bald regnen würde.

Manchmal sah man die Wasserleute auch übers Land ziehen. Nämlich dann, wenn ihnen ihr Teich zu klein geworden war oder aus anderen Gründen nicht mehr gefiel. Dann packten sie ihren Hausrat auf einen Wagen und begaben sich auf die Suche nach einem anderen See, in dem ein geeignetes Wassergrundstück für sie frei war.

Die Menschen in den Dörfern fürchteten sich vor den Wassergeistern. Schon die kleinen Kinder wurden ermahnt, sich vor ihnen in Acht zu nehmen. Wie ruhig die Bäche und Teiche auch dalagen, wie friedlich die Sonnenstrahlen auf den ­Wellen spielten, immer konnte es passieren, dass knapp unter der Wasseroberfläche der Wassermann lauerte. Kamen die Kinder dem Wasser zu nahe, schoss in Blitzesschnelle die Hand des Wassermanns heraus, griff nach ihnen und zog sie so rasch in sein Reich hinab, dass sie nicht einmal mehr Zeit hatten, um Hilfe zu schreien.

Jeder Wassermann hatte das Recht, alljährlich einen Menschen zu ertränken. Manchmal war das schnell erledigt. Es musste nur ein Bauer, der zu tief in den Bierkrug geschaut hatte,­ in einer mondlosen Nacht vom Gasthaus nach Hause torkeln und etwas zu nahe ans Ufer geraten, schon packte ihn der Nix und zerrte ihn ins Wasser. Oder die Wasserfrau hängte an den Ufern eines Baches bunte Bänder und Tücher auf und lockte damit Frauen und Kinder herbei. Wollten sie nach den Bändern greifen, war ihr Schicksal besiegelt.

Aber in ihrer Hinterlist sannen die Wassergeister auch auf andere Möglichkeiten, sich der Menschen und ihrer Seelen zu bemächtigen.

Einmal hütete ein junger Schäfer seine Herde in der Nähe ­eines Teiches. Er hatte es sich im Schatten eines Baumes bequem gemacht und war eingeschlafen. Plötzlich schreckte er hoch und sah, dass eins der Lämmer in den Teich gelaufen war und zu ertrinken drohte. Schnell sprang der Schäfer hinterher, um das Tier zu retten. Doch noch schneller hatte sich das Lämmchen zurück in den Wassermann verwandelt, der den Schäfer nur täuschen und in sein Reich locken wollte. Der Schäfer konnte nicht schwimmen und ertrank.

So lauerte das ganze Jahr über Gefahr in allen Gewässern, selbst noch in der kleinsten Pfütze.

Kaum war der Winter zu Ende, erwachte die Gier der Wassermänner nach einem Menschenopfer. Die Schneeschmelze kam ihnen sehr gelegen, die Bäche schwollen an und wurden zu reißenden Strömen. Wie schnell war da jemand auf der vom letzten Eisrest überzogenen Holzbrücke ausgerutscht, in den Bach gestürzt und von den strudelnden Wassern fortgerissen.

Wenn sich nach den Frühjahrshochwassern alles wieder beruhigt hatte, begannen die Wassermänner, den Grund der Flüsse­ und Seen umzubauen. Sie wühlten und buddelten, sie gruben Löcher, häuften andernorts Schlamm und Schlick auf, bis kein Stein mehr auf dem Fleck lag, an dem er im vergangenen Jahr gelegen hatte.

Kamen dann im Sommer die Kinder zum Baden und rannten mit Freudenschreien ins hoch aufspritzende Wasser genau dort, wo es im vergangenen Jahr noch seicht war und nur knöchelhoch stand, so tat sich nun unversehens ein Abgrund auf. Und schon war es passiert: Ein Kind versank vor den Augen der anderen in den Fluten des Wassers und wurde nie wieder gesehen.

Manchmal gelang es den Wassermännern erst im Herbst, einen Menschen zu ertränken. Oder ganz und gar am letzten Tag des Jahres, wenn die Leute in ausgelassener Stimmung feierten und keinen Blick für den Weg hatten, der sie unvermittelt in die Nähe eines Gewässers führte.

Oft wurden die Ertrunkenen niemals mehr gefunden. ­Waren sie so schnell vom Schlamm überzogen worden? Oder hatte der Wassermann sie ganz und gar gefressen? Die Seelen der Menschen jedoch hielten die Wassermänner unter kleinen Tontöpfen gefangen und erfreuten sich an ihrer größer werdenden Sammlung.

Zuweilen reichte den Wassergeistern schon ein schmales Rinnsal, um sich eine Menschenseele zu holen. Eine Wasserfrau kaufte bei einem Fleischer ein und griff sich ohne Erlaubnis ein Stück Fleisch nach ihrem Wunsch. Als der Fleischerbursche eine Portion für sie abhacken wollte, hielt sie das Stück ­immer noch am anderen Ende fest. Und so geschah es, dass der Fleischerbur­sche ihr versehentlich einen Finger abhackte. Die Wasserfrau schrie vor Schmerz und Zorn und drohte dem jungen Mann mit Rache. Der Meister ließ den Burschen drei Monate lang nicht über Land gehen, damit er nicht der Wasserfrau in die Hände fiele. Doch nach Ablauf dieser Frist wurde er ins nahe gelegene Dorf geschickt, um Vieh zum Schlachten zu holen. Unterwegs musste er über einen schmalen Graben gehen, in dem nur ein Rinnsal floss. Als er den Graben überquerte, packte ihn die Wasserfrau und ertränkte ihn im flachen Wasser.

Zur Strafe für ihre Hinterlist und Heimtücke wurde bei jedem Gewitter ein Wassermann getötet. Wenn der Blitz in den Teich fuhr und rote Blasen aufstiegen, dann hatte wieder einen der Wassergeister die gerechte Strafe ereilt.

Zwei Scheffel Getreide

Ein Bauer aus Niedergurig ging über die Felder, mit hängendem Kopf. Es war höchste Zeit, Roggen auszusäen, aber er besaß keinen Roggen. Und Geld, um sich bei seinen Nachbarn Getreide zu kaufen, hatte er auch nicht. Er sah keinen Ausweg mehr, als seinem Leben ein Ende zu setzen. Gerade wollte er sich in den See stürzen, da tauchte aus den Wellen der Wassermann herauf und fragte, warum er an solch einem sonnigen Tag so traurig sei. Der Bauer seufzte und klagte, er könne seine Familie nicht mehr ernähren.

Der Wassermann tröstete ihn und sagte: „Komm morgen Abend, wenn der Mond über den Horizont steigt, zur Riesen­eiche am Wasser, wo sich der Wasserwirbel dreht. Dort findest du genügend Roggensaat. Aber versprich mir, dass du mir übers Jahr, am gleichen Tag und zur gleichen Stunde, so viel zurückbringen wirst, wie du morgen von mir bekommst.“

Der Bauer versprach es, bedankte sich und ging heim. Am nächsten Abend fand er neben der Rieseneiche zwei Scheffel Getreide. Er säte den Roggen aus und hoffte auf günstiges Wetter. Nicht zu viel Regen, nicht zu wenig, damit das Getreide gut gedeihen möge.