Die Drei Fragezeichen
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Toteninsel

Teil 3
Der Fluch der Gräber

erzählt von André Marx

Kosmos

Umschlagillustration von Silvia Christoph, Berlin

Umschlaggestaltung von eStudio Calamar, Girona, auf der Grundlage

der Gestaltung von Aiga Rasch (9. Juli 1941 – 24. Dezember 2009)

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© 2013, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Mit freundlicher Genehmigung der Universität Michigan

Based on characters by Robert Arthur.

ISBN 978-3-440-14354-4

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Die rätselhaften Bilder

Eine ohrenbetäubende Explosion.

Eins.

Eine Druckwelle erschütterte die ganze Insel, zerriss meterdicke Felsschichten und ließ die Erde in Wellen aufbrechen.

Zwei.

Felsbrocken rasten wie Geschosse durch die Luft und bohrten sich ins aufgewühlte Erdreich. Hochgeschleuderte Steine regneten herab.

Drei.

Schreiende Menschen. Schreie der Angst, des Schmerzes, des Todes. Die Welt ging unter.

Vier.

Auf all das wartete Peter, während er die Sekunden zählte. Doch nichts davon geschah.

Fünf. Sechs. Sieben. Acht. Noch immer schützte er seinen Kopf mit den Armen und drückte seinen Körper so flach wie möglich auf den Boden. Es musste jeden Moment losgehen. Jetzt! Jetzt!

Einundzwanzig. Irgendwas stimmte nicht. Entweder hatte er seine Uhr falsch abgelesen oder… Peter wagte es, den Kopf ein Stück zu heben und einen Blick auf seine Sportuhr zu werfen. Es gab keinen Zweifel, die fünf Minuten waren längst um. Und es hatte keine Explosion gegeben. Jedenfalls keine, die so nennenswert gewesen wäre, dass er sie hier oben bemerkt hatte.

Wo waren die anderen? Der Zweite Detektiv blickte sich um. Es war noch Nacht, aber Mond und Sterne erhellten den Kraterkessel genug, um die umliegende Umgebung erkennen zu können. Niemand war zu sehen. Dann tauchte Justus’ Kopf hinter einem Felsen am Kraterhang auf. Justus sah verstört aus. Er war offenbar genauso irritiert wie Peter, gab ihm jedoch ein Zeichen, unten zu bleiben. Vielleicht hatte der Zünder ein paar Sekunden Verspätung.

Sie waren eine Minute über die Zeit. Eineinhalb Minuten. Nichts geschah.

»Ihr verfluchten Burschen! Verarschen kann ich mich allein! Was wird hier gespielt?« Juan. Wer sonst. Er krabbelte aus seiner Deckung in einer kleinen Mulde heraus, klopfte sich den Staub von der Kleidung und stapfte wütend auf Peter zu.

»Vorsicht!«, rief Peter. »Die Bombe muss jeden Moment hochgehen!«

»Bombe!«, schnaubte Juan. »Es gibt keine Bombe! Oder hast du was gehört?«

»Ich habe sie gesehen«, antwortete Peter und wies auf den Boden. »Da unten.«

»Gar nichts hast du! Du hast mit dem Verräter gemeinsame Sache gemacht! Dir werd ich’s zeigen, Bürschchen!« Juan schien Peter beim Hemdkragen packen zu wollen, doch Peter trug kein Hemd mehr. Also griff sein Gegner kurzerhand nach Peters Kehle.

»He!«, brüllte Peter. »Spinnen Sie jetzt komplett?«

»Juan!« Professor Phoenix kam vom oberen Rand des Kraters zurück. »Ich sage es Ihnen zum letzten Mal: Lassen Sie den Jungen in Frieden!«

»Sehen Sie denn nicht, was hier passiert, Professor? Diese Burschen –«

»Haben sicherlich nichts mit der Verschwörung zu tun, die Sie hinter allem und jedem vermuten.«

»Und was macht Sie da so sicher?«

»Mein Instinkt. Und mein gesunder Menschenverstand. Machen Sie doch Ihre Augen auf, Juan: Diese Jungs sind höchstens sechzehn Jahre alt. Glauben Sie ernsthaft, Mr Hadden würde drei Teenager losschicken, um Sie oder mich auszuspionieren?«

»So. Und wie erklären Sie sich dann das, was gerade geschehen ist? Eine Bombe! Dass ich nicht lache! Ich kann Ihnen sagen, was die drei vorhatten: Sie haben uns aus der Anlage rausgelockt, das steckt dahinter!«

Nun kam auch Justus aus seinem Versteck und gesellte sich zu den anderen. »Das ist nicht wahr. Es gibt wirklich eine Bombe. Olin hat sie an Bord der ›Explorer‹ hierher geschmuggelt.«

»Aber warum geht sie nicht hoch?«, rief Peter. »Warum passiert denn nichts?«

»Was ist da unten geschehen, Justus?«, fragte Phoenix. »Was befindet sich hinter der Panzertür? Und was hat Olin getan?«

Der Erste Detektiv erzählte die ganze Geschichte. »Wir wissen immer noch nicht, welches Geheimnis hinter dieser Anlage steckt. Nur eines ist sicher: Sie ist viel, viel größer, als wir angenommen hatten. Ich glaube nicht, dass wir auch nur eine Ahnung davon haben, wie groß. Es gibt so viele Türen und Gänge, an denen wir vorbeigekommen sind und von denen wir nicht wissen, was sich dahinter verbirgt.«

»Und das glauben Sie ihm?«, brauste Juan auf.

Professor Phoenix nickte ruhig. »Ja, das tue ich. Es macht nämlich mehr Sinn als die Geschichte, die Sie sich zusammengebastelt haben.«

»Mit einem hatte Juan allerdings Recht«, warf Justus ein. »Die Sache mit der Bombe war ein Fake.«

»Was?«, rief Peter. »Wie kommst du denn darauf? Wir haben das Ding doch gesehen, samt Zünder!«

»Schon. Aber du siehst ja: Es ist nichts passiert. Und findest du es nicht auch etwas merkwürdig, dass sich jemand von einer Sekunde auf die andere in einen völlig anderen Menschen verwandelt? Dass ein intelligenter Mann wie Olin plötzlich von einer Art religiösem Wahn besessen ist? Das war alles nur Show!«

»Und wozu sollte diese Show gut sein?«

»Um uns alle aus der Anlage zu vertreiben. Das war Olins einzige Chance, heil aus der Sache herauszukommen, nachdem ich ihn durchschaut und bloßgestellt hatte. Dieser Quatsch vom Zorn der Ahnen und der heiligen Insel war nur dummes Gerede. Irgendeinen Grund für sein Verhalten musste er uns ja nennen. Da war es natürlich einfacher, den verrückten Wissenschaftler zu spielen, als mit der Wahrheit herauszurücken.«

»Die Wahrheit?«, fragte Peter. »Aber was ist die Wahrheit?«

»Das kann ich dir auch nicht sagen. Noch nicht. Ich weiß nur eines: Mr Olin ist der Schlüssel zum Ganzen. Ich bin sicher, dass er ganz genau weiß, wer diese Anlage gebaut hat und zu welchem Zweck. Wenn wir ihn kriegen, lösen wir auch das Rätsel um Makatao.« Justus knetete gedankenverloren seine Unterlippe. »Allerdings gibt es da ein Problem.«

»Welches, Just?«

»Wenn ich mit meinen Vermutungen richtig liege, wird Olin dafür gesorgt haben, dass wir die Anlage so schnell nicht wieder betreten können. Wahrscheinlich hat er die Panzertür fest verriegelt. Und mit etwas Pech haben wir uns den ersten Zugang selbst versperrt.« Abrupt setzte Justus sich in Bewegung. Er durchquerte die Ruinen bis zur Mitte des Kraters, wo sich der Altar befand. Der Erste Detektiv presste seine Hand auf den magischen Kreis. Nichts rührte sich. Der Steinblock blieb unbewegt an seiner Position.

Justus nickte grimmig. »Wie ich vermutet hatte. Bei unserer Flucht hat natürlich niemand daran gedacht, die Gewichte des Öffnungsmechanismus neu zu verteilen. Jetzt haben wir uns ausgesperrt.«

»Und was nun?«

»Wir haben noch ein Ass im Ärmel. Bob ist da unten. Weißt du, wo er zurückgeblieben ist, Peter?«

Der Zweite Detektiv schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung. Es war ja stockdunkel auf dieser Treppe. Als wir den Aufgang entdeckten, war er jedenfalls noch bei uns. Und danach? Ich kann mich nicht erinnern, aber ich hatte auch andere Sachen im Kopf.«

»Wahrscheinlich ist er auf der Treppe gestürzt«, vermutete Justus. »Aber inzwischen wird er bemerkt haben, dass die Bombe nicht hochgegangen ist. Ich hoffe, er tut das Richtige.«

»Und was wäre das?«

»Na, uns die Tür aufmachen. Er wird ja wohl nicht so leichtsinnig sein, etwas im Alleingang gegen Olin zu unternehmen. Oder?«

Große, runde, glotzende Augen. Lange Nasen. Verzerrte Münder, die die Zähne bleckten. Die an die Felswand gemalten Ahnenbilder starrten Bob an. Bob starrte zurück. Die Welt um ihn herum versank in einem Nebel aus Stille und Dunkelheit. Ganz am Rande seines Bewusstseins bekam er noch mit, wie Peter und Justus die Treppe am Ende des Raumes erklommen. Es war nicht wichtig. Nichts war mehr wichtig. Es gab nur noch diese Gesichter: verzerrte Fratzen mit gebleckten Zähnen und stechendem Blick. Bob schritt langsam an der Wand entlang. Sie schienen ihm mit den Augen zu folgen. Es war beunruhigend. Sie wirkten so lebendig, so… so wissend. Als hätten sie auf ihn gewartet. Als wollten sie ihm etwas mitteilen.

Bob kannte diese Gesichter. Er wusste, dass er sie schon einmal gesehen hatte. Aber wo? Und wann? Er konnte sich nicht erinnern. Doch dann fiel sein Blick auf ein Gesicht in der Mitte der Wand. Es war das Größte von allen und seine Augen waren so durchdringend, dass Bob das Gefühl hatte, sie würden direkt in seinen Kopf sehen. Da war eine Mauer. Eine Mauer in seiner Erinnerung. Bob hatte nicht gewusst, dass sie da war, aber jetzt spürte er, dass dahinter etwas verborgen lag, sorgsam abgeschirmt von seinem Bewusstsein.

Die Mauer bekam Risse. Bilder sickerten hindurch.

Nacht. Ein Industriegebiet. Lagerhäuser.

Die Wand in seinem Geist begann zu bröckeln.

Ein Versteck hinter einem Stahlcontainer. Ein Geräusch.

Sie brach zusammen und eine Flut von Erinnerungen ergoss sich in Bobs Gehirn. Die Wirklichkeit…

löste…

sich…

auf.

Eine große, dunkle Gestalt war aus dem Nichts hinter seinem Rücken aufgetaucht. Sie holte zum Schlag aus! Bob riss den Arm hoch. Ein schwerer, harter Gegenstand traf sein Handgelenk. Glühender Schmerz durchzuckte ihn. Bob wollte schreien, doch da krachte etwas auf seinen Kopf. Bizarre Muster explodierten vor seinen Augen. Es wurde dunkel.

Als er erwachte und die Augen aufschlug, gab es Licht. Eine Lampe. Weit entfernt. Schwach. Er lag irgendwo. Auf einer Pritsche oder so was. Bobs Kopf schmerzte. Schlimmer war jedoch sein Handgelenk. Er konnte es kaum bewegen. Wo war er? Was war geschehen? Er hatte im Industriegebiet von Santa Monica auf Skinny Norris gewartet, der sich dort mit Joseph Hadden treffen wollte. Dann hatte ihn plötzlich jemand niedergeschlagen. Es war weder Skinny noch Hadden gewesen.

»Ich glaube, er ist aufgewacht.« Eine leise, tiefe Stimme aus der Richtung, aus der auch das Licht kam. Stühlerücken. Jemand kam auf ihn zu. Zwei Menschen, ein kleiner, ein großer – mehr konnte Bob in der schwachen Beleuchtung nicht erkennen.

»Geht es dir gut, Skinny?«, fragte der Kleine und beugte sich über ihn, so dass Bob sein Gesicht sehen konnte. Es war hager und eingefallen, die Augen leuchteten hellblau. Dieser Mann sah nicht gesund aus. Und was hatte er da gerade gesagt? Skinny?

»Ich…«, begann Bob und fing an zu husten. Sein Mund war ausgetrocknet.

»Hol etwas Wasser, Dave!«, fuhr der Kleine den Großen an. »Es tut mir Leid, dass er dich so heftig niedergeschlagen hat, Skinny. Ich habe ihm gesagt, er soll dich gefügig machen, von einem angeknacksten Handgelenk und einer dicken Beule war nie die Rede. Er ist manchmal etwas grob. Oh, du wunderst dich, dass ich deinen Namen kenne? Ich weiß so einiges über dich, Skinner Norris. Und ich hätte eine weniger brutale Methode vorgezogen, dich hierher zu bringen. Aber Mr Hadden war der Meinung, du würdest dich sträuben. Daher hat er mir diesen… Gorilla an die Seite gestellt.«

Bobs Gedanken rasten. Was redete dieser Mann da? Er hielt ihn für Skinny! Aber natürlich, Skinny war von Hadden zu Halle 3 bestellt worden, dort aber nicht aufgetaucht. Dafür Bob. Dieser magere Typ und sein ›Gorilla‹ Dave hatten den echten Skinny wahrscheinlich nie zu Gesicht bekommen. Was sollte er jetzt tun? Den Irrtum aufklären? Oder… das Spiel mitspielen? Wenn er doch nur wüsste, welches Spiel es überhaupt war!

Dave brachte ihm ein Glas Wasser. Bob setzte sich auf, nahm es umständlich entgegen und trank in langsamen, kleinen Schlucken. Er musste Zeit gewinnen. Er blickte über den Rand des Glases hinweg und sah sich seine Umgebung näher an. Der Raum war klein und kahl. An den Wänden blätterte der Putz. Außer dieser Pritsche und einem Tisch unter einer schwachen Funzel, die von der Decke hing, gab es nichts. Das Fenster hatte hölzerne Läden, die den Blick nach draußen versperrten, die Tür war geschlossen. Kein Laut drang herein.

»Du wirst dich sicherlich fragen, warum du hier bist, Skinny«, sagte der Kleine. »Ich werde es dir sagen. Aber es ist wichtig, dass du mir genau zuhörst. Ganz genau, verstehst du? Sieh mich an!«

Bob blickte in die eisblauen Augen und nickte.

»Du wirst in zwei Tagen mit der ›Hadden Explorer‹ auf eine sehr, sehr wichtige, geheime Mission gehen. Und du wirst dabei eine zentrale Rolle spielen. Du wirst eine große Verantwortung tragen. Hast du mich verstanden?«

»Ja… das heißt nein. Was für eine Verantwortung?«

Der Mann machte eine beruhigende Geste. »Vor zehn Tagen hat die Besatzung der ›Hadden Montana‹ auf Makatao eine erstaunliche Entdeckung gemacht. Eine Entdeckung, die dazu führte, dass eine zweite Expedition startet. An Bord der ›Hadden Explorer‹ werden Fachleute sein, die wissen, was mit dieser Entdeckung zu tun ist. Es gibt nur ein Problem.«

»Nämlich?«

»Mr Hadden, der das ganze Unternehmen finanziert, vertraut der zweiten Mannschaft nicht. Aus sicheren Quellen weiß er, dass mindestens ein Maulwurf unter den Expeditionsteilnehmern ist. Er weiß jedoch nicht, wer. Die Zeit reicht nicht aus, um ein neues Team zusammenzustellen, die ›Explorer‹ muss in zwei Tagen auslaufen. Welche Möglichkeit bleibt also übrig?« Er sah ihn forsch an.

»Ich weiß nicht«, gestand Bob.

»Divide et impera!«

Das war Latein. So viel wusste Bob. Nicht jedoch, was es bedeutete.

»Teile und herrsche! Gib niemandem die ganze Macht, gib jedem nur einen Teil davon, so wird dich niemand hintergehen können. Genau das hat Mr Hadden getan. Jeder an Bord der ›Explorer‹ hat nur einen Teil der Informationen, die er benötigen würde, um das Unternehmen zu gefährden. Egal wer der Maulwurf ist, er wird die Expedition nicht vereiteln können, weil ihm die wichtigste Information fehlt.«

»Und die wäre?«

»Der Ort, an dem sich das, was Mr Hadden haben will, befindet.«

»Das verstehe ich nicht. Ich denke, die Besatzung der ›Montana‹ hat bereits etwas gefunden.«

Der Kleine schüttelte lächelnd den Kopf. »Nein. Sie hat nur entdeckt, dass es auf Makatao mehr gibt, als erwartet. Wo genau es sich jedoch befindet, das weiß niemand. Und es wird deine Aufgabe sein, dieses Geheimnis zu bewahren.«

»Meine?« Bob schluckte. »Aber… aber ich weiß doch gar nicht, worum es überhaupt geht!« Er biss sich auf die Lippen. Hatte er sich verraten?

Doch sein Gegenüber schüttelte den Kopf. »Das weiß niemand. Divide et impera! Jeder bekommt nur einen kleinen Teil der großen Wahrheit. Selbst ich kenne sie nicht. Mr Hadden hat mich nur damit beauftragt, dir die Information zu geben, wo sich des Rätsels Lösung verbirgt.«

Bob runzelte die Stirn. Es gab eine Frage, die ihn schon seit zwei Tagen beschäftigte. Jetzt hatte er vielleicht die Chance auf eine Antwort: »Wenn Mr Hadden niemandem von der Mannschaft traut – warum vertraut er ausgerechnet mir?«

Der Kleine lachte. »Das tut er nicht.«

»Und warum will er dann mir diese wichtige Information geben? Ich könnte sie dem Maulwurf zuspielen und mich dann aus dem Staub machen.«

»Könntest du nicht.«

»Und warum nicht?«

»Weil du dich nach diesem Gespräch an nichts mehr erinnern wirst.«

Der Zauberspiegel

»Was soll das heißen?«

»Natürlich nur mit deiner Zustimmung.«

»Bitte?«

»Ich möchte dich hypnotisieren. Oh, ich vergaß vollkommen, mich vorzustellen. Gestatten? Cypher, der beste Hypnotiseur Kaliforniens.«

»Cypher«, wiederholte Bob spöttisch.

»Ein Künstlername. Kein besonders guter, das gebe ich zu, aber dafür umso einprägsamer.«

»Sie werden es nicht schaffen, mich zu hypnotisieren«, sagte Bob bestimmt. »Niemals.«

»Nicht, wenn du dich dagegen wehrst, da gebe ich dir Recht. Deshalb bitte ich dich ja auch mir zuzuhören. Damit du verstehst, worum es hier geht. Ohne die Information, die ich dir geben werde, ist die ganze Mission bedeutungslos. Es ist ungeheuer wichtig, dass ein Mensch an Bord der ›Explorer‹ weiß, wo auf der Insel überhaupt gesucht werden soll. Aber der Maulwurf wird natürlich versuchen, an diese Information heranzukommen. Er wird nichts unversucht lassen. Er wird vielleicht nicht einmal vor Gewalt zurückschrecken. Unser Geheimnisträger muss sich also so unauffällig wie möglich verhalten. Und wie gelingt ihm das? Indem er gar nicht weiß, dass er ein Geheimnis kennt.«

Bob runzelte die Stirn. »Ich verstehe immer noch nicht ganz. Sie… Sie wollen mir eine Information implantieren?«

»Sozusagen, ja. Wenn ich dich hypnotisiere, wirst du dich erst dann wieder an die Information erinnern können, wenn du auf der Insel angelangt bist. Bis dahin ist das Geheimnis sicher verwahrt. Sicherer als an jedem anderen Ort in der Welt, nämlich in deinem Kopf. Und du wirst es nicht einmal wissen.«

»Und wenn ich mich weigere?«

»Ich kann dich nicht zwingen. Niemand kann hypnotisiert werden, wenn er es nicht möchte. Deine innere Bereitschaft ist eine Voraussetzung, damit es funktioniert. Andernfalls kann der beste Hypnotiseur der Welt nichts ausrichten.« Cypher blickte ihn ernst an. Er wartete auf eine Entscheidung. Aber Bob war noch nicht bereit, der Sache zuzustimmen.

»Was habe ich von der ganzen Sache?«

»Nun, ich denke, das weißt du.« Bob zuckte zusammen. Er wusste von gar nichts! »Mr Hadden sagte, du würdest für diesen Auftrag äußerst großzügig entlohnt. Wenn du ablehnst, wird er dich ohne Zweifel morgen anrufen, um dir zu sagen, dass du deinen Seesack wieder auspacken kannst. Oder Schlimmeres.« Er lächelte vieldeutig. »Hadden ließ durchblicken, dass du in seiner Schuld stehst. Ich denke, du weißt, was er damit meint.«

Bob konnte es sich denken. Skinny hatte irgendwas ausgefressen, so viel wusste er. Und das setzte Hadden als Druckmittel gegen ihn ein. Das Problem war: Bob war nicht Skinny. Was hatte es für Konsequenzen, wenn er diesen Cypher in seinem Hirn herumpfuschen ließ? »Angenommen, ich sage Ja«, begann Bob vorsichtig. »Was passiert mit mir, wenn ich aus der Hypnose aufwache?«

»Du wirst dich an nichts erinnern können und nach Hause fahren. Nicht an Daves ruppigen Überfall, nicht an mich, nicht an diesen Ort und nicht an das Geheimnis. Es wird so sein, als hättest du bei Halle 3 vergeblich auf Mr Hadden gewartet.«

»Und mein Handgelenk?«

»Dafür werden wir uns etwas Nettes ausdenken.«

»Warum erzählt mir Mr Hadden die ganze Geschichte eigentlich nicht selbst?«

Cypher schüttelte lächelnd den Kopf. »Du bist ziemlich neugierig. So hatte Mr Hadden dich gar nicht beschrieben. Also schön: Mr Hadden ist deshalb nicht hier, weil du ihn in den nächsten Tagen noch einmal treffen und dich dann womöglich an die Hypnose erinnern könntest. Wir werden mit Bildern arbeiten. Ich werde die Informationen, die ich dir anvertraue, in deinem Kopf mit Bildern verschlüsseln. Wenn du diese Bilder das nächste Mal siehst – und das wird auf Makatao sein –, wird die Erinnerung zurückkommen. Das könnte jedoch auch mit allem anderen passieren, was du heute Nacht hier siehst. Daher ist dieser Raum völlig kahl. Deswegen ist Mr Hadden nicht hier. Und Dave und mich wirst du garantiert nie wieder zu Gesicht bekommen. Also?«

Bob dachte nach. Es war zum Verrücktwerden. Natürlich musste er Ja sagen. Das war eine einmalige Gelegenheit, Licht in diesen Fall zu bringen! Dieser Mensch hielt ihn für Skinny und würde ihm streng geheime Informationen anvertrauen. Justus hätte der Hypnose ohne zu zögern zugestimmt. Das Dumme war nur: Justus würde hiervon nie etwas erfahren. Genauso wenig wie Peter. Und nicht einmal Bob würde morgen noch wissen, was hier passiert war. Wenn Cypher die Wahrheit sagte, würde Bob das alles erst wieder einfallen, wenn er auf Makatao war. Und er hatte eigentlich nicht vor, diese verfluchte Insel jemals zu betreten. Und damit waren die wertvollen Informationen auf ewig verloren.

Aber vielleicht war das gar nicht das Problem. Vielleicht lautete die Frage viel eher: Was passierte, wenn er es ablehnte, sich hypnotisieren zu lassen? Dann würde Hadden benachrichtigt werden. Hadden würde sich bei Skinny melden, Skinny würde die Verwechslung aufklären und Hadden wüsste, dass die drei ??? ihm auf der Spur waren. Dieses Risiko konnte Bob nicht eingehen.

Andererseits… wenn er sich hypnotisieren ließ und Skinny in zwei Tagen ohne die geheime Information an Bord der ›Explorer‹ ginge, würde er damit die Expedition höchstwahrscheinlich vereiteln. Welche Folgen das hatte, konnte Bob unmöglich abschätzen. Aber dass Hadden etwas im Schilde führte, war so gut wie klar, und dies war die Chance, ihm auf gut Glück einen Knüppel zwischen die Beine zu schmeißen.

Verrückt blieb es trotzdem: Wenn die Mission der ›Explorer‹ durch die Entscheidung, die Bob nun treffen musste, scheiterte… würde Bob niemals erfahren, dass er für dieses Scheitern verantwortlich war. In seinem Kopf drehte sich alles. Dieses Gedankenspiel machte ihn ganz wahnsinnig! Aber er musste zu einer Entscheidung kommen! Cypher und Dave wurden schon misstrauisch. Wenn er nicht bald etwas sagte… »Also schön. Ich mach’s.«

Cypher nickte. »Gut. Ich versichere dir, dir wird nichts geschehen. Ich nehme an, du bist noch nie hypnotisiert worden?«

»Doch«, antwortete Bob zögernd. »Einmal.«

Sein Gegenüber hob überrascht die Augenbrauen. »Tatsächlich? Wann? Und von wem?«

»Von einer Ärztin. Es ist noch nicht so lange her. Aber eigentlich ist das eine private Angelegenheit.«

Cypher zuckte die Schultern. »Nun gut. Du hast also bereits Erfahrung. Umso besser. Dann wird es einfacher sein, dich in einen tiefen Entspannungszustand zu versetzen. Du weißt ja, bei Hypnose handelt es sich um nichts anderes als eine Entspannungsübung. Es kommt in erster Linie auf dich selbst und deine Bereitschaft an. Ich bin nur ein Mittelsmann zwischen dir und deinem Unterbewusstsein. Leg dich hin!«

Während Bob es sich bequem machte und versuchte, seine Nervosität abzuschütteln, redete Cypher mit ruhiger Stimme auf ihn ein: »Du wirst dich gleich sehr ruhig und entspannt fühlen. Ich werde dir einen kleinen Spiegel zeigen. Wenn du ihm mit den Augen folgst, wirst du müde werden.«