Eugen Drewermann

Warum Krieg?

Oder: Vom größeren Gehorsam gegen Gott

Vortrag im Publik-Forum-Zentrum während des 35. Evangelischen Kirchentags 2015 in Stuttgart. Transkript des frei gehaltenen Vortrags mit Korrekturen und Ergänzungen des Autors

Über dieses Buch

Eugen Drewermann streitet in diesem Buch engagiert gegen den Krieg und die Haltung deutscher Politiker zu Militäreinsätzen im Ausland. Nach seiner Überzeugung können menschliche Werte nicht verteidigt werden, indem man unmenschlichste Mittel und Waffensysteme einsetzt, um im Krieg zu siegen. Dies heißt vielmehr, sich als »der effizienteste Mörder und Schlächter hervorzutun«.

Für sein friedenspolitisches Engagement wurde Drewermann 2007 mit dem Erich-Fromm-Preis ausgezeichnet, 2011 erhielt er den in diesem Jahr erstmals verliehenen Internationalen Albert-Schweitzer-Preis.

Über den Autor

Eugen Drewermann studierte Philosophie in Münster und Katholische Theologie in Paderborn; er habilitierte sich in Theologie und lehrte als Privatdozent; außerdem absolvierte er eine Ausbildung zum Psychoanalytiker und ist als Therapeut tätig.

Wegen seiner kirchen- und religionskritischen Ansichten geriet er in Konflikt mit der katholischen Kirche, die ihm Anfang der 1990er-Jahre die Lehrerlaubnis entzog und ihn als Priester suspendierte. Eugen Drewermann publizierte zahlreiche Bücher und ist ein viel gefragter Redner und Kommentator.

Teil I: Vortrag

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

ganz herzlich danke ich Herrn Kessler und Frau Frei für diese freundliche Einladung zum heutigen Nachmittag; Ihnen allen aber für das große Interesse an einem Thema, das bei einem Kirchentag wichtiger nicht sein könnte.

Die Botschaft Jesu und die »Wirklichkeit«

Wo, wenn nicht hier in Stuttgart, im Zentrum der militärischen Kontrolle der Nato über Gesamtafrika, wäre der Bundespräsident, Ex-Pastor Gauck, besser und verbindlicher zu befragen, wie er vermeint, den Spagat hinzubekommen zwischen seinen Äußerungen auf der sogenannten Sicherheitskonferenz von Herrn Ischinger in München, dass wir Deutsche militärische Verantwortung praktisch überall auf der Welt übernehmen müssten dank unserer Wirtschaftsstärke, und dem, was er in Theologie zu Weihnachten einmal als Predigt von der Friedensbotschaft Jesu wohl gelernt hat. Der Ausdruck des gesamten Wesens Jesu ist die Aussage der Engel über den Fluren von Bethlehem – ein wenig frei übersetzt, aber sachgerecht: »Herrlichkeit ist Gott in den Himmeln einzig dann, wenn Frieden ist auf Erden den Menschen, die Güte glauben können« (Lukas 2, 14). Es ist diesen Worten zufolge zu Ende mit der üblichen politisch korrekten Schizophrenie von Max Weber, dass christlich gesonnen zu sein eine gute Sache bleibe, dass man aber politisch sich verantworten müsse, und wer da nicht begreife, dass oft aus bösen Taten gute Ergebnisse resultierten, umgekehrt aber aus guten Absichten und Taten längst nicht immer auch gute und gerechte Wirkungen sich zeitigten, der bleibe politisch ein Kind. Wer dieser Auffassung entsprechend denkt, wird den Politikern immer wieder erlauben, sich die Option des Krieges als Hintertüre für ihr Verhalten offen zu lassen, und solange dies so ist, umklammert die Kriegsbereitschaft, das permanente Training, zu töten, unsere Kultur wie ein Krake. Kein wirklicher kultureller Fortschritt ist möglich, solange dieser Zustand dauert und sich wie selbstverständlich gibt.

Wir erleben in unseren Tagen, dass auf Weisung von Frau Merkel die Verteidigungs- oder besser Kriegsministerin Frau von der Leyen bereits 8000 Mal Offiziere in die deutschen Schulen geschickt hat, um den 16- bis 18-Jährigen beizubringen, wie die Bundeswehr in der Mitte der Gesellschaft ankomme. Auf mindestens zwanzig Prozent soll die weibliche Beteiligung am Wehrdienst ansteigen, und versichert wird den Heranwachsenden, dass bei guter Bezahlung Kriegsdienst so viel sei wie jeder andere bürgerliche Beruf – mit hohen Karrierechancen, qualifizierter Ausbildung, geregelter Arbeitszeit –, familienfreundlich halt.

Wo, wenn nicht auf einem Kirchentag, im Gedenken daran, was einmal über den Fluren von Bethlehem aus dem Munde von Engeln verpflichtend als die Botschaft Jesu zu glauben war, soll man dem entgegenhalten, dass Menschen zu töten für Geld nicht einmal vergleichbar ist mit dem Schlachten von Tieren in der Fabrik am Stadtrande oder mit dem Zerlegen ganzer Wälder für die Holzindustrie! Das Töten von Menschen ist weder eine Pflicht noch ein Recht von Menschen; es ist unmenschlich und wird von den Beteiligten auch so empfunden. – Allein die US-Army in ihren Kriegseinsätzen in Afghanistan und im Irak zählt derzeit bis zu 200 000 an posttraumatischem »stress disorder« Erkrankten. Es ist psychisch schwer verträglich, Menschen umzubringen. Und soll nun dies, Frau von der Leyen, die Lösung sein in spätestens ein, zwei Jahren, dass wir mit Distanzwaffen in 10 000 Kilometern Entfernung gezielt morden können, mit Drohnen, wie sie Obama bereits mehr als 3000 Mal hat einsetzen lassen, selber vollkommen sicher in der eigenen Haut, die auszulöschenden Menschen aber als zu zerstörende Zielscheiben auf dem Bildschirm? Sollen wir uns vorstellen, dass da die Bundeswehr-Mutter ihr Söhnchen auf dem Schoß hält und ihm beibringt, wie er selber in 15 Jahren noch effizienter töten kann? Soll dies die Zukunft werden?

Es erklärte gestern noch Frau Merkel dem ägyptischen Präsidenten As-Sisi, dass wir der Auffassung sind, nicht einmal im Krieg gegen den Terror sei die Todesstrafe zu rechtfertigen. Warum aber werden dann über Ramstein, hier in Deutschland, sämtliche Drohnenangriffe zum gezielten Morden geflogen? Nicht einmal die Exekution einer Todesstrafe nach ergangenem Urteil ist das, es ist ein außergerichtliches Morden, weltweit, auf bloße Vermutung hin, es gilt als präventive Notwehr im besten Fall, abgedeckt allein mit dem Hegemonialanspruch der USA, sich selber Gesetz zu sein und niemandes Maßstab sonst akzeptieren zu müssen.

In dieser Art des Fragens und des Anklagens könnten wir heute Nachmittag fortfahren, und der Protest gegen den Krieg wäre hier im Saal vermutlich oder sogar hoffentlich einhellig. Wir bewegten uns aber dabei ganz und gar auf der politischen Ebene und deshalb immer noch in dem System, in dem das, was wir staatliche Verwaltung nennen, seine Heimat hat; wir drehen uns weiter im Teufelskreis militärpolitischer und machtpolitischer Gewohnheiten und stillschweigender Selbstverständlichkeiten: Ein Staatsbürger muss bereitstehen, den Staat und seine Interessen notfalls auch mit Waffengewalt zu verteidigen; alles andere gilt als gefährliche Utopie. Wie aber, im Sinne der Botschaft der Engel gefragt, der Pazifismus wäre die einzige zu verantwortende realpolitische Option?

»Warum Krieg?«, fragte Albert Einstein um 1915 Sigmund Freud, und dessen lakonische Antwort lautete sinngemäß: »Es zeigt sich, Albert Einstein, jetzt, was man wohl auch schon vor dem Kriege hätte wissen können: dass der Staat Mord, Gewalt, Vergewaltigung, Ausbeutung, Lüge und Betrug, Sadismus in jeder Form nicht bekämpft, um derlei Verbrechen aus der Welt zu bringen, sondern um darauf ein Monopol zu erheben wie auf den Import von Zucker oder Tabak. Das Gewaltmonopol des Staates führt dahin, dass er, der Staat, alle die Dinge befehlen kann und befehlen darf, die dem einfachen Bürger auf eigene Faust hin niemals gestattet würden. Also dass das Ergebnis lautet, dass wir, die Bürger, sehr viel zivilisierter sind als diejenigen, die meinen, uns mit den Mitteln des Krieges beschützen und verteidigen zu sollen.«

Dieser Feststellung kann man nur zustimmen. Vor allem im Namen Jesu aber müssten wir jetzt sagen: Nicht so mit uns! Diese Art des politischen Handelns angeblich zu unserer Verteidigung dulden wir gerade als Staatsbürger nicht länger, weil sie dahin führt, über Leichen gehen zu sollen als dem vermeintlich einzig vertretbaren Weg, die Zukunft der westlichen Wertegemeinschaft – oder wie immer es geheißen wird – zu erringen. Wir wollen das nicht. Denn menschliche Werte verteidigt man nicht, man zerstört sie, wenn man die unmenschlichsten Mittel und Waffensysteme einsetzt, um auf den Schlachtfeldern des Krieges als Sieger, das heißt als der effizienteste Mörder und Schlächter, sich hervorzutun.

Was demgegenüber im 2. Kapitel des Lukas gemeint ist als Wesensporträt des Mannes von Nazareth, ist einfach dies: dass alles Reden von Gott, dass alle Gebete des Lobpreises, alle Kirchenlieder heute vollkommen umsonst sind, ohne den unbedingten Ernst in den Frieden zu setzen. Er ist die einzige Möglichkeit, sich als Mensch inmitten dieser Welt zu bewahren.

Die Anliegen, in denen der Mythos von der Geburt Jesu in Bethlehem sich artikuliert, reichen dabei hinüber in die griechische Heilsreligion des Asklepios, denn so sollte man die Botschaft Jesu wesentlich verstehen: nicht als ein moralisches Programm, sondern als ein therapeutisches Verfahren, inmitten einer Welt von Gewalt und Angst die menschliche Seele so zu berühren, dass der Albtraum von Bedrohung und Rache aus den Nächten und den Tagen weicht.

Das Problem: Die Geschichte von Kain und Abel

Die Aufgabe in unserer Welt, biblisch gesprochen einer Welt von Kain und Abel, ist keine geringere, als den Mörder seines Bruders zu erlösen von sich selber.

Sie kennen die Geschichte im 4. Kapitel des 1. Buches Moses. John Steinbeck in seinem großen Roman »Jenseits von Eden« hat sie auf seine Weise nacherzählt als die Geschichte eines jeden von uns; bei ihm geht sie so: