Jerry Kennet

Die Grünbarts

Auf Zeitreisen ist nicht gut Pizza essen

Aus dem amerikanischen Englisch von Petra Koob-Pawis

Bilder von Der Anton

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Jerry Kennets
Familie stammt zwar nicht aus unterschiedlichen
Epochen, aber wenn Jerry es sich aussuchen könnte, würde
er am liebsten zur Zeit der englischen Renaissance leben –
als Hofnarr, natürlich. Er hat leider keine geniale Zeitreisemaschine
erfunden, sondern nur Politikwissenschaft
studiert. Jerry lebt mit seiner Familie in Washington und
arbeitet als Journalist. Die Grünbarts ist seine
erste Reihe für Kinder.

Außerdem von Jerry Kennet im Arena Verlag erschienen:
Die Grünbarts. Zusammen klebt man besser als allein

Der Anton
lebt in Köln, wo er alles bemalt, was halbwegs still hält:
Zimmerwände, Klassenarbeiten, Autos … Seit 1989 arbeitet
er freiberuflich als Illustrator, Designer und Regisseur
für verschiedene Fernsehsender, Verlage, Produktionsfirmen
und Design-Agenturen. 1999 gründete er mit
Freunden die FEEDMEE Design GmbH und heimste
allerhand Preise ein.

 

 

Mit besonderem Dank an Jan Gangsei

 

 

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1. Auflage 2016
© 2016 Arena Verlag GmbH, Würzburg
Alle Rechte vorbehalten
Copyright © 2016 by Working Partners Limited
Series created by Working Partners Limited
Aus dem amerikanischen Englisch von Petra Koob-Pawis
Covergestaltung und Innenillustrationen: Der Anton
Die Illustrationen in diesem Werk wurden vermittelt durch die
Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen.
Vor- und Nachsatzhintergrund: © RomanYa/Shutterstock
ISBN 978-3-401-80554-2

www.arena-verlag.de

Die Grünbarts

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Jack Grover-Grünbart: Pirat aus dem 18. Jahrhundert, besegelte die sieben Weltmeere (ist leider seekrank, daher im vorzeitigen Ruhestand im 21. Jahrhundert) und surft heutzutage gerne im Internet

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Emily Grover-Grünbart: geboren vor ca. 162 Jahren im viktorianischen London, geniale Erfinderin u. a. des Schrumpfinators, Schmutzinhalierers und eines Zeitreise-Wohnmobils

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Fussel: unser Haustier, ein Mini-T-Rex … frag lieber nicht, wie der bei uns gelandet ist!

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Hojo: 11 Jahre alt, japanische Samurai-Schülerin aus dem 14. Jahrhundert, liebt Waffen und alle Tiere, aber vor allem die mit spitzen Zähnen

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Grog: 17 Jahre alt, stammt aus dem alten Rom, besitzt übermäßigen Appetit auf Mammutfleisch und hat schlechte Tischmanieren (kurz: benimmt sich wie ein Höhlenmensch)

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Zack: Das bin ich: 10 Jahre alt, ein hundertprozentiges Produkt des 21. Jahrhunderts – und der einzig Normale in einer komplett verrückten Familie

 

Ich wette,

du hältst deine Familie für total verrückt. Das tust du doch, oder nicht? Vielleicht näht deine Mom in alle Strümpfe und Hosen kleine Namensschildchen. Vielleicht kleistert deine Schwester ihre Zimmerwand mit Postern von sämtlichen Schauspielerinnen aus »The Real Housewives of Beverly Hills« zu. Vielleicht hat dein Dad alle wichtigen Schlachten aus »Star Trek« bis ins Kleinste nachgebaut – mit Spielzeugfiguren, Pfeifenreinigern und Weihnachtslichterketten.

Tja, im Vergleich zu meiner Familie sind das nur Kinkerlitzchen. Klitzekleine Kinkerlitzchen. Glaub mir, ich weiß, wovon ich rede, denn ich habe zehn Jahre lang versucht, mich meiner Familie anzupassen. Vergeblich.

Aber ich greife voraus. Am besten, ich erzähle alles der Reihe nach. Zu meiner Familie komme ich gleich noch. Die Grover-Grünbarts haben zwar keinen blassen Schimmer, was es heißt, normal zu sein, aber es gibt etwas, womit sie sich bestens auskennen.

Und das ist Zeit.

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Kapitel 1

Als die Schulglocke schrillte, war ich schon fast zur Tür hinaus. Das lag nicht etwa an Mr Fiskes Unterricht – Geschichte war sogar mein Lieblingsfach –, sondern daran, dass ich möglichst im Bus sitzen wollte, bevor Sam und Craig einstiegen. Dann würden sie mich vielleicht nicht bemerken und ich hätte eine Chance, eine weitere Busfahrt lebend zu überstehen.

»Vergesst nicht, am Freitag eure Aufsätze mitzubringen!«, rief Mr Fiske uns nach.

Ich mischte mich unter die Schüler, die hinaus in die Freiheit strömten. Eingenebelt in eine Dunstwolke aus feuchten Sportsocken und Kaugummi ließ ich mich von dieser Welle mitreißen. Eine Kampfarena mit verschwitzten Gladiatoren war nichts im Vergleich zu einer Grundschule, so viel stand fest.

Der Bus wartete bereits. Ich rannte schneller. Wenn ich es schaffte, vor Sam und Craig, besser bekannt als Die Zwillingspanzer des Schreckens, in den Bus einzusteigen, konnte ich mich auf einen der hinteren Plätze verkriechen. Und dann bestand die Möglichkeit, dass sie mich schlicht und einfach vergaßen. Wenn ich aber zu langsam war und die beiden schon im Bus saßen, würden sie mich sofort entdecken. Statt mich zu vergessen, würden sie sich daran erinnern, dass ich ihr Lieblingsopfer für die Busfolter war. Erschwerend kam hinzu, dass meine Schwester Hojo seit diesem Schuljahr auf eine andere Schule ging und mich nicht mehr beschützen konnte. Sam und Craig waren beide in Hojo verknallt, aber sie hatten auch Angst vor ihr. (Ich weiß, ich weiß, jetzt hältst du mich für einen totalen Versager, weil ich mich hinter meiner Schwester verstecke. Aber du kennst Hojo nicht.)

Ich warf einen Blick über die Schulter. Sam und Craig waren zehn Meter hinter mir, der Bus stand fünf Meter vor mir. Ich würde es rechtzeitig schaffen!

Das Triumphgefühl währte nur kurz, denn plötzlich spürte ich eine große, schwere Hand auf meiner Schulter. Es war Mr Weatherspoon, unser Schulleiter, der mich stirnrunzelnd ansah. Ich blieb überrumpelt stehen. Mr Weatherspoon hatte mich bisher noch nie direkt angesprochen, ich befürchtete also das Schlimmste.

»Ich bin sehr bestürzt über die traurigen Neuigkeiten, Zack«, sagte er mit sorgenvoll gedämpfter Stimme. »Mein Mitgefühl gilt deiner ganzen Familie.«

»Tut mir leid, aber … wie bitte?«, fragte ich.

»Auch mir tut es leid«, fuhr er fort. »Wie ich gehört habe, findet die Beerdigung morgen statt?«

Beerdigung? »Ich verstehe nicht …«, fing ich an. Was um alles in der Welt faselte er da? Von einer Beerdigung wusste ich nichts.

»Was für ein Verlust. Deine Tante Tilda scheint eine ganz außergewöhnliche Frau gewesen zu sein.«

Ah, ja. Ich biss mir auf die Unterlippe, um nicht zu grinsen.

»Deine Mutter war traurig, als sie mich anrief. Es muss ein Schock für sie gewesen sein.« Mr Weatherspoon schüttelte den Kopf. »Dass jemand an Schwindsucht stirbt, ist heutzutage ja sehr selten.«

Sehr selten, in der Tat. Tante Tilda war tatsächlich von der Schwindsucht dahingerafft worden, und zwar … Moment, wann noch mal genau?

Ach, jetzt fällt es mir wieder ein – vor vierhundert Jahren.

»Das stimmt«, sagte ich und versuchte, möglichst bekümmert auszusehen. »Es war wirklich eine … Überraschung.«

Ich nickte ernst. Dann winkte ich Mr Weatherspoon noch einmal zum Abschied und trottete zum Bus. Sam und Craig waren bestimmt längst eingestiegen und würden mich mit gezückten Steinschleudern empfangen. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, wartete nun auch noch zu Hause irgendetwas Verrücktes auf mich. Was auch immer es war, es verhieß nichts Gutes.

Denn machen wir uns nichts vor: Meine Eltern brachten Tante Tilda nur dann ins Spiel, wenn etwas bevorstand. Etwas Bedeutendes.

Ich stieg in den Bus. Sam und Craig hockten eingezwängt auf einer Sitzbank und lachten laut glucksend und grunzend vor sich hin. Ich ließ mich auf einen freien Platz fallen und versuchte, mich mit reiner Willenskraft unsichtbar zu machen. Es dauerte keine fünf Sekunden, bis ich den vertrauten, näselnden Singsang hörte.

»Hey, Blödbart!« Glucks, schnaub, grunz.

Ich schüttelte den Kopf und atmete tief durch.

»Huhu, Blööööödbart!«, ertönte es erneut.

Sam setzte sich auf den Platz vor mir, Craig auf den Platz hinter mir. Eine Flucht war ausgeschlossen, ich saß in der Falle. Sam schnippte mit seinem dicken Finger gegen meine Stirn. Ich setzte mich aufrecht hin und machte ein Total-ruhig-und-kein-bisschen-nervös-Gesicht.

»Oh, hey«, sagte ich, als hätte ich die beiden gerade erst bemerkt. »Was gibt’s?«

Sam schnaubte. Er kratzte an dem hässlichen roten Pickel auf seinem Kinn und blickte Craig an.

»Kumpel«, grunzte er. »Der Kleine will wissen, wass loss isst.«

»Ist das nicht süß?«, lispelte Craig zurück. Er sah genauso aus wie sein Freund – Fußballkopf auf Stiernacken, baumdicke Arme und Beine, offener Mund und ein dämliches Grinsen. Nur ihre Haare waren unterschiedlich: Craig hatte verfilzte rote Zotteln auf seiner Rübe und Sams blonde Haare waren zu Stacheln frisiert.

»Fiske will am Freitag die Aufsätze haben – hast du deinen schon fertig, Blödbart?« Craig legte den Kopf schief wie ein Hund. Wie ein großer, fieser, sabbernder Hund.

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Die Frage war womöglich eine Falle. Deshalb sagte ich kein Wort.

»Komm sshon, ein Gesshichtss-Profi wie du«, sagte Sam einschmeichelnd. »Jede Wette, du bisst sshon sseit einer Woche fertig, wass?«

»Nein«, erwiderte ich. Ich hatte den Aufsatz vor sechs Tagen geschrieben, also war es genau genommen keine Lüge.

»Hm«, brummte Craig. »Ich weiß ja, dass du ganz wild aufs Aufsatzschreiben bist, Blödbart. Daher habe ich eine besondere Belohnung für dich. Wie wär’s, wenn du unsere Aufsätze schreibst?«

Sam und Craig klatschten sich ab. In diesem Moment fuhr der Bus über ein Schlagloch und etwas Spucke tropfte von Craigs Unterlippe, aber er schien es nicht zu bemerken.

»Soll das ein Witz sein?«, fragte ich. »Wie soll ich das bis Freitag schaffen? Wir hatten doch drei Wochen Zeit!«

»Das ist nicht unser Problem«, knurrte Craig.

»Vielleicht hättesst du dir dass früher überlegen ssollen«, ergänzte Sam drohend.

»Früher als was?«, fragte ich.

»Halt die Klappe«, fuhr Craig mich an. »Es ist ja nicht so, als würden wir etwas Unmögliches von dir verlangen.«

Sam zog seine buschigen Augenbrauen zusammen. »Ach ja?«

»Ja«, sagte Craig. »Unser Kleiner darf sich das Thema für die Aufsätze ja selbst aussuchen. Hauptsache, wir bekommen die Bestnote.«

»Genau, wir ssind sshliesslich nette Kerle«, meinte Sam grinsend. »Meinen Aufssatz musst du allerdingss über die Wikinger sshreiben. Wikinger ssind sspitsse. Wikinger, Wikinger, Wikinger.«

Als er »sspitsse« sagte, hätte ich beinahe losgeprustet. Aber das war zu gefährlich. Also starrte ich auf die Lücke in Sams Mund, wo ihm zwei Vorderzähne fehlten. Man erzählte sich, er hätte sie sich als Mutprobe selbst gezogen und danach einen Dreifach-Cheeseburger verputzt.

»Wikinger sind der Hammer, Kleiner«, sagte Craig.

»Wikinger! Wikinger! Wikinger!«, grölten nun beide und ließen ihre Köpfe zusammenkrachen. Es klang wie Donnergrollen.

»Am besten, du schreibst meinen Aufsatz auch über die Wikinger«, meinte Craig. »Aber wehe, du schreibst nur einen Aufsatz! Auf den Trick fallen wir kein zweites Mal rein.«

»Das war nicht meine Schuld!«, protestierte ich. »Ihr habt mir meine Hausaufgabe weggenommen und sie beide als eure ausgegeben.«

»Wass isst dein Problem?«, lispelte Sam.

Ich schüttelte den Kopf und murmelte: »Zwei Aufsätze in zwei Tagen? Wie stellt ihr euch das vor?«

»Da musst du dir eben was ausdenken«, meinte Craig.

»Genau, ess ssei denn, du willsst heraussfinden, wie die Sshuhssohle von einem Nike Air Maxss sshmeckt«, sagte Sam und wackelte mit seinen Quadratlatschen. Ich biss die Zähne zusammen und nickte. Ich hatte es einmal gewagt, Sam und Craigs »freundliches Angebot« auszuschlagen. Als Antwort darauf hatte ich herausfinden dürfen, wie Sams Adidas Soccer Nitrocharge schmeckten. Das war wirklich kein Vergnügen gewesen, das kannst du mir glauben.

Da bog der Bus schwungvoll um die Ecke, der Rucksack eines Schülers flog vom Sitz und einige Bücher und Hefte schlitterten durch den gesamten Bus.

Sam und Craig blähten die Nasenflügel wie zwei Schakale, die eine tote Antilope witterten. Dann standen sie auf, um sich ihre neue Beute vorzuknöpfen.

Ich ließ mich tiefer in den Sitz sinken. Ich würde die Aufsätze niemals rechtzeitig fertig bekommen. Tante Tilda war schon lange nicht mehr das Problem. Die einzige Beerdigung, an der ich in nächster Zeit teilnehmen würde, war meine eigene.

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Kapitel 2

Der Bus kam an der Kreuzung zwischen der Schönen Allee und der Trollgasse quietschend zum Stehen. (Ich weiß, das ist die reinste Ironie. Zu Mom und Dad hätte es viel besser gepasst, wenn sie in die Schrullenstraße oder den Spinnerweg gezogen wären.)

Die Türen öffneten sich knirschend und ich sprang hinaus auf den Fußweg. Da prallte wie aus dem Nichts etwas gegen meinen Fußknöchel und brachte mich aus dem Gleichgewicht. Ich fiel der Länge nach hin. Bücher und Stifte flogen aus meinem Rucksack wie kleine Geschosse. Echt jetzt? Konnte dieser Tag wirklich noch schlimmer werden?

Als ich langsam den Kopf hob, sah ich gerade noch, wie ein spitzer Schwanz an mir vorbeizischte.

Oh ja, wie es aussah, konnte der Tag wirklich noch schlimmer werden.

Ein braungrünes Etwas raste knurrend die Straße entlang. Jedes Eichhörnchen im Umkreis von hundert Metern flüchtete in die Baumkronen. Ich rappelte mich auf.

»Fussel!«, rief ich. »Komm sofort zurück!«

Das kleine Biest hielt eine halbe Sekunde inne, drehte seinen Kopf in meine Richtung, fletschte die spitzen Zähne und hüpfte dann mitten in eine perfekt getrimmte Hecke hinein. Im nächsten Augenblick flogen zerkaute Blätter wie Konfetti durch die Luft. Mir brach der Schweiß aus. Wie hatte Fussel es geschafft, aus dem Haus auszubüxen? Wenn ihn jemand entdeckte, waren wir geliefert.

»Fuuussel!!!« Ich packte meine Bücher und rannte zur Hecke.

Doch Fussel sprang aus dem Gebüsch und raste davon. Seine krummen Beinchen donnerten über das Straßenpflaster, während seine kurzen Vorderfüße in der Luft schlenkerten. Er blieb kurz stehen, um an einem Gartenzwerg zu schnüffeln und ihm dann – schnapp – die Mütze abzubeißen. Ich rannte schneller.

Warum konnten wir nicht einfach einen Hund haben? Einen Hund! So wie ganz normale Leute.

Ach ja, da fiel es mir wieder ein. Wir waren nicht normal, wir waren die Grover-Grünbarts.

Und deshalb hatten wir keinen Hund, sondern einen kleinen Tyrannosaurus Rex.

Ja, du hast richtig gelesen. Einen T-Rex. Oder auch Dinosaurier genannt. Zugegeben, er ist ein mickriger Dinosaurier, nicht einmal dreißig Zentimeter groß. Aber versuch du mal, der Tieraufsichtsbehörde oder überhaupt irgendjemandem zu erklären, warum in deinem Keller ein Überbleibsel aus prähistorischen Zeiten lebt und alle deine Schuhe auffrisst. Das wirft Fragen auf. Eine Menge Fragen.

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Deshalb darf niemand Fussel zu Gesicht bekommen. Niemals. Im Grunde genommen war Fussel ein Haus-Dinosaurier. Trotzdem war er jetzt hier draußen, biss unschuldigen Gartenzwergen die Mütze vom Kopf und machte keinerlei Anstalten, damit aufzuhören. Zum Glück hatte ich eine Idee.

»Hier, Fussel …« Ich kramte in meinem Rucksack und zog eine halb leere Chips-Tüte heraus. »Lust auf ein paar Leckerli?« Als ich mit der Tüte knisterte, fielen Chips-Brösel heraus. Fussel schnupperte interessiert.

»Schnüffel-schnüffel«, sagte ich. »Essig und Salz! Deine Lieblingssorte!«

In Wahrheit hatte er überhaupt keine Lieblingssorte, er fraß alles gern, ob Chips oder sonst irgendetwas Essbares. Und am liebsten fraß er die Verpackung gleich mit. Aber ich will nicht pingelig sein.

Langsam ging ich auf ihn zu. Als ich ihn schon fast erreicht hatte, sah er mich an, als wollte er sagen »Netter Versuch, Kumpel«. Dann preschte er los, pflügte durch den Laubhaufen im Nachbargarten und zertrampelte einen sorgsam angelegten Steingarten.

»Halt!«, schrie ich. »Bleib sofort stehen!«

Das tat Fussel auch – und zwar direkt vor dem Haus von Mrs Beacon. Unsere Nachbarin kniete im Vorgarten, jätete Unkraut und summte dabei vor sich hin. Ihr Mini-Schnauzer mit Namen General Wuff saß vor dem Hauseingang und leckte seine Pfoten. Als er Fussel auf dem Gehsteig entdeckte, blickte er auf und sträubte sein Fell.

Ich hätte schwören können, dass Fussel sich grinsend die Lefzen leckte. Ich ahnte, was passieren würde.

»Fussel, nein!«, brüllte ich.

Fussel stieß einen irren Schrei aus, der wie eine Mischung aus Motorenröhren und Vogelkreischen klang.

General Wuff antwortete mit einem verschreckten Jaulen. Den Schwanz zwischen die Beine geklemmt, drehte er sich um und kroch durch eine winzige Hundeklappe ins Haus hinein. Als Mrs Beacon von ihrer Arbeit hochblickte, raste Fussel bereits weiter die Straße runter.

»Oh, hallo Zachary«, grüßte mich Mrs Beacon. Sie blickte blinzelnd in Fussels Richtung. »Ich wusste ja gar nicht, dass ihr einen Hund habt. Das ist ja wunderbar. Was für eine Rasse ist es denn?«

»Ein, ähm, Labraterriepudelmops«, stammelte ich. »Sie wissen schon, einer von diesen merkwürdigen Mischlingen.«

»Oh ja.« Mrs Beacon nickte wissend. »Die sind heutzutage sehr modern. Nun ja, ich muss mich für meinen General entschuldigen. Er schüchtert andere Hunde gerne ein. Er ist ein verwöhnter kleiner Racker.«

»Das macht nichts. Ich bin sicher, es war nicht seine Schuld«, sagte ich. Aus einiger Entfernung war ein Knurren zu hören. »Ich muss los!«

Mrs Beacon winkte und rief mir eine Nachricht für Mom hinterher, die ich nicht verstand, weil ich viel zu beschäftigt war, Fussel hinterherzukommen, der am Ende der Sackgasse wie verrückt im Kreis herumrannte.

Ich jagte hinter ihm her, vorbei an weiteren Nachbarn, die ungerührt Rasen mähten, Blumen gossen, Schubkarren beluden und sich so verhielten, als wäre alles in bester Ordnung. Ich konnte darüber nur den Kopf schütteln. Es erstaunte mich immer wieder, wie die Leute – insbesondere Erwachsene – nur das sahen, was sie sehen wollten. Offensichtlich lasen sie nicht genug Comics. Ansonsten hätten sie gewusst, dass die meisten Aliens aus dem Weltall und Superhelden (und nicht zuletzt auch meine Familie) sich auf diese Art und Weise vor den Augen aller verstecken konnten.

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Nach langem Hin und Her schaffte ich es schließlich, Fussel einzuholen. Ich war so nah dran, dass meine Finger bereits seine Schwanzspitze berührten … aber dann entwischte er wieder. Ich blieb stehen und stützte die Hände auf die Knie, um Luft zu holen. Es war hoffnungslos. Der kleine T-Rex war einfach zu schnell!

Plötzlich sausten zwei Nunchakus haarscharf an meinem Kopf vorbei. Mit einem Wusch! flogen sie auseinander und spannten ein Netz auf, das zu Boden fiel und Fussel unter sich begrub. Der Dino knurrte und zappelte, konnte sich aber nicht aus dem Netz befreien. Ich drehte mich um. Hojo kam die Straße entlanggerannt. Sie war ganz in Schwarz gekleidet und ihre Arme und Beine bewegten sich in perfektem Gleichklang.

»Ich hab ihn«, rief sie und kam neben mir zum Stehen.

»Nettes Teil«, meinte ich und deutete auf das Netz. »Eine von Moms Erfindungen?«

»Was heißt hier Mom?«, sagte Hojo entrüstet. »Das Ding habe ich selbst gemacht.« Sie stützte die Hände in die Hüften. »Muss ich dich daran erinnern, dass …«

»Ich weiß, ich weiß.« Ich ratterte ihre Geschichte herunter: »Du warst Mitglied einer Elitegruppe der Samurai im vierzehnten Jahrhundert, und obwohl du ein Mädchen bist, haben sie dich in ihre Reihen aufgenommen, weil du so gut mit diesem Dingsbums umgehen konntest …« Ich schnippte mit den Fingern.

Hojo sprang in die Luft und vollführte eine Dreihundertsechzig-Grad-Drehung, wobei ihre schwarzen Schuhe nur wenige Millimeter von meinem Gesicht entfernt durch die Luft sausten. Als sie in der Hocke landete, sah ich, dass sie in der rechten Hand ein gezacktes Metallding hielt, dessen Klingen im Sonnenlicht gefährlich glänzten.

»Kein Dingsbums, sondern ein Wurfstern«, sagte sie. »Merk dir das endlich.«

aus dem vierzehnten Jahrhundert