Dr. Laurin 79 – Konkurrenz für den Chefarzt Dr. Laurin

Dr. Laurin –79–

Konkurrenz für den Chefarzt Dr. Laurin

Roman von Patricia Vandenberg

Schwester Marie und Schwester Otti unterhielten sich angeregt und nicht gerade leise, als Dr. Leon Laurin das Schwesternzimmer betrat.

»Lieber Schwan«, sagte Schwes­ter Otti gerade, »ob sich der Marawend da nicht doch ein bisschen zuviel zumutet?«

»Da wären wir also mal wieder beim Lieblingsthema«, warf Dr. Laurin ironisch ein. »Gibt es denn gar keinen anderen Gesprächsstoff mehr?«

»Die Klinik wird schon nächste Woche eröffnet, und der hat doch noch nicht mal das Personal zusammen«, sagte Schwester Otti.

»Sind Sie denn so genau informiert?«, fragte Dr. Laurin nun doch. »Oder spionieren Sie gar?«

Er zwinkerte ihr zu, und Otti wurde verlegen.

»Man kann sich doch mal ein biss­chen umhören«, sagte sie. »Eine frühere Kollegin fängt bei ihm an. Ich habe sie zufällig getroffen.« Und schon berichtete sie von der Kollegin, die nett sei, es aber nie lange an einem Platz aushielt.

Dr. Bernhard Marawend war für die Ärzte der Prof.-Kayser-Klinik ein unbeschriebenes Blatt. Als Assis­tenzarzt an einer Frauenklinik hatte er die Tochter des Fleisch- und Wurstfabrikanten Joseph Lerbach geheiratet. Es war eine nahezu fürstliche Hochzeit gewesen, mit der Joseph Lerbach demonstrieren wollte, was er darstellte.

Sie war ein niedliches Mädchen, mit geistigen Gütern nicht besonders gesegnet, und in heimatlichen Gefilden war sie nicht einmal durch die Realschule gekommen. Doch der reiche Herr Papa hatte sein Töchterchen in ein vornehmes Schweizer Internat geschickt. Das war wohl auch nicht das Richtige gewesen, denn Fleisch und Wurst klang den arroganten Töchtern manchmal nicht so reicher Väter, die aber klangvollere Namen aufzuweisen hatten, nicht gut genug.

Maximiliane hatte es sich jedenfalls in den Kopf gesetzt, einen Akademiker zu heiraten.

Der ehrgeizige junge Gynäkologe Dr. Bernhard Marawend sah seine Chance gekommen, als Luise Lerbach sich in der Klinik, in der er eine untergeordnete Rolle spielte, einer Operation unterzog und den gut aussehenden jungen Arzt mit ihrer Gunst beglückte.

Schnellstens wurde Maximiliane mit Dr. Marawend bekannt gemacht. Joseph Lerbach half kräftig nach, damit Maximiliane nicht lange überlegte.

Für ihn war die Stunde gekommen, Dr. Leon Laurin und seiner Sippe eins auszuwischen. Er hatte ungute Gründe dafür, von denen Leon Laurin nicht die geringste Ahnung hatte. Einer davon war, dass man für die Prof.-Kayser-Klinik einen anderen Lieferanten vorzog, über zwei andere sollte Leon Laurin später einmal informiert werden.

Mit seinem Sohn Karl stand Joseph Lerbach ganz über Kreuz seit Maximilianes Hochzeit mit Dr. Marawend, da Karl sich geweigert hatte, daran teilzunehmen, weil er seine Freundin Angela, ein Mädchen aus einfacher Familie, nicht einladen durfte. Da hatte Karl auch sein Elternhaus verlassen.

Es gab schon allerlei von der Familie Lerbach zu erzählen, und Sandra Brink tat das auch, nachdem sie sich eingehend informiert hatte.

Allerdings geschah das nur im engsten Familienkreis, da Sandra genau wusste, dass so manches doch auf Gerede beruhte. Und auch das Weitersagen konnte böse Folgen haben, wenn es wieder an die Ohren der Betroffenen drang.

Man konnte Sandra eigentlich nichts übelnehmen, weil sie nie boshaft war, sondern einfach mit ihrem unwiderstehlichen Charme erzählte.

Und da man an diesem Abend den allwöchentlichen Familienabend hatte, fand sie recht interessierte Zuhörer – abgesehen von ihrem Schwager, der den Namen Lerbach schon gar nicht mehr hören konnte, da er schon mehrere Prozesse gegen ihn führen musste.

Er hatte diese Prozesse stets gewonnen, und auch das war ein Grund mehr für Joseph Lerbach, den Familien Laurin und Kayser zu grollen, da Dr. Friedrich Brink ja auch zu dieser Familie gehörte.

Sandra plauderte jedenfalls munter drauflos. »Dieser Marawend scheint gar kein übler Bursche zu sein. Als Assistenzarzt hatte er jedenfalls einen guten Ruf. Aber einen Lerbach als Schwiegervater zu haben, wird ihn auch Nerven kos­ten. Friedrich kann ja ein Lied davon singen, wie rigoros der vorgeht.«

»Lass mich aus dem Spiel, Sandra«, knurrte Friedrich. »Ich möchte mir den Appetit nicht verderben lassen.«

Er aß für sein Leben gern und zog sich nun auch mit seinem Teller ins Bauernzimmer zurück.

»Man kann es Friedrich nicht übelnehmen«, sagte sein Bruder Andreas nachsichtig. »Er hat sich mit Lerbach ja genug herumärgern müssen. Aber vielleicht müsst ihr das jetzt auch, Leon.«

»Ich wüsste nicht, warum«, sagte Leon Laurin. »Ich habe nicht die Absicht, mich in die Belange der Marawend-Klinik einzumischen. Ich habe keine Konkurrenz zu fürchten.«

»Richtig, Leon.« Professor Kayser lachte. »Lassen wir doch alles an uns herankommen, Kinder. Wer zuletzt lacht, lacht am besten.«

*

Im Haus Lerbach wurde schon seit Monaten diskutiert, wie man der Prof.-Kayser-Klinik die Patientinnen wegschnappen konnte. Manchmal war Dr. Marawend sehr schockiert über die verächtlichen Bemerkungen seines Schwiegervaters, oft noch mehr über seine sehr drastische Ausdrucksweise. Er fühlte sich wahrhaft nicht ganz wohl in seiner Haut, denn er hatte schon erkennen müssen, dass es recht schwierig war, eine Klinik zu gründen, auch wenn mit Geld nicht gespart wurde. Allerdings fragte er sich in stillen Stunden auch, ob sich sein Schwiegervater da nicht doch ein bisschen übernommen hatte, nur um nach außen hin zu demons­trieren, zu was er es gebracht hatte.

Lerbach hatte die besten Architekten beschäftigt. Dr. Marawend war fasziniert gewesen von dem Prachtbau, der da hingestellt wurde. Kritische Stimmen waren zum Schweigen gebracht worden, da an nichts gespart wurde.

Dann hatte Lerbach auch noch jeden Monat eine rauschende Party gegeben, um prominente Leute anzuziehen.

Sein Sohn Karl konnte da nur zu seiner Angela sagen: »Vater spinnt. Eines Tages wird er untergehen wie eine bleierne Ente, und sein gynäkologischer Schwiegersohn kann ihn dann nicht mal wiederbeleben.«

Karl dachte nie daran, diesen Rummel mitzumachen. In der Schule war er mittelmäßig gewesen. Zum Gymnasium, wie sein Vater es wünschte, hatte es nicht gereicht. Die Handelsschule und später auch die Berufsschule hatte er dann besser geschafft, weil er sich schnell auf eigene Füße stellen wollte. Und jetzt arbeitete er bei der Konkurrenz seines Vaters, der Firma Walther, für die er als Einkäufer tätig war.

Nun, für Joseph Lerbach war es ein Grund, seinen Sohn nicht mehr sehen zu wollen. Karl machte das nichts aus. Er verstand sich mit seinen zukünftigen Schwiegereltern prächtig, und er liebte seine Angela so wie sie ihn. Sie hatten jetzt auch das Aufgebot bestellt, obgleich davon der sonst so gut unterrichtete Joseph Lerbach keine Ahnung hatte.

Karl und Angela konnten sich eine Wohnung im Haus der Langes einrichten, und wie die eingerichtet wurde, wären auch Lerbach die Augen übergegangen. Da gab es keinen modernen Quark, wie Karl die Einrichtung seiner Eltern bezeichnete.

Schöne Möbel hatte Heinrich Lange in seiner Freizeit als Ausstattung für seine Tochter hergestellt. Denn bei den Langes wurde Wert darauf gelegt, dass die Tochter eine anständige Ausstattung mitbekam.

Angela war ein Mädchen, mit dem man sich sehen lassen konnte. Sie war viel hübscher als Maximiliane, ganz natürlich und als Abteilungsleiterin in dem Werk, das Bert Kayser, dem Bruder von Professor Joachim Kayser, gehörte, eine hoch geschätzte Arbeitskraft.

Das hatte Karl ja dann den Rest gegeben, dass sein Vater nicht mal die Qualitäten dieses Mädchens anerkennen wollte. Lange hatte er versucht, sich mit seinem Vater im Guten zu einigen. Es war ein vergebliches Unterfangen gewesen. Ja, und dann hatte Karl die Konsequenzen gezogen. Für ihn gab es keinen Weg zurück.

Und dann hatte Karl ja auch noch Peter Schneller zum Freund, der auch ihr Trauzeuge sein sollte. Und der wollte für das Festessen sorgen. Das hatte er sich nicht ausreden lassen, denn zur Metzgerei der Schnellers gehörte auch ein Gasthof. Und was für einer! Da kam man von weit her, um mal gut essen zu können.

Es war durchaus keine Bosheit, dass die Hochzeit mit dem Termin der Eröffnung der Klinik auf einen Tag fiel. Die Hochzeit war lange geplant, dass die Klinik sobald eröffnet werden sollte, hatte niemand gewusst.

Aber eigentlich spielte das ja keine Rolle, da Karls Familie sowieso nicht gekommen wäre.

Das also war die Vorgeschichte. Nun blickten beide Familien und noch einige der nicht unmittelbar Beteiligten mit Spannung dem kommenden Samstag entgegen …

*

Dr. Marawends Wagen hielt vor einem modernen Wohnblock im Wes­ten Münchens. Er musste ziemlich lange suchen, bis er den richtigen Eingang fand und die Klingel, die zu dem Namen Volkert gehörte. Bevor er den Finger auf die Klingel legte, kam ein junger Mann aus der Tür. Dr. Marawend konnte eintreten.

Doch das beklemmende Gefühl, das ihm die Brust einengte, verstärkte sich noch, als er dann vor der Wohnungstür stand, die auch den Namen Volkert trug.

Ging er jetzt nicht auch wieder ein Wagnis ein, dessen Folgen unabsehbar waren?

Als dann die Tür geöffnet wurde, stand eine junge Frau in dunkelblauem Frotteemantel vor ihm, und große blaue Augen sahen ihn erstaunt an.

»Du?«, sagte Marion Volkert gedehnt. »Das gibt es doch gar nicht!«

»Ich bin kein Geist«, versuchte er zu scherzen, aber sie spürte wohl, dass es ihm zum Scherzen nicht zumute war.

»Komm herein. Ich bin gerade erst nach Hause gekommen«, sagte sie. »Was verschafft mir denn die Ehre deines Besuches?«

»Ich werde es dir erklären, Marion. Ich befinde mich in einem scheußlichen Dilemma.«

»Nachdem dir die modernste Klinik im Landkreis eingerichtet worden ist?«, fragte sie ironisch. »Von der Prof.-Kayser-Klinik freilich abgesehen, die sich allerdings seit Jahrzehnten des besten Rufes erfreut. Du bekommst wohl jetzt schon Platzangst vor Schwiegervaters Courage, Laurin Konkurrenz machen zu wollen. Das schaffst du nicht, Bernd, das kann ich dir gleich sagen.«

»Du könntest mir aber helfen, Marion«, sagte er hastig.

»Ich dir helfen? Wie denn?«

»Was machst du jetzt?«, fragte er zurück.

»Private Krankenpflege. Irgendwie muss ich mich doch durchbringen. Man verdient übrigens nicht schlecht dabei.«

»Bei mir könntest du mehr verdienen.«

Ihre Augen weiteten sich. »Bei dir? Soll das ein Witz sein?«

»Durchaus nicht. Wer denkt denn heute schon noch an diese Affäre? Darüber ist längst Gras gewachsen.«

»Aber Ärztin kann ich nie mehr werden«, sagte sie bitter. »Ich muss teuer für Heiners Schuld büßen.«

War es wirklich Heiners Schuld gewesen, dass eine Patientin nach einem an sich harmlosen Eingriff sterben musste? So ganz sicher war sich dessen auch Dr. Bernhard Marawend heute noch nicht.

Dr. Heiner Pöll war sein Freund gewesen – und mit der hübschen Krankenschwester Marion verlobt. Davon wusste man in dem Krankenhaus in Westdeutschland nichts. Die beiden wahrten Diskretion, und Dr. Marawend dachte nicht daran, dies bekannt zu machen. Dann geschah es, dass eine Patientin starb, während Marion Nachtdienst hatte, an einer falschen Injektion, wie man feststellte, die ihr von Dr. Pöll verabreicht worden war. Es war üblich, dass die Schwester die Ampulle brachte. Es nützte nichts, dass Marion darauf beharrte, dass es das richtige Medikament gewesen sei. Die Ampulle war nicht mehr aufzufinden. Dr. Pöll beschuldigte Marion nicht, er nahm sich das Leben.

Marion wurde mangels an Beweisen freigesprochen, aber ihr unterbrochenes Medizinstudium konnte sie nicht mehr fortsetzen, und als Krankenschwester wurde sie auch nicht mehr beschäftigt.

Lange hatte Dr. Marawend dann nichts mehr von ihr gehört, bis er sie dann zufällig mal in München getroffen hatte. Da war er schon mit Maximiliane verlobt und ahnte nicht, dass Marion seinetwegen nach München gekommen war. Sie verlor auch kein Wort darüber. Sie gab ihm nur ihre Adresse.

Nun saß er vor ihr, und sie empfand darüber einen Triumph, dass er so deprimiert war. Aber sie blieb äußerlich kühl, und auch jetzt zeigte sie keine Gemütsbewegung.

»Du willst mir also ein Angebot machen?«, fragte sie.

»Das will ich.«

»Dann leg mal los«, forderte sie ihn auf.

*

Sie hatten lange miteinander gesprochen, und was sie bis in alle Einzelheiten überlegt, sollte niemand erfahren.

Dr. Marawend war überzeugt, dass er sich auf Marion verlassen konnte. Er fürchtete um seine Existenz, sie wollte sich eine neue aufbauen.

Marion hatte einen wahrhaft kühlen Verstand, und sie war niemandem verpflichtet. Es bereitete ihr Genugtuung, dass Bernhard Marawends Ehe ein Fiasko war. Jetzt war er ihr verpflichtet; und das gefiel ihr. Als Bernhard sich mit einem festen Händedruck von ihr verabschiedete und sich bei ihr bedankte, stand es für sie fest, dass sie den Ton in dieser Klinik bestimmen würde. Sie legte sich zufrieden zu Bett, aber auch Dr. Marawend war jetzt ruhiger.