Einleitung:
Warum mit warum beginnen?

In diesem Buch geht es um eine natürliche Veranlagung, um eine Art zu denken, zu handeln und zu kommunizieren, die einige wenige Führer dazu befähigt, ihre Umgebung zu inspirieren. Doch selbst wenn es solche »geborenen Führer« gibt, die bereits mit der Anlage zu inspirieren auf die Welt gekommen sind, bedeutet das nicht, dass diese Fähigkeit nur ihnen vorbehalten bleibt. Wir alle können inspirierendes Verhalten erlernen. Mit etwas Disziplin können Führer oder Organisationen andere innerhalb, aber auch außerhalb von Organisationen inspirieren, und so ihre Ideen und Visionen durchsetzen. Wir alle können Führen lernen.

In diesem Buch geht es nicht einfach um die Reparatur von etwas, das schiefgelaufen ist. Ich habe das Buch vielmehr als eine Anleitung dafür geschrieben, wie man sich auf das, was funktioniert, konzentriert und es verstärkt. Ich will die Lösungen anderer nicht verwerfen. Ihre Antworten sind, sofern sie auf soliden Fakten beruhen, in den meisten Fällen völlig stichhaltig. Wenn wir freilich mit der falschen Frage beginnen, wenn wir nicht verstehen, um was es geht, dann werden uns letztlich auch richtige Antworten in die falsche Richtung führen … möglicherweise. Denn die Wahrheit kommt am Ende immer ans Tageslicht.

In den folgenden Beispielen geht es um Persönlichkeiten und um Organisationen, die inspirierendes Verhalten auf ganz selbstverständliche Weise verinnerlicht haben. Es sind diejenigen, die immer erst fragen: »Warum?«.

I.

Es war ein ehrgeiziges Ziel. Das öffentliche Interesse war groß. Die Fachleute brannten darauf zu helfen. Geld war ausreichend vorhanden.

Samuel Pierpont Langley hatte alles, was man zum Erfolg braucht, als er sich im anbrechenden 20. Jahrhundert aufmachte, als erster Mensch mit einem Flugzeug zu fliegen. Als Mathematikprofessor, der in Harvard gelehrt hatte, und als Leiter der Smithsonian Institution war er weithin geschätzt. Zu seinen Freunden zählten einige der mächtigsten Männer in Regierung und Wirtschaft, unter ihnen Andrew Carnegie und Alexander Graham Bell. Langley wurde vom Kriegsministerium die für die damalige Zeit gewaltige Summe von 50 000 Dollar für sein Projekt zur Verfügung gestellt. Er vereinte die besten Köpfe seiner Zeit, ein wahres »Dream-Team« des Wissens und des technischen Know-hows. Langley und sein Team konnten auf das beste Material zurückgreifen, die Presse folgte ihm auf Schritt und Tritt. Menschen aus ganz Amerika waren von seiner Geschichte gefesselt und warteten mit Spannung darauf, dass er sein Ziel erreichte. Angesichts des Teams, das er versammelt hatte und der Ressourcen, auf die er zurückgreifen konnte, war der Erfolg garantiert.

War er das wirklich?

Einige Hundert Kilometer entfernt arbeiteten die Brüder Wilbur und Orville Wright an ihrer eigenen Flugmaschine. Ihre große Leidenschaft für das Fliegen weckte Enthusiasmus und Einsatzbereitschaft bei einer kleinen, engagierten Schar von Menschen in ihrer Heimatstadt Dayton, Ohio. Es gab keine Finanzierung für ihr Unternehmen. Keine Ressourcen der Regierung. Keine einflussreichen Verbindungen. Nicht einer im Team hatte einen Uni-Abschluss, ja nicht einmal einen College-Abschluss vorzuweisen, auch nicht Wilbur und Orville. Aber dieses Team, das sich in einer bescheidenen Fahrradwerkstatt versammelte, realisierte seine Vision. Eine kleine Gruppe von Männern wurde am 17. Dezember 1903 Zeuge des ersten Fluges in der Menschheitsgeschichte.

Warum aber hatten die Brüder Wright Erfolg, während ein besser ausgerüstetes, besser finanziertes und besser ausgebildetes Team scheiterte?

Es war kein Glück. Sowohl die Brüder Wright als auch Langley waren hoch motiviert. Sie alle hatten einen starken Glauben. Alle verfügten über einen scharfen Verstand und sie verfolgten das gleiche Ziel. Aber nur den Brüdern Wright gelang es, ihr Team wahrhaft zu inspirieren und zur Entwicklung einer Technologie zu führen, die die Welt verändern sollte. Nur die Brüder Wright fragten immer erst: »Warum?«.

II.

Studenten der Universität von Kalifornien verbrannten als Erste im Jahr 1965 auf dem Campus-Gelände öffentlich ihre Stellungsbefehle, um damit gegen die Verwicklung der USA in den Vietnamkrieg zu protestieren. Nord-Kalifornien war Nährboden für die Opposition gegen die Regierung und gegen das Establishment; die Bilder von den Zusammenstößen und Unruhen in Berkeley und Oakland gingen um die Welt und waren die Initialzündung für die Entstehung von Sympathisanten-Bewegungen in den USA und in Europa. Dort hatte dann auch 1976, fast drei Jahre nach dem Ende des militärischen Engagements der USA im Vietnamkrieg, eine Revolution anderer Art ihren Ausgangspunkt.

Sie wollten Einfluss, großen Einfluss haben, sie wollten sogar die Vorstellung der Menschen davon, wie die Welt funktioniert, infrage stellen. Aber diese jungen Revolutionäre warfen keine Steine und griffen auch nicht zur Waffe gegen ein autoritäres Regime. Für Steve Wozniak und Steve Jobs, die Gründer von Apple Computers, war das Schlachtfeld die Wirtschaft und die Waffe ihrer Wahl der Heimcomputer.

Als Wozniak den Apple I baute, befand sich die Revolution der Personal Computer (PC) im Anfangsstadium. Die Computer-Technologie, die damals gerade begann Aufmerksamkeit zu erregen, wurde vor allem als Business-Instrument gesehen. Computer waren zu kompliziert und zu teuer für den Durchschnittsbürger. Aber Wozniak, ein Mann, für den Geld keine Motivation war, hatte die Vision, die neue Technologie für ein nobleres Ziel einzusetzen. Er sah im PC ein Mittel, das dem kleinen Mann die Möglichkeit gab, sein eigenes Unternehmen zu gründen. Könnte er ihn dem Einzelnen zugänglich machen, dann, so dachte er, könnte die Mehrheit annähernd das Gleiche bewältigen wie eine Firma, die mit weitaus größeren Ressourcen ausgestattet war. Der PC könnte Chancengleichheit herstellen und die Art, wie die Welt funktionierte, verändern. Woz konzipierte den Apple I und verbesserte die Technologie mit dem Apple II, um ihn billiger und einfacher in der Anwendung zu machen.

Es nutzt nichts, wenn ein Produkt visionär oder brillant ist, aber niemand es kauft. Der 21-jährige Steve Jobs, damals Wozniaks bester Freund, wusste genau, was zu tun war. Obwohl er Verkaufserfahrung mit gebrauchten Elektronikteilen gesammelt hatte, war er viel mehr als nur ein guter Verkäufer. Er wollte etwas Bedeutendes in dieser Welt tun, und er wollte es durch die Gründung einer Firma erreichen. Apple war sein Werkzeug, um seine Revolution zu machen.

Im ersten Geschäftsjahr, mit einem einzigen Produkt, erzielte Apple Einnahmen von einer Million Dollar. Nach zwei Jahren erreichten die Verkäufe zehn Millionen Dollar. Im vierten Jahr verkauften sie Computer im Wert von 100 Millionen Dollar. Schon im sechsten Jahr war Apple Computer eine Milliarde Dollar wert und hatte über 3 000 Angestellte.

Jobs und Woz waren nicht die einzigen Teilnehmer an der Revolution der PCs. Sie waren nicht die einzigen smarten Burschen im Geschäft; tatsächlich wussten sie so gut wie nichts darüber. Das, was Apple zu etwas Besonderem machte, war nicht ihre Fähigkeit eine derart rasant wachsende Firma aufzubauen. Es war nicht ihre Fähigkeit, das Neue an den PCs zu sehen. Das, was Apple zu etwas Besonderem machte, war die Fähigkeit der Firma, das gleiche Verhaltensmuster wieder und wieder anzuwenden. Im Gegensatz zu allen anderen Konkurrenten stellte Apple konventionelles Denken in der Computerindustrie, in der Elektronikbauteilindustrie, in der Musikindustrie, der Handyindustrie und in der Unterhaltungsindustrie allgemein infrage. Der Grund ist einfach. Apple inspiriert. Apple fragt immer erst nach dem Warum.

III.

Er war nicht perfekt. Er hatte seine Schwächen. Er war nicht der Einzige, der im Amerika vor der Bürgerrechtsbewegung gelitten hatte, und es gab eine Reihe anderer charismatischer Redner. Aber Martin Luther King Jr. verfügte über eine besondere Gabe. Er wusste, wie man Menschen inspiriert.

Dr. King wusste, dass es, um die Bürgerrechtsbewegung zum Erfolg zu führen, um realen, dauerhaften Wandel herbeizuführen, mehr Menschen als ihn und seine engsten Verbündeten brauchte. Mitreißende Worte und schöne Reden allein würden nicht ausreichen. Man brauchte Menschen, Zehntausende Durchschnittsbürger, vereint durch eine einzige Vision: das Land zu verändern. Am 28. August 1963 um 11:00 Uhr am Morgen sandten sie die Botschaft nach Washington, dass es Zeit sei für Amerika, den Kurs zu ändern.

Weder verschickten die Organisatoren der Bürgerrechtsbewegung Tausende Einladungen, noch gab es eine Website, um an den Termin zu erinnern. Aber die Menschen kamen. Sie strömten herbei. Insgesamt fand sich im Zentrum der Hauptstadt der Nation eine Viertelmillion Menschen rechtzeitig ein, um die Worte zu hören, die in die Geschichte eingingen, ausgesprochen von dem Mann, der eine Bewegung anführte, die Amerika für immer verändern würde: »Ich habe einen Traum.«

Die Fähigkeit, so viele Menschen aller Farben und Rassen aus dem ganzen Land zu motivieren, sich am richtigen Tag und zur richtigen Zeit zu versammeln, war etwas Besonderes. Obwohl auch andere wussten, was sich in Amerika ändern musste, um Bürgerrechte für alle durchzusetzen, war nur Martin Luther King in der Lage, ein ganzes Land dazu zu inspirieren sich zu verändern, nicht bloß für das Wohl einer kleinen Minderheit, sondern für das Wohl von allen. Martin Luther King fragte immer erst warum.

Es gibt Führer, und es gibt Menschen, die führen. Mit nur sechs Prozent Marktanteil in den USA und drei Prozent weltweit, ist Apple nicht Marktführer unter den Heimcomputer-Produzenten. Und doch ist die Firma führend in der Computerindustrie, und nun auch führend in anderen Industrien. Martin Luther Kings Erfahrungen waren nicht einmalig, und doch brachte er eine Nation dazu, sich zu verändern. Die Brüder Wright waren nicht die potentesten Teilnehmer im Rennen um die Realisierung des ersten bemannten, motorisierten Fluges, aber sie waren es, die uns in die neue Ära der Fliegerei führten, und auf diese Art die Welt, in der wir leben, vollständig veränderten.

Die Ziele waren nicht verschieden von denen anderer, und auch ihre Systeme und Prozessabläufe wurden mit Leichtigkeit wiederholt. Aber die Brüder Wright, Apple und Martin Luther King unterschieden sich von ihren Rivalen. Sie selbst hoben sich ab von der Norm und ihre Wirkung auf Menschen konnte nicht einfach kopiert werden. Sie gehören zu einer exklusiven Gruppe von Führern, die etwas sehr, sehr Spezielles tun: Sie inspirieren uns.

Nahezu alle Menschen oder Organisationen müssen andere zum Handeln motivieren. Einige wollen zu einem Kauf motivieren. Andere suchen Unterstützung oder Wählerstimmen. Andere bemühen sich, die Menschen in ihrer Umgebung zu motivieren, härter oder besser zu arbeiten oder einfach den Regeln zu folgen. Die Fähigkeit andere zu motivieren, ist an sich nicht schwierig zu erlangen. Sie ist im Normalfall mit einem externen Faktor verbunden. Lockende Angebote oder die Androhung einer Strafe löst in vielen Fällen das Verhalten aus, das wir anstreben. General Motors beispielsweise hat die Menschen derart erfolgreich zum Kauf von Autos motiviert, dass die Firma über 75 Jahre lang mehr Autos als jeder andere Autohersteller verkaufte. Aber obwohl sie Marktführer war in ihrer Industrie, führte sie nicht.

Große Führer sind im Gegensatz dazu in der Lage, andere Menschen zum Handeln zu inspirieren. Diejenigen, die inspirieren können, geben den Menschen ein Gefühl der Sinnhaftigkeit oder der Zugehörigkeit, das wenig mit äußeren Anreizen oder zu erwartenden Vorteilen zu tun hat. Wer wirklich führt, ist in der Lage eine Gefolgschaft aus Menschen zu bilden, die nicht handeln, weil sie überredet, sondern weil sie inspiriert wurden. Für diejenigen, die inspiriert sind, ist die Motivation zum Handeln sehr persönlich. Es ist weniger wahrscheinlich, dass sie durch Anreize beeinflusst werden können. Diejenigen, die inspiriert sind, sind bereit mehr zu bezahlen, Unannehmlichkeiten oder gar persönliches Leid auf sich zu nehmen. Wer inspiriert, wird eine Gefolgschaft von Menschen bilden – Anhänger, Wähler, Kunden, Arbeiter –, die nicht zum Wohl des Ganzen handeln, weil sie es müssen, sondern weil sie es wollen.

Obwohl die Zahl der Organisationen und Führer, mit der natürlichen Fähigkeit uns zu inspirieren, relativ klein ist, begegnen sie uns in allen möglichen Formen und Größen. Man findet sie im privaten und im öffentlichen Sektor. Es gibt sie in jeder Branche – im Kundenverkauf ebenso wie im Großhandel. Unabhängig davon, wo sie sich befinden, üben sie alle überdurchschnittlich großen Einfluss in ihrer Branche aus. Sie haben die treuesten Kunden und die treuesten Angestellten. Oft sind sie in ihrer Branche rentabler als andere. Sie sind innovativer, und – am wichtigsten – sie sind in der Lage, all das auf lange Sicht zu halten. Viele von ihnen verändern ihre Branchen. Einige von ihnen verändern die Welt.

Die Brüder Wright, Apple und Dr. King sind nur drei Beispiele. Harley-Davidson, Disney und Southwest Airlines sind drei andere. Auch John F. Kennedy und Ronald Reagan konnten inspirieren. Gleichgültig, woher sie kommen, sie alle haben eines gemeinsam: Alle diese Führer und Firmen denken, handeln und kommunizieren, unabhängig von ihrer Größe und Branche, exakt auf die gleiche Art und Weise.

Und das ist genau das Gegenteil von dem, was alle anderen machen.

Was wäre, wenn wir alle lernen könnten zu denken, zu handeln und zu kommunizieren wie diejenigen, die inspirieren? Ich stelle mir eine Welt vor, in der nicht nur eine kleine Schar Auserwählter die Fähigkeit hat zu inspirieren, sondern die Mehrheit. Studien zeigen, dass 80 Prozent der Amerikaner nicht ihren Traumjob haben. Wenn es mehr Menschen geben würde, die wissen, wie man eine Organisation aufbaut, die inspiriert, könnten wir in einer Welt leben, in der die Statistik sich umkehren würde – eine Welt in der 80 Prozent ihren Job lieben würden. Menschen, die gerne zur Arbeit gehen, sind produktiver und kreativer. Sie gehen zufriedener nach Hause und sie haben glücklichere Familien. Sie behandeln ihre Kollegen, ihre Klienten und ihre Kunden besser. Inspirierte Angestellte produzieren stärkere Firmen und stärkere Wirtschaften. Das ist der Grund, warum ich dieses Buch geschrieben habe. Ich hoffe, dass ich andere dazu inspirieren kann, Dinge zu tun, die sie inspirieren, und dass wir zusammen die Firmen, die Wirtschaft und die Welt schaffen, in der Vertrauen und Loyalität die Norm sind und nicht die Ausnahme. Dieses Buch ist nicht dafür bestimmt, Ihnen zu sagen, was Sie und wie Sie es tun sollen. Mein Ziel ist es nicht, eine Anleitung zum Handeln zu liefern. Mein Ziel ist es, eine Begründung für das Handeln zu liefern.

Ich fordere alle heraus, die offen für das Neue sind, die auf der Suche nach langfristigem Erfolg sind und glauben, dass der Erfolg die Hilfe der anderen erfordert. Von jetzt an frage immer erst nach dem Warum.

Teil I:
Eine Welt, die nicht fragt warum

1. Falsche Annahmen

Der 43-jährige Mann wurde an einem kalten Januartag als Führer seines Landes vereidigt. An seiner Seite stand sein Vorgänger, ein berühmter General, der 15 Jahre zuvor die Streitkräfte seines Landes in einem Krieg befehligt hatte, in dem Deutschland besiegt wurde. Der junge Führer war in römisch-katholischem Glauben erzogen worden. Die folgenden fünf Stunden verfolgte er Ehrenparaden, er feierte bis drei Uhr morgens.

Es ist unschwer zu erraten, wen ich beschreibe, nicht wahr?

Es ist der 30. Januar 1933, ich beschreibe Adolf Hitler und nicht, wie die meisten annehmen würden, John F. Kennedy.

Der springende Punkt ist, dass wir von Annahmen ausgehen. Wir machen uns eine Vorstellung von der Welt um uns herum, die manchmal auf unvollständigen oder falschen Annahmen beruht. In diesem Fall war die Information, die ich gegeben habe, unvollständig. Viele von Ihnen haben vermutlich geglaubt, dass ich John F. Kennedy beschrieben habe, bis ich ein kleines Detail hinzufügte: das Datum.

Das ist wichtig, denn unser Verhalten wird von unseren Annahmen oder von vermeintlichen Wahrheiten beeinflusst. Wir treffen Entscheidungen, die auf dem beruhen, was wir zu wissen glauben. Es ist noch nicht lange her, dass der größte Teil der Menschheit glaubte, die Erde sei eine Scheibe. Diese vermeintliche Wahrheit beeinflusste das Verhalten. In dieser Epoche gab es wenige Entdeckungen. Die Menschen fürchteten, sie würden am Ende der Welt über eine Kante fallen, wenn sie sich zu weit vorwagten. Also blieben sie lieber dort, wo sie waren. Erst mit der Entdeckung eines kleinen Details – dass die Erde rund ist – änderte sich das. Nach dieser Entdeckung begannen Kulturen, den Planeten zu erkunden. Handelsrouten entstanden, Gewürze wurden gehandelt. Die Gesellschaften begannen, neue Ideen auszutauschen, etwa in der Mathematik, was alle nur erdenklichen Innovationen ermöglichte. Die Korrektur einer simplen falschen Annahme brachte die Menschheit ein Stück voran.

Denken wir darüber nach, wie Organisationen entstehen und wie Entscheidungen getroffen werden. Wissen wir tatsächlich, warum manche Organisationen erfolgreich sind und andere nicht, oder nehmen wir es nur an? Es spielt keine Rolle, wie man Erfolg definiert – eine Aktie zu einem bestimmten Preis verkaufen, eine bestimmte Geldsumme verdienen, ein Einnahmen- oder Gewinnziel erreichen, eine Beförderung, eine eigene Firma gründen, die Armen ernähren, in ein öffentliches Amt gewählt werden –, die Methoden zur Erreichung der Ziele gleichen sich in den meisten Fällen. Einige von uns improvisieren einfach, aber die meisten versuchen zumindest, ausreichend Datenmaterial zu sammeln, um eine fundierte Entscheidung zu treffen. Manchmal ist diese Datensammlung geregelt – beispielsweise bei Meinungsumfragen oder in der Marktforschung. Und manchmal ist sie informell: Wir bitten Freunde oder Kollegen um Rat oder greifen auf unsere eigenen Erfahrungen zurück, um uns einen Überblick zu verschaffen. Unabhängig vom Verfahren und von den Zielen wollen wir alle fundierte Entscheidungen treffen. Vor allem aber wollen wir die richtigen Entscheidungen treffen.

Aber wie wir alle wissen, sind, unabhängig vom gesammelten Datenmaterial, bei Weitem nicht alle Entscheidungen richtig. Manchmal haben falsche Entscheidungen keine gravierenden Folgen, aber bisweilen können sie katastrophal sein. Unabhängig von den Folgen treffen wir Entscheidungen, die auf einer Wahrnehmung der Welt beruhen, die möglicherweise nicht völlig richtig ist. Viele waren sich am Beginn des Kapitels sicher, dass ich John F. Kennedy beschrieben habe. Wir waren sicher, im Recht zu sein. Möglicherweise hätten wir sogar Geld darauf gesetzt – gestützt auf eine Vermutung. Wir waren völlig sicher, bis das kleine Detail des Datums hinzugefügt wurde.

Nicht nur schlechte Entscheidungen beruhen auf falschen Annahmen. Auch wenn die Dinge gut laufen, glauben wir oft zu wissen warum. Aber wissen wir es wirklich? Dass das Resultat das erwünschte war, bedeutet nicht, dass es wiederholbar ist. Ich habe einen Freund, der einen Teil seines Geldes investiert. Wenn es gut läuft, liegt es seiner Meinung nach an seiner Intelligenz und an der Wahl der richtigen Aktien. Aber wenn er Geld verliert, dann macht er stets die Märkte dafür verantwortlich. Ich habe mit keiner der beiden Erklärungen ein Problem, doch entweder hängen Erfolg und Misserfolg von seiner eigenen Voraussicht beziehungsweise Blindheit ab, oder sie hängen vom Glück beziehungsweise Pech ab. Aber es kann nicht beides sein.

Wie können wir also sicherstellen, dass alle unsere Entscheidungen die besten Resultate bringen werden, die wir obendrein vollkommen unter Kontrolle haben werden? Es scheint auf der Hand zu liegen, dass mehr Information und mehr Datenmaterial der Schlüssel sind. Und genau danach handeln wir. Wir lesen Bücher, wir nehmen an Konferenzen teil, wir hören Podcasts oder wir fragen Freunde und Kollegen – alles, um mehr zu erfahren und herauszufinden, was zu tun ist. Das Problem ist, dass wir alle schon in Situationen geraten sind, in denen uns alles Datenmaterial zur Verfügung stand und wir viele gute Ratschläge erhielten – und trotzdem liefen die Dinge nicht wie gewünscht. Oder die Resultate waren nur kurze Zeit gut. Oder es trat etwas ein, was nicht vorhersehbar war. Ein kurzer Hinweis für alle, die tatsächlich vermutet haben, dass am Beginn des Abschnitts Adolf Hitler gemeint war: Die von mir genannten Details treffen sowohl auf Hitler als auch auf John F. Kennedy zu, es hätten beide sein können. Man muss vorsichtig sein mit dem, was man zu wissen glaubt. Wie wir sehen, können uns Annahmen selbst dann in die Irre führen, wenn sie auf gewissenhafter Recherche beruhen.

Intuitiv verstehen wir das. In dem Fall, dass selbst bei Tonnen von Daten und guten Ratschlägen die Dinge nicht so laufen, wie wir es erwartet haben, gehen wir davon aus, dass die Ursache wahrscheinlich darin liegt, dass wir ein kleines, aber wesentliches Detail übersehen haben. In diesen Fällen überprüfen wir unsere Quellen, manchmal suchen wir neue, um herauszufinden, was zu tun ist, und der ganze Prozess beginnt von Neuem. Mehr Datenmaterial hilft jedoch nicht immer, vor allem dann nicht, wenn der ganze Prozess von einer falschen Annahme ausgeht. Es müssen noch andere Faktoren berücksichtigt werden, Faktoren, die außerhalb unseres rationalen, analytischen, informationshungrigen Gehirns liegen.

Es gibt Fälle, in denen uns kein Datenmaterial zur Verfügung steht oder in denen wir Ratschläge oder vorhandene Informationen ignorieren und einfach aus dem Bauch heraus entscheiden. Und alles geht gut, manchmal sogar besser als erwartet. Dieser Eiertanz zwischen Instinkt und rationaler Entscheidungsfindung beschreibt fast vollständig, wie wir Geschäfte machen, ja sogar, wie wir unser Leben führen. Natürlich können wir weiterhin alle Optionen in alle Richtungen drehen und wenden, aber wenn wir alle guten Ratschläge und stichhaltigen Fakten berücksichtigen, sind wir wieder dort, wo wir am Anfang waren: Wie können wir eine Vorgehensweise festlegen, die zum gewünschten Resultat führt und dieses auch wiederholbar macht. Wie können wir hundertprozentig richtige Vorhersagen treffen?

Es gibt eine wundervolle Geschichte über eine Gruppe von Managern aus der amerikanischen Automobilindustrie, die nach Japan fuhren, um eine Montagelinie zu besichtigen. Am Ende der Montagelinie wurden die Autotüren auf die Türangeln gehängt, genau wie in Amerika. Aber etwas fehlte. In Amerika würde ein Arbeiter zu einem Gummihammer greifen und die Türenden abklopfen, um sicherzustellen, dass die Tür perfekt sitzt. In Japan war dafür anscheinend keine Vorsorge getroffen worden. Die amerikanischen Automanager waren irritiert und fragten, an welchem Punkt die Japaner sicherstellten, dass die Türen perfekt passten. Ihr japanischer Führer lächelte verlegen. »Wir stellen bei der Planung sicher, dass sie passt«, sagte er dann. In der japanischen Autoproduktion wurde das Problem nicht untersucht, es wurden keine Daten gesammelt, um die beste Lösung zu finden – man sorgte von Anfang an dafür, dass man das gewünschte Produkt erhalten würde. Wenn nicht das angestrebte Resultat erzielt wurde, so musste das auf eine Entscheidung zurückzuführen sein, die am Anfang des Prozesses stand.

Am Ende passten sowohl die in Amerika als auch die in Japan produzierten Türen auf die Autos, wenn diese von der Montagelinie rollten. Aber die Japaner mussten niemanden einstellen, der auf Türen einhämmerte, und sie mussten keinen Hammer kaufen. Die japanischen Türen hielten wahrscheinlich länger und waren möglicherweise auch im Fall eines Unfalls stabiler. Und das aus dem einfachen Grund, weil die Japaner von Anfang an sicherstellten, dass die Teile zusammenpassten.

Das, was amerikanische Autohersteller mit ihren Gummihämmern tun, ist eine Metapher für die Art, mit der viele Menschen und Organisationen ihre Arbeit machen. Wenn sie damit konfrontiert werden, dass sich das geplante Resultat nicht einstellt, werden so lange höchst effiziente, kurzfristige Lösungsansätze angewendet, bis das gewünschte Ergebnis erzielt wird. Doch wie stabil sind diese Lösungen? Viele Organisationen leben in einer Welt, die sich auf erreichbare Ziele beschränkt und Hämmer verwendet, um sie zu erreichen. Wer aber mehr erreicht, wer mit weniger Angestellten und mit weniger Ressourcen mehr leistet, wer überproportional großen Einfluss ausübt, der wird Produkte bauen, Firmen gründen und auch Personal einstellen, die alle in den ursprünglich geplanten Rahmen passen. Das Ergebnis ist möglicherweise auf den ersten Blick dasselbe, aber große Führer verstehen den Wert unsichtbarer Qualitäten.

Jede Anweisung, die wir geben, jeder Ablauf, den wir festlegen, jedes gewünschte Resultat hat denselben Ausgangspunkt: eine Entscheidung. Auf der einen Seite gibt es diejenigen, die entscheiden, die Tür zu bearbeiten, bis sie passt, und auf der anderen diejenigen, die an einem ganz anderen Punkt beginnen. Beide Vorgehensweisen können kurzfristig ähnliche Ergebnisse hervorbringen, aber der langfristige Erfolg kann nur für eine der beiden Methoden vorausgesagt werden – das liegt an einem Vorteil, den wir auf den ersten Blick nicht sehen: Im Vorteil ist derjenige, der nicht nach Gewohnheit, sondern nach Plan vorgeht.