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Planetenroman

 

Band 2

 

Die Show der Sterne

 

Sie reisen von Stern zu Stern – und geben ihre Vorstellung jedem, der dafür bezahlt

 

Robert Feldhoff

 

 

 

Im 28. Jahrhundert nach Christus: Längst hat sich die Menschheit in der Galaxis ausgebreitet. Zahlreiche Siedlerwelten existieren am Rand des Solaren Imperiums, nur lose mit der Zivilisation der Erde und Perry Rhodan verbunden. Auf einigen dieser Welten hat sich erstaunlicherweise ein längst vergangen geglaubter Moralbegriff durchgesetzt.

Eine dieser Welten ist Cocomare, und dort lebt Gary Sporter, ein ziellos durchs Leben schlendernder Mann. Als er die »beste Strip-Show des bekannten Universums« sieht, verändert dies sein Leben: Er beschließt, ein Teil dieser Show zu werden und endlich eigene Abenteuer zwischen den Sternen zu erleben ...

Prolog

 

Mit rasanter Geschwindigkeit breitete sich die Menschheit in der Milchstraße aus – wohl selten zuvor war ein junges Volk mit derartig ungestümer Energie ins All aufgebrochen. Nicht alle Welten schlossen sich dem Solaren Imperium an, das von Perry Rhodan geleitet wurde, und nach einigen hundert Jahren starteten sogar von den »neuen« Menschenwelten kleine Flotten von Siedler-Raumschiffen, die ihrerseits Kolonien gründeten.

Das Sternenreich der Menschheit wuchs, und es zerfiel zugleich. Im 28. Jahrhundert gab es neben dem Solaren Imperium eine Vielzahl von kleinen Staaten und Imperien unterschiedlichster politischer und sozialer Ausrichtung, alle besiedelt von Menschen und den Abkömmlingen der Terraner. Auf Tausenden von Planeten entwickelten sich neue Sitten und Gebräuche, und manche Kolonie verlor sogar die Bindung zur Erde.

Die Verbindung zwischen diesen Welten war dünn; manche lagen am Rand des menschlichen Siedlungsgebietes, Zigtausende von Lichtjahren von der Erde entfernt. Zwischen ihnen verkehrten Frachtraumschiffe, wenige Raumtransporter, gelegentlich ein Schiff der Raumflotte. Selten, sehr selten kam es vor, dass sich Reisende unterschiedlichster Art zwischen den Sternen bewegten: Schausteller des 28. Jahrhunderts, Tänzer und Zirkusartisten ...

 

(aus: Hoschpians Chroniken des 28. Jahrhunderts n. Chr.; Kapitel 12.2., Zersplitterung)

1.

 

Gary kündigte seine Stellung an dem Tag, als in der Stadt der Sommer begann. Auf Cocomare waren die Sommer wunderschön, und er hatte nicht die Absicht, seine Tage mit Buchhalterei und Gesetzestexten zu verbringen.

An diesem Abend besuchte er Oswald.

Sein Freund war als der fetteste Mann im Viertel bekannt, mit spiegelnder Glatze und einer Knollennase, die das ganze Gesicht bedeckte. Augen und Mund wurden durch sie an den Rand gedrückt, sodass jeder, der Oswald ansah, in seinen Zügen etwas suchte, was nicht vorhanden war. Aber Gary wusste, dass hinter Oswalds Gesicht eine Seele von Mensch steckte. Und darauf kam es an; sogar bei einem Mann, der als Angestellter der Finanzbehörden zu den meistgehassten Leuten der Stadt zählte.

»Gary! Setz dich! Ich bin gleich so weit.«

Gary nahm auf einem der Hocker Platz, schaute aus dem Fenster über die Dächer der Stadt und ließ vom Servo kühle Drinks kommen. Coco City, die Stadt am Ende der Welt ... Es war die einzige größere Stadt auf Cocomare. Eine Million Siedler konzentrierten sich in diesem Ballungsraum, weil den Rest des Planeten nur noch Farmland und Urwald bedeckten. Auf einer dieser Farmen war Gary aufgewachsen. Er hasste es, zu viel freies Land um sich zu sehen, er hasste die Gesellschaft der Ernteroboter, und er hasste es, mit Beginn der Regenzeit seine Tage auf den Feldern zu verbringen. Seine Eltern hatten ihn in die Stadt geschickt, und er hatte gelernt, seinen Lebensunterhalt als Buchhalter eines Anwalts zu verdienen. Aber das hatte er sich nie erträumt. Es war ihm nie gelungen, einen Zipfel vom Glück festzuhalten.

Es fehlte ihm der Mut, Cocomare zu verlassen. Und doch saß er oft auf einem Hügel am Rand von Coco City und starrte zu den Sternen hoch. Manchmal sah er auf dem alten Raumhafen die Schiffe von fernen Welten landen. Kugelraumer von Arkon und von der Erde kamen, dazu sanken uralte Keilschiffe von Terra nieder, die Walzen der Springer tauchten auf, mit Waren voll bepackt bis an die Grenzen der Ladekapazität, und manchmal schwebte ein riesenhafter Diskus von Gatas oder Latos über dem Raumhafen, still und elegant und tödlich wirkend. Doch niemals blieb eines der Schiffe länger, als nötig war.

Gary hatte nie ein Raumschiff von innen gesehen. Nur zu gern wäre er eine oder zwei Stunden lang durch die Korridore geschlendert, hätte einen Hauch von dem geatmet, was er für das freie Leben der Raumfahrer hielt. Heute hier zu sein, morgen auf einem ganz anderen Stern und am Tag darauf sich den Gefahren des Zentrumskerns zu stellen.

Er hätte einiges dafür gegeben, hätte man ihn die Wunder von Arkon, Sphinx oder der fernen Erde schauen lassen. Die Holowürfel, die es in jeder Mediothek zu leihen gab, mit ihren Berichten über Perry Rhodan und seine unsterblichen Gefährten, sie bildeten nur unvollkommenen Ersatz. Was wären dagegen die Arkaden von Arkon I gewesen, die Trichterbauten und der Kristallpalast? Oder das wimmelnde Leben von Gatas, als Mensch unter Milliarden und Abermilliarden tellerköpfiger Blues ... Oder die Türme und Gleiterhochstraßen von Terrania, die Ströme von Besuchern, die das Herz der Stadt belebten, die ...

»Gary!«

Er hob den Kopf und sah Oswald vor sich stehen.

»Du träumst schon wieder, Gary«, sagte der andere vorwurfsvoll. »Träumen führt zu nichts. Du setzt dir bloß Flausen in den Kopf, weißt du?«

»Ist es Dummheit, von hier wegzuwollen?«

»Es ist Dummheit, wegzuwollen und nicht zu gehen. Du hast Geld genug, oder?«

»Ach ...«

»Trink aus, ich muss heute noch was erleben.«

Oswald zwängte sich in seine Weste aus exotischem Leinen, die ihn wie einen weitgereisten Abenteurer aussehen ließ, und versetzte Gary einen Stoß. »Was ist, zum Donner? Du machst ein Gesicht, als müsstest du auf die Farm zurück.«

»Vielleicht muss ich das auch.«

»Wie?«

»Ich hab's getan. Ich hab's wirklich getan.«

»Was getan? Gekündigt?«

»Stimmt.«

»Na bravo! Dann komm zu uns! Die Finanzbehörde sucht immer gute Leute.«

»Dann hätte ich genauso gut meine bisherige Arbeit behalten können. Nie mehr Steuerakten und Buchungsbelege! Nein, Oswald, vielen Dank.«

Der andere prüfte sein Äußeres im Spiegel, dann zog er ein zufriedenes Gesicht und meinte: »Nichts mehr zu retten ... So gesehen mache ich einen guten Eindruck, oder?«

Gary sah nur für eine Sekunde hin. »Hervorragend. Jede Frau wird Mitleid kriegen.«

»Sieh nicht so von oben auf mich herab. Jeder muss es versuchen, so wie er kann. Und nun hör auf, Trübsal zu blasen. Wenn ich dich mit dem Gesicht mitschleppe, läuft im Leben nichts. Raff dich endlich auf, sonst kannst du hierbleiben.«

 

Über Coco City senkte sich Ausgehstimmung. Die Farbe des Himmels wechselte in abendliches Rot, von draußen drang durch das geöffnete Fenster Gelächter herein. Der Antigravschacht trug die beiden Freunde ins Erdgeschoss. Die Hitze des Tages war längst vergangen, doch der Straßenbelag strahlte noch immer Wärme ab.

Eine halbe Stunde waren sie zu Fuß unterwegs. Dort, im Vergnügungsviertel, begann die Zone der Lichter, der gedämpften Musik aus jeder halb geöffneten Schwingtür. Manchmal drehte sich Gary nach Frauen um; so lange, bis es Oswald zu viel wurde und er ihn böse in die Seite stieß. »Du benimmst dich wie ein verdammter Rüpel.«

»Auf Terra könnte ich hinterhersehen, wem ich will.«

»Du bist aber nicht auf Terra. Außerdem kannst du auch auf Terra nicht jeden mit Blicken belästigen, wenn's dir gefällt.«

»Woher willst du ...«

»He!«, rief Oswald aufgeregt. Dass er den Freund mitten im Satz unterbrochen hatte, störte nicht. Er spuckte in beide Hände und rieb sich über die Glatze, als ob er das polierte Spiegeln in strahlenden Glanz verwandeln wollte. »Da hinten sind Moa und Suky. Hinterher, Gary! Sie sind ins ›Corona Bay Fever‹ gegangen!«

»Hör schon auf. Suky kann ich nicht leiden, und Moa will mich nicht. Also was soll's?«

»Was für eine Frage! Denk mal an deinen Freund!«

Hinter Oswald betrat Gary das Lokal, mit übler Laune und bösem Gesicht. Die beiden Frauen verschwanden irgendwo hinten, im Dunkel der Tanzfläche. Die schwüle Atmosphäre des »Corona« umfing sie wie ein Mantel, als wären sie aus der Realität in einen Albtraum getreten. Stroboskopische Blitze hellten für Sekundenbruchteile Gesichter auf. Menschen bewegten sich in den kurzen Intervallen. Sogar Mitglieder von Fremdvölkern gab es: zwei Springer mit roten Bärten, die von einem der Handelsschiffe stammten, und eine Gruppe Blues, deren zirpendes Gespräch wie ein Netz den Klangteppich umfing. Die Kellnerrobots schwebten unsichtbar über den Köpfen; es reichte aus, die Hände nach oben zu recken und seinen Wunsch zu murmeln. Die Bedienung erfolgte prompt. In der Luft lag das süßliche Aroma von Coco-Drinks, außerdem der Geruch von Schweiß und Erregung. Tausend Füße bewegten sich, verursachten ein ständiges Scharren, das sogar durch die hämmernde Musik hörbar war.

Oswald hielt zwei Quoss-Getränke in der Hand, bevor Gary protestieren konnte. »Hier!«, brüllte er durch den Lärm. »Nimm schon!«

Um Alkohol handelte es sich nicht; dafür um eine populäre Modedroge von Aralon, die Körper und Geist in erwartungsvolle Aufnahmebereitschaft versetzte. Gary wusste, dass man von Quoss süchtig werden konnte. Aber in diesem Augenblick war es ihm egal. Um das fürchterliche Gefühl der Nutzlosigkeit loszuwerden, kippte er den Drink in einem Zug. Es dauerte keine zwei Minuten, bis er sich besser zu fühlen begann. Die Musik wühlte sein Innerstes auf, versetzte es in zuckende Vibration, im Kopf dagegen entstand diese gewisse Gleichgültigkeit, die er früher so gemocht hatte.

Oswald rammte ihm den Ellenbogen in die Seite. »He, Gary ... Dahinten sind die beiden wieder.«

In einer stillen Ecke trafen sie aufeinander. Oswald präsentierte vier Gläser Quoss, verteilte das Zeug an Gary und die beiden Frauen und zog dann mit Suky zur Tanzfläche ab.

Moa und Gary blieben zurück. Die junge Frau war knapp 1,70 Meter groß, mit dunklen Haaren und dunkler Haut, schräg gestellten Augen und rundem Mund. Ihre Kleidung wirkte konservativ; es war das Braun der Farmer, kombiniert mit modischen Accessoires und einer leichten roten Jacke. Sie schaute ihn nicht mal an.

»Netter Laden!«, rief er in ihr Ohr, einfach um höflich zu sein.

»Ich kann's nicht leiden.«

Die Worte las er mehr oder weniger von den Lippen ab. Gary schaute erstaunt in ihre Augen – zum vielleicht ersten Mal, weil er Moas Blick bisher gemieden hatte.

»Wieso bist du dann hier?«, fragte er.

»Weil Suky mich immer mitschleppt. Deswegen.«

Diesmal war Gary an der Reihe, Quoss zu besorgen. Sie tranken langsam ihre Gläser aus, doch Oswald und Suky blieben in den Lichtblitzen des Stroboskops verschwunden. Farbige Energiewände trennten plötzlich die Gruppen voneinander. Wie die Moleküle einer Flüssigkeit wurden sie durcheinandergewirbelt. Ein verwirrender Reigen begann, währenddessen man vorbeihuschende Gesichter nur schemenhaft erkennen konnte. Das war eine der Attraktionen des »Corona Bay Fever«; auf Arkon oder Terra seit Jahren aus der Mode, aber genug für Coco City.

Als die Energiewände erloschen, hatte das Wirbeln aufgehört. Am selben Ort befand sich nur noch die Tanzfläche, alles andere in der Bar hatte sich verändert: sowohl die Dekoration als auch die Standorte der Menschen. Gary und Moa saßen jetzt in der äußersten Ecke. Auf der Tanzfläche drehte sich Oswald suchend in die Runde; er hielt aber sogleich beide Hände in die Höhe. Aus dem Nichts erschienen zwei gefüllte Gläser.

»Die beiden amüsieren sich gut«, sagte sie.

»Wieso verschwinden wir zwei dann nicht?«

Misstrauisch schaute sie auf. »Soll das ein Angebot sein?«

»Natürlich.«

»Du bist deiner selbst sehr sicher.«

»Nein. Das scheint nur so.«

»Ich mag deine Sicherheit nicht ... Oder ich mag es nicht, wenn ich belogen werde.«

»Ich habe dir gesagt, wie es ist, Moa. Es war keine Lüge dabei.«

»Okay, Gary. Verschwinden wir.«

Das Lächeln, das sie ihm schenkte, war nicht von der strahlendsten Art, aber es war immerhin etwas. Gary bahnte einen Weg durch das Getümmel. Nahe hinter ihm kam Moa, und irgendwie brachte er es fertig, das Gefühl sogar zu genießen. Dabei war er so sicher gewesen, dass sie ihn nicht leiden konnte. Die Abneigung hatte auf Gegenseitigkeit beruht, bis vor ein paar Minuten.

Gemeinsam verließen sie das »Corona Bay Fever« und traten auf die abgekühlte Straße hinaus. Der Verkehr hatte nachgelassen, es waren kaum noch Leute unterwegs. In der lauen Sommernacht wirkte das ungewöhnlich, doch es versetzte ihn in eine romantische Stimmung, die er nur selten erreichte. Vom Eroberer der Nacht blieb wenig übrig. Und irgendwie schien Moa das auch zu spüren – ihm war, als bröckele der Widerstand in ihr. Vielleicht lag es wirklich daran, dass seine Fassade nicht mehr das Bild unangreifbarer Sicherheit bot. Vielleicht vermittelte ihr das ein Gefühl, es mit einem fassbaren Menschen zu tun zu haben.

»Wohin gehen wir?«, fragte Moa.

»Einfach geradeaus. Ich habe kein Ziel. Manchmal macht es mir Spaß, geradeaus und einfach immer weiter zu gehen.«

»Du lebst ohne Ziel, Gary.«

»Woher willst du das wissen?«

Sie lächelte, und er hatte das Gefühl, es sei das erste Mal, dass sie ihn so ansah. Dabei trat in ihre schräg gestellten Augen ein Schimmer, den er nicht zu deuten wusste; aber vielleicht war es auch der Quoss in ihren Adern, der die Netzhaut glänzen ließ. »Ich spüre es.«

»Und ich sage, du täuschst dich. Ich habe ein Ziel. Ich weiß nur noch nicht, wo es liegt und wie es aussieht. In mir gibt es eine Hirnwindung, die weiß genau Bescheid. Ich kann sie nur nicht greifen. Das ist genauso, als würden vor deinen Augen Flecken tanzen. Du kannst sie nie fixieren. Sobald du es versuchst, sind sie an den Rand deines Gesichtskreises verschwunden.«

»Ich weiß, was du meinst, Gary.«

»Wirklich?«

»Vielleicht. Ich versuche es jedenfalls.«

Er streckte die Hand aus, und ihre Finger berührten sich. Gary spürte den Stoff ihrer roten Jacke. Im Sternenlicht von Cocomare sah Moas Haut so samtig und perfekt aus, dass ihm heiß und kalt wurde. Einen Augenblick lang war sie die schönste Frau des Planeten. Und diesen Augenblick versuchte er einzufangen, solange es ging, bevor der Quoss seine Wirkung verlor und alles wieder in deprimierendem Grau ertrank. Gary hielt ihren Blick fest. Er streckte die Fingerspitzen aus und tastete über Moas Züge. Das Wunder geschah; sie ließ ihn gewähren, ohne auch nur zu zucken oder für eine Sekunde zurückzuweichen.

»Das habe ich mir lange gewünscht.«

»Wirklich, Gary?«

»Ja«, sagte er, und es war nicht einmal gelogen. »Es gibt Dinge, an die man nicht glauben kann. Eines Tages geschehen sie trotzdem. Dann fragt man sich, warum es heute erst so weit ist, und die ganze verschenkte Zeit jagt einem Schauer über den Rücken.«

»Du bist ein Poet.« Ihre Stimme klang ironisch.

»Ich bin traurig.«

»Vielleicht kann ich dich trösten.«

»Das wäre schön. Komm.«

»Wohin gehen wir?«

»Ich weiß nicht ... Irgendwohin.«

»Dann gehen wir zu mir.«

Moas Wohnung lag in einem dieser alten Bezirke, wo kaum hohe Türme standen, sondern die weitläufigen Häuser der ersten Siedler. Vor ihm erstreckte sich ein Gewirr von Dachterrassen. Es gab tausend Fenster, in die man hätte hineinsehen können, doch kein einziges war erleuchtet.

»Wir sind die beiden Letzten«, sagte sie. »Das hier ist eine sehr anständige Gegend.«

»Kannst du Gedanken lesen?«

»Deine schon. Manchmal.«

Gary strich über den groben Stoff ihrer Jacke, dann erneut über ihre Haut, und im selben Moment küsste er sie. Vielleicht war es der Zauber, der über diesen Dächern lag, oder die warme Nacht, die in den Menschen Hemmungen löste. Von diesem Augenblick an hatte Gary das Gefühl, die Handlung sei ihm aus den Händen genommen. Nicht er war es, der bestimmte, sondern Moa. Ihr Körper war perfekt. Die dunklen Haare umgaben ihr Gesicht wie ein geheimnisvoller Rahmen, die schräg gestellten Augen blitzten ab und zu, ohne zu verraten, was dahinter vorging.

Nach einer Stunde verließen sie die Terrasse müde und erhitzt. In dieser Nacht schlief er in ihrem Bett. Doch Gary wälzte sich lange herum und versuchte, sich von Moas Nähe nicht beengt zu fühlen. Es war so unmöglich, wie es stets unmöglich war, und am Ende schlief er nur deshalb ein, weil er es nicht wagte, sie zu wecken und zu gehen.

 

Als sie am nächsten Morgen die Augen öffnete, saß er schon angezogen auf einem Stuhl.

»Hast du gut geschlafen?«

»Interessiert dich das überhaupt?«

»Ja, es interessiert mich.«

»Na gut, Gary. Ich habe schlecht geträumt. Und ich würde gern wissen, wieso du aufgestanden bist.«

»Ich war nicht mehr müde. Außerdem habe ich eine Verabredung mit Oswald. Es ist spät genug.«

»Du willst gehen, nicht wahr?«

»Ja. Ich lasse dir meine Nummer hier.«

Er suchte nach Stift und Zettel und war froh, sie nicht mehr sehen zu müssen. Verschlafen, noch immer attraktiv und furchtsam. Wenn du gehst, Gary, sehe ich dich nie wieder.

»Verdammt! Du musst doch irgendwo was zum Schreiben haben!«

»In der obersten Schublade.« Moa deutete auf einen kleinen Schrank direkt neben der Ausgangstür.

Er wühlte, fand den Block und schrieb seine Nummer auf. Daneben nur der Name Gary, ohne den Familiennamen. Natürlich hätte sie auch den herausbekommen – aber das taten die Frauen nie, sobald er aus der Tür war. Als sechste Ziffer baute er absichtlich eine falsche Zahl ein. So, dass er hinterher behaupten könnte, es handle sich um einen Fehler ohne Absicht, aber doch genug, dass man ihn nicht erreichen konnte.

»Es war eine schöne Nacht, Moa. Aber ich muss mich auf den Weg machen, bevor Oswald sauer wird und verschwindet.«

»Denk nicht, dass ich dich nicht durchschauen würde. Dich und deine Ausreden. Ich glaube, Gary, du siehst schon wieder Flecken vor den Augen.«

»Das kann sein.«

»Ich glaube nicht, dass du noch mal zurückkommst. Aber wenn, dann werde ich nicht für dich da sein. Ich kann meine Kraft nicht auf ein Gespenst verschwenden.«

Als er die Tür hinter sich zuzog, war es wie eine Erleichterung. So, wie es immer war und wie es ihm immer wieder denselben Schmerz zufügte.

Daran, dass auch er den Frauen Schmerz brachte, verschwendete er keinen Gedanken. Die Luft im Freien umfing ihn mit lauwarmer Temperatur. Es war ein Vorgeschmack auf die heißen Tage, die kommen würden; denn der Sommer hatte kaum begonnen.

2.

 

Dass er gegen Mittag im Raumhafen-Café saß, war purer Zufall. An diesem Tag standen nicht mehr als fünf Schiffe auf dem Landefeld. Zwei davon gehörten den Blues. Anders als auf Terra oder Arkon ging die Begegnung zwischen Tellerköpfen und Terranern ohne Reiberei vonstatten; hier, in der tiefsten Provinz, erachtete niemand einen Streit der Mühe wert. Hier gab man weniger auf Politik als anderswo, und die Begegnung der Völker, sonst oft ein Problem, wurde auf Handel oder kurze Erholung reduziert. Ein drittes Schiff, das wie eine altertümliche Rakete aussah, wusste Gary nicht einzuordnen, es gehörte wahrscheinlich einem aufstrebenden Volk aus der Region. Und bei den beiden übrigen handelte es sich um Walzenschiffe der Springer, keines größer als 300 Meter.

Gary schaute sehnsüchtig dem Verladen der Handelsgüter zu. Aus den Diskussen der Blues ergoss sich ein steter Strom voll bepackter Schwebeplattformen. In den Walzenbäuchen der Springer verschwand Hektoliter für Hektoliter der Schnaps von Cocomare, der auf anderen Welten sehr begehrt war.

In diesem Moment erschütterte ein heftiger Knall die Umgebung.

Sein erster Blick galt den Springern; dort war alles ruhig. Gemeinsam mit dem Dutzend übriger Gäste suchte er das Landefeld ab. Aber nicht einer der Raumer hatte seinen Antrieb gezündet, es hatte weder eine Explosion gegeben noch einen Zusammenstoß.

»Was ist denn?«, rief jemand.

Achselzucken allenthalben, niemand hatte die geringste Ahnung.

Im selben Moment wiederholte sich der Knall. Gary spürte die Vibration, die durch den Fußboden lief. Aus den unterirdischen Katakomben rückten die Schweber der Feuerwehr aus, jeder bemannt mit zwanzig Spezialrobotern, zwischen Landefeld und Hafengebäuden flammte ein grüner Energiezaun auf, der im Fall einer Katastrophe die Leute schützen sollte. Auch die gelandeten Schiffe umgaben sich mit Schutzfeldern.

Und endlich sahen alle, was es mit dem Lärm auf sich hatte: Aus dem Mittagshimmel über Cocomare fiel ein weißer, lohender Punkt. Binnen zehn Sekunden wurde ein scheinbar glühendes Objekt daraus, das sich mit flammenden Triebwerken und erhitzter Hülle auf Coco City niedersenkte. Ein Raumschiff! Doch ein solches Unikum hatte Gary nie zu Gesicht bekommen. Als Grundform diente eine 60-Meter-Korvette, über 500 Jahre alt und an allen möglichen Stellen auf widersinnigste Art ausgebaut. Aus der einstigen Kugelhülle ragten Erker und abgebrochene Antennen, im altertümlichen Ringwulst brannten unregelmäßig angeordnet sieben Triebwerke. Und die stotternden Geräusche, die ab und zu als ohrenbetäubender Krach endeten, ließen nicht auf geregelte Energiezufuhr schließen.

Mit angehaltenem Atem verfolgte er den Kurs oder besser: den Fall des Schiffes. Nach einer Weile wurde offenbar, dass die Besatzung den Raumhafen ins Visier genommen hatte.

»Habt ihr so was schon gesehen?«, murmelte jemand.

»Bestimmt nicht«, gab eine zweite Stimme atemlos zurück.

»Die werden doch nicht wirklich landen wollen ...«

»Ach was, wir haben ja den Energiezaun ...«

300 Meter, schätzte Gary. Der Fall verwandelte sich in eine Art kontrolliertes Gleiten – und war trotzdem einer Höllenfahrt ähnlicher als einer Landung. Aus den Triebwerken schossen lange Flammenspeere. Das gesamte Landefeld war eine Sekunde lang in grelles Licht getaucht. Und dann, er wusste nicht wie, stand die 60-Meter-Kugel plötzlich. Irgendetwas schepperte noch, ein letzter Donnerschlag betäubte kurz sein Hörvermögen, doch es ereignete sich weder die befürchtete Explosion, noch brach die Kugelzelle auseinander.

Rings um das Schiff gruppierten sich die Schweber der Feuerwehr. Aber ihr Einsatz war unnötig. Aus einem der Triebwerke kroch ein dünner Rauchfaden, ringelte sich hoch und versiegte kläglich. Nichts geschah, was zum Einsatz Anlass gab, und die einzige Bewegung, die danach für eine halbe Stunde stattfand, verursachte eine herabstürzende Panzerplatte vom oberen Pol.

Die Springer und Blues schalteten ihre Schutzfelder wieder ab. Was die Hafenverwaltung unternahm, welche Funksprüche hin und her gingen, davon bekamen Gary und die Gäste im Café nichts mit.

Erst der akustische Paukenschlag lenkte ihre Aufmerksamkeit auf die Kugel zurück. Furchtbares Geschepper, wie von einem überdimensionalen, verstimmten Orchester, drang aus der Schiffshülle. Und auf halbem Weg zwischen den Hafengebäuden und dem Schiff stabilisierte sich eine Leuchterscheinung. Die Qualität der holografischen Projektion erstaunte jeden, der zuvor die Landung gesehen hatte.

Aus drei umeinander kreisenden, glühenden Würfeln formte sich eine einzige weiche Form. Binnen zehn Sekunden nahm sie die Gestalt einer dreißig Meter großen Frau an. Doch das Erstaunlichste, was Gary für lange Augenblicke den Atem verschlug, war etwas anderes: Die Frau war nackt! Sie trug nicht das geringste Kleidungsstück! Ihre blauen Augen schauten milde auf die Hafengebäude herab, das ebenmäßige Gesicht verzog sich zu einem herausfordernden Lächeln. Wunderschöne, gepflegte Haare umgaben den Nacken mit einem Rahmen.

An beiden Seiten strichen Korkenzieherlocken über die Brüste. Es waren die schönsten, die Gary jemals gesehen hatte. Oder es lag nur an der Sensation dieses absolut unwirklichen, unerklärlichen Augenblicks. Er folgte ihrer Figur über den sanft gerundeten Bauch, die Schamhaare und die perfekt geformten Beine bis zu den Füßen hinunter – und wieder hinauf zu den Augen.

Niemand sprach ein Wort.

Dafür jedoch bewegten sich die Lippen der Frau. Höllischer Lärm ergoss sich über das Landefeld und die angrenzenden Gebäude.

»Mein Name ist Marcie Carmichigan! Und wenn ihr alle mich in natura sehen wollt, kommt zur besten Strip-Show des bekannten Universums!«

Der Blick ihrer verheißungsvollen, zwei Meter großen Augen schien für kurze Zeit allein auf Gary zu ruhen, und er konnte nicht anders, als trocken zu schlucken und sich auf die Lippen zu beißen.

»Vergesst nicht«, flüsterte die Frau noch einmal in ohrenbetäubender Lautstärke, »dass die beste Strip-Show des bekannten Universums euch nie gekannte Freuden bereiten wird ... Besucht meine Show! Seht meine Tänzer und Tänzerinnen, erlebt Künstler und die letzten echten Akrobaten! Und seht das Stück, das wir spielen, das von der ewigen Spannung zwischen Moral und Unmoral handelt.«

Mit diesen letzten Worten erlosch die Holografie. Wo Gary gerade noch zwei wunderschöne, turmhohe Brüste gesehen hatte, die sich mit dem Klang der Stimme sacht bewegten, starrte er nun fassungslos auf das Kugelschiff.

»Eine Strip-Show«, sagte jemand in die Stille. »Das ist ein Ding. So was hatten wir seit hundert Jahren nicht mehr.«

 

»Komm schon, Oswald! Du musst unbedingt dabei sein!«

»Ach was, Gary ... Was glaubst du, wieso solche Shows heute keinen mehr vom Hocker reißen? Du kannst in jeder guten Holo-Video-Show mehr sehen, das garantiere ich. Und wer wäre besser geeignet, erotische Szenen darzustellen, als superklasse ausgestattete Roboter? Also lass es gut sein. Diese Strip-Show ist nichts wert.«

»Wenn alle so denken würden«, beschwerte sich Gary beleidigt, »könnten diese fliegenden Shows gleich dichtmachen.«

»Was glaubst du, wieso genau das ja auch der Fall ist?«