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EXTRA

 

 

Die Menschenforscher

 

Ihre Herren sind die Friedensfahrer – drei seltsame Wesen beobachten Perry Rhodan und Kantiran

 

von Robert Feldhoff

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

1.

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Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Sie sind Beobachter, geheimnisvolle Wesen aus den Tiefen des Universums. Der Auftrag der drei seltsamen Wesen ist eindeutig: Für die Friedensfahrer sollen sie die Terraner beobachten, sollen Menschen erforschen.

Vor allem aber zwei ganz besondere Menschen: Perry Rhodan, jenen Mann, der die Menschheit vor fast dreitausend Jahren auf den Weg zu den Sternen geführt hat. Und Kantiran, einen jungen Mann, der als Waise auf einem Dschungelplaneten aufwächst, ohne zu wissen, wer seine Eltern genau sind. Er weiß nur, dass seine Mutter eine Frau vom Planeten Arkon war und sein Vater ein Terraner von der Erde. Das macht ihn zum Mischling – und das in einer Zeit, in der sich die Sternenreiche der Arkoniden und Terraner argwöhnisch belauern.

In dieser Zeit zu Beginn des 14. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung – das entspricht dem Ende des fünften Jahrtausends »unserer Zeit« – stehen die bewohnten Planeten der Milchstraße vor großen Umwälzungen. Perry Rhodan, der die Menschheit im 21. Jahrhundert ins All geführt hat, will die Unabhängigkeit der Liga Freier Terraner verteidigen. Und Bostich I., der Imperator von Arkon, will seine Macht immer mehr ausweiten.

Die drei Beobachter verfolgen das Geschehen in diesen Tagen und Jahren. Sie sind Gesandte eines Friedensfahrer, und sie sind DIE MENSCHENFORSCHER ...

1.

 

Der Androide betrachtete mit liebenswürdiger Miene seine zwei Schicksalsgefährten, die mit einer Wahrscheinlichkeit von etwas über neunzig Prozent ihr Leben verlieren würden. So wie er selbst.

»Mein Name ist Firmian Oreche«, sprach er zu seiner Mannschaft wider Willen. »Wir werden soeben an Bord einer OREON-Kapsel in einer Galaxis ausgesetzt, die wir als ›Milchstraße‹ bezeichnen.«

Die Umgebung, vorher ein gestaltloser Nebel, verfestigte sich vor seinen Augen. In Wahrheit wurde ihm nun gestattet, mehr zu sehen, und der posthypnotische Sinnesfilter verlor endlich seine Kraft.

Die Wände der Zentrale waren aus einem Material gefertigt, das aussah wie hellgrünes Glas. Jeder Quadratzentimeter schien von Millionen hauchfeinen Rissen durchzogen.

Er wusste, dass die Kapsel in etwa tropfenförmig konstruiert war. Firmian Oreche kannte aus der Hypnoschulung jeden einzelnen Raum.

Die zwei Wesen vor ihm – die gelbe Telepathin hockte in der Ecke der Zentrale, der Geist schwebte körperlos – überschütteten ihn sofort mit Beschimpfungen, als er nur für eine Sekunde innehielt.

Oreche störte das kein bisschen: »Die Milchstraße ist unter anderem die Heimat eines Volkes, dessen Angehörige sich selbst als ›Terraner‹ bezeichnen. Sie gelten allgemein als eine Art bevorzugtes Volk. Die Friedensfahrer haben sich ihnen nie zu erkennen gegeben, haben immer nur beobachtet. Und exakt diese Beobachtung setzen wir drei ab heute fort.«

Mit einem Mal erwachte das Interesse der kleinen Humanoiden.

Geydana Gu war die Distanz-Telepathin: eine kleinwüchsige, gelbhäutige Frau, besser gesagt eine Xhan-Zwergin, deren Spezialität darin lag, über extreme Entfernungen Informationen zu sammeln. Gu schien zu begreifen, dass sie in der OREON-Kapsel nicht massakriert werden sollte, jedenfalls nicht sofort und ganz gewiss nicht von Oreche.

»Immer nur beobachtet? Nie ein Kontakt? Wieso das?« Ihre Augen waren riesengroß. Wenn es etwas an ihr gab, was besonders aussah, waren es die Xhan-Augen.

Firmian Oreche hob dozierend ein Fingerpaar. »Die Gründe sind kosmologisch ...«

»Aha!«

»... der Kosmos ist aufgeteilt in die Kosmokraten, die für die Ordnung stehen, und die Chaotarchen, die für das Chaos stehen. Aber es gibt eine Menge Grauzonen dazwischen. Diese Bereiche nennen wir schlicht ›das Leben‹. Das Leben nimmt, universell betrachtet, mehr Eingriffe in kosmische Abläufe vor, als es die Kosmokraten oder Chaotarchen mit ihren Helfern und Helfershelfern könnten. Wegen seiner Allgegenwart ... Die Terraner haben erst vor kurzem begriffen, dass auch sie zum Leben an sich gehören. Nicht zu den Ordnungs- oder Chaosmächten. Seitdem werden sie für die Friedensfahrer interessant.«

In Oreches Kopf erklang mit einem Mal eine mentale Stimme. Eine Art stimmloses Brummen.

»Und was haben wir damit zu tun?« Es war Phasodes Stimme.

Das Wesen besaß keinen Mund und keinen Körper. Ein leuchtendes Feld, geformt wie ein großer Totenkopf, war das Zeichen seiner Gegenwart. Phasode war ein Streicher aus dem Volk der A'agorthi. Die Anwesenheit eines Geistes galt als großer Vorteil: Man konnte nicht oft welche finden, und noch seltener gelang es, sich ihrer Hilfe zu bedienen.

Firmian Oreche konnte sich denken, dass es in beiden Fällen nicht ganz freiwillig geschehen war. Aber was auch hinter Gus und Phasodes Mitarbeit steckte, er wollte es gar nicht wissen.

»Was haben wir damit zu ...«

»Ja, ja«, unterbrach Oreche die Frage. »Ich habe dich gehört!«

»Dann antworte mir jetzt, Leiblicher.«

»Unser Dienstherr«, sagte er schnell, »ist der Friedensfahrer Chyndor. Chyndor will, dass wir mit der OREON-Kapsel so viel Informationen sammeln wie nur möglich. Die Friedensfahrer glauben, dass in einer Nachbargalaxis der Milchstraße eine Negasphäre entstehen wird. Der Name der betroffenen Galaxis lautet Hangay. Kosmologisch gesehen kommt das einer Katastrophe gleich: Wenn es wirklich geschieht, werden sämtliche Galaxien im Umfeld zu einer Domäne des Chaos. Dazu zählt – unglücklicherweise – auch die Milchstraße.«

Geydana Gu und Phasode lachten fast zugleich.

»Wieso Katastrophe?«, fragte Gu. »Lass uns hier verschwinden, und wir bekommen es nicht einmal mit!«

»Das«, sagte Firmian Oreche mit äußerstem Bedauern, »ist leider nicht möglich.«

Die gelbe Gu beschwerte sich: »Bah! Wieso?«

»Der Friedensfahrer Chyndor, den ich erwähnte, wünscht vollständige Aufklärung über die Ereignisse in der Milchstraße. Normalerweise wirkt in dieser Galaxis die Superintelligenz ES. Wir wissen aber, dass ES derzeit mit unbekanntem Ziel verschwunden ist. Möglicherweise wegen der Negasphäre. Man nimmt als sicher an, dass die Chaosmächte sich eine Negasphäre nicht entgehen lassen. Sie werden rings um Hangay tätig werden, und dazu gehört die Milchstraße. Aber das ist nicht mal das Schlimmste ...«

»Sondern?«, brummte Phasode unhörbar.

»Das Schlimmste ist, dass die Milchstraße in kurzer Zeit in den Bann der erhöhten Hyperimpedanz geraten wird.«

Geydana Gu hob die Hand, Aufmerksamkeit heischend, mit einem schnellen Blick zu Phasodes Spektral-Abdruck.

»Hyperimpedanz?«

Der Androide spottete freundlich: »Ich hätte mir denken können, Gu, dass du keine Ahnung hast.«

Sie verzog ihr gelbhäutiges Gesicht in einer Weise, die Firmian Oreche Angst machte, sie könnte den Verstand verlieren.

Allerdings hatte er keine Wahl, als auf Geydana Gu zu bauen. Chyndor war ein Friedensfahrer mit einer moralischen Mission; und sie waren gar nichts gegen ihn. Wenn Chyndor sagte, er brauche Informationen, war das auch so.

»Hör zu, Gu: Du wirst alles über die Hyperimpedanz erfahren, was dich interessiert. Aber nicht von mir.«

»Sondern?«

»Im Rahmen deiner ersten Mission. Die Recherchen im Vorfeld legen nahe, dass ein Individuum mit Namen ›Kantiran‹ die Zukunft in einem erheblichen Maß mitbestimmen wird.«

»Kantiran.« Geydana Gu verzog missbilligend das Gesicht. »Das hat keinen Klang. Hat keinen Stil, das sagt mir gar nichts. Eigentlich interessiert's mich nicht einmal. Wer ist das?«

Firmian Oreche feixte, als er den glimmenden Funken in Gus riesengroßen Augen sah. Er hatte sie.

»Ich sage ja: eine wichtige Persönlichkeit, auch wenn das momentan noch keiner wissen kann. Du, Geydana Gu, wirst dich ab sofort in deine telepathische Trance begeben und Kantiran observieren. Ich garantiere, deine Protokolle werden Bit für Bit dem Friedensfahrer Chyndor zugeleitet. Als Tätigkeitsnachweis.«

Gu und Phasode waren nicht aus freien Stücken hier, sondern durch eine Art von Zwang oder Handel. Vielleicht waren sie beide Verbrecher. Wahrscheinlich sogar. Wenn sie aber ihre Arbeit taten, sollte Chyndor es erfahren, das war wichtig.

»Wie stehen eigentlich unsere Aussichten, das Ganze hier zu überleben?«

Oreche richtete seinen Blick auf Phasode, den Geist, den Spektral-Abdruck.

»Nicht sonderlich gut«, räumte er ein. »Erstens wird die Hyperimpedanz steigen, und Chyndor glaubt, dass im Zuge dessen eine Katastrophe passiert. Welche das ist, weiß ich nicht. Wir protokollieren sie jedoch, wenn wir so lange durchhalten. Zweitens erwartet Chyndor, dass die Chaosmächte rings um Hangay tätig werden. Das könnte auch uns betreffen.«

»Du meinst, sie jagen uns?«, fragte Gu.

»Wenn sie uns finden«, schränkte Oreche ein.

»Natürlich finden sie uns.«

Firmian Oreche holte tief Atem. Was sollte er darauf sagen?

Er straffte sich und widmete seinen Gefährten einen strengen Blick – statt noch mehr zu reden. »Geydana Gu, mach dich bereit. Ich erwarte in Bezug auf Kantiran den ersten Bericht.«

Oreche führte die Zwergin in die Heck-Sektion der OREON-Kapsel, in die Kammer des Schlafs, die bis zum letzten Polster auf Geydana Gu und ihre Bedürfnisse optimiert war.

Gu legte sich nieder, warf Oreche einen letzten anklagenden Blick zu – und verdrehte die Augen.

Der Körper lag still. Oreche begriff, dass ihr Geist den Leib verlassen hatte, in Sachen Kantiran.

Er selbst blickte auf das Hologramm der Milchstraße. Seine Aufgabe lag darin, Gus Arbeit maschinell zu unterstützen. Eine Kleinigkeit, wenn man die Möglichkeiten einer OREON-Kapsel zur Verfügung hatte. Firmian Oreche ließ Gu in ihrer Kammer liegen und wandte sich Richtung Zentrale.

»Und was tue ich?«

»Du?« Oreche schrak auf, als der spektrale Abdruck neben ihm sichtbar wurde, mitten im grünen Korridor. »Du übst dich in Geduld. Deine Stunde kommt noch.«

2.

Spätsommer 1322 NGZ

Planet Creiff

 

»Wie viele Sterne gibt's eigentlich?«

Mein Pflegevater neigte den haarlosen Kopf; Weigel mochte neugierige Jungs. »Unendlich viele, Kantiran!«

»Mehr als zehntausend?«

»Viel mehr. Man kann am Himmel aber nur ein paar tausend sehen, wegen der Atmosphäre.«

Ich versuchte, mir eine grenzenlose Zahl vorzustellen, nickte und gaffte trotzdem ratlos zu den Sternen hoch.

»Arkon und sein Reich«, schwärmte Weigel, das furchige Gesicht zum Himmel gekehrt. »Das ist alles unsere Heimat. Das Kristallimperium, Millionen Raumschiffe, Milliarden Raumfahrer. Ach, was sag ich, Junge ...« Er legte mir eine Hand schwer auf die Schulter. »Du sollst mal alle Chancen haben. Eines Tages verlässt du den ganzen Mist hier und lernst die Schulen des Imperators kennen.«

»Ich geh nirgendwo hin! Bestimmt nicht nach Arkon.«

Creiff war kein »ganzer Mist«, sondern mein Universum. Die Urwälder und die Farm, meine Freunde und die Schule in der Stadt.

»Junger Mann«, sagte Weigel streng, »du bist ein Arkonide. Wenn das Imperium ruft, wirst du dem Ruf Folge leisten.«

Ich duckte mich. Weil ich wusste, was gleich kommen würde. »Ich bin kein Arkonide. Ich bin ein Bastard.«

Weigel zuckte mit der Hand. »Ein was? Woher hast du das Wort?«

»Aus der Schule. Weil ich halb Arkonide, halb Terraner bin.«

»Terranisches Blut ist kein Makel«, belehrte er mich aufgebracht. »Denk dran, es kommt auf die Treue zum Imperium und zum Imperator an. Du bist ... Ach, ich will das Wort nie wieder hören!«

»Ja, Weigel.«

Ich zählte noch mal die Sterne. Ihr Glitzern tauchte den Hügel, der hinter unserem Farmhaus stand, in ein ungewisses, frühabendliches Zwielicht. Bei hundert verlor ich den Faden.

Aus dem Lichtergleißen löste sich ein Fleck, der mit unglaublichem Tempo über den Himmel düste.

»Sieh mal, Kantiran! Ein Komet.«

»Terraner dürfen sich dann was wünschen.«

»Was hast du mit deinen Terranern immer?«

»Wir behandeln das derzeit in der Schule.«

Ich streckte eine Hand aus und griff spielerisch nach dem Sternenlicht. Es rutschte mir zwischen den Fingern durch. »Sind meine Eltern auch da oben?«

»Klar.«

»Arachya sagt, ich bin schon zu groß, um daran zu glauben.«

»Du bist neun Jahre alt. Was du glaubst oder nicht, schreibt dir niemand vor. Ich sage, sie leben nicht mehr, aber sie sind immer bei uns.«

»Wenn ihr mir wenigstens sagen könntet, wer sie waren.«

»Hör endlich auf damit! Ich will nicht ständig ... Wir haben sie doch selbst kaum gekannt.«

»Warum wurde ich dann an euch gegeben?«

»Weil niemand anders da war. Und weil Arachya kein eigenes Kind bekommen konnte.«

In meinem Kopf gab es keine Erinnerung an ganz früher. Ich stellte mir meine Mutter als überirdisch schöne Erscheinung vor. Oben im Zimmer stand ein unscharfes Holo, das sie mit meinem Vater zeigte, einem Prospektor von Terra. Mehr besaß ich nicht. Und natürlich das Geld aus Versicherung und Erbe.

»Kant! Weigel!« Die Stimme meiner Pflegemutter quietschte durch die Hintertür am Schuppen. »Was treibt ihr da draußen? Der Junge braucht seinen Schlaf!«

Mit Arachya war nicht zu spaßen. »Kantiran! Um sieben kommt der Gleiterbus zur Schule! Und bring mir meinen nutzlosen Ehemann mit.«

»Oh-oh!« Weigel fasste meine Hand und grinste wie ein Verschwörer. »Junge, jetzt wird's ernst!«

Arachya trug kaum Kleidung, als ich in mein Zimmer hochging. Sie war sehr dick.

Aus dem Bett wühlte ich mich durch die Holo-Clips vom Unterricht: Filme über Imperator Bostich und Perry Rhodan, die mächtigsten Männer der Galaxis. Durch mein geöffnetes Fenster drang der Duft von den Feldern. Der Sommer roch in der Gegend süß und schwer, in den Wochen vor der Ernte, wenn das Creiffgetreide Blüten trieb. Ich hörte Weigels Stöhnen und spitze kurze Laute von Arachya, als sie unten im Ehebett anfingen zu kämpfen, kurz bevor meine Augen zufielen und ich wieder die Sterne sah.

3.

Herbst 1325 NGZ

 

Creiff gehörte zum Agrargürtel des Kristallimperiums, als Kornlieferant für Arkons Flotte. Im Westen standen gigantische Getreidesilos. Schleppraumer bugsierten krachvolle Container Richtung Orbit, zu den Frachterflotten des Imperiums, oder senkten sie ausgeleert in Füllgerüste. Manche Chargen wurden von Springern oder freien Händlern gekauft. Ich betrachtete ihre seltsamen Raumschiffe gern aus dem Gleiterbus.

Kühl und erfahren lümmelte ich im Sitz, die Knie an die Lehne des Vordermanns gepresst; während die Neun- und Zehnjährigen sich an den Scheiben die Nasen platt drückten.

»Seht mal, Springer!« – »Die da kommen von Zalit!« – »Dahinten am Transmitter ... Sind das Blues?« – »Haha, Tellerköpfe!« – Und so weiter.

Die Schule lag weiter im Zentrum. Es war eine Schule für Hochbegabte. Talent und Fleiß waren gewöhnlich mitzubringen. Die zweite Möglichkeit bestand aus Reichtum oder Adelstitel.

»He, Bastard!«

Einer der Jungs winkte abfällig: Valizon da Taumhol aus edelstem Geblüt. Er betrachtete mich als eine Art Lieblingsfeind. Valizon war wie ich zwölf Jahre alt, strohdumm – und leider einen Kopf größer.

In mir kochte es, als ich aus dem Bus stieg und scheinbar taub, ohne ein Wort zu verlieren, an Valizon vorbei ins Gebäude eilte.

»Bastard, ich sprech mit dir!«

Nicht mein Problem.

Ich war der Einzige im Klassenraum und blieb es bis Unterrichtsbeginn. Bis Valizon mit seinem großmäuligen Auftritt die Klasse ins Zimmer führte.

Er sicherte sich den Platz direkt hinter mir. »Wieder mal der Erste?«, stichelte er.

»Halt dein Maul, Val«, erwiderte ich kühl nach hinten.

Das ganze Klassenzimmer war ein Meer aus albinotisch roten Augen und weißem Haar, eben arkonidisch. Dazwischen saß ich. Aus der terranischen Linie hatte ich das dunkle, kräftige Haar, die wasserblauen Augen. Von der arkonidischen Seite stammte die stabile Brustplatte, an Stelle terranischer Rippen. Ich hatte sogar Haare zwischen den Beinen, früher als die anderen; was insbesondere Valizon nicht wenig wurmte.

Lehrerin Teggira stürmte den Klassenraum. Mit einem strengen Blick sorgte sie für Ruhe.

»Wir sehen heute ein Holo über Terra, das gestern über die Trividsender kam. Wer hat gestern schon eingeschaltet?« Sie prüfte vergeblich die Runde. Kein gehobener Arm, auch nicht meiner. »Wir lernen eine Menge daraus, also aufgepasst! – Besonders da vorn, Valizon!«

Die Sendung begann mit dem blauen Planeten, den alle Welt als »Terra« kannte. Jener Planet, der ohne Arkoniden nie die Raumfahrt besessen hätte. Die Welt, von der mein Vater stammte.

Im Mittelpunkt der Hauptstadt hing eine majestätische, stählerne Blume in der Luft: die Solare Residenz, Regierungssitz der Terraner.

Das Holo zoomte auf eine einsame Gestalt auf einem Balkon. Ich erblickte die dunkelblonden Haare eines Terraners, eine hoch aufgerichtete Gestalt in einem blauen Raumanzug; einen ernsten, in die Ferne des Himmels gekehrten Blick.

Der Terraner war Perry Rhodan. Die Kamera folgte seiner Blickrichtung ...

... und fokussierte auf eine hantelförmige, golden schimmernde Silhouette, die sich aus dem Abendhimmel zur Stadt herabsenkte.

Von hinten kam Gewisper auf. Valizons Stimme mit unterdrücktem Kichern.

»Wer kennt dieses Raumschiff?«, fragte Teggira schneidend scharf. Das Kichern verstummte.

Ich hob den Arm. »Das ist die SOL! Ein Spezialschiff von Terra.«

Teggira bedachte mich mit einem strafenden Blick. Sie hätte lieber den reichen Valizon gehört.

»Richtig, Kantiran. Es heißt, ungenannte Schwierigkeiten haben die Rückkehr von einem Sternhaufen namens Thoregon verzögert. – Was schließen wir daraus ... Valizon?«

»Dass arkonidische Imperiumstechnik überlegen ist! Terras Schiffe sind Schrott und gestohlen. Die bleiben liegen, wenn's ernst wird.«

Lehrerin Teggira lächelte beifällig. »So ungefähr«, lobte sie ihren Liebling, dessen Vater die Schule kaufen konnte.

Traumhaft! Val sonderte Blödsinn ab, und Teggira lobte ihn.

Ein Gleiter der SOL sank über den Balkon, an Bord Expeditionsleiter Atlan und ein Pelzwesen mit einem Nagezahn: Gucky, der Mausbiber.

»Jetzt fassen sie gegenseitig ihre Hände an«, wisperte Valizon. »Die Wilden machen das.«

Valizon hatte Recht. Rhodan und Atlan schüttelten sich die Hände, vor laufenden Kameras.

Atlan war ein Arkonide. Einst war er ein berühmter Imperator gewesen. Heute betrachteten wir ihn als Verräter und Erzfeind des Imperiums. Dann brach die Reportage ab, mit Blick auf den polierten Nagezahn, der Gucky, dem Mausbiber, gehörte.

»He, Bastard!«, stichelte Valizon hinter mir. »Du bist doch selbst halb Terraner. Vielleicht machen sie über dich auch mal so 'nen Verräter-Film.«

Was er sonst sagte, rauschte an mir vorbei. Ich drehte mich um, sammelte alle Kraft für einen einzigen Schlag – und donnerte ihm die Faust auf die Nase.

Was für ein Anblick! Blut und Knochensplitter, ein völlig verdattertes Gesicht mit zerstörtem Nasenbein, bevor sie mich nach draußen zerrten.

 

*

 

Weigel tobte stundenlang, Arachya strafte mich mit kalter Verachtung.

Aber Valizon da Taumhol merkte sich, dass ich ein Gegner war. Als hätte ich eine Art Aufnahmeprüfung bestanden, als hätte er genau das gebraucht, einen Schlag auf die Nase. Er vergaß hochherzig die ganze Affäre, und er begann sich mit mir anzufreunden, als seine Nase wieder heil war.

Acht Wochen später stand er mit seinem Gleiter in den Hügeln hinter dem Farmhaus. Seine Maschine glitzerte wie Gold und Howalgonium. Hinten im Fond lümmelten zwei dreizehnjährige Freunde.

»Spring rein, Kant! Das da sind Kachod und Tam, mach schon!«

»Wohin geht's denn?«

»Kleiner Abstecher«, meinte Valizon tückisch. »Tam ist seine Plophos-Katze weggelaufen. So ein blaupelziges Vieh. Er glaubt, sie versteckt sich im Urwald.«

Dem Kerl namens Tam war anzusehen, dass ihn gar nichts kümmerte, erst recht nicht eine Katze.

»Moment mal, Val«, wehrte ich ab, »meint ihr den Isolierten Wald?«

»Kennst du noch 'nen andern?«

»Mein Pflegevater sagt, da drin gibt's Crochen.«

»Pff! Dein Pflegevater ist Farmer. Die haben vorm eigenen Schatten Angst. Wenn du dich allerdings nicht traust ...«

Meine Beine bewegten sich von allein, während der Kopf noch versuchte, Vernunft zu üben. Tams Katze war überall, bloß nicht im Urwald, das war mir klar. Ein wütender Laut, ein Satz, dann saß ich im Gleiter. Valizon gab Energie, bis die Kiste auf hundert Meter war, und düste Richtung Norden.

Tief unten zog eine Staffel Ernteautomaten konzentrische Kreise. Mittendrin in einer alten Steuereinheit saß Weigel; Valizon hielt direkt auf ihn zu.

»Lass das bleiben! Wenn er was spitzkriegt ...«

Valizon deckte schnell seine Nase ab. Er lachte und drehte bei, über die nahe Stadt und den Hafen, über den Fluss Richtung Waldgebiete.

Der Flug dauerte nicht lange. Was wir als Isolierten Wald kannten, begann dreihundert Kilometer westlich der Stadt, jenseits einer Serie von Bächen und Wasserfällen. Valizon ließ die Maschine kreisen. Neugierig starrten wir auf schildartig verschlossene, nie berührte Wipfel.

In der Mitte ragte eine Art Monolith ins Freie. Der Felsen schimmerte weiß und war zum Landen ideal.

»Val!«

»Längst gesehen! Hältst du mich für blöd?«

 

*

 

Eine Melange aus Tierlauten, bittersüßen Düften und schwülwarmer Luft fing uns ein. Es roch nicht mehr nach Farm, es roch wild. Ein schmieriger Film aus Pollen und Schweiß setzte sich aufs Gesicht; meine Achseln nässten unangenehm. Ein Wesen, das die Kraft eines Dozers besitzen musste, brach in Hörweite durch feuchtes Unterholz.

Kachod und Tam trampelten unbekümmert vom Monolithen in Richtung Baumgrenze.

»Scheikha, Scheikha!«, brüllte Tam in den Wald.

»Scheikha ist seine Katze«, informierte mich Valizon flüchtig. Er brachte einen Bund Niederfrequenz-Schockersticks zum Vorschein.

»Die dürfen nur Polizisten haben!«

»Mein Vater erhält immer welche. Er braucht sie beim Ausreiten. Vorsicht, fass nicht vorn an die Spitze.«

»Dein Vater quält Tiere mit so Zeugs?«

»Na ja ... er reitet sie.«

Mit spitzen Fingern fasste ich den Stick an.

Kachod und Tam zwängten sich durch eine Mauer aus Ästen ins Unterholz. Valizon folgte dick und polternd. Was blieb mir übrig? Ein Blick zurück zum Monolithen, einer nach vorn auf die grüne geheimnisvolle Wand. Ich bog die Äste weg und schob mich nach vorn in ein schwitziges Mikroklima, das mir den Atem nahm.

»Hier hinten wird's lichter, Kant!«

»Was ist mit Scheikha?«

»Was wohl? Wahrscheinlich ist sie längst Futter!«

Ich blickte mich besorgt um.

Valizon schlug mit dem Schockerstick nach einem Vogel, der vorüberhuschte. In einem Baumstumpf siedelte ein Schwarm Flügelkäfer. Sie trugen durch das Einflugloch Pollen in den Stumpf. Tam lachte, grub mit den Fingern im feuchten Boden und klatschte mit einem Batzen Lehm ihr Loch zu.

»Du Idiot, was soll das?«, fuhr ich ihn an.

»Was wohl?«, blaffte er zurück.

Ich suchte mir im Unterholz einen abgebrochenen Ast. Mit der Spitze kratzte ich den Lehm aus dem Loch, während die Käfer wie Funkenregen den Stock umschwirrten. Sorgfältig legte ich ihren Zugang frei.

Im selben Moment erfüllte ein fauchender, sich aufschaukelnder, allgegenwärtiger Laut den Wald. Das Geräusch schien aus einem Dutzend Richtungen zu kommen.

Dann eine Art ersticktes Wimmern, die Stimme Tams, und ein schwaches Zischen, das von Valizon stammte: »Kant!« Kaum hörbar im Fauchen des Waldes.

Ich richtete mich vorsichtig auf. Den Stock noch in der Linken, rechts den Schockerstick, bog ich die Äste beiseite.

Valizon, Kachod und Tam standen nebeneinander auf einer Lichtung. Alle drei glotzten in dieselbe Richtung.

Aus der Blätterwand glimmerten schlitzförmige rote Augen – in drei Metern Höhe! Die zugehörigen Körper offenbarten sich schattenhaft. Dunkle ungewisse Flächen hinter Blattwerk.

Für einen Moment drehte der Wind. Mit der Nase sog ich einen scharfen Geruch ein.

Dann kamen sie raus, lautlos, ohne das trippelnde Geräusch von Tatzen oder Läufen, denn sie schwebten. Es waren Crochen. Ihre Körper besaßen die Masse von Naats, ihre braun geschuppten Häute hatten die Festigkeit von Lederpanzern. Die Mäuler erinnerten an Reptilien. Die lang gestreckten Schwänze dienten als biologische Abstoßvorrichtung.

Crochen schwebten mit Hilfe eines geheimnisvollen Levitationsorgans. Ihre Fänge besaßen eine gewaltige Kraft.

Valizon brachte seinen Schockerstick in Anschlag. »Stopp!«, zischte ich ihn an. »Mach sie nicht wütend!«

»Ich hab nicht ...«, stammelte Valizon, »ich dachte ... dachte, die gibt's gar nicht!«

»Sei still!« Nach allem, was ich wusste, waren wir praktisch tot. Die glühenden Augen machten mich fertig. In meiner Nase hing ein Geruch wie Blut und Aas.

Ich fasste mir ein Herz, in einem für mich selbst unbegreiflichen Impuls, trat offen aus der Deckung – und ging den Crochen entgegen.

Mit trancehaften Bewegungen schob ich mich nach vorn. Schrittweise auf das Leittier zu, ich glaubte, ihre Aura wie eine geheimnisvolle Elektrizität zu spüren.

Etwas war falsch. Crochen waren Tiere, Killer, und der Geifer tropfte nicht zum Spaß von ihren Fängen. Es gab keine Aura.

Trotzdem reagierte ich, ich saugte die Frequenzen ein, erkannte hinter glühend roten Augen etwas, das nicht Raubtier war, sondern mich verstand.

Winzige vorsichtige Schritte. Der Herde entgegen.

»Nicht, Kant!«

Das Leittier fixierte mich endlos lange. Ich neigte vor ihm den Kopf, ordnete mich unter – und vernahm erleichtert das dunkle enttäuschte Knurren, mit dem es mir das Leben schenkte.

Die Crochen schwebten zurück in den Wald. Nur ein sehr junges Exemplar blieb da. Der Kleine war so groß wie ich.

Aus seinem Rachen drang ein weiches leises Geräusch, das klang wie ein gedämpftes Torm. Ein guter Name, dachte ich plötzlich ... Torm.

Noch mal der tiefe dumpfe Knurrlaut, den ich diesmal als Befehl identifizierte, und Torm schwebte lautlos rückwärts. Hinter ihm schloss sich die Wand der Blätter.

Ich atmete auf und lachte erleichtert. Mit dem Handrücken wischte ich mir die Wangen trocken.

Drei rote tränende Augenpaare starrten mich an wie einen Sternengott. Die drei Jungs weinten nicht, denn die Tränen waren eine Eigenheit der Arkoniden. Starke Erregung stimulierte unsere Tränendrüsen; selbst bei mir als Mischling.

»Wie hast du das gemacht, Kantiran?«, fragte Valizon entgeistert.

»Was denn?«

»Hast du mit den Viechern geredet oder was?«

»Ach was, wie kommt ihr ...?« Ich verstummte plötzlich. Valizon war ohne Zweifel ein Idiot, aber er hatte Recht. Wie hatte ich das gemacht?

Kachod verkündete: »Den nehmen wir nie wieder mit!«