cover.jpg

img1.jpg

 

Nr. 1572

 

Der Menschenzoo

 

Rückkehr nach History – sie erleben den Holocaust

 

Horst Hoffmann

 

img2.jpg

 

Den ehemaligen Zellaktivatorträgern läuft die Zeit davon. Jedenfalls wissen sie im April 1173 NGZ längst, dass die ihnen von ES zugestandene Lebensspanne drastisch verkürzt wurde. Schuld daran ist offenbar der gestörte Zeitsinn der Superintelligenz, die, wie man inzwischen weiß, einen schweren Schock davongetragen hat.

Sowohl den Planeten Wanderer als auch den Zugang zu ES zu finden und der Superintelligenz zu helfen, darum bemühen sich Perry Rhodan und seine Gefährten seit langem. Denn nur wenn sie erfolgreich sind, können sie hoffen, ihre Leben erhaltenden Geräte, die inzwischen den Besitzer gewechselt haben, zurückzuerhalten.

Schauplatz der gegenwärtigen Bemühungen unserer Protagonisten ist die Nachbargalaxis Andromeda, die ebenfalls zur Mächtigkeitsballung der Superintelligenz gehört. ES hat dort Spuren hinterlassen und Zeichen gesetzt. Die »Zeitschau« mit den Paddlern war darüber hinaus ein klares Indiz für eine verschlüsselte Botschaft an die ES-Sucher.

Ein weiterer Hinweis findet sich auf dem Planeten History. Der Planet ist von früher her bekannt als DER MENSCHENZOO ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Er kehrt ins Jahr 2404 zurück.

Atlan – Rhodans Wegbegleiter nach History.

Gucky – Der Ilt hat viel zu tun.

Kalago – Ein Tefroder, der die Unsterblichkeit sucht.

Alavan – Ein Mann aus Kalifornien.

Lodi Hubba – Tamrätin des Sulvy-Systems.

1.

Alavan

 

Diesmal ging er dem Monk in die Falle.

Er spürte den Schlag gar nicht. Er hörte das Rascheln der Zweige in seinem Rücken, die ihm eigentlich hätten Deckung geben sollen. Er hatte den Monk auf dem schmalen Trampelpfad erwartet, der schräg den Hang hinauflief. Der Stein, hinter dem Alavan mit seiner Schleuder hockte, lag fünf Meter höher.

Der Monk musste ihn gerochen haben. Etwas Schweres sauste auf Alavans Schädel herab. Er sah nicht einmal Funken, als er zu Boden sank.

Als er aufwachte, war er schon gefesselt. Er befand sich im düsteren Talkessel des Monks, der fast uneinnehmbarer war als jede der Festungen hinter den Bergen, von der uralten Ritterburg bis zur Zitadelle des Kanonenzeitalters. Der Kessel war wie in das Hochplateau hineingefräst, fast kreisrund mit einem Durchmesser von knapp einhundert und einer Tiefe von fünfzig Metern.

Alavan lag auf dem feuchtmodrigen Grund. Das heißt, vielmehr saß er halb, mit Schultern und Armen an einen der kräftigen Stämme gebunden, die mit ihren knorrigen Wurzeln in den schmalsten Felsspalten noch ihren Halt fanden. Der Nacken schmerzte höllisch, das Kinn drückte hart auf das Brustbein. Alavan musste sich anstrengen, die Augen nach oben zu drehen, was zusätzliche Schmerzen verursachte.

Der Boden des Kessels war mit Gestrüpp, Farnen und dickem braunem Moos bewachsen. Wenn es in dieser Gegend einmal regnete, was ziemlich selten geschah, lief der Talkessel meterhoch voll, bis die Wassermassen langsam versickerten und den Pflanzen für Jahre die lebensnotwendige Feuchtigkeit lieferten. An die Insekten, die ihn umschwirrten, hatte Alavan keine gute Erinnerung.

Wie an das ganze verdammte Treibhaus hier.

Die Wipfel der Bäume, die nur am Kesselrand standen, waren dicht und reichten hoch über die Öffnung hinaus. Mit ihrem Blätterdach verschlossen sie den Felskessel und verbargen alles, was sich darin befand. Unter ihnen herrschte nur das trübe Dämmerlicht. Die Wipfel sorgten gleichzeitig für das Treibhausklima.

Der einzige Weg hierher bestand in einem von außen schräg in den Kessel hinabführenden Höhlengang am Rand des Plateaus, das sich am Südhang eines Gebirges aus dem spärlich bewachsenen Gelände schob.

Der Mann mit den hellblonden, lang über die eher schmächtigen Schultern fallenden Haaren und dem brustlangen Bart, mit den wasserblauen Augen und dem schmallippigen Mund atmete tief, bis sich die Schleier vor seinem Geist gehoben und die Augen an das Licht gewöhnt hatten. Alavan trug nichts weiter an seinem Leib als ein halb zerrissenes Wollhemd, eine über den Knien abgeschnittene Leinenhose, Schuhe aus Fell und ein Stirnband. Er wusste, wo er war.

Er wusste, was geschehen war. Und er wusste, dass dies der Tag sein konnte.

Der Monk hatte ihn erwischt.

Es war das zweite Mal überhaupt, dass die Kreatur das fertig gebracht und ihn in den Kessel verschleppt hatte. Beim ersten Mal hatte sich Alavan im wirklich allerletzten Augenblick retten können, bevor ihm der Monk seinen Speer in die Brust bohrte.

Von daher kannte er den Talkessel und den Gang, durch den er entkommen war. Das konnte heute sein Vorteil sein. Wenn er es wieder schaffte, die Fesseln rechtzeitig zu lösen, dann wusste er genau, wohin er musste.

Er bewegte die Arme und zog vorsichtig an den Lianensträngen. Der Monk hatte anscheinend gelernt. Da war kein Nachgeben. Plötzlich begann Alavan zu schwitzen. Das tat sein Körper in der herrschenden Schwüle zwar ohnehin schon, aber jetzt schoss die salzige Flüssigkeit förmlich aus allen Poren.

Alavan zwang sich zum ruhigeren Atmen. Die Fesseln waren so fest, dass er sich wie mit dem Baum verwachsen vorkam.

Seine vor Schmerzen tränenden Augen starten auf das dunkel Oval der Höhle am gegenüberliegenden Grund des Kessels, in den jetzt die ersten Strahlen der Sonne durch die wenigen Lücken des Blätterdachs hineinstachen.

Wann kam der Monk? Warum ließ er so lange auf sich warten?

Dies konnte der Tag sein. Alavans Träume sagten ihm schon lange, dass der Tag nahe war. Die Träume und die kosmischen Stimmen, die seine Stunden der Meditation erfüllten und ihre Botschaft in jede Zelle des sterblichen Körpers trugen.

Des sterblichen Körpers?

Alavan lachte nicht, als ihm seine Situation klar wurde; als er plötzlich wieder heftig an seinen Fesseln zu zerren begann und vor Schmerzen im Nacken fast schrie; als er den Höhleneingang anstarrte und sich plötzlich wünschte, an jedem anderen Ort des Universums zu sein, nur nicht hier.

Oft hatte er sich gewünscht zu sterben. Endlich sterben zu können.

Und immer wenn es darauf ankam, war es so gewesen wie jetzt.

Als er den Tod wirklich auf sich zukommen sah, vergaß er alle kosmischen Eingebungen und Schwingungen und hörte andere Stimmen.

Sie schrien nach Leben.

Alavan schrie auch, und zwar laut, als er den Monk aus seiner Höhle kommen und den Talkessel betreten sah.

Die Kreatur hatte sich ihren seltsamen Federschmuck aufgesetzt, was so gar nicht zum nackten, zottig behaarten Körper des anderthalb Meter großen Wesens passte. Und in der rechten Klauenhand hielt sie den Speer.

Nein!, schrie es in Alavan.

Er brüllte es laut hinaus, dem mit stampfenden und wie in einem lächerlichen Zeremoniell tanzenden Schritten langsam näher kommenden Monk entgegen.

»Nein! Hörst du nicht? Warte! Monk, warte! Lass uns reden! Ich weiß, du verstehst mich! Ich ...«

Der Tag ...

Er hatte die Vision gehabt.

Nur war es nicht so gewesen. Er hatte sich vorbereiten wollen. Er hatte sich einen anderen Abschied von diesem Leben vorgestellt – von dieser gottverdammten Ewigkeit. Der Monk war kurz stehen geblieben.

Jetzt kam er wieder heran, den Kopf mit dem lächerlichen Schmuck wie in Neugier geneigt und den Arm mit dem Speer erhoben.

Die Federn stammten von einem indianischen Krieger. Kiowa, wusste Alavan. Er hatte über die nordamerikanischen Rothäute eine Arbeit geschrieben.

Der Krieger aus der Prärie hatte den Krieger aus der Höhle zu seinem Pech unterschätzt. Er hatte sich schon seinen Skalp genommen, als der Monk aufstand und ihn von hinten erschlug. Seitdem hatte er seinen Namen, von keinem anderen als Alavan selbst. Monk, der Mönch mit der kahlen Stelle oben auf dem hässlichen Schädel.

»Wir sind doch Freunde!«, hörte er seine Stimme. Sie klang heiser und schrill. »Hörst du, Monk? Wie oft haben wir das Spiel schon gespielt? Ich habe immer gewonnen! Ich habe dich wieder laufen lassen, weil ich ... weil wir doch ...«

Der Monk hielt noch einmal an, nur noch zehn Meter vor dem Gefesselten. Trotz des roten Dämmerlichts sah Alavan seine Augen – und die tiefe, nicht zu beschreibende Traurigkeit darin.

Alavan drehte den Kopf und begann leise zu schluchzen. Sein Körper bebte und zuckte.

Für ihn war das immer ein Spiel gewesen. Überlegene Intelligenz gegen Urinstinkte und rohe, brutale Kraft. Für den Monk war es das nicht.

Er tötete und fraß seine Opfer. Er hatte es nie anders gekannt.

Mach wenigstens schnell!, flehte Alavan stumm.

2.

17. April 1173 NGZ,

Halpora-System

 

Andromeda.

Seit fast zwei Wochen operierte die ATLANTIS jetzt schon in der großen Nachbargalaxis. Dennoch kam es immer wieder vor, dass Atlan beim Blick auf die Sternkonstellationen dort draußen von Gefühlen und Erinnerungen eingeholt wurde, die in einem zu logischem und zweckbestimmtem Denken geschulten Gehirn nichts zu suchen haben sollten.

Du wärst ein armer Tor!, vernahm er die Einflüsterung seines Extrasinns, als er sich wieder bei einer solchen Anwandlung ertappte und sie als lächerlich abzutun versuchte. In M 31 hast du Dinge bewegt und wurdest selbst bewegt – muss ich wirklich deutlicher werden? Was seinerzeit in Andromeda geschehen ist, hat dich und dein Leben geprägt. Lange nicht so stark wie die Jahrtausende auf Terra und die Zeit hinter den Materiequellen, an die du zum Glück keine Erinnerung hast. Aber Andromeda und die Meister der Insel waren eine Station deines Lebens, und eine der wichtigsten.

»Und können es wieder sein ...«, murmelte Atlan.

Die Meister der Insel nicht, das ist lächerlich!

»Ich weiß ...«

Jemand räusperte sich.

Atlan sah auf und blickte in das ernste Gesicht Perry Rhodans. Er bildete sich ein, es wäre noch hagerer geworden, seitdem der Freund aus Truillau zurückgekehrt war – allein.

Ohne Gesil, die wohl längst nicht mehr seine Frau gewesen war, und ohne Eirene, längst nicht mehr seine Tochter. Beide waren Taurec in den menschlichen Sinnen nicht zugänglichen Raum hinter den Materiequellen gefolgt. Der Extrasinn hatte Recht. Atlan, als »Botschafter« rund zweihundert Jahre dort, besaß keine Erinnerung, nicht einmal einen Eindruck an jene Bereiche des Multiversums – falls sich der Lebensraum der Kosmokraten diesem Begriff überhaupt zuordnen ließ.

Gesil, als Inkarnation der Kosmokratin Vishna ins Universum der Menschen gekommen, und Idinyphe oder Eirene sollten als »Kosmokratensubstanz« jenem Verstoßenen wieder Zutritt zu seinesgleichen verschaffen, der für das Dilemma verantwortlich war. Für die verzweifelte Lage, in der sich nun alle befanden, denen ES einst die Unsterblichkeit gegeben hatte.

Taurec hatte es nicht gewollt. Doch nach Rhodans Rückkehr aus Truillau stand nun fest, dass sein Versuch, ES zur Materiequelle zu machen und sich dadurch bei den Kosmokraten zu rehabilitieren, für den derzeitigen Zustand der Superintelligenz verantwortlich war. Zusammen mit dem nicht voraussehbaren DORIFER-Schock, als das letzte Viertel der neuen Galaxis Hangay in der Lokalen Gruppe materialisierte, hatten seine Bemühungen bei ES etwas bewirkt, über das Taurec selbst keine konkrete Vorstellung hatte.

Neben dem persönlichen Verlust zweier geliebter Menschen hatte Perry Rhodan aus Truillau also eine weitere Enttäuschung mitgebracht. Er hatte eine Geschichte gehört und wusste nun, wer der Täter war.

Jedoch nichts Neues über das Opfer. Und genau deshalb waren sie nun wieder hier, zweitausenddreihundertundfünfundfünfzig Jahre, nachdem sie die Macht der Meister der Insel gebrochen hatten.

Sie mussten die Kunstwelt Wanderer und ES finden, um der Superintelligenz vielleicht helfen und sich rehabilitieren zu können.

Was immer mit ES geschehen war, kaum ein anderer litt so sehr wie Atlan darunter, dass die zurückverlangten Zellaktivatoren ausgerechnet den linguidischen Friedensstiftern verliehen worden waren.

Das hatte weniger mit der Lebensspanne zu tun, die dem Arkoniden und den anderen ehemaligen Aktivatorträgern noch blieb, als vielmehr in seinem Fall mit dem Misstrauen und der Ablehnung den galaktischen Emporkömmlingen gegenüber.

Immerhin, die neuen Günstlinge von ES begannen schon tüchtig damit, ihren eigenen Mythos zu zerstören. Sie wollten nichts mehr von der pseudo-anarchistischen Form des Zusammenlebens ohne Zwänge und Gesetze wissen, auf die ihr Volk bisher so stolz gewesen war.

Sie propagierten plötzlich Gesetz und Ordnung, und es gehörte nicht viel dazu, die Absicht dahinter zu erkennen.

Die vierzehn Friedensstifter mit den Zellaktivatoren griffen nach der Macht.

»Unsere beiden Aktivatoren sind nicht in ihrem Besitz«, sagte Rhodan, dem die Miene des Arkoniden alles über seine Gedanken verriet.

Atlan schüttelte die Grübeleien endgültig von sich ab und stand auf. Er hatte sich in eine Ecke des Zentralehauptdecks zurückgezogen, um für eine Weile ungestört zu sein und doch den bevorstehenden Einflug ins Halpora-System unmittelbar mitverfolgen zu können.

Theta von Ariga, ein Muster an neuem arkonidischem Selbstbewusstsein und Tatendurst, gab auf seinen fragenden Blick hin ein Zeichen von der Kommandobrücke, wo sie an den Hochrangkontrollen des Fünfhundert-Meter-Schlachtkreuzers der Außenbord-Trägerklasse saß. Ihre Handbewegung sollte besagen: Es ist noch Zeit bis zum Zielanflug.

»Wir müssen reden«, sagte Rhodan. »In Ruhe. Deine famose stellvertretende Kommandantin scheint ein ganz besonderes Gespür für Situationen zu haben. Man könnte dich um sie beneiden.«

Atlan runzelte fragend die Stirn, und für einen Augenblick sahen sich die beiden Weggefährten so an wie in besseren, unbeschwerten Zeiten, in denen sie gemeinsam gelacht und gekämpft hatten.

»Ich weiß zwar fast nicht, wie das von dir gemeint ist, alter terranischer Barbarenhäuptling. Aber man kann, und man darf.«

»Und wie ist das nun wieder gemeint, hochadliger Beuteterraner?«, fragte Rhodan mit einem langen Blick auf die junge Arkonidin mit dem modisch-kurzen Silberhaar und den grünen Katzenaugen, ganz und gar untypisch für Angehörige ihres Volkes.

Vielleicht glitt Rhodans Blick einen Moment länger als beabsichtigt über Thetas Figur, die einem Mann durchaus Blutdruckprobleme bescheren konnte. Jedenfalls stellte sich Kassian, Erbe der gewaltigen Orbanaschol-Werften und Mitkonstrukteur der ATLANTIS, beschützend vor die Arkonidin und hob mahnend den Zeigefinger.

Perry verstand die Absicht und nickte hinüber. »Auch um ihn bist du zu beneiden, Atlan.«

Atlan winkte ab.

»Du tust gerade so, als hättet ihr Terraner Probleme mit qualifiziertem Nachwuchs. Denke nicht zu deutlich an tüchtige junge Arkoniden, Perry. Jemand anders denkt mit, wenn du nicht aufpasst.«

»Ich denke überhaupt nicht daran, bei euch mitzudenken, Euer hochwohlgeborene Imperiale Exzellenz!«, kam da Guckys Stimme wie aus dem Nichts. »Auch wenn du gerade an mich gedacht hast! Ich denke, ich habe Wichtigeres zu tun, nämlich ...«

»Viermal in einem Atemzug gedacht«, unterbrach ihn der Arkonide, »das ist schlechter Sprachstil. Also was machst du, wenn du nicht spionierst und das Interkomnetz der ATLANTIS blockierst, Rübenfresser?«

»Rüben ...!«

Guckys erzürntes Gesicht erschien auf fast allen gerade freien Bildschirmen. Der Ilt drohte mit einer Faust.

»Über solche Geschmacklosigkeiten gehe ich hinweg, König Silberhaar. Und damit deine Neugier befriedigt wird, sagte ich dir, dass ich nachdenke.«

»Schon wieder denkt er! Kann er das, Perry?«

Rhodan drehte grinsend das Gesicht zur Seite und zuckte die Schultern.

»Jawohl!«, schrillte Gucky. »Wenn ein Ilt spürt, dass es langsam auf seine letzten Tage zugeht, dann sucht er nicht länger das Vergnügen im Abenteuer, sondern die Weisheit in der Meditation. Deshalb denk ..., äh, philosophiere ich hier in der Abgeschiedenheit meiner Kabine.«