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Schreiben ist nichts für Feiglinge

Hans Peter Roentgen

 

 

 

 

 

Copyright © 2012 Sieben Verlag, 64354 Reinheim

 

Umschlaggestaltung: © Andrea Gunschera

Fotos ©: Shutterstock

Korrektorat: Susanne Strecker, www.schreibstilratgeber.com

 

ISBN (Taschenbuch): 9783864431197

ISBN (E-Book PDF): 9783864431203

ISBN (E-Book ePub): 9783864431210

 

www.sieben-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort

Wie finde ich einen Verlag?

Wie bekannte Autoren es geschafft haben

Die typischen Leiden des jungen Schriftstellers

Wie kann ich verhindern, dass mein Roman geklaut wird?

Ein Werk wird verachtet – der erste Roman findet keine Aufnahme

Sie brauchen einen Cognac – der Irrweg des Druckkostenzuschusses

Ich kann’s nicht – wenn die Selbstkritik erwacht

Die Kreisklasse fehlt

Schreibwerkstätten

Vitamin B – wo es hilft und wo nicht

Deutschland – das Land der Literaturpreise

Dann geht die Sonne auf

Absagen und was sie bedeuten

Wie Verlage an Manuskripte kommen

Unverlangte Manuskripte

Wettbewerbe und Preise

Empfehlungen der Kollegen

Ein Schuss – und nie wieder?

Internet und Selbstverlag

Was man an Verlage schicken soll

Literaturagenten

Was Verlage wirklich tun – von Lektoraten, Vertreterkonferenzen bis zu Remittenden

Die Lektoratskonferenz

Hausautoren

Themenplanung

Das Lektorat

Titel, Cover und Klappentext

Titelschutz

Verlagsprogramm

Die Vertreterkonferenz

Der Vorverkauf

Die Vorabwerbung

Online ist ganz anders

Libri und Zwischenbuchhandel

E-Books

Der Postbuchblues

Nicht so gut, die Umsätze

Rezensionen – Feuilleton, Internet, Foren, Amazon

Amazonrezensionen

Das Feuilleton

Buchforen

Der Autor als Ich-Marke

Hardcover, Taschenbuch und Premium

Lizenzen und Optionen

Nach dem ersten Buch

Wie sich Bücher verkaufen – vom Buchhandel, Amazon bis zum E-Book

Buchhandelsketten

Unabhängige Buchhandlungen

Online ist Trumpf

Amazon Verkaufsränge

Bestsellerlisten

Herzblut oder Handwerk?

Rund um den Buchmarkt

Wie man keinen Verlag findet – weitverbreitete Vorurteile

Bestseller sind Schund

Die Verlage drucken nur billigen amerikanischen Schrott

Qualität ist nichts für den Massenmarkt

Ich folge keinen Regeln, ich bin Literat

Ich schreibe, was der Markt will

Den Regeln folgen

Wie Gerüchte entstehen

Die verkannten Bestseller – endlose Ablehnungen

Copyright, Raubkopierer und die Autorenängste

Raubkopien und geistiges Eigentum

Downloads und Tauschbörsen

Das liebe Geld

Vorschuss

Honorare und wie sie gezahlt werden

Die Künstlersozialkasse

Interviews

Ina Fuchshuber, Neobooks

Andrea Kammann, Büchereulen Forum

Silke Porath, 42er Autoren

Anne Rudolph, Bastei-Lübbe

Natalja Schmidt (Literaturagentur Schmidt und Abrahams)

Andreas Wilhelm, Montségur Autorenforum

Bettina Wörgötter, Zsolnay/Deuticke Verlag

Nachwort

Lexikon der Fachbegriffe

Liste der zitierten Autorinnen und Autoren

Danksagung

Literaturverzeichnis

Links: Zeitschriften und Newsletter

Links: Foren und Autoren

Über den Autor

Index

Vorwort

 

 

 

2010 war ein bemerkenswertes Jahr. Vor allem, was Veröffentlichungen angeht. Gleich mehrere Autorenfreunde konnten sich über ihr erstes gedrucktes Buch freuen. Ursula Poznanzki landete mit »Erebos« einen Bestseller, der zahlreiche Preise gewann. Wulf Dorn punktete mit zwei Thrillern.

 

Verlage veröffentlichen keine deutschen Autoren, sondern nur billige amerikanische Bücher?

 

Außer Ursula und Wulf kann ich eine ganze Menge weiterer Autoren nennen, die ich irgendwann vor zehn, fünfzehn Jahren kennengelernt hatte und die im Laufe der letzten Jahre veröffentlicht worden sind.

 

Aber keiner dieser Autorinnen und Autoren fiel der Erfolg in den Schoß. Alle haben sie hart daran geschrieben. Und es gibt einige Gemeinsamkeiten.

Diese Erfolgsgeschichten öffnen vielleicht manchen Nachwuchsautoren die Augen, wie der Durchbruch auf dem Buchmarkt erzielt wird.

Es ist kein Ratgeber »Wie werde ich reich und berühmt in dreißig Tagen« und auch kein »Wie finde ich garantiert einen Verlag«. Stattdessen erfahren Sie, wie anstrengend der Weg sein kann – aber auch, dass er nicht unmöglich ist. Und Sie werden viel über Verlage, Agenten und das Schreiben erfahren, das neu für Sie sein dürfte. Wie tickt dieser Markt, über den so gern Erfolgsgeschichten verbreitet werden? Von der Hartz IV Empfängerin zu der gefeierten Bestsellerautorin mit Milliardengewinnen? Die meisten dieser Geschichten sind weit weniger spektakulär.

Aber sie stammen aus meinen Interviews, meinen Diskussionen mit zahlreichen veröffentlichten Autorinnen und Autoren. Ich hoffe, dass sie Ihnen einen Eindruck vermitteln, wie der Buchmarkt tickt.

Und ja, ich weiß, Sie würden den Buchmarkt lieber von einem bekannten Bestsellerautor erklärt bekommen. Oder von dem Cheflektor eines großen Verlags. Leider tut der Bestsellerautor gerade das, was er am besten kann: Er schreibt einen neuen Bestseller. Und der Cheflektor plagt sich mit der Unzahl der neuen Manuskripte ab, die dem Verlag täglich ins Haus flattern.

Sie müssen also mit mir vorliebnehmen. Ich werde mein Bestes geben, versprochen!

 

In den Fuß- bzw. Endnoten finden sich zahlreiche Links. Damit Sie die oft langen Links nicht abtippen müssen, gibt es eine Internetseite, die diese Links so aufbereitet hat, dass Sie sie nur noch anklicken müssen.

 

http://www.textkraft.de/fussnotenlinks.html

Wie finde ich einen Verlag?

 

 

 

Wir wissen alles über Schriftsteller. Wann sie ihr erstes Buch verkauft haben, wie sie sich fühlten, was sie alles über die Gegenwart, die Zukunft und die Politik zu sagen haben. Sogar, was sie über Fußball wissen und sagen, bleibt dem interessierten Leser nicht unbekannt.

Wer ein Buch veröffentlicht hat, ist Schriftsteller(in), Autor(in), eine wichtige Person. Aber wie sind sie dahin gekommen, alle die, die heute so gern zitiert werden?

Wie man Fußballer wird, weiß jedes Kind. Der Fußballjunge meldet sich in einem Verein an und dort erhält er Pflege und Unterricht, wird mit Übungen und Spielen gefüttert, spielt irgendwann in der Kreisklasse und später vielleicht auch in höheren Klassen. Wenn er genügend Tore schießt – oder verhindert – wird er, wenn er Glück hat, von einem Bundesligaverein engagiert. Der Werdegang des Fußballnachwuchses ist bekannt.

Dito sieht es mit der Musik aus. Der Musiknachwuchs wird über Jahre hinweg mit Musikstunden gefüttert, mit Noten gepflegt und in Konzerten darf er Eltern, Nachbarn und Mitschülern seine ersten Flugkünste beweisen. Dass der erste Plattenvertrag nicht sofort erfolgt, weiß jeder.

Auch in manchen anderen Künsten, sei es Eislauf oder Reiten, wissen wir, wie der Nachwuchs ausgebrütet wird, bis eines Tages das Licht der Öffentlichkeit auf ihn fällt.

 

Doch wie wächst ein junger Schriftsteller auf?

 

Wenn man Zeitungen glauben darf, setzt sich der talentierte Nachwuchs hin, schreibt ein Buch und das wird veröffentlicht. Weil er so talentiert ist. Logischerweise ist, wer nicht veröffentlicht wird, talentlos und ein Stümper. Ein Möchtegernschriftsteller, über den gelacht werden darf, ja muss.

 

Ich habe jetzt über zwei Jahrzehnte in Schreibgruppen, Seminaren, Foren verbracht. Anfänglich waren wir alle dort unveröffentlicht, gierten nach dem Verlagsvertrag, denn nur der hätte uns den Ritterschlag verliehen, uns die Erlaubnis gegeben, uns mit Fug und Recht „Schriftsteller“ zu nennen, und uns Talent in Form eines Vertrages bescheinigt.

Doch keiner von uns schien zum „richtigen“ Schriftsteller befähigt zu sein. Jedenfalls gelang es keinem, einen Verlag zu überzeugen. Obwohl wir es redlich versuchten.

Es war zum Verzweifeln. Offenbar saßen in den Verlagen nur Leute, die keinerlei Interesse an neuen Autoren hatten.

 

Wie finde ich einen Verlag für mein Buch, ist die wichtigste Frage der meisten Nachwuchsautorinnen und -autoren.

 

Unzählige Ratschläge gibt es dazu im Internet, Bücher, die den Weg aufzeigen wollen und zahlreiche Leute, die behaupten, dass Verlage Nachwuchsautoren keine Chance geben.

 

Keiner der Ratschläge verhalf uns zu einem Verlagsvertrag.

 

Ich möchte einen anderen Weg gehen. Statt eine todsichere Methode vorzustellen, wie man einen Verlag findet, möchte ich zeigen, wie verschiedene Autoren einen Verlag gefunden haben. Denn im Laufe der Jahre änderte sich etwas unter uns Nachwuchsautoren. Der eine oder andere gewann Preise. Später gab es Verlagsverträge. Erst einige wenige. Dann wurden immer mehr Autorinnen, die ich in Seminaren und Foren kennengelernt hatte, durch Verlagsverträge geadelt.

 

Und schließlich haben einige sogar große Erfolge eingefahren.

 

Wie Sie leicht feststellen können, habe auch ich mittlerweile einige Bücher veröffentlicht.

Woran liegt das? Sind wir alle über Nacht plötzlich mit dem nötigen Talent beschenkt worden? Das wir früher nicht hatten, weshalb es nur recht und billig war, dass wir nicht veröffentlicht wurden?

Oder interessierten sich die Verlage jetzt doch für Nachwuchstalente?

Ich habe viele ehemalige und heutige Kolleginnen und Kollegen befragt.

Danach, was eigentlich in diesem schwarzen Loch passiert, das vor der ersten Veröffentlichung liegt. Wie lange sie geschrieben haben, welche Irrwege sie gegangen sind, was und wie sich schließlich doch der Erfolg einstellte.

Und das möchte ich Ihnen erzählen.

 

 

Wie bekannte Autoren es geschafft haben

Wissen Sie, was Simone de Beauvoir, die Grande Dame des Feminismus und J. K. Rowling, die Erfinderin von Harry Potter, gemeinsam haben? Nichts, glauben Sie? Die eine war eine Feministin, die zahlreiche Bücher über Frauen geschrieben hat, die andere hat der Fantasy zu einem einmaligen Boom verholfen. Die eine hat ernste Bücher geschrieben, die andere Unterhaltung.

Sicher richtig. Aber beide haben sehr früh angefangen zu schreiben. Nämlich mit sieben Jahren. De Beauvoir hatte eine Familiengeschichte geschrieben, J. K. Rowling eine Häschengeschichte. Beide sind ihren Genres treu geblieben.

Kai Meyer, ebenfalls ein Bestsellerautor, begann als Kind mit elf oder zwölf auf einer alten Reiseschreibmaschine seiner Eltern zu schreiben. Aber schon viel früher hatte er versucht, eigene Hörspiele aufzunehmen, die aber, »na ja, sagen wir: ziemlich improvisiert waren«, meint er heute.

Ach ja, dass Autorinnen einiges gemeinsam haben, obwohl sie doch ganz andere Stoffe behandeln, obwohl die eine Unterhaltung schreibt (kurz U-Literatur genannt), die andere ernste Literatur (E-Literatur genannt), ist so ungewöhnlich nicht. Das werden Sie in diesem Buch noch ein paar Mal feststellen können.

Ich bin keiner, der glaubt, dass die Trennung von E und U Unfug ist. Ganz sicher gibt es E- und U-Literatur, aber ebenso sicher ist, dass sie viel gemeinsam haben und die wirklich Großen auf beiden Gebieten wissen das.

Aber zurück zum ersten Mal.

Stephen King, um mal zu einem männlichen Autor zu wechseln, hatte seinen ersten Erfolg mit vierzehn. Er schrieb eine Horrorgeschichte, die er auf einer Umdruckmaschine vervielfältigte und für einen Vierteldollar an seine Klassenkameraden verkaufte. Doch bis er den ersten Verlagsvertrag in den Händen hielt (Carrie), sollte es noch weitere 12 Jahre und zahlreiche Romane dauern. Was mir immer wieder bei Interviews auffiel:

 

Zahlreiche Autoren und Autorinnen haben sehr früh angefangen, Geschichten zu schreiben, nämlich vor der Pubertät.

 

Viele dieser ersten Gehversuche existieren noch, wenn sie auch nie gedruckt wurden. Und sie haben natürlich den Reiz von Kindergeschichten, auch wenn (und gerade weil) sie unbeholfen sind.

Auch bei Rebecca Gablé kam der Erfolg nicht sofort. 1990 war ihr erster Roman fertig, aber erst nach mehrjähriger Verlagssuche erschien 1995 ihr Debüt Jagdfieber bei Bastei-Lübbe.

Ursula Poznanski, die 2010 ihren Bestseller Erebos herausbrachte, sagt:

 

»Wenn jemand mich fragt, seit wann ich schreibe, antworte ich meistens ‚immer schon‘, was zwar nicht stimmt, sich aber trotzdem richtig anfühlt. Konkret müsste ich sagen: Ich denke mir schon sehr lange Geschichten aus, nur hatte ich früher nicht immer Lust, sie zu Papier zu bringen.

Doch die Lust, meine Geschichten zu Papier zu bringen, stellte sich dann ein. Im Jahr 2000 startete der ORF einen Drehbuchwettbewerb. Ich hatte sechs Monate zuvor ein Baby bekommen, war zu Hause und hungerte nach Herausforderungen abseits des Wickeltisches. Ein Drehbuch schreiben klang spannend und die Vorstellung, berühmte Schauspieler würden demnächst meinen Text sprechen, war unwiderstehlich (das Preisgeld auch, nur am Rande bemerkt). Also kaufte ich mir ein paar Standardwerke nach dem Motto Drehbuchschreiben leicht gemacht/Dialoge für Dummies/Dramaturgie in drei Tagen, setzte mich hin und schrieb. Zwei Monate später hatte ich über hundert Seiten fertig und das Gefühl, ein geniales Stück Fernsehfilmgeschichte geschaffen zu haben. Vor allem aber hatte ich ENDE unter einen Text geschrieben, der mehr als sieben Seiten aufzuweisen hatte. Es ging also. Ich staunte.

Noch mehr staunte ich, dass ich nicht unter den Siegern des Wettbewerbs war, aber eigentlich war es egal, ich hatte Feuer gefangen. Ich sammelte Romanideen, las mich kubikmeterweise durch Schreibratgeber und probierte alles Mögliche aus.«

 

Auch sie erzielte nicht auf Anhieb den großen Wurf. Dabei hatte sie durchaus professionelle Schreiberfahrungen. Lange vor ihrem Drehbuchentwurf war sie als Medizinjournalistin tätig. Und den ersten Erfolg erzielte sie 2001 mit einem Kinderbuch.

Dass Autoren vor ihren Romanen in Berufen arbeiten, die mit Schreiben zusammenhängen, ist häufig. Kai Meyer, der Bestsellerautor, der sogar in den USA Erfolge feierte, gehört dazu. Er studierte Film und Theater, volontierte als Journalist bei einer Tageszeitung und war Redakteur für Kultur und Vermischtes, bevor er sich 1995 ganz auf das Schreiben von Büchern verlegte. Neben seinen Romanen schrieb er Drehbücher, die Vorlage für ein Comicalbum und ist Co-Schöpfer des Fantasyrollenspiels »Engel«. Schreiben als Journalist, als Drehbuchautor oder Werbetexter ist eine gute Übung für die spätere Karriere als Romanautor.

Gleiches gilt für Sebastian Fitzek, der Jura studierte, danach als Unterhaltungschef und Chefredakteur beim Berliner Rundfunk arbeitete, selbstständiger Unternehmensberater für Hörfunkunternehmen war und TV-Showkonzepte für etablierte Produktionsfirmen realisierte. Wolf Haas, der Krimiautor, der es sogar auf die Longlist des deutschen Buchpreises schaffte, war lange Werbetexter.

Auch das Autorenehepaar Iny und Elmar Lorentz hat schon als Schüler Geschichten geschrieben. Elmar hat 1968 seine erste in einem Wachsmatrizen-Umdruck-Fanzine eines kleinen SF-Zirkels veröffentlicht. Die erste Profistory kam 1983 bei Goldmann heraus. Bis dahin hat er viel in Fanzines eines Fantasyclubs und in dessen Umfeld veröffentlicht.

Seine Frau Iny hatte 1979 die ersten Storys in solchen Fanzines veröffentlicht und bis dahin nur für sich geschrieben. 1982 kam ihre erste Profistory bei Heyne heraus. Danach noch Storys und 1986 ein Kinderbuch von beiden zusammen. 2003, 35 Jahre später, erschien ihr erster Roman »Die Kastratin«. Und 2005 landeten beide mit der »Wanderhure« einen großen Bestseller.

 

Der Weg zum Verlag ist steinig, oft sehr lang und Senkrechtstarter sind selten.

 

Die meisten fingen früh an, oft schon vor der Pubertät. Da habe ich gar keine Chance, sagen Sie? Es gibt auch die anderen. Die Spätberufenen. Sie sind seltener, aber es gibt sie. Ein Vorteil des Schreibens gegenüber dem Fußball: Man kann noch mit fünfzig oder sechzig in die höchste Klasse aufsteigen.

 

Ulf Schiewe erinnert sich, wie das war, als er sein erstes Buch unterbrachte:

 

»Wie hast du denn das hingekriegt, tönten unisono meine Kollegen im Büro.

Gute Frage, denn eigentlich war ich doch nur ein Anfänger und Hobbyschreiber. Oder?

Mit der Welt der Literatur hatte ich beruflich ja nun wirklich nichts zu tun. Mein Universum bestand aus Computern, Software, Vertrieb und Marketing. Kunden, Messen, Meetings, Angebote, Verhandlungen, 16-Stunden-Tage, viel zu teure Restaurants auf Spesen oder Junkfood an Flughäfen, Übergewicht, Bluthochdruck. Nach fünfundzwanzig Jahren Ausland musste ich mich auch erst noch an mein Deutsch gewöhnen. Und dann geschah eines Morgens doch das Wunder in Form eines Telefonanrufs: ‚Ich möchte Ihnen einen Vertrag anbieten.‘

Die Stimme am Telefon klang ruhig und selbstsicher, wenn auch ein wenig brüchig.

Mit einem Mal war mein Mund wie ausgetrocknet, denn hier sprach einer der renommiertesten Literaturagenten des Landes. Ich hatte mich zwar gezielt auf die Suche nach einem Agenten gemacht, mein Manuskript war fertig, und ich war ungeduldig, es endlich an den Mann zu bringen, und dennoch ...

‚Sind Sie noch da?‘

Mir hatte es die Sprache verschlagen. Natürlich war ich noch da, aber so verdammt aufgeregt, dass ich mich doch tatsächlich noch zierte wie die jungfräuliche Braut in der Hochzeitsnacht. Aber Unschuld ist noch nie ein Hinderungsgrund gewesen und so wurden auch wir uns schnell handelseinig.

Bald darauf nahmen die Dinge in rasanter Weise ihren Lauf. Mein weiser Agent (man denke: mein Agent!) verschickte das Manuskript, telefonierte und feilschte, mahnte mich zwischendurch zur Ruhe, wenn ich vor Aufregung zusammenzubrechen drohte, und dann, nicht zu fassen, war ich plötzlich Autor mit Buchvertrag und ließ mich von meinen neuen Partnern bei Droemer in einem schicken Restaurant verwöhnen.«

»Man sollte keine Angst vor hochgesteckten Zielen haben. Man muss sie nur systematisch angehen«, sagt er heute. »Vier Jahre habe ich an dem Roman gewerkelt. Natürlich konnte ich immer nur stundenweise daran arbeiten, oft in Hotelzimmern, im Wartesaal des Flughafens, in Zügen. Oder morgens um sechs vor der Arbeit und dann am Wochenende. Manchmal fällt das Durchhalten schwer. Man muss sich motivieren. Meine Motivation war immer die Veröffentlichung. Ich sah mein Buch in den Läden. Dieses Ziel vor Augen, hat mir geholfen, durchzuhalten.«

 

Doch auch wenn Schiewe erst spät zum Schreiben kam, eine Leseratte war er schon immer, was auf so gut wie alle Autoren zutrifft, die veröffentlicht wurden.

 

»Meine Mutter sammelte früher Rabattmarken und, als ich zehn Jahre alt war, gab es dafür unter anderem diese Tchiboheftchen mit einer Nacherzählung der Ilias und der Odyssee, mit wunderbaren Zeichnungen von Hektor auf seinem Kampfwagen oder Achilles, der um Patroklos weint. Ich konnte es nicht abwarten, bis das nächste Heftchen erschien. Mich hatten die Heldengeschichten und die Abenteuer aus fernen Zeiten in ihren Bann geschlagen.«

 

Sie sehen, nicht jede Autorengeschichte verläuft gleich und schon gar nicht gradlinig. Auch wenn viele Romanautoren vor der ersten Veröffentlichung bereits in Berufen tätig waren, die mit Schreiben zu tun hatten, gibt es ebenso viele, die vorher Ingenieur, Lkw-Fahrer oder Software-Ingenieur waren. Wer veröffentlicht werden will, muss den Weg finden, der zu ihm passt.

 

Die »Nur so geht’s«-Ratschläge sind oft so nützlich wie die neuesten Verlautbarungen des Vatikans über die Natur des Heiligen Geistes und die einzig richtige Form der Empfängnisverhütung.

 

 

Die typischen Leiden des jungen Schriftstellers

Es gibt immer ein erstes Mal und jeder erinnert sich daran besonders intensiv. Selbst wenn es vielleicht doch nicht so toll war.

Und das war der erste Roman meist nicht. Alle Autoren erinnern sich daran, wie sie den Beschluss fassten, sich an einem Roman zu versuchen. Hörten Freunde und Bekannte nicht immer gern den eigenen, erfundenen Geschichten zu? Klar, das hieß, dass man Talent hatte. Also warum keinen Roman schreiben?

An Ideen mangelt es auch nicht. Meist sind es die Ideen von Romanen, die einen selbst beeindruckt haben. Wer Harry Potter liebt, der versucht sich an Fantasy, wer es eher literarisch mag, wagt sich in die Untiefen der Metaphern und Sprachkompositionen hinab.

Das Feuer der Begeisterung ist groß, die erste Liebe immer einmalig. Die ersten dreißig Seiten fliegen nur so aus dem Stift oder der Tastatur. Schon stellt man in einem Forum die ersten Fragen, welche Verlage infrage kommen könnten, man träumt davon, sich dermaleinst mit Nele Neuhaus, Andreas Eschbach und Daniel Kehlmann um die Spiegel-Bestsellerplätze zu streiten und überlegt, ob man nicht doch einen neuen Anzug bräuchte. Schließlich kannst du nicht mit abgeschabtem Pullover in der Talkshow auftreten. Vielleicht wäre ein schwarzer Rollkragenpullover mit schwarzer Jeans aber doch besser? Anzug sieht so konventionell aus, den tragen nur Mainstream-Autoren und das will man nicht sein, auch wenn der Bestsellerplatz schon fest vorgemerkt ist. Schwarz ist viel literarischer.

Doch irgendwann ist die erste Liebesglut vorbei. Die Autorin sitzt fest. Die Idee klang so vielversprechend, die ersten Seiten füllten sich wie nichts mit Worten und jetzt geht es nicht weiter.

Mancher gibt hier auf. Viele beschließen, dass das Schreiben doch nichts für sie ist. Manchen gelingt es, das Schreiben aus ihrem Leben auszuschließen.

Andere machen weiter. Sie reihen einfach Szene an Szene, eine weitere Schießerei, eine weitere literarische Betrachtung mit vielen Metaphern und Sprachspielen. Andere können das doch auch. Voran und schon findet die Autorin ihre Texte wieder gut.

Dann kommt das Ende. Endlich, genügend Seiten sind mit Worten gefüllt worden, nichts kann den Glanz dieses Moments beschreiben. ENDE! Ich habe einen Roman geschrieben! Voller Begeisterung wird er überall herumgezeigt, kein Freund, keine Tante, die verschont bleibt. Die einen sind stolz, dass sie einen Autor kennen, die anderen finden es doch etwas stümperhaft, vermutlich hat er eben kein Talent, aber sie werden den Teufel tun und das dem geliebten Neffen sagen.

 

 

Wie kann ich verhindern, dass mein Roman geklaut wird?

Das ist die zweithäufigste Frage von Nachwuchsautoren. Die Furcht des Autors vor dem geklauten Roman ist typisch für Anfänger.

Und zahlreiche Ratschläge kursieren dazu im Internet. Dass man sein Manuskript in einem Umschlag an sich selbst senden möge, das sei Beweis genug.

Ich gestehe: Ich kenne keinen einzigen Fall, in dem solch ein Beweis vor Gericht verwendet wurde. Ich glaube auch nicht, dass er Bestand hätte. Schließlich beweist ein Umschlag nur, dass der Autor an sich selbst diesen Umschlag am Termin des Poststempels gesendet hat. Theoretisch kann er immer noch diesen Umschlag offen verschickt haben und das Manuskript erst sehr viel später in den Umschlag eingelegt und erst dann den Umschlag verschlossen haben.

Aber zerbrechen Sie sich nicht darüber den Kopf. Wenn ein Verlag eine Geschichte erhält, die er gut findet, wird er sie kaufen. Warum erst einen anderen Autor damit beauftragen, sie zu kopieren? Das kostet ebenfalls Geld, und zwar mehr, als den echten Autor unter Vertrag zu nehmen.

Wenn Sie übrigens das Manuskript in Ihrer Autorengruppe im Internet diskutieren, dann haben Sie in der Regel gute Beweise, wann die Geschichte geschrieben wurde und obendrein eine Menge Zeugen.

 

Der amerikanische Literaturagent Friedmann weiß noch etwas, was seiner Meinung nach wichtig für die Veröffentlichung ist:

 

»The two things that are relevant: 1. How much time you’ve put into writing. [...] 2. Whether you’re reading enough to understand where you are on the spectrum of quality

 

Und damit wären wir bei dem zweiten Stadium einer Nachwuchsautorin.

 

 

Ein Werk wird verachtet – der erste Roman findet keine Aufnahme

Das Junge des Autorennachwuchses schickt nun Manuskripte an jeden erdenklichen Verlag. Es hat sich informiert, weiß, wie man einen Verlag findet, achtet penibel darauf, die Normseite und sämtliche andere vorhandenen oder eingebildeten Formalien einzuhalten.

 

Es hagelt Absagen. Manche Verlage antworten auch gar nicht. Zum Verrücktwerden ist das, suchen Verlage keine neuen Autoren?

 

Offensichtlich nicht. Steht nicht in den Zeitungen, in allen Feuilletons, dass Verlage immer kommerzieller würden und nicht mehr auf Qualität achten? Dass sie statt der deutschen Autoren nur noch billigen amerikanischen Schund einkaufen, bei dem das Risiko gering ist, denn die große Masse der Leser achtet nicht auf Qualität?

 

Das wird es sein! Das ist der Grund, dass mein geniales Werk keinen Verlag findet. Nicht ich bin schuld, nicht mein mangelndes Talent, sondern die Verlage, die keine anspruchsvollen Bücher verlegen.

Eine gute Ausrede. Vor allem beruhigt sie das Gewissen des Autors vor der schlimmsten Gefahr, die er fürchtet. Dass er nämlich kein Talent hat. Irgendwo im Unterbewusstsein gibt es diese nagende Stimme, die flüstert: »Du bist kein richtiger Autor, dir fehlt das Talent!« Die kann man mit dieser Ausrede beruhigen.

Und läuft einer echten Gefahr direkt in die Arme.

 

 

Sie brauchen einen Cognac – der Irrweg des Druckkostenzuschusses

»Nehmen Sie einen Cognac«, eröffnete die Buchhändlerin dem Autor.

»Doch, Sie brauchen jetzt einen Cognac.« Darauf bestand sie, als der stolze Autor mit einem Stapel Bücher unter dem Arm ablehnte. Eigentlich wollte er keinen Cognac, sondern seine Bücher der Buchhandlung zum Verkauf anbieten. Die hatte er bei einem Druckkostenzuschussverlag drucken lassen. Und viel, viel Geld dafür bezahlt.

Den Cognac nahm er schließlich doch an, als ihn die Buchhändlerin darüber aufklärte, dass Bücher dieses Verlags so gut wie nie in Buchhandlungen aufgelegt würden, weil sie einfach zu schlecht wären. Dass dieser Verlag sein Geld mit den Autoren verdient und deshalb gar nichts tut, um die Bücher selbst zu verkaufen. Und auch kein Geld für das Lektorat ausgibt, sondern alles druckt, was ihm angeboten wird.

Den Namen des Autors nenne ich lieber nicht. Weil diese Druckkostenverlage sehr klagefreudig sind und genügend Geld verdienen, um sich teure Winkeladvokaten zu leisten. Ach ja, besagter Autor hat später weitere Romane geschrieben und auch veröffentlicht. Heute liegt er in Buchhandlungen aus, zahlt nicht für die Veröffentlichung, sondern bekommt Geld von seinem Verlag. Das teuer bezahlte Buch hat ihm dabei nicht geholfen, wohl aber die eigene Hartnäckigkeit.

»Ein wirklich entsetzliches Buch. Wenn ich nicht später etwas Besseres geschrieben hätte, wäre das Buch Anlass zum Selbstmord«, urteilt ein anderer Autor über seine Jugendsünde, die er 1920 als 22-Jähriger auf eigene Kosten drucken ließ. Als er Bestsellerautor wurde, kauften er und sein Verlag alle noch vorhandenen Exemplare auf. Der Autor war Erich Maria Remarque, der mit dem Bestseller »Im Westen nichts Neues« acht Jahre später Weltruhm erlangte. Das Buch, von dem er später so gar nichts hielt, hieß »Die Traumbude«.

Remarque war nicht der Erste und wird auch nicht der Letzte sein, der sein erstes Buch auf eigene Kosten drucken ließ. Und es später bitter bereute.

Druckkostenzuschussverlage (kurz DKZVs) sind eine Plage. Aber gemach: Sie lassen sich leicht erkennen. Sie inserieren in der ZEIT, in der WELT und zahlreichen anderen Zeitungen mit dem Slogan »Autoren gesucht«. Auch im Internet sind sie aktiv. Wenn Sie bei Facebook öfters bei Büchern und Autoren »Gefällt mir« anklicken, können Sie drauf wetten, dass Google Ihnen jede Menge Werbung der Art »Schreiben Sie? – Verlag sucht Autoren« auf Ihren Browser schaltet.

Schickt man diesen Verlagen ein Manuskript, erhält man nach wenigen Tagen eine euphorische Rückmeldung. Ja, sie wollen dieses Meisterwerk veröffentlichen. Unbedingt! Alle Lektoren im Verlag sind begeistert!

Der Autor sollte sich zurücklehnen und tief durchatmen. Dieses Lob ist nicht ganz uneigennützig. Und bald zeigt sich der Pferdefuß. Der kommt in Form eines Briefes oder einer E-Mail und verkündet die betrübliche Tatsache, dass leider, leider der Verlag seine Investitionen dieses Jahr schon verplant habe. Außerdem sei das Buch so gut, dass das Risiko sehr hoch sei. Deshalb müsse man den Autor um eine kleine Gabe bitten. Nur als Zuschuss, nur ein paar Tausend Euro. Das muss einem der eigene literarische Erfolg doch wert sein? Man könne sich ja Sponsoren suchen.

Doch welcher Sponsor will für solche Bücher Geld abdrücken?

Eine Plage sind leider auch die Zeitungen, was dieses Gebiet angeht. Wenn Sie in Ihrem Lokalteil (nicht im Feuilleton!) von einem Autor lesen, dessen großer Wunsch in Erfüllung gegangen ist, »Gleich der erste Verlag hat mir einen Vertrag angeboten und war ganz begeistert«, so können Sie darauf wetten, dass sich der Autor seinen großen Wunsch erkauft hat. Übrigens helfen solche Zeitungsberichte nichts. Wer mir nicht glaubt, kann bei Amazon nachsehen, ob sich der Verkaufsrang des Werkes nach dem Artikel wesentlich verbessert hat. Er hat in aller Regel nichts bewirkt. Diese Artikel sind »wahre Geschichten« für die Tränendrüsen und niemand nimmt sie ernst. Mehr dazu finden Sie später im Kapitel über Amazon.

 

Es gibt Bettler, denen sollte man nichts geben.

 

In der Federwelt findet sich übrigens ein Artikel eines Druckkostenzuschussverlegers, nämlich von Wilhelm Ruprecht Frieling, der lange den Frieling Verlag führte:

 

»Ein gutes Buch ist ein verkauftes Buch, heißt ein geflügeltes Wort der Branche. [...] Das eigentliche Dilemma des Zuschussverlegers ist, Betreiber eines weitläufigen Bücherfriedhofs zu sein. Damit ist zugleich seine Achillesferse beschrieben. Seine Motivation, sich für den Verkauf der vorliegenden Werke einzusetzen, ist gering, da die Autoren die komplette Produktion sowie den sogenannten Overhead, das sind die Gemeinkosten und der unternehmerische Gewinn, als Eintrittsgeld in den Bücherhimmel vorab entrichtet haben. Mit der Herstellung sowie dem Bereithalten der Bücher ist sein Job erledigt. Außerdem handelt es sich oft um Bücher, die schon aufgrund ihrer inhaltlichen und stilistischen Qualität unverkäuflich sind.«

 

Frieling schildert anschaulich, um welche Sorte von Autoren es sich zumeist handelt: »Ich erlebte ältere Herren, die mir bei der feierlichen Übergabe ihres Manuskriptes ins Ohr raunten, Goethe habe wohl Qualität, bei der Lektüre des vorliegenden Werkes würde mir aber sofort klar werden, dass ich weitaus Besseres in den Händen hielte.« Wer plant, bei einem Druckkostenzuschussverlag abzuschließen, sollte vorher unbedingt Frielings Artikel lesen, unter www.uschtrin.de können Sie diese Federwelt nachbestellen.

 

 

Ich kann’s nicht – wenn die Selbstkritik erwacht

Führt der erste Roman nicht zum erwarteten Erfolg, geben viele auf. Wer veröffentlichen will, braucht Ausdauer. Wenn Sie nicht schreiben müssen, lassen Sie’s, soll Georges Simenon, der Vater des Kommissars Maigret, sinngemäß gesagt haben.

Und doch schreiben einige weiter.

Egal, ob es nach dem ersten, zweiten oder vierten Roman ist, irgendwann erkennt die Autorin: Ich möchte gut schreiben, aber das, was ich schreibe, ist nicht gut, nicht gut genug.

Dieser Punkt ist ein ganz wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Veröffentlichung. Die Entwicklung der Selbstkritik. Die Fähigkeit, auch eigene Texte beurteilen zu können. »Jetzt sind Sie der Veröffentlichung näher gekommen«, meint der amerikanische Literaturagent Friedmann dazu.

Und er hat recht.

Glauben Sie nicht, dass es einfach ist, eigene Texte zu beurteilen. Aber genau das ist wichtig. Erstens, zu merken, dass etwas an dem Text noch fehlt, und zweitens den Finger auf das Problem legen zu können. An welcher Stelle ist der Text noch nicht fertig? Wo genau hakt es? Ist es Seite 33 oder Seite 34? Was ist der Grund? Der langweilige Dialog oder dass die Handlung dahinplätschert? Was kann ich dagegen tun? Kürzen oder die Situation verschärfen?

 

 

Die Kreisklasse fehlt

 

Und da wären wir auch schon an einem ganz eigenen Punkt des deutschen Buchmarkts angelangt. Hierzulande gilt:

 

Veröffentlicht = Talent, nicht veröffentlicht = talentlos.

 

Und talentlose Autoren sollten das Schreiben sein lassen. Dies ist die Meinung der Mehrzahl der Deutschen, der Mehrzahl der Feuilletonisten in Deutschland.

Seltsam, Musiker wollen, dass möglichst alle Kinder ein Instrument lernen, Fußballer, dass möglichst alle Fußball spielen. Die Vorteile, die sich für den Nachwuchs (und die Eltern) daraus ergeben, sind überall nachzulesen. Kein Musiker käme auf die Idee, dass nur die Musik machen sollten, die auf Konzertniveau spielen können und genügend Talent haben. Kein Fußballer würde solche Ideen haben. Aus gutem Grunde: Sie wissen, wie wichtig eine breite Basis ist. Wie wichtig Musik und Bewegung für die Kinder sind und dass jeder, der selbst ein Instrument gelernt hat, für die Musik gewonnen wurde.

Nur die Literaten wollen das nicht. Aber gleichzeitig sollen natürlich alle Bundesbürger lesen, da sind sie sich dann doch einig. Auf die Idee, dass nur die talentierten Leser Bücher lesen sollten, ist bisher noch niemand gekommen. Dabei sind Schreiber in der Regel die eifrigsten Leser. Wer selbst Geschichten geschrieben hat, wem es Spaß macht, welche zu erfinden, der wird auch viel lesen. Insofern ist die ganze Diskussion über Talent in meinen Augen witzlos. Und obendrein realitätsfern. Ich habe ja schon ausgeführt, wie viele berühmte Autoren viele, viele Jahre geschrieben haben, bevor sie veröffentlicht wurden. Niemand würde ein Erstsemester Medizin fragen: »Operieren Sie schon selbstständig?« Und wenn die Frage verneint wird, bei sich denken: was für ein talentloser Wichtigtuer.

 

 

Schreibwerkstätten

Noch vor zwanzig Jahren waren sie fast unbekannt, heute bieten fast jede Volkshochschule und viele Seminarzentren sie an: Schreibwerkstätten.

Nicht alle sind gleich qualifiziert.

Manche werden von Dozenten geleitet, deren Fachkenntnisse genauso wie die pädagogischen zu wünschen übrig lassen. Eine Suche im Internet nach dem Namen des Kursleiters ist immer eine gute Idee. Wenn sich gar nichts findet, ist das meist kein gutes Zeichen. Wenn sich keine Hinweise auf die Arbeitsmethoden finden, ebenfalls.

Bei Volkshochschulkursen kann man sich nach der ersten Sitzung oft noch abmelden. Manchmal ist das empfehlenswert.

Aber es gibt auch jede Menge Kursleiter, die viel Erfahrung haben und den Teilnehmern eine Menge beibringen können.

Vor allem können sich Teilnehmer selbst etwas beibringen. Gruppenkurse bestehen nicht nur aus dem Leiter, sondern aus vielen anderen Schriftstellerlehrlingen. Und das hat einen großen Vorteil. Nicht nur der Leiter kommentiert die Texte, sondern auch die anderen Teilnehmer. Da kann eine Menge Rückmeldung kommen und vor allem erhält man einen guten Überblick, wie die eigenen Texte wirken. Wenn elf der zwölf Kursteilnehmer die Motive der Hauptfigur nicht verstehen, heißt das, dass der Text vermutlich genau an dieser Stelle ein Problem hat.

Wenn die Gruppe den Text auf sich wirken lässt. Denn das ist die Gefahr: dass die Teilnehmer die Texte nach Vorgaben beurteilen. »Zu viele Adjektive sind schlecht«, »Die Hauptfigur sollte sympathisch sein«, sind solche Vorgaben, solche Regeln. Sie sind nicht schlecht, sie beruhen auf Erfahrungen vieler Erzähler.

Aber das Allerwichtigste ist: Wie wirkt der Text? Das sollten alle als Erstes sagen. Erst wenn festgestellt wird, dass ein Text an einer Stelle hakt, kann man kontrollieren, woran das liegen könnte. Dann sind diese Regeln, die Vorgaben, wichtig. Gruppen, die Texte einzig nur nach Regeln und Vorgaben beurteilen, können für Autoren tödlich wirken.

Erfahrene Gruppenleiter achten auch noch auf etwas anderes. Dass sie als Letzte die Texte kommentieren. Denn erst sollten die Teilnehmer ihre Meinung sagen. Aus gutem Grund. Damit sie unbelastet ihre Meinung äußern und sich nicht an der des Gruppenleiters orientieren. Auch Kursleiter können irren, oder manchmal einen ganz eigenen Geschmack haben. Das kann man dann diskutieren. Ein Kursleiter, der zu früh seine Meinung abgibt, kann schnell die Diskussion in eine bestimmte Richtung lenken – die muss nicht falsch sein, aber kann andere Aspekte untergehen lassen.

Was man nie machen sollte, und was jeder halbwegs erfahrene Gruppenleiter möglichst schnell unterbinden wird: seinen Text verteidigen.

»Ich finde die Hauptfigur langweilig, sie interessiert mich nicht.«

Entgegnet jetzt der Autor: »Ich finde sie aber faszinierend«, kann das bald in einer Diskussion der Form enden:

»Ich finde sie aber langweilig.«

»Ich aber nicht.«

»Ich aber doch.«

Und das bringt nichts. Viel interessanter ist die Frage, warum jemand die Figur nicht so spannend findet wie der Autor. Vermittelt der Text nicht die Vorstellung des Autors über die Figur? Weckt er in den Zuhörern ein ganz anderes Bild? Oder ist die Figur einfach noch nicht rund, fehlt ihr etwas, hat der Autor, der Fan seiner Figur ist, im Eifer etwas übersehen?